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Die Macht der Bilder als Ohnmacht der Politikwissenschaft: Ein Plädoyer für die transdisziplinäre Erforschung visueller politischer Kommunikation


Autor: Benjamin Drechsel
[erschienen in: IMAGE 2: Kunstgeschichtliche Interpretation und bildwissenschaftliche Systematik]

Schlagwörter: Politisches Bild

Disziplinen: Politikwissenschaft


Die Politikwissenschaft hat Bilder bisher kaum für ihre Forschung verwendet. Wenn sie sich dem Phänomen der „politischen Bildlichkeit“ nun doch zuwendet, muss sie auf den methodischen und inhaltlichen Kompetenzen anderer bildwissenschaftlich orientierter Disziplinen aufbauen. Denn was ein Bild in politischer bzw. politikwissenschaftlicher Hinsicht bedeutet, wird durch sehr unterschiedliche Faktoren beeinflusst. Beispielsweise kann die Politikwissenschaft deshalb vom Bilderwissen der Kunstgeschichte, von der Visual Culture oder von der Medienwissenschaft profitieren. Insgesamt wäre politikwissenschaftliche Bilderforschung damit immer als transdisziplinäres Projekt zu denken.

Traditionally, visual analysis does not belong to political science. Thus, the analysis of political pictures has to be based on methods and knowledge of “Bildwissenschaften” such as art history, visual culture or media science. According to pictures, political science has not to start from “zero”, but has to try and learn of those other visually more competent sciences. After all, analysis of political pictures is always to be thought of as transdisciplinary.

Einleitung – Politikwissenschaftliche Bildforschung als Lernprozess

Bilder sind politisch hochrelevante Medien. Der Zusammenhang von Visualität und Politik müsste deshalb ein zentrales Gebiet jener interdisziplinär angelegten Bildforschung sein, die sich seit den 1990er Jahren mehr und mehr als „Zwischenschaft“ (Müller 2001: 23) im deutschen Sprachraum zu etablieren beginnt. Doch die Politikwissenschaft, der bei der Analyse „politischer Bilder“ eigentlich eine Leitrolle zukäme, hat sich damit bisher nur sporadisch und eher nebenbei beschäftigt. Zwar haben mittlerweile einige PolitikwissenschaftlerInnen „Symbolische Politik“ (Sarcinelli 1987) oder „Politainment“ (Dörner 2001) auch auf der visuellen Ebene untersucht, doch teilweise mangelt es ganz offensichtlich noch an der Grundlagenforschung zur visuellen politischen Kommunikation. So wurde die elementarste Einheit des einschlägigen Forschungsfeldes, „das politische Bild“, von PolitikwissenschaftlerInnen bislang eher ignoriert als definiert.

Um solche Defizite zu beheben, ist zunächst einmal ein interdisziplinärer Austausch notwendig. Politikwissenschaftliche Bildforschung kann und darf nicht mit einer vermeintlichen Stunde Null beginnen; vielmehr muss sie auf den methodischen und inhaltlichen Kompetenzen anderer bildwissenschaftlich orientierter Disziplinen aufbauen. Insbesondere die Kunstgeschichte hat in dieser Hinsicht ein reichhaltiges Wissen erarbeitet, das teilweise auch für die Erforschung politischer Kommunikation und politischer Kultur zentral sein könnte. Politikwissenschaftliche Bildforschung sollte dann aber nicht auf dieser ersten Stufe stehen bleiben, auf der es ihr ganz zentral um den einseitigen Erwerb des Wissens gehen muss, das andere Disziplinen schon jetzt bereit stellen. Weiterführende Ansätze gibt es bereits: Erste Kompetenzzentren zur visuellen Kommunikation haben sich in der Politikwissenschaft in den vergangenen Jahren gebildet. Sie arbeiten längst interdisziplinär und teilweise auch schon transdisziplinär (so etwa die Arbeitsgruppe „Visuelle Politik“ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft oder die Gießener Projektgruppe zur Erstellung des politikwissenschaftlichen Bildarchivs „BiPolAr“1). Genau dies sollte das langfristig anvisierte Ziel der Analyse „politischer Bilder“ sein. Nur eine vielstimmige, multiperspektivische Herangehensweise unterschiedlicher Disziplinen, verbunden mit dem interaktiven Austausch von Kompetenzen, kann einem bedeutenden Phänomen wie der visuellen politischen Kommunikation gerecht werden.

Bevor sie Auge in Auge mit anderen bildbefassten Disziplinen argumentiert, muss die Politikwissenschaft erst einmal deren Perspektiven auf die visuelle Kommunikation begreifen lernen. Die folgenden Kapitel enthalten deshalb Vorschläge bezüglich dieses wünschenswerten, interdisziplinären Lernprozesses. Zugleich werden dabei am Beispiel einer Abbildung des Grünen-Politikers und Bundesaußenministers Joschka Fischer einige Theoreme skizziert, die eine ertragreiche politikwissenschaftliche Bildforschung begünstigen könnten. Sie sollen insbesondere auch dabei helfen, das Phänomen „politisches Bild“ schematisch leichter fassbar zu machen. Denn „politische Bilder“ sind die Grundelemente der visuellen politischen Kommunikation und sollten deshalb auch zentrale Bestandteile des politikwissenschaftlichen Terminologie-Diskurses sein.

(1) Die politische Bedeutung des Bildes: Lernen von der Kunstgeschichte

Intuitiv und häufig auch nach dem Sprachgebrauch der Kunstgeschichte sind „politische Bilder“ eine ganz bestimmte Sorte von Bildern, nämlich Abbildungen staats- bzw. parteipolitischer Themen. Damit ist die Vorstellung verbunden, dass „politische Bilder“ zwangsläufig Politik abbilden. Ein Bild wäre demnach entweder politisch oder nicht politisch. Ein „Dazwischen“ gäbe es nicht. Man könnte ein „politisches Bild“ quasi auf den ersten Blick von einem „nicht politischen Bild“ unterscheiden. Das sofort erkennbare Sujet (d.h. das Thema) würde darüber entscheiden, ob ein Bild zum Gegenstand politikwissenschaftlicher Forschung werden könnte – denn Politikwissenschaft muss sich mit „politischen Bildern“ beschäftigen, „nicht politische Bilder“ hingegen gehören nicht in ihr Aufgabengebiet. Ein typisches Beispiel für die statische, bipolare Definition „des (nicht) politischen Bildes“ bietet der folgende Textauszug aus einer politikwissenschaftlichen Analyse des Fernsehprogramms der 1950er Jahre: „Peter von Zahns ‚Bilder aus der Neuen Welt’ z.B. waren ganz überwiegend keine politischen Bilder. Vielmehr führte er dem staunenden Publikum amerikanische Geschirrspülmaschinen und Rasenmäher vor.“ (Hoffmann/Sarcinelli 1999: 722) Abgebildete Geschirrspülmaschinen und Rasenmäher wären demnach also grundsätzlich keine politischen Sujets. Indirekt ist damit gesagt, dass Bilder immer Staats- oder Parteipolitik zeigen müssen, um „politische Bilder“ zu werden. Aber was ist dann mit einer Fotografie, die den US-Präsidenten George W. Bush beim Rasenmähen zeigt oder mit einer Fernsehdokumentation, die den Altbundeskanzler Helmut Kohl in seiner heimischen Küche präsentiert? Solche Beispiele zeigen, dass etwas mit dem bisherigen, statischen Sprachgebrauch nicht stimmt, wenn es um „politische Bilder“ geht. Das liegt an einem Phänomen, welches für die Kunstgeschichte längst ein alter Hut ist. Die Bedeutung eines Bildes ist nämlich niemals von vornherein durch sein Sujet festgelegt. Bilder sind vieldeutig, Bilder sind polyvalent.



Abbildung: Wahlplakat der Grünen

Der Kunsthistoriker Erwin Panofsky hat die Bedeutung von Bildern schematisch in drei Ebenen unterteilt (u.a. Panofsky 1996). Die erste Ebene ist normalerweise leicht zugänglich: Biologisch und kulturell sind unsere Blicke so geformt, dass wir in der oben gezeigten Abbildung nicht einfach Farbkleckse oder willkürlich angeordnete Lichtpunkte sehen können. Stattdessen nehmen wir einen Mann wahr, der mit seinem Finger in unsere Richtung weist. Wir sehen auf dieser „vorikonographischen Ebene“ also Farben und Formen, denen wir auf Grund unseres allgemeinen Weltwissens bestimmte grundlegende Bedeutungen zuschreiben. Daran schließt die zweite Ebene der Bedeutung nach Panofsky an: Um mit dem Blick in sie eindringen zu können, sind Textwissen und Kenntnis weiterer Bilder nötig. Dabei geht es häufig um bestimmte Ikonographien, d.h. um sich wiederholende Motive und Themen. Zum Beispiel gibt es in der Geschichte der abendländischen Kriegspropaganda einige Bilder, in denen Männer mit ihrem Zeigefinger auf ihre BetrachterInnen weisen. James M. Flagg etwa hat 1917 die US-Ikone „Uncle Sam“ auf diese Weise dargestellt, um Soldaten anzuwerben (Clark 1997: 105f). Auf Grund solcher Bezüge hat Panofsky die zweite Ebene der Bildbedeutung als „ikonographische Ebene“ bezeichnet. Zuletzt folgt dann die „ikonologische Ebene“: Hier geht es recht allgemein und abstrakt um die kulturgeschichtliche Bedeutung des jeweiligen Bildes. So lässt sich leicht herausfinden, dass die oben aufgeführte Abbildung Joschka Fischers Teil eines Plakats von Bündnis 90/Die Grünen aus dem Europawahlkampf 2004 ist – welche Rolle das Bild aber für den relativ erfolgreichen Ausgang des Wahlkampfs der Bündnisgrünen gespielt hat, kann durch unterschiedliche ForscherInnen mit guten Gründen jeweils sehr widersprüchlich beurteilt werden. Weil außerdem immer wieder neue ikonographische und intertextuelle Bezüge in einem Bild zu entdecken sind, ist auch seine Bedeutung ständig im Fluss. Ob ein Bild politisch ist oder nicht – das ist mithin eine Frage, die immer nur provisorisch beantwortet werden kann.

(2) Der politische Blick auf das Bild: Lernen von der Visual Culture

Bilder erlangen dadurch Bedeutung, dass sie angeblickt werden. Anders formuliert: Der jeweilige Blick entscheidet mit darüber, was ein Bild bedeutet. Eine pazifistische Anti-Amerikanerin wird wahrscheinlich sehr negative Gefühle entwickeln, wenn sie bemerkt, dass Joschka Fischer sich als grüner Uncle Sam hat darstellen lassen. Zugleich wird sie sich vielleicht daran erinnern, dass Fischer die Grünen 1999 in den Kosovokrieg geführt hat und deshalb häufig als Kriegstreiber beschimpft worden ist. Sie würde das Plakat aus diesem Grund vielleicht als eine Art militaristisches „Outing“ des Bundesaußenministers verstehen. Ein ausländischer Tourist, der zufällig an dem Plakat vorbei käme, würde hingegen möglicherweise gar nicht wissen, welches Amt Joschka Fischer bekleidet. Trotzdem könnte ihm die Parallele zu James M. Flaggs Uncle-Sam-Bild auffallen, das auch er schon häufig als Reproduktion in Zeitungen oder Sachbüchern gesehen hätte, und er könnte beispielsweise vermuten, dass Joschka Fischer eine Art deutscher Uncle Sam sei. Eine jugendliche Betrachterin wiederum, der die Propagandabilder des Ersten Weltkriegs völlig unbekannt wären, würde Joschka Fischers Fingerzeig eventuell für ein ganz ungewöhnliches Bildmotiv halten, das sie allerdings aus rein ästhetischen Gründen interessant fände, da sie ohnehin noch nicht wählen dürfte. Und ein feministisch gesonnener Grüner dürfte sich zu guter Letzt wohl ziemlich darüber ärgern, dass das wichtigste Wahlkampfplakat seiner Partei mal wieder von einem Mann vereinnahmt wird.

Blicke können Bilder also auf unterschiedlichste Weise politisieren (so geschehen bei der Anti-Amerikanerin, bei dem Touristen und bei dem Feministen) oder entpolitisieren (wie bei der Jugendlichen). Für die visuelle politische Kommunikation spielen Blicke jedenfalls eine entscheidende Rolle. Bisher hat neben der kunstgeschichtlichen und kommunikationswissenschaftlichen Rezeptionsforschung insbesondere die junge Forschungsrichtung „Visual Culture“ ein Sensorium für diese Problematik entwickelt. Sie beschäftigt sich insbesondere seit den 1990er Jahren auf unterschiedlichsten Ebenen mit der kulturellen Überformung von Blicken. Visualität ist in diesem Sinne nichts Naturgegebenes, sondern „a constantly challenging place of social interaction“ (Mirzoeff 1999: 4), wobei unter anderem Kategorien wie Gender, soziale Klasse oder Ethnie eine wichtige Rolle spielen. Die Forschungen zur Visual Culture setzen sich damit bewusst von wissenschaftlichen Perspektiven ab, die Bilder lediglich als Produkte der Hochkultur (d.h. auf ihren künstlerischen Wert hin) untersuchen. Solche Ansätze finden sich insbesondere in der klassischen Kunstwissenschaft: Sie beschäftigt sich häufig eher mit visuellen Objekten als mit visuellen Praktiken und vernachlässigt damit „die Formen des Sehens und Gesehenwerdens“ (Mitchell 2003: 43), die für die Visual Culture so zentral sind. Es ist also ein Plädoyer für einen erweiterten Blick auf die Bilder, wenn Tom Holert schreibt: „Die Frage nach dem Status des Bildes bleibt solange bloß für die Ästhetik und die Erkenntnistheorie interessant, wie man diese Frage nicht in den gesellschaftlichen, technologischen und ideologischen Kontexten stellt, in denen sie sich so massiv aufdrängt.“ (Holert 2000: 18)

Ein wichtiger Bezugspunkt für die Visual-Culture-Forschung ist der Franzose Michel Foucault. Er analysierte bereits in den 1970er Jahren den Zusammenhang von Sichtbarkeit und Macht. Foucault löste sich dabei von ästhetisierenden Betrachtungsweisen und erläuterte stattdessen den Zusammenhang historischer Gefängnisarchitekturen mit Herrschaftsfragen. Er war davon überzeugt, dass die Sichtbarkeit der Gefangenen und die Unsichtbarkeit der Mächtigen einem ausgeklügelten System folgten: „Das Prinzip der Macht liegt weniger in einer Person als vielmehr in einer konzertierten Anordnung von Körpern, Oberflächen, Lichtern und Blicken“ (Foucault 1977: 259). Foucaults Ansatz – und damit auch die Visual Culture – könnte sehr anregend für eine politikwisssenschaftliche Bildforschung sein. Denn nicht nur symbolschwer inszenierte politische Handlungen, sondern auch politische Systeme basieren in hohem Maße auf visueller Kommunikation. In einem kurzen Aufsatz, der direkt an Foucaults Bemühungen anschließt, hat der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler bereits einige dieser komplexen Verflechtungen beschrieben. So sind etwa demokratische Systeme in Bezug auf ihre Entscheidungsfindungen unmittelbar auf Sichtbarkeit angewiesen: „Die Autokratie verbirgt, die Demokratie zeigt.“ (Münkler 1995: 214)

(3) Der politische Träger des Bildes: Lernen von der Medienwissenschaft

Unterschiedliche Blicke können einem Bild die unterschiedlichsten Bedeutungen zuschreiben. Damit wird ein solches Bild dann möglicherweise politisiert oder auch entpolitisiert. Dieser Prozess findet aber nicht im luftleeren Raum statt. Allzu häufig wird über Bilder gesprochen oder geschrieben, als seien sie lediglich in unseren Köpfen vorhanden. Tatsächlich erblicken wir sie jedoch auf Leinwänden oder auf Computerscreens, als Skulpturen, als Architekturen und auf vielfältige andere Weise.2 Zwar ist das Bild im Kopf keineswegs mit dem angeblickten Träger identisch – ohne dieses Medium vermag der visuelle Prozess jedoch nicht abzulaufen. Medien sind für Bilder also zentral. Deshalb kann (und sollte) die Politikwissenschaft auch von der Medienwissenschaft profitieren, wenn sie sich mit politischen Bildern auseinander setzen möchte. So wäre etwa das folgende, berühmte Zitat Marshall McLuhans erneut zu überdenken: „Das Medium ist die Botschaft“ (McLuhan 1968: 13). Damit ist nämlich gesagt, dass die Bedeutung eines Bildes (unter anderem) von seinem Träger abhängt. Die Frage, ob ein Bild politisch sei bzw. wie politisch ein Bild sei, ist also unter anderem auch eine Frage nach dem jeweiligen Medium dieses Bildes. Beispielsweise werden Wahlplakate üblicherweise im öffentlichen Raum angebracht und sind damit jeder Person visuell zugänglich, die sich in diesem öffentlichen Raum sehend bewegt. Werden bestimmte Motive von einer Partei jedoch nur als elektronische Postkarte im Internet versendet, so wird damit lediglich eine medial privilegierte Schicht von BürgerInnen erreicht. Die digitale Spaltung der Gesellschaft in „Onliner“ und „Offliner“ wird damit zu einem Politikum und muss in Bezug auf die geeignete Bildmedien-Wahl für Parteienwerbung bedacht werden (Roters/Turecek/Klingler 2003).

Mit Hilfe der Medienwissenschaft lässt sich der wissenschaftliche Blick von seiner Fixierung auf einzelne Bilder lösen. So kann auch die Meta-Ebene der visuellen politischen Kommunikation ins Visier geraten. Beispielsweise definiert Werner Faulstich Medienpolitik als „die Instrumentalisierung der Medien für bestimmte politische Ziele. Es geht dabei um den Zusammenhang von Macht oder Einfluß und Medien.“ (Faulstich 1994: 55) Analog müsste die politikwissenschaftliche Analyse von „Bildpolitik“ (als Teilgebiet der Medienpolitik) das Zusammenspiel von Macht und Bildmedien zu verstehen trachten. Schon ein kurzer Blick in die politische Geschichte zeigt beispielsweise, dass künstlerisch ambitionierte Ölgemälde in früheren Zeiten eine ungleich bedeutendere Rolle bei der Repräsentation von Herrschaft spielten als heute (Warnke 1998). Das massenwirksamere Medium Fotografie hat die Malerei in dieser Hinsicht seit dem 19. Jahrhundert mehr und mehr entmachtet. Das selbe gilt übrigens für die visuelle Repräsentation von Gewalt; Kriege werden in den westlichen Gesellschaften des frühen 21. Jahrhunderts vorwiegend als Fotografien bzw. als TV-Formate sichtbar (Arbeitskreis Historische Bildforschung 2003; Sachsse 2003; Sontag 2003). Welchen Wandel der digitale Paradigmenwechsel in dieser Hinsicht mit sich bringen wird, lässt sich derzeit noch nicht sicher beantworten. Doch der Schwerpunkt des politischen Geschäfts scheint sich auch weiterhin immer deutlicher von der Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen auf ihre Darstellung zu verlagern. Zwar hat Politik stets beide Mechanismen beinhaltet: Die Herstellung einer Entscheidung ist nämlich nicht ohne ihre Darstellung denkbar. Doch werden die damit verbundenen Inszenierungen heute verstärkt der Logik visueller Medien unterworfen. Die von Thomas Meyer konstatierte „Kolonisierung der Politik durch das Mediensystem“ (Meyer 2001) ist mithin auch eine Kolonisierung der Politik durch Bilder und durch deren Trägermedien. Wer diesen Prozess analysieren möchte, wird folglich an den Erkenntnissen der Medienwissenschaft nicht vorbei kommen.

Fazit – Transdisziplinäre Erforschung politischer Bilder

Ebenso wie politische Systeme, politische Parteien und politische Theorien gehören auch politische Bilder ins Aufgabengebiet der Politikwissenschaft. Die methodischen Kompetenzen bezüglich dieses Forschungsbereichs besitzen bisher zwar eher andere Disziplinen (so etwa die Kunstgeschichte oder die Medienwissenschaft). Doch liegt darin nicht nur ein zentrales Problem für die Politikwissenschaft, sondern zugleich auch dessen Lösung: Sie muss von ihren visuell erfahreneren Nachbardisziplinen lernen, was Bilder sind, wie sie entstehen und wie sie wirken. Erst dadurch kann ein Verstehensprozess in Gang gesetzt werden, der politische Weltbilder und die politische Bilderwelt rational erschließt. Ein wichtiger erster Schritt auf diesem Weg wäre die Annäherung an das Phänomen „politisches Bild“. Bisher wird dieser Terminus häufig unreflektiert auf eine winzige Minderheit der visuellen Erscheinungen angewendet, nämlich insbesondere auf Abbildungen staats- und parteipolitischer Themen (etwa Wahlplakate). Diese Eingrenzung kommt insbesondere der Kunstgeschichte gelegen, die mit „den politischen Bildern“ eine begriffliche Kategorie zur Hand hat, um ihr ungleich größeres Forschungsfeld – „die ästhetischen Bilder“ – zu untergliedern.

Doch lässt sich aus den Arbeiten der Visual Culture, der Medienwissenschaft und auch der Kunstgeschichte lernen, dass die Bedeutung eines Bildes immer im Fluss ist. Bilder existieren nicht an und für sich, sondern lediglich als interaktive Prozesse, an denen Blicke, Trägermedien und Bedeutungen beteiligt sind. Die Bedeutung eines Bildes ist dabei nicht nur mit seinem Trägermedium verwoben, sondern auch mit den kulturell und sozial überformten Blicken, die den Bild-Prozess überhaupt erst in Gang setzen. Ändern sich die Blicke bzw. die Trägermedien, dann ändern sich damit auch die Bedeutungen. Kurz und gut: Wie politisch ein Bild ist, das hängt von variablen Kontexten ab. Gerät ein Bild in politische Kontexte, dann wird es politisch. Dafür genügt aber bereits der kritische Blick der PolitikwissenschaftlerIn, die ein Bild beispielsweise auf seine ikonographisch-ideologischen Bezüge oder auf seine medienpolitischen Verstrickungen hin untersucht. Mithin hat jedes Bild politisches Potenzial.

Das abschließende Schaubild stellt diesen Mechanismus schematisch stark vereinfacht dar und zeigt dabei noch einmal auf komprimierte Weise, wie das Forschungsgebiet „politische Bilderwelt“ systematisch und transdisziplinär erschlossen werden könnte.



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