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»Possession plus reference«. Nelson Goodmans Begriff der Exemplifikation – angewandt auf eine Untersuchung von Beziehungen zwischen Kognition, Kreativität, Jugendkultur und Bildung.


Author: Nicolas Romanacci
[published in: IMAGE 7 (Ausgabe Januar 2008)]

Catchwords: Angewandte Kognitivistische Ästhetik, Nelson Goodman, Das neue Rätsel der Induktion, Kreativität, Jugendkultur, Bildung

Disciplines: Philosophie, Bildwissenschaft


Goodman‘s creative symbol-constructional philosophy concerns fundamental aspects of human cognition and practice. It is argued that especially his deeply interrelated conceptions of exemplification, induction and worldmaking provide us with a subtle understanding of the connections between cognition, creativity, youth-culture and education. I will try to show that youth-culture contains a fundamental potential for aesthetic and creative practice with an immense cognitive value that should be taken seriously by the cognitive sciences. This potential should be encouraged from scratch within our educational system and needs to be protected comprehensively from depreciation through narrow-minded (education-)policy and exploitation through the entertainment industries.

Goodmans Symbol- und Erkenntnistheorie beschäftigt sich mit grundlegenden Aspekten menschlichen Verstehens und Handelns. Es wird argumentiert, dass seine subtil aufeinander bezogenen Konzeptionen von Exemplifikation, Induktion und ›Welterzeugung‹ ein tieferes Verständnis von Zusammenhängen zwischen Wahrnehmung, Kreativität, Jugendkultur und Bildung ermöglichen. Aufgezeigt wird, dass Jugendkultur ein besonderes Potenzial für ästhetisches und kreatives Handeln in sich birgt, dessen kognitive Aspekte von der Forschung ernst genommen werden sollten. Dieses kreative Potenzial bedarf umfassender und elementarer Förderung in unserem Bildungssystem. Es benötigt des Weiteren umfassenden Schutz vor der Abwertung durch konservative (Bildungs-) Politik und der Ausbeutung durch die Unterhaltungsindustrie.

1. Einleitung: Forschungshaltung und Ziele dieser Untersuchung

1.1 Ästhetik, Jugend-Kultur und Erkenntnistheorie

Goodman macht geltend, dass die Künste eine kognitive Funktion haben.

»Die Aufgabe der Ästhetik ist es, diese zu erklären. Eine solche Behauptung wäre eigenwillig, würde man die Erkenntnistheorie als die Theorie des Wissens auffassen. Die Künste sind gewöhnlich keine Vorratslager für gerechtfertigte, wahre Meinungen. Aber Wissen ist, wie Goodman und ich behaupten, ein unwürdiges kognitives Ziel. Viel besser ist es, unser Augenmerk auf das Verstehen zu richten.« (ELGIN 2005: 43)

Ästhetik in die Erkenntnistheorie auswandern zu lassen, mag womöglich vergleichbar eigenwillig erscheinen, wie einem Beitrag über Jugend-Kultur ein Zitat über die kognitive Funktion der Künste voranzustellen. Aber ist man, wie Goodman, »weniger daran interessiert [...], die Grenzen des Ästhetischen gegen Eindringlinge zu schließen, als daran, epistemisch bedeutsame, bereichsübergreifende Affinitäten zu entdecken« (ELGIN 2005: 58), dann ergibt ein solcher Einstieg Sinn. Die diesem Artikel zugrunde liegende Forschungshaltung möchte ich als kognitivistische Ästhetik bezeichnen (vgl. Gerhard Ernst 2000, Oliver Scholz 2001 oder Jakob Steinbrenner 1996). Kognitivistische Ästhetik bedient sich einer erweiterten Auffassung von Erkenntnis, die »sich nicht in einer Theorie des propositionalen Wissens erschöpf(t), sondern alle kognitiven Ziele, Fähigkeiten und Leistungen berücksichtig(t) [...] im Zusammenhang untersuch(t)« (SCHOLZ 2001: 36) und in besonderer Weise nicht-propositionale Erkenntnisformen zum Gegenstand hat. Wichtiges Werkzeug ist hierbei eine allgemeine Symboltheorie, wie sie Nelson Goodman etwa in Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie (GOODMAN 1968) exemplarisch entwickelt hat. Den Begriff ›Symbol‹ verwendet Goodman dabei sehr weit und allgemein: Er »umfaßt Buchstaben, Wörter, Texte, Bilder, Diagramme, Karten, Modelle und mehr, aber er hat nichts Gewundenes oder Geheimnisvolles an sich.« (GOODMAN 1968: 9)

Für diese Untersuchung soll entsprechend auch der Begriff ›ästhetisch‹ nichts Gewundenes oder Geheimnisvolles an sich haben. Ästhetisches Handeln soll vielmehr anhand bestimmter Symptome – wie etwa der Bezugnahme über die Exemplifikation – festgemacht werden. Ästhetische Praxis wird dabei nicht mit künstlerischer einfach gleichgesetzt, aber es sollen durchaus grundlegende Gemeinsamkeiten und für eine Abgrenzung dem Wesen nach nur graduelle Unterscheidungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Dabei wäre jede künstlerische Praxis ein ästhetisches Handeln, aber nicht jedes ästhetische Handeln gleich Kunst. Ästhetisches Handeln würde also schon bei weniger komplexen Handlungen stattfinden, gemeinsames Merkmal wäre für die vorliegende Untersuchung etwa die Bezugnahme über die Exemplifikation und der Ausdruck über die metaphorische Exemplifikation. Ästhetisches Handeln kann nach entsprechender Auffassung schon bei Jugend-Kultur beobachtet werden, nur in der Komplexität der Bezugnahmeformen und dem möglichen Auftreten weiterer »Symptome des Ästhetischen« (Goodman nennt: syntaktische und semantische Dichte, relative Fülle, Exemplifikation, mehrfache und komplexe Bezugnahme, siehe GOODMAN 1968: 252 ff., 1978: 67-68, und 1984: 135 ff.) liegt der Unterschied zu künstlerischen Formen. Eine Wertung ist mit dieser Unterscheidung nicht beabsichtigt, nur ein besseres Verständnis intendiert anhand der Analyse von Gemeinsamkeiten und spezifischen Unterschieden. Ein solches, verbindendes Fortschreiten vom Einfachen zum Komplexen gilt in vielen anderen Bereichen als selbstverständlich, unverständlicher Weise aber oftmals nicht bei ästhetischen Fragen.

1.2 Ein Exkurs über fiktive und reale Absurditäten

Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Gibt man etwa einem Grundschüler die Aufgabe 2+2=x vor und dieser schreibt als Lösung 2+2=4, würde wohl niemand abstreiten, dass der Schüler eine mathematische Aktion durchgeführt hat. Als absurd würde die Aussage gelten, dass die Mathematik erst ab z.B. dem Komplexitätsgrad von Binomischen Formeln beginnt. Genauso würde niemand anzweifeln, dass ein Erlernen der Mathematik mit einfachen, grundlegenden Schritten beginnen sollte. Grundlegende Kenntnisse in Mathematik werden von jedem gefordert, bzw. wird jedem das Recht zugestanden, mindestens mathematische Grundlagen vermittelt zu bekommen. Aber niemand erwartet, dass aus jedem Schüler ein Mathematikgenie wird. Bei ästhetischen Handlungen ist die Sichtweise seltsamerweise oftmals völlig anders. Das Erlernen von ästhetischem Handeln oder Denken wird nach wie vor kaum gleichwertig als Recht oder Pflicht angesehen wie etwa naturwissenschaftliches Denken. Bei ästhetischen Fragen scheint ein Beschreiben in Abstufungen als nicht angebracht. Hier geht es oftmals eher darum, müßige, von der Auffassung her essentialistische Debatten zu führen, die sich zwangsläufig vergeblich darin verfangen, kategorisch zwischen ›Kunst‹ und ›Nicht-Kunst‹ unterscheiden zu wollen – Bemühungen, die sich in der Fragestellung ›Was ist Kunst?‹ bündeln lassen. Goodman steuert zu dieser Frage – wie in vielen anderen Fällen (siehe GOODMAN/ELGIN 1988) – eine Neuformulierung bei, indem er sie als falsch gestellt zurückweist: »If attempts to answer the question: What is Art? characteristically end in frustration and confusion, – as so often in philosophy – the question is the wrong one.« (GOODMAN 1978: 57)

Goodman zeigt, dass in Hinblick auf Weisen und Praxis der Bezugnahme von Symbolsystemen die Frage eher: ›When is Art?‹ lauten sollte (GOODMAN 1978: 67; siehe dazu auch eine kritische Diskussion essentialistischer Positionen in STEINBRENNER 1996 und LÜDEKING 1988). Im Gegensatz zu Goodman wird des weiteren argumentiert, dass ästhetisches Handeln weniger erlernbar wie etwa die Mathematik, eher angeboren und nach extremer Auffassung in ihrer Ausprägung als Kunst letztlich nur dem Genie vorbehalten sei Alle kreativen Formen vor einer wie auch immer definierten künstlerischen Ausprägung seien dann primär und nur wichtig als Ausgleich, weil irgendwie harmloser und entspannender Zeitvertreib, aber ohne wirkliche kognitive Funktion und Wert, wie eben etwa im Gegensatz zu den Naturwissenschaften. Wie absurd diese Auffassung und leider auch die aktuelle bildungspolitische Realität sich darstellt, zeigt Goodman mit ironischer Schärfe in seinem Aufsatz Message from Mars (in: GOODMAN 1987: 239 ff.) auf, der, 1975 verfasst, leider auch 33 Jahre später noch seine Gültigkeit als Persiflage auf unser Bildungssystem behalten hat. Erzählt wird die fiktive Geschichte von ›Professor Hans Trubelmacher‹, der als Spezialist für naturwissenschaftliche Ausbildung auf Ersuchen von Marsianern auf den Mars berufen wird, die in Sorge sind über den Stand der Naturwissenschaften an der führenden Universität. Der Professor stellt schnell fest, »dass sich die offiziellen Kurse an der Universität hier fast ausschließlich auf die Künste konzentrieren und alle ihre Aspekte abdecken« (GOODMAN 1987: 239), bei gleichzeitiger sträflicher Vernachlässigung der Naturwissenschaften, also in genauer Umkehrung zur Situation auf der Erde. Detailliert wird die fiktive Situation auf dem Mars geschildert, und den Verantwortlichen für die reale Situation auf der Erde wird so fiktiv der Spiegel vorgehalten. Am Ende der Geschichte berichtet Professor Trubelmacher von seinem letzten Gespräch:

»Zuletzt sprach ich mit Professor Lawrence Vincent, einem Fakultätsmitglied, das lange Zeit auf die Entwicklung und Leitung der naturwissenschaftlichen Aktivitäten an der Universität großen Einfluss hatte. Er hob die Tatsache hervor, dass die Universität ständig unter finanziellem Druck stand und nicht alles in Angriff nehmen konnte. Die wahre Aufgabe der Universität war die Ausbildung in allen Bereichen der Künste. Naturwissenschaftliche Ausbildung war für ihn in erster Linie eine Frage der Neigung; man sollte sie besser den Handelsschulen überlassen. Außerdem war die Naturwissenschaft, insoweit sie keine Technologie war, eine etwas brotlose Beschäftigung, die nur Unterhaltungswert besaß; und naturwissenschaftliche Aktivitäten sollten wie die sportlichen Aktivitäten nicht in das reguläre Curriculum aufgenommen werden. [...] Der Freund, der mich als Berater eingeladen hatte, fragte mich auf der Fahrt zum Raumhafen nach meinen Eindrücken und Empfehlungen. Ich musste ihm sagen, daß meines Erachtens solange wenig getan werden kann, als das grundlegende Bedürfnis nach einer Veränderung der Einstellung keine größere Anerkennung erfährt, und daß neue Ideen dringender, oder zumindest eher, gebraucht werden als neue Gelder.« (GOODMAN 1987: 243)

Ich möchte mich Goodman bzw. ›Professor Trubelmachers‹ Auffassung anschließen, dass sich wenig Essentielles in unserem Bildungssystem ändern wird, solange es kein grundlegendes Umdenken gibt, welches erst ein Bewusstsein und Bedürfnis nach – dringend benötigten – erweiterten Bildungskonzepten mit sich bringen würde. Ein Ziel dieser Untersuchung ist es, aufzuzeigen, dass es für ein grundlegendes Umdenken unter anderem unumgänglich ist, ästhetische Handlungen und deren kognitive Aspekte über eine Analyse der Bezugnahmeweisen von Symbolen zu erklären. Somit steht man zum einen nicht mehr vor dem (Schein-)Problem, Kunst von Nicht-Kunst unterscheiden zu müssen, sondern kann ästhetische Praxis über den Grad ihrer Komplexität erforschen. Eine ernsthafte Untersuchung sollte nicht erst bei den vermeintlich höheren Sphären künstlerischer Praxis einsetzen, sondern sollte auch eine Untersuchung ästhetischen Ausdrucks bei Jugendlichen beinhalten. Ästhetisches Handeln von Jugendlichen muss und soll somit nicht einfach mit Kunst gleichgesetzt werden, aber die kognitiven und kreativen Aspekte können sinnvoll und gewinnbringend verglichen werden, um etwa in Bildungsfragen besser argumentieren und handeln zu können.

Goodman untersucht Symbole bzw. Symbolsysteme und ihre Weisen der Bezugnahme. Als grundlegende Formen beschreibt Goodman dabei die Denotation und die Exemplifikation (GOODMAN 1968). Diese wird sich aus mehreren Gründen als zentral für die vorliegende Untersuchung erweisen. Über die Exemplifikation kann ein (Jugend-) spezifischer Zeichengebrauch erklärt werden, der über Symbolsysteme wie etwa Gestik, Körperhaltung, Kleidung, bis hin zu bevorzugtem Musikstil und allgemein allen visuellen Ausdrucksformen nicht-sprachliche und nicht-propositionale Symbolisierungsformen generiert. Wie in diesem Zusammenhang Kognition und Kreativität verstanden werden können, soll anhand Goodmans Theorie der Induktion näher erklärt und präzisiert werden. Über die metaphorische Exemplifikation (GOODMAN 1968: 85-95) beschreibt Goodman das Phänomen des Ausdrucks. Über die metaphorische Exemplifikation kann auch ein Lebensgefühl zum Ausdruck gebracht werden, über dieses kann – gerade bei Jugendlichen – (sub-)kulturelle Identität ihre Form finden.

2. Exemplifikation, Kognition und Kreativität

Nelson Goodman unterscheidet zwei grundlegende Weisen der Bezugnahme von Symbolen: Denotation und Exemplifikation. Bei der Denotation verläuft die Richtung der Bezugnahme vom Symbol zu den bezeichneten Gegenständen oder Ereignissen. Die Exemplifikation erfolgt gewissermaßen in umgekehrter Richtung. Ein Gegenstand fungiert als Muster (»sample«), als exemplifizierendes Symbol, wenn er auf einen Teil der Prädikate, die er aufweist, zudem Bezug nimmt. Exemplifikation ist somit nach Nelson Goodman »possession plus reference« (GOODMAN 1968: 53). Ein wichtiger Aspekt der Exemplifikation ist, dass sie über das konkrete Beispiel in besonderer Weise nichtsprachliche Label bereitstellen kann und epistemischen Zugang zu diesen ermöglicht – und dadurch zu anderen Bereichen, auf welche diese Label entsprechend Anwendung finden können. Derlei wird im Alltag, im Handel, in den Wissenschaften und in besonderem Maße in den Künsten praktiziert. So exemplifiziert das Stoffmuster eines Schneiders etwa seine Farbe, seine Materialqualität, seine Textur – jedoch nicht seine Größe oder das Datum seiner Herstellung. Um die Pointe dieses Gedankenganges herauszuarbeiten, bedient sich Goodman in seinem Buch Weisen der Welterzeugung (GOODMAN 1978) zweier humorvoller Geschichten, die ich dem Leser hier nicht vorenthalten möchte. Ausgangspunkt ist in Goodmans Text die Frage danach, welche Eigenschaften bei nicht-darstellenden und nicht-expressiven Kunstwerken wichtige,, welche unwichtige sind und wie diese voneinander unterschieden werden können.

»Ich glaube, daß es eine Antwort auf die Frage gibt, aber um uns ihr zu nähern, werden wir das ganze hochtönende Gerede über Kunst und Philosophie preisgeben und uns ganz unsanft auf nüchternen Boden begeben müssen. Betrachten wir nochmals ein gewöhnliches Stoffmuster im Musterbuch eines Schneiders oder Polsterers. Es wird wohl kaum ein Kunstwerk sein oder irgendetwas abbilden oder ausdrücken. Es ist einfach eine Probe – eine einfache Probe. Wovon aber ist es eine Probe? Von der Oberfläche, Farbe, Webart, Stärke und Beschaffenheit der Faser [...], die ganze Pointe dieser Probe, so sind wir zu sagen versucht, ist die, daß sie von einem Stoffballen abgeschnitten wurde und genau dieselben Eigenschaften hat wie der Rest des Materials.

Doch das wäre übereilt.

Lassen sie mich zwei Geschichten erzählen - oder vielmehr eine Geschichte, die aus zwei Teilen besteht. Frau Mary Tricias (ein Wortspiel mit meretricious, von lat. meretrix. A.d.Ü.) studierte ein solches Musterbuch, traf ihre Wahl und bestellte in ihrem bevorzugtem Stoffladen genügend Material für ihre Polsterstühle und das Sofa - wobei sie betonte, es müsse genau so sein wie die Probe. Als das Paket eintraf, öffnete sie es begierig und war entsetzt, als einige Hundert Stücke von 6 x 10 cm mit Zickzackrand, genau wie das Muster, zu Boden flatterten. Als sie im Geschäft anrief und laut protestierte, antwortete der Besitzer gekränkt und mißmutig: ›Aber, Frau Tricias, Sie sagen doch, das Material müsse genau so sein wie die Probe. Als es gestern aus der Fabrik kam, habe ich meine Verkäuferinnen die halbe Nacht hier behalten, damit sie es so zuschneiden, daß es der Probe entspricht.‹ Dieser Vorfall war einige Monate später schon beinahe vergessen, als Frau Tricias, nachdem sie die Stücke zusammengenäht und ihre Möbel damit überzogen hatte, sich entschloß, eine Party zu geben. Sie ging in ihre Bäckerei, wählte unter den Kuchen, die zur Auswahl standen, einen Schokoladennapfkuchen und bestellte davon soviel, daß es für fünfzig Personen reichen sollte, Lieferung zwei Wochen später. Als die ersten Gäste eintrafen, fuhr ein Lastwagen mit einem einzigen riesigen Kuchen vor. Die Dame, die die Bäckerei leitete, war über die Beschwerde völlig ratlos: ›Aber, Frau Tricias, Sie haben ja keine Ahnung, welche Schwierigkeiten wir damit hatten. Mein Mann führt das Stoffgeschäft, und er hat mich ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß ihre Bestellung in einem Stück sein müsse.‹ Die Moral dieser Geschichte ist nicht einfach: ›Wie man‘s macht, ist es falsch‹, sondern ›daß eine Probe eine Probe nur von einigen ihrer Eigenschaften, nicht aber von anderen ist.‹« (GOODMAN 1987: 83)

Entsprechend der Stoffprobe können natürlich auch ganze Kleidungsstücke über die Exemplifikation Bezug nehmen und in einem weiten Sinn alles, was man als ›konkret‹ bezeichnen kann. Das gilt für einfache Beispiele wie unserer Stoffprobe, lässt sich fortführen über komplexere Fragestellungen, wie zum Phänomen des Stils etwa in der Architektur oder anderen Ausdrucksformen, und auch ganz allgemein anwenden für alle visuellen Ausdrucksformen (wenn sie nicht denotativ Bezug nehmen), die Musik und die so genannte abstrakte Kunst, deren alternative Bezeichnung als konkrete Kunst auch in diesem Zusammenhang viel mehr Sinn ergibt. In unserer Untersuchung zur Jugend-Kultur interessiert Bezugnahme über die Exemplifikation etwa auch über einen bestimmten Sprachstil oder Gestik (siehe hierzu THÜRNAU 2005). Wie über die Exemplifikation etwas zum Ausdruck gebracht werden kann, bis hin zu einem Lebensstil, also auch (Jugend-) Kultur in einem weiten Sinn, soll später anhand Goodmans Theorie der metaphorischen Exemplifikation gezeigt werden.

Vorher müssen wir uns aber noch einem grundlegenderen Problem zuwenden, dessen Analyse dann einen längeren Ausflug in die Grundlagen der Erkenntnistheorie erfordern wird, ein Ausflug, der manchem auf den ersten Blick als etwas abwegig erscheinen mag, sich aber für die vorliegende Untersuchung als grundlegend erweisen wird. Goodman zeigt anhand seines einfachen Beispiels der Stoffprobe einen relativ verständlichen Fall der Exemplifikation auf. Exemplifikation in den Künsten ist in der Regel komplexer und schwieriger zu erfassen. Ein grundlegendes Problem ist es aber in jedem Fall, herauszufinden, welche Eigenschaften das Muster oder das Kunstwerk exemplifiziert und welche Eigenschaften es lediglich besitzt und welchen somit keine symbolische Funktion zukommt. Goodman nähert sich diesem Problembereich indirekt über seine Theorie der Induktion. Verkürzt dargestellt kommt er zu der Annahme, dass lediglich vorangegangene Praxis Hinweise auf eine Fortsetzbarkeit von Hypothesen oder parallel im Falle der Exemplifikation auf eine sinnvolle Anwendung von Labels bieten kann. Er spricht in diesem Fall von ›entrenchment‹, was üblicherweise mit Verankerung übersetzt wird. Besondere Schwierigkeit für eine Einordnung, aber eben auch besonderen kognitiven Wert bietet die Bereitstellung neuartiger Label – in den Wissenschaften wie in den Künsten. Die Generierung neuer Label durch den Wissenschaftler oder den Künstler, aber auch das Erfassen und die Einordnung jener durch den Rezipienten, stellen komplexe kognitive und kreative Leistungen dar, worauf ich später noch einmal zurückkommen werde.

3. Exemplifikation, Induktion und Welterzeugung

»If I am at all correct, then, the roots of inductive validity are to be found in our use of language.« (GOODMAN 1954: 120)

»Thus here as well as in ordinary induction entrenchment-novelty is a major factor, entering into the determination what is exemplified.« (GOODMAN 1978: 136)

Um die Zusammenhänge zwischen Kognition und Kreativität noch präziser benennen zu können, soll nun ein zentraler Gedanke in Goodmans Philosophie untersucht werden. Es ist notwendig, dabei zuerst näher auf Goodmans Theorie der Induktion einzugehen, um dann parallele Gedankengänge zur Exemplifikation und Goodmans Theorie der Welterzeugung herauszuarbeiten. Mit Gerhard Ernst teile ich dabei die Auffassung, dass Goodmans Theorie der Induktion »Grundlage für seine späteren Theorien ist« (ERNST 2005: 99).

Für ein klärendes Beispiel zur Exemplifikation war es angebracht, »das ganze hochtönende Gerede über Kunst und Philosophie« preiszugeben und »uns ganz unsanft auf nüchternen Boden zu begeben«. Nun ist ebenso nüchterner Boden zu erkunden, diesmal jener erkenntnistheoretischer Grundlagen zur Induktion. Nüchternheit in der Philosophie bedeutet aber zum Glück nicht automatisch, dass es weniger spannend zugeht. Meinem Eindruck nach wird gerade Goodman oftmals immer einfallsreicher, anregender, eleganter und überraschender, je nüchterner er argumentiert, wobei die Konsequenzen seiner Argumentation genau so oft grundlegend und weit reichend sind. So würdigt auch Hilary Putnam im Vorwort zur vierten Auflage von Fact, Fiction, and Forecast Goodmans Gedanken zur Induktion:

»Goodmans berühmtes Argument, das er verwendet, um zu zeigen, daß alle Prädikate nicht in gleichem Maße projizierbar sind, hängt von seiner Erfindung des sonderbaren Prädikats ›glau‹ ab. Er definiert etwas als glau, wenn es entweder vor einem bestimmten Zeitpunkt beobachtet wurde und grün ist, oder nicht vor diesem Zeitpunkt beobachtet wurde und blau ist. Diese philosophische Erfindung hat in manchem sehr viel Ähnlichkeit mit einem Kunstwerk, aber warum? Sie besteht nicht nur darin, daß sie die ästhetischen Qualitäten der Eleganz, Neuheit und Einfachheit besitzt. Was das Argument so überwältigend macht, ist die Seltenheit, mit der Beweise, die wirkliche Beweise sind, in der Philosophie vorkommen. Goodman führt sein Argument jedoch nicht als Beweis, sondern vielmehr als Rätsel ein.« (PUTNAM in GOODMAN 1988: II)

Besagtes Rätsel ist in die Geschichte der Philosophie als ›das neue Rätsel der Induktion‹ eingegangen. ›Neu‹, da es auf eine ältere Diskussion und Theorie der Bestätigung kritisch Bezug nimmt, wie sie vor allem C.G. Hempel entwickelt hat.

»Diese versucht die Frage zu beantworten, durch welche positiven Beispielfälle eine allgemeine Hypothese bestätigt wird, wobei ihre hervorstechendste Eigenschaft ist, dass sie dies mit rein syntaktischen Mitteln anstrebt.« (HEMPEL 1943) »Goodman zeigt durch die Erfindung eines neuen Prädikats, dass dieses Problem mit rein syntaktischen Mitteln nicht zu lösen ist.« (ERNST 2005: 100)

Was sich hier auf den ersten Blick vielleicht so harmlos anhören mag, hat grundlegende und weit reichende erkenntnistheoretische Konsequenzen, die eindeutig über den engeren Bereich der Induktion hinausgehen. »They concern fundamental aspects of human cognition and practice.« (ABEL 1991: 311)

Goodmans Rätsel stellt Gerhard Ernst folgendermaßen dar:

»Angenommen man beobachtet vor einem bestimmten Zeitpunkt t verschiedene Smaragde. Sie bilden die sogenannte Datenklasse und sie sind alle grün, so dass die Hypothese bestätigt wird, dass alle Smaragde grün sind. Nun führt Goodman das Prädikat ›grue‹ ein. ›It is the predicate ›grue‹ and it applies to all things examined before t just in the case they are green but to other things just in the case they are blue‹ (GOODMAN 1954: 74; vgl. auch GOODMAN 1972: 363). Damit bestätigen unsere Beobachtungen auch die Hypothese, dass alle Smaragde grue sind. Genauer gesagt: Alle Beobachtungen, welche die Hypothese mit ›grün‹ bestätigen, bestätigen auch die mit ›grue‹ und umgekehrt, wenn man den Zeitpunkt t entsprechend wählt. [...] Für die Zeit nach dem Zeitpunkt t kommt man zu widersprüchlichen Vorhersagen für die Farbe der beobachteten Smaragde. [...] Wir kommen also zu dem Problem, dass alle Datenaussagen alle Voraussagen bestätigen. Der entscheiden Punkt ist, dass eben nur gesetzesartige Hypothesen durch ihre Anwendungen bestätigt werden, wir aber kein Kriterium haben, wann eine Hypothese gesetzesartig ist.« (ERNST 2005: 100)

Goodmans ›Lösung‹ dieses Dilemmas besteht darin, offen zu legen, dass lediglich vorangegangene Praxis Hinweise auf eine Fortsetzbarkeit von Prädikaten geben kann.

»The answer, I think, is that we must consult the record of past projections of the two predicates. Plainly ›green‹ as a veteran of earlier and many more projections than ›grue‹, has the more impressive biography. The predicate ›green‹, we may say, is much better entrenched than the predicate ›grue‹. (GOODMAN 1954: 94)

Diese Einsicht lässt sich nun parallel auf eine Untersuchung der Exemplifikation übertragen. Welche Eigenschaften einer Probe, sei es ein Stück Stoff, ein angesagtes Outfit oder ein Kunstwerk über die Exemplifikation Bezug nehmen und welche Eigenschaften die Probe lediglich besitzt, ist genauso eine Frage vorangegangener Praxis. Dabei ist es

»nicht nur eine kognitive Leistung, wenn wir einen Gegenstand unter eine Eigenschaft subsumieren, sondern auch, wenn wir interessante Eigenschaften finden. Dabei spielt unsere Praxis im Umgang mit Beispielen eine entscheidende Rolle. Das Erkennen kognitiv relevanter Eigenschaften ist eine Frage der Vertrautheit mit den entsprechenden Gegenständen. Wir wissen, welche Eigenschaften relevant sind, wenn wir in der Lage sind, Zusammenhänge mit anderen Gegenständen zu sehen, und die Eigenschaften sind kognitiv relevant, weil sie die Zusammenhänge erzeugen. Im Unterschied zu wissenschaftlichen Induktionen sind künstlerische Induktionen allerdings nicht auf begrifflich fassbare Hypothesen beschränkt, sondern eröffnen einen Bereich nicht-propositionaler Erkenntnis.« (ERNST 2000: 324-325)

Zu erkennen, was eine Probe exemplifiziert bzw. welche Label generiert werden, ist immer ein kognitiver Akt. Und neue Label zu generieren, ist wiederum eine genuin kreative Leistung, sei es in der Kunst, in der Wissenschaft oder eben bei Jugendlichen durch den kreativen Zeichengebrauch durch Kleidung, Gestik oder Sprachstil. In Goodmans Terminologie bedeutet hier Kreativität das Generieren neuer Verankerungen: »Thus here as well as in ordinary induction entrenchment-novelty is a major factor, entering into the determination what is exemplified.« (GOODMAN 1978: 136)

3.1. Worldmaking

Das oft gehörte Klagen darüber, Jugendliche würden teilweise in ihrer eigenen, dem Erwachsenen unzugänglichen Welt leben, sollte nicht als harmloses Wortspiel abgetan und als weit weniger harmlose Konsequenz eine resignierte und passive Haltung im Sinne eines ›da kann man halt nichts machen‹ angenommen werden. Vor dem Hintergrund der Auffassung einer allgemeinen Symboltheorie, dass der Mensch keine anderen Möglichkeiten hat, außer sich seine Welten durch den kreativen Einsatz von Symbolen förmlich zu erschaffen, sollte über diese Aussage ernsthaft nachgedacht werden, um die Wirklichkeiten von Jugendlichen besser verstehen zu können. Denn

»nach Goodman können wir nicht auf eine ›ready-made-world‹ zurückgreifen, sondern sind auf unsere Beschreibungen angewiesen. ›We are confined to ways of describing whatever is described. Our universe, so to speak, consists of these ways rather than of a world or worlds.‹ (GOODMAN 1978 : 3). Wir erzeugen mit unseren Symbolsystemen, sowohl mit wissenschaftlichen als auch mit künstlerischen, Weltversionen und wenn diese Versionen richtig erzeugt sind, dann entsprechen sie einer wirklichen Welt. Eine davon unabhängige Welt gibt es nicht. Es kann nach Goodman sogar Versionen geben, die sich widersprechen, die jedoch gleichermaßen richtig erzeugt sind. Da solche Versionen nicht in derselben Welt wahr sein können, nimmt Goodman eine Pluralität von Welten an. Ein solcher Pluralismus kann jedoch leicht als extremer Relativismus verstanden werden. Kann jeder sich die Welt zusammenzimmern, die ihm passt? Goodman vertritt nach eigener Aussage einen ›radical relativism under rigorous restraints‹ (GOODMAN 1978: X).

Diese strengen Einschränkungen findet Goodman nach bewährter Methode:

1. Es gibt keine versionsunabhängige Welt.

2. Richtige Versionen können nur im Ausgang unserer bisherigen Versionen gefunden werden.

3. Bisherige Versionen richten sich nicht nach einer unabhängigen Welt.« (nach ERNST 2005: 107-108)

Goodman verfolgt diese Strategie, wenn er darauf hinweist, dass wir neue Welten immer nur aus alten erzeugen: »Worldmaking as we know it always starts from worlds already at hand; the making is a remaking.« (GOODMAN 1978: 6)

4. Ausdruck, Identität und Bildung

Eine besondere Form der Bezugnahme erschließt Goodman durch seinen Begriff der metaphorischen Exemplifikation (GOODMAN 1968: 85-95). Mit ihm erfasst Goodman das Phänomen des Ausdrucks. So kann etwa ein Gemälde durch seine Farben und Formen eine Stimmung oder Emotionen zum Ausdruck bringen, indem es diese metaphorisch exemplifiziert. Neben den Künsten spielt auch bei den körpernahen Symbolisierungsformen wie etwa Gestik, Körperhaltung oder Kleidungsstil die (metaphorische) Exemplifikation eine bedeutende Rolle. So kann über die genannten Punkte ein Lebensgefühl zum Ausdruck gebracht werden. Über dieses wiederum kann – gerade bei Jugendlichen – (sub-)kulturelle Identität ihre Gestaltung finden. In besonderer Weise können über die metaphorische Exemplifikation auch Emotionen zum Ausdruck gebracht werden bzw. über den Ausdruck ein Umgang mit diesen verfeinert und greifbar gemacht werden, ein wichtiges Thema, das aber nicht im Zentrum dieser Untersuchung steht. Aus Sicht einer allgemeinen Symboltheorie stellt die Bildung, das Erfassen und die Kommunikation (sub-) kultureller Erscheinungsformen und Identitäten eine kognitive und genuin kreative Leistung dar, die subtile und komplexe kommunikative Fähigkeiten erfordert und erweitert. Jugendkultur kann als Zeichen für ein grundlegendes menschliches Bedürfnis nach nichtsprachlichen Formen des Ausdrucks, der Kommunikation, der Identitäts- und Persönlichkeitsbildung verstanden werden.

4.1 Exemplifikation. Ein Anwendungsbeispiel

Zentraler Untersuchungsgegenstand meiner Darstellung war der Begriff der Exemplifikation, im Rahmen einer allgemeinen Symboltheorie und in Bezug zu Goodmans Theorie der Induktion und der Welterzeugung. Aufgezeigt werden sollte die weit reichende Bedeutung der eng miteinander verbundenen Überlegungen, um eine Anwendung der Begrifflichkeiten anzuregen. Dem Leser bleibt nun überlassen, die vorliegende Untersuchung in Bezug zu eigenen Forschungsansätzen zu überdenken und zu überprüfen. Etwas spezifischer und exemplarisch möchte ich auf den Aufsatz Jugend + Kultur = Lebensstil – Reflexionen über eine neue Dimension des Zeichengebrauchs von Eva Kimminich eingehen. Allein die in der Anfangspassage verwendeten Begriffe ›kultureller Zeichen‹, ›symbolische Aspekte‹, ›Identität, Ausdruck‹ lassen sich aus Sicht der vorliegenden Untersuchung gewinnbringend interpretieren:

»Jugend erzeugt durch spezifische Verwendung kultureller Zeichen und Praktiken in erster Linie Lebensstile. Sie manifestieren sich in symbolischen Aspekten (Kleidung, Körperschmuck, Musik usw.) sowie in spezifischen Aktivitäten und Kontexten. Mit ihnen differenziert sie sich, bildet Identität aus und begründet eigene (Sub)Kulturen. Stil kann daher als prozessuale Objektivierung des Selbstbildes einer Gruppe verstanden werden, also als Ausdruck einer selbstbewussten, sich differenzierenden Lebensweise; und zwar losgelöst vom künstlerischen Anspruch im Sinne einer ästhetischen Verhaltensweise. Denn jugendspezifischer Lebensstil hat seinen Ursprung nicht in der Begabung eines Künstlers, sondern in einem allerdings nicht weniger kreativen lebenspraktisch ausgerichteten Spiel mit Bildern, Zeichen und Ausdrucksformen.« (KIMMINICH 2005)

Auch wenn hier der Jugend eine ästhetisches Verhaltensweise abgesprochen wird, so verstehe ich die Ausführung nicht im Gegensatz zur vorliegenden Untersuchung, es scheint hier eher ein anderer Gebrauch von Begrifflichkeiten vorzuliegen, denn gleichzeitig wird später doch ausgesagt, dass jugendspezifischer Lebensstil einen ›nicht weniger kreativen‹ Ursprung als jener des Künstlers habe. Auch dass die Titelgleichung aus meiner Sicht auch oder eher ›Jugend + Stil = Kultur‹ lauten könnte, bewirkt, denke ich, keine grundlegende Inkompatibilität beider Untersuchungen. Besonders interessant erscheint mir eine Gegenüberstellung der Gedanken Goodmans zur Erzeugung von Welten: »Worldmaking as we know it always starts from worlds already at hand; the making is a remaking.« und dem in Kimminichs erwähnten Begriff des ›Kulturrecycling‹. Eine entsprechende Untersuchungsmöglichkeit sei dem Leser hiermit eröffnet.

In meinem Abstract war die Rede davon, Jugend-Kultur müsse vor einer Ausbeutung durch die Unterhaltungs-Industrie geschützt werden. Auch zu diesem Gedanken lassen sich Parallelen in Kimminichs Aufsatz finden:

»Die jugendspezifischen mit individueller Mediennutzung verbundenen Kulturpraktiken der spätkapitalistischen Postmoderne bedienen sich der Kultur- und Kunstgeschichte [...] als einem wertfreien Repertoire von Formen, Symbolen und Praktiken als einer Reserve an Materialien und Techniken. In unserer global vernetzten Mediengesellschaft stehen die Materialien in einer enzyklopädischen Breite ohnegleichen zur Verfügung, was ihre einstmals suggestiven Kräfte erheblich schwächt. Das was durch Aneignung und Verdauung daraus entsteht, wird durch die Megarecyclingmaschinerie der Kulturindustrie teilweise zum Mainstream vermarktet, was erneute Rekreationen im Sinne von stilistischen Abweichungen auslöst. So muss sich der echte Gothic immer wieder vom Fake distanzieren, der echte Rapper oder Techno als real vom poser. Dieser Glaube, sich als Originale von den im Banne der Repräsentation stehenden Reproduktionen der Vermarktung unterscheiden und sich einen kleinen Bereich realer Handlungsfähigkeit erhalten zu können, hat eine fieberhafte Dialektik zwischen kulturindustriellen und individuellen Recyclingprozessen in Gang gesetzt. [...] Das wirft eine wichtige Frage auf: Wo bleibt das Kultur lebende, sie reflektierende und rekreierende Subjekt?« (KIMMINICH 2005)

Dieser Frage möchte ich mich anschließen und stelle die Verantwortung unserer Bildungspolitik zur Diskussion. Unser Bildungssystem sollte die kognitiven, kreativen und identitätsbildenden Aspekte der hier aufgezeigten Problembereiche ernst nehmen und Jugendlichen bedeutend mehr Angebote an nicht-propositionalen Symbolisierungsformen bieten, wie es exemplarisch das kreative und experimentelle Gestalten ermöglicht. Grundlage sollte dabei eben die Einsicht in den kognitiven Wert ästhetischen Handelns und Denkens sein und nicht nur die vermeintlich abgehobenen Sphären künstlerischer Praxis (die ja auch erst durch eine entsprechende, problematische Auffassung ihren elitären Charakter erhalten), auch wenn natürlich jedem Schüler die Erfüllung, die Kunst dem Menschen geben kann, als mögliches Ziel mitgegeben sei. Im übrigen erschließt sich hinsichtlich einer Untersuchung kreativer Ausdrucksmöglichkeiten speziell ein Verständnis visueller Ausdrucksformen in weiten Teilen auch über Goodmans Überlegungen (vgl. etwa KULVICKI 2006: 13-24; LOPES 1996: 57-70; SACHS-HOMBACH 2006: 43-48; SCHOLZ 2004: 108-129. Siehe dazu: 6. Anmerkung: Goodman, Exemplifikation und Bildtheorien), was hier nicht im Fokus der Untersuchung lag, aber auch den Ursprung für eine Veröffentlichung der vorliegenden Untersuchung im Rahmen bildwissenschaftlicher Forschung erklärt. Da ein großer Bereich aktueller Kulturpraxis über visuelle Medien kommuniziert wird, erscheint im Besonderen ein Plädoyer für ein Schulfach Visuelle Medien, wie es etwa Klaus Sachs-Hombach fordert, immer dringlicher (SACHS-HOMBACH 2005).

Jugendlichen muss mehr Raum für kreative und identitätsbildende Praxis gegeben werden, dadurch kann auch am besten eine grundlegend benötigte Medienkompetenz und eine medienkritische Haltung gefördert werden. Ohne diese wird das kreative Potenzial von Jugendkultur weiterhin von Medien- und Modeindustrie ausgenutzt, kanalisiert, vereinheitlicht und somit letztendlich zerstört werden. Ohne radikal erweiterte Bildungsangebote können – gerade bei Heranwachsenden – Phänomene wie Konsumsucht, Medienmissbrauch und Identitätskrisen nicht verwundern, zumal grundlegende Ursachen für eine Fehlentwicklung in unserem Bildungssystem zu erkennen sind. Jugendlichen Fehlverhalten, wie etwa Konsumsucht, zum Vorwurf zu machen, bleibt ohne entsprechend erweiterte Bildungsangebote meiner Meinung nach purer Zynismus, eine (Um-) Erziehung von potenziell und genuin kreativen Jugendlichen zu gleichgeschalteten Konsumenten stellt vor diesem Hintergrund eine folgerichtige Entwicklung hin zu einer am Konsum orientierten Gesellschaft dar. Es bleibt die Frage offen, ob eine derartige Entwicklung nicht sogar teilweise beabsichtigt oder wenigstens erwünscht ist, etwa von Seiten der Wirtschaft. Ein Beispiel: Die so genannte G8-Reform an den Gymnasien mit ihrer Schulzeitverkürzung bei gleich bleibendem Lernstoff und dadurch extrem erhöhtem Lern- und Leistungsdruck und somit radikal eingeschränktem Zeitpensum für kreative Tätigkeiten in Unterricht und Freizeit wurde auf Initiative und Druck der Wirtschaft durchgesetzt. Ein alarmierendes, konkretes Zeichen für dringenden und radikalen Handlungsbedarf, wenn in unserer Gesellschaft in einem solchen Ausmaß wirtschaftliche Interessen Bildungsinhalte und Werte beeinflussen und diktieren.

5. Ausblick

Über den Begriff der Exemplifikation kann der kognitive Wert ästhetischer Praxis erklärt werden. Ästhetische Praxis gewinnt auf Grundlage einer kognitivistischen Ästhetik, eine erkenntnistheoretische Dimension. Diese Untersuchung möchte entsprechend plausibel machen, dass erst mit einer Erweiterung propositionaler Wissensbestände um die ebenso grundlegende Ausbildung nicht-propositionaler Erkenntnisformen eine wirkliche Reform unseres Bildungssystems bewirkt werden kann. Sollte dieser Aufsatz einen Beitrag leisten können für die hierfür nötigen bildungspolitischen Diskussionen, wäre das eigentliche Ziel meiner Untersuchung erreicht.

6. Anmerkung: Goodman, Exemplifikation und Bildtheorien

Zur Rezeption von Goodman innerhalb der Bildtheorie muss angemerkt werden, dass sich die Diskussionen aus meiner Sicht meist zu einseitig auf Goodmans Anmerkungen zur Problematik des Ähnlichkeitsbegriffs konzentrieren bzw. beschränken. Goodman selbst betont dabei gleich im ersten Satz (!) von Languages of Art (GOODMAN 1968), dass er dem Problem gar keine so große Bedeutung zuschreiben kann und beginnt, in durchaus polemisch zu verstehendem Tonfall:

»Die Frage, ob ein Bild eine Repräsentation sein soll oder nicht, ist bei weitem nicht so entscheidend, wie es die heftigen Kämpfe unter Künstlern, Kritikern und Propagandisten [heute würde er vermutlich: ›und innerhalb der Bildtheorie‹ ergänzen] nahelegen könnten.« (GOODMAN 1968: 15)

Viel interessanter und ergiebiger für eine angewandte (Bild-)Ästhetik zeigt sich dagegen Goodmans Begriff der Exemplifikation bzw. der metaphorischen Exemplifikation. Denn für Untersuchungen, die sich mit den Zusammenhängen zwischen Gestaltung und Kognition befassen, ist aus meiner Sicht die Frage nach dem ›wie‹ einer (Bild-) Komposition viel zentraler als die Frage nach dem ›was‹ einer Darstellung. Des weiteren interessieren die Zusammenhängen zwischen Material, Technik und Ausdruck viel mehr als die, oft banale, Beschreibung des dargestellten Gegenstandes. Goodman leistet wie gezeigt über seinen Begriff der (metaphorischen) Exemplifikation für entsprechende und konkrete Analysen etwa eine wichtige Erklärung des Phänomens ›Ausdruck‹, nicht nur bei Bildern (was in vorliegendem Aufsatz skizziert wurde). Das Kapitel zur Exemplifikation in Languages of Art, Der Klang der Bilder (GOODMAN 1968 53-88), umfasst sogar vom Umfang zwei Seiten mehr als das Kapitel zur Denotation. Dagegen steht ein auffälliges Ignorieren des Begriffs der Exemplifikation etwa bei Autoren wie Lopes (1996) und Kulvicki (2006). Schon am jeweiligen Register ist dies ersichtlich, bei Lopes ist ›Exemplifikation‹ nur auf den Seiten 220-221 anzutreffen, bei Kulvicki sogar überhaupt nicht. Für die Bildtheorie ist dies insofern verheerend, da die letztgenannten Autoren als wichtig, bzw. ›anregend‹, gerade in Bezug auf und (vermeintlicher) Weiterführung von Goodman genannt werden (STEINBRENNER 2009). Bei einer derartig verkürzten Lesart von Goodman, die aber als solche nicht entsprechend ausgewiesen wird, eine für mich völlig unverständliche, unrichtige und irreführende Einschätzung. Sie schadet nicht nur der Goodman-Rezeption, sondern auch einer Bewertung der analytischen Tradition in der Bildtheorie. Da die genannten Autoren abgesehen davon auch aus meiner Sicht sehr wichtige Beiträge zur Bildtheorie leisten und im besonderen gerade Jakob Steinbrenner als sehr differenzierter und genauer Interpret Goodmans aufgefallen ist, erscheint mir dieser Umstand auch in dieser Hinsicht als besonders unglücklich. An dieser Stelle möchte ich mit einem Zitat von Max Black abschließen, auf das auch Goodman hinsichtlich der Überbewertung des Ähnlichkeitsbegriffs hinweist.

»My chief objection to the resemblance view, then, is that when pursued it turns out to be uninformative, offering a trivial verbal substitution in place of insight. (In this respect it is like the view of depiction as the expression of ‘information’ […]. The objection to saying that some paintings resemble their subjects is not that they don’t, but rather that so little is said when only this has been said.« (BLACK 1972: 122).

Man könnte daran anschließend anmerken, dass die Einwände zur Diskussion des Ähnlichkeitsbegriffs bei Goodman in erster Linie darin bestehen, dass so wenig über Goodman gesagt ist, wenn nur das gesagt wurde.


6. Literatur

  • ABEL, GÜNTER: Logic, Art and Understanding in the Philosophy of Nelson Goodman. In: Inquiry, 43, 1991, S. 311-321 (wieder abgedruckt in: ELGIN, CATHERINE Z.: The Philosophy of Nelson Goodman. Selected Essays. New York / London [Garland Publishing] 1997, Bd. 1: Nominalism, Constructivism and Relativism in the Work of Nelson Goodman.)

  • ABEL, GÜNTER: Zeichen der Wirklichkeit. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2004

  • BLACK, MAX: How do pictures represent? In: GOMBRICH; HOCHBERG; BLACK: Art, Perception, and Reality. Baltimore / London [The John Hopkins University Press] 1972, S. 95-130

  • ELGIN, CATHERINE Z.: Eine Neubestimmung der Ästhetik. Goodmans epistemische Wende. In: STEINBRENNER, J.; SCHOLZ, O.; ERNST, G. (Hrsg.): Symbole, Systeme, Welten. Studien zur Philosophie Nelson Goodmans. Heidelberg [Synchron Publishers] 2005, S. 43-59 (englisches Original: ELGIN, CATHERINE Z.: Relocating Aesthetics. Goodman‘s Epistemic Turn. In: Revue Internationale de Philosophy, 46, 1993, S. 171-186)

  • ERNST, GERHARD: Ästhetik als Teil der Erkenntnistheorie bei Nelson Goodman. In: Philosophisches Jahrbuch, 107, 2000, S. 316-339

  • ERNST, GERHARD: Induktion, Exemplifikation und Welterzeugung. In: STEINBRENNER, J.; SCHOLZ, O.; ERNST, G. (Hrsg.): Symbole, Systeme, Welten. Studien zur Philosophie Nelson Goodmans. Heidelberg [Synchron Publishers] 2005, S. 99-109

  • GOODMAN, NELSON: Fact, Fiction, and Forecast. Cambridge (MA) [Harvard University Press] 1954 (deutsche Ausgabe: Tatsache, Fiktion, Voraussage, 4. Aufl., Frankfurt/M. [Suhrkamp], 1988)

  • GOODMAN, NELSON: Languages of Art: An Approach to a Theory of Symbols. Indianapolis [Hacket] 1968, deutsche Ausgabe: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1997

  • GOODMAN, NELSON: Problems and Projects. Indianapolis / New York [The Bobbs-Merrill Company] 1972

  • GOODMAN, NELSON: Ways of Worldmaking. Indianapolis [Hacket] 1978 (deutsche Ausgabe: Weisen der Welterzeugung. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1997)

  • GOODMAN, NELSON: Of Mind and Other Matters. Cambridge (MA) / London [Harvard University Press] 1984 (deutsche Ausgabe: Vom Denken und anderen Dingen. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1987)

  • GOODMAN, NELSON; ELGIN, CATHERINE Z.: Reconceptions in Philosophy and other Arts and Sciences. London [Routledge] 1988

  • HEMPEL, C. G.: A Purely Syntactical Definition of Confirmation (1943). In: The Journal of Symbolic Logic, 8, 1934, S. 122-143

  • KIMMINICH, EVA: Jugend+Kultur=Lebensstil – Reflektionen über neue Dimensionen des Zeichengebrauchs. Plenar- und Einführungsvortrag der Sektion ›Lebensstil und Zeichenpraxis: Tradition und Wirklichkeitsgestaltung im Wechsel der Generationen.‹ 12. Internationaler Kongress der Deutschen Gesellschaft für Semiotik. 2005, http://www.semiotik.eu/index.php?=358,39

  • KULVICKI, JOHN V.: On Images. Their Structure and Content. Oxford [Oxford University Press] 2006

  • LOPES, DOMINIC: Understanding Pictures. Oxford [Clarendon Press] 1996

  • LÜDEKING, KARLHEINZ: Analytische Philosophie der Kunst. Frankfurt/M. [Athenäum] 1988

  • SACHS-HOMBACH, KLAUS: Plädoyer für ein Schulfach ›Visuelle Medien‹. In: FRITSCH, E. (Hrsg.): IMAGE, 2, Themenbeiheft: Filmforschung und Filmlehre. Köln [Halem Verlag] 2005, www.image-online.info

  • SACHS-HOMBACH, KLAUS: Das Bild als kommunikatives Medium. Köln [Halem Verlag] 2006

  • SCHOLZ, OLIVER, R.: Kunst, Erkenntnis und Verstehen. Eine Verteidigung einer kognitivistischen Ästhetik. In: KLEINMANN, B.; SCHMÜCKER, R. (Hrsg.): Wozu Kunst? Die Frage nach ihrer Funktion. Darmstadt [Wissenschaftliche Buchgesellschaft] 2001

  • SCHOLZ, OLIVER, R.: Bild, Darstellung, Zeichen. Frankfurt/M. [Klostermann] 2004

  • STEINBRENNER, JAKOB: Kognitivismus in der Ästhetik. Würzburg [Könighausen und Neumann] 1996

  • STEINBRENNER, JAKOB: Bildtheorien der analytischen Tradition. In: SACHS-HOMBACH, KLAUS (Hrsg.): Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des Visualistic Turn. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2009, S. 284-315

  • THÜRNAU, DONATUS: Die Sprache des Körpers. In: STEINBRENNER, J.; SCHOLZ, O.; ERNST, G. (Hrsg.): Symbole, Systeme, Welten. Studien zur Philosophie Nelson Goodmans. Heidelberg [Synchron Publishers] 2005, S. 163-184