Der Bredekamp-Effekt

Author: Franz Reitinger


Wohl jeder wissenschaftliche Autor wünscht sich eine ausführliche Besprechung seines neuesten Buches in einer der führenden Tageszeitungen. Was als Megarezension kürzlich einer nicht mehr ganz so aktuellen Publikation widerfahren ist, mag künftige Autoren indes eher das Fürchten lehren. Horst Bredekamp hat auf einer Handvoll von ihm entdeckter Zeichnungen vor Jahren ein weitreichendes Gedankengebäude errichtet, das jetzt, da sich die Zeichnungen als Fälschung erwiesen haben, in sich zusammenzubrechen droht. Mit gefährdet ist ein ganzer Stab an Jungakademikern, die zu beweisen angetreten waren, dass ihr Meister recht hat. Welche Effekte ist diese üble Betrugsaffäre zu zeitigen imstande? Welche Schlussfolgerungen sind aus ihr in Hinblick auf die aktuelle und künftige Situation der Bildwissenschaften zu ziehen?

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Das falsifizierte Kollektiv

Bredekamp ist einer der wenigen herausragenden Vertreter einer investigativen, objektorientierten Geschichtswissenschaft in Deutschland und wohl auch weltweit. Seiner Alterskohorte gehört eine Reihe von renommierten Bildwissenschaftlern an, von denen die meisten ihren akademischen Ruf durch ihre frühen, rechercheintensiven Arbeiten erworben haben. Während Bredekamp dieser Methode sein Leben lang verhaftet blieb, wechselten viele seiner sprachgewandten Kollegen zu generalisierenden Fragestellungen und Erklärungsmustern über. Das Referieren in Überblicken und Stichproben entband die stets unter einem strengen Zeitregime stehende Professorenschaft der aufwendigen Recherche und besaß überdies den Vorzug, dass es das Denken in Sphären hob, in denen sich über Phänomene frei befinden lässt. Selten geht das, was nach bestandener Habilitation an den Universitäten als ‚Forschung‘ ausgegeben wird, inzwischen über wohlfeiles Platzieren von glücklichen Trouvaillen, hauseigenen Sammelbeständen, Vortragstexten und Thesenpapieren hinaus. Oft sind kaum weniger Beiträger an den sich eröffnenden Gelegenheitspublikationen beteiligt, als Druckseiten zur Verfügung stehen, und wer möchte als Mitautor schon den moralischen Makel auf sich nehmen, die anderen Kollegen in ihrer Textfreiheit noch weiter beschränken zu wollen.

Bredekamp ist einer der ganz wenigen Universitätslehrer, die sich die Latte in den historischen Disziplinen mit ihren ambitionierten Buchpublikationen höher legten. Doch auch in seinem Fall braucht man sich nichts vorzumachen: wie im Leben gibt es in den Wissenschaften Unwägbarkeiten, die sich erst im Nachhinein als das herausstellen, was sie sind. Zum Glück, denn auch die Wissenschaft ist ein Abenteuer. Die Frage der Echtheit von Dokumenten stellt sich dem Historiker zwar meist nur in bestimmten Situationen und Kontexten: letztere müssen rechtzeitig erfasst werden, damit die Echtheit als Problem in das Kalkül der Arbeit einfließen kann. Gerade darin, aber, liegt die Tücke, geben sich diese Situationen doch nicht immer von sich aus zu erkennen.

Erkenntnisgewinn in den Wissenschaften ist ohne das Prinzip der Falsifikation schwer denkbar. Überprüfbarem, evidenzbasiertem Wissen sind Kriterien seiner Widerlegung inhärent. Jede Arbeitshypothese, und was ist eine These anderes, ist eine mehr oder weniger begründete Annahme, die durch entsprechende Gegenannahmen in Zweifel gezogen oder entkräftet werden können. Aus der derzeitigen Diskussion lässt sich vielleicht der Eindruck gewinnen, dass Bredekamp die Beweislast seiner Megathesen nicht hinreichend verteilte, im Grunde aber ist die falsche Einschätzung eines historischen Zeugnisses ein Risiko, mit dem jeder wissenschaftliche Autor zu leben hat. Die späte Einsicht, dass die zurate gezogene Quelle nicht trägt, ist nicht wirklich spektakulär. Peinlicher ist da schon die Menge der im Namen Galileo Galileis in den Sand gesetzten Nullen. Verglichen mit den Unsummen an Fördergeldern, welche die in ihren Ergebnissen oft nicht weniger erfolglose medizinische Forschung verschlingt, bewegen sich diese freilich immer noch auf einem überschaubaren Niveau. Wirklich schlimm an der aktuellen Affäre ist, so gesehen, einzig die verschwendete Lebenszeit der vielen Betrogenen, oder um genau zu sein, der Selbstbetrug derer, die sich für eine Fragestellung instrumentalisieren ließen, die bis vor kurzem im Kern gelöst schien.

Die Affäre um Bredekamps Galilei der Künstler ist in der Tat dazu angetan, das europäische Modell einer Forschung im Kollektiv in Zweifel zu ziehen. Diese Zweifel stehen seit Längerem im Raum. Erschöpfte sich der Output meist unter kryptischen Bezeichnungen laufender Sonderforschungsbereiche nicht schon bisher in einer Vielzahl von Nachweis-, Gelegenheits- und anderen Sammelsurium-Schriften, in denen unter einem vollmundigen Titel viele Meinungen kundgetan werden, aber selten Grundlegendes erarbeitet wird? Zu sehr schienen sich die im gleichen Geldtopf schwimmenden Autorenkollektive darauf zu verlassen, dass es die Aufgabe des anderen sei zu sagen, was dem einen auf der Zunge liegt. Wer möchte überdies schon auf dem Beharren, was der Kollege in der Nachbardisziplin am Nebenstuhl partout nicht hören will? Der standfesten Neugier werden dermaßen etliche Anreize genommen, die Welt über den eigenen Gesichtskreis hinaus zu erkunden. Demgegenüber lautet die gute Nachricht: Forschungsstrategisch richtig platzierte Individuen sind – wenigstens jenseits des Atlantiks – in der Lage, mit allen Ecken und Kanten voneinander unabhängig und quasi im Alleingang Evidenzen zu erbringen, die den wissenshygienischen Mechanismus der Falsifizierung am Laufen halten. Im Fall Bredekamp wäre dazu anzumerken, dass die abstrakten Wissenschaften zwar erste Indizien für mögliche Inkonsistenzen lieferten, der eigentliche Beweis aber im Zuge einer codikologischen Untersuchung anhand der fraglichen Handschrift und ihrer äußeren Merkmale erbracht wurde. Die Fälschung als solche wurde nicht rechnerisch, sondern durch visuelle Anamnese erkannt und bewiesen. Im Übrigen schlug die Zeit nicht nur manche Wunde. Sie brachte auch die eine oder andere weitere Fälschung an den Tag und erhöhte damit die Aussicht auf Wahrheitsfindung – auch für den wohlwollenden Rezensenten.

Verstehen und verzeihen

Aufgabe des Historikers ist es, aus überlieferten Sachlagen, Tatbeständen, Selbstzeugnissen und anderen Befindlichkeitserweisen ein Verständnis davon zu entwickeln, was einmal vor sich gegangen ist. Hypothesen treffen Voreinstellungen und schaffen ein vorläufiges Verständnis von historischen Abläufen. Verständnis ohne klare Vorstellung dessen, was verstanden werden soll, ist kaum vorstellbar. Intuitives Sich-Hineinversetzen in einen situativen oder argumentativen Zusammenhang kann am Ende jenen qualitativen Sprung herbeiführen, durch den sich Daten und Informationen in einem Prozess der verlebendigenden Aneignung neu organisieren. Der sich hierbei eröffnende Vorstellungsraum zeigt sich der reflexiven Rückbindung zugänglich, indem er sich im Nachhinein analysieren, begründen und korrigieren lässt. Als spontaner, kreativer Prozess, freilich, ist Verstehen selbst kaum hintergehbar. An dem Punkt, wo der Wunsch, den Dingen auf den Grund zu gehen, einen bestimmen Intensitätsgrad überschreitet, kann abwägende Deutung in vereinnahmende Empathie umschlagen.

Die Gefahren der Idealisierung eines Forschungsgegenstandes, seiner Über- und Fehlinterpretation sind immer gegeben. Erst recht mag die Euphorie über eine glückliche, vielleicht sogar sensationelle Trouvaille dazu verleiten, alle Vorsicht fahren zu lassen. Die Identifikation mit einem bestimmten Thema oder Gegenstand kann narzisstischen Deutungen Vorschub leisten, deren Widerlegung schließlich als persönliche Kränkung erfahren wird. Wenn die im Hochgefühl frei werdende Energie sich sämtlicher Erklärungsansätze bemächtigt und sich ungehindert allen Kontrollinstanzen entzieht, erst dann droht der Schaden eines weitgehenden Realitätsverlusts. Doch das ist nur die eine Seite.

Geschichte schreibt sich auch nach dem Verschwinden des Subjekts nicht nur über Atome. Fehlende Objektbindung und libidinöse Besetzung von Objekten finden bis heute in Autismus und Fetischismus ihre Extreme. Die Kritik der Psycho- und Sozialwissenschaften an den harten Tatsachen ließ übersehen, dass das Objekt in vielen Fällen Stellvertreter und Ausfluss einer abwesenden Person ist. Dies gilt in besonderem Maße für die semantischen Gegenstände, die man Bilder nennt. Wenn nur noch Namen und Daten bleiben, können semantisch ebenso dichte wie komplexe Objekte individuelle Ansichten und Perspektiven in die Zukunft transportieren. Man kann mit Menschen leiden und sich mit ihnen freuen. Erst in der sich objektivierenden Persönlichkeit aber wird der schaffende Mensch einer Beurteilung zugänglich. Im Angesicht eines vorhandenen Werkes erlangen die Urteile Festigkeit.

Das die Wissenschaften zunehmend beherrschende Modell der utilitären Auftragsforschung pflegt auf Äquidistanz zu den Objekten ihrer Analyse zu gehen. Ist die damit verbundene vorurteilsfreie Haltung dem ethischen Gebot der forensischen Unparteilichkeit nachempfunden, so verleitet sie doch auf Dauer zu einer gewissen Gleichgültigkeit, die einen, wo sie sich zu Indifferenz und Zynismus auswächst, am Ende alle Güter durch andere ersetzbar erscheinen und jedwede Achtung vor den Lebensleistungen anderer verlieren lässt. Objektivität ist am ehesten noch als methodischer Behelf, etwa im Sinne einer zeitweiligen Hintanhaltung des Urteils zu Zwecken der Urteilsfindung zu verstehen, als dauerhafte Unterkühlung des Verhältnisses von Mensch und Welt ist sie ein Fall für den Pathologen. Schon Luther wusste, dass Gleichgültigkeit nicht in allen Situationen angebracht ist. Meist haben es wissenschaftliche Autoren mit einer Art Mischkalkulation aus mehr oder weniger anziehenden und abstoßenden Faktoren zu tun. Selbst ein Genie braucht einem nicht in jeder Hinsicht sympathisch zu sein. Ausgewogenheit des Urteils ist immer auch Geschmacksache.

Erfreulicherweise gibt es mehr als einen Königsweg zur Erkenntnis. In Faszinosum und Kuriosum sind verschiedene Facetten eines in Staunen versetzenden, beeindruckenden Phänomens oder Gegenstands angesprochen, in dessen Zeichen Energien freigesetzt werden, durch die sich das Wissenswerte im Wunsch zu Verstehen erschließt. Der sich auf Bereiche der Kunst, der Natur oder des Lebens erstreckende epistemische Enthusiasmus ist vom Sendungsbewusstsein der Religionen nicht weniger weit entfernt als von der weltanschaulichen Haltung respektive parteiergreifenden Überzeugung der Politik. Der Gegenstand, an dem sich der Geist entzündet, die Sache, für die man sich zu begeistern vermag, hat folglich auch kaum etwas mit jenen großen Ideen gemein, die ein uneigennütziges, selbstloses Engagement zwingend erscheinen lassen. Ohne den ›Funkenflug‹ gesteigerten Interesses, ohne motivstiftenden Impuls, die wie jedwede energetische Aufladung durch die Leidenschaften Erben des platonischen Eros sind, bleibt jeder Deutungsansatz toter Buchstabe. Die kleine Lust sich zu erwehren, sich den von anderen verursachten Frust vom Leibe zu schreiben, Schaumeinungen zu widerlegen und sich eigene argumentative Freiräume zu erkämpfen, mag aus dieser großen Perspektive des verlebendigenden Wortes vernachlässigbar erscheinen.

Begeisterungsfähigkeit schafft die Bereitschaft, die Mühen einer langjährigen Auseinandersetzung auf sich zu nehmen. Wachheit der Sinne und Frische des Gemüts – manche mögen sich am Begriff des »Menschenmaterials« stoßen – sind für diese Art der intellektuellen Neugier unerlässlich. Ihr Urquell aber ist die individuelle Prädisposition, in den vorhandene Kenntnisse und denkbare Optionen einfließen. Zusammen garantieren diese die Vielfalt der bestehenden Forschungsansätze, welche die Voraussetzung für jedweden Fortschritt in den Wissenschaften ist. Strategische Ausrichtung und Fokussierung im Sinne einer »Schwerpunktforschung« ohne die Grundlagen einer hinreichenden Diversität kann auf Dauer nur zur Ausdünnung der Forschungsperspektiven führen. Bei der Vielzahl an postkolonialen Jungtheoretikern könnte dann der Fall eintreten, dass es an dem einen scharfsinnigen Codikologen fehlt. Wird man der privaten Stiftungsforschung den Zuschnitt der von ihr geförderten Forschungsfelder auf bestimmte Ziele hin zubilligen müssen, so wäre es die Aufgabe der Förderungsforschung, mit den Mitteln der öffentlichen Hand einer solchen Tendenz wirksam entgegenzusteuern, die Diversität der Forschungsansätze zu gewährleisten und in ihren Grundlagen zu stärken. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Staatliche Forschungsförderung gleicht sich immer sichtbarer den Strukturen privater Fertigungs- und Entwicklungsabteilungen an.

Es gab eine Zeit, als wissenschaftliche Autoren die Eigenschaften des Forschers, Missionars und Botschafters in einer Person vereinten. Der den Leidenstod eines Märtyrers erduldende Galileo Galilei ist hierfür ein gutes Beispiel. Um etwas im Sinne eines Erkenntnisfortschritts in den Wissenschaften bewegen zu können, muss man die Fronten kennen und eine Richtung vor Augen haben. Der Fokus der Wissenspolitik ist heute oftmals auf äußere Reformen gerichtet, welche die institutionelle Reproduktion, die Wirtschaftlichkeit der wissenschaftlichen Unternehmungen, die öffentliche Wahrnehmung nach außen, ja das Überleben der Universitäten als solcher zum Gegenstand haben. Das Kerngeschäft der Wissenschaften, die Erkundung und Erforschung von un- oder wenig bekannten Vorgängen und Phänomenen gerät dabei zunehmend ins Abseits. Wer sich dieser Entwicklung widersetzt, muss zusehen, wo er bleibt.

Forschen für die Wissenschaft

Es ist hier nicht der Ort, Bredekamps Lebenswerk als Kunsthistoriker auszubreiten. In unserem Zusammenhang genügt die Feststellung, dass seine Trilogie visuell argumentierender Großdenker in der Tradition des Genres der Personalikonographie steht, die er aktualisierte und wissenschaftstheoretisch aufwertete. Diese Erweiterung der kunsthistorischen Heroenforschung auf große Denker und Fachtheoretiker verrät in ihrer konkreten Auswahl nicht nur eine spezifisch protestantische Sensibilität, sie hat auch damit zu tun, dass mit einer herkömmlichen Kunstgeschichte der großen Namen, für die Bredekamp mit seinen Michelangelo-Studien eigene Beispiele beisteuerte, keine Disziplin mehr zu machen ist. Bredekamp war vielleicht der letzte Vertreter einer Wissenschaft der Berufenen, denen es gelang, Forschung, Verwaltung und Lehre miteinander zu vereinbaren. Kraft seines Beispiels übte Bredekamp eine große Anziehung auf wissbegierige junge Menschen aus. Schon seine Leibniz-Monographie aber lässt Anzeichen erkennen, die auf eine Überspannung des von ihm verkörperten Wissensideals und die praktische Undurchführbarkeit des universitären Vereinbarkeitsgebots von Forschung und Lehre hindeuten. Ob und inwieweit die übrigen Bände seines dreiteiligen Spätwerkes von dem arglistigen Betrugsfall affiziert werden und sich der dadurch entstandene Schaden weiter auswächst, wird sich weisen.

Tatsächlich beläuft sich das Gebot, Forschung und Lehre zu verbinden, auf eine Standesethik, wonach nur denjenigen, die sich für ihre Universität verdient gemacht haben, das Recht zu publizieren zuzubilligen und die entsprechenden Fördermittel bereitzustellen seien. Diese Regel ist kontraproduktiv, weil sie falsche Impulse setzt und den Fluss der Erkenntnisproduktion auf unnötige Weise hemmt. Auch ist die Annahme einer direkten Korrelation von Forschung und Lehre von der Sache her nicht wirklich zu begründen. Oft fehlt dem begnadeten Lehrer die Leidenschaft der Neu- und Wissbegier, und viele seinesgleichen haben sich ebenso als begabte Vorwortschreiber und Organisatoren hervorgetan, wie sie sich in der innovativen Forschung, trotz aller Publikationsmöglichkeiten, als Nieten erwiesen.

Bredekamp fand in der Max-Planck-Gesellschaft einen komfortablen Hafen, der ihn die wachsenden Zumutungen durch die Politik verschmerzen ließen, durch die ein Großteil der Kapazitäten an ‚gesellschaftlich relevante‘ Auftragsforschung gebunden wurde. Er konnte sich auf diese Weise den gröbsten Fehlentwicklungen der Universitäten entziehen, die in direktem Zusammenhang mit dem Geschlechterproporz der letzten zwanzig Jahre stehen und das Aufkommen einer ostblockmäßigen Erzieherinnenmentalität begünstigten: der Kollektivierung der Forschung und der Verschulung des Lehrbetriebs. Nicht immer wusste Bredekamp dabei der Versuchung zu widerstehen, Kontrolle auszuüben, etwa über den Diskussionsverlauf in den Anfängen des Iconic turn, was angesichts des Grassierens unterschiedlichster popkultureller Welt- und Wissensanschauungen, unter deren Einfluss die Niederungen der Universität zu einem Kampfplatz von Hypermoralismen und Lebensstilen entrieten, wenigstens teilweise begreiflich ist. Angesicht der allerorts überhand nehmenden Weltverschwörungs- und Schuldzuweisungstheorien hielt Bredekamp die Fahne der historischen Erkenntnis hoch.

Problematischer an Bredekamps Ansatz ist da schon die im Grunde unnötige Forcierung des Paragone-Gedankens, der die Wurzel der hochtrabendsten seiner Thesen ausmacht. Das Denken in der agonalen Kategorie des disziplinären Wettstreits verrät Bredekamps kunsthistorische Herkunft, ist aber mehr noch als kämpferische Reaktion auf die Fördermittelverteilung an den Universitäten nach der deutschen Wende und den durch die Versteigerung staatlicher Mobilfunk-Lizenzen auf diese niederprasselnden Goldregen zu verstehen, die eine politisch gewollte Vernaturwissenschaftlichung der Geistes-, Human- und Kulturwissenschaften herbeiführten und die Kunsthistorie zu einem Zweig der Wissenschaftsgeschichte herabstuften, deren vornehmste Aufgabe eine Art Forschung »pro domo« sein sollte: exklusiv im Dienste und zum Wohle der Wissenschaften.

Der Prestige-Gewinn, den Bredekamp mit seiner Kunstgeschichte der Technik erzielte, beruhte zu einem Teil auf der Erschließung eines weiten Feldes von unterbelichteten und vom Bildungsbürgertum verfemten Bildmaterien. Die Schattenseite dieses Gewinns war die Preisgabe eines Gros‘ der abendländischen Bildüberlieferung. Das Ansehen hochdotierter Förderprojekte ließ vergessen, dass die Geschichte der naturwissenschaftlichen Bilder bis in das 20. Jahrhundert hinein, ein randständisches Phänomen blieb. Die überragende Bedeutung des Bildes als kulturtechnischer Errungenschaft – gegen den McLuhan-Mainstream sei hier betont, dass die Technik lediglich ein Werkzeug und nicht schon die kulturelle Leistung ist, ja dass die Verwechslung einer großen Bibliothek mit einem beliebigen Papierdepot geradezu den Kern dessen ausmacht, was uns als Barbarei in Unruhe versetzt – liegt eben nicht in diesem oder jenem speziellen Segment des neuzeitlichen Bildaufkommens begründet, sondern ist gerade in seiner umfassenden strukturellen Diversität zu suchen, die das Selbstverständnis der menschlichen Gesellschaften im Ganzen und von Grund auf prägt und prägte.

Bredekamps Ausrichtung belief sich auf weit mehr als auf das Sonderinteresse eines auf ein begrenztes Wissensfeld aus sperrigen Aufzeichnungen, technischen Simulakren, dubiosen Trophäen und schmuddeligen Präparaten sich kaprizierenden Fachgelehrten, der seinen Studenten den Zugang zu verstaubten Universitätsarchiven eröffnete. Sie prägte eine ganze Forschungslandschaft und trug so nicht unwesentlich zu einer verzerrten Wahrnehmung der neuzeitlichen Geschichte des Bildes bei mit der unerfreulichen Folge, dass der Status der Bildforschung heute aufs engste mit ihrer Anerkennung durch die Naturwissenschaften verknüpft ist. Die Betrugsaffäre um Horst Bredekamp bietet insofern auch die Chance für eine Neuverortung der historischen Bildforschung im Rahmen der über das technizistische Weltbild der Millenniums-Jahre hinausgehenden globalisierten Wissenschaften, deren Kehrseite die Wiederkehr der Regionen ist. Von der Wertschätzung der Bildungsgüter im Allgemeinen und den Wissenschaften im Besonderen, die Bredekamp seinen Studenten kraft seines Beispiels bis heute vermittelt, kann diese Forschung nur profitieren.