Druckansicht
Zeitmodi, Prozesszeit: Elementaria der Zeitrepräsentation im Film


Autor: Hans Jürgen Wulff
[erschienen in: Bild und Transformation - IMAGE 12 (Ausgabe Juli 2010)]

Schlagwörter: Zeitrepräsentation, Handlungstheorie, Montage, Zeitmodi, Zukunft, Prozeßzeit

Disziplinen: Filmtheorie, Filmsemiotik, Filmwissenschaft


Die Repräsentation von Zeit im Film erweist sich als Nebeneinander mehrerer Strategien der Zeitdarstellung, die zudem mit verschiedenen Modalitäten des Zeichenbezuges (insbesondere der Möglichkeit und der Zukünftigkeit des Gezeigten) zusammengehen: Ausgehend von der Fähigkeit des Films, sichtbare Prozesse wahrnehmungsähnlich aufzeichnen und in der Projektion reproduzierbar zu machen, zeigt sich schnell, dass sich die Beziehungen von Vor- und Nachzeitigkeit nicht allein aus dem Vergehen vorfilmischer Zeit erklären lassen, sondern dass die höheren Schichten der (sozialen oder dramatischen) Szene, der (filmischen) Sequenz und der Erzählung die Zeitverhältnisse zwischen Elementen der filmischen Darstellung regulieren und vereindeutigen. Zudem steht der Film immer der ›Zuschauerzeit‹ entgegen, die den Rahmen der Rezeption bildet. Die fast immer elliptische filmische Repräsentation von Zeit erweist sich als gebunden in den Zusammenhang von Zeit-Episoden (Handlungszusammenhänge, Projekte und ähnliches), die einerseits mit der Intentionalität des Handelns dargestellter Figuren, andererseits mit der Intentionalität der Akte des filmischen Mitteilens motiviert ist.

The cinematographic representation of time is based on the coexistence of different strategies of representation, additionally coordinated with different modes of reference (especially the potentiality and futurity of what is shown stands beside the dominant mode of ›it exists‹, the prime epistemic approach to the imaginary reality of cinematographic images). Film is able to record real processes and to reproduce them in a way that the perception of filmic images is similar to the perception of pre-cinematographic appearances. It has to be considered that relations of Before and After are not only part of pre-cinematographic time but also indicated and regulated by higher levels of filmic representation – inner structures of (social and dramatic) scenes, sequences and narrative structures. Secondly it can be seen that the phenomena of representing time in film are contrasted with the ›present of the viewer‹, building the framework for understanding the film text. The prime device of representing time in cinematographic structures is to follow the unit of time episode (the unity of action and interaction sequences, projects, and so on) and to represent only parts of real events following principles of relevance. Thus, the representation of time in film is based on the intentionality of the actions of characters in a film as well as on the intentionality of the act of communicating via film.

1. Handlung und die Zeitlichkeit des Dargestellten

Film ist eine standardisierte Form der Chronophotographie. Ein vorfilmisches Geschehen wie eine Bewegung wird bei der Aufnahme in 24 Einzelphotographien pro Sekunde aufgelöst. Die Projektion kann man sich in einem technischen Sinne als eine sehr schnelle Vorführung von Einzeldias vorstellen, die so schnell erfolgt, dass das Auge des Zuschauers die Einzelbilder gar nicht mehr einzeln auffasst, sondern sie zu einem synthetischen Wahrnehmungseindruck verarbeitet. Der Abbildungsmaßstab kann modifiziert werden, wenn die Geschwindigkeiten von Aufnahme und Projektion differieren – wenn man mehr Bilder pro Zeiteinheit aufnimmt als man sie wiedergibt, entsteht der Eindruck einer künstlichen Dehnung der aufgenommenen Bewegung; wenn man umgekehrt weniger Bilder aufnimmt als wiedergibt, kommt es zu einer Raffung. In beiden Fällen tritt die ›normale Zeit‹ eines Ablaufs gegen die Zeit, die seine Repräsentation während der Projektion einnimmt. Es bedarf eines urteilenden und wissenden Bewusstseins, um die Differenz der beiden Zeiten zu erkennen.

Alle Überlegungen der Chronophotographie beziehen sich auf die Repräsentation eines zusammenhängenden Geschehens, dem eine gleichmäßig vergehende physikalische Zeit innewohnt. Gleichwohl sind schon auf elementarsten Stufen der Filmwahrnehmung Interpretationsleistungen in erheblichem Umfang nötig: Ich sehe einen winkenden Mann am Bahnhof. Ich muss die Bewegung mit Bedeutung anreichern, sie zeitlich um das Bild herumkonstruieren. Vor allem muss und werde ich die Situation verstehen, den Blick, der den winkenden Mann mit der Frau am geöffneten Fenster des Zuges verbindet. So wird aus einer Bewegung und einer Körperposition eines Mannes die Geste oder gar Handlung eines Liebenden. Erst wenn ich das Bild als Momentaufnahme eines Handlungszusammenhanges begreife, wird auch klar, dass das Winken eine adressierte Bewegung und dass es mit Ausdruckswerten belegt ist, dass also auch der Gesichtsausdruck des Mannes etwas über die emotionale Einfärbung der Bewegung verrät, so, wie das Verhalten der Frau lesbar wird als Antwort auf die Geste des Mannes wie auf die ganze Situation des Abschieds.

Das so schlicht erscheinende Bild wird also zum Kern einer ganzen Reihe von Interpretationsleistungen: Auffüllung der zeitlichen Horizonte des Bewegungsmoments, Identifizierung des situativen Kontextes sowie des Handlungs- und Kommunikationszusammenhangs, emotionale Abschattung der Bewegung. Ich sehe vielleicht eine komplexe soziale Interaktion, obwohl mir nur das Bild eines winzigen Ausschnitts der Bewegung, die ihr zugehört, gezeigt wird. Eines zeigt das minimalistische Beispiel zur Genüge: Bildverständnis im Film ist rezeptive Arbeit, Ableitung und Schlussfolgerung, Applikation von Wissen. Damit steht das Filmbild immer in einem mehrfachen zeitlichen Horizont – die Bewegung wird zum Teil einer mehr oder weniger vereindeutigten Handlung, die sich als ›Horizont‹ um das Bild herumlegt (wie Husserl sagen würde: formal notwendig, aber nicht inhaltlich gefüllt oder festliegend).

Nur die Pose immunisiert das Dargestellte gegen die Ausarbeitung eines (zeitlichen und handlungsbezogenen) Horizonts – Bilder der Pose sind im Umgang mit Zeit anders als die manchmal so genannten ›Schnappschüsse‹, sie präsentieren ihren Gegenstand als schon im Vor-Bildlichen aus der Alltagszeit des Handelns herausgenommen. Darum auch könnte man den Schnappschuss als eine Form des ›Phasen-Bilds‹ ansehen, als einen eigenen Bildtypus nehmen: Eine Bewegung wird nicht in Gänze dokumentiert, sondern nur in einem momentanen Ausschnitt festgehalten. Nur die Pose hat keine Phasen, darum auch keine zeitlichen Horizonte.

Gerade im Film, der qua definitionem eine Folge von Aufnahmen ist und selbst Prozesscharakter hat, sind schon in Mikrostrukturen Impulse enthalten, die das Bild zum erst noch kommenden Bild hin öffnen. Wenn etwa in einer Blickmontage der Schnitt vom ersten Bild, das den Blick einer Figur (den glance) zeigt, just in diesen Blick hinein erfolgt, dann wird der Akt des Sehens zum folgenden Bild, das zeigt, was gesehen wird, hin geöffnet – wie eine Vorankündigung, ein Doppelpunkt, eine sich im Moment öffnende Leerstelle. Blickmontagen sind konventionell geregelt; man kann das zweite Bild verweigern oder maskieren; dennoch bleibt die momentane Öffnung des ersten Bildes in den Fluss des Noch-Kommenden erhalten. Ein Beispiel für eine ›Verweigerung‹ des Point-of-View-Shots findet sich in der Anfangssequenz von Rebel Without a Cause (Nicholas Ray 1955): Wir sehen eine Filmfigur, die eine andere heimlich verfolgt, wie sie um eine Ecke guckt, offensichtlich, um zu kontrollieren, ob die verfolgte Frau noch auf der Straße ist; der Umschnitt zeigt aber nicht das, was der Verfolger sieht, sondern springt noch vor die verfolgte Frau; im Hintergrund erkennt man den Mann, der ihr nachsieht; auf diese Art und Weise verhindert der Film eine allzu schnelle Klärung dessen, wer die Protagonisten-Figur ist – der Mann könnte zum Anker der subjektiven Aufnahme werden, dann hätte er die Macht über das folgende Bild. Die Öffnung aber, die durch den Blick in das folgende Bild hinein erfolgt, ist auch hier beobachtbar – weil das Schema der Blickmontage neben der Integration der Bilder in eine kleine Handlungssequenz auch eine Zeitordnung der Bilder festlegt, ist das Bild, das dem Blick folgt, nicht ganz frei, sondern zumindest partiell determiniert.

2. Bildzeiten, Bildalter

So automatisiert dem Betrachter der Zugang zur filmischen Aufzeichnung von Bewegung und so naiv das Verhältnis des Zuschauers zur filmischen Aufführung zu sein scheint, so wohnt all dem doch ein fundamentales Wissen über die Apparativität des Geschehens inne. In François Truffauts Film Tirez sur le Pianiste (1960) findet sich folgende Einstellung: Der Pianist tritt im Erdgeschoß ins Haus / Reißschwenk nach oben / er tritt im vierten Stock ans Fenster. Die Szene ist hochgradig wahrnehmungsauffällig (und erzeugt regelmäßig einen Lacher), weil hier das photographische Moment der Zeitdarstellung irritiert wird: Eine zusammenhängende Kamerabewegung impliziert eine klar erkennbare Synchronisation von Real- und von Filmzeit (in aller Regel die Normalzeit); dann ist die Differenz der beiden Zeitmodi nicht weiter problematisch. In der genannten Sequenz aber muss ein nicht-sichtbares Geschehen angenommen werden, das in der Zeit, die das Bild braucht, nicht hätte realisiert werden können (der Gang des Mannes in den vierten Stock). Ganz offensichtlich treten hier eine ›Bildzeit‹ und eine ›Zeit des Dargestellten‹ auseinander, sie werden nicht-solidarisch. Der Wahrnehmung des Bildes im Kino unterliegt so einer ›apparativen Annahme‹, einem Wissen um die Medialität der Darstellung.

Einen eigenen Bildtypus bilden die hier so genannten ›Zwei-Zeiten-Bilder‹. Man hat es dann mit synthetischen Bildern zu tun, die aus mindest zwei Grundbildern erzeugt worden sind. Eine derartige Kleinmontage findet sich in dem Rockmusikfilm VNV Nation – Past Perfect (2004):

(1) Man sieht eine Aufnahme der jubelnden Zuschauer nach einem Konzert

(2) eine Aufnahme der vorhergehenden Performance wird der Aufnahme überblendet; zugleich wird das Tempo des Zuschauerbildes auf Zeitlupe zurückgenommen

(3) eine zeitlang sieht man beide Bilder, das eine im normalen, das andere im gedehnten Modus

(4) das Performancebild wird ausgeblendet, zugleich das Tempo des Zuschauerbildes wieder auf normale Geschwindigkeit angehoben.

Das kurze Filmstück ist aus mehreren Gründen interessant, weil es Aktion und Reaktion, die in normaler Auflösung nachzeitig sind, zu einem einzigen Bild verschmilzt; gleichwohl bleibt das reale Zeitverhältnis als Folie der Darstellung erhalten. Mit der Verschmelzung erfolgt aber auch die Transformation des Beifalls zu einem Akt, der einem gleichzeitigen Gegenüber gilt (sei es ein Musiker oder Schauspieler, sei es ein Objekt der jubelnden Aneignung) oder der sich auf ein kultisches Objekt richtet. Damit verändert sich auch der Status des Doppelbildes, das zwei Bedeutungshorizonte gleichzeitig anspricht.

Auch die beiden Zeitmodi, in denen die Darsteller in Wong Kar-Weis Chunking Express (1994) agieren (die Figuren der Geschichte bewegten sich in einem deutlich verlangsamten Tempo als die Figuren des Hintergrunds), sind Gegenstand einer ästhetisch-reflexiven Aneignung: Das dargestellte Geschehen folgt zwei verschiedenen Tempi, wogegen das Bild (kraft seiner Eigenschaften als Photographie, die auf ein vorphotographisches Geschehen verweist) die Gleichzeitigkeit beider behauptet. Wenn Zuschauer hier Fragen nach der Gemachtheit dessen, was sie sehen, aufwerfen, thematisieren sie genau die Inkompatibilität der Elemente der filmischen Signifikation, die einander eigentlich ausschließen. Die Gemachtheit und Künstlichkeit des filmischen Bildes selbst wird hier zum Thema der Aneignung. Es sind die Protagonisten, die so vom Hintergrund gelöst werden; das Prinzip der dramaturgischen Relevanz (allgemein Sperber / Wilson 1986), das protagonale Figuren vom szenischen und sozialen Hintergrund abhebt, wird hier in eine Bild-Inszenierung übersetzt, die ein eigentlich formales Prinzip zu einem Prinzip der Anschaulichkeit macht. Es ist nicht allein die Sensationalisierung des Bildes selbst, das eigene Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern es wird verbunden mit einer Regel des Erzählens, der gemeinhin ganz selbstverständlich gefolgt wird. Die Anomalie der repräsentierten Zeiten findet so in einem reflexiven Bezug zur Dramaturgie eine funktionale Erklärung.

Ähnlich wird der Zeitbezug der Bilder selbst modifiziert, wenn in Spielfilmen historisches Bildmaterial einmontiert ist. Das manchmal schwarzweiß gegen den farbigen Kontext abgesetzte historische Material, zudem durch seine veränderte Körnigkeit, eine leicht modifizierte Laufgeschwindigkeit und ähnliches markierte Archivmaterial wird oft als Referenzindikator genutzt. Hier dient es dazu, einen referentiellen Bezug anzuzeigen, der dem historischen Filmmaterial zukommt und der auf diese Weise mit dem Material in den neuen Film importiert wird. Die Redeweise vom Referenzindikator bedarf einer Begründung, spielt sie doch mit zwei verschiedenen Modi der semiotischen Bezugnahme: Historisches Material wird im neuen Film nicht versteckt, sondern seine Andersartigkeit des Materials wird sogar herausgestellt. Ihm kommt ein eigener Signalwert zu, der auf seine eigene Herkunft verweist. Insofern ist in der Markiertheit des Archivmaterials auch eine Indikation der Herkunftsqualität enthalten. Die Herkunft des Materials hängt eng mit der Annahme zusammen, dass das historische Material die Vergangenheit auch referentialisieren kann. Dabei sind wiederum ganz unterschiedliche Typen der Referentialisierung im Spiel – für einen Kontext geht es darum, tatsächliche Referenz im Sinne des Bezugs auf ein spezifisches Ereignis herzustellen, im anderen darum, allgemeine Bilder vom Alltagsleben einer besonderen Epoche zu zeigen, im dritten schließlich darum, überhaupt nur Bilder aus der Zeit, in der eine Geschichte spielt, als historisches Environment zu setzen. Referenzindikator meint beide Aspekte am Material gleichermaßen:

  • dass hier eine Beziehung zum Historischen aus den Bildern selbst abgeleitet werden soll,
  • dass die Andersartigkeit des Materials selbst wiederum ausgestellt ist (und so auch Gegenstand eigener ästhetischer Aufmerksamkeit werden kann).

Wenn historisches Material gefälscht wird (wie in Oliver Stones Kennedy-Film JFK, 1991), spielt dieses wiederum mit seinen Eigenheiten. Im Normalfall aber entstammen die historischen Bilder tatsächlich den Archiven und verweisen dann auf ›ihre‹ Referenz-Zeit. Ein Beispiel sind die Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg in Jules et Jim (1962), die dazu dienen, auszudrücken, dass der Erste Weltkrieg die Freunde, von denen die Geschichte erzählt, für Jahre voneinander trennt; die historischen Aufnahmen zeigen hier nicht nur das Kriegsgeschehen, sondern auch ihr eigenes Alter, verweisen auch auf die fast fünfzig Jahre, die Jules et Jim von den Wochenschau-Aufnahmen trennen. Das historische Material ruft Wissen über den Weltkrieg auf, aktiviert so auch historische Distanz. Die Referentialisierung des Geschehens mittels des alten Materials installiert einerseits einen historisierenden Authentie-Effekt, andererseits aber gleichzeitig eine Desillusionierung der Erzählung, die in einen historischen Raum hinein angebunden wird, der nicht nur von der Erzählung behauptet, sondern mit den kompilierten Filmstücken auch durch die materiale Qualität des Films reklamiert wird.

3. Zeitmodi

Viele Modalitäten, die wir in der sprachlichen Aussage problemlos ausdrücken können, sind einer visuellen Darstellung nicht zugänglich. Auch in der Sprache müssen Modalitäten aber angezeigt werden, das sollte nicht vergessen werden. Ein Bild kann weder den Modus der Möglichkeit darstellen noch den der Zukünftigkeit, es kann noch nicht einmal eine Negation vollziehen. Ein einzelnes Standbild, müsste man ergänzen, weil sich die Verhältnisse ändern, wenn die Bilder in Kontexte eintreten.

Nach dem Zusammenbruch der beiden Hochhäuser des World Trade Centers in New York zeigen Bilder der Skyline auch die Abwesenheit der Türme, weil die Bilder nicht allein Bezug haben auf das New York, das man (und die Kamera) sehen kann, sondern auch auf andere Bilder New Yorks, die der Betrachter im Kopf hat und die wie eine Folie der Aneignung neuer Bilder zur Seite gestellt sind. Das ähnelt dem Erkennen von Falschschreibungen, die nur der identifizieren kann, der das richtig geschriebene Wort im Kopf hat.

Tatsächlich müsste die Frage nach dem Verhältnis von Zuschauerzeit und dargestellter Zeit grundsätzlicher gestellt werden, weil das Wissen des Zuschauers um seine Präsenz im Gegenüber des Mediums auch einen verbindlichen Zeitrahmen definiert. Ich bin jetzt im Kino, und manches, was geschieht, geschieht im Jetzt der Projektion, nicht im eingeklammerten Jetzt der Darstellung (der Film reißt, er wird unscharf, die Leinwand wellt sich im Wind usw.). Auch die Jetzt-Behauptung, der die Life-Übertragungen unterliegt, ist durchaus brüchig, wenn etwa nach dem Interview in den Fernsehnachrichten festgehalten wird: »Das Gespräch wurde vor der Sendung aufgezeichnet«.

Ein Triptychon von Marcel Duchamp zeigt dreimal eine Reproduktion des Mona-Lisa-Bildes; auf dem mittleren trägt sie einen Bart. Die Unterschrift Mona Lisa – Mona Lisa barbée – Mona Lisa rasée bringt die Nebeneinanderstellung der Bilder mit ins Spiel, untermischt sie mit der Leserichtung (also einem Prinzip der linearen Aneignung). Die Differenz der Bilder wird mit einem Prozess-Moment angereichert, so dass das letzte Bild tatsächlich nicht identisch mit dem ersten ist, sondern in ein zeitliches und ein aktionales Verhältnis zum ersten gerät: Es zeigt eine Mona Lisa, die der aus dem ersten Bild nachzeitig ist.

Auch der Fluss der Einstellungen in einer filmischen Darbietung ist immer zum zukünftigen Bild hin geöffnet. Zwar ist oft unklar, welches Bild en detail folgen wird, dass aber eines das Bildfeld erfüllen wird, ist klar. Man kann diese unbestimmt-bestimmte Offenheit zum folgenden Bild als Volatilität der filmischen Einstellung bezeichnen. Die Determination des folgenden Bildes ist von verschiedenem Grad. Liegt – wie in Blickmontagen – eine Konvention vor, sind die formalen und inhaltlichen Vorbestimmungen des kommenden Bildes recht ausgeprägt (hinsichtlich der Position der Kamera wie auch des Gegenstandes der folgenden Einstellung). Anderes ist eher formal bestimmt; wenn etwa der establishing shot konventionell in Initialstellung der Szene steht, so folgt ihm ein Hineinsprung in den Handlungsraum, ohne dass klar wäre, was das Bild zeigt (meist ist es einer der Handelnden). So, wie in der Geologie die Volatile flüchtige Bestandteile des Magmas sind und ursächlich mit den Formen und Intensitäten vulkanischer Ausbrüche zusammenhängen, hängt die Volatilität der filmischen Einstellungen mit der Menge der konventionellen Determinationen und der Menge und Art der Hinweisreize zusammen, die vom ersten auf das zweite Bild wirken.

In manchen Filmen wird mit der integrativen Potenz der Bilder, mit vorher- und nachgehendem Material vereinigt zu werden, gespielt. Sidney Lumets Film They Shoot Horses, Don‘t They? (1968) ist unterschnitten mit flashforwards auf das Gerichtsverfahren nach dem Mord an der Heldin. Sie wirken während des Films wie flashbulb memories der Vorgeschichte des Täters, des zweiten Protagonisten und Zufallspartners der Heldin; erst ganz am Ende wird aufgeklärt, dass es Bilder aus der Zukunft des Geschehens sind, von dem der Film erzählt. Der zeitliche Status der Bilder dieser Thematik ist also unklar; dass sie sich von den Bildern der ›narrativen Gegenwart‹ unterscheiden, dass sie in einem zeitlichen Anders-Status stehen, ist allerdings immer klar. Den Konventionen des Erzählens im Kino folgend, ist die Annahme der Vorzeitigkeit wahrscheinlicher; dass sie sich als nachzeitig herausstellen, realisiert aber die Forderung des Anders ebenso, auch wenn diese Tatsache sich als Festlegung einer allwissenden narrativen Instanz erweist, die dem Film ansonsten kaum anzusehen ist.

In der Redeweise Jurij Lotmans sind Filme sekundäre modellbildende Systeme – sekundär, weil sie der alltäglichen Realität des Handelns nachgeordnet sind, modellbildend, weil sie mögliche Realitäten sind, die eigene relativ autonome Ordnungen der Zeit, des Raumes, der sozialen Ordnungen usw. ausbilden können. Geschichten können von phantastischen Realitäten ebenso handeln wie von Wirklichkeiten, die der ersten Wirklichkeit der Zuschauer entnommen bzw. aus dieser motiviert sind. Weil die diegetischen Realitäten, die Filme aufrichten, eigene Realitätsmodelle sind, umfassen sie auch Zeitverhältnisse. Wenn in der Filmtheorie vom Verhältnis ›Film und Zeit‹ gesprochen wird, dann geht es meist um die Art und Weise, wie das Verhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von Erinnerung und Erleben, von Hoffen und Gedächtnis jeweils beschaffen ist.

Natürlich können Geschichten darum auch von Zukünftigem erzählen. Man kann mit einer Schrifteinblendung klären, dass die Geschichte in einem bestimmten Jahr spielt, die Geschichte damit in einer Zeitordnung lokalisierend, in der auch der Zuschauer gefangen ist. Oft ist diese Relationierung der Zeit im Grunde trivial – es wird ein zukünftiger Zeitpunkt behauptet und qua Inszenierung, qua stereotypem Vorwissen und ähnlichem inszeniert. Wir sind im Raum der Fiktion, heißt das, darum ist alles so eingerichtet, dass die reklamierte Zukünftigkeit des Handlungsortes auch visuell zur Erscheinung gebracht wird.

Manchmal aber geraten die Bilder in einen Widerspruch der Modalitäten, ihre eigenzeitliche Verortung und das Realitäts-Fiktions-Verhältnis treten als Spannungsverhältnis auf. Michael Winterbottoms Film CODE 46 (2003) erzählt von einer Liebe in einer nicht weit entfernten Zukunftsgesellschaft; die ungemein künstlich wirkenden Bilder allerdings, die riesige Megastädte zeigen – die ihrerseits den architektonischen Rahmen und den baulichen Ausdruck der totalitären Gesellschaftsverhältnisse der Zeit gleichermaßen repräsentieren –ausnahmslos reale Aufnahmen von Städten aus der Jetzt-Zeit, in der der Film entstand. Die Bilder tragen die Information zweier Zeiten: Sie zeigen das, was in der Gegenwart der Zuschauer ist und indizieren gleichzeitig diese Architektur als Ausdruck und Kondition einer sozialen Ordnung, die einer dystopischen Phantasmagorie zukünftiger Zustände zugehören. Derartige Bilder sind nicht phantastisch – dann würden sie einer imaginären Anderszeit und einer phantastischen Anderswirklichkeit zugehören –, sondern realistisch. Aber sie stehen dabei auch und zugleich im ontologischen Modus des Möglichen und im temporalen Modus des Zukünftigen.

Das Zukünftige und das Mögliche gehören immer zusammen. Aber im Rahmen der Erzählung können die beiden Modalitäten auseinander treten. Spielt die Geschichte in einer Zeit, die vor der Zuschauerzeit liegt, ist das, was in der Realität der Geschichte zukünftig ist, von der realen Geschichte vielleicht längst eingelöst worden. Für die Figuren der Geschichte sind dann Vorausblenden zukünftig und möglich (und weil es sich oft um subjektiv motivierte Zukunftsvisionen handelt, zudem mit affektiven Werten aufgeladen). Für den Zuschauer aber tritt das Wissen um die reale Geschichte der Erzählung zur Seite, so dass er das Kontrafaktische von Wunsch, Hoffnung, Befürchtung erkennen kann. Es resultiert daraus eine ganz eigene melancholische Spannung, die das Vergebliche subjektiven Strebens angesichts der Macht der Geschichte als inneren Kern enthält. Es resultiert daraus aber auch ein reflexiver Impuls, der den modalen Status der Bilder und der Energien, aus denen sie entspringen, als eigene Qualität auffasst.

Mit den Möglichkeiten, den modalen Status der Bilder zu einem verdeckten Gegenstand der filmischen Darstellung zu machen, spielen Filme wie Let's Make Money (Österreich 2008) von Erwin Wagenhofer, der hier von den Verfahren und Objekten des Investmentbankings berichtet. Ein längeres Stück des Films handelt von den spanischen Investitionsbauten. Ganze Städte sind hier entstanden, luxuriös ausgestattet, mit einem Golfplatz in unmittelbarer Nähe. Die Bauten dienten der Herstellung von Verlustzuweisungen und wären im besten Fall Spekulationsobjekte gewesen, hätten einen Gewinn abgeworfen, der weit über die Herstellungskosten gegangen wäre. Aber es sind keine Bauten zum Wohnen, die Städte sind leer. Die Bilder Wagenhofers erinnern an Bilder aus Science-Fiction-Filmen, in denen eine Bombe oder eine tödliche Virenkrankheit alles Leben dahingerafft hat. Moderne Geisterstädte, in die in jenen Filmen die Helden einziehen und überleben müssen, und ob die Infrastrukturen weiter funktionieren werden, ist ungewiss. Wir sehen auf Wagenhofers Tableaus große Sprenkler-Arme, die das Grün der Golfplätze benetzen; für diese Bewässerung wird das Wasser verschwendet, das 16 Millionen Menschen als tägliche Wasserration verbrauchen, erfahren wir später – und spätestens diese Information macht die Bilder endgültig zu irisierenden Objekten zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit. Das Szenario gerät zu einem Zwischending zwischen den Bildern der Fiktion (mit den Geschichten, in die sie hineingehören) und den Bildern eines Dokumentarfilms (also des Films, den wir sehen). Das Reale und das Zukünftige geraten in eine unsichere Deckungssynthese zwischen realis und irrealis, weil die Bilder ihre Bildgeschichte und damit den Horizont des Möglichen mitbringen.

Diese Überlegung steht in der Nähe von Deleuze‘ Metapher des Kristallbildes, das neben dem ›Erinnerungsbild‹ – das mit Rückblenden, Überblendungen u.ä. arbeitet, um die Virtualität oder Irrealität des Gezeigten zu markieren – und dem ›Traumbild‹ steht, das subjektiv imaginierte Szenarien zeigt. Im Kristallbild treten Aktuelles und Virtuelles nebeneinander, das Vergangene und das Imaginierte überlagert das Gegenwärtige. Insbesondere die in das Bild eingelagerten Artefakte – Film/Theater/usw. im Film, Gemälde, Photographien, Plastiken, situative oder erinnerungsstimulierte Bedeutungen tragende Objekte u.a.m. – brechen das Bild des Seienden vor der Kamera auf, bereichern es um weitere Bedeutungen, die sich nur aus der Gegenwart nicht erklären lassen. Kristallbilder vereinen Bildelemente aller Zeitstufen; sie koexistieren und sind gegeneinander durchlässig (eine These, die Deleuze im Bild der Koaleszenz fasst, eines chemophysikalischen Zustands von Flüssigkeiten, in dem kolloidale Teilchen zusammenfließen und bis sich zur Ununterscheidbarkeit miteinander mischen; vgl. Deleuze 1989). Ein Beispiel sind die Filme Luchino Viscontis: Weil die kristallin umspielten Bedeutungen hier durchweg auf eine verloren gegangene historische Welt des Adels, der Kunst-Bohème und der Großbourgeoisie des 19. Jahrhunderts verweisen, werden die Figuren als gebrochene Gestalten zwischen den Zeiten konstituiert – konfrontiert mit einer Realität, die mit der subjektiven Realität der Wünsche nicht mehr übereinstimmt. Die virtuellen Elemente der koaleszenten Mischung sind objektiv als Leistungen der Bildgestaltung und der Mise-en-Scène gegeben; in der Interpretation des Films aber werden sie zu Indikatoren einer besonderen subjektiven Verfasstheit der Handelnden. Desillusionierung – die Einsicht in die Unvereinbarkeit des Realen und des Virtuellen individueller Existenz – ist darum auch eines der zentralen narrativen Motive in Viscontis Filmen.

4. Prozesszeit

Mit den Kontextualisierungen und den damit einhergehenden temporalen Modalisierungen von Filmaufnahmen, die bis hier angesprochen sind, geht die Frage einher, worin der Modus der Referenzzeit beschaffen ist, den es zu repräsentieren gilt. War die Frage der Chronophotographie noch ganz auf die physikalische Realzeit basiert, geht es nun um Prozesszeiten (wenn es um die Darstellung von Handlungen, Produktionsprozessen und ähnlichem geht), die sich neben die physikalische Zeit stellen. Produktzyklen (von der Erzeugung bis zum Verbrauch oder zur Entsorgung als Müll), Projektverläufe (etwa ein Haus zu bauen) und anderes erzeugen ein Muster von Relevanz; will man derartige Verläufe filmisch repräsentieren, zeigt sich schnell, dass die filmische Darstellung zahlreiche Zeitsprünge umfasst. »Filme sind wie Schweizer Käse«, hat Lubitsch angeblich einmal gesagt – und doch können sie auch komplexe Prozesse präzise darstellen. Das Zeitliche wohnt hier oft dem Dargestellten inne.

Wenn der Rahmen ›Ein Haus wird gebaut‹ aufgespannt ist, sind viele einzelne Vollzüge Um-zu-Dinge (›Ich mache Speis, um ihn zu vermauern‹), insofern intentional auf die kommende Nutzung ausgerichtet. Ein sehr prägnantes Beispiel ist der russische Kurzdokumentarfilm Segodnya (Segodnya – Heute bauen wir ein Haus, Sergei Loznitsa, Marat Magambetov, 1998): Er zeigt viele Einzeltätigkeiten, die nicht funktional auf den Titel des Films ausgerichtet sind, Pausen der Arbeitenden, scheinbar sinnlose Tätigkeiten, Gespräche, bei denen die Arbeit ruht; am Ende ist das Haus aber fertig. Die Inszenierung erfolgt gegen die Relevanz, die der Titel behauptet.

Die Zeichnung des Architekten gibt dem allen ein Ziel – sie ist ein Vorgriff auf das Produkt, das am Ende hergestellt sein wird. Projektrahmen sind auch Zeitmodelle, sie implizieren z.B. ein ›erst dies, dann das‹ (die Mauern müssen stehen, bevor das Dach aufgesetzt wird). Vor allem sind Projektrahmen zeitliche Inseln, die einen Anfang und ein Ende haben. Natürlich kann man derartige Pläne repetieren (bis zur Extremform der Fließbandherstellung). Mit der Erreichung des Ziels verlässt man den Plan, nun kann das Produkt in weitere Pläne eintreten (›Ein Haus wird eingerichtet‹).

Wie alle Gegenstände, Mittel und Prozesse des symbolischen Austauschs sind Bilder nicht isoliert, sondern eingebunden in die grundlegende kommunikative Konstellation. Sie gehören dem kommunikativen Verkehr an, implizieren die kommunikativen Rollen von Aussagendem und Adressiertem. Weil die Regel: Sei relevant! zu den grundlegenden Konversationsmaximen gehört (Sperber/Wilson 1986) und weil die wenigsten filmischen Repräsentationen Bewegungs- und Prozessabläufe in Gänze zeigen, sondern nur – allerdings relevante! – Ausschnitte, basiert die filmische Prozessdarstellung auf einem abstrakteren Prinzip, das nicht der chronometrischen Zeit, sondern einer Analyse der Prozesse unterworfen ist, von denen die Rede ist. Und die Darstellung ist eingebettet in die Intentionalität der Mitteilung.

Ein einfaches Beispiel für die Darstellung zeitlicher Verhältnisse ist die Nach- oder Nebeneinanderstellung zweier Bilder. Vorher – nachher. Aus dem dicken Mann wird ein schlanker, aus der schlecht frisierten Frau eine attraktive, aus einem verwahrlosten Altbau ein schmuckes Stadthaus. Impliziert ist ein Eingriff, den die Bilder nicht zeigen. Da muss eine Abmagerungskur gemacht oder ein Hair-Stylist aufgesucht werden. Die Vorher-Nachher-Juxtaposition gehört meist der werblichen Kommunikation an – es geht nämlich nicht um die Bilder, sondern um das Mittel, das das zweite Bild aus dem ersten hervorgehen lässt. Derartige Bilder-Doppel müssen zurückgeführt werden auf eine kommunikative Intention, nicht auf eine Bildintention.

Ähnlich ist der Einsatz von Bildpaaren in Prozessen der Stadtplanung. ›So sieht es aus‹, zeigt das erste Bild, ›so könnte es / sollte es / wird es aussehen‹, das Zweite. Das eine ist real motiviert, es zeigt etwas, das ist. Das andere ist in der Möglichkeitsform motiviert, es zeigt etwas, das (noch) nicht ist. Das Eine ist als photographische Repräsentation zu erfassen, das Andere dagegen als nicht-photographische Phantasie. Beide sind oft von ähnlicher Gestalt, auch wenn das Zweite ein ganz anderes Bildfundament hat als das Erste. Darum sind die beiden Bilder aufeinander beziehbar, ineinander übersetzbar. Wiederum markieren die beiden Bilder nur die Anfangs- und Endpunkte eines Prozesses, der den eigentlichen Gegenstand der Kommunikation bildet (hier etwa im Weiteren die ganze Reihe der Umbauarbeiten, im engeren die Freigabe von Mitteln, die Erteilung von Aufträgen etc.).

Es dürfte deutlich sein, dass die Beispiele auf die pragmatische Geltung des Modells der Prozesszeit gründen. Das elementare Prinzip der zeitlichen Ausgliederung von Plänen und Prozessen aus der allgemeinen Zeit, die Fundierung derartiger Projektzeiten auf der Intentionalität des Geschehens und auf der Planhaftigkeit der Elemente, der umfassende Um-zu-Charakter der Teile, die sich zu dem Ganzen am Ende fügen, sind Grundlage für filmische Auflösung. Erst im Rahmen des Prozesses kann in einem sinnvollen Sinne von Zukünftigkeit die Rede sein. Und selbst diejenigen Ereignisse oder Gegebenheiten des Environments, die sich als Hindernisse, als Erschwernisse oder gar als Verunmöglichungen herausstellen, sind funktional bezogen auf den Horizont der Projekte. Erst in dieser Beziehung lassen sie sich als relevant bestimmen, erst dieser Bezug entscheidet über ihren Rang in der Darstellung. Auch das misslungene Projekt bildet eine Einheit in der allgemein fließenden Zeit. Wenn der Plan, eine Art Seilbahn zu bauen, um das Holz für den Ausbau einer Mine vom Berg ins Tal zu schaffen, am Ende grandios mißlungen ist, ist das Projekt zu Ende (in Zorba the Greek / Alexis Zorbas, Mihalis Kakogiannis USA / Großbritannien / Griechenland 1964).

Projekte sind der semantische Rahmen von Zeit-Episoden. Die Episode ist die Gliederungseinheit der Handlungszeit. Sie schneidet nicht nur Stücke aus dem allgemeinen Voranschreiten der physikalischen Zeit heraus, sie segmentiert sie, verleiht ihr einen Relevanz-Filter, scheidet das Kontingente vom Wichtigen. Hier muss über die Zeitmodi des Vergangenen, des Gegenwärtigen und des Zukünftigen neu verhandelt werden. Allerdings ist das Problem der Abwesenheit der zeitlichen Modi, die das photographische Bild von der sprachlichen Ordnung der Zeiten unterscheidet, nun nicht mehr gegeben – auch filmisch lassen sich im Ordnungshorizont der Zeit-Episode Vor- und Nachzeitigkeiten, Unterschiede von potentiellen und realen Dinge usw. wie in einer sprachlichen Darstellung repräsentieren. Im nochmals umgreifenderen Rahmen der Erzählung sind so nahezu alle Relationierungen der Zeitbezüge herzustellen, die auch in der sprachlich dargebotenen Erzählung (als Bezüge der erzählten und der erzählenden Zeit) artikuliert werden können. Aber sie bleiben auf die rezeptive Arbeit des Zuschauers angewiesen. Das Bild allein kann Zeitliches nur in einem höchst primitiven Sinne transportieren.


Literatur

  • Beller, H.: Spiel mit kognitiven Clues. In:. Möller, K.-D.; Schneider H.; Wulff, H. J. (Hrsg.): 1. Film- und Fernsehwissenschaftliches Kolloquium / Münster '88. Akten. Münster [MAkS Publikationen] 1994, 115-123, (Film- und Fernsehwissenschaftliche Arbeiten).
  • Beller, H.: Der montierte Liebesakt. In: Der Schnitt, 40, 4, 2005, 12-18
  • Deleuze, G.: Die Zeitkristalle. In: Deleuze, G.: Das Bewegungsbild. Frankfurt [Suhrkamp] 1989, 95-131.
  • Elling, E. / Möller, K.-D. (Hrsg.): Untersuchungen zur Syntax des Films. 2. Alternation / Parallelmontage. Münster [MAkS Publikationen] 1985, (Papiere des Münsteraner Arbeitskreises für Semiotik, 13).
  • Sperber, D. / Wilson, D.: Relevance: Communication and cognition. Oxford [Blackwell] 1986.


Autor

    Hans J. Wulff. Geb. 1951 in Osnabrück; seit 1971 Studium der Mathematik, Physik, Philosophie, Allgemeine Sprachwissenschaft, Pädagogik, Literaturwissenschaft und Publizistik; 1978 bis 1986 Kommunale Kinoarbeit (im Münsterland) und lokales Fernsehen; 1982 Promotion in Pädagogik; 1986 Assistenz im Institut für Semiotik und Kommunikationstheorie (Studiengang Publizistik) an der FU Berlin; 1994 Wechsel zum Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin; Habilitation in Theater-/Filmwissenschaft 1996; seit 1996 Professor für Medienwissenschaft an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; zahlreiche Veröffentlichungen zur

    Film- und Fernsehtheorie, u.a. ”Die Erzählung der Gewalt” (Münster 1985), ”Psychiatrie im Film” (Münster 1995) und „Darstellen und Mitteilen” (Tübingen 1999); Mitherausgeber von ”Film und Psychologie I” (Münster 1990), ”Das Telefon im Spielfilm” (Berlin 1992), ”Suspense” (Hillsdale, N.J. 1996), „Film und Psychologie - nach der kognitiven Phase?” (Marburg, 2002) und „Der Abenteuerfilm” (Stuttgart 2004); gemeinsam mit Theo Bender Begründer und Herausgeber des Lexikon des Films und Fernsehens, Mainz: Bender-Verlag 2002ff.