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Bilderrätsel in der Werbung


Autor: Nina Bishara
[erschienen in: Bild-Stil: Strukturierung der Bildinformation (Themenheft zu IMAGE 3)]

Schlagwörter: Rätsel, Bilderrätsel, Werbung, Semiotik, Peirce, triadisches Zeichen

Disziplinen: Semiotik, Mediensemiotik, Werbeforschung


Both style and riddles share elements of surprise and deviation from expectancies. Pictorial riddles in advertising are especially suitable to show how pictures are processed and by which features they are interpreted. The analysis of five advertisements including opaque visual messages will differentiate stylistic devices relevant for the interpretation of the advertising message and the identification of the advertised product. Within the framework of Charles S. Peirce’s semiotics, this paper will argue that pictorial riddles in advertising are initially incomplete signs as their object at first is not established and their interpretant remains open.

Abstract in Deutsch:

1. Rätsel und Bild

Denken wir an Rätsel, so assoziieren wir damit wahrscheinlich Kreuzworträtsel, Silbenrätsel und andere Rätselformen in diversen Rätselheften und Zeitschriften. Mit dem ursprünglich mündlich überlieferten Volksrätsel, das in verschlüsselter Weise geistliches und weltliches Wissen zur Aufgabe macht, haben diese modernen Rätsel in Hinblick auf Form, Publikum und Verwendungszusammenhang nur noch wenig gemeinsam (vgl. Weber-Kellermann 1953: 106). Dennoch soll im Folgenden der Begriff des Rätsels verwendet werden, wenn es um moderne Bilderrätsel in der Werbung geht.

Das Wort Rätsel, das durch Martin Luther ins Hochdeutsche eingeführt wurde, stammt vom Verb „raten“ ab und kann neben seiner heutigen Grundbedeutung auch im Sinne von „für etwas Sorgen“ sowie „eine Meinung oder einen Entschluss kundtun“ verwendet werden. Ferner bedeutet es das Auslegen oder Lesen von Zeichen, früher speziell Runenzeichen (vgl. Petsch 1917: 1ff., Weber-Kellermann 1953:107). So haben etwa im Englischen die Wörter riddle und to read das gleiche Etymon.

Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Rätseln erfolgte vor allem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. In der Antike erörterte bereits Aristoteles das Wesen der Rätsel, das darin bestehe, dass „man Dinge sagt, die faktisch unmöglich miteinander zu verknüpfen sind“(Poetik 22). Rätsel seien demnach Metaphern „von verwandten aber auf den ersten Blick nicht offen zutage liegenden Dingen“ (Rhetorik III; 11). Auf das breite Spektrum der Rätselforschung mit ihren vielfältigen Kategorisierungs- und Definitionsversuchen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Im Folgenden sollen lediglich die Unterscheidung zwischen den echten und so genannten Scheinrätseln (vgl. Abrahams & Dundes: 1973: 130; Weber-Kellermann 1953: 110f.) sowie das Wesen des Bilderrätsels (vgl. Bessler 1978; Schenk 1973) von Bedeutung sein.

Im Gegensatz zum Scheinrätsel stellt das echte Rätsel meist eine mit einer zunächst verwirrenden Deskription verbundene Frage dar, welche zugleich die Antwort enthält. Ein echtes Rätsel ist also erratbar. Im Gegensatz dazu ist ein Scheinrätsel, zum Beispiel eine Weisheits- oder Wissensfrage, auf externe Inhalte und das Vorwissen der Zuhörer angewiesen, oder es bietet, wie im Falle der Scherzfrage oder des Witzes, eine völlig überraschende Lösung. Der Fragende eines echten Rätsels ist folglich eigentlich ein Wissender, und der Gefragte kann potenziell durch die in der Frage und Umschreibung beinhaltete Antwort in den Kreis der Wissenden aufgenommen werden.

Das Bilderrätsel stellt eine besondere Form des Rätsels dar. In ihm werden Bilder und andere Zeichen miteinander verbunden aus deren Lautwert, geometrische Form oder räumliche Anordnung eine gedankliche Einheit zu erraten ist. Ursprünge finden sich in der Heraldik, in den so genannten „redenden Wappen“, die schon zu Zeiten der Griechen und Römer geläufig waren (vgl. Schenk 1973: 13ff.). Besonders in der Renaissance wurde – hauptsächlich durch die Beschäftigung mit der ägyptischen Hieroglyphik – die schriftmäßige Verständigung durch das Bild wieder entdeckt und in Emblemen, Impresen und Devisen fortgesetzt (ibid.: 20ff.). Im 17. Jahrhundert haben Bilderrätsel vor allem politische und religiöse Inhalte mit zumeist anonymen Absendern. Zu den Bilderrätseln zählen auch Vexier- und Zerrbilder, so genannte Anamorphosen, in denen nur die richtige Perspektive zum vollständigen Bild beiträgt. Ferner werden Traumbilder von Traumdeutern häufig wie Rebusbilder behandelt. Freud sieht im Aspekt der Verrätselung eine Beziehung zwischen Träumen und Rätseln, denn sowohl in Träumen als auch in Rätseln werde der eigentliche Inhalt durch andere Inhalte und Zeichen ausgedrückt, die entschlüsselt und gedeutet werden müssen.

Nach Schenk (ibid.: 58f.) sind im Wesentlichen drei Formen des Bilderrätsels zu unterscheiden:

1. Bilderrätsel, die sich aus Bild und anderen Zeichen zusammensetzen, etwa aus Schriftzeichen, Zahlen- oder Rechenzeichen etc.;

2. reine Bilderrätsel sowie

3. reine Buchstabenrätsel in denen – anders als in der Schriftsprache sonst üblich – die räumliche Anordnung oder geometrische Form der Buchstaben von Bedeutung sind. Ein Beispiel ist die berühmte Einladung von Friedrich II an Voltaire:



2. Bild und Bilderrätsel in der Werbung

Das Bild in der Werbung ist ein motiviertes Zeichen. Es fungiert etwa als Ikon in der auf Ähnlichkeit beruhenden Darstellung eines Produkts (vgl. Nöth 1975), als indexikalisches Zeichen zum Zwecke der Bedeutungs- und Merkmalsübertragung (ibid.) oder als visuelle Metapher (vgl. Forceville 1995). Ferner stellen Bildgestaltung und Bildthemen ein wichtiges Mittel der Emotionalisierung, der Aufmerksamkeitserregung und Kontaktaufnahme mit dem Rezipienten dar, zum Beispiel durch Schockbilder in der Werbung, subjektive Kameraeinstellungen, Bildparodien oder surrealistische Darstellungsweisen (vgl. Messaris 1997). Die Textsorte ”Werbung” bedingt die funktionale Ausrichtung der Bild- und Textelemente einer Werbebotschaft, hat sie doch zum Ziel, auf die beworbenen Produkte oder Dienstleistungen aufmerksam zu machen, über diese zu informieren und potenzielle Kunden zum Kauf und Konsum zu animieren. Die Bilder in der Werbung sind folglich immer Bilder, die für eine bestimmte Aussage geschaffen wurden und eine konkrete kommunikative Funktion erfüllen sollen. Sie sind Mittel zum Zweck, nie Selbstzweck.

Als Bilderrätsel in der Werbung werden im Folgenden jene bildlichen Darstellungen in der Printwerbung bezeichnet, die weder in der bildinhärenten Botschaft noch in der Text-Bild-Relation einen auf den ersten Blick offensichtlichen Hinweis auf das beworbene Produkt, die Marke oder den Absender der Werbebotschaft beinhalten. Das heißt: das Rätsel betrifft die Werbebotschaft und das beworbene Produkt, nicht jedoch die Identifizierung des Textgenres ”Werbung” an sich. Die rätselhafte Werbung bleibt in Bezug auf ihre darstellende oder verweisende Funktion innerhalb der Textsorte Werbung enigmatisch und bedarf eines höheren Dekodierungsaufwands seitens der Rezipienten. Auf Grund ihres Wissens um die funktionale Ausrichtung der Bilder in der Werbung sind die Rezipienten (im Idealfall) bemüht, die Bilder nach Anhaltspunkten zur Bildinterpretation zu durchsuchen, um sie schließlich bedeutungsrelevant zu dekodieren. Die Rezipienten wissen, dass das enigmatische Bild eine Botschaft beinhalten muss, weil die Werbung sonst zum Scheitern verurteilt wäre. Auf der anderen Seite geben die Werbemacher strukturierende Mittel der Bildgestaltung und -interpretation vor, um das Risiko des Unverständnisses und des Scheiterns auf der Rezipientenseite zu vermeiden. Folglich handelt es sich bei den Bilderrätseln in der Werbung in der Regel um echte Rätsel im oben eingeführten Sinn. Gelingt den Rezipienten der vollständige Dekodierungsprozess jedoch nicht, bleiben die Bilderrätsel selbstreferenzielle Zeichen, die sich nur auf sich selbst beziehen und folglich die primären Ziele der Werbung nicht erfüllen (vgl. Bishara erscheint).

3. Stil, Rätsel und Metapher

Von den vielen Stildefinitionen wird im Folgenden eine Auffassung von Stil als Abweichung zugrunde gelegt. Stil ist hier die Differenz zwischen einer erwarteten Form oder Norm und der tatsächlichen Realisierung (vgl. Nöth 2000: 398). Das heißt: Die Erwartungen an ein Vorgegebenes werden durch die Abweichung nicht erfüllt. Die Abweichungen werden vor dem Hintergrund einer vereinbarten Norm bemessen. Für die vorliegende Untersuchung von Werbung dient die zuvor definierte referenzielle Werbebotschaft als Maßstab zur Bemessung der Abweichung in den Bilderrätseln der Werbung. Zu diesem Maßstab zählen auch die Erwartungen an und bisherigen Erfahrungen mit der Textsorte Werbung, die von einem durchschnittlichen Rezipienten erwartet werden können. Der Auffassung von Stil als Abweichung liegt ein Prinzip der Hervorhebung (foregrounding) zugrunde. In diesem Zusammenhang gilt es, die Funktion der markierten Elemente zu erörtern.

Im Sinne einer Abweichung von einer zu erwartenden Norm erörterte auch Aristoteles das Rätsel als stilbildendes Mittel. Er ordnet die Rätsel in seiner Rhetorik der metaphorischen Rede zu, die auf der Grundlage der Analogie eine „Abkehr von der allgemein gebräuchlichen Redeweise“ bewirkt und dieser „etwas Fremdartiges“ verleihe (Rhetorik III, 2; Herv. N. B.). Aus gut formulierten Rätseln könne man passende Metaphern entnehmen, „denn die Metaphern geben Rätsel auf, so dass daraus einleuchtet, dass sie eine gute Übertragung darstellen.“ Wenn also das Rätsel in der Alltagssprache einen Erwartungsbruch darstellt – denken wir an die Grice’sche Maxime der Art und Weise, nämlich dunkle und ambige Redeweisen zu meiden – so stellt das Rätsel in der Werbung, gemessen an der typischen Werbebotschaft, ebenfalls ein Stilmittel, eine Abweichung, dar.

Bevor auf die Analyse von Bilderrätseln in der Werbung eingegangen wird, sollen einige semiotische Grundlagen eingeführt werden, mit denen der Dekodierungsprozess der Rezipienten näher beschrieben werden kann. Der triadische Zeichenbegriff von Charles S. Peirce eignet sich hierfür in besonderer Weise. Eine wichtige Rolle spielt dabei die der Zeicheninterpretation zugrunde gelegte Stufenfolge der Erst-, Zweit- und Drittheit sowie der herzustellende Objektbezug und der Interpretant.

4. Semiotische Grundlagen

„Nichts ist ein Zeichen, was nicht als Zeichen interpretiert wird“ – mit diesen Worten formuliert Peirce (CP 2.308) die pragmatische Dimension des Zeichens, in der Interpretation und der (menschliche) Interpretant als Bedingung für Zeichenhaftigkeit gelten. Die Zeicheninterpretation ist auch das primäre Ziel der Werbung. Sie soll letztlich zu ökonomischen Handlungen führen: Potenzielle Kunden sollen der Werbung Aufmerksamkeit schenken, ihr Informationen über die beworbenen Produkte oder Dienstleistungen entnehmen und bestenfalls zum Kauf und Konsum animiert werden. Eine Werbeanzeige, die von den Rezipienten keinerlei Beachtung findet, kann diesen semiotischen Prozess und die anschließende ökonomische Handlung nicht initiieren.

4.1 Die drei Universalkategorien

Zeichen und semiotische Prozesse sind nach Peirce idealerweise durch drei Universalkategorien bestimmbar. Diese eignen sich, um die Stufen der Werberezeption zu beschreiben. Die Kategorie der Erstheit umfasst das bloße So-Sein undifferenzierter Möglichkeiten und Qualitäten, die noch ohne Referenz auf etwas sind. Auf dieser Stufe konstituieren die Text- und Bildelemente einer Werbebotschaft eigentlich noch gar keine Botschaft, da sie ohne Relation zu etwas wahrgenommen werden. Auf der zweiten Stufe, der Kategorie der Zweitheit, wird vom Betrachter eine Beziehung zwischen einem Ersten und einem Zweiten hergestellt. Das Erste ist die Werbebotschaft mit ihren Text- und Bildelementen, das Zweite ist das beworbene Produkt, eine Dienstleistung o.ä.. In der Kategorie der Drittheit wird die Werbebotschaft auf Grund von Gesetzmäßigkeiten, Erinnerungen oder Gewohnheiten als solche entschlüsselt. Die Werbung wird als Zeichen der Repräsentation und Signifikation interpretiert.

4.2 Zeichendefinition nach Peirce

Für Peirce gehören Zeichen eigentlich nur der Kategorie der Drittheit an. Auf dieser Stufe definiert er das Zeichen als triadische Relation. Es setzt sich zusammen aus dem Repräsentamen, dem Objekt und dem so genannten Interpretanten:

    Ein Zeichen oder Repräsentamen ist etwas, das für jemanden in gewisser Hinsicht oder Fähigkeit für etwas steht. Es wendet sich an jemanden, d.h., erzeugt im Geist dieser Person ein äquivalentes Zeichen oder vielleicht ein mehr entwickeltes Zeichen. Das Zeichen, welches es erzeugt, nenne ich den Interpretanten des ersten Zeichens. Das Zeichen steht für etwas, sein Objekt. Es steht für dieses Objekt nicht in jeder Hinsicht, sondern im Hinblick auf eine Art Idee. (CP 2.228)

Angewendet auf Werbung können die drei Zeichenkorrelate wie folgt bestimmt werden: Das Repräsentamen, also das Zeichen im engeren Sinn, entspricht dem Werbekommunikat, zum Beispiel eine Printanzeige oder ein TV-Spot – nach Peirce (CP 2.230) das „wahrnehmbare Objekt“, das als Zeichen fungiert. Da es im Folgenden im speziellen um die Bilder in der geht, sstellt das Werbebild in der vorliegenden Betrachtung das Repräsentamen dar. Das unmittelbare Objekt ist das materielle, abstrakte oder ideelle Ding, welches die Werbung bewirbt, also ein konkretes Produkt oder eine Dienstleistung. Zum Objekt zählen des Weiteren die Erfahrungen und das Vorwissen der Rezipienten über das beworbene Produkt und über die Textsorte Werbung. Der Interpretant ist das bedeutungshafte Ergebnis, das im Geist des Rezipienten als Folge der Werbebotschaft erzeugt wird. Alle Ideen, Gedanken, Schlussfolgerungen, Eindrücke oder Handlungen, kurz: die Werbewirkung, konstituieren den Interpretanten im Semioseprozess. Die drei Korrelate des Peirceschen Zeichens sind für die Textsorte Werbung in der Form eines sich gabelnden Pfades in Abbildung 1 dargestellt.


Abb. 1: Zeichenkorrelate in der Werbung


5. Fallbeispiele

Im Folgenden werden fünf Beispiele aus der aktuellen Printwerbung vorgestellt und hinsichtlich der Stufenfolge der Erst-, Zweit- und Drittheit und des triadischen Zeichens analysiert. Dabei werden formale und stilistische Mittel der Bildgestaltung sowie Dekodierungsmerkmale im Bilderrätsel identifiziert.

Gemäß den anfangs vorgestellten Formen des Bilderrätsels setzen sich die ersten vier Beispiele der opaken Werbung aus Text- und Bildelementen zusammen. Während der Text in seiner Aussage jedoch eindeutig ist, wirkt das Bild als Rätsel. Im letzten Beispiel liegt eine reine Bildwerbung vor – wenn überhaupt noch von einem Werbebild im klassischen Sinne gesprochen werden kann.

5.1 Print Wirkt

An Hand des ersten Werbebeispiels soll insbesondere die vorliegende Stildefinition als Abweichung von einer Norm veranschaulicht werden.


Abb. 2: Print Wirkt, aus: Focus 26/2004, S. 173/173


In der Anzeige in Abbildung 2 nimmt ein nackter, männlicher, gut trainierter Oberkörper die Hälfte der Anzeigenfläche ein. Die Fotografie in schwarz-weiß verleiht der Anzeige eine gewisse klassische Ästhetik. Links neben dem Oberkörper sind in serifenloser Typographie mit abwechselnden Klein- und Großbuchstaben die Worte „Print Wirkt“ wiederholt zu lesen. Sie stellen einmal – wie die Detailansicht in Abbildung 3 zeigt – in einem etwas größeren Schriftformat eine Art Überschrift zum Bild dar und einmal mit kleinerem Schriftformat eine Art Textbaustein oder Body Copy aus den sich wiederholenden Worten „Print Wirkt“. Sowohl die schwarz-weiß Fotografie im Gegensatz zum sonst üblichen Werbebild in Farbe als auch die gegen alle orthographischen Regeln abwechselnde Verwendung von Klein- und Großbuchstaben innerhalb eines Wortes sind in dieser Werbeanzeige stilkennzeichnend im Sinne einer Normabweichung.

Bei den Lesern der Zeitschrift herrscht kein Zweifel darüber, dass es sich bei der doppelseitigen Abbildung um Werbung handelt, schließlich hebt sie sich gestalterisch und inhaltlich eindeutig von den sie umgebenden redaktionellen Texten ab. Unklar bleibt jedoch auf den ersten Blick, für welches Produkt geworben wird und welche Funktion der dargestellte Oberkörper einnimmt. Mit anderen Worten: Die Genreerwartungen der Rezipienten, nämlich in der Werbung leicht dekodierbare Botschaften und deutliche Produkthinweise zu finden, werden nicht erfüllt. Aufschluss gibt lediglich das Motto „Print wirkt“. Die Rezipienten können aus dieser affirmativen Aussage schließen, dass es sich um Werbung für Werbung handelt mit der Botschaft, dass Printwerbung sehr erfolgreich und wirksam sei. Somit haben sie eine sinnvolle Interpretation der Printanzeige hergestellt, die die triadische Relation des Zeichens vollständig erfüllt: Die Anzeige ist das Repräsentamen, das sich aus Text- und Bildelementen zusammensetzt, das beworbene Objekt ist die Werbung und der Interpretant die Überzeugung, dass Printwerbung wirksamen sei.


Abb. 3: Detailansicht zu Abb. 2, Print Wirkt


Bei dieser Zeicheninterpretation bleibt die Funktion der Abbildung eines männlichen Oberkörpers jedoch ungeklärt, da sie in keinem inhaltlichen Zusammenhang zur Werbung für Werbung steht. Das Motto „Print wirkt“ liefert aber Anhaltspunkte, dass dieser Anzeige mehr zu entnehmen sein muss, behauptet es doch, die Wirksamkeit der Anzeigenwerbung zu beweisen. Aufmerksame Leser müssen hinter der Werbeanzeige – außer der Werbung für Werbung – eine weitere Botschaft vermuten, und auf Grund ihres Wissens um die Textsorte Werbung können sie erwarten, dass die Lösung innerhalb der Anzeige selbst liegt. Für jene Leser, die mit der aktuellen Marken- und Werbewelt gut vertraut sind, wird an Hand formaler und stilistischer Gestaltungsmittel der Werbeanzeige ein Bezugstext sichtbar, auf den die Print-Wirkt-Anzeige referiert. Sowohl die Farbegestaltung (schwarz-weiß), die typographischen Merkmale (serifenlose Klein- und Großbuchstaben), das Textlayout (großformatige Überschrift, kleinformatiger Textkörper) und der Bildinhalt (nackter, männlicher Oberkörper) verweisen in indexikalischer Weise auf eine traditionsreiche Anzeigenreihe der Wäschefirma Mey (s. Abb. 4). Die schwarz-weiße Farbgestaltung, die Typographie, das Layout sowie das Bildthema sind folglich Merkmale, die die Originalkampagne kennzeichnen. Sie sind durch ihren kontinuierlichen Einsatz zum Symbol für die Marke Mey geworden. In intertextueller Weise macht die Print-Wirkt-Anzeige von diesen Stilelementen Gebrauch, und obwohl sie weder Originalfotos, Markenlogos oder Originaltexte verwendet, ist die Wiedererkennung für werbekundige Rezipienten gewährleistet.


Abb. 4: Originalanzeige von Mey, aus: Focus 19/2003, S. 60/61


Mit Blick auf die eingangs erwähnte Definition von Stil als Abweichung von einer Norm enthält das vorliegende Beispiel sogar ein zweifaches Schema: Die Originalanzeige ist zwar mit herkömmlicher Werbung konsistent in Bezug auf die Tatsache, dass sie unter Nennung des Firmennamens (Mey) und mittels einer Werbebotschaft bestehend aus Text- („Ein Waschbrett und etwas Wäsche – was gibt es Schöneres für Frauen?“) und Bildelementen (athletischer Männeroberkörper) eindeutig für ein Produkt (Herrenunterwäsche) wirbt. Sie divergiert aber von der breiten Masse der Werbeanzeigen, indem sie eine schwarz-weiß Fotografie im Gegensatz zur Farbfotografie sowie ein unkonventionelles Schriftformat wählt, das gegen die Regeln der Orthographie verstößt. Mit diesen Stilmerkmalen ist wiederum die Print-Wirkt-Anzeige konsistent, dienen sie doch als Anspielung auf die Originalkampagne. Die Print-Wirkt-Anzeige setzt dagegen eigene Stilmerkmale in der Form einer Abweichung von typischer Werbung, zum einen durch ihre Rätselhaftigkeit und zum anderen in der Kopie eines bereits existierenden Werbetextes.

5.2 Marlboro

Im Sinne einer Abweichung von konventioneller Werbung kann auch die Werbeanzeige in Abbildung 5 analysiert werden. Im der folgenden Ausführung soll der Schwerpunkt jedoch auf den einzelnen Stufen der Dekodierung des Bilderrätsels liegen.


Abb. 5: Opake Marlboro-Anzeige


An Hand bestimmter visueller Hinweise – eine Pferdemähne, Zügel, Sattel, Lasso, Blue Jeans und Chaps – kann der Leser in der Form des pars-pro-toto die Nahaufnahme eines auf einem Pferd sitzenden Cowboys vermuten. In der einen Hand hält er eine angezündete Zigarette. Durch die Platzierung des Textes in einer Zeitschrift besteht bei den Rezipienten keinerlei Zweifel über die Textsorte, nämlich dass es sich um Werbung handelt. Allerdings müssen sie sich auf die Suche nach dem beworbenen Produkt begeben, denn sie wissen aus Erfahrung, dass dieses in Wort und/oder Bild Bestandteil einer jeden Werbeanzeige ist. Allein von der Bildinformation könnten sie auf Jeanswerbung, Werbung für Zigaretten, Qualitätsleder oder etwa Abenteuerurlaub schließen.

Zum kulturellen Wissen der Rezipienten über die Textsorte Werbung gehört auch das Wissen, dass sich Werbung in aller Regel auf Relevantes beschränkt und es keine irreführende Ablenkung vom beworbenen Produkt gibt. Folglich können Jeans- und Lederwerbung sowie der Abenteuerurlaub ausgeschlossen werden, weil für diese Produkte die Abbildung einer Zigarette nicht erforderlich ist. Es liegt nahe, dass mit dem Bild eines rauchenden Cowboys Zigaretten beworben werden. Bestätigt wird diese Bildinterpretation durch zwei Bildunterschriften, die auf Grund rechtlicher Bestimmungen in Deutschland zur Werbeanzeige gehören. Im Bildteil finden wir unten links den kleingedruckten Hinweis „Die Menge an Nikotin und Kondensat, die Sie inhalieren, variiert, je nachdem, wie Sie Ihre Zigarette rauchen“, und im weiß hervorgehobenen unteren Anzeigenteil lesen wir den für Tabakwerbung obligatorischen Satz: „Die EG-Gesundheitsminister: Rauchen gefährdet die Gesundheit. Der Rauch einer Zigarette dieser Marke enthält 0,8 mg Nikotin und 11 mg Kondensat (Teer). (Durchschnittswerte nach ISO).“ Der Text in diesem Werbebeispiel gibt letztlich Aufschluss über die Interpretation des Bildes und die beworbene Produktkategorie Zigarette. Eine Objektrelation und ein Interpretant werden folglich hergestellt. Insofern stellt die Anzeige ein echtes Rätsel dar, da ihr die richtige Antwort entnommen werden kann. Allerdings stimmt dies nur mit einer Einschränkung, denn unklar bleibt, welche Zigarettenmarke hier beworben wird.

Des Rätsels Lösung liegt allein in der Bildbotschaft dieser Anzeige. Die Rezipienten müssen wissen, dass die Zigarettenmarke Marlboro seit den 1950er Jahren mit der Figur eines Cowboys, dem so genannten Marlboro Man, und der Westernlandschaft des Grand Canyons wirbt. In der Wiederholung des ewig Gleichen sind diese Bilder selbst zum Mythos und zum Markensymbol geworden, so dass Marlboro in seinen Anzeigen gelegentlich ganz auf die Namensnennung und Abbildung der typischen weiß-roten Zigarettenschachtel verzichtet. Es handelt sich um eine durch langanhaltende Tradition getroffene Übereinkunft der Bildbedeutung. Durch die Wiederholung des immer Gleichen hat diese Marke einen eigenen Stil entwickelt, der die Identität von Marlboro in Abgrenzung zu allen anderen Zigarettenkampagnen und Tabakprodukten sichtbar macht.

5.3 Silk Cut

Ein sehr komplexes Bilderrätsel liegt in der Anzeige aus dem Jahr 1989 in Abbildung 6 vor.


Abb. 6: Opake Silk-Cut-Anzeige, aus: Werler 1993: 15


Wie bei der vorherigen verschlüsselten Marlboro-Werbung gibt der rechtlich obligatorische Text dieser Anzeige sprachliche Hinweise auf die beworbene Produktkategorie Zigaretten („Der Bundesgesundheitsminister: Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit“ etc.) nicht jedoch der Bildteil, in dem ein lila farbiges Seidentuch abgebildet ist, das einen Einschnitt aufweist, durch das ein weißer Untergrund zu sehen ist. Der Text stellt also den Objektbezug zum Produkt Zigaretten und die Interpretation „Zigarettenwerbung“ her. Die Marke bleibt wiederum ein Rätsel. Aufschluss kann nur noch im visuellen Teil der Anzeige vermutet werden. Was bedeutet das Bild, worauf verweist es? Die Leser müssen wissen, dass die Farben Lila und Weiß indexikalisch auf die Farben des Corporate Identity der Zigarettenmarke Silk Cut verweisen. Haben die Leser diesen Bezug hergestellt, werden sie die Anzeige ferner als englischsprachiges Rebus entschlüsseln können, denn das eingeschnittene lila Seidentuch visualisiert den Produktnamen ‚Silk Cut’ in ikonischer Weise. Zu guter letzt können die Rezipienten, die über ein solides kunstgeschichtliches Wissen verfügen, über den Bildinhalt „aufgeschlitztes Tuch“ eine Beziehung zu den perforierten Arbeiten des italienischen Künstlers Lucio Fontana herstellen, den dieser Bildstil kennzeichnet.

Im Bilderrätsel der Silk Cut-Werbung liegt also ein überaus komplexes Zeichen vor, in dem die Rezipienten verschiedene Stufen der Semiose durchlaufen. Je nach Vorwissen wird spezifiziert, ob die Rezipienten lediglich einen Objektbezug „Zigarettenwerbung“ herstellen, ob sie über die farblichen Indexe die Marke konkretisieren, und ob über den Bildinhalt ferner ein Bezug zu den Arbeiten Fontanas hergestellt wird. Dasselbe Zeichen (R1) kann je nach Kenntnisstand der Rezipienten bis zu drei verschiedene Objektrelationen (O1, O2, O3) hervorrufen und drei unterschiedliche Interpretanten generieren (I1, I2, I3). Dies ist in Abbildung 7 verdeutlicht.


Abb. 7: Unterschiedliche Objekte und Interpretanten desselben Repräsentamen


5.4 VW Käfer

Im vierten Werbebeispiel (Abb. 8) entsteht das Rätsel erst durch die Text-Bild-Beziehung.


Abb. 8: Opake VW-Anzeige, aus: Volkswagen Anzeigendatenbank, Nr. BE020USPR


Die beworbene Produktkategorie ist der Anzeige durch verbale und visuelle Hinweise sofort zu entnehmen. Im Anzeigenfeld unten rechts verweist der Slogan „Drivers wanted“ auf Transportmittel. Da im Englischen Fortbewegungsmittel zu Wasser und zur Luft durch einen „captain“ oder „pilot“ gesteuert werden, muss sich die Werbung notwendigerweise auf Automobile, Busse, Motor- oder Fahrräder beziehen. Das blaue Firmenlogo des Automobilherstellers Volkswagen neben dem Slogan (unten rechts) spezifiziert diese Interpretation. Ganz offensichtlich handelt es sich um eine Anzeige für Autos der Marke Volkswagen. Eine weitere Bildunterschrift (unten links) teilt mit „Seen at the mall“. Durch diese elliptische Formulierung wird die Neugier der Leser geweckt: Was wurde im Einkaufszentrum gesehen? Das Anzeigenbild stellt lediglich einen unspektakulären gefließten Fußboden dar, der einige Bruchstellen aufweist. Eine unvollständig abgebildete Einkaufstasche ist in der rechten unteren Bildecke sichtbar. Das Motiv steht in keinem offensichtlichen Zusammenhang zu Volkswagen-Automobilen, und doch behauptet die Bildunterschrift, dass hier etwas zu sehen sei. Die Leser sind eingeladen, sich näher mit dem Rätsel zu befassen. Bei längerer Betrachtung des Bildes werden sie feststellen, dass eine Bruchstelle in den Fliesen in der Bildmitte besonders prägnant ist und die typische Form des neuen Volkswagen Käfers aufweist. Wer allerdings die für dieses Fahrzeug typische Form nicht kennt, wird aus dem Anzeigenbild nicht schlau werden. Das beworbene Produkt, der neue VW Käfer, würde in diesem Fall nicht konkretisiert werden können, so dass die Leser der Anzeige zwar ein vollständiges Zeichen entnehmen („Werbung für Volkswagen Automobile“) nicht jedoch den intellektuellen und spielerischen Mehrwert der Botschaft erfassen können.

5.5 E.ON

Für das letzte Beispiel sei vorweg genommen, dass es sich um eine Einführungskampagne für einen neuen Dienstleister handelt, und die Rezipienten zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Werbereihe auf keinerlei tradiertes Vorwissen um die Bildinhalte der Kampagne zurückgreifen konnten.


Abb. 9: Einführungskampagne E.ON, aus: Der Spiegel 27/2000, S. 64/65


Im Sommer 2000 waren deutschlandweit Anzeigen, Plakate und TV-Spots zu sehen, die ausschließlich aus einer roten Fläche bestanden (Abb. 9). Kein einziger Hinweis gab Aufschluss über die Bedeutung, Herkunft oder Absicht der roten Fläche. Nur über die Textsorte herrschte Klarheit, denn im Fernsehen erschien die rote Fläche innerhalb des Werbeblocks, in den Zeitschriften enthielt sie den Vermerk „Anzeige“, und die Plakate waren an den für die Außenwerbung vorgesehenen Plakatanschlagstellen angebracht.

Die bloße Repräsentation der Farbe Rot, die auf nichts Konkretes in Raum und Zeit verweist und somit völlig offen in ihrer Bedeutung bleibt, ist nach Peirce ein klassisches Beispiel für ein rhematisches Qualizeichen, das gleich zweifach die Kategorie der Erstheit, des bloßen So-Seins exemplifiziert. Ein solches Zeichen, das ohne Bezug auf etwas bleibt, ist in jeder Hinsicht selbstreferenziell. Den Rezipienten kann es nicht gelingen, eine Objektrelation (Zweitheit) und einen triadischen Semioseprozess einzuleiten. Auf Grund kulturell geprägter Symbolik (Drittheit) kann Rot zwar als Farbe der Liebe, der Gefahr oder als Farbe bestimmter Parteien gewertet werden, die Werbung an sich gibt aber keinerlei Anhaltspunkte für eine Bedeutungszuweisung dieser Art. Auch ein Bezug zur monochromen Malerei, z. B. Monochrome Crimson von Claude Tousignant (1981), führt nicht zu einer Lösung. Mit anderen Worten: die Rezipienten stehen vor einem Rätsel, das – im Gegensatz zu den bereits besprochenen Werbebeispielen – keinerlei stilistische oder formale Bildmerkmale aufweist, die zur Interpretation des Bildes und der Werbebotschaft führen könnten. Weder ein Objektbezug (außer der bloßen Darstellung der Farbe Rot) noch ein vollständiger Interpretant (außer der verwirrenden Wirkung, die diese Werbeanzeige hervorruft) können hergestellt werden (s. Abb. 10).


Abb. 10: Rätselhaftes Objekt und rätselhafter Interpretant in der selbstreferenziellen Werbung


Was kann das Ziel einer solchen Werbung sein? Sie erregt in jedem Fall Aufmerksamkeit, weil sie sich von den üblichen Strategien und Mitteln der Werbung im Sinne einer Normabweichung unterscheidet. Sie bedarf einer Folgekampagne, die die Auflösung des Rätsels mitteilt. Im vorliegenden Fall wurde die rote Fläche des rhematischen Qualizeichens in einem zweiten Schritt durch den Firmennamen „E.ON“ und das Motto „Neue Energie“ ergänzt. Ziel der Werbenden war es, die Bevölkerung auf den neuen Konzern aufmerksam zu machen und die Farbe Rot mit der Firma E.ON zu assoziieren.

6. Dekodierungsmerkmale der Bildgestaltung

An Hand der fünf Werbebeispiele, die von opaken Bildern Gebrauch machen, können verschiedene stilistische und formale Mittel der Bildgestaltung festgehalten werden, die die Dekodierung der Bildinhalte und die Herstellung einer vollständigen Zeicheninterpretation strukturieren: In allen Beispielen – mit Ausnahme des letzten – spielt die Text-Bild-Beziehung eine unterschiedlich stark ausgeprägte Rolle. In der Marlboro-Anzeige gibt der gesetzlich vorgesehene Warnhinweis Aufschluss über das Produkt, in der Silk-Cut-Werbung wird der Produktname bildhaft dargestellt, und in der VW-Anzeige lädt der Text ein, sich eingehender mit dem Bild auseinanderzusetzen. Des Weiteren spielen Farbgestaltung, Layout und Typographie eine herausragende Bedeutung für die Dekodierung der Rätsel, wie etwa das Beispiel Print-Wirkt zeigt. Die Rolle der Farbe für den Signifikationsprozess wurde in der Silk-Cut-Anzeige sowie in der E.ON-Werbung deutlich. Typisch für konventionalisierte Bilder in der Werbung sind unter anderem Werbefiguren, die durch langjährigen Gebrauch und stetige Wiederholung zum Symbol einer Marke werden. Das Beispiel des Marlboro Man verdeutlicht dieses Prinzip. In der VW-Anzeige ist es eine etablierte Form, die zur Dekodierung des Bilderrätsels führen soll.

7. Der Stil des Rätsels in der Werbung

Wie die vorliegende Untersuchung am Beispiel von Bilderrätseln in der Werbung zeigt, sind zwischen Stil und Rätsel Affinitäten im Phänomen der Abweichung von einer Norm zu beobachten. Für die Textsorte Werbung trifft dies in zweifacher Hinsicht zu: Zum einen stellen Rätsel im Aristotelischen Sinn an sich schon Abweichungen von der Alltagssprache in der Form von Metaphern dar. Im Hinblick auf Werbung wird zudem die auf Erfahrung basierende Erwartung der Rezipienten an eine leicht dekodierbare Werbebotschaft nicht erfüllt. Ihnen wird ein für die Gattung unüblicher Mehraufwand bei der Text- und Bildinterpretation abverlangt. Das Bild stellt durch seine Rätselhaftigkeit ein nicht eindeutig motiviertes Zeichen dar, das zunächst weder semantisch konkret bestimmt werden kann noch einen vollständigen Zeichenprozess durchläuft. Somit weicht die rätselhafte Werbung in Form und Inhalt erheblich von der Standardwerbung ab und wird im Extremfall zum selbstreferenziellen Zeichen, das die primären Ziele einer Werbebotschaft überhaupt nicht zu erfüllen vermag und letztlich nur auf sich selbst verweist. Im triadischen Zeichen nach Peirce manifestiert sich Stil also dadurch, dass ein Korrelat des Zeichens (das Objekt und/oder der Interpretant) zunächst fehlt bzw. zunächst nicht transparent ist.

Die Abweichung von der Norm dient in dieser Art der Werbung in erster Hinsicht der Erzeugung von Aufmerksamkeit. Es ist die Strategie der poetischen Semiose: Der von der Norm und den Erwartungen abweichende Text zieht die Aufmerksamkeit der Leser auf sich und verlangt ein höheres Maß an Dekodierungsenergie. Assmann (1988) spricht von ”wilder Semiose”: Durch Verstöße gegen die Norm, die etwas Unbekanntes und Unerwartetes mit sich bringen, wird die Aufmerksamkeit der Leser auf die Materialität und Form des Textes gelenkt, so dass der Text als ästhetisch wahrgenommen wird. Im Gegensatz zum Lesen bezeichnet Assmann diesen langen, verweilenden Blick als Starren, das sich auf ein kompaktes, nicht weiter auflösbares Zeichen richtet. Dies, so Assmann weiter, „ist verantwortlich für Unübersetzbarkeit, Nicht-Mittelbarkeit, unerschöpfliche Vieldeutigkeit“ (ibid.: 241). Auch intellektuelles Vergnügen und eine Steigerung des Erinnerungswerts der Marke können durch enigmatische, rätselhafte Werbung erreicht werden. Die rätselhafte Werbung, die mit den Erwartungen an typische Werbung bricht, erzeugt für sich einen jeweils individuellen Stil. Der Erwartungsbruch gilt jedoch nur für die erste Bekanntschaft der Rezipienten mit dem noch nicht gelösten Werberätsel, denn auch das Rätsel und seine Lösung können – bei mehrfacher Wiederholung – zur Erwartung werden.

Des Weiteren ist von verschiedenen Rätselstilen auszugehen. Während sich das Enigmatische im antiken Rätsel in der Aristotelischen Erörterung vor allem durch die Verknüpfung inkongruenter Wörter und Dinge konstituiert, kann das Rätselhafte am Beispiel der hier untersuchten Werbung ebenso in der Textsorte, den Bildern, der Text-Bild-Relation, der Farbgebung und Typographie sowie in anderen graphischen Details zu finden sein.

Nicht allein das Rästelhafte konstituiert in der Werbung Stil. Im Rätsel unterscheidet sich die individuelle Anzeige zwar von allen anderen Werbetexten und erregt somit Aufmerksamkeit, doch auch einzelne Kampagnen haben in der Wiederholung des immer Gleichen einen eigenen Stil, der ihre Identität in Abgrenzung zu allen anderen Kampagnen und Produkten sichtbar macht (s. Marlboro). Im Gegensatz dazu verdeutlicht das Beispiel der roten E.ON-Anzeige die Stillosigkeit, denn die Farbe Rot reichte im ersten Schritt der Kampagne noch nicht dazu aus, die Identität des Konzerns zu enthüllen.

8. Literatur

Abrahams, Roger D. & Alan Dundes (1973). Riddles. In: Richard M. Dorson (ed.). Folklore and Folklife. Chicago: The University of Chicago Press, 129-143.

Aristoteles (ca. 335-34 v. Chr./1976). Poetik. Übers. Manfred Fuhrmann, München: Heimeran.

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