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Zum Erkenntnispotenzial von künstlichen Bildsystemen


Author: Elize Bisanz
[published in: IMAGE 4 (Ausgabe Juli 2006)]

Catchwords: Digitale Bilder, Telepräsenz

Disciplines: Kulturwissenschaft, Semiotik


Die Frage, mit der wir uns hier konfrontiert sehen, ist: sind die wunderschönen Bilder des Planeten Mars ein Produkt unserer visuellen Projektionen unserer Kreativität (hier möchte ich erwähnen, dass dies nicht mit den Begriffen Fiktion und Phantasma verwechselt werden darf) oder sind sie virtuelle Bilder, Simulakren, die in unsere geistige Welt eindringen und Möglichkeiten für neue visionäre Territorien öffnen?

„Das Weltall ist im Kopf. Denn alle Welten entstanden aus der Vereinigung von Elementen, d.h. aus meinem eigenen zerstäubten Wesen. Zum Menschen strebt das gesamte All hin, und von ihm geht es aus. Wie kann der gesamte Kosmos mit seinen unvorstellbaren Ausmaßen in meinem kleinen Schädel Platz finden?“

Kasimir Malevič 1920, in K.M., Bd. III, S. 343

Ende der 70er Jahre hatte die Viking-Mission der NASA einen kalten, trockenen Planeten entdeckt, der kein Lebenszeichen erkennen ließ, keine Lebenswelt zu sein schien. Die Abwesenheit von Lebenszeichen führte zur unmittelbaren Suche nach verborgenen Spuren vergangener Lebensformen auf dem Mars. Die Suche nach vergangenen oder gegenwärtigen Lebenszeichen beruhte zunächst auf dem Prinzip, dass die Grundlage jeder Lebensform Wasser ist. Unter dieser Prämisse, als die NASA 2003 zwei „rover“ mit den interessanten Namen Opportunity und Spirit zum Mars sandte, war die Aufgabe der Mission klar: die Suche nach Informationen, Hinweisen und Beweisen für die Erweiterung unserer kulturellen Grenzen Richtung anderer Planeten.

Seit der anfänglichen Aufregung über die Kommunikationsschwierigkeiten, Bilder vom Mars zu senden, werden täglich unzählige Bildzeichen durch die europäische Mars-Mission zur Erde ausgestrahlt, aufgenommen durch eine HRSC-Kamera. Eine nähere Analyse der Kamera als das technische Medium und die darauf folgende Bildprozessierung enthüllen die Spuren unseres geistigen Sehens (mental-vision) und seiner Sinnschichten, sowie die strukturellen Verschiebungen unserer Sehwahrnehmung als Folge der Veränderungen der technischen Möglichkeiten.

Die Frage, mit der wir uns hier konfrontiert sehen, ist: sind die wunderschönen Bilder des Planeten Mars ein Produkt unserer visuellen Projektionen unserer Kreativität (hier möchte ich erwähnen, dass dies nicht mit den Begriffen Fiktion und Phantasma verwechselt werden darf) oder sind sie virtuelle Bilder, Simulakren, die in unsere geistige Welt eindringen und Möglichkeiten für neue visionäre Territorien öffnen?

Das Beispiel der Mars-Bilder verdeutlicht die fundamentale Funktion von Bildzeichen für die Wahrnehmung unserer Umwelt. Mehr noch: Die Mars-Bilder exemplifizieren den reziproken Einfluss unserer visuellen Wahrnehmung und der wissenschaftlichen Entwicklung für die Erweiterung und Erfindung neuer Umwelten, neuer kultureller Territorien.

In diesem Kontext fungiert das visuelle System als eine Übersetzungszentrale zwischen dem Sehen, dem Wahrnehmen, dem Kartieren und dem Sein. Das visuelle System wird zugleich zur Quelle, auf der das biologische Ich beruht und der Projektionspunkt für die Kartierung der Welt in virtuellen Umweltschemata.

Mit diesem theoretischen Gerüst zur Positionierung des „Selbst“ versuchen wir uns den Bildern zu nähern, die als Schnittstellen zwischen dem Selbst und imaginierten Welten als verkörperte Bedeutungen fungieren. Welche charakteristischen Zeichenelemente haben die Mars-Bilder und inwiefern sind sie Bilder von Welten, ikonische Zeichen von Umwelten?

Eine charakteristische Eigenschaft der Mars-Bilder ist, dass sie simulierte und in Telepräsenz aufgenommene virtuelle Bilder sind. In der Optik bedeutet „virtuell“ die Projektion auf der Oberfläche eines Spiegels, als die Projektion des Bildes, das unerreichbar ist. Dagegen ist „real“ das Bild außerhalb des Spiegels, das sich in unserer dreidimensionalen körperlichen Welt befindet.

Der virtuelle Charakter von Bildern wird häufig mit der digitalen Bildproduktion in Zusammenhang gebracht. Auch hier haben wir eine Projektionsfläche, Grenzen, die die zwei Räume trennen: den Körperraum und den repräsentationalen Raum.

Ein Vergleich zwischen einer Spiegelprojektion und der Bildoberfläche auf dem Bildschirm zeigt, dass im Gegensatz zum „spekularen“ (specular) Bild das „digitale“ Bild durch „Kathodenstrahl“ aus dem Innenraum des Bildschirms projiziert wird. Das digitale Bild auf dem Bildschirm braucht keine Beleuchtung, wie das der Fall beim Spiegelbild ist; stattdessen projiziert es selbst Lichtstrahlen auf die Betrachter, es drängt in unsere körperliche Wirklichkeit hinein. Virtuelle Realität verbindet die Ideen der haptischen Körperlichkeit, das was wir das „Reale“ nennen, und die abstrakte Repräsentation, die das „Virtuelle“ genannt wird. Um die virtuelle Realität zu erfahren, müssen wir uns innerhalb des virtuellen Bildes befinden.

Ein weiteres charakteristisches Merkmal von virtuellen Bildern ist die Simulation. Auf der Zeichen-Ebene haben simulierte Bilder keine Bezeichneten, die sie repräsentieren; es besteht kein dialektischer Raum zwischen dem Bild als eine Repräsentation und der Bedeutung oder der Botschaft zwischen dem Sichtbaren und dem Vorstellbaren. Eine Repräsentation hat ihren Ausgangspunkt in der Tatsache, dass Zeichen und Wirklichkeit äquivalent sind. Im Gegensatz dazu beginnt die Simulation von einer Utopie des Äquivalenzprinzips, von einer radikalen Negation des Zeichens als ein Wert. Die Relation zwischen dem Bild und der Wirklichkeit hat sich somit in verschiedenen Hinsichten verändert: von der einfachen Reflektion der Wirklichkeit zur Maskierung der Abwesenheit der Realität und in ihrer Digitalisierung als pures Simulakrum ohne spezifischen Bezug zu irgendeiner Wirklichkeit.

Diese Transformationen der Zeichen-Inneren-Relationen zeigen unmittelbare Wirkungen auf die Gesamtentwicklung der visuellen Ausdrucksformen und verursachen Verschiebungen in ihren logischen Konstruktionen. In diesem Zusammenhang wird zwischen drei logischen Konstruktionen des Bildes unterschieden: eine formale Logik, eine dialektische Logik und eine paradoxe Logik. Sie unterscheiden sich vor allem in ihrer Relation zum Zeit-Aspekt. In der formalen Logik spielt der Zeitfluss keine Rolle. Es sind die traditionellen bildhaften Darstellungen, in denen das Figurale eine zentrale Rolle spielt. Die dialektische Logik des photographischen und des kinematographischen des 19. Jh., in denen das Bild das Vergangene repräsentiert und zuletzt die Video- und Computerbilder mit der paradoxen Logik, in der das Bild in der realen Zeit produziert wird. Hier erlangt Geschwindigkeit Priorität gegenüber dem Raum (space), das Virtuelle gegenüber dem Realen und somit transformiert der Begriff der Realität von einem „Gegebenem“ (given) zum „Konstruierten“.

Simulation ist somit nicht mehr die eines Territoriums, eines referentiellen „Daseins“ oder einer Substanz, sie ist die Generierung, die Erfindung ohne vorangehende Realitäten, etwas Hyperreales. In der digitalen simulierten Welt geht das Territorium der Repräsentation nicht dem Plan voraus: zuerst ist der Plan da, das Territorium wird auf dessen Grundlage projiziert. Wir können noch einen Schritt weiter gehen und proklamieren, dass überhaupt die Konzepte des Plans, der Kartierung, des Territoriums keine essentielle Rolle für die Gesetzmäßigkeiten der räumlichen Organisation spielen. Der reflexive und der identifikatorische Raum zwischen dem Schema und dem Territorium verschwinden, es bleiben nur noch Koexistenzen.

Mit der Simulation verschwindet der repräsentationale Raum. Ihre Logik ist nicht mehr spekular und diskursiv, sondern nuclear und genetisch. In diesem Übergang zur räumlichen Zeichenstruktur verliert Referentialität ihren statischen Charakter. Das Reale der simulierten Welt existiert als eine operationale Erfahrung. Nachahmung und Reproduktion als zentrale Kategorien des rational konstruierten Sehens verlieren ihre Effizienz als operationale Ebenen. Diese Dekonstruktion der Cartesianischen Welt-Ordnung wird oft als eine kulturelle Irritation empfunden, verursacht durch die Unterbrechung zwischen dem körperlichen und dem mentalen Ich (Selbst). Das hyperreale Sehen, so Baudrillard, ist von der imaginären Welt getrennt. Sein Ort, sein Territorium ist die Widerholung von Modellen und die simulierte Produktion von Differenz. Die Frage, die wir uns in diesem Zusammenhang stellen sollten, lautet: welche Auswirkungen haben die zeichenstrukturellen Verschiebungen, das heißt das Verschwinden der reflexiven Distanz auf die visionäre Eigenschaft unseres Sehvermögens?

Eine weitere strukturelle Veränderung der visuellen Kommunikation wird durch die Telepräsenz verursacht. Die Dichotomie zwischen dem Sender und dem Empfänger ist im Konzept der Telepräsenz nicht mehr ausreichend, die multimodale und multidirektionale Natur einer netzwerkartigen interaktiven Kommunikation zu erklären. Die Bilder in Telepräsenz werden nicht versandt, sondern vermittelt, ohne einen Sender zu haben, der bestimmte Bedeutungen an einen Empfänger sendet. Telepräsenz ist keine dialogische Erfahrung, sondern eine bidirektionale individuelle Erfahrung.

Eine wichtige Auswirkung dieses Zustands auf die Entwicklung unserer visuellen Fähigkeiten ist zum Beispiel die Unterbrechung des logischen Bezugs zwischen Zeit und Raum. In Telepräsenz wird Zeit zur absoluten Gegenwart, real. Der kürzeste Abstand zwischen zwei Punkten ist nicht mehr eine gerade Linie, wie in der dialogischen Zeit, sondern einfach die reale Zeit. Mit dieser technischen Veränderung beginnen Orte (locations) ihre Schwerkraft zur territorialen Grenzgebundenheit zu verlieren. Durch die Überwindung der Grenze und die Eliminierung des Abstands zweier Topoi, des eigenen Ortes und des vermittelten Ortes, wird die klassische Bedeutung von Grenzen obsolet. Diese Veränderung in der Strategie des Kommunikationsaktes wird durch qualitative Veränderungen der Elemente von Lokalitäten unterstützt.

In Telepräsenz bestehen Orte aus Bildern, deren wichtigster Ausdruck die reale Zeit ist. Das Ergebnis ist eine Telerealität, die in realer Zeit dem realen Raum von Objekten und Orten vorhergeht. Die Medien der Vermittlung wie Monitore, Video-Geräte oder Kameras sind nicht nur Medien der Informationsvermittlung, sondern auch eine Art Prothesen, die stellvertretend für das biologische Auge als eine sensorische Oberfläche fungieren, auf der Informationsimpulse der bildhaften Lokalität vermittelt werden.

Die Auswirkungen der digitalen Medien auf unsere Umwelt sind immens. Die kulturelle Erfahrung eines gemeinsamen öffentlichen Raumes wird in Telepräsenz vorrangig durch das öffentliche Bild vermittelt. Bilder in Telepräsenz sind keine klassischen Repräsentationen, sondern sie sind Licht-Bilder, ein Teil der „gesehenen“ oder „durchleuchteten“ Territorien. Telebilder bestehen aus Teilinformationen, die nicht durch das Auge wahrgenommen werden, sondern durch Gleichungen und Formeln errechnet werden. Insofern werden sie auf dem Prinzip eines immunologischen Systems konstruiert. Die Veränderungen der Logik des visuellen Bewusstseins - verursacht durch die neuen technischen Möglichkeiten gehen mit Veränderungen in der wissenschaftlichen Logik einher. Der Ausgangspunkt der permanenten Interaktion zwischen der Gesellschaft und der Wissenschaft ist unser symbolisches Bewusstsein.

Die heutige Anwendung digitaler Bilder als wissenschaftliche Dokumente zeigt eine meta-strukturelle Sinnproduktionsschicht, die die digitale Information der post-cartesianischen kulturellen Produktion neu strukturiert. Die Anwendung von Bildern als konstruierte Repräsentationen von Territorien impliziert eine fundamentale Neubewertung des visuellen Ichs.

Die konstruierten Mars-Bilder zeigen das starke Band zwischen Bildern und Wirklichkeitskonstruktionen. Die Bildprozessierung ist zugleich ein Prozess der Erfindung neuer Wirklichkeiten, allerdings nicht unbedingt durch die externen visuellen Sinne, sondern durch das mentale, geistige Sehen, das die Kompetenzen der Informationsprozessierung mit visionären Simulakren verbindet.

Worauf basiert die Legitimität dieser Bilder, territoriale Macht zu repräsentieren?

Auf der einfachen technischen Ebene sind die Mars-Bilder zunächst das Produkt der HRSC-Kamera (high resolution stereo camera). Wie eine übliche Kamera liest sie die Daten durch eine Linse, die auf die Mars-Oberfläche gerichtet wird, jedes Mal wenn der Mars-Express den tiefsten Punkt seiner elliptischen Laufbahn erreicht hat. Hinter der Linse befindet sich ein komplexes System von Parallel-Sensoren, die empfindlich für die Farben rot, grün, blau und Infrarotlicht sind. Die Kamera nimmt Informationen von der Mars-Oberfläche durch drei unterschiedlich ausgerichteten Punkte auf: nach vorne, nach unten und rückwärts. Die Informationen werden zur Erde gesandt, wo sie prozessiert und zu einem digitalen Modell konstruiert werden. Die digitale Prozessierung gestaltet dreidimensionale Ansichten, indem unterschiedliche Schattenqualitäten durch unterschiedliche Farben differenziert werden, die zusammen die Bilder vom Mars komponieren.

Die Autoren, Produzenten, die Konstrukteure der Mars-Bilder nennen die Bilder „echte“ Bilder. Eine nähere Betrachtung des Echtheitsanspruchs, der „Richtigkeit“ oder „Falschheit“ der digitalen Mars-Bilder verdeutlicht ihre Beschaffenheit und zeigt eine Verschiebung in der Zeichenqualität der HRSC-Bilder im Vergleich zu mechanischen photographischen Bildern; sie zeigen eine Diskrepanz zwischen den Mars-Bild-Signalen und den fertigen Mars-Bildern, die die Wissenschaftler als echt und original propagieren.

Diese qualifikatorische Bestimmung von richtig oder falsch impliziert ein bestimmtes Objekt oder eine bestimmte Qualität als Grundlage des Vergleichs. Welche sind diese Kriterien, deren Referenz wir als Mars-Bilder bestimmen? Wenn sie keine einfachen Bildaufnahmen (ikonische Reproduktionen) des Mars-Planeten sind, sondern im Vorgang der Bildprozessierung der vermittelten Daten entstehen, wie können wir das Objekt der Repräsentation bestimmen? Welche sind die konstitutiven Charakteristika der repräsentationalen Objekte?

In ihrer klassischen Definition werden Bilder vor allem anhand ihrer ikonischen Charakteristika gelesen. Auch im wissenschaftlichen Gebrauch von Bildern als Dokumente werden sie als Repräsentationen von gegebenen Objekten eingesetzt, um Ähnlichkeiten in Form und Qualität von Dingen zu objektivieren. In dieser Bedeutung oder auch Funktion sind sie echte, reale Repräsentationen, richtige bildhafte Reproduktionen, ikonische Zeichenträger des Objektes. Dies impliziert, dass die vermittelten Informationen identisch mit den Informationen des Objektes sind.

Das wissenschaftliche Ziel der Mars-Erkundung „Lebenszeichen“ ist, auf dem Planeten ähnliche Zeichen unserer Umwelt und unserer kulturellen Territorien zu finden. Woher erlangen die prozessierten Bilder ihre Legitimität als Dokumente, die Mars-Territorien nachweisen?

Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Wissenschaft die Spuren von Elementen, die zu Umwelten führen, auf der semiotischen Ebene suchen: die Aufgabe ist, die Steine, die Erde, die Mineralien zu identifizieren, ihre Beschaffenheit und Distribution zu bestimmen, zu erklären, welche geologischen Prozesse sie formieren und ihre chemische Konstellation bestimmt etc.

Auf dieser semiotischen Ebene sind die Elemente die Signale und die Daten, die das technische Gerät auf dem Mars erkundet. Ikonizität der vermittelten Signale ist im strengen Sinne auf der Licht-Schatten-Ebene vorhanden. Sie werden durch die „bits“ repräsentiert, die wiederum die Transformationen des Lichtes in qualitativen Informationen sind.

Die Mars-Bilder haben keine ikonische Ebene, somit sind sie als Aufnahmen weder Repräsentationen noch vermitteln sie ein vorgegebenes Objekt. Auf der technischen Informationsebene haben wir lediglich cartesianische Linien von „pixels“, die die Dichte von einzelnen Zellen durch eine bestimmte Zahl aus einer begrenzten Reihe bestimmen. Mehr noch, all die Informationen sagen uns nichts über die Form oder die Physiognomie des Mars-Territoriums.

Auf dieser elementaren semiotischen Ebene bereits stellen wir grundsätzliche Unterschiede zwischen „echten“, „wahren“, „realen“ Bildern als ikonische Zeichen und den mathematisch konstruierten Bildern der HRSC-Kamera fest. Das bedeutet, dass digitale Informationen vom Mars keine repräsentationalen Qualitäten, keine identifizierbaren physiognomischen Qualitäten der Marsoberfläche zeigen. Als simulierte Bild-Informationen vermittelt in Telepräsenz sind sie Licht-Bilder, die nicht durch das sinnliche Sehen, sondern durch „durchleuchten“ entstanden sind. Die durchleuchteten Informationen sind allerdings weit davon entfernt, die Rangstellung von Bildern zu haben, geschweige denn Bilder vom Mars zu sein; sie sind erst am Ende eines Prozesses der Vermittlung, Berechnung, und des Vergleichs der Signale Bilder von Mars.

In diesem Bildproduktionsprozess sind mindestens zwei Schemata für Bildzeichenproduktion nötig; das Schema für das Instrument Kamera, um Lichtinformationen zu vermitteln, und ein Schema für die Übersetzung der elektronischen Informationen in Bildkategorien, die soweit optimiert werden, bis unser visueller Apparat sie lesen kann. Im gesamten Bildkonstruktionsprozess ist kein Bild-Element zu finden, das wir als „ähnlich“ mit der Marsoberfläche einstufen würden. Die Mars-Bilder weisen keine Ikonizität auf, sie sind ein künstlich kodiertes System, programmiert für spezifische Kodierungsfunktionen der „durchleuchteten“ Informationen. Nichts desto trotz lesen wir die Mars-Bilder nicht nur als Bilder eines Planeten, sondern auch als Bilder eines Planeten mit spezifischen geologischen Qualitäten.

Die ikonische Wahrheit der prozessierten Mars-Bilder existiert in unserem geistigen Sehen, das vergleichbar mit dem geistigen Ich ist. Die Bilder sind das Produkt eines introspektiven Prozesses, angefangen mit der Kartierung gefolgt von der Prozessierung, dem Sehen und dem Sein. Während das fokussierende Sehen der Kamera die semiotischen Elemente vermittelt, entstehen die Bilder auf der darauf folgenden symbolischen Ebene des diskursiven Sehens, auf der die Bilder ihre symbolische Identität als Mars-Bilder erlangen. Als symbolische Zeichen - die symbolische Dimension ist immer dann vorhanden, wenn ein Kode oder eine Gesetzmäßigkeit die Lektüre ermöglicht - repräsentieren sie sowohl die Prozessierung der numerischen Daten wie auch den Prozess, ihre Transformation in eine visuelle Kategorie; das Bild wird zugleich der „Objekt-Prozess“, der durch das geistige Sehen symbolisiert wird.

Die Mars-Bilder existieren in unserer Vorstellung, im geistigen Sehen, das vor der sichtbaren Substanz der dargestellten Spuren existiert. Die semiotischen Elemente dieser Bilder sind prävisuell; die digitalen Informationen dringen introspektiv in unser inneres Sehen ein und werden zu Bildern transformiert, die mehr als Mars-Repräsentationen, visuelle Repräsentationen der visionären Projektionen unseres geistigen Ichs sind.

Sobald die visionären Simulakren in unserem kulturellen Kontext als Bilder vom Mars etabliert sind, können sie als ikonische Zeichen der prozessierten Informationen über den Mars in unserem Denken gelesen werden.

Die Bedeutungsproduktion durch die konstruierten Mars-Bilder entsteht durch die dialektische Interdependenz zwischen den symbolischen und den semiotischen Schichten der Bild-Zeichen; sie überschreiten die Phase der „paradoxen Logik“ der Bilder durch unsere symbolische Arbeit.

So können wir Malevitsch antworten, dass auf diesem Weg der gesamte Kosmos mit all seinen noch unvorstellbaren Dimensionen seinen Platz in unserem kleinen Schädel findet. Kreativität wird zur unendlichen Entfaltung unserer symbolischen Tätigkeit.

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