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Plädoyer für ein Schulfach „Visuelle Medien“


Autor: Klaus Sachs-Hombach
[erschienen in: Filmforschung und Filmlehre (Themenheft zu IMAGE 2)]

Schlagwörter: Visuelle Medien, Bild- und Filmwissenschaft

Disziplinen: Philosophie, Filmwissenschaft


Mein Plädoyer für ein integriertes Schulfach "Visuelle Medien" möchte ich zunächst mit einer allgemeinen Skizze der Grundzüge einer interdisziplinären Bildwissenschaft beginnen und dann das Verhältnis der verschiedenen Bildmedien zueinander erläutern. In einem dritten Teil werde ich auf die Inhalte des angestrebten Schulfaches genauer eingehen.

1. Einleitung

Die gegenwärtig zu beobachtende Dominanz des Visuellen zeigt sich nicht zufällig in den modernen Mediengesellschaften, sondern ist ihnen inhärent, denn die (Massen-)Medien sind wesentlich Bildmedien. Das trifft im besonderen Maße für Film und Fernsehen zu, wird aber bald auch für den Bereich des Digitalen, etwa für das Internet, zum Standard werden, wenn die ungebremst rasante Entwicklung sowohl im Hard- wie auch im Softwarebereich die Beschränkungen hoher Speicher- und Rechnerkapazitäten, die für das Bearbeiten digitaler Bilder bisher bestanden, erst einmal aufgehoben haben wird.

Der sachliche Grund, dass hochgradig vernetzte Mediengesellschaften zur visuellen Steuerung und Organisation tendieren, ist vermutlich in der scheinbar unmittelbaren Verständlichkeit von Bildern zu sehen, die eine Reduktion oder Kompensation der durch Vernetzung zunehmenden Komplexität in Aussicht stellen. Den konkreten Auslöser für den entsprechenden Wandel liefert dagegen der informationstechnologische Fortschritt, der die technisch bedingten Voraussetzungen einer leichten Handhabbarkeit und Verfügbarkeit auch bildhafter Darstellungen schafft. Natürlich geht die unterstellte unmittelbare Verständlichkeit oft nicht über den Anschein von Verständlichkeit hinaus. Dass Bilder verständlich scheinen, ohne es in vielen Fällen doch wirklich zu sein, macht gerade ihre manipulative Qualität aus. Die für den Laien nicht immer offensichtliche Komplexität von Bildern schließt aber nicht aus, dass zumindest einige Aspekte von Bildern in einem höheren Maße als etwa die natürlichen Sprachen eine kulturübergreifende Rezeption erlauben. Dies scheint mir wiederum mit den perzeptuellen Anteilen der Bildrezeption zusammenzuhängen, die zum Teil anthropologisch verankert sind. Hierauf werde ich noch eingehen. Festzuhalten ist als Ausgangsdiagnose auf jeden Fall, dass sich gegenwärtig und im zunehmenden Maße eine medial ermöglichte oder bedingte Visualisierung aller Bereiche der Gesellschaft vollzieht, mit der Sinn zunehmend im Zusammenhang von Zeige-, nicht mehr (nur) von Sprechhandlungen auftritt bzw. erzeugt werden wird. Dem steht bisher eine mangelnde visuelle Kompetenz gegenüber.

Als wissenschaftliche Reaktion auf die sich aufdrängenden gesellschaftlichen Visualisierungstendenzen ist derzeit das Entstehen einer allgemeinen Bildwissenschaft zu beobachten (vgl. etwa Sachs-Hombach 2004a). Eine solche allgemeine Bildwissenschaft wird (unter anderem) die Aufgabe haben, Möglichkeiten und die Grenzen des Einsatzes von Bildern zu bestimmen und die Bedingungen dieser Möglichkeiten und Grenzen zu analysieren. Sie wird in dem anspruchsvollen Sinne einer kritischen Grundlegung des Bildbereichs wesentlich Bildkritik sein.

Die theoretische Bewältigung der Visualisierungstendenzen liefert einen wichtigen Aspekt im Umgang mit modernen Bildmedien. Ein weiterer, ebenso wichtiger Aspekt besteht in der Vermittlung der theoretischen Modelle mit den praktischen Erfordernissen. Diese Vermittlung, die den Erwerb visueller Kompetenzen einschließt, findet üblicherweise im besonderen Maße in der Schule statt. Um sie zu intensivieren, sollten Bemühungen zur Schaffung eines eigenen Schulfaches betrieben werden, das „Visuelle Medien“ heißen könnte. Die Aussichten, ein solches Schulfach einzurichten, werden in dem Maße besser, in dem sich die an Formen der visuellen Vermittlung Interessierten zusammenschließen. Inhaltlich kommt hierbei den Bildmedien Film und Fernsehen eine besondere Rolle zu, da Film und Fernsehen eine besondere große Breitenwirkung aufweisen. Aber auch Phänomene der Bildenden Kunst und der gesamte Bereich digitaler Medien (etwa die beliebter werdenden Computerspiele) nehmen einen wichtigen Stellenwert innerhalb der beschriebenen Visualisierungstendenzen ein.

Im Folgenden möchte ich mein Plädoyer für ein integriertes Schulfach „Visuelle Medien“ zunächst mit einer allgemeinen Skizze der Grundzüge einer interdisziplinären Bildwissenschaft beginnen und dann das Verhältnis der verschiedenen Bildmedien zueinander erläutern. In einem dritten Teil werde ich dann auf die Inhalte des angestrebten Schulfaches genauer eingehen.

2. Aspekte einer allgemeinen Bildwissenschaft

Das Bedürfnis nach konzeptioneller Klärung einer interdisziplinär verfassten Bildwissenschaft hat sich in den letzen Jahren weiter verstärkt. Dies dokumentieren die neueren Beiträge zu einer allgemeinen Bildwissenschaft (vgl. etwa Belting 2001, Boehm 2001, Huber, Lockemann & Scheibel 2002, Huber 2004 oder Sachs-Hombach 2003, 2004a und 2004b) wie auch die thematisch (beispielsweise auf die Fotografie oder auf die mediale Kommunikation) ausgerichteten Beiträge (vgl. etwa Greimer 2002 oder Strassner 2002), die in vielen Fällen sowohl um Interdisziplinärität wie auch um eine disziplinenspezifische Etablierung der Bildthematik (beispielsweise im Rahmen der Erziehungswissenschaft, der Politikwissenschaft oder der Kommunikationswissenschaft) bemüht sind (vgl. Ehrenspeck & Schäffer 2003, Hofmann 1999, Knieper & Müller 2001).

Eines der grundlegenden Probleme, das eine schnelle Institutionalisierung der Bildwissenschaft bisher verhindert hat, besteht darin, dass die Bildwissenschaft interdisziplinär, die akademische Forschung dagegen weitgehend nach Disziplinen organisiert ist. Interdisziplinäre (oder auch nur multidisziplinäre) Unternehmungen bedürfen daher oft zusätzlicher Anstrengungen und einer beständigen Legitimation den bestehenden Disziplinen gegenüber. Dies ist für die Durchführung konkreter Forschungsprojekte üblich und durchaus sinnvoll, für einen geregelten Wissenschaftsbetrieb aber auf Dauer sehr hinderlich. Da eine allgemeine Bildwissenschaft aus begrifflichen Gründen interdisziplinär verfasst ist und ihre Überführung in eine Einzeldisziplin unangemessen wäre (und auch unwahrscheinlich ist), kann sie sich dem Problem interdisziplinärer Forschungen nicht entziehen.

Wie lassen sich dann aber die unterschiedlichen Ansätze, Theorien und Disziplinen aufeinander beziehen? Wie lässt sich, anders gesagt, eine allgemeine Bildwissenschaft etablieren? Dies ist meines Erachtens nur möglich, wenn es gelingt, einen gemeinsamen Theorierahmen zu entwickeln, der für die unterschiedlichen Disziplinen ein integratives Forschungsprogramm bereitstellt. Er muss den unterschiedlichen Bildbegriffen Rechnung tragen und hinreichend Anknüpfungspunkte für die verschiedenen disziplinspezifischen Zugangsweisen eröffnen. Dies ist nur zu leisten, wenn die Vorgaben des Theorierahmens zwar sehr allgemein gehalten sind, aber dennoch konkret genug bleiben, um die Generierung empirischer Fragestellungen zu erlauben. Der Theorierahmen muss daher die minimalen Bedingungen explizieren, die jede der in Betracht genommenen Theorien erfüllt bzw. erfüllen können sollte. Einen solchen Theorierahmen zu entwickeln ist ganz wesentlich eine begriffskartografische Aufgabe. Da sie mitunter recht grundsätzlich verfährt und den Eindruck eines starren Gerüstes erwecken könnte, ist im Auge zu behalten, dass ein solcher Theorierahmen keineswegs beansprucht, all die verschiedenen konkreten Bildphänomene und Bildaspekte schon verständlich zu machen.

Unter einem Theorierahmen verstehe ich ein Aussagengefüge, das die gemeinsamen Annahmen verschiedener Theorien zusammenfasst. Ein Theorierahmen ist keine Metatheorie; denn während die Metatheorie eine Theorie über Theorien ist, in der die konstitutiven Bedingungen bestimmt werden, die Theorien (und auch Theorierahmen) erfüllen müssen, ist der Theorierahmen inhaltlich ausgerichtet. Er ist eine verallgemeinerte, integrative Theorie, in der diejenigen Begriffe als zur Erforschung eines Phänomenbereichs wesentlich ausgezeichnet und charakterisiert werden, die in den unterschiedlichen Theorien zu diesem Bereich (eventuell nur implizit) enthalten sind. Auf diese Weise wird das begriffliche Instrumentarium bestimmt, das innerhalb der Erforschung eines Phänomens konzeptionell unverzichtbar ist.

Als minimales Kriterium für eine allgemeine Bildwissenschaft lässt sich fordern, dass sie ein Modell bereit hält, das nicht nur die verschiedenen Bildphänomene, sondern auch die genannten Bildwissenschaften in systematischer Weise verbindet, ohne deren Eigenständigkeit in Frage zu stellen. Wird der Ausdruck „Wissenschaft“ relativ streng aufgefasst, wären zudem einheitliche (oder zumindest aufeinander abgestimmte) methodische Vorgaben zu entwickeln. Eine allgemeine Bildwissenschaft ist demnach keine neue, weitere Disziplin, die neben die bereits ausgebildeten Bildwissenschaften tritt. Sie besteht ganz wesentlich in dem Theorierahmen, der als begriffskartografische Vorklärung die theoretischen Grundlagenreflexionen liefert, die auch die fachspezifischen bildwissenschaftlichen Forschungsansätze enthalten (sollten) und über die die Bildwissenschaften insgesamt aufeinander bezogen sind.

Die These, dass Bilder wahrnehmungsnahe Medien sind, will in diesem Sinne die minimalen, unkontroversen Bedingungen des Bildbegriffs explizieren. Dazu hebt sie den medialen Charakter und den Wahrnehmungsbezug von Bildern hervor. Sie besagt also, dass der Ausdruck „Bild“ nur zur Bezeichnung derjenigen Phänomene verwendet werden sollte, die zumindest einen Inhalt haben und dessen Interpretation relativ zu bestimmten Wahrnehmungsstandards erfolgt. Diese Charakterisierung ist bewusst sehr allgemein gehalten. Sie soll lediglich das Begriffsfeld abstecken, mit dem für die diversen Bildbegriffe gemeinsame Adäquatheitsbedingungen vorgegeben werden. Der Medien- und der Wahrnehmungsaspekt liefern hierbei zwei Komponenten, die für sich genommen nicht bildspezifisch sind (also auch in bildunabhängigen Kontexten auftreten), gemeinsam aber ein durch Wahrnehmung fundiertes Verweisungsverhältnis konstituieren. Demgemäß liegt eine Bildverwendung nur dann vor, wenn beide Komponenten zugleich auftreten. Der besondere Reiz eines solchen Vorschlags besteht darin, dass nun das spezifische Leistungsprofil der unterschiedlichen Bildtypen, Bildfunktionen oder Bildverwendungen als Ergebnis einer variierbaren Kombination beider Komponenten analysiert werden kann (vgl. ausführlicher Sachs-Hombach 2003).

Im Zentrum der vorgeschlagenen Rahmentheorie steht als oberster Begriff der Medienbegriff. In der hier relevanten Bedeutung bezeichnet der Medienbegriff die physischen Träger eines Zeichensystems. Medienbegriff und Zeichenbegriff bedingen sich also. Der Medienbegriff lässt sich nun (unter anderem) in die Begriffe des sprachlichen und des bildhaften Mediums aufgliedern. Systematisch ergiebig ist es, zunächst zwischen arbiträren und wahrnehmungsnahen Medien zu unterscheiden. Während die natürliche Sprache (neben abstrakten oder beliebig verabredeten Symbolen) sicherlich die bedeutendste Klasse der arbiträren Medien bildet, lassen sich insbesondere die gegenständlichen Bilder als paradigmatische Fälle der Unterklasse der visuellen wahrnehmungsnahen Medien bestimmen. Die Klasse der wahrnehmungsnahen Medien sollte also vom Begriff her nach Wahrnehmungsmodalitäten untergliedert werden. Für die auditiven Medien, die teilweise arbiträr (etwa ein Klingelzeichen), teilweise wahrnehmungsnah (etwa die Imitation einer Vogelstimme) sind, haben sich allerdings keine eigenen Ausdrücke herausgebildet, so dass wir teilweise sogar von Hörbildern sprechen.

Im Rahmen einer solchen Gliederung wird klar, dass es lediglich der Zeichenaspekt ist, der eine Orientierung an der Sprachwissenschaft nahe legt, die derzeit als die am besten ausgearbeitete spezielle Zeichentheorie gelten kann. Das Spezifische der bildhaften Medien ist damit aber nicht erfasst. Es liegt in dem Wahrnehmungsaspekt dieser Medienklasse. Eine Bildwissenschaft muss der vorgeschlagenen Konzeption zufolge notwendig die Erforschung der entsprechenden Wahrnehmungsaspekte einschließen. Hierin ist sicherlich einer der entscheidenden Gründe zu sehen, weshalb die Bildwissenschaft notwendig interdisziplinär verfasst sein muss. Um von der Vielzahl der unterschiedlichen Medien das System der Bildmedien abzugrenzen, dient der geforderte Wahrnehmungsbezug also als spezifische Differenz. Entscheidend ist hier, dass auch für die Interpretation bildhafter Medien der Rekurs auf Wahrnehmungskompetenzen konstitutiv ist. Unter „wahrnehmungsnah“ ist daher nicht zu verstehen, dass Medien im Kommunikationsprozess wahrgenommen werden, denn diese Bedingung gilt für den Mediengebrauch generell. Zumindest einige Aspekte der Bedeutung, die mit wahrnehmungsnahen Medien vermittelt werden soll, müssen vielmehr durch die Struktur des Mediums selbst motiviert sein, während die Medien arbiträrer Zeichen in der Regel keinerlei Hinweise auf die entsprechende Bedeutung enthalten.

3. Film und Bild

Um die Fruchtbarkeit interdisziplinärer Bemühungen im Bildbereich zu verdeutlichen, möchte ich im Folgenden das Verhältnis von Bild und Film anhand zweier (sich nicht gegenseitig ausschließende) Ansätze skizzieren, denen ich die Titel „Bild im Film“ und „Film als Bild“ gebe. Bilder können zunächst im Film in unterschiedlicher Weise thematisch werden. Eine sehr konkrete Art ist das im Film gezeigte Portrait. Es gibt zahlreiche Filme, prominent etwa Otto Premingers Laura, in denen dies Thema das zentrale Motiv bildet. Oft besteht eine besondere, teilweise konkurrierende Beziehung zwischen einer Heldin (bzw. einem Helden) und einem / ihrem Bildnis, die im Laufe des Films dramatisiert wird.

Eine weitere Art, das Bild filmisch zu thematisieren, liegt vor, wenn nicht ein spezielles Bild, sondern ein Bildmedium bzw. ein spezielles Bild in der Funktion als spezifisches Bildmedium thematisch wird. Die Übergänge sind sicherlich fließend. Für Hitchcocks Rear Window lässt sich beispielsweise zeigen, dass es bei den vielen Bildern, die im Film teilweise in Großaufnahme gezeigt werden, nicht (nur) um einzelne Fotografien geht, sondern um eine Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie und damit auch um einen Vergleich von Film und Fotografie.

Ein weiteres, erneut komplexeres Verfahren, Bilder in Filmen zu integrieren, besteht darin, ein spezielles Bild oder Bildgenre als stilistisches Vorbild für einen Film zu nehmen. So ist Stanley Kubricks Barry Lyndon von Gemälden aus dem 18. Jahrhundert inspiriert. Peter Greenaway, selbst als Zeichner ausgebildet, scheint sich dieses Verfahren oft zunutze gemacht zu haben, um seinen Filmen durch den historischen Bezug einen geeigneten Anspielungshorizont und damit entsprechende inhaltliche Verweise zu geben. The Cook, the Thief, His Wife and Her Lover ist im Bildaufbau beispielsweise Gemälden des 17. Jahrhunderts nachempfunden, Prospero’s Books dagegen im Stil der Renaissance Kunst gedreht. Ein verwandtes Verfahren ist das Nachstellen von Bildern als tableau vivant, wie es beispielsweise Jean-Luc Godard in Passion mit zehn berühmten Bildern inszeniert hat (vgl. Paech 2003).

Einen kulturellen und historischen Raum eröffnet ebenfalls (das empirisch inzwischen untersuchte) Phänomen der Schlüsselbilder (vgl. Ludes 2001). Schlüsselbilder sind markante Bildstereotypen, die oft massenmedial gesteuert einen Inhalt für das kulturelle Gedächtnis aufbereiten. Visuelle Stereotypen lassen sich kunstgeschichtlich verfolgen und untersuchen und insbesondere im Film belegen (vgl. Schweinitz 2004). Sie sind auch für einzelne Filme als diejenigen Einstellungen oder kurzen Sequenzen aufzuweisen, die einen besonders nachhaltigen Eindruck hinterlassen und entsprechend gut erinnert werden.

Die Liste der unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten des Bildes im Film lässt sich ergänzen (aber keineswegs abschließen) durch das spezielle Phänomen der Bildhaftigkeit des Films, auf das David Bordwell hingewiesen und etwa bei Wenders diagnostiziert hat. Die Eigenschaft der Bildhaftigkeit wird hier als stilistische Qualität verstanden. So bedienen sich Regisseure wie Yasujiro Ozu oder Wim Wenders zur Aufwertung des Visuellen des kontemplativen Bildes.

Während das Phänomen „Bild im Film“ mehr oder weniger spezielle Aspekte des Films zum Thema hat, für dessen Verständnis insbesondere (aber nicht nur) die mit der Bildgeschichte bestens vertraute Kunstwissenschaft kompetent ist, geht es bei dem oft von der Philosophie lancierten Phänomen „Film als Bild“ darum, den Film insgesamt als Bildmedium zu verstehen, also als eine der Facetten des Visuellen, die im Rahmen einer allgemeinen Bildwissenschaft behandelt werden sollte. Auch hier lassen sich wiederum verschiedene Schwerpunkte oder untergeordnete Teilaspekte differenzieren. So will etwa der philosophiegeschichtliche Exkurs auf Platons Höhlengleichnis in der Regel nicht von einzelnen, für den Film wichtigen Bildern reden, sondern allgemeine Bestimmungen erörtern: beispielsweise die Rezeptionsbedingungen im Film, das Verhältnis von Film und Wirklichkeit oder die epistemische bzw. ideologische Funktion von Filmen. Für all diese Themen lassen sich in der Regel diffizile, auf die Antike zurückreichende und bis in die Gegenwart lebendige bildtheoretische Traditionen ausmachen.

Unabhängig von solchen Teilaspekten ist bei der Variante „Film als Bild“ entscheidend, Film als ein spezielles visuelles Phänomen zu verstehen, das viele Unterschiede aber auch viele Gemeinsamkeiten mit den üblichen statischen Bildern aufweist. Hierbei trifft der Bildaspekt natürlich nur auf einen Teil des Films zu, denn Film erschöpft sich ja nicht in der visuellen Darstellung. Der Filmbegriff ist also zugleich enger und weiter als der Bildbegriff. Er ist enger, insofern Film nur ein spezielles Bildmedium unter andern (etwa neben der Fotografie) darstellt. Er ist weiter, insofern Film ein überaus komplexes Zeichensystem bildet, das auf jeden Fall Sprache, Bild und Ton umfasst. Er ist daher gewissermaßen ein Medium zweiter Ordnung, das sehr unterschiedliche Medien in sich integriert. Das schließt keineswegs aus, dass der Film eigene Charakteristika aufweist, die ihn von anderen Künsten unterscheiden. Diese Charakteristika liefern aber nur in ihrer Verbindung eine hinreichende Bestimmung, jede einzelne Eigenschaft findet sich dagegen ebenso in den verschiedenen anderen Künsten. Der zentrale Aspekt der im Bild integrierten Kameraperspektive etwa, mit dem ein Blickwinkel auf das Geschehen vorgegeben wird, ist eine für den Film notwendige Eigenschaft, die er mit der Fotografie gemeinsam hat. Von der Fotografie unterscheidet sich der Film dagegen wesentlich durch seine zeitliche Dimension, die aber auch Theater und Musik charakterisieren.

Der Film ist also ein synästhetisches Medium (und in dieser Hinsicht am ehesten noch der Oper vergleichbar), das sehr verschiedene Komponenten und damit auch sehr verschiedene Ursprünge besitzt. Hierbei ist der Bildaspekt aber ein unverzichtbares Moment. Eine angemessene filmwissenschaftliche Analyse muss in besonderer Weise den Zusammenhang der akustischen und narrativen Ebene mit den bildhaften Elementen verständlich machen können, den Zusammenhang zwischen dem, was im Film zu hören ist, und dem, was zu sehen ist, was der Film zeigt. Das ist sicherlich auch unstrittig. Eine solche Analyse beinhaltet aber mehr als ein auf einzelne Filme angewandtes hermeneutisches Verfahren. Um einen vorurteilsfreien Blick auf die filmspezifischen medialen Bedingungen des Films zu eröffnen, sollte aus der Sicht einer allgemeinen Visualistik (der es um die Prinzipien geht, die filmischen Gestaltungen und Wirkungen zugrunde liegen) überhaupt strenger unterschieden werden zwischen allgemeinen begrifflichen Erwägungen, Fragen der konkreten Analyse und Interpretation und schließlich den Problemen der Bewertung einzelner Filmkunstwerke.

4. „Visuelle Medien“ als Schulfach

Die bisherigen Ausführungen wollten verdeutlichen, dass es eine allgemeine Visualsitik geben kann und geben sollte, in der es sinnvoll und theoretisch aussichtsreich ist, dass unterschiedliche Disziplinen an der Erforschung teilweise unterschiedlicher Bildmedien zusammenarbeiten. Diese Rahmenkonstruktion kann und sollte ebenfalls als Richtlinie für die Einrichtung neuer Studiengänge und eines Schulfaches „Visuelle Medien“ dienen. Der berechtigter Weise zu fordernde Nachweis des gesellschaftlichen Nutzens dieser Fächer ergibt sich aus der Bildkompetenz, die als grundlegende Kulturtechnik zu fördern Aufgabe einer allgemeinen Bildwissenschaft wäre. Ihr Nutzen lässt sich über das Stichwort „visueller Alphabetismus“ (vgl. MESSARIS 1994) einführen. Danach muss das Verständnis visueller Ausdrucksformen (nicht anders als das sprachlicher Ausdrucksformen) gelernt werden. Dies ist in dem Maße erforderlicher, in dem die Verbreitung und Tiefenwirkung von Bildern durch die Massenmedien zunimmt und immer subtilere Möglichkeiten der technische Bildproduktion und Bilddistribution entstehen. Zunehmend muss den einzelnen Mitgliedern hochkomplexer Informationsgesellschaften damit eine kritischere Bildkompetenz abverlangt werden, sollen beispielsweise die mit den Bildmedien verbundenen manipulativen Techniken nicht die Überhand gewinnen. Hier mag die visuelle Berichterstattung zum Irak-Krieg als Beispiel dienen. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, den Umgang mit Bildern und insbesondere mit den modernen (Bild-)Medien als eine der Kulturtechniken aufzufassen, die wie das Lesen und Schreiben bald als Voraussetzung zur Teilnahme am politisch-gesellschaftlichen Leben wird gelten müssen.

Ist die bisherige Diagnose zutreffend, dann liegt es nahe, ein Schulfach einzurichten, das den spezifisch interdisziplinären Anforderungen an die Bildthematik gerecht wird. Ein solches Schulfach könnte „Visuelle Medien“ heißen, um einerseits den Schwerpunkt auf den Bildbereich, andererseits aber auch die Bedeutung des medialen Aspektes zu betonen. Sachlich wäre dieses Schulfach auf jeden Fall zwischen den traditionellen Fächern angesiedelt und würde sich daher in besonderer Weise als projektorientiertes Schulfach eignen, das eine Verbindung der traditionellen Fächer anstrebt. Sein Schwerpunkt läge einerseits auf den unterschiedlichen Formen der bildgestützten Kommunikation, andererseits auf den elementaren technischen Aspekten, die sich insbesondere mit den modernen Bildmedien verbinden. Auf diese Weise könnte es anhand der Bildthematik eine integrative Funktion übernehmen, die dem viel beschworenen Problem der zwei Kulturen entgegenwirkt und heutzutage gar nicht überschätzt werden kann.

Als Schulfach würde die Bildmedienerziehung mit vielen Fächern Überschneidungen aufweisen. Dennoch ist es kaum möglich, die mit den Bildmedien neu entstandenen thematischen Felder und Inhalte durch Umgestaltung der bestehenden Fächer abzudecken. Dies wäre nur auf Kosten des jeweils spezifischen Auftrages der einzelnen Fächer möglich. Sicherlich könnte beispielsweise im Deutschunterricht ein Vergleich zwischen einem literarischen Werk und seiner Verfilmung angestellt oder im Kunstunterricht einige Kompositionsprinzipien der modernen Bildwerbung herausgearbeitet werden. Das ist ohne jeden Zweifel sinnvoll und wünschenswert und sollte auch in den entsprechenden Curricula enthalten sein. Zum einen sind diese Themen aber immer nur Randthemen des Deutsch- bzw. des Kunstunterrichts, sofern es dort wesentlich um den sprachlichen bzw. musischen Ausdruck gehen soll. Zum andern ließen sich auf diese Weise die technischen Aspekte nicht integrieren. Zunehmend sind Bilder heutzutage aber primär innerhalb der modernen Bildmedien zugänglich. Wie das Zeichnen Gegenstand des Kunstunterrichts ist, sollte daher im Fach „Visuelle Medien“ auch die Fähigkeit vermittelt werden, mit den Bildmedien zumindest in rudimentärer Weise aktiv gestaltend umzugehen.

Ist es sinnvoll, ein Schulfach „Visuelle Medien“ einzurichten, dann muss ein entsprechendes Lehrangebot an den Universitäten geschaffen werden. Bisher gibt es jedoch keine interdisziplinären bildwissenschaftlichen Institute. Werden diese nicht in Kürze aufgebaut, droht die Gefahr einer einseitigen Ausrichtung der Bildwissenschaft im Rahmen der etablierten Wissenschaften. Zwar sind beispielsweise die derzeitigen Bemühungen um die Bildwissenschaft innerhalb der Medienwissenschaft oder der Kunstwissenschaft selbstverständlich zu begrüßen, eine einzelne Disziplin ist aber prinzipiell nicht in der Lage, der Komplexität des Bildthemas gerecht zu werden. Eine angemessene Behandlung des Themas in Lehre und Forschung erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, die einerseits die verschiedenen Grundlagenaspekte – vor allem die Aspekte Wahrnehmung, Medium, Zeichen und Kommunikation – kompetent abdecken kann und andererseits eine Integration der anwendungsorientierten Disziplinen wie die Computervisualistik sicherstellt. Dies ist nur möglich, wenn letztlich eigene bildwissenschaftliche Institute geschaffen werden.

Alternativ oder ergänzend zu einem entsprechenden Schulfach bzw. Lehramtsstudiengang ist es sinnvoll, Master- und Bachelor-Abschlüsse einführen, die zum (Bild-)Medienberater befähigen und beispielsweise einen Schwerpunkt im Medienrecht, in der Medienökonomie oder der Medieninformatik aufweisen sollten und auf die Fähigkeit zur innerbetrieblichen Schulung des (Bild-)Medienumgangs abzielten. Die verschiedenen Varianten der bildwissenschaftlichen Lehre haben insbesondere dann gesellschaftlich Sinn, wenn sie eine engere Verbindung von technischen und reflexiven Aspekten aufweisen und sie dadurch den Bildmedienberater befähigen, als Integrationsfigur zwischen diesen Aspekten zu vermitteln. Dementsprechend wäre eine Kombination von Computervisualistik als der informatischen Bildwissenschaft und Visual Studies als kulturorientierte Bildwissenschaft zu begrüßen. Für die bildwissenschaftlichen Institute ist auf jeden Fall eine enge Verknüpfung der Bereiche Bild und Medien notwendig. Die zunehmenden Anforderungen in Betrieben wie Behörden an multimediale Präsentationen ihrer Inhalte und Angebote eröffnet Absolventen mit dieser Ausrichtung sicherlich auch zahlreiche berufliche Möglichkeiten auf unterschiedlichem Niveau, so dass zudem entsprechende Fortbildungen sinnvoll sind.

Zu diesen groß angelegten Projekten werden in Magdeburg seit einiger Zeit einige Anstrengungen unternommen. Zu nennen ist der Aufbau des Virtuellen Instituts für Bildwissenschaft (VIB) unter www.bildwissenschaft.org, das derzeit Bildwissenschaftlern verschiedener Fachbereiche als Forum zur Koordination und Diskussion ihrer bildwissenschaftlichen Forschungsprojekte dient und mit dem langfristig das Ziel verfolgt wird, über den interdisziplinären Diskurs hinaus als Wissensportal zu etablieren und so eine Informations- und Dienstleistungsstelle für Fragen der Bildwissenschaft bereitzustellen. Das VIB wäre auch geeignet, einzelne Lehrmodule aufzubauen, die zur Ergänzung des Lehrangebots an den bildwissenschaftlichen Instituten dienen können, so dass sich ein Teil des bei interdisziplinären Studiengängen oft nötigen Lehrimports über das Internet abwickelt lässt. Denkbar wird damit ebenfalls die zeitgleiche Installierung eines entsprechenden Studienganges an mehrerer Universitäten, die auf diese Weise ihre jeweiligen Schwerpunkte verbinden könnten und zugleich praktische Erfahrungen im Umgang mit modernen Bildmedien bereitstellen würden. Angesichts leerer Haushaltskassen ist das die wahrscheinlichste Variante der Institutionalisierung einer interdisziplinären Bildwissenschaft.

Mit der Schaffung des Zentrums für interdisziplinäre Bildforschung (ZIB) hat sich im Rahmen des virtuellen Instituts für Bildwissenschaft eine kleinere Forschergruppe gebildet, die es sich zur Aufgabe macht, die Möglichkeiten derartiger Unternehmungen zu bedenken und ihre Umsetzung zu unterstützen (weitere Infos siehe unter bildwissenschaft.org).

Literatur:

Belting, Hans (2001): Bild-Anthropologie. Entwürfe einer Bildwissenschaft, München: Fink.

Boehm, Gottfried (2001) (Hg.): Homo Pictor (Colloquium Rauricum, Bd. 7), München / Leipzig: Saur.

Ehrenspeck, Yvonne & Schäffer, Burkhard (2003) (Hg.): Film- und Fotoanalyse in der Erziehungswissenschaft. Ein Handbuch, Opladen: Leske & Budrich.

Greimer, Peter (2002) (Hg.): Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Hofmann, Wilhelm (1999) (Hg.): Die Sichtbarkeit der Macht – Theoretische und empirische Untersuchungen zur Visuellen Politik, Baden-Baden: Nomos.

Huber, Hans Dieter (2004): Bild, Beobachter, Milieu. Entwurf einer allgemeinen Bildwissenschaft, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag.

Huber, Hans Dieter, Lockemann, Bettina & Scheibel, Michael (2002) (Hg.): Bild, Medien, Wissen. Visuelle Kompetenz im Medienzeitalter, München: Kopaed.

Knieper, Thomas & Müller, Marion (2001) (Hg.): Kommunikation visuell. Das Bild als Forschungsgegenstand – Grundlagen und Perspektiven, Düsseldorf: Herbert von Halem Verlag.

Ludes, Peter (2001): Multimedia und Multi-Moderne: Schlüsselbilder. Fernsehnachrichten und World Wide Web – Medienzivilisierung in der Europäischen Währungsunion (enthält eine CD-ROM), Opladen: Westdeutscher Verlag.

Messaris, Paul (1994): Visual Literacy. Image, Mind, & Reality, Boulder (Colorado): Westview Press.

Paech, Joachim (2003): Intermedialität des Films, in. Felix 2003, 287-316.

Sachs-Hombach, Klaus (2003) (Hg.): Was ist Bildkompetenz? Interdisziplinäre Beiträge zur Fundierung einer allgemeinen Bildwissenschaft (Reihe Bildwissenschaft, Bd. 10), Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag.

Sachs-Hombach, Klaus (2004a): Wege zur Bildwissenschaft. Interviews. Köln: Herbert von Halem Verlag.

Sachs-Hombach, Klaus (2004b) (Hg.): Bildwissenschaft zwischen Reflexion und Anwendung. Köln: Herbert von Halem Verlag.

Schweinitz, Jörg (2004): Stereotyp und Film: Theoretische Diskurse – Ästhetische Transformationen, Berlin: Akademie Verlag.

Strassner, Erich (2002): Text-Bild-Kommunikation. Bild-Text-Kommunikation, Tübingen: Niemeyer.