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Einleitung


Autor: Eva Fritsch
[erschienen in: Filmforschung und Filmlehre (Themenheft zu IMAGE 2)]

Schlagwörter: Filmforschung, Filmlehre, Filmcurricula

Disziplinen: Erziehungswissenschaft, Filmwissenschaft


Die Einleitung bietet einen Überblick über die Tagungsvorträge und den Tagungsablauf der Tagung „Filmforschung und Filmlehre in der Hochschullandschaft“.

The introduction provides an overview of the talks and the course of the conference “Film Research and Film Education in the Context of the University”.

Die geplante Tagung war als Initiative zur Vernetzung der Medien- und Filmwissenschaftler zur Umsetzung curricularer Ideen innerhalb der Filmlehre gedacht. Fragen der Lehrerfortbildung und filmschulischer Arbeit sollen neben einer grundsätzlichen Reflexion der Bildsprache des Films und seiner Verstehenszugänge im Rahmen der Tagung erörtert werden. Die Tagungsinitiative reagiert mit diesen Zielrichtungen auf die von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb in Kooperation mit der (Filmförderungsanstalt) FFA verabschiedeten Filmkompetenz-Erklärung aus dem Jahre 2003. Aus den in dieser Erklärung enthaltenen konstruktiven Forderungen erging auch ein Auftrag an die Bildungsverantwortlichen und -mentoren, auf „die curriculare Verankerung des Themas: Film – seine Geschichte, seine Sprache, seine Wirkung in den Schulen, den Universitäten und den Fortbildungsstätten hinzuwirken“ sowie darauf, dass Filmkompetenz „integraler Bestandteil jeder pädagogischen Ausbildung an den Universitäten werden soll.“ Die bpb unterstützte diese Veranstaltung, weil sie an einer derartigen Vernetzung im Sinne der Filmkompetenz-Erklärung interessiert ist.

Mit diesem erstmaligen Austausch wurde ein Start und vielleicht sogar ein Weg zur andauernden Vernetzung und besseren Zusammenarbeit geschaffen. Die Tagung wurde von den Besuchern, den Referenten und Referentinnen sowie vielen Institutionen begrüßt. Folgetagungen sind erwünscht und nachgefragt.

Zum Ablauf und den jeweiligen Ergebnissen der Tagung:

Donnerstag, den 24.06.2004

Nach einer kurzen Begrüßung und Einführung in den Tagungsablauf durch Eva Schäfer hielt Prof. Klaus Keil einen Gastvortrag zum Thema: Filmausbildung an der Hochschule. Herr Prof. Keil begrüßte die Vernetzungsinitiative angesichts der weit verbreiteten, aber nicht mehr zeitgemäßen „Filmleseschwäche“ und schilderte die Ausbildung an den Filmhochschulen Potsdam-Babelsberg, Berlin, München, Hamburg mit der neuen Hamburg Media School und Köln. Seiner Meinung nach wären möglichst einheitliche Standards in der Filmlehre wichtig.. Die komplexe Grammatik der Filmsprache sollte im Rahmen von zunehmender Interdisziplinarität ausgebaut werden Es geht um eine Vergleichbarkeit der Lernmodule, damit wir diegleiche professionelle Sprache erreichen. Die Einführung des Filmkanons kann dazu eine Hilfe sein. Keil plädierte dafür, dass Studenten und Lehrende der Filmhochschulen in Kooperation mit Studenten und Lehrenden der Universitäten und sonstigen Hochschulen treten. Außerdem wurde der auch für Universitäten wichtige Schwerpunkt des Filmrechts und der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Produktionsbedingungen für die Lehrpläne an den Hochschulen eingefordert.

Über dieses Thema wurde angeregt beim gemeinsamen Mittagessen in kleinen Gruppen weiter diskutiert.

Der Nachmittag wurde eingeleitet durch den Vortrag von Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn, zum Thema: Reaktionen auf den Filmkanon. Für die Bundeszentrale für politische Bildung spielte die Filmarbeit von Beginn ihrer Gründung an eine zentrale Rolle. Die filmschulische Arbeit und die Kinoseminare wurden erläutert. Daneben wurden die durch den Filmkanon initiierten Diskussionen geschildert und die angedachte Offenheit des Kanons betont. Das Konfliktfeld der Filmkompetenzerklärung aus dem Jahre 2003 wurde problematisiert. Unter anderem wurde auch auf den mittlerweile eingerichteten Kinderfilmkanon der Kinder- und Jugend-Film-Korrespondenz in München eingegangen. Wir sichteten die entsprechenden Homepages der Kanonüberlegungen beschäftigten Institutionen und bekamen so einen hervorragenden Überblick über die Breite der durch den Filmkanon ausgelösten Diskurse. Viele Kinos haben bereits reagiert und den Kanon inzwischen in ihr Programm aufgenommen, so auch das Abaton in Hamburg.

Die Veranstalterin der Tagung PD Dr. Eva Schäfer präsentierte ihre Filmarbeit an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg zum Thema: Film in der Lehre. Erfahrungen mit einführenden Seminaren zu Filmgeschichte und Filmanalyse. (siehe hierzu Script auf der Homepage der BPB). In Magdeburg gibt es die Besonderheit, dass Computervisualisten mit relativ ausgereiftem technischen Know-How mit den Lehramtstudentinnen zusammen ein in den letzten Jahren über Prof. Marotzki und Privatdozentin Eva Schäfer am Institut für Erziehungswissenschaft etabliertes Filmlehrangebot wahrnehmen können.

Manfred Rüsel schilderte mehr auf die Schule bezogen seine Erfahrungen mit der Arbeit zum Thema: Film in der Lehrerfortbildung. Hier wurde deutlich, dass offensichtlich drastische Defizite bei den meisten Lehrern hinsichtlich der Unterrichtskompetenz in der Filmlehre vorliegen. Rüsel forderte für die Lehrerfortbildung qualifizierte Fortbildungen an Schulen mit den Mitteln zunächst einfacher Filmanalysen, kleinschrittige Arbeitsweisen. An den Schulen wird ein verstärkter Einsatz filmischer Arbeit notwendig. Da die Fortbildungsangebote an den Schulen meist selbstorganisiert sind, haben wir es auch bei den Fortbildern oft mit Einäugigen unter Blinden zu tun. Eine qualifizierte Fort- und Weiterbildung sei mit den Mitteln der Schule nicht durchführbar. Filmanalyse muss für Lehrer einfach und praxisnah gelehrt werden. (siehe hierzu Beitrag auf der Homepage der BPB).

Der Veranstalter Prof. Dr. Steinmetz stellte mit seinem Kollegen Kai Steinmann die jüngst überarbeitete DVD zur Film- und Fernsehanalyse vor und sprach zum Thema: Zum Einsatz der neu erstellten DVDs zur Film- und Fernsehanalyse. Erstmals wurde mit seinem Produktionsteam junger Kommunikations- und Medienwissenschaftler eine Form der Darstellung gefunden, die dem Medium Film in seiner Rezeption gerecht werden kann. Anhand ausgewählter Beispiele aus der Filmgeschichte werden Grundlagen wie Einstellungsgrößen, Kamerabewegungen, Licht, ton, Schnitttechniken, Montage- und dramaturgische Konzepte sowie verschiedenen Filmstile anschaulich erklärt.

Interessant im Vergleich hierzu auch die durch Prof. Winfried Pauleit vorgestellte französische DVD-Edition zur Filmlehre petit a petit unter dem Thema: Filmlehre im internationalen Vergleich.

Alan Bergala hat in Frankreich wohl im Wesentlichen dazu beigetragen, dass die Filmlehre auch vor dem Hintergrund der Narratologie und Kinotheorie reflektiert wird. Winfried Pauleit stellte dabei folgende Strukturgedanken vor: Ontologie des Films; Filmsemiologische Ansätze, die die moderne Filmtheorie unter dem Schwerpunkt der Narratologie, der Analyse und Intertextualität verhandeln; Postsemiologische Ansätze, die Filmerfahrung auch unter dem Horizont der ästhetischen und der Körpererfahrung verorten; die Kino-Theorie, die den immanenten Lehrer im Kino als Konkurrent des Lehrers betrachtet.

Am Ende seines Vortrags äußerte Pauleit Wünsche hinsichtlich der Zukunft und einiger Rahmenbedingungen der Filmlehre, die die Tagungsteilnehmer wohl insgesamt begrüßen würden: Zum einen eine zunehmende ästhetische Erziehung im Medienzeitalter, zum anderen eine gut ausgestattete DVD-Bibliothek, auf die man als Lehrender und Lernender zugreifen kann.

Abschließend sahen wir den Kurzfilm „Lucia“ von Felix Gönnert mit Erläuterungen von Lothar Mikos. Prof. Mikos hatte den Film seines Studenten der Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg mitgebracht. Der Animationsfilm zeigt die Geschichte eines kranken Mädchens, das wieder Hoffnung findet. Drei Jahre hat der Regisseur Felix Gönnert an der Realisierung des Animationsfilms gearbeitet. Horst Walther vom Institut für Kino und Filmkultur in Köln stellte hier die neue Initiative Kino und Curriculum vor.

Freitag, den 25.06.2004

Der Freitag begann mit vier Plenarvorträgen, die die Tagung abrundeten.

PD Dr. Klaus Sachs Hombach sprach zum Thema: Bild und Film aus bildwissenschaftlicher Perspektive in der Absicht, einen theoretischen Rahmen zur Diskussion zu stellen, unter dem man sowohl Bild als auch Film verhandeln kann. Filme lassen sich diesem Vorschlag zufolge als Bilder in zeitlicher Ausdehnung, als dynamische Bilder betrachten. Unterschieden wird also zwischen darstellenden Bildern, die eine dreidimensionale Szene zweidimensional darstellen und zwischen Bildern mit zusätzlich zeitlicher Darstellungsdimension, bei denen sowohl das Dargestellte ein zeitliches Ereignis ist als auch das Darstellungsmedium. Neben dem Ansatz, Filme als Bilder zu betrachten, ist es auch möglich, spezielle Bilder im Film zu analysieren. Hier findet dann ein spezieller Bildbegriff Verwendung. So ist z. B. das Porträt in einigen Filmen ein zentrales Thema. Zuweilen werden Bildmedien im Film thematisch, zuweilen liefern Bildgenres stilistische Vorbilder für den Film, zuweilen werden Einstellungen im Film Schlüsselbilder verdichtet. Da für Sachs-Hombach die Wahrnehmungskompetenz für alles Bildhafte zentral ist, macht eine Unterscheidung in Bild- und Filmtheorien, die eher linguistisch oder eher ästhetische orientiert sind, und in Bild- und Filmtheorien, die perzeptuelle Kompetenzen hervorheben, Sinn. Letztere können vom illusionstheoretischen Standpunkt, vom ähnlichkeitstheoretischen oder von Seeing-in Theorien betrachtet werden. Filmen werden auf Grund intrinsischer Strukturen (Syntax) Bedeutungen (Semantik) innerhalb eines Kontextes (Pragmatik) zugeschrieben. (siehe hierzu Beitrag auf der Homepage der BPB)

Nach diesem wissenschaftlich-orientierten Vortrag sprach Prof. Blothner aus psychoanalytischer Perspektive zum Thema:. Zum Verhältnis von Psychologie und Film. Das Filmdrehbuch des Lebens. Blothner sprach von den riskanten Lebenswirklichkeiten im Film wie im Leben und bezeichnete die Filmwahrnehmung als Rekonstruktion von Erlebnisprozessen. In der Filmwahrnehmung klären wir nach Blothner verschiedene Grundverhältnisse. Diese Klärung kann man auch als Lernprozess verstehen. Die Seelenlogik entspricht der Bildlogik. So bewegen wir uns beim Filmesehen in einer Mikroanalyse des Alltags. Mit Verweis auf Edgar Morin und die Tiefenpsychologie wurden exemplarisch Erlebnissymbole anhand des Films The sixth sense vorgestellt.

Im Anschluss daran referierte Dr. Nina Zimnik zum Thema: Reeducation aus filmhistoriographischer Perspektive. Es ging um den Umerziehungsfilm der frühen 40er Jahre, insbesondere um die Filme des Mashall-Plans und die in ihnen enthaltenen race- und gender-Darstellungen. Zimnik stellt sich die Frage, welche Menschenbilder diese Filme repräsentieren und speziell geht es um die Art und Weise, wie race und Differenz repräsentiert wird. Welches Erziehungsideal hier im Hintergrund steht, wird gefragt. Frau Hennen von der Bundeszentrale für politische Bildung wies auf den für diese Thematik zentralen Film Todesmeilen hin. Prof. Helmut Korte empfahl, den diskursanalytischen Teil der geplanten Untersuchung unbedingt mit einem rezeptionsforschenden Zugang zu koppeln.

Abschließend präsentierte Nina Rippel zum Thema: Erfahrungen mit dem Schülerfilm verschiedene in einer Filmwerkstatt entstandene Schülerfilmbeiträge. Die Studentin Marie Louise Beck aus Lüneburg präsentierte und erläuterte einen eigenen experimentellen Filmbeitrag.

Die Zusammentragung der Ergebnisse zeigte, dass die Tagung einen guten Schritt in die Richtung gemacht hat, Film- und Medienwissenschaftler mit Pädagogen in produktiver Weise zusammenzubringen. Bei der Zusammenfassung gab es erneut eine Diskussion um die konstruktiven Implikationen und die Defizite des Filmkanons. Erkenntnisse und weitergehende Forderungen wurden beim abschließenden gemeinsamen Mittagessen diskutiert:

Erkenntnisse: Z.B. Möglichst standardisierte Lehr-Lernmodule für die BA-/MA-Studiengänge Filmlehre, mehr empirische Forschungen zur Filmwirkung. Man kann heute immer noch Lehrer werden, ohne etwas über Medienkunde zu wissen bzw. nachzuweisen. Kann das in einer medienvermittelten und -dominierten Welt so bleiben?

Der Kanon sollte als offene Orientierung genutzt werden. Mehr Raum für Filmgestaltung. Weitere Ringvorlesungen zu diesem Thema. Filmpraxis darf an den Hochschulen nicht gelehrt werden, ohne deren Bedingungen zu berücksichtigen. Filmlehre sollte in der Praxis eher motivieren, als Inhalte vorgeben. Kino und andere Medien-Institutionen sollten in die Lehre miteinbezogen werden. Es sollte ein Modul des Sehenlernens geben. Das Material zur Lehre in der Filmlehre sollte gesammelt und aufbereitet werden.

Forderungen: Z.B.: Weitere Vernetzungen, mehr Tagungen, mehr Austausch unter den Lehrenden, mehr Buchübersetzungen aus Frankreich und Amerika und deren Finanzierung, mehr DVDs, Besserer Zugang zu Filmmaterialien.

Eva Schäfer, Prof. Rüdiger Steinmetz