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Inversion und Ambiguität. Ein Kapitel aus der psychologischen Optik


Autor: Hermann Kalkofen
[erschienen in: IMAGE 3 (Ausgabe Januar 2006)]

Schlagwörter: Geschichte der Inversionsfiguren, Ambiguität, partielle u. totale; Aspektäquivalenz

Disziplinen: Wahrnehmungspsychologie; Bildwissenschaft


Optical Inversion and ambiguity are not all the same thing. Within the relevant literature inversion seems to appear first. Aguilonius mentions 1613 in the fourth of his ’Opticorum Libri sex’ - illustrated by Rubens - the nonveridical perception of concave hollows (for instance, marks of cannon balls on a fortress’ walls) as convex bumps. If this view persists, as it is generally the case, inversion without ambiguity occurs. Inversion with ambiguity is, on the other hand, addressed by Robert Smith 1738, Porterfield 1759, Sinsteden 1860, when they describe, how the sails of a distant windmill allow an observer to recognize that their rotation-plane is tilted compared to the fronto-parallel one, but not their direction, so that it remains undecided, what is front, what is rear. Equivalence of front and back owing to parallel projection is equally the case in pictorial space; Necker’s ‘Cube’ (1832), a crystal, is primarily a three-dimensional body, but its depiction is a (plane) reversal figure, too, and Schröder´s ‘Staircase’ (1858) was always a picture. Soon after the French Revolution, about 1793, a picture puzzle was originated which enclosed the profiles of the recently executed royal couple; Rubin’s ‘Goblet’ with its rivalling contours could well have been modelled on this. Another class of reversal figures contains Jastrow´s ‘Duck-Rabbit’- and the ‘Wife/Mother-in-Law’-figure. – Inversion with ambiguity brings about “that alternative perceptions can arise from the same optic arrays“ (J.J.Gibson 1966: 246). This alternation of aspects has been on the minds of theorists from Wundt till Wittgenstein and has been used for the elucidation of views.

Abstract in deutscher Übersetzung:


Einige Illustrationen zum Abstrakt vorweg:

Abbildung 1 zeigt das Frontispiz zu Aguilonius' sechs Büchern der Optik (1618). Peter Paul Rubens, in dessen Werkstatt es entworfen wurde, stand bei der officina plantiniana unter Kontrakt. Abbildung 2 zeigt das Frontispiz von Aguilonius´viertem Buch: fallacia aspectus sind Täuschungen des Blicks, optische Täuschungen.



Abb. 1Abb. 2


Von Aguilonius stammt der Begriff des Horopters. Der Horopter ist, erinnern wir uns, „die Kreislinie, die durch den Fixationspunkt und die beiden optischen Mittelpunkte der Augen geht. Objekte, die auf diesen Kreis fallen, erzeugen Abbildungen, die auf korrespondierende Punkte der beiden Netzhäute fallen“ (Goldstein 1997: 571), und werden einfach gesehen. Diesseits und jenseits des Horopters entstehen Doppelbilder, wie sich der mönchische Gelehrte des Titelblatts vor Augen führen dürfte.

Das vierte Buch enthält eine Passage, in der es um Inversion geht (siehe Abb. 3), zu deutsch etwa: ”Konkave wie auch konvexe Oberflächen erscheinen aus der Entfernung betrachtet nicht selten umgekehrt” (Aguilonius 1618: 312 ). Auf diesen Text bezieht sich 1920 Wittmann, als er ‚Die Invertierbarkeit wirklicher Objekte’ untersucht: „Die von Aguillonius (1613) gemachte Beobachtung besteht darin, ”daß an den Wänden hervorragender Gebäude und Festungen aus der Ferne nicht selten Kugeln, die teils eingeschossen, teils künstlich eingefügt sind, konkav und die Höhlungen herausgefallener konvex erscheinen““ (Wittmann 1920: 69). Aguilonius zieht die Verteilung von Licht und Schatten zur Erklärung heran: „In konkaven [sc Formen] ist der Schatten auf der Seite, von der das Licht strahlt, in konvexen [sc Formen] dagegen ist der beschattete Teil [sc vom Licht] abgewandt“ (Aguilonius 1613 IV 313). Die Schatten-Licht-Verteilung lässt sich im Bild reproduzieren: „Auch bei der Natur nacheifernden Bildern kommt es zuweilen zu einem nicht unähnlichen Irrtum .. allein aus Unkenntnis des Lichts. Werde, beispielsweise, dieselbe oben auf planer Tafel abgebildete kreisförmige Figur A,B, d.h. A, von der entgegengesetzten Seite beschattet: wobei die Tafel, die diese enthält, bekanntermaßen eben ist. Sogleich wird aus ihr das [sc dreidimensionale Objekt] erhalten, was [zuerst] aus unendlichem Abstand offenbar konvex wie konkav gesehen wird. Dieselbe vorliegende Oberfläche wird unterschiedslos als tatsächlich aus dem Schatten hervorragend oder niedrig gelegen zu sein wahrgenommen. Wenn also das Licht von der Seite A her zu scheinen veranschlagt würde, wird dieselbe Oberfläche als konkav zu sein erachtet; tatsächlich herauszuragen, wenn das Licht von der Seite B her zum Vorschein kommt “( Aguilonius 1613 IV 313). Aguilonius begreift die alternativen Aspekte konkav-konvex als äquivalent. In seinem Schema fällt das Licht präzis horizontal, sei es von links oder von rechts, von der Seite her ein.

Entschieden plastischer ist das Relief bei dem in Abbidnung 4 gezeigten zeitgenössischem Beispiel, der Photographie eines grossbritannischen Eierkartons (vgl. Gregory 1977 10.18).



Abb. 3Abb. 4


Auch die Abbildung des Inneren einer Maske kommt von Gregory (vgl. Abb. 5; Gregory 1971, 131). ”In einer Abhandlung, betitelt On the optical illusion of the conversion of Cameos into Intaglios, and of Intaglios into Cameos, with an account of other analogues {sic} Phenomena ... sagt Brewster am Schluss“, heisst es bei Schröder 1852 (vgl. Abb. 6): ”Die letzte Art derartiger Täuschung und die merkwürdigste von allen wird hervorgebracht durch die fortgesetzte Anstrengung des Geistes, sich selbst zu täuschen. Wenn man eine Gypsform nimmt, wie sie zur Darstellung von Basreliefs benutzt wird, und das Auge fest darauf richtet, ohne von den umstehenden Gegenständen Notiz zu nehmen, so versetzt man sich in den Glauben, dass das Eingravierte ein Basrelief ist. ... Wir haben es darin so weit gebracht, dass wir im Stande waren, mit dem Auge allein eine ganze hohle Maske eines menschlichen Antlitzes in einen projicirten Kopf zu verwandeln” (Schröder 1852: 306-7).



Abb. 5Abb. 6


Von Robert Smith war die Rede, Astronom, wie ursprünglich Kant, und Professor der experimentellen Philosophie, wie später Wheatstone. Frontispiz seines vollständigen Systems der Optik (vgl. Abb. 7). ”Weil wir die Stellung eines Wetterhahns oder -fahne manchmal verkennen und das nächste Ende eines Windmühlenflügels für das entfernteste halten, fassen wir den Verlauf seiner Drehbewegung manchmal verkehrt auf” (vgl. Abb. 8; Smith 1738, 61). Diese Stelle finden wir 1759 , ohne Quellenangabe, bei William Porterfield, einem Mediziner, wieder. Rauminversion macht Bewegungsumkehr. So, wie die Inversion des Intaglio,, ohne von ihnen bemerkt zu werden, Steinschneidern bald begegnet sein wird, wird auch die Täuschung, die Smith illustriert (vgl. Abb. 9), nicht wenigen vor ihnen unterlaufen sein. Ihm ist sie aufgefallen. Wie Sinsteden, der 1860, wie Poggendorff, scheint’s auch, von Robert Smith und Porterfield nicht wusste (Abb. 10 und 11). Soviel nur zur zur Klasse der geometrisch-optischen Täuschungen gehörigen Klasse der von Burmester 1906 (nahezu idiosynkratisch) so genannten „Gestalttäuschungen, die dadurch charakterisiert sind, dass an einem monokular betrachteten, körperlichen Gebilde Ferneres näher und Näheres ferner, somit Vertieftes erhaben und Erhabenes vertieft erscheint“ (Burmester 1906: 321).



Abb. 7Abb. 8


Abb. 9

Abb. 11 Abb. 10


1.

Jerrold Jacob Katz (1932-2002), Linguist und Kognitionswissenschaftler, vergleicht in The Underlying Reality of Language (1971) - den Hinweis darauf finde ich bei Gandelman 1979 - syntaktisch zweideutige Sätze wie ”The shooting of the hunters was frightful” mit ambigen Figuren (vgl. Abb. 12); die Verhaltensrichtung, das genus verbi von ”shooting” (s.Abb. 12) kann aktiv wie passiv sein. Texts on the psychology of perception , auf die Katz sich beruft, enthalten an Inversionsfiguren in unserer Zeit nicht nurmehr die Schrödersche Treppe oder den Neckerschen Würfel.

Ottilie Redslob 1938, Gestaltpsychologin, Doktorandin bei Wallach und Duncker´- beide sind schon emigriert - unterscheidet (vgl. Abb. 13) an ”Vexierbildern”,
• solche, bei denen die Figur-Grund-Verteilung wechselt, (a)
• solche, bei denen eine Umkehrung der Tiefenverhältnisse stattfindet, (b), und
• solche, bei denen es zu einem Zentrierungswechsel kommen kann. (c)

Eine Dreiteilung dieser Art ist fast Gemeingut geworden (vgl. Abb. 14). Der Ausdruck ”Zentrierungswechsel” findet bei LONG & TOPPINO (1981) keine direkte Entsprechung; sie sprechen vom damit Gemeinten als ‚meaning reversal’.

Zu Jerrold KATZ zurück: Intuitiv Die Exemplare, die er zitiert, zählen zur b-Kategorie. Intuitiv leuchtet ein, dass Exemplare der a-Kategorie keine triftige Illustration grammatischer Zweideutigkeit abgeben dürften. Bei Exemplaren der c-Kategorie bin ich mir nicht so sicher.



Abb. 12Abb. 13


Abb. 14


1.1

Schrift ist Sprache in sichtbarer Form; in Form von Einzel-Graphemen, Graphemverbänden. Ein aufrechtes Oval (dass auch die Geste, in der die Spitzen von Daumen und Zeigefinger ein Oval beschließen, mehrdeutig ist, ist bekannt) ist sowohl Buchstabe /O/ als auch Zahlzeichen /null/ (vgl. Abb. 15a; findet sich ähnlich in v. ASTERs Einführung in die Psychologie (1915, 70). Ich sehe ihm nicht an, welcher der beiden Aspekte gerade gemeint ist. Bedeutet es mir eine Null, sieht es dann anders aus? Oder (vgl. Abb. 15b) als /ο μικρον/ anders als als /oh/?



Abb. 15aAbb. 15b


Der Satz

I VITELLI DEI ROMANI SONO BELLI

- die Wörter, kaum die Grapheme, sind doppeldeutig - ergibt sowohl lateinisch als auch italienisch verstanden vollständig Sinn, vollständig verschiedenen Sinn. Frage an Katz: ”Gibt es ein bildliches Gegenstück zu diesem homographisch-ambigen Satz?”

Ludwig Wittgenstein war, immerhin eine Zeit lang, einer der Unsrigen (vgl. Abb. 16); es war kein Außenstehender, der befand: ”Es bestehen nämlich in der Psychologie experimentelle Methoden und Begriffsverwirrung” (Wittgenstein 1971, 14). Im zweiten Teil der Philosophischen Untersuchungen – die letzte Bemerkung (xiv) gilt Mathematik und Psychologie - hat Wittgenstein sich ausgiebig mit Inversionsfiguren befasst, und zwar mit Inversionsfiguren jeder Gattung: Abb.17 oben ist eine Vorlage für die Inversion der Tiefe. Abb. 17 unten zeigt den berühmten H-E-Kopf; Vorlage für die Inversion von Bedeutung (Wittgenstein 1971, 308-9). Abb. 18 nochmals Tiefeninversion und Figur-Grund-Inversion (Wittgenstein 1971, 323-4 und 331). So wären die drei bisher erkannten Kategorien repräsentiert.

Der Psychologe und Sprachphilosoph untersucht darüber hinaus auch ein ikonisches Homogramm (vgl. Abb.19). Ein und dasselbe Dreieck kann – so wie ein aufrechtes Oval – Verschiedenes bedeuten. Die Vorstellungen wechseln, doch der Gesichtseindruck, die Perzeption, verändert sich nicht (Wittgenstein 1971, 319-20 und 331). Weil nun ein Homogramm nicht optisch invertieren kann, ist es auch keine Inversionsfigur.



Abb. 16



Abb. 17


Abb. 18
Abb. 19


2.

Betrachten wir die Hasenente, die konvexe Stufe, die konkav werden kann und das Doppelkreuz, fällt auf, dass es noch einfacher kaum geht. Anlass zu einem Exkurs zunächst auf die Schrödersche Treppe, zu Reminiszenzen.

2.1.

Ein physisches Bild ist in Schröders Artikel, 1858, ”das von einer Sammellinse, oder von einer wie eine Sammellinse wirkenden optischen Vorrichtung entworfene Bild eines Objects”, das ”entweder direct mit freiem Auge oder mit einem nicht umkehrenden Oculare betrachtet werde” (Schröder 1858, 300). Ein solches Bild steht also auf dem Kopf und damit auch ”die Schatten und Licht-Verhältnisse”, die ”eine doppelte Auffassung des Reliefs” erlauben, wenn sonstige deutlicheTiefenhinweise fehlen (vgl. Abb. 20). Schröder fügt seiner Abhandlung ”noch ein sehr auffallendes Beispiel von dem Umspringen der Vorstellung, selbst bei Betrachtung von Zeichnungen, bei” (a.a.O., 311). Die Ambiguität der Zeichnung in Schröders Beispiel - die zum Artikel gehörigen Illustrationen sind der SUB Göttingen anscheinend abhanden gekommen – verdankt sich nun aber gerade nicht dem Schatten-Licht-Verhältnis, sondern der zweideutigen Perspektive: Im 3. Band der Physiologischen Optik berichtet Helmholtz (vgl. Abb. 21) über eine ”von Schroeder angegebene Figur, welche ohne Schattierung in Fig. 49 wiedergegeben ist. Dieselbe wird meist als geometrische”, das ist Parallel-, ”Projektion einer Treppe aufgefasst werden. ... Bei Schroeder ist die Figur in zweierlei Form schattiert, was den Erfolg weiter nicht verändert” (Helmholtz 1910, Bd. 3, 239-40). Seit Helmholtz gilt die dem Original gegenüber modifizierte Figur als Schrödersche Treppe. Sie wurde weiter modifiziert. Die Exemplare in Abb. 22 sind nach der Zahl der Stufen von oben links nach unten rechts angeordnet. Das vorletzte Exemplar, das mit den zweieinhalb Stufen, stammt von Chambers & Reisberg 1985, bei denen es um - ihren Probanden nicht gelingen wollende - Inversion imaginierter Inversionsfiguren ging. Die Reduktion auf gerade eine Stufe – ist das denn überhaupt noch eine Treppe? – sie findet sich wohl nur bei Wittgenstein. Mehr braucht man nicht für zwei Aspekte. Hering – Sinstedens Mühle eingedenk - begnügte sich mit Kreuzen als Vorlagen zur Inversion der Tiefe (vgl. Abb. 23: Hering 1879: 579).



Abb. 20







Abb. 22


Abb. 21
Abb. 23


2.2

Und Wittgensteins H-E-Kopf ist ähnlich knapp gefasst (vgl. Abb. 24). Er ist ein Derivat der Abbildung bei Jastow, auf die sich Wittgenstein bezieht. Laut Brugger 1999 ein erstes Mal in Popular Science Monthly, schon 1899. Jastow gab an, dass er sie den Fliegenden Blätternentnommen habe. Die Leiste rechts in Abb. 24 zeigt 9 von 12 Hasenentenköpfen, die Brugger, die Ohrenschnäbel, teils originalwidrig, nach rechts ausgerichtet, meist ohne die Quellen zu nennen, zusammengestellt hat. Sein Exemplar 4 findet sich spiegelbildlich bei Brunswik 1935 und später bei andern. Schon möglich, dass es sich hierbei um die Ur-Hasenente aus den Fliegenden Blättern handelt. Hier ist die – ich nenne sie – Zentrierungsachse, der entlang die Aspekte wechseln, übrigens schief, die Jastow-Figur scheint den Hasen-Aspekt zu begünstigen. Bei Wittgenstein, nicht nur bei ihm, wird die Zentrierungsachse dann waagerecht gelegt; Versuch, mit den Aspekten ins Gleichgewicht zu kommen. Soviel zur Entwicklungsgeschichte des prominentesten Beispiels der c-Klasse.


,


Abb. 24


2.3

Die Figur-Grund-Inversion der a-Kategorie ist bei Wittgenstein durch das von ihm so genannte Doppelkreuz repräsentiert (vgl. Abb. 25 links), das wir, um 22,5° gedreht, etwa bei Koffka 1935 finden (vgl. Abb. 25 rechts). In Wittgensteins Version sind beide Kreuze gleich behandelt. Das Prinzip der Äquivalenz der Aspekte, das besonders hier zum Ausdruck kommt, isoliert, hätte auch Muster wie Figure 94 bei Bourdon (1902) und Figur 26 bei Mach (1904) erlaubt;fn>”Nur ausnahmsweise bietet Grund und Object dieselbe Form dar, worin ein häufig verwendetes ornamentales Motiv besteht” (Mach 1904, 164); die c-Kategorie ist weder bei Mach noch bei Bourdon vertreten.'; displayPopup(event);"> nicht aber die Verwendung des auch von Long & Toppino zur Vertretung der a-Kategorie herangezogenen, berühmten Rubinschen Bechers.



Abb. 25Abb. 26


3.

”Die Vexirbilder, in welchen etwa ein Gespenst zwischen Baumstämmen erscheint, sobald man den hellen Himmel als Object, die dunklen Bäume aber als Grund auffasst” so heißt es bei Mach (1904, 164) ”sind bekannt”. ”Napoleon und Grab auf St. Helena” dürfte vor 1836 entstanden sein (vgl. Abb. 27; Fernberger 1947), das ”versteckte Mädchen” wird von Henning 1925 (vgl. Abb. 28), ”The Hidden Man” von Porter 1961 mitgeteilt (Abb. 29). Ein Item aus dem Street-Gestalt-Test bringt Abb. 30.



Abb. 27Abb. 28


Abb. 29Abb. 30


Nun das im Abstrakt angekündigte Bild, aus Gombrichs Meditations on a Hobby Horse (Abb. 31). Außer denjenigen des königlichen Paars kann man zwei weitere Gesichter finden, im bei Pastore wiedergegebenen Bild (vgl. Abb. 32; Pastore 1971, 6) noch eins mehr.

Ein bürgerliches Paar aus einem Neuruppiner Bilderbogen, Ende 19. Jahrhundert (vgl. Abb. 33; Brockhaus 1971); hier ist der Pokal die Suchfigur. Abb. 34 nun zeigt nicht irgendeinen, sondern einen - etwas klobigen - Rubinschen Becher, dessen Aspekte Pokal und Profil, dank Gerald Fishers (1967) Mühewaltung, einigermaßen äquivalent sind. Soviel zum wohl berühmtesten Mitglied der a-Kategorie.



Abb. 31Abb. 32


Abb. 33Abb. 34


Abb. 35 bringt 6 weitere Produkte Fisherscher Äquivalenz-Bestrebungen. Von oben links: ”Schnecke und Elefant” (Fisher 1967), ”Pirat und Kaninchen” (Leeper 1935), ”Frau und Schwiegermutter” (Boring 1930), ”Mann und Schwiegervater” (Botwinick 1961), ”Ente und Kaninchen” (Jastrow 1900), ”Löwe und Rose” (Fisher 1967). Die hier exemplifizierte c-Kategorie der Inversionsfiguren ist von den dreien die heikelste; in seiner logographischen Verknappung stellt Wittgensteins H-E-Kopf wiederum eine Ausnahme dar.



Abb. 35


4.

Für Wundt, die (älteren) Exemplare der b-Kategorie firmieren 1898 bei ihm, von dem im Abstrakt die Rede war, als umkehrbare geometrisch-optische Täuschungenreicht die Zeit nicht mehr aus. Bleibt aber Titchener; zur Demonstration von ”Niveaudifferenzen des Bewusstseins” zieht er, sinnigerweise, ein Ex Libris des Neurologen Ludwig Edinger (1855-1918) heran, das diesem der Neuroanatom Johann v. Gudden (1824-1886) dediziert hat. Dies Exemplar der c-Kategorie ”stellt die linke Hirnhemisphäre dar, aber es ist zugleich etwas anderes. Während man sucht, ist die ganze Zeichnung auf dem oberen Niveau des Bewusstseins und die übrigen Bewusstseinsinhalte auf dem unteren. Plötzlich findet man das, wonach man sucht, und was tritt ein? Im entscheidenden Augenblick entschwindet die Darstellung des Gehirns von dem oberen Niveau: Die gesuchten Umrisse treten mit aller nur denkbaren Klarheit heraus, und die Form des Gehirnes ist um nichts klarer als der Eindruck des Buches in meiner Hand” (Titchener 1910, 277, zit. nach Henning 1925, 38). Zwei Aspekte auf einmal kann man nicht haben; geschweige denn mehr. ”Titchener behauptet also, dass dieselben Konturlinien gleichzeitig zwei Gestalten bilden, eine des Gehirnes und eine der nackten Kinder, wobei eine Gestalt klar, die andere dunkel ist. Man könnte mit denselben Elementen also gleichzeitig zwei ganz verschiedene Gestalten erzeugen” (Henning a.a.O.). Fragt sich ob Fig. 13 (vgl. Abb. 36) tatsächlich ”den Spezialfall” bildet, ”dass beide Auslegungen sämtliche Zeichenelemente erfassen” (wie bei Wittgensteins H-E-Kopf, in dem etwa das linke Enten- zum rechten Hasenauge wird ). Der Fall, in dem ”die zweite Auslegung nur einen Ausschnitt betrifft” ist häufiger zu finden, nicht zuletzt in der bildenden Kunst (vgl. Abb. 37). – Diese Unterscheidung zwischen totaler und partieller Ambiguität ist ein Gewinn. Lexikalisch-semantisch ist Katzens englischer Satz ein Fall von partieller und der romanische Satz ein Beispiel totaler Ambiguität. Und eine Inversionsfigur ist –idealiter – ein total ambiges Vexierbild. Mit äquivalenten Aspekten.



Abb. 36Abb. 37


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