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Phänomenologie, Semiotik und Bildbegriff: Eine kritische Diskussion (Teil 1)


Autor: Matthias Händler
[erschienen in: IMAGE 13 (Ausgabe Januar 2011)]

Schlagwörter: Bildtheorie, Phänomenologie, Semiotik, Anthropologie, Darstellung (des Bildes), symbolische Kommunikation, Wahrnehmung, Bildrezeption, Fiktionalität, Diskussion

Disziplinen: Medien- und Kommunikationswissenschaft


This paper aims at a discussion of Lambert Wiesing’s phenomenological picture theory.
First, it presents Wiesing’s position in detail. It subsequently goes on to show the weaknesses and (terminological) problems of this kind of picture theory with the help of semiotic science and communication science.
Moving on from this discussion the essay tries to develop a thesis to answer the question „What is a picture?“. It introduces the claim that a picture’s perception and recognition, understood to be a symbolic medium of communication, necessarily needs to be conducted in fictionality’s manner of reception. This means that the „how“ of the visual presentation forces the viewer to confront the visual object in a „pretend as if“-attitude in order to enable him/her to recognize it as a picture. Even though the observer knows that the recognized visual object is not a real object, he talks about it as if it would be one. Still, he does not treat it like a real object. The way the picture-object is depicted, determines the communication and the treatment of the picture’s representation, or in other words: a picture’s references to fictionality make its observer treat the picture-object like a fictitious construct though he knows that this is actually not the case like, for example, in a live broadcast on television.


Dieser Beitrag diskutiert den phänomenologischen Bildbegriff von Lambert Wiesing. Zunächst wird dessen Position ausführlich präsentiert, um anschließend mit Hilfe der Semiotik und der Kommunikationswissenschaft die Schwachpunkte und (terminologischen) Probleme dieser Form der Bildtheorie aufzuzeigen.
Aus dieser Diskussion heraus versucht der Aufsatz eine These zur Beantwortung der Frage „Was ist ein Bild?“ zu entwickeln. Diese These besagt, dass die Wahrnehmung und das Erkennen eines Bildes (das als symbolisches Kommunikationsmedium begriffen wird) notwendig in der Rezeptionshaltung der Fiktionalität getätigt werden müssen. Das bedeutet, dass das „Wie“ der bildlichen Darstellung den Betrachter dazu zwingt, dem erkannten Bildobjekt in einer „so-tun-als-ob“-Haltung gegenüberzutreten, um es als Bild zu erfassen. Obwohl der Betrachter weiß, dass die erkannte Bilddarstellung kein reales Objekt ist, spricht er so darüber, also ob es eines wäre, behandelt es aber nicht so. Das „Wie“ des Bildobjekts determiniert also die Kommunikation und die Behandlung gegenüber der Darstellung des Bildes, oder anders ausgedrückt: Die Fiktionalitätsverweise eines Bildes führen den Bildbetrachter dahin, dass er das Bildobjekt wie einen fiktiven Gegenstand behandelt, auch wenn dies, wie z.B. bei einer Live-Schaltung im Fernsehen, keiner ist.

1. Einleitung

In diesem Aufsatz, der im Rahmen eines Hauptseminares mit dem Titel „Anthropologie des Bildes“ entstanden ist, geht es um die kritische Diskussion des phänomenologischen bzw. wahrnehmungstheoretischen Bildbegriffes von Lambert Wiesing, dessen Kritik an den anderen Ansätzen der Bildtheorie und um die Skizze eines Vorschlages, wie man das Wesen des Bildes noch auf eine andere Art erfassen und bestimmen kann.

Im Seminar selbst wurde der Begriff „Bild“ vornehmlich aus der anthropologischen Sichtweise diskutiert, wobei unter anderem Texte von Hans Jonas, Ferdinand Fellmann, Hans Belting und Jean Paul Sartre besprochen wurden. Diesen Autoren ist gemein, dass sie die Fähigkeit Bilder zu erschaffen bzw. mit diesen umzugehen als genuin mensch-liche Eigenschaft betrachten, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Dass dies aber nur eine Verkürzung der These vom Menschen als symbolischem Wesen darstellt, soll unter anderem in dieser Arbeit gezeigt werden.

Der letztgenannte Autor steht bildtheoretisch dezidiert in der phänomenologischen Tradition, wodurch er zusammen mit den Philosophen Edmund Husserl und Konrad Fiedler die argumentative Grundlage für Wiesings Bildbegriff darstellt. Zunächst muss aber folgendes festgehalten werden: Betrachtet man die drei wirkmächtigsten Formen der Bildtheorie (Phänomenologie, Semiotik und Anthropologie), kann man feststellen, dass sich die phänomenologischen und anthropologischen Standpunkte argumentativ recht nahe stehen, wenn es um die Beschreibung der inneren Bildstrukturen geht. Daher wird in diesem Aufsatz der Fokus auf der phänomenologischen Argumentation liegen, da diese auch die Grundlage der anthropologischen Bildbeschreibung ist. Beide Ansätze gehen davon aus, dass es sich bei einem Bild nicht um ein Zeichen handelt, sondern um eine besondere Form des Seins bzw. der künstlichen Präsenz. Die Differenz der beiden Theorien liegt darin, dass die anthropologisch fundierten Theorien ein Bild als vom Menschen geschaffenes Artefakt betrachten, was die phänomenologische Bildtheorie ablehnt. Ihrer Meinung nach ist allein die „artifizielle Präsenz“ bzw. die „bloße Sichtbarkeit“ des Bildes die notwendige Eigenschaft, die auch ohne jegliches Zutun des Menschen entstehen kann. Diesen beiden Ansätzen gegenüber stehen die semiotischen bzw. sprachphilosophischen Bildtheorien, die jedem Bild die notwendige Eigenschaft zusprechen wollen, ein (symbolisches) Zeichen zu sein, was sowohl Phänomenologie als auch Bildanthropologie kategorisch ablehnen.

Wiesings Arbeit zeichnet sich nun dadurch aus, das er neben der Verteidigung und Etablierung phänomenologischer Argumente für den Bildbegriff auch die Argumente der anderen Bildtheorien einer dezidierten Kritik unterzieht, sie also auf ihre Geltung hin betrachtet. Und genau diese Vorgehensweise ist es, die das Thema dieser Arbeit darstellt. Es soll nämlich konkret überprüft und diskutiert werden, inwiefern Wiesings Argumente für die notwendige Fundierung des Bildbegriffes durch die Phänomenologie zutreffen und inwiefern seine Argumente gegen die semiotische und anthropologische Bildtheorie Geltung beanspruchen können und an welchen Stellen es Probleme gibt.

Um dies zu bewerkstelligen, wird im ersten Teil dieser Arbeit in vier Unterkapiteln Wiesings Bildbegriff mit seinen pro phänomenologischen und contra semiotischen bzw. contra anthropologischen Argumentationen präsentiert. Wiesings Begründung für die notwendige Bestimmung des Bildbegriffes durch die Phänomenologie wird collagenartig aus seinen bisherigen Studien zusammengetragen und präsentiert, wobei auch die Argumente gegen die semiotische und anthropologische Fundierung des Bildbegriffes dargestellt und anschließend in einem gesonderten Kapitel diskutiert werden sollen. Das die Diskussion in einem extra Kapitel ausgeführt wird, ist dem Versuch geschuldet, die Wiedergabe der z.T. komplexen Argumentationsstrukturen nicht zu unterbrechen, um zu einem kohärenten Gesamtbild der phänomenologischen Position zu gelangen.

Wie im Inhaltsverzeichnis bereits zu lesen war, gibt es während der Diskussion zwei Exkurse zu den Begriffen der „Kommunikation“ und der „Fiktion“ bzw. „Fiktionalität“. Diese beiden Exkurse sind notwendig, da diese Arbeit von folgender, später noch zu belegender Prämisse ausgeht: Bilder sind notwendig symbolische Zeichen, die innerhalb eines Prozesses der symbolischen Kommunikation in der Wahrnehmungshaltung der Fiktionalität rezipiert werden müssen, um Bilder überhaupt als solche zu erkennen. Dies heißt allerdings nicht notwendig, dass Bilder fiktiv sein müssen, um in dieser Haltung rezipiert zu werden. Was genau damit gemeint ist und welche Argumente für eine derartige Sichtweise sprechen, wird in der Diskussion deutlich werden.

Die Ergebnisse dieser kritischen Diskussion werden abschließend in einem kurzen Fazit zusammengefasst und präsentiert.

2. Der Bildbegriff von Lambert Wiesing

Lambert Wiesing hat seinen phänomenologisch fundierten Bildbegriff in mehreren Arbeiten entworfen und konkretisiert, wobei er stets betont, dass die notwendige Eigenschaft für die Definition eines Bildes in seiner „artifiziellen Präsenz“ liegt, so auch der gleichnamige Titel eines seiner wichtigsten Veröffentlichungen zum Bildbegriff, die der folgenden Darstellung als argumentativer und formaler Leitfaden dient. Sie kann für Wiesings Schaffen als repräsentativ angesehen werden (vgl. Wiesing 2005). Die „bloße Sichtbarkeit“ für die visuelle Wahrnehmung ist nach Wiesing das entscheidende Kriterium für die Bestimmung des Bildbegriffes, wobei er stets anmerkt, dass diese bloße Sichtbarkeit nicht notwendig ein Zeichen oder ein menschliches Artefakt sein muss, wie dies von den semiotischen und anthropologischen Bildtheorien vertreten wird (vgl. Ebd. S. 17f).

Die phänomenologische Bildtheorie geht von folgender Prämisse aus: „Das Wesentliche des Bildes besteht darin, daß man auf einem Bild etwas sehen kann, was ohne Bilder nicht zu sehen wäre. Bilder zeigen etwas, was sie selbst nicht sind.“ (Wiesing 2000, S.10)

Wie Wiesing seine Argumentation aufbaut und gegen die anderen Ansätze verteidigt, soll in den folgenden Kapiteln erläutert werden.

2.1 Der anthropologische Ansatz und Wiesings Kritik

Wiesing beginnt seine Argumentation in „Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes“ in dem er zunächst die anthropologischen und semiotischen Ansätze vorstellt und sie einer dezidierten Kritik unterzieht, wobei er aus dieser Kritik bereits einige seiner späteren Argumente ableitet. Hierfür stellt er zunächst die bildanthropologischen Arbeiten von Hans Jonas, Jean Paul Sartre und Hans Belting vor.

Nach Jonas baut die anthropologische Bildtheorie auf dem Gedanken auf „daß ein Bild ein Artefakt ist, welches ausschließlich Menschen herzustellen in der Lage sind. Sollte ein Bild gefunden werden, darf mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß dieses von einem Menschen hergestellt wurde.“ (Wiesing 2005, S.18) Nach Jonas ist die Fähigkeit, ein Bild zu produzieren, gleichzusetzen mit den Bedingungen der Möglichkeit des „bewußten, menschlichen Daseins.“ (Ebd. S. 19) Grundlage für diese genuin menschliche Fähigkeit ist nach Jonas die Einbildungskraft, welche es ermöglicht, Vorstellungen auch zu Darstellungen zu verarbeiten, wobei demnach auch die handwerkliche Fähigkeit zur Produktion von Bildern notwendig ist. Der Mensch muss also von der Welt zurücktreten, um „sich von der wahrnehmbaren Daseinssituation eine Vorstellung bilden zu können.“ (Ebd. S. 20)

Das Zurücktreten von der Welt durch das Bewusstsein stellt hierbei keine explizite These Jonas´ dar, sondern ist nach Wiesing wie eine Art roter Faden zu sehen, der sich durch diejenigen Bildtheorien zieht, „die dem Bild die Rolle zusprechen, die Bedingungen des menschlichen Daseins oder gar des Bewußtseins zu zeigen.“ (Ebd. S. 20)

Das bedeutet, dass die anthropologischen Bildtheorien die spezifische Fähigkeit des Menschen darin sehen, Bilder zu produzieren und nicht etwa zu sprechen (vgl. Ebd. S. 20), was letzt-endlich auch bedeutet, dass sie Bilder nicht notwendig als Zeichen und demnach auch nicht als Kommunikationsmedien zu begreifen sind, was in einem späteren Exkurs noch ausführlich diskutiert werden soll.

Wiesing meint nun, das vor Jonas kein geringerer als Sartre die Bedeutung der Einbildungskraft am deutlichsten herausgearbeitet hat und zwar in seiner Studie „Das Imaginäre“ von 1940. Dort stellt Sartre die These auf, dass das ganze Bewusstsein die Vorstellungskraft bzw. das Imaginäre ist und nicht bloß ein Zusatz zum Bewusstsein. Ähnlich wie Jonas benutzt auch Sartre eine Metapher der Distanz, um die Vorstellungskraft zu beschreiben, in dem er sagt, dass man einen Abstand zur Welt nehmen muss, damit sich das Bewusstsein etwas vorstellen kann. Diesen Autoren ist also gemein, dass sie nicht nur die Fähigkeit, Bilder zu schaffen als genuin menschliche Fähigkeit begreifen, sondern dass sie die Produktion von Bildern überhaupt als Bedingung der Möglichkeit des menschlichen Bewusstseins und Daseins sehen (vgl. Ebd. S. 21f). Wiesing fasst diesen Schlüsselgedanken systematisch wie folgt zusammen: „Die Rede von inneren und äußeren Bildern, von Bildern im Geiste und Bildern an der Wand ist keine Äquivokation. In inneren und äußeren Bildern ist gleichermaßen ein Bewusstsein von etwas, das nicht anwesend ist, angesprochen.“ (Ebd. S. 22) Diese Überlegung führt letztendlich zu der Konsequenz, dass der anthropologische Standpunkt nicht zwischen mentalen und physischen Bildern unterscheidet, sondern einen engen Zusammenhang zwischen beiden sieht. So meint Belting, dass die Bilder nicht nur notwendig mit der menschlichen Erinnerung und Vorstellung verbunden sind, sondern dass der eigentliche „Ort der Bilder“ nicht irgendein physischer Gegenstand, sondern der Mensch selbst ist. Diese Annahme führt dann konsequenterweise zur Forderung, die Kunstgeschichte bei der Erforschung von Bildern durch die Anthropologie abzulösen.

Selbstverständlich wurde an dieser Forderung auch Kritik geübt, was sich schlussendlich an zwei Punkten verdeutlichen lässt. So merkt Wiesing erstens an, dass Belting dieser Forderung eine Begründung schuldig bleibt, und zweitens, dass sich die bisherigen Überlegungen zu einem undifferenzierten Bildbegriff entwickeln müssen. Es stellt sich nämlich die Frage, inwiefern das Gleichsetzen von inneren und äußeren Bildern sinnvoll ist, da man prinzipiell doch zwischen sicht- und beschreibbaren Artefakten und nichtsichtbaren mentalen Bildern, die sich der wissenschaftlichen Analyse entziehen, unterscheiden kann. Wiesing merkt weiter an, dass die anthropologische Formel, dass „Bilder vom Menschen“ sind, häufig in einer doppelten Funktion verwendet wird. Zum einen in dem Sinne, dass Bilder vom Menschen gemachte Artefakte sind, und zum anderen, dass Bilder vom Menschen handeln, eben Menschen abbilden (vgl. Ebd. S. 22ff). Dies führt nach Wiesing dazu, dass die „anthropologische Betrachtung des vom Menschen gemachten Bildes sich in nicht wenigen Fällen unbegründet auf die Bilder konzentriert, die auch Menschen zeigen oder spezifisch menschliche Themen haben.“ (Ebd. S. 24)

Bilder, die einen spezifischen, nämlich vorrangigen Inhalt menschlicher Natur haben, werden dadurch implizit aufgewertet, was letztendlich eine Verengung des Bildbegriffes darstellt, der sich interessanterweise auch in der Kunstgeschichte findet, die die Bildanthropologie ja eigentlich ablösen will. Es ist prinzipiell nicht einzusehen, und es wird auch nicht von der Bildanthropologie begründet, warum Bilder die Menschen zeigen, eine wichtigere Bedeutung haben sollen, als Bilder mit anderem Inhalt (vgl. Ebd. S. 24f).

Nach dem Vorstellen dieser Kritikpunkte geht Wiesing in seiner Argumentation nun dazu über, den zeichentheoretischen Standpunkt einer Kritik zu unterziehen.

2.2 Der zeichentheoretische Ansatz und Wiesings Kritik

Wie eingangs dieser Arbeit erwähnt, sieht der semiotische Ansatz die notwendige Bedingung eines jeden Bildes darin, dass es ein Zeichen ist, wie dies unter anderem der Bildsemiotiker Oliver Scholz explizit formuliert: „Damit etwas ein Bild ist, muss es ein Zeichen sein; und damit etwas ein Bild von einem Ding ist, muss es ein Zeichen (besonderen Typs) von diesem Ding sein.“ (Scholz 2009, S. 28)

Aus dieser Perspektive ist es dann auch nicht notwendig, eine eigene Disziplin der Bildwissenschaft zu etablieren, sondern es genügt eine entsprechende Semiotik bzw. eine Sprachphilosophie auszuarbeiten. Aus diesem Grund nennt Nelson Goodman, einer der Hauptvertreter des semiotischen bzw. sprachphilosophischen Ansatzes, sein Hauptwerk auch „Languages of Art“, was eben einer allgemeinen Symboltheorie, denn einer Bildtheorie gleichkommt. Bilder stellen bei ihm, wie auch bei anderen Vertretern dieser Richtung eine besondere Form des Zeichens dar, wobei die Meinungen über die inner-semiotischen Besonderheiten des Bildes auseinander gehen. Ein Beispiel für diesen Dissens innerhalb der Semiotik wäre die Kategorie der Ähnlichkeit (vgl. Wiesing 2005, S. 26f).

Während bspw. Charles Sanders Peirce, die möglichen Formen eines Zeichens in „Ikon“ (Zeichen-Objekt-Relation, also sichtbare Ähnlichkeit, wie bspw. bei einem Foto), „Index“ (natürliche bzw. physikalische Verbindung zwischen Zeichen und Objekt, bspw. eine Spur in Form eines Fußabdruckes) und „Symbol“ (Beziehung zwischen Zeichen und Objekt wird durch ein Gesetz in Form einer Konvention erzeugt, bspw. die weiße Taube als Symbol für Frieden) unterscheidet und damit auch die Ähnlichkeitsbeziehung eins Ikons mit dem Bezeichneten betont (vgl. Halawa 2008, S.64), setzt Goodman den Symbol- und Zeichenbegriff synonym ein, was letztendlich auch zu terminologischen Schwierigkeiten führt, wenn er z.B. betont, dass Bilder nicht über die Ähnlichkeit zu anderen physischen Objekten bestimmt werden können, da dies bei allen Formen des Symbolisierens der Fall ist. Goodman meint, dass ein Bild notwendigerweise ein Symbol sein muss, um einen anderen Gegenstand repräsentieren zu können, jedoch ist für diese Bezugnahme keine Ähnlichkeit erforderlich, da jeder Gegenstand oder jede Sache für etwas anderes stehen kann. Das entscheidende bei dieser Form der Repräsen-tation ist nach Goodman die Art der Bezugnahme oder noch genauer, der Denotation (vgl. Wiesing 2005, S. 27). Wiesing hält an dieser Stelle fest, dass wenn man diesen Gedanken ernst nimmt, es dazu führt, dass „Bilder aufgrund von gelernten Konventionen und nicht aufgrund einer sichtbaren Ähnlichkeit derjenigen Dinge sind, von denen sie Bilder sind.“ (Ebd., S.27)

Neben der Frage der Ähnlichkeit differenziert der zeichentheoretische Ansatz, wie die anderen Bildphilosophien auch, zwischen verschiedenen Strukturen des Bildes. So kann man zwischen dem Darstellenden, der Darstellung und dem Dargestellten unterscheiden, wobei die unterschiedlichen Theorien des Bildes die Auslegung dieser drei Begriffe anders gestalten. Beim semiotischen Ansatz meint das Darstellende bei einem Bild den darstellenden Bildträger, also das konkrete, beschreibbare physische Material, wie z.B. Papier, Leinwand oder die jeweilige Farbe. Doch ein Bild zeichnet sich nach Wiesing nicht nur dadurch aus, das es physisch beschreibbar ist, sondern auch dadurch, dass es etwas darstellt, was eben als Darstellung bezeichnet wird. Die sogenannte Darstellung im Bild ist nach Hans Jonas „herausgehoben aus dem Kausalverkehr der Dinge.“ (Jonas 1987, S. 32) Dieser Punkt ist von entscheidender Bedeutung, sowohl für die anthropo-logischen, als auch für die phänomenologischen Bildtheorien, da er bei beiden einen tragenden Kerngedanken der jeweiligen Argumentation darstellt. Wiesing meint, dass diese Formulierung zutreffend ist und dass auf Grund dieser Beschreibung das Spiegel-bild eben kein Bild ist, da ein Spiegel nur Dinge zeigt, die den Gesetzen der Physik unterliegen, und genau dies ist bei der Darstellung im Bild nicht der Fall (vgl. Wiesing 2005, S. 28). Ein Bild zeigt einen ausschließlich sichtbaren bzw. imaginären Gegenstand, der „den Gesetzen der Physik enthoben [ist].“ (Ebd. S.28) Anders formuliert: „Schaut man auf ein physisch existentes Bild, so schaut man doch in eine physikfreie Zone. Denn auf der Bildoberfläche sieht man einen Gegenstand, der empirisch nicht als Gegenstand vorhanden ist, sondern […] ausschließlich und bloß sichtbar ist.“ (Wiesing 2000, S. 10)

Als Beispiel nennt er die Darstellung eines Hauses, das z.B. auf einem Foto nicht älter wird, auch wenn der darstellende Bildträger älter wird und somit den Gesetzen von Raum und Zeit unterliegt. Bilder sind demnach eine Anwesenheit ohne Gegenwart und sie „erscheint dem Betrachter in seiner Art der Existenz nicht wie eine reale Sache, weil es ausschließlich sichtbar ist, aber nicht gehört, gerochen, getastet oder geschmeckt werden kann.“ (Wiesing 2005, S. 70) Zwei weitere Merkmale zur Bestimmung der Darstellung liegen nach Wiesing zum einen in der Perspektive und zum anderen in der Beleuchtung. Dies beschreibt er wie folgt: „Jemand, der sich ein Bild von der Seite anschaut, schaut sich nicht die Darstellung von der Seite an; obwohl Licht auf ein Bild fällt, wird nicht der im Bild gezeigte Gegenstand beleuchtet.“ (Ebd. S. 28) Als dritten Punkt zur Strukturierung des Bildes wird letztendlich das Dargestellte genannt, womit „der reale Gegenstand gemeint ist, auf den sich einige Betrachter von Bildern mittels des Bildes beziehen.“ (Ebd. S. 28)

Die dreiteilige Gliederung des semiotischen Ansatzes wurde in letzter Konsequenz vom Zeichenbegriff selbst abgeleitet. Das Darstellende entspricht in dieser Hinsicht dem Zeichenträger oder auch Signifikant, die sichtbare Darstellung entspricht dem Inhalt oder Sinn eines Zeichens (Intension) und das Dargestellte ist letztendlich die Referenz zwischen dem Zeichen und seinem Denotat (Extension), also dem Gegenstand oder Sachverhalt in der realen physischen Welt, den das Zeichen repräsentiert, wobei sich das Zeichen natürlich auch auf etwas fiktives oder nicht-gegenständliches beziehen kann. Letztendlich kann man diesen Aufbau anschaulich in einer Analogie darstellen: die Dreiteilung Darstellendes – Darstellung – Dargestelltes ist schließlich eine auf das Bild angewendete Differenzierung von Zeichenträger – Intension – Extension. (vgl. Ebd. S.28f)

Wiesing mahnt an dieser Stelle an, keinen voreiligen Schluss über die Richtigkeit dieser Analogie zu ziehen, auch wenn er festhält, dass „ein Gegenstand allein dadurch ein Zeichen [ist], daß ihm ein Inhalt, ein Sinn oder eine Bedeutung zugewiesen wird.“ (Ebd. S. 29)

Doch genau an diesem Punkt sieht Wiesing das entscheidende Problem beim semiotischen Ansatz, wenn er kritisch fragt:

„Muß man einem Bild einen Inhalt oder eine Bedeutung zuweisen? Muß man die Darstellung als Inhalt interpretieren? Ist das, was ein Bild darstellt, allein dadurch, daß das Bild darstellt, der Inhalt des Zeichens? Hat man dadurch, daß man auf einer Fläche eine Darstellung sieht, dieser Fläche schon einen Sinn zugewiesen? Wenn dies so wäre, wären alle Bilder immer Zeichen.“ (Ebd. S. 29)

Bildsemiotiker würde diese Ansicht zweifelsohne bejahen, was deutlich wird, wenn z.B. Oliver R. Scholz schreibt: „Zum richtigen Verständnis eines Bildes gehört, dass man es als Zeichen behandelt.“ (Scholz 2009, S. 42) An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass Wiesing keinesfalls die Möglichkeit ablehnt, dass Bilder als Zeichen verwendet werden können, was auch häufig geschieht. Allerdings kann man aus diesem empirischen Tatbestand keinesfalls die allgemeine Schlussfolgerung ziehen, dass Bilder deshalb notwendig Zeichen sein müssen, da es sich nach Wiesing eher um eine kontingente denn um eine notwendige Eigenschaft des Bildes handelt (vgl. Wiesing: Sind Bilder Zeichen, 2000, S. 95). Wiesing versucht daher mit Hilfe des wahrnehmungstheoretischen Ansatzes diese Frage verneinend zu beantworten.

2.3 Der wahrnehmungstheoretische Ansatz

Dieser Ansatz kann als dezidierte Gegenposition zum semiotischen Ansatz gesehen werden, wobei besonders die Bildphilosophien von Konrad Fiedler und Edmund Husserl von Bedeutung sind. An Hand dieser beiden Autoren baut Wiesing seine eigene Argumentation für einen wahrnehmungstheoretischen Bildbegriff auf, der letztendlich auf die These der „artifiziellen Präsenz“ hinausläuft. Was genau diese Terminologie bedeutet und inwiefern sie einer Diskussion standhält, soll im Folgenden geklärt werden.

Auch der phänomenologische Ansatz versucht die Frage zu klären, wie man die Dreiteilung Darstellendes – Darstellung – Dargestelltes am besten beschreiben kann. Bei der Frage, was das Darstellende und das Dargestellte ist, gibt es zwischen dem semiotischen und dem phänomenologische Ansatz nur terminologische Unterschiede. So heißt bspw. bei Husserl das Darstellende schlicht „Bildträger“ und das Dargestellte, also das reale Objekt, auf das sich ein Bild beziehen kann, „Bildsujet“ (vgl. Wiesing 2005, S. 30).

Der entscheidende Punkt bei der Beschreibung der Bildrelationen liegt bei der Darstellung. Diese wird bei Husserl, wie bei anderen phänomenologischen Ansätzen auch, als „Bildobjekt“ bezeichnet und bedeutet genau das, was jemand auf einem Bild sieht. Husserl meint, dass die Darstellung eines Bildes keine Form von Sinn oder Inhalt ist, sondern ein besonderes Objekt mit besonderem ontologischem Status, eben ein Bildobjekt. Doch handelt es sich bei dem Bildobjekt keineswegs um einen realen Gegenstand, nur weil er sichtbar ist (Wiesing 2009, S. 201f). Auf Grund der Komplexität des folgenden Gedankenganges, soll die Argumentation in einem etwas längeren Zitat wiedergegeben werden:

„Nicht alles, was Eigenschaften eines realen physischen Gegenstandes hat, muß selbst ein realer physischer Gegenstand sein. Das Bildobjekt ist kein realer Gegenstand; das Bildobjekt ist ausschließlich ein Objekt, welches beschrieben wird, wenn jemand sagt, was er auf einem Bildträger zu sehen meint; es ist das Motiv. Das Bildobjekt ist deshalb immer ein Objekt für jemanden; man kann sagen: Es ist ein Phänomen im Bild. Solange keiner auf den Bildträger schaut, wird es auch keine Bildobjekte geben. Denn das Bildobjekt ist ja das, was vom Bildbetrachter gemeint ist, also ein intentionales Objekt. Der Grund für diese Deutung der Darstellung als vermeintes Objekt ist gleichermaßen einfach wie überzeugend: Das Bildobjekt kann man sehen; so erscheint es jedenfalls dem Bildbetrachter: als Objekt einer Wahrnehmung. Hingegen einen Sinn oder einen Inhalt kann man nicht sehen. Denn der Sinn eines Zeichens ist eine Regel, wie man sich mit dem Zeichen auf etwas beziehen kann. Regeln können aber nicht wahrnehmbar sein. Deshalb ist für Husserl eine bildliche Darstellung nicht eine Form von symbolischem Sinn, sondern eine Form artifizieller Präsenz.“ (Wiesing 2005, S. 30f)

Diese artifizielle Präsenz meint also eine besondere Form des Gegenstandes, nämlich einen imaginären Gegenstand oder wie Fiedler dies beschreibt, ein „Sichtbarkeitsgebilde“, das aus reiner Sichtbarkeit besteht. Der Unterschied zu einem realen Gegenstand ist nach Wiesing der, das ein Bildobjekt nicht den Gesetzen der Physik unterliegt und somit auch nicht physisch auf den menschlichen Körper einwirken kann. Die artifizielle Präsenz ist also eine Präsenz ohne substantielle Anwesenheit (vgl. Wiesing 2006, S. S. 99ff).

Zugespitzt formuliert Wiesing diese These wie folgt:

„Die Sichtbarkeit einer bildlich dargestellten Sache hängt nicht einer Substanz an, welche auch durch andere Sinne wahrgenommen werden könnte. Die Implikation von Präsenz und Substantialität löst sich im Bild auf. Das, was man auf dem Bild sieht, hat keine materielle Substanz. […] Die reine Sichtbarkeit entsteht durch Isolation einer anhängenden Sichtbarkeit und genau so baut sich die entkörperlichte Sichtbarkeit von etwas ohne Anwesenheit auf. Man könnte auch mit Fritz Heider sagen, daß Bildobjekte „falsche Einheiten“ sind. Denn es wird im Bild etwas als Einheit gesehen, was nicht materiell oder kausal bedingt eine Einheit ist. Wenn man auf einem Bild einen dargestellten Menschen sieht, dann sieht man den Körper als eine Einheit, obwohl der dargestellte Kopf mit dem dargestellten Fuß nicht physiologisch verbunden ist, was bei echten Einheiten, sprich: bei realen Menschen nun mal der Fall ist.“ (Wiesing 2005, S. 32)

Ein Bild wird in dieser wahrnehmungstheoretischen Position als ein Medium gesehen, das einen physiklosen und nur sichtbaren Gegenstand produzieren kann.

Wiesing beschreibt diese Wahrnehmung bzw. diese ontologische Ausnahme als „ein Gegenstandsbewußtsein von etwas […], allerdings von der Gegenwart von etwas, das in einem physikalischen Sinne kein materieller Gegenstand in Raum und Zeit ist.“ (Wiesing 2009, S. 202)

In Anlehnung an Richard Wollheim meint Wiesing, dass die Wahrnehmung eines derartigen Gegenstandes durch den Menschen nicht nur ein Wahrnehmen von etwas als etwas ist, sondern dass der Mensch die einzigartige Fähigkeit besitzt, etwas in etwas zu sehen. Wiesing argumentiert in dieser Hinsicht, dass der Mensch eben nur Bilder sehen kann, weil er über die hierfür notwendige Eigenschaft verfügt. Weiterhin versucht er über die Frage „Was geschieht mit mir, wenn ich ein Bild sehe?“ die notwendigen Bedingungen zur Bestimmung des Bildbegriffes über den Aspekt der Wahrnehmung zu finden. Wenn man ein Bild sieht, kann man laut Wiesing an den Folgen der Wahrnehmung erkennen, ob man ein Bild sieht oder nicht (vgl. Wiesing 2009, S. 209ff). Der Gedanke lautet wie folgt:

„Nur in der Betrachtung eines Bildes ist ein Wahrnehmungserlebnis für den Wahrnehmenden nicht mit dem Zwang verbunden, selbst ein Teil des wahrgenommenen Geschehens sein zu müssen. Er muß nicht mehr partizipieren! Ausschließlich für den Fall der Wahrnehmung eines Bildes gilt: Der Wahrnehmende taucht nicht in die wahrgenommene Welt ein. Bilder sind nicht-immersiv.“ (Ebd., S. 211)

Wiesing meint, dass der Begriff der Immersion äußerst unpassend für Bilder ist, da die Wahrnehmung des Menschen generell durch Immersion gekennzeichnet ist, weil jeder Mensch in die wahrgenommene Welt eintaucht. Da die Wahrnehmung des Menschen ihn in der Welt sein lässt, bedeutet dies automatisch, dass die Wahrnehmung immersiv ist. Daher lassen sich Bilder entweder technisch nicht als immersive Bilder erzeugen, oder sie funktionieren als solche, können dann aber nicht mehr als Bilder angesprochen werden, da sie als Teil der wirklichen Welt aber eben nicht als Bilder wahrgenommen werden. Aus logischen Gründen könnte es demnach überhaupt keine immersiven Bilder geben. Wiesing schlussfolgert auf Grund dieser Argumentation, dass die Betrachtung eines Bildes eine Art Neutralisation für einige Folgen der Wahrnehmung sind (Ebd., S. 211f), denn

„Ausschließlich Bilder sind in der Lage, etwas sehen zu lassen, ohne von mir dafür den Preis einer persönlichen Anwesenheit in der wahrgenommenen Welt zu verlangen. […] Ich kann etwas sehen, ohne deshalb durch meinen Wahrnehmungszustand mit dem Wahrgenommenen kausal verstrickt zu werden.“ (Ebd., S. 213)

Wenn man also ein Bild sieht, beginnt eine Art Partizipationspause, denn man wird durch die Wahrnehmung des intentionalen Bildobjekts kein Teil der sichtbaren Bildwelt, man selbst wird kein Bildobjekt. Man bleibt bei der Bildwahrnehmung im Gegensatz zur Wahrnehmung eines realen Gegenstandes im Prinzip unsichtbar. Das Subjekt der Wahrnehmung wird durch seine Bildwahrnehmung nicht in die wahrgenommene Bildwirklichkeit eingebunden, was nach Wiesing eine entlastende Reduktion sein kann. Der Bildbetrachter, der automatisch zum Zuschauer wird, blickt in eine physikfreie Zone, die prinzipiell ohne jegliche Gefährdung des eigenen Körpers beobachtet werden kann (vgl. Ebd., S. 213 - 222).

Nach der bisherigen Darstellung der phänomenologischen Position kann man, wie bereits beim semiotischen Ansatz gezeigt, auch diese Bildterminologie in einer Analogie darstellen: die Dreiteilung Darstellendes – Darstellung – Dargestelltes entspricht beim phänomenologischen Ansatz der Gliederung Bildträger – Bildobjekt (bzw. imaginärer Gegenstand oder reine Sichtbarkeit) – Bildsujet (vgl. Wiesing 2005, S. 33f).

2.4 Der Unterschied zwischen semiotischer und phänomenologischer Bildtheorie

Genau an dieser Stelle liegt nach Wiesing der Streitpunkt des semiotischen und des wahrnehmungstheoretischen Ansatzes. Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, einen Kategorienfehler zu begehen, in dem sie die Darstellung eines Bildes mit etwas gleichsetzen, das es nicht ist. Beide Vorwürfe laufen darauf hinaus, dass man der jeweils anderen Position vorhält, sich in metaphorischem Reden über Bilder zu verstricken, was zu einer falschen Sichtweise führen soll. So kann man bspw. aus semiotischer Sicht sagen, dass mit dem Bildobjekt nichts anderes gemeint ist, als der Sinn oder der Inhalt eines Bildes, während aus phänomenologischer Sicht gesagt wird, dass die erscheinende Darstellung mit einem symbolisierten Inhalt gleichgesetzt wird, was letztendlich von der triadischen Struktur eines Zeichenbegriffes übernommen wurde (vgl. Ebd., S. 33f).

Wiesing wendet sich zur Überprüfung dieser Argumente der Rezeption von Bildern zu, um zu klären, welche Sichtweise die angemessenere ist. Beim semiotischen Ansatz muss ein Bild gelesen werden, wobei die Fähigkeit des Lesens erworben werden muss und demnach auch nicht apriori vorhanden ist (Schplz 2009, S. 42ff). Wiesing selbst hält die Frage nach der Darstellung und dessen Deutung durch die beiden Richtungen wie folgt fest:

„Wenn das Bild einen Sinn hat und auf etwas Bezug nimmt, ist es in der Tat angemessen, die Rezeption des Bildes als Lesen des Bildes zu beschreiben; wenn hingegen das Bild ein Bildobjekt präsentiert, dann ist es ganz abwegig anzunehmen, daß Bilder gelesen werden, denn Bildobjekte werden nicht gelesen, sondern gesehen; Schaufenster werden auch nicht gelesen, sondern angeschaut.“ (Wiesing 2005, S. 34)

Beide Lesarten des Umganges mit Bildern sind kategorial verschieden. So folgt das Lesen von Bildern Regeln, während beim Sehen ein sinnliches Gegenwartsbewusstsein von etwas vorhanden ist. Wiesing geht an dieser Stelle näher auf das Lesen von Bildern ein, denn wenn man Bilder lesen müsste, so müsste seiner Ansicht nach auch immer eine Repräsentation und damit einhergehend auch immer eine Bezugnahme vorhanden sein. Wiesing betont nun zunächst, dass zwei Dinge nicht in einer Bezugnahme stehen müssen, nur weil sie für den Betrachter eine wahrnehmbare Ähnlichkeit besitzen und das Objekte nicht zwangsläufig einen Sinn haben müssen, der durch eine Interpretation erfasst werden muss. Das die Semiotik dies entschieden anders sieht, wird im nächsten Kapitel der Diskussion deutlich werden.

Der wahrnehmungstheoretische Ansatz lässt diese aus semiotischer Sicht notwendige Bezugnahme durch Bilder weg und betont stattdessen den wahrnehmbaren Charakter von Bildern, die sich laut Wiesing nicht durch Sinn oder Bedeutung auszeichnen. Wiesing spricht Bildern grundsätzlich nicht die Möglichkeit ab, dass sie Zeichen sein können, jedoch sieht er es keineswegs als notwendige Eigenschaft für die Definition des Bildbegriffes (vgl. Wiesing 2000, S. 95). Er betont explizit: „Doch das Betrachten und Studieren einer Sache – auch eines Bildobjektes – macht aus dieser Sache kein Zeichen, gibt dieser Sache noch keinen Sinn. Zeichen entstehen durch Verwendung und nicht durch Anschauung.“ (Wiesing 2005, S. 36)

Dies liegt nach Wiesings daran, dass Zeichen genauso wie z.B. Geschenke nur durch ihre Funktion bestimmt werden können und nicht durch ihre Anschauung. Zeichen müssen demnach zu Zeichen erklärt und auch als solche verwendet und interpretiert werden. Wenn also jemand ein Zeichen verwendet, um mit ihm auf etwas zu verweisen, kann man von Zeichengebrauch sprechen. Der Zeichencharakter ist daher nach Wiesing ein Widerfahrnis, d.h. dass manche Dinge einfach zum Zeichen werden, ohne ihr geringstes Zutun, was seiner Meinung nach eben auch auf Bilder zutrifft (vgl. Ebd., S. 37f).

Zusammenfassend hält Wiesing diesen Punkt wie folgt fest:

„Da man keinem Zeichen ansehen kann, daß es ein Zeichen ist, kann man auch keinem Bild ansehen, ob es ein Zeichen ist. Könnte man dies, so wäre das Bild der erste Gegenstand, der aus eigener Kraft eine Bedeutung hätte. Doch solange man diese an sich gegebene Zeichenhaftigkeit des Bildes nicht annehmen will, gilt es auch bei Bildern davon auszugehen, daß eine Verwendung aus ihnen ein Zeichen werden läßt.“ (Ebd., S. 39)

Wiesing meint auf Grund dieses Argumentationsschrittes, dass die Frage „Sind Bilder Zeichen?“ äußerst unfruchtbar ist, da man stattdessen fragen müsste: „Wann sind Bilder Zeichen?“ bzw. „Was muss man machen, damit aus einem Bild ein Zeichen wird?“.

Mit dieser Fragestellung soll der funktionalistische Zeichencharakter betont werden, also eben die Ansicht, dass Bilder Zeichen sein können, aber nicht notwendigerweise sein müssen. Er führt diesen Gedanken weiter, in dem er fragt, auf was sich Bilder überhaupt beziehen, wenn sie denn als Zeichen fungieren. Den Gegenstand, den man als Zeichen für etwas anderes verwendet, nennt man innerhalb der Semiotik zumeist Signifikant oder Bezeichnendes. Das, worauf sich ein Zeichen bezieht, also das Gemeinte eines Signifikanten, hat ebenfalls mehrere Bezeichnungen. So spricht man häufig vom Signifikat, Denotat oder Bezeichnetes. Bei einem geschriebenen Wort sind also die durch Tinte oder die Druckerschwärze wahrnehmbaren Buchstaben der Signifi-kant, während das von ihm Bezeichnete das Signifikat ist. Der entscheidende Unter-schied zwischen herkömmlichen Signifikanten und Bildern besteht nach Wiesing eben darin, dass der bildliche Signifikant immer ein immaterieller ist, auch wenn es um die Verwendung von materiellen Bildern wie Fotos oder Filmen geht. Um diesen Gedanken zu verstehen und um geläufigen Irritationen vorzubeugen die durch eine Vermischung der verschiedenen Bedeutungsebenen des Bildbegriffes entstehen können, geht Wiesing auf die drei unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffes „Bild“ ein. Die erste Ebene des Bildbegriffes wird in Sätzen wie „An der Wand hängt ein Bild“ oder „Das Bild hat einen Riss“ deutlich. Hier ist ganz eindeutig der physische Bildträger, also z.B. die Leinwand oder das Fotopapier gemeint. Die zweite Ebene der Bedeutung wird deutlich an Sätzen wie „Das ist ein langweiliges Bild“, womit nicht etwa der physische Bild-träger, sondern die sichtbare Darstellung gemeint ist (vgl. Wiesing 2005, , S. 39ff).

Es ist, wie Wiesing dies explizit festhält,

„die klassische Unterscheidung von Bildobjekt und Bildträger. Denn in der Tat wird das Wort „Bild“ sowohl für den Bildträger wie auch für das, was man besser mit Husserl als „Bildobjekt“ bezeichnen sollte, verwendet. Das Bildobjekt ist der Gegenstand, welcher auf einem Bildträger sichtbar wird.“ (Ebd., S. 45)

Bildträger und Bildobjekt können aber problemlos empirisch voneinander unterschieden werden, wenn man bspw. jemanden dazu auffordert, das Aussehen der Darstellung oder z.B. der Leinwand zu beschreiben. Wiesing führt diesen Gedanken noch näher aus:

„Deshalb sind trotz ihrer Gleichursprünglichkeit der Bildträger und das Bildobjekt nicht das gleiche. Das Bildobjekt ist für den Bildbetrachter im Moment der Betrachtung des Bildträgers ein intentionales Objekt, ein – wie Husserl schreibt – „vermeintlich uns als gegenwärtig erscheinendes Unding“ – Im Gegensatz zum Bildträger: Der ist ein real seiendes Ding. Oder genauer gesagt: Der Bildträger erscheint dem Betrachter als ein reales Ding, von dem er glaubt, daß es wirklich gegenwärtig ist.“ (Ebd., S. 45f)

Wiesing merkt an, dass diese Äquivokation von Bildträger und Bildobjekt im alltäglichen Sprachgebrauch unproblematisch ist, allerdings zu Problemen führen kann, wenn man eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema Bild durchführt. Zumal es noch eine dritte Bedeutung des Wortes Bild gibt, nämlich dann, wenn man in einem Satz sowohl den Bildträger als auch das Bildobjekt meint, wenn man z.B. sagt, „Das Bild ist zwar schon sehr alt, aber seine politische Botschaft ist immer noch aktuell.“ (vgl. Ebd., S. 46) Kurzum: „Der Bildträger und das Bildobjekt sind die beiden Aspekte eines Bildes (hier im Sinne von Einheit). Es sind die zwei Aspekte des Bildes, die man sich zwar nicht in gleicher Weise, aber doch gleichermaßen anschauen kann.“ (Ebd., S. 46) Wiesing meint daher, dass man mindestens diese drei Phänomene voneinander abgren-zen sollte, wenn man vom Bild spricht, also dem Bildträger, dem Bildobjekt und die Einheit von beiden und dass man in einer Studie stets darauf achten sollte, was man genau meint, wenn man den Begriff „Bild“ benutzt. Auch in Bezug auf die Ähnlichkeit von Bildern und Objekten ist diese terminologische Unterscheidung von entscheidender Bedeutung. Wenn in semiotischen Bildtheorien wie der von Goodman die Behauptung aufgestellt wird, das zwischen dem Bild und dem Signifikat keine Ähnlichkeit besteht, macht dieser Satz nur Sinn, wenn man mit Bild den Bildträger meint. Würde man diese Aussage hingegen über ein Bildobjekt machen, wäre sie nach Wiesing nicht haltbar (vgl. Ebd., S. 46ff).

Ausgesprochen präzise fasst Wiesing diesen Umstand wie folgt zusammen:

„Das, was man sich anschaut, um mit einem Bild eine Denotation vorzunehmen, ist eindeutig: Ausschließlich das Aussehen des Bildobjektes wird bei der Bestimmung des Referenten berücksichtigt. Die Materialität des Bildes spielt in der Verwendung des Bildes als Zeichen keine bedeutungsbestimmende Funktion.“ (Ebd., S. 50)

Über die sichtbaren Eigenschaften des Bildobjekts lassen sich Dinge denotieren und nicht über irgendwelche Qualitäten des Bildträgers. Wenn man nun Bilder als Zeichen verwendet, werden dadurch die Bildobjekte zu Signifikanten, um auf etwas Bezug zu nehmen. Wiesing meint, dass diese sichtbare Gegebenheit des Signifikanten letztendlich auf einem Wahrnehmungsprozess beruht, der vor jeder semiotischen Verwendung eines Bildobjekts liegt. Dieser Wahrnehmungsprozess geht seiner Ansicht nach der Lesbarkeit eines Bildes logisch voran, man muss also erst das Bild sehen, und dann kann man es wenn möglich lesen (vgl. Ebd., S. 50ff).

Die Frage nach der Ähnlichkeit und dem Verhältnis von Zeichen und Bildern spielen auch weiterhin in Wiesings Argumentation eine Rolle. So meint er, dass man keinesfalls den Bildbegriff funktional bestimmen kann, nur weil dies beim Zeichenbegriff der Fall ist, was auch in einer Diskussion zu präziseren Ergebnissen führen kann, wenn man sich z.B. die Frage stellt, ob Tiere Bilder herstellen können. Wiesing meint, dass Tiere etwas schaffen können, dass die Eigenschaften eines Bildes hat, eben ein sichtbares Bildobjekt. Ein solch vermeintliches Bild kann nach Wiesing kein Zeichen sein, weil es von seinem Produzenten dem Tier nicht als solches verwendet werden kann (vgl. Ebd., S. 59f). Anders formuliert: „Die Herstellung einer artifiziellen Präsenz von etwas ist die Leistung eines Bildes, welche per Zufall durch Tiere erbracht werden kann.“ (Ebd., S. 60) Tiere können in dieser Hinsicht nur artifizielle Präsenz schaffen, aber keine Darstellung oder Nachahmung, da dies eine Intentionalität voraussetzen würde. Wiesing ist auf Grund dieses Arguments davon überzeugt, dass ein tierisches Bild keine Nachahmung oder Darstellung sein kann, auch nicht zufällig (vgl. Ebd., S. 60). Er vergleicht diesen Umstand mit einem Zeichen, wenn er schreibt: „Eine zufällig entstandene Nachahmung ist – genauso wie ein zufällig entstandenes Zeichen – nicht denkbar, wohl aber zufällig entstandene Bilder.“ (Ebd., S. 60)

Einen weiteren Punkt, den Wiesing in seiner Arbeit anspricht, ist die Frage nach dem Sinn eines Bildes. Seiner Ansicht nach ist der Sinn eines Bildes eine konventionelle Regel, die es dem Betrachter ermöglicht, dass Bild zu kategorisieren, bspw. wenn man von der Bildklasse der Porträts spricht. Der Sinn eines Bildes ist hierbei in hohem Maß vom jeweiligen Kontext wie z.B. dem Titel abhängig, in dem das Bild interpretiert wird. Wenn man nun den Entstehungskontext oder den genauen Sinn eine Bildes nicht kennt, ist man nach Wiesing auf eine hermeneutische Spekulation angewiesen, bei der man am besten danach fragt, welche Frage durch die Verwendung des Bildes beantwortet wird. Solche „sinnlosen“ Bilder findet man bspw. bei untergegangenen Kulturen oder unverständlichen Kunstwerken. Jede Sinnzuschreibung ist in dieser Hinsicht aber durch Kontingenz gekennzeichnet, was Wiesing zu dem Schluss veranlasst, Bilder vielleicht besser ohne Sinn zu betrachten (vgl. Ebd., S. 62ff).