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My body Style(s) – Formen der bildlichen Identität im Studivz


Autor: Julius Erdmann
[erschienen in: IMAGE 9 (Ausgabe Januar 2009)]

Schlagwörter: Social Networks, StudiVZ, Fotografien, Identität, Subkultur, Jugendkultur, Roland Barthes, Charles Sanders Peirce

Disziplinen: Semiotik, Bildwissenschaft, Kulturwissenschaft, Cultural Studies


Young users of virtual social networks are expected to increasingly exhibit themselves in the internet. Media reports in newspapers or television are criticizing this behavior. The article attempts to discover possible aspects of public exhibition in virtual communities and to analyse how a new body image is constructed via photographic self-portraits in virtual photo albums. Based on the semiotics of C.S. Peirce and considerations on photography by Roland Barthes, the article will show that digital self-portraits are not only maintaining the authenticity of the user, but are completing the information on his individual identity. Consequently, the young member constructs a self-contained, virtual body by exposing his photographs. Finally, it will be revealed by examining the emo subculture, how corporal construction of a virtual self is contributing to an individual, subcultural identity.

Die Exhibition junger Nutzer in virtuellen Social Networks wird, nicht zuletzt aufgrund der medialen Berichterstattung, immer offensichtlicher. Der Beitrag versucht, mögliche Facetten dieser Zurschaustellung in der deutschen Community Studivz zu erkennen. Es wird untersucht, inwiefern in virtuellen Fotoalben über fotografische Selbstporträts ein neues Körperbild konstruiert wird. Ausgehend von der Semiotik C.S. Peirces und den Betrachtungen Roland Barthes zur Fotografie wird gezeigt, dass die digitalen Selbstporträts nicht nur der Glaubwürdigkeit und Authentizität des Nutzers dienen, sondern die Identitätsinformationen des Profils ergänzen. Somit wird vom Nutzer ein eigenständiger, virtueller Körper konstruiert. In einem letzten Punkt wird anhand der Emo-Jugendkultur gezeigt, inwiefern diese virtuell körperliche Selbstbildung insbesondere der individuellen Positionierung innerhalb einer subkulturellen Identität dienlich ist.

1. Einleitung: Exhibition 2.0

Zuletzt bewies das große ›Internet Spezial‹ der Zeit vom 1. bis zum 15. Mai 2008 die hohe Medienaufmerksamkeit für all diese neuen Anwendungen im WWW, für die neuen Geschäftsmodelle, den Einfluss auf Gesellschaftsstrukturen und letztendlich auch auf unser Ich. Doch neu ist diese Aufmerksamkeit auch nicht. Seit Beginn des deutschlandweiten Erfolgs von Studivz, des virtuellen Netzwerks für Studenten, Schüler und Alumni, fragt man sich beispielsweise, weshalb es zu einer scheinbaren Exhibition junger Nutzer von solchen Social Networks kommt, und spart nicht mit Kritik. So »entblößen sich viele regelrecht, schreiben auf, was sie essen, anziehen, lieben, hassen, was sie denken, wen sie mögen und welche Musik sie hören« (HAMANN 2007: 1), stellt Götz Hamann ebenfalls in der Zeit fest. In den Tageszeitungen und Onlinemedien werden stetig Bedenken bezüglich des mangelnden Datenschutzes und des voyeuristischen Ausspionierens laut.

Diese Bedenken sind letztendlich nicht unbegründet. Jugendliche nutzen soziale Netzwerke im Internet, um Informationen über sich selbst einzuspeisen und so in einen regelrechten Identitätsdialog mit anderen Nutzern des Netzwerks zu treten. Die Form der Selbstdarstellung in solchen virtuellen Netzwerken weicht von bisher bekannten Darstellungsweisen insbesondere durch die kompakte Form der multimodalen Informationsdarbietung ab. In der in Deutschland populären Internetanwendung Studivz kann man ähnlich wie in anderen Communities neben textuellen Informationen auch eigene Bilder in Fotoalben online stellen. Somit ist es nicht erstaunlich, dass Jugendliche besonders auf diese Funktion im Studivz zurückgreifen, um ihre realen Lebensbilder zu digitalisieren und sie mit der ständig wachsenden Community zu teilen. Dabei steht neben der Dokumentation von Urlaub und Party eben auch die Repräsentation des eigenen Körpers in einem Ich-Album im Vordergrund. Der jugendliche Nutzer vereint in einem solchen Album mehrere Selbstporträts seines eigenen Körpers.

In diesem Beitrag untersuche ich, inwiefern über das Ich-Album ein neues Körperbild transportiert wird. Dieses dient in erster Linie der Unterstützung eines glaubwürdigen Images. Es soll jedoch die Frage gestellt werden, wie durch die Virtualität der sozialen Netzwerke die Möglichkeit entsteht, neue Formen von Körperlichkeit zu transportieren. In Rückgriff auf Charles S. Peirce (1993) und Roland Barthes (1989) wird geklärt, inwiefern die digitalen Selbstporträts die textuellen und hypertextuellen Identitätsinformationen des Profils nicht nur beglaubigen, sondern vielmehr ergänzen und somit eine umfassende Selbstinszenierung ermöglichen. In einem letzten Punkt wird gezeigt, dass das Ich-Album für Vertreter von jugendlichen Subkulturen eine Abgrenzung von gängigen Körperdiskursen und eine genauere Positionierung der eigenen, subkulturellen Identität bietet.

2. Das Ich im Studivz

Als eines der am häufigsten genutzten Onlinenetzwerke Deutschlands existiert das Studentenverzeichnis, kurz Studivz, seit Oktober 2005 und verfügt nach eigenen Aussagen inzwischen über mehr als 5,5 Millionen Nutzer (vgl. Studivz Ltd. 2009). Das Netzwerk wird ebenso für Schüler (Schülervz) angeboten, beide Plattformen wurden mit der nicht zielgruppenspezifischen Community MeinVZ gekoppelt.

Ähnlich dem Vorbild Facebook bietet das Studivz die Möglichkeit, Userprofile zu erstellen und diese über die Mitgliedschaft in thematischen Gruppen und durch die Verbindung mit anderen Nutzern über die Metapher Freundschaft in das Netzwerk einzubetten. Der Nutzer kann bei der Generierung seines Profils auf verschiedene Ausdrucksarten zurückgreifen.

Neben Beschreibungen zur Mitgliedschaft, zur akademischen Laufbahn und zum persönlichen Status (also Beziehung, politische Ausrichtung, Interessen und Musikgeschmack beispielsweise) wird das Nutzerprofil bereits auf den ersten Blick durch einen Nutzernamen und ein Bild personalisiert. Auf der Ebene der Vernetzung bieten sich Einblicke in Gruppenmitgliedschaften, befreundete User und Verlinkungen auf Fotos anderer. Ergänzt wird das Profil durch den Zugriff auf die persönlichen Fotoalben. Die Jugendlichen kommen zahlreich auf diese Funktion in der Community zurück, um wie im realen Kontakt mit Freunden und Familien Fotos von Feiern, Geburtstagen, Urlauben, Treffen, etc. zu zeigen. Inzwischen ist besonders unter den jungen Mitgliedern ein neuer Trend aufgekommen: Die Erstellung einer, von mir als Ich-Album bezeichneten, Auflistung von Selbstporträts.

Als Ich-Album bezeichne ich im Folgenden ein Fotoalbum, das fast ausschließlich fotografische Selbstporträts des Nutzers versammelt. Von den Nutzern wird es schon über den Titel des Albums rein auf die eigene Persönlichkeit fokussiert. So finden sich Namen wie ›Me Myself and I‹, ›Ich‹, ›Ich halt‹ oder französisch ›Moi‹ sowie weitere Variationen derartiger Ausrichtung. Da es sich dabei um ein Album handelt, weichen die Nutzer dezidiert von herkömmlichen Selbstporträts, die vereinzelt in einem anderen Album auftauchen, ab. In einem Ich-Album werden oft mehr als fünf solcher Fotos kompakt in einer Auflistung versammelt. Auffällig ist daran eben die komprimierte Darstellung des Selbst in mehreren Aufnahmen des eigenen Körpers. Die Aufnahme der Selbstporträts erfolgt unter Nutzung einer Digital- oder Handykamera und wird durch das Vorhalten der Kamera oder über einen Spiegel realisiert. Diese Aufnahmetechnik bedingt durch den eingeschränkten Radius auch den starken Schwerpunkt auf das fotografierte Objekt, den eigenen Körper. Elemente der Umgebung sind entweder gar nicht oder nur schwach im Hintergrund erkennbar.

Diese Ich-Alben sind keine Eigenart der deutschen Community Studivz. Im großen, inzwischen weltweit verbreiteten Social Network Myspace.com trifft man ebenfalls auf solche Darstellungsformen. Allerdings möchte ich mich in den folgenden Betrachtungen aus zwei Gründen auf das deutsche Studentenverzeichnis beschränken. Zunächst einmal ist die Community das dominante virtuelle Netzwerk in Deutschland, welches bezüglich der Nutzerzahlen auch von den internationalen Größen Myspace oder Facebook unerreicht ist. Des Weiteren ist das Studentenverzeichnis als Gemeinschaft auf vergleichsweise wenig multimodale Funktionen im Profil reduziert, während andere Communities auch die Einbettung von eigenen Videos und das Verlinken eines Liedes ermöglichen. Studivz.net legt dagegen eher einen Schwerpunkt auf die Netzwerkstruktur. Die nicht textuelle Darstellung im Rahmen des Profils ist auf das Nutzerbild und die eingestellten Fotoalben beschränkt. Für die Nutzer sind die Fotografien daher ein bedeutender Bestandteil der persönlichen Informationen im Netzwerk und beinahe die einzige Möglichkeit, ihre körperlich-materielle Existenz zu veröffentlichen.

3. Körperzeichen im Studivz

Weshalb stellen nun Nutzer ihre Körperlichkeit in einem ganzen Album, über mehrere Fotografien hinweg, aus? Ich gehe davon aus, dass der reale Körper des Nutzers aus mehreren Gründen im Internet an neuer Bedeutung gewinnt.

Zunächst lässt sich die auffällige Präsenz von Körperfotografien in den medialen Eigenschaften des Internets begründen. So führt nach Irmela Schneider die Immaterialität des Internets auch zur Rückbesinnung auf den eigenen Körper:

»Die lebensweltliche Erfahrung des Körpers spielt genau dann eine wichtige Rolle, wenn die Lebensweltlichkeit von Erfahrungen für den Alltag immer marginaler werden. Anders formuliert: Der psychophysische Körper erhält in einer Situation neue Aufmerksamkeit, in der seine physische Präsenz, sein ›Standpunkt‹ […] immer mehr an Bedeutung verliert, immer stärker in Vergessenheit geraten kann.« (SCHNEIDER 2000: 14 f.)

Denn obgleich Jugendliche das Internet insbesondere seit den Entwicklungen, die man so gern unter dem schwammigen Begriff Web 2.0 oder Mitmach-Netz fasst, aktiv-produzierend mitgestalten, sei es durch Blogs, eigene Profile oder das Design ihrer eigenen Seiten, fehlt ihnen durch die Eigenart des Mediums ein entscheidender Bestandteil der eigenen Handschrift: Die konkret physische und sinnliche Seite einer körperlichen Identität. Als mediale Vermittlung menschlicher Kommunikation entbehrt das Internet jegliche Form von materieller Präsenz des Nutzers. Die digitale Struktur des Mediums hebt im Internet das Bewusstsein einer physischen Präsenz noch stärker als bei anderen Kommunikationsformen auf. Nicht umsonst wird deshalb in virtuellen Welten wie SecondLife oder dem Rollenspiel World of Warcraft der menschliche Körper durch generierbare Avatare ersetzt, die dem menschlichen Vorbild immer mehr ähneln und seine Funktionen imitieren.

Allerdings dient die Einführung des Körpers nicht nur der Rückbesinnung des Nutzers auf seine eigene Materie, sondern insbesondere den Grundprinzipien der Kommunikation mit anderen. Der oft gelobte Aspekt des Internets – die Vernachlässigung der Körperlichkeit, der materiellen Präsenz eines Autoren – ist in der Kommunikation, wie sie in sozialen Netzwerken eine entscheidende Rolle spielt, nicht immer unproblematisch. Die mangelnde physische Präsenz des Nutzers erschwert die glaubhafte Kommunikation. .

Dem aktiven Internetnutzer fehlt es somit an der bestätigenden Kraft einer materiellen Präsenz. Den dadurch entstehenden Mangel an Glaubwürdigkeit nimmt Vanessa Diemand auf, wenn sie davon ausgeht, dass die Selbstdarstellung im Internet vor allem Nähe, Persönlichkeit und Authentizität suggerieren muss (vgl. DIEMAND 2007: 74). Ich gehe davon aus, dass die explizite Darstellung des Körpers über Fotografien dem Zweck dient, die Glaubwürdigkeit durch den Rückgriff auf die physische Präsenz in der Realität wiederherzustellen. Das »Wesen der Fotografie besteht in der Bestätigung dessen, was sie wiedergibt« (BARTHES 1989: 95), wie es bereits Roland Barthes treffend formuliert hat. In diesem Sinne kann man die Fotografie nach Peirce als ein Dicizeichen fassen, das in seinem Interpretantenbezug die reale Existenz des abgebildeten Objektes behauptet (vgl. PEIRCE 1993: 125). Im fotografischen Prozess reagiert das Material des Films physisch auf das durch das Objekt reflektierte Licht, was schlechthin zu dem Glauben führt, dass das Abbild dem Objekt entspricht.

An dieser Stelle soll die semiotische Seite des Körperbildes näher präzisiert werden: Nach Peirce können Zeichen bezüglich ihres Interpretantenbezugs in drei Arten unterteilt werden: Das Rheme, das als Darstellung des Objektes in seinen Eigenschaften verstanden werden kann, das bereits angesprochene Dicizeichen, welches eine reale Existenz des Objektes repräsentiert, und letztendlich das Argument, welches als Gesetz verstanden werden kann (vgl. PEIRCE 1993: 126). In Bezug auf das Körperzeichen können diese Arten des Bezugs auf den Interpretanten als Ebenen aufgefasst werden.

In seiner Funktion als Rheme wird in dem Abbild ein Körper eines Menschen (in Abgrenzung zu weiteren Objekten) erkannt. In der zweiten Ebene, der Eigenschaft als Dicizeichen, nimmt der Rezipient ein Zeichen wahr, welches das Dasein des abgebildeten Körpers in der realen Welt behauptet. Indem eine Person fotografische Selbstporträts innerhalb der Community veröffentlicht, nutzt sie die Wirkung des Fotos und stellt einen intensiv personalisierten Realitätsbezug innerhalb des virtuellen Mediums her. Das Körperbild muss folglich interpretiert werden, als wäre es die Abbildung eines realen Körpers. In der dritten Ebene – und dies ist eine Ebene der weitergehenden Lesart des Abbildes – wird das Körperbild als Argument gesehen. Hier kommt die Einbettung des Abbildes in den Rahmen des Nutzerprofils zum Tragen: In Verbindung mit dem personalisierten Profil ist der Rezipient beispielsweise angehalten, den dargestellten Körper als zugehörig zum Inhaber zu interpretieren. Diese Interpretation wird verstärkt durch die Bildunterschriften oder Albumtitel, welche in vielen Fällen auf den persönlichen Körper hinweisen.

Jedoch stellt sich hier das Problem, dass es relativ leicht ist, mit fremden, digitalen Körperporträts eine falsche Identität zu konstruieren. Es kommt häufig vor, dass Mitglieder von virtuellen Gemeinschaften sogenannte Fake-Charaktere erstellen, indem sie beispielsweise Bilder von Stars oder anderen Personen veröffentlichen und diese als eigene Präsenz darstellen. Meines Erachtens wird durch die dritte Zeichenebene der Selbstporträts ebenso gegen den Vorwurf eines fremden Körpers gearbeitet. Man kann den Bildern Zeichen für die dezidierte Abbildung der Beziehung zwischen Fotograf und aufgenommenem Objekt entnehmen. Barthes unterscheidet bei der Fotografie zwischen drei Tätigkeiten: Der operator – der Fotograf und Ersteller des Bildes – der spectator – der Betrachter – und das spectrum, also das, was fotografiert wird (vgl. BARTHES 1989:17). Das Erscheinen der Kamera innerhalb des Bildes, Reflektionen des Blitzlichtes im genutzten Spiegel, der empor gehaltene Arm, der die Aufnahme auslöst – diese Zeichen deuten auf den Körper in seiner doppelten Rolle als operator und spectrum. Durch das mehrfache Anzeigen dieser doppelten Bedeutung innerhalb des Albums, zumeist unter verschiedenen Aufnahmeperspektiven, muss das Körperbild in seiner Eigenschaft als Rheme tendenziell mehr auf die reale Existenz des abgebildeten Körpers und seiner Einheit mit dem Profilinhaber deuten. In dieser dritten Ebene bietet sich dem Nutzer folglich die Möglichkeit, eine komplexe Zeichenhaftigkeit aufzubauen und darüber einen neuen, virtuellen Körper zu kreieren.

Über die Fotos des Ich-Albums wird eine neue Körperlichkeit in das Internet eingeführt, die sich von zuvor existierenden Versuchen der textuellen Konstruktion stark unterscheidet. So war der virtuelle Körper zu Zeiten von grafischen Avataren und textlichen Beschreibungen eher als abstrakt immaterielles Konstrukt im Internet zu erkennen:

»Betrachtet man die Repräsentationen des Körpers in elektronischen Kommunikationsumgebungen, so ist offensichtlich, dass der Körper hier lediglich als symbolisches und diskursives Konstrukt oder als stereotypisierte graphische Repräsentation auftritt. Entsprechend ist der Eindruck von Körperlichkeit ein vorrangig im Dialog mit anderen Netzteilnehmern über Texte und Graphiken konstruiertes Gefühl, erschaffen durch Sprache und nicht getragen von konkreten physischen und sinnlichen Eindrücken.« (BECKER 2000: 45)

Im Gegensatz zu Körperbeschreibungen, wie sie in früheren Chats notwendig waren, um sich selbst eine physische Präsenz zu verleihen, muss der User sich heutzutage nicht mehr auf stereotypisierte, grafische Konstruktionen beschränken. Es muss angenommen werden, dass inzwischen ein zumindest gradueller Unterschied zu diesen Selbstkonstruktionen vorliegt, da die Nutzer im Internet immer leichter und in komplexerer Form fotografische Zeichen im Web veröffentlichen. Allein durch die Ähnlichkeitsbeziehungen der Körperfotografie als Rheme mit ihrem realen Objekt liegt ein tendenziell sinnlicher Eindruck in dieser Darstellung des eigenen Leibs. Zwar kommt es nach wie vor – und dies ist bis auf weiteres durch die Medialität des Internets eine Notwendigkeit – zu einer Konstruktion des Körpers. Aber diese basiert zunächst einmal auf den konkret physischen Gegebenheiten des Objekts, die per Aufnahme festgehalten und in das Internet transferiert werden.

Dabei muss festgehalten werden, dass dieser neue Körper nicht isoliert als fotografische Form steht, es kommt zu einer Vermischung mit den textuellen und hypertextuellen Elementen der Studivz-Maske und weiteren grafischen Einheiten. So fallen z.B. noch textuelle, körperliche Selbstbeschreibungen im Profil, in Gruppenzugehörigkeiten , aber auch in Form von Bildunterschriften auf. Hypertextuelle Verweise entstehen insbesondere bei der Verlinkung des Nutzers auf Fotografien anderer Mitglieder, auf denen er erkennbar ist. Grafische Symbole werden entweder in die Fotografie integriert oder neben das Körperbild gestellt und sind damit konstituierend für den Wahrnehmungskontext des Bildes.

Das lichtbildnerische Selbstporträt ist nicht nur die Bestätigung der im Profil konstruierten Identität des Nutzers, sondern sie wirkt als Ergänzung, die mit den anderen symbolischen Komponenten, wie beispielsweise den Informationen über den Nutzer, seinem Engagement in Gruppen, oder die konkrete Vernetzung über den Freundeskreis, in ein Wechselverhältnis gerät. Letztendlich ist jedoch der Körper »der exponierte Ort der Inszenierung des Selbst« (SCHERGER 2000: 246). Stellt der Nutzer des Studivz in einem Ich-Album Fotos ein, so erfüllt er nicht nur den geforderten Identitätsnachweis, sondern er inszeniert eine spezifische, virtuelle Identität und stellt diese aus.

4. Körperliche Selbstinszenierung

Die fotografische Selbstabbildung dient in einem ersten Moment der Verankerung der virtuellen Präsenz in einem realexistierenden Bezug. Die dadurch in der Kommunikation mit anderen erlangte Authentizität stellt eine Basis für die darüber hinausgehende Funktionalisierung des Körperbilds als Konstituente der Identitätskonstruktion dar. Dafür nutzt das Communitymitglied sein Körperbild ähnlich seinem physischen Körper: Es wird mit identitätsbildenden Symbolen ausstaffiert, dient gleichsam als Zeichenträger für – bei jungen Nutzern – die persönliche, jugend- (sub-)kulturelle Welt. In dieser komplexen Zeichenhaftigkeit des digitalisierten Körpers spiegelt sich die neue Dimension der Körperdarstellungen im Internet: Auf der körperlichen Darstellung gründend wird das Abbild mit Symbolen versehen und in ein interaktives Netzwerk eingebettet.

Da sein Ich-Album aus Selbst-Porträts besteht, erfasst der User gewissermaßen sich selbst und manipuliert damit die »herkömmliche Struktur« (BARTHES 1989: 17) eines spontanen Privatfotos nach Roland Barthes, welche sich in der Trennung zwischen operator, spectator und spectrum ausdrückt. Erstellt der operator vom menschlichen spectrum einen Schnappschuss, so kommt es beim Betrachten des Bildes durch das abgebildete Objekt oft zum Überraschungseffekt des Sich-Selbst-Sehens. Die Verunsicherung rührt vom Gegensatz zwischen dem körperlichen Selbstbild, dem Ich, und dem externen Abbild des Körpers her, welche in einer solchen Situation in einen direkten Abgleich geraten. »[Ich] wünschte«, sagt Roland Barthes, »daß (sic!) mein Bild […] stets mit meinem […] ›Ich‹ übereinstimmte; doch vom Gegenteil muss die Rede sein: Mein Ich ist’s, das nie mit seinem Bild übereinstimmt.« (BARTHES 1989: 20) Die fotografischen Autoporträtisten im Studivz heben diesen Effekt auf. Bei ihnen fallen die Bestandteile operator und spectrum zusammen. Der operator übernimmt somit nicht nur die Steuerung des Auslösens, sondern zugleich die weitestgehende Kontrolle über den Ausdruck des spectrums. Das Verhältnis zwischen dem Körper und dem Bild wird umgekehrt: Der Fotograf gestaltet das Objekt, was in dem Fall sein Körper ist, nach den Vorgaben seines Selbstbildes. Er spielt mit dem Zwang des Objektes in der normalen Porträtaufnahme »immer einen Ausdruck zur Schau zu stellen« (BARTHES 1989: 20). Das Objekt posiert, und bestimmt als operator zugleich, wann es abdrückt. Das Mitglied der Community verwirklicht über diese Doppelrolle also die gezielte Konstruktion seiner kulturellen Identität und seines virtuellen Ichs, es inszeniert das Bild jenseits aller Kontingenz so, wie es sich selbst sieht. Verbindet man die neue Struktur des fotografischen Prozesses mit der interaktiven Eigenschaft der sozialen Netzwerke, ergibt sich auf der Seite der Rezipienten ein Sehen, wie andere sich selbst sehen.

Meines Erachtens funktionalisieren die Autoporträtisten ihre Privatfotos bereits während der Entstehung als mögliche Exponate des Selbst. Bei den herkömmlichen Urlaubs-, Freundeskreis- und Feierbildern, ob nun im realen Kontext oder in der virtuell veröffentlichten Form, handelt es sich in Abgrenzung zu erstgenannten Abbildungen tendenziell um Erinnerungszeichen, die in ihrer Behandlung mehr in Deponate übergehen. Diese werden kurz nach der Entstehung gezeigt, um dann nur noch bei Bedarf, sei es dem individuellen oder kollektiven Besinnen, hervorgeholt zu werden. Die aufgenommenen Leibesbilder hingegen bleiben in ihrer Rolle als Exponate stabil, nicht zuletzt da das Album in gewissen Abständen aktualisiert wird. Bestes Zeichen für die Bestimmung als Ausstellungsobjekt ist, dass eine Alltagsbindung, also die situative, temporale und geografische Kontextualisierung – hier aus zwei Gründen beinah komplett entfällt: Zunächst beschränkt sich der Dargestellte und Darstellende meist auf das Umfeld seiner Privatsphäre – das Zimmer, das Bad, die Küche – ohne eine situative Bindung zu markieren. Zudem wird die Darstellung der direkten Umgebung durch die autoporträtierende Umsetzung extrem geschmälert: Da der individuelle Körper dominierend im Fokus steht und einen Großteil der Bildfläche ausfüllt, reduziert sich der Hintergrund auf wenige, unscharfe Flächen.

Die fotografischen Exponate reihen sich hierbei in die Konzeption von Social Networks ein, wo die Selbstausstellung der Nutzer nicht nur über die verschiedenen Bestandteile der Profilmaske intendiert werden, sondern auch der Zwang zur Exhibition besteht. Virtuelle Communities gehören der Social Software an und letztere wird als

»solche internetbasierten Anwendungen, die Informations-, Identitäts- und Beziehungsmanagement in den (Teil-)Öffentlichkeiten hypertextueller und sozialer Netzwerke unterstützen« (SCHMIDT 2006: 2),

gefasst. Als Sparte dieser Social Software legen die virtuellen Gemeinschaften einen Schwerpunkt auf das Identitäts- und Beziehungsmanagement. Ziel der Mitgliedschaft ist also das In-Beziehung-Treten zu anderen Nutzern. Setzt man das Profil einer Visitenkarte gleich, so muss diese bei der Masse von weiteren Mitgliedern gezwungenermaßen eine komprimierte Vielzahl an interessanten Identitätsinformationen fassen, um zumindest gleichberechtigt neben den anderen zu stehen.

Welche Möglichkeiten gibt es nun zur Konstruktion von bildlichen Identitätsinformationen? Die Erstellung einer digitalen Identität durch die Veröffentlichung von Selbstporträts basiert auf der Vermittlung zwischen der realen Materialität und der digitalen Abbildung über den fotografischen Prozess. In diesen Stufen liegen die drei Ebenen einer Selbstinszenierung, in der das jeweils vorhandene Ausgangsmaterial als Zeichen behandelt und entsprechend dem Selbstbild des Nutzers gestaltet wird:

a) Das real körperliche Image, welches sich neben der Zeichenhaftigkeit des nackten Körpers an sich insbesondere in dessen Kostümierung ausdrückt, ist bereits integraler Bestandteil der kulturellen Identität. Im realen Leben spielt der Körper als materielle Präsenz des Individuums eine entscheidende Rolle innerhalb der Interaktion mit anderen, da er als Medium, im Sinne von Mittler, fungiert. In seiner Grundkonstitution, also Größe, Gewicht, Geschlechtsmerkmale, Haut-, Haar- und Augenfarbe, seiner performativen Verformung, was sich in der Haltung, Mimik und Gestik, also der Körpersprache äußert, und seiner kulturellen Kostümierung sowie Veränderung, sprich das Bedecken durch Kleidung und Make-up, die Formung der Haare durch Frisuren, die dauerhafte Veränderung durch das Färben der Haare, sowie durch Tattoos und Piercings, steht der Körper in einer dezidiert visuellen Zeichenhaftigkeit. Diese Zeichen erfordern einen Gegenüber, der sie liest, denn »(zwischen) der Welt und dem Körper […] steht immer der Akt der Wahrnehmung« (SCHNEIDER 2000: 15). Wenn der Nutzer seinen Körper in einer fotografischen Abbildung wiedergibt, so nutzt er die reale Zeichenhaftigkeit eben auch in dieser medialen Form.

b) Die Inszenierung innerhalb des fotografischen Prozesses ist eng mit der oben besprochenen Einheit zwischen operator und spectrum verknüpft. Der Fotograf gewinnt eine weitestgehende Kontrolle über die Abbildung seines Körpers. Diese wird des Weiteren begünstigt durch Eigenheit der Digitalkameras, also der sofortigen Ansicht des fertigen Bildes und der Unbegrenztheit des fotografischen Materials. Die Möglichkeit, Fotografien bei Nichtgefallen zu löschen und unbegrenzt neu zu erstellen, führt dazu, dass der operator nicht nur seinen körperlichen Ausdruck steuert, sondern ebenso die Art der Aufnahme: Schärfe, Belichtung, Perspektive, der Ausschnitt und der Hintergrund sind stets justierbar.

c) Eine dritte Ebene der gezielten Selbstinszenierung innerhalb des Fotos liegt auf dem Niveau der digitalen Verwendung des Abbildes. Inzwischen sind die vielfältigen Anwendungen zur digitalen Nachbearbeitung von Fotografien kein Novum mehr für die versierten Internetnutzer und sie arbeiten relativ offen mit Bildbearbeitungsprogrammen. Diese dienen ihnen aber nicht nur zur Nachbearbeitung von manuellen Fehlaufnahmen, sprich der Veränderung von Helligkeit, Kontrast und Farbe, sondern auch zur aktiven Umgestaltung des Abbildes durch Filter und Effekte sowie durch das collagenartige Hinzufügen von weiteren Objekten und Kommentaren oder Zusammenstellen mehrerer Fotografien zu einem Bild. Innerhalb eines Ich-Albums findet man relativ oft die Originalaufnahme neben einem, durch Filter und hinzugefügte Symbole digital neu inszenierten Abbild des eigenen Körpers. Die digitale Ebene der Selbstinszenierung zeigt sich deshalb nicht nur in der Bearbeitung des Bildes an sich, sondern auch in dessen Einbettung in die Umgebung des Albums, in dem verschiedene Aufnahmen des Körpers versammelt werden und somit auch bestimmte Merkmale eindeutig in den Vordergrund gestellt werden.

Am Ende dieses Prozesses liegt ein Abbild des eigenen Körpers vor, welches stark symbolisch aufgeladen ist und den Rezipienten vor eine komplexe Inszenierung des jeweiligen Nutzers stellt. Durch die vielfältigen Möglichkeiten der Selbstinszenierung im Studivz eröffnet sich für die Nutzer eine visuelle Spielwiese der ludischen Identitätserprobung. Für Angela Tillmann bieten die virtuellen Communities vor allem Gelegenheit »zur Selbstdarstellung, [...] zur Orientierung und für die Herstellung von Zugehörigkeit [... und zum] Durchspielen von möglichen Selbsten« (TILLMANN 2006: 47). In dieser Möglichkeit trifft sich das soziale Netzwerk mit den verschiedenen Jugendkulturen, denen die jungen Nutzer angehören.

5. Jugendkultur im Studivz

Die Schnittstelle zwischen der Jugendsubkultur und der virtuellen Community liegt insbesondere im Aspekt Durchprobierens von Identitäten. Schließlich dient kultureller Protest, wie er sich insbesondere bei Jugendsubkulturen äußert, auch diesem Spiel. »Der subkulturelle Protest«, so Rainer Paris,

»ist ein Terrain, das es erlaubt, mit abweichenden Identitäten zu spielen und zu experimentieren, also Abweichung auszutesten und zugleich implizit revidierbar zu halten.« (PARIS 2000: 55 f.)

Es ist nicht erstaunlich, dass die Jugendkulturen dafür, als Vorreiter solcher Entwicklungen im Internet, auf die Möglichkeiten der Communities zurückgreifen:

»Heute sind Jugendkulturen mit ihrem rasanten Tempo auf der ›Höhe der Zeit‹ – etwa als Trendsetter für Konsummuster, Mediennutzung und die Tourismusbranche. Ihre Offenheit und rasche Nutzung von neuen Technologien macht einige Jugendsubkulturen (Hacker, Computerkids, ›Techno‹-Fans etc.) sogar zu technologischen Avantgarden.« (ROTH/RUCHT 2000: 22)

Im Studivz können die Jugendlichen ihre subkulturellen Identitäten inszenieren, die Integration in eine Gruppe Gleichgesinnter suchen und sich zugleich als oppositionell zur Hochkultur darstellen, im weitesten Sinne können sie folglich Kulturarbeit betreiben.

Meines Erachtens sind die Ich-Alben im Studivz prädestiniert für eine visuelle Kulturarbeit im Sinne von aktiver Identitätskonstruktion. In den Autoporträts des Albums äußert sich visuell der jeweilige subkulturelle Stil des Autors.

»Der subkulturelle Stil sagt einiges über die Intensität der Bindung aus und lässt Rückschlüsse auf eine spezifische Subkultur zu. Schon im bloßen Erscheinungsbild drücken sich Missachtung der oder Angriff auf die herrschenden Wertmaßstäbe aus.« (BRAKE 1981: 19 f.)

Mike Brake unterscheidet beim Stil die drei Hauptkomponenten Image, Haltung und Jargon. Das Image, das sich laut Brake im Erscheinungsbild äußert, transportiert spezifische Symbole, die den Jugendlichen als zugehörig zur Subkultur markieren und seine restliche Identität mit der als Rahmen fungierenden Kultur verbinden (vgl. BRAKE 1981: 20). Der Körper spielt für den Jugendlichen somit eine entscheidende Rolle zur Konstitution von subkultureller Identität. Diese symbolische Verwendung des Images dient gemäß den oben geäußerten Überlegungen nicht nur der realweltlichen Manifestation einer eigenen Subkultur, sondern kommt insbesondere in den Körperbildern des Studivz zum Tragen.

In enger Verbindung zu den restlichen Identitätsinformationen im Profil wirken die Körperbilder als Zeichen innerhalb der gesamten Selbstinszenierung des Nutzers. Sie reihen sich folglich in die Struktur symbolischer Ausdrücke der Jugendkultur ein. Soll das Profil entsprechend der Zugehörigkeit zu einer Subkultur gestaltet werden, so muss eine – zumindest graduelle – Kohärenz zwischen den textuellen und bildlichen Informationen vorliegen. Der Nutzer sucht dementsprechend nicht nur in Interaktion mit anderen, sondern auch profilintern die Wahrung seines subkulturellen Gesichts. Das Gesicht – face – wird hier in der Notion von Goffman als »an image of self delineated in forms of approved social attributes« (GOFFMAN 1967: 5) verwendet. Geht man von einer Konstruktion dieses Gesichts über Zeichen aus, so spiegeln sich die, von Goffman angesprochenen, sozialen Attribute im kulturellen Hintergrund der Deutung von symbolischen Zeichen.

6. Sampling, Ausdrucksarsenale und multiperspektivische Bilder

Was sind nun spezielle, häufig auftretende Eigenschaften der Körperaufnahmen in den Ich-Alben der Angehörigen einer Jugendsubkultur? Im folgenden Abschnitt sollen einige symbolische Auffälligkeiten innerhalb des Ich-Albums unter dem Aspekt der jugendkulturellen Abgrenzung – und in dem Sinne auch Eingrenzung – beschrieben werden. Zusätzlich werden konkrete Beispiele aus der Jugendkultur der Emos herangezogen.

Wie oben besprochen bestehen die Ich-Alben in den meisten Fällen aus mehreren Aufnahmen des Körpers. Diese zeigen jeweils individuelle Aufnahmen des Körpers in einer bestimmten Pose, mit einem bestimmten Gesichtsausdruck. Die Fotografien werden zudem mit einem Bildbearbeitungsprogramm nachbearbeitet, mit weiteren Bildern verbunden oder mit grafischen Zeichen ausgestattet. Zunächst soll die reale Präsenz des Objekts im fotografischen Prozess betrachtet werden. Hier fällt auf, dass der Körper tatsächlich eine starke Rolle für die Inszenierung der subkulturellen Identität spielt: Der Körper wird im Sinne der Zugehörigkeit ausgeschmückt und mit entsprechenden Symbolen versehen. Jede Jugendkultur hat in diesem Sinne ihre dominante, körperliche Symbolsprache, die sich beim Punk z.B. in grellen Haarfarben, Irokesen-Schnitten und Lederjacken mit Nieten zeigt. In den virtuellen Körperaufnahmen wird dieser Stil natürlich repliziert, um auch im Internet die physische Zugehörigkeit zu markieren.

Die Emo-Kultur entstand zunächst aus einem musikalischen Genre – dem Emotional Hardcore. Dieser entwickelte sich Mitte der Achtziger Jahre aus dem Hardcore-Punk und wendete sich als Antwort auf die aggressive Musik eher gefühlsbetonten, dennoch energetischen Weisen zu. Seit ca. Ende der Neunzigerjahre ging diese Underground-Kultur einen Stilwandel ein. Die Musik wurde populär, die Subkultur wurde zum Jugendtrend, ähnlich wie es zuvor dem Punk gegangen ist. Sie entwickelte sich von der hauptsächlich musikalisch definierten Subkultur durch Erweiterung auf einen bestimmten Lifestyle und eine gewisse charakterliche Festlegung zum Modephänomen. Die Emos schöpfen heute aus dem Symbolrepertoire anderer Subkulturen, insbesondere dem Punk, dem Gothic, aber auch der Manga-Kultur und dem Cyberpunk. Letztere hängt eng mit der geschichtlichen Überschneidung von der Popularisierung der Emo-Kultur und der schnellen Popularisierung des Internets zusammen. So ist die Jugendkultur quasi im Internet groß geworden, sie wurde insbesondere durch Social Networks, wie z.B. der stark musikorientierten Plattform Myspace.com und der Videoplattform Youtube.com verbreitet. Aufgrund dieser schnellen Verbreitung im Internet sind die jugendlichen Anhänger des Emo als Lifestyle und Jugendkultur zum Teil jünger als 13 Jahre. Allgemein zeichnen sich die Emos durch eine nach außen getragene Melancholie, Introversion und Sensibilität aus. Oftmals demonstrieren sie diese Gefühlsmäßigkeit in der Verehrung bestimmter Musik, in selbstgeschriebenen Songs oder Gedichten und letztendlich auch in den Selbstporträts, die sie in virtuellen Netzwerken veröffentlichen.

Wie andere Subkulturen verweisen die Emos in ihren Ich-Alben auf ihre konkret körperliche Symbolik. So erkennt man bei ihnen oftmals eine auffällig gestylte Frisur mit grellen Farben, die an Punk, aber auch an Charaktere in Manga-Comics erinnert, sind dunkel geschminkt und tragen schwarz gefärbte Fingernägel wie Gothics. Selbstverständlich tauchen auch bei den Emos direkte Modifikationen des Körpers, also Tattoos und Piercings auf, welche bei vielen Subkulturen Formen des Widerstands per se sind. Interessant ist allerdings die Neubewertung dieser Zeichen ›harter‹ Subkulturen durch die Verbindung mit einer explizit ›mädchenhaft‹ sensiblen Symbolik. Diese drückt sich in Sternchen, Herzen, rosa Kleidern und Anklängen an die sexuell konnotierte Burlesque- und PinUp-Bewegung aus . Des Weiteren wird die ursprüngliche Symbolik nicht nur durch den Wiederaufgriff förmlich konsumiert, sondern auch mit Elementen der Populärkultur und der Konsumgesellschaft gemischt. Beispielhaft für diese Eigenschaft der verbreiteten Jugendkultur ist die omnipräsente Emily-the-Strange-Figur , aber auch bestimmte Schuh-Marken. Die Neubewertung der Zeichen anderer Subkulturen lässt sich mit dem Begriff des Samplings fassen. Sascha Kösch fasst die Kulturmethode Sampling als Aufnahme eines Signifikanten unter Neubewertung des Signifikats (vgl. KÖSCH 2001: 181). Nicht nur ihr Körper, sondern insbesondere die gesammelte Darstellung mehrerer Abbilder ihres Körpers im Ich-Album erlaubt den Emos in besonderer Weise, diese Methode des Samplings durchzuführen.

So wird subkulturelle Körperlichkeit in den virtuellen Fotoalben als Spiel in mehreren Perspektiven, verschiedenen Teilsymboliken, Körperausschnitten und -details neu konzipiert. Die Neubewertung des Körpers entsteht insbesondere in den späteren Ebenen des digitalfotografischen Prozesses. So wird beim Auslösen durch den Fotografen ein bestimmtes Bild des fotografierten Objektes festgehalten. Durch die Steuerung des Ausdrucks können die Jugendlichen mehrere Abbilder von sich selbst erstellen und im Album nebeneinander präsentieren. In diesen aneinandergereihten Momentaufnahmen liegt insbesondere ein Schwerpunkt auf der wechselnden Ausschmückung des Körpers und auf dem jeweils gezeigten körperlichen Ausdruck. Dadurch entsteht eine Art Arsenal an verschiedenen Emotionen, die über Gesichtsausdruck und Körperhaltung inszeniert werden, und Teilcharakteren. Diese repräsentieren zumeist einen entscheidenden Teil der subkulturellen Identität. Durch die Steuerung des Ausdrucks im Selbstporträt des Nutzers findet die Trennung zwischen Körper und Geist eine Auflösung – der Körper fügt sich in Posen, um Merkmale des Charakters – in der Emo-Subkultur, um es ironisch zu formulieren, zwischen vor-Schmerz-schreiend, melancholisch-nachdenkend und einfach nur süß (vgl. Abb. 1) – auszudrücken.



Abbildung 1


Des Weiteren findet sich häufig die Abbildung lediglich eng gesetzter Details des Körpers (vgl. Abb. 2).



Abbildung 2


Beispielsweise besteht das Ich-Album aus Detailaufnahmen von der Hand, dem Mund, den Augen, in einigen Fällen auch des Bauchnabels. Diese werden zudem oftmals durch ein resümierendes Abbild des gesamten Körpers ergänzt. Die Details werden in Funktion des Identitätsausdrucks gewählt. Jedoch wird der Mund nicht nur abgebildet, weil man ihn als schön empfindet, sondern er dient der Fokussierung subkultureller Merkmale, was sich in einem bestimmten Lippenstift oder, stärker noch, in einem Zungenpiercing ausdrückt. Die stark vergrößerte, fokussierte Aufnahme solcher Symbole legt damit einen Akzent auf die von ihm ausgewählten Identitätsmerkmale des Nutzers. Er bestimmt, welche Bestandteile seines Körpers als konstituierend für das ganze Ich stehen sollen und führt den Rezipienten somit durch die Elemente seiner Identität. Durch die Zusammenführung der Details wird eine körperliche Einheit hergestellt und wiederum mit der Identität des Nutzers gekoppelt.

Im Gegensatz zur detaillierten Darstellung des Körpers scheinen die Nutzer ebenso die Abbildung der Gesamtheit zu beanspruchen. Nicht nur durch die Aneinanderreihung von Fotos im Album, sondern durch die Verkettung verschiedener Aufnahmen in einem einzigen Bild. Durch die Nachbearbeitung in Bildbearbeitungsprogrammen lassen sich so relativ komplexe Collagen erstellen, die Körperbilder ineinander verschachteln oder in einigen Beispielen kunstvoll nebeneinander stellen (vgl. Abb. 3).



Abbildung 3


Durch die unterschiedliche Perspektive auf den Körper – ob er von vorn oder in der Rückansicht, ob von unten oder in der Draufsicht aufgenommen – können sich so multiperspektivische Bilder, die an die Werke von Picasso erinnern, ergeben. Dies lässt sich einerseits mit der verlorenen, körperlichen Präsenz im Internet erklären, wird doch so der Versuch unternommen, durch zweidimensionale Abbildungen der dreidimensionalen Konstitution des realen Körpers Rechnung zu tragen. In der Interaktion mit anderen Nutzern ist jedoch vielmehr der pragmatische Aspekt einer solchen Darstellung zu betonen. Der abgebildete Körper wird in der dadurch intendierten Dreidimensionalität als Ganzes für den Rezipienten greifbar, es wird eine kulturelle Einheit konstruiert. Dies führt dazu, dass der Nutzer als authentische und reale Person erscheint und seine textuelle Identitätskonstruktion im Profil an Glaubwürdigkeit gewinnt. Zudem muss ein Akzent auf die Konstruktion solcher ganzheitlicher Bilder gelegt werden. Der Nutzer erarbeitet hier eine neue Form von Körperlichkeit, die nicht nur als Ersatz für die reale Existenz zu sehen ist. Vielmehr wird die Inszenierung besonders ausdrucksstark, wenn sie mit der realkörperlich subkulturellen Ausschmückung gekoppelt wird. Die Jugendlichen nutzen die Gegebenheiten im Ich-Album, um sich effektiver in ihrer Subkultur inszenieren zu können, Zugehörigkeit herzustellen und darüber hinaus jugendkulturelle Interaktion zu gewährleisten.

7. Mediale Identitäten?

Die Jugendlichen stellen sich in ihren digitalen Fotoalben aus, nicht nur in Form von zufälligen, fotografischen Aufnahmen im Urlaub, sondern über gezielt für das soziale Netzwerk erstellte Autoporträts, die in Ich-Alben veröffentlicht werden. Dennoch dürfen diese Abbildungen nicht nur als Wiedergabe ihrer realen Körperlichkeit gedacht werden. Die jungen Nutzer übersteigen in ihren Körperzeichen das Niveau der Abbildung im Sinne des ikonischen Zeichens nach Peirce. Die Zeichen besitzen vielmehr eine neue, symbolische Ebene, die neben der vermittelten Glaubwürdigkeit auch der gezielten virtuellen Identitätskonstruktion dient. Jedoch ist dies nicht im Sinne von ehemaligen, grafischen Darstellungen, wie z.B. Avataren, zu verstehen. Vielmehr steht die Körperlichkeit als komplexer Anklang an die reale Existenz in elementarer Verbindung zu den restlichen textuellen, hypertextuellen und grafischen Identitätsinformationen.

In diesem Sinne begegnet die Funktion der Ich-Alben der Subkultur: In beiden Bereichen suchen die jungen Nutzer nach Zugehörigkeit und Abgrenzung durch Identitätskonstruktion. Wie am Beispiel der Emo-Subkultur gezeigt wurde, kann in den Selbstporträts ein subkulturelles, virtuelles Ich kreiert werden. Die Jugendlichen inszenieren sich über die Ich-Alben im Rahmen ihrer Subkultur als Individuen – sie greifen nicht auf starre Symboliken zurück, sondern sampeln Subkulturtechniken anderer Strömungen, um sie in ihre kulturell-individualistische Symbolik einzufügen. Die Zeichen ihrer Subkultur entstehen demnach aus der diskursiven Vermittlung zwischen ihren individuellen Collagen und dem subkulturellen Konsens.

Dieser Vorgang zeigt sich für alle Jugendsubkulturen im Übergang in die virtuelle Welt: Sie nutzen die Materialität des Körpers, um sie in die Virtualität zu überführen. Auf dem Weg dorthin ändert sich seine Darstellung grundsätzlich. Einerseits versuchen sie durch neue Techniken dem Anspruch der mangelnden Materialität gerecht zu werden, andererseits spielen sie mit den Techniken der Köperinszenierung, entfremden sie durch fotografische Kunstgriffe und betten sie in neue, digitale Zusammenhänge ein. Dadurch erstellen die Jugendlichen eine neue Identität für das Internet, im Sinne von Lutz Ellrich: »Mediale Identität ist […] ein genuines Phänomen und keine technische Reproduktion einer natürlichen oder eigentlichen Gegebenheit.« (ELLRICH 2000: 90)

In der Exponierung ihres neuen Körpers im Internet stellt sich der potenzierte Widerstand der Subkultur dar: Für die Jugendlichen ist das Web keine abstrakte Welt mehr, sondern ein greifbar real-sozialer Raum zur Darstellung ihrer Identität.


Literatur

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  • GOFFMAN, ERVING: On Face-Work. An analysis of ritual elements in social interaction. In: GOFFMAN, E.: Interaction Ritual. New York [Anchor] 1967, S. 5-45
  • HAMANN, GÖTZ: Meine Daten sind frei. In: Die Zeit, Vol. 62/45. Hamburg [Zeitverlag Gerd Bucerius] 31.10.2007
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  • SCHERGER, SIMONE: Die Kunst der Selbstgestaltung. In: BECKER, B.; SCHNEIDER, I. (Hrsg.): Was vom Körper übrig bleibt. Körperlichkeit – Identität – Medien. New York/Frankfurt/M. [Campus] 2000, S. 235-251
  • SCHMIDT, JAN: Weblogs. Eine kommunikationssoziologische Studie. Konstanz [UVK] 2006
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  • TILLMANN, ANGELA: Doing Identity: Selbsterzählung in virtuellen Räumen. In: TILLMANN, A.; VOLLBRECHT, R. (Hrsg.): Abenteuer Cyberspace. Jugendliche in virtuellen Welten. Frankfurt/M. (u.a.) [Lang] 2006, S. 33-49