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Kraft der Dinge. Notizen zu einer Kulturtheorie des Designs


Author: Kathrin Busch
[published in: IMAGE 8 (Ausgabe September 2008)]

Catchwords: Kunst, Design, Dingtheorien

Disciplines: Philosophie, Kulturwissenschaften


The widespread antagonism of a self-reflective, critical art on the one hand and a merely decorative and affirmative design on the other hand has to be considered as obsolete since the times of minimal art and institutional critique. Starting with the 1960ies, the framing conditions of art and the art space, its displays, lighting, the publication et cetera are comprehended and fathomed as cardinal conditions of art production. It became impossible to separate a piece of art from its designing setting. In consequence, it appears to be too abridged to constrain design as uncritical aesthetics of everyday life, particularly regarding the range of interlacing among designed products and the world of cultural practices, modes of subjectivization, and techniques of the body. On the evidence of mutual bonds between art and design, it is argued for a revision of their interrelation concerning the cultural and aesthetical siginificance of things.

Die geläufige Gegenüberstellung von einer selbstreflexiven, kritischen Kunst auf der einen Seite und einem bloß dem Dekor dienenden, affirmativen Design auf der anderen Seite muss spätestens mit Minimal art und Institutional Critique als hinfällig erscheinen. Seit den 1960er Jahren werden die Rahmenbedingungen der Kunst wie Ausstellungsraum, Display, Beleuchtung, Kataloggestaltung etc. in ihrer maßgeblichen Bedeutung für die Kunst ausgelotet und es wird unmöglich, die Werke von ihrer gestalterischen Inszenierung zu trennen. Im Gegenzug wäre es verkürzend, das Design der Dinge auf eine unkritische Ästhetisierung der Lebenswelt eingrenzen zu wollen. Insbesondere wenn man bedenkt, wie weit reichend die Gestaltungen der Objektwelt mit kulturellen Praktiken, Subjektivierungsformen und Körpertechniken verschränkt sind. Angesichts der wechselseitigen Anleihen von Kunst und Design wird für eine Revision ihres Verhältnisses unter Berücksichtigung der kulturellen und ästhetischen Bedeutung der Dinge argumentiert.

Selten sind Dinge und Kunstwerke so eng zusammengerückt wie in der Kunst und Kunsttheorie des 20. Jahrhunderts. Seit Duchamp ist unbestritten, dass die Deklaration eines Dings zum Werk mehr über Kunst auszusagen vermag als die Selbstreflexion der modernen Malerei auf ihre bildnerischen Mittel und formalen Bedingungen. Verschmelzen Kunstwerk und Ding im Ready made, so scheint sich jedoch mit dem Übertritt in das Feld der Kunst das Wesen des Dings, nämlich seine Dienlichkeit gerade zu verlieren. Zum Kunstwerk deklariert verwandelt sich das Objekt vom Gebrauchsgegenstand zum Träger eines Diskurses und gewinnt damit offensichtlich einen ganz anderen Status als im alltäglichen Zusammenhang. Wenn also Massenprodukte wie Pissoir oder Flaschentrockner in der Kunstwelt funktionieren, dann weil sie jeglicher Funktion enthoben sind. Damit bliebe die klassische Unterscheidung von freien, allen praktischen Zweckbestimmungen enthobenen Kunstwerken auf der einen Seite und den auf Anwendung und Nutzen bezogenen Objekten des Designs auf der anderen Seite unangetastet. Mögen die Dinge in die Kunst-Sphäre Einzug erhalten, sie sind damit ihrem Gebrauchszusammenhang enthoben und ihre Transfiguration ins Künstlerische lässt allem Anschein nach den Gegensatz von angewandten und freien Künsten unberührt.

So einfach sind nun aber die Verknüpfungen zwischen Dingen und Werken, zwischen Design und Kunst nicht zu entwirren. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, lassen sich die Polarisierungen von Kunst und Design in den bekannten Oppositionsschemata von autonomem Werk und funktionsbezogener Gestaltung, von kritischer Reflexivität und affirmativer Produktion nicht mehr halten. Denn, wie es schon bei Adorno heißt: »die zweckfreien und die zweckgebundenen Künste bilden keinen radikalen Gegensatz« (ADORNO 1967: 106). Die Revision der Gegenüberstellung von Kunst und Design lässt sich von zwei Seiten aus betreiben. Zum einen kann ein Rekurs auf die künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Ausstellungskontext seit den 1960er Jahren belegen, dass die Kunst in einer sehr grundlegenden Weise vom Design affiziert ist und dass dies in einer Reihe von künstlerischen Arbeiten thematisiert wird. Und zum anderen bieten philosophische Dingtheorien Argumente, um ein symbolisches und welterschließendes Vermögen nicht nur der Kunst, sondern auch der gestalteten Dingwelt zuzubilligen. Eine solche kritische Revision möchte nicht die Unterscheidung zwischen Kunst und Design gänzlich außer Kraft setzen, aber doch die klassische Hierarchisierung befragen und nahelegen, dass sich die beiden Bereiche als durchlässiger für einander darstellen als es nach den gängigen Einordnungen den Anschein hat.

1. »Kunst als Design – Design als Kunst«

Die geläufige Gegenüberstellung von einer selbstreflexiven, kritischen Kunst auf der einen Seite und einem bloß der verkaufsfördernden Ästhetik verschriebenen Design auf der anderen Seite erscheint in der Kunstwelt spätestens mit Minimal art, Konzeptkunst und Institutional Critique als obsolet. (vgl. DRAXLER 2005; SIEBER 2005). Seitdem werden die Rahmenbedingungen der Kunst wie Ausstellungsraum, Display, Beleuchtung, Kataloggestaltung etc. in ihrer maßgeblichen Bedeutung für die Kunst ausgelotet und es wird fraglich, ob die Werke von ihrer gestalterischen Inszenierung zu trennen sind. Dan Graham hat in einem sehr erhellenden – und nach wie vor aktuellen – Aufsatz mit dem Titel Art as Design, Design as Art von 1986 die wechselseitigen Bezugnahmen von angewandter und freier Kunst untersucht. Anhand der Arbeiten u.a. von Claes Oldenburg, Dan Flavin oder Andy Warhol zeichnet er detailliert nach, wie in der Kunst der 1960er und 70er Jahre die Bedeutung des Designs reflektiert wird. Man kann aus diesem Text die bemerkenswerte These extrahieren, es sei die Kunst selbst, die in der Analyse der für sie konstitutiven Rahmenbedingungen das Design als eine nicht zu vernachlässigende Größe entdeckt. Graham decouvriert aber nicht nur die Angewiesenheit der Kunst auf das Design, vielmehr macht er im Gegenzug anhand der gestalterischen Arbeiten u.a. von Robert Venturi deutlich, dass überdies das Design wie ein künstlerischer Eingriff fungieren kann und trotz seiner gestalterischen Aufgabe eine ebenso kritische Reflexivität wie die Kunst freizusetzen vermag. So führt etwa Venturi über stilistische Unstimmigkeiten das Moment der Selbstthematisierung in seine innenarchitektonischen Entwürfe ein. In der Verwendung heterogener Stilelemente macht er die Inszeniertheit der Ausstattung explizit. Dabei wird sowohl der Tatsache Rechnung getragen, dass durch das Design Geschmäcker kollektiv gesteuert werden, als auch in Betracht gezogen, dass der manipulative Zug des Designs durch die Vervielfältigung der Stile subvertierbar und damit eine Offenheit in der Gestaltung erreichbar ist. Es wäre daher verkürzend, allein die Kunst als ausgezeichneten Ort einer Reflexion der Ästhetik des Alltäglichen anzusehen und ihr allein das Vermögen der Kritik zuzuschreiben.

Von künstlerischer Seite berücksichtigt Dan Graham in seiner Untersuchung Arbeiten, die das Ausstattungsdesign von Ausstellungen fokussieren. Bekanntlich wird in der sogenannten Kontext-Kunst auf die räumlichen, institutionellen und sozialen Rahmenbedingungen der Kunst verwiesen (vgl. WEIBEL 1994). Dass damit auch die gestalterische Inszeniertheit der Kunst ins Zentrum rückt, wird hingegen allzu oft verdrängt. Es ist aber gerade die institutionskritische Kunst, die das Design als eine nicht zu vernachlässigende Größe entdeckt.

Claes Oldenburgs Bedroom Ensemble von 1964 ist ein prägnantes Beispiel für die Ineinssetzung von Kunst und Gestaltung. Oldenburg hat in einen Galerieraum die Präsentation einer modernen Schlafzimmereinrichtung eingebaut. Damit rekurriert er nicht nur ironisch auf die Vermarktung von Kunst, sondern auch auf ihren Gebrauch als quasi-funktionales Dekor. Mit seinem Eingriff wird die Galerie einerseits als Geschäftsraum mit kommerziellen Interesse bloßgelegt, andererseits fungiert der Einbau als Modell für jenes private Interieur, in dem die Kunst nach ihrem Verkauf einen Platz finden soll (vgl. GRAHAM 1994: 201). Denn zu Oldenburgs Ensemble gehört neben den nachgebauten Möbeln als Wandgestaltung wie selbstverständlich auch abstrakte Malerei, die heute ebenso wie die billige Innenausstattung, fabrikmäßig reproduziert wird und als Ausstattungsobjekt den Massengeschmack prägt. Wird bei Oldenburg der Galerieraum scheinbar zur Ausstellungsfläche eines Möbelausstatters, dann wird damit die dekorative Funktion von Kunst kritisch in den Blick gerückt.

Dieses Moment der Kritik, das zumindest hoffen lässt, es gäbe eine Kunst, die nicht zur Innenausstattung verkommt, wird bei Dan Flavin suspendiert, wenn er behauptet, die Kunst solle ihr »überhöhtes Mysterium« aufgeben »zugunsten einer allgemein verständlichen mutig realisierten Dekoration.« (FLAVIN zitiert nach GRAHAM 1994: 201) Flavins Arbeiten setzen bei der Beleuchtung der Kunst ein bzw. sie ersetzen das Werk durch seine Illumination. Gilt die Lichtregie im Galerie- und Museumskontext als funktionales Element der Ausstellungsarchitektur, so wird sie bei Flavin zum eigentlichen Werk. Meinte man bislang das Licht sei bloße Hintergrundgestaltung, so rückt diese Rahmenbedingung nun als unhintergehbar in den Fokus und macht erfahrbar, wie die Setzung des Lichtes den Raum modelliert und die Aufmerksamkeit des Betrachters lenkt. Es ist also die Ausstellungsgestaltung, die wesentlich den institutionellen Rahmen trägt, und deshalb ihrerseits zum Zielpunkt künstlerischer Eingriffe und zum Sujet institutionskritischer Recherchen wird. Wenn der Kontext werkkonstitutiv ist, dann gehört dazu eben auch das Ausstellungsdesign. Das Dekor, also jenes, was man als randständig und supplementär meinte vernachlässigen zu können, rückt damit in das Zentrum der Wesens-Bestimmung von Kunst.

Daniel Buren hat 1972 auf der documenta 5 gewissermaßen eine Ikone dieses vexierbildartigen Umschlags vom Werk zum Ausstellungsdesign geschaffen, indem er ausgewählte Wände der Ausstellung mit einer Streifentapete überzog. Die Arbeit lässt in höchstem Maße das Verhältnis von Kunst und Kontext oszillieren, insofern das in Weiß-Abstufungen gehaltene Streifenmuster als Ausstellungsdisplay die Gemälde anderer Künstler hinterfängt. Die übliche Hierarchisierung von Kunst und Ausstellungsgestaltung wird damit offenkundig suspendiert (vgl. HANTELMANN 2007: 84).

Man kann die Liste von Beispielen für eine künstlerische Thematisierung des Designs bis in die Gegenwart etwa zu Liam Gillick oder Julie Ault und Martin Beck fortführen. Bei letzteren wird die Ausstellungsgestaltung als »künstlerische Praxisform« und »kommunikative Schnittstelle« (MICHALKA 2006: 11) explizit genutzt. Der Raum zwischen Kunst und Design wird hier neu ausgelotet, anstatt den üblichen pejorativen Begriff vom Design fortzuschreiben. Werden die Rahmenbedingungen als instituierende Größe bedacht, dann ist es nur folgerichtig, beim Design anzusetzen, um andere »kulturelle Spielräume« (Draxler 2005: 75) aufzuschließen. Es gilt also den vom Ausstellungsdesign bestimmten Kontext nicht nur hervorzuheben oder zu markieren, sondern ihn in seiner Wirksamkeit zu gestalten. Deshalb muss man das Design in Bezug auf die künstlerische Praxis »als eine strukturelle Kraft« (AULT/BECK 2003: 232) ansehen. Bedenkt man außerdem, welch dominante Stellung Design in der Alltagskultur inne hat, dann gewinnt die These an Plausibilität, dass das Design die Rolle der kulturellen Avantgarde übernommen und die Kunst demgegenüber an kultureller Prägekraft eingebüßt hat. Und schließlich wäre es verkürzend, Design auf eine rein affirmative und unkritische Ästhetisierung der Lebenswelt eingrenzen zu wollen – insbesondere wenn man berücksichtigt, wie weitreichend die Gestaltungen von Kommunikation und Dingwelt mit kulturellen Praktiken, Lebensstilen, Subjektentwürfen und Körpertechniken verschränkt sind. Angesichts der wechselseitigen Anleihen von Kunst und Design scheint eine Rehabilitierung des Letzteren also dringend vonnöten. Dies lässt sich anhand der kulturellen Bedeutung der Dingwelt und ihrer Gestaltung ansatzweise ausführen.

2. Kraft der Dinge

Nicht lediglich Kunstwerke tragen zur Konstitution einer Welt bei, wie in der Kunstphilosophie des 20. Jahrhunderts etwa von Heidegger oder Goodman vertreten wird, sondern auch die Dinge der alltäglichen Praxis haben wesentlichen Anteil daran, wie sich unser Eingebundensein in die Welt gestaltet. Im Unterschied zur Kunst ist jedoch das designte Artefakt nicht aufgrund seiner Symbolisierungsfunktion allein welterzeugend, sondern kraft Gebrauchsfunktion. Nicht als Objekte der ästhetischen Betrachtung, vielmehr als Vermittler bestimmter Handlungen schließen die Dinge die Lebenswelt bedeutungshaft auf. Dank dieser welterschließenden Funktion sind die Dinge nicht auf ihre Gebrauchsfunktion reduzierbar – ihnen inhäriert vielmehr ein kultureller Sinn. In der Formgestaltung findet nicht nur eine Auseinandersetzung mit ästhetischen Ansprüchen, technischen Neuerungen und ökologischen Erfordernissen statt, sondern es konfiguriert sich jeweils eine alltagskulturelle Lebenspraxis. Geräte, Bilder, Möbel oder Fahrzeuge erzeugen spezifische Kulturpraktiken und bestimmen als solche das Handeln in wesentlichen Zügen mit. Aufgrund dieser kulturellen Bedeutung greift die Ausrichtung auf die Funktion der Dinge ebenso zu kurz wie eine Eingrenzung auf das Ästhetische. Denn auch im striktesten Funktionalismus lässt sich die Form der Dinge nicht aus ihrer Funktion allein ableiten: »Keine Form ist«, wie es bei Adorno heißt, »gänzlich aus ihrem Zweck geschöpft«, daher gibt es »keine Form, die nicht auch Symbol wäre« (ADORNO 1967: 110). Man muss demnach eine Sprache der Dinge und ihrer Formen in Betracht ziehen, die sowohl über die bloße Ästhetik wie den reinen Funktionalismus hinausweist. Die Dinge sind, wie insbesondere Roland Barthes herausgestellt hat, immer auch Zeichen. Erstens sind sie Zeichen ihres Gebrauchs. Hierauf fußt die Produktsemantik, wenn sich die Funktion eines Gegenstandes in seiner Form niederschlagen soll. Zweitens steht das Ding immer auch symbolisch für einen weiteren bedeuteten Inhalt ein oder besser: es ist polysemisch »mehreren Sinnlektüren zugänglich« (BARTHES 1988: 195). Eine Lampe kann, um ein Beispiel für dasjenige zu nennen, was Barthes die metaphorische Tiefe nennt, je nach Kontext als Zeichen für das Nächtliche fungieren, auf Fleiß oder aber Gemütlichkeit verweisen. Entsprechend hätte sich die Erfahrung und Gestaltung der Dinge weder allein der Nützlichkeit noch einer leeren vom Gebrauch losgelösten Verschönerung der Welt zu verschreiben.

Aus diesem Grunde spricht Adorno von einer Dialektik der Nützlichkeit, die in einer »Versöhnung mit den Objekten« (ADORNO 1967: 123) realisiert werde. Er wählt zur Veranschaulichung dieser Aussöhnung, in der nicht mehr Funktionalität und Rentabilität einer »Verödung der Welt« zuarbeiten, die kindliche Wahrnehmung, in der die Dinge »ihre Kälte verlören«, »ganz ihren Zweck fänden« und erlöst wären »von der eigenen Dinglichkeit« (ADORNO 1967: 123). In dieser Dialektik der Nützlichkeit soll die »Antithese von Nutzen und Nutzlosigkeit« (ADORNO 1967: 124) aufgehoben sein. Es geht also weder um eine Überschreitung des Dinggebrauchs zugunsten der vom Zweck absehenden ästhetischen Erfahrung noch um eine Stilisierung des Unnützen. Denn die Entstellung der Dingwelt, der eine Verdinglichung des Menschen korrespondiert, liegt weniger in ihrer Brauchbarkeit begründet als vielmehr in ihrer Unterordnung unter den Profit. Adorno intendiert daher mit dem Verweis auf die kindliche Dingauffassung nicht eine Überwindung der Gebrauchsfunktion zugunsten eines sinnlichen Zugangs zum Objekt, sondern einen – wie es bei ihm heißt – »glücklichen« (ADORNO 1967: 124) Ding-Gebrauch. Der Hinweis auf die Kindheit legt eine deutliche Spur zu Walter Benjamin, der in der Berliner Kindheit um neunzehnhundert eine bemerkenswerte Dingtheorie entwickelt, in der sich – ebenso wie bei Adorno – die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt verwischen. Während aber Adorno die Versöhnung mit dem Objekt im »menschlich gewordene[n] Ding« (ADORNO 1967: 123) vorstellt, wie es von kindlicher Phantasie belebt erscheint, beschreitet Benjamin für die kindliche Erfahrung den umgekehrten Weg: gleichsam die Dingwerdung des Menschen in der Mimesis an die Objekte.

Nach Benjamin lebt der Mensch berührt von der Dingwelt, ganz »in die Stoffwelt« (BENJAMIN 1987: 61) eingehüllt. Die Affizierbarkeit durch das Umgebende sei ein Relikt der Notwendigkeit, sich der Umwelt zum besseren Überleben anzupassen. Diese Tendenz zur Anähnelung trete in aller Deutlichkeit in der Kindheit auf: »Das Kind, das hinter der Portiere steht, wird selbst zu etwas Wehendem und Weißem, zum Gespenst. […] Und hinter einer Türe wird es selber Tür.« (BENJAMIN 1987: 61)

Die Wirksamkeit der Dinge zeigt sich in der erzeugten Mimesis. Von Interesse ist diese These der menschlichen Anpassung an die Dingwelt vor allem im Hinblick auf die praxis-formierende und somit soziale Kraft der Gegenstände. Denn die Tatsache, dass die Dinge auf die Handlungen des Menschen einwirken, lässt den Glauben an die souveräne Selbstbestimmung des Menschen fragwürdig erscheinen und macht es notwendig, das Dingliche in Bezug auf die Konstitution des Gemeinschaftlichen zu berücksichtigen. Die durch die Objekte vermittelte Welteinlassung bedingt den Menschen, lässt ihn wie »entstellt von Ähnlichkeit« (BENJAMIN 1987: 59) mit dem Umgebenden sein und wirkt sich bis in sein Verhalten aus. Denn an den Dingen formen oder formieren sich »die Eigenschaften, die für sein Dasein mitbestimmend« (BENJAMIN 1987: 96) sind. Die uns geläufige Vorstellung von den Dingen als Objekten des Gebrauchs, die wir für unsere Zwecke nutzen können, ist für Benjamin bloß die oberste Schicht, gleichsam ein Symptom, dem andere, unbewusste Bedeutungen eingelagert sind. Eine unwillkürliche Affizierung durch die Dinge grundiert ihren zweckrationalen Gebrauch. Auf dieser unbewussten Schicht kehrt sich das Verhältnis von Subjekt und Objekt um: Hier entfalten letztere ihre Kraft, ihre Eigenschaften übertragen sich auf den Menschen, der durch Atmosphären, Gewohnheiten und Verhaltensmuster in ihre Texturen eingelassen ist. Durch die Dinge etablieren sich Sichtweisen und Haltungen, die den Menschen gemäß den geschichtlichen Transformationen der Dingwelt wandeln, denn aus ihr erwachsen ihm seine Dispositionen und Möglichkeiten. An den Dingen bilden sich die menschlichen Handlungsweisen aus und habitualisieren sich seine Fähigkeiten. Weil sich in der Dingwelt ein ganzes lebensweltliches Gefüge zum Ausdruck bringt, spricht Benjamin von einer Sprache der Dinge, und deshalb liest er den kulturellen Artefakten Bedeutsamkeiten ab, die über ihre gängige Gebrauchsfunktion hinausgehen. An die Dinge sind mit den Weisen des Umgangs und der Handhabung auch Welteinlassungen gebunden, die zwar implizit verbleiben, aber darum nicht weniger wirksam sind. Daher gibt es eine symbolische oder kulturelle Bedeutung der Dingwelt, die über die Gebrauchsfunktion und die Ästhetik hinausgeht und eine Berücksichtigung der formierenden Kraft der Dinge erforderlich macht. Die Gestaltung der Dingwelt berührt demnach die »Einrichtung von Lebensverhältnissen und [die] Prägung von Verhaltensformen« (WELSCH 1990: 217).

Eine vergleichbare Position hat in neuerer Zeit Bruno Latour vertreten. Auch er befragt – wie Adorno und Benjamin – die scheinbar selbstverständliche Grenzziehung zwischen Menschen und Dingen. Ausgehend von der Überzeugung, dass die neuzeitliche Trennung zwischen Subjekt und Objekt ebenso künstlich wie unhaltbar sei, argumentiert er, dass es ein autonomes, von den Objekten unberührtes Subjekt nie gegeben habe. Vielmehr bildeten beide symmetrische Handlungsverbünde (vgl. LATOUR 1998). Latour interpretiert die Vermischung von menschlichen und nicht-menschlichen Elementen im Sinne einer Interaktion und Übertragung von Handlungspotentialen zwischen Subjekt- und Objektsphäre. Mit dieser These widerspricht er zwei gegenläufigen Meinungen: Zum einen der Vorstellung, dass die Menschen ihre Instrumente vollständig beherrschen und über die Dinge nach eigenem Willen verfügen könnten, und zum anderen der ebenso verkürzenden Befürchtung, dass die Subjekte von einer eigengesetzlichen Dingwelt dominiert würden. Während die erste Position einem naiven Dingverständnis im Sinne eines bloßen Werkzeuggebrauchs entspringt, bleibt letztere nach Latour einem reduktionistischen Materialismus verhaftet. Die demgegenüber formulierte These der Hybridisierung stützt sich auf die Verschmelzung von Subjekt und Objekt qua Praxis. Zwischen beiden vermittelt ein Handlungsprogramm, das gleichermaßen die Eigendynamik des Objekts wie die Intentionen des Subjekts verändert und ablenkt, um sie zu einem neuen »Hybrid-Akteur« zu synthetisieren, in dem sowohl Subjekt als auch Objekt transformiert und »›jemand‹ oder ›etwas‹ anderes werden.« (LATOUR 2000: 218) Anstatt also lediglich Subjekten die Rolle von Handelnden zuzubilligen, zeigt Latour, dass auch Objekte ›Ziele‹ haben können und dass Handlungsfähigkeit sowohl menschlichen wie nichtmenschlichen Entitäten zuzuschreiben sind. Daher habe man der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Gegenstände und andere nichtmenschliche Wesen »vollwertige Akteure in unserem Kollektiv sind« (LATOUR 2000: 211). Weil Artefakte handlungsbestimmende Funktionen übernehmen und selbst als Handlungsträger fungieren, werden sie – in Anlehnung an die strukturalistische Terminologie – von Latour als Aktanten bezeichnet und weil sie in Handlungsverläufen eine mindestens ebenso große Rolle spielen wie die scheinbar allein agierenden Subjekte, lässt sich von einer »Symmetrie von Akteur und Aktant« (LATOUR 2000: 219) sprechen. In solcher symmetrischen Interaktion sind menschliche Handlungen für die Dinge ebenso bestimmend wie sie ihrerseits durch die dinglichen Voraussetzungen beeinflusst werden. Indem Gegenstände Aktionspotentiale übernehmen und damit zu Aktanten mutieren, greifen sie in das menschliche Tun ein. Wie bei Benjamin kommt den Dingen dabei nicht mehr der Status passiver Objekte zu, sondern sie übersetzen Handlungen und haben damit formierend an diesen selber Teil.

3. Design als Medium der Kultur

Kraft der Dinge übertragen sich also Handlungsformen, so dass man eine die menschlichen Praktiken bestimmende Wirksamkeit der Dinge in Rechnung stellen muss. Wie schon Adorno nahelegt, wird man den Dingen nicht dadurch gerecht, dass man statt ihrer Funktionalität ihre ästhetischen oder sensuellen Werte betont, sondern indem man ihren eigensinnigen oder eigengesetzlichen Anteil an der Praxis eingesteht. Aufgrund dieser Handlungsfunktion, die den gestalteten Dingen zukommt, kann man mit Latour sagen, sie seien die eigentlichen Aktanten unseres Tuns. Die Designprodukte modulieren unser Handeln und modellieren unseren Habitus. Design verschreibt sich daher gewissermaßen immer auch einer dinghaft vermittelten, kulturellen Selbsttechnik. Es findet an der Schnittstelle von Mensch und Ding statt, dort, wo es zur Hybridisierung von Humanem und Dinglichem kommt und die neuzeitliche, säuberliche Trennung von Subjekt und Objekt misslingt. Diese Einsicht, dass die angewandten Künste – das Ding- ebenso wie das Kommunikationsdesign –, nicht eine dienende, sondern vielmehr eine prägende Funktion inne haben, wird gerade in der Kunst des 20. Jahrhunderts reflektiert.

Das Design arbeitet wie die Kunst an den Formen des Bewohnens einer kulturellen Welt. Demnach zielt das Design auf die Artikulation einer – wie Rancière formuliert – neuen »Textur des gemeinschaftlichen Lebens« (RANCIÈRE 2005: 114) und die Neugestaltung einer gemeinsamen Welt. Es kündigt sich bei den genannten Autoren ebenso wie in der institutionskritischen Kunst unüberhörbar an, dass die gestalterische Kontextualität sowie die »Arbeit an der Form der Gegenstände des alltäglichen Lebens« (RANCIÈRE 2005: 118) in Nichts der welterschließenden Kraft der Kunst nachstehen und dass sie dies gerade nicht durch eine Ästhetisierung der Lebenswelt leisten. Design und die übrigen Bereiche der anwendungsbezogenen Gestaltung sind vielmehr als Medium der Kultur anzusehen. Design ist nicht nur kulturrelevant, sondern es hat sich zu einer der wichtigsten kultur-konstitutiven Kräfte entwickelt. Designprodukte, wie Dinge, Oberflächen, Bilder oder Raumgestaltungen haben neben ihrem Tausch- und Gebrauchswert daher auch einen ›Kultur-Wert‹. In der Gestaltung findet nicht nur eine Auseinandersetzung mit ästhetischen Ansprüchen, technischen Neuerungen und gesellschaftlichen oder ökologischen Erfordernissen statt, sondern es figuriert sich jeweils eine alltagskulturelle Welt. Daher ist für eine kulturtheoretische Fundierung von Design zu plädieren. Die Reduktion von Design auf Funktionalismus einerseits oder bloße Ästhetisierung andererseits vernachlässigt die Schaffung von Alltagspraktiken durch Gebrauchsgegenstände, Informationen und Umgebungen. Philosophisch ist diese kulturelle und lebensweltliche Bedeutung des Designs bislang keineswegs erschöpfend bedacht.


Literatur

  • ADORNO, THEODOR W.: Funktionalismus heute. In: ADORNO, THEODOR W.: Ohne Leitbild: parva aesthetica. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1967, S. 104-127

  • BARTHES, ROLAND: Semantik des Objekts. In: BARTHES, ROLAND: Das semiologische Abenteuer. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1988, S. 187-198

  • BECK, MARTIN: Die Ausstellungspolitik sichtbar machen. Julie Ault, Judith Barry und Martin Beck im Gespräch. In: AULT, JULI; BECK, MARTIN: Critical Condition. Ausgewählte Texte im Dialog. Dortmund 2003, S. 230-239

  • BENJAMIN, WALTER: Berliner Kindheit um neunzehnhundert. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1987

  • BENJAMIN, WALTER: Gesammelte Schriften II. Ort [Verlag] Jahr.

  • DRAXLER, HELMUT: Loos lassen! Institutional Critique und Design. In: Texte zur Kunst, Nr. 59, 2005, S. 65-75

  • GRAHAM, DAN: Kunst als Design. Design als Kunst. In: WILMES ULRICH (Hrsg.); GRAHAM, DAN: Ausgewählte Schriften. Stuttgart [Oktagon] 1994, S. 199-217

  • HANTELMANN, DOROTHEA VON: How to Do Things with Arts. Zürich/Berlin [diaphanes] 2007

  • LATOUR, BRUNO: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Frankfurt/M. [Fischer] 1998

  • LATOUR, BRUNO: Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 2000

  • MICHALKA, MATTHIAS: Installationen. In: Julie Ault, Martin Beck. Installation, (Ausstellungspublikation). Köln [Wiener Secession] 2006

  • O’DOHERTY, BRIAN: In der weißen Zelle. Berlin [Merve] 1996

  • RANCIÈRE, JACQUES: Die Fläche des Designs. In: RANCIÈRE, JACQUES: Politik der Bilder. Berlin [diaphanes] 2005

  • SIEBER, THOMAS: Im Netz der visuellen Kultur. In: SCHADE, SIGRID; SIEBER, THOMAS; THOLEN, GEORG-CHRISTOPH (Hrsg.): Schnittstellen. Basel [Schwabe] 2005, S. 275-291

  • WEIBEL, PETER (Hrsg.): Kontext-Kunst. Kunst der 90er Jahre. Köln [DuMont]1994

  • WELSCH, WOLFGANG: Ästhetisches Denken. Stuttgart [Reclam] 1990