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Von Katastrophen und ihren Bildern


Autor: Martin Scholz
[erschienen in: Bild und Transformation - IMAGE 12 (Ausgabe Juli 2010)]

Schlagwörter: kulturelle Transformation, Bilder und sozialer Referenzrahmen, Bilder der Zukunft

Disziplinen: Designwissenschaften, Kommunikationsdesign


Können Bilder eine Vorstellung von Zukunft vermitteln? Können sie dieses nicht nur in der bekannten, Katastrophen aufplusternden Weise, sondern in einer, die positiven Aspekte von Veränderung zeigenden Form? Die Lebensbedingungen vieler Menschen, insbesondere in den Entwicklungsländern, ändern sich rapide, die materiellen und kulturellen Grundlagen eines einvernehmlichen und gedeihlichen Miteinanders auf diesem Planeten schwinden. Dieses Themenheft fragt nach den grundsätzlichen und speziellen Möglichkeiten von Bildern zur Begleitung und ggf. positiven Veränderung des kulturellen Transformationsprozesses. Hierbei werden insbesondere die genuine Kommunikation mit Bildern sowie die Entwicklung eines kollektiven visuellen Referenzrahmens, diskutiert.

Are pictures able to pass on an imagination of future? Can they pass on an imagination of future in not only the well-known manner of puffing up catastrophes, but by emphasizing the positive aspects of future changes? The living conditions of many people are changing rapidly, especially in the developing countries. Both, the material and the cultural foundation for a mutual and beneficial cooperation on this planet are decreasing. This publication enquires about the general and the special ability of pictures: the ability to escort a cultural transformation process and the ability possibly to change this transformation process into something which is considered positive. Especially the genuine picture assisted communication as well as the development of a collective visual reference frame is discussed.

1. Die Kernfrage – Bilder der Zukunft!?

Alle Prognosen der heutigen Gesellschaft und der sie tragenden Wirtschaftsform deuten auf massive Veränderung unseres kulturellen Umfeldes, wir erleben hautnah die Transformation hochentwickelter Kollektive. Globalisierte Wirtschaftskreisläufe und Umweltveränderungen, das Wegbrechen lokaler Sicherungssysteme, Naturkatastrophen und die Gefahr von Gewaltexzessen zur Lösung von Ressourcenkonkurrenz (Wasser, Öl, Nahrung und Bildung) sind die bestimmenden Faktoren der kommenden einhundert Jahre. Spannend ist, dass die Individuen einerseits Betrachter, Konsumenten und Ausgelieferte sind, anderseits zwangsläufig zu aktiven Akteuren der kulturellen Transformationen werden müssen. Anderenfalls schwinden die Chancen einer (positiven) Transformation rapide, so wie bspw. der Ausstieg aus der automobilen Kultur nur über den individuellen ‚Verzicht‘ auf den immer verfügbaren ‚Fetisch‘ (Harald Welzer) realisierbar sein wird.

Das spezielle Augenmerk dieser Publikation richtet sich auf das Bild als Vermittlungsmedium von Zukunft. Bisher wird das kulturelle Phänomen der Transformation zwar durch Bilder der Zerstörung, Gewalt und Katastrophen illustriert, die Bilder eines (vermuteten) positiven Ausganges fehlen jedoch in der Diskussion [Die hier behandelte Themenstellung resultiert aus vielen Gesprächen mit dem Gründungsdirektor des Institutes für Transportation Design (ITD) der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig, Stephan Rammler, der dort seit 2009 den Forschungsschwerpunkt ‚kulturelle Transformation‘ aufbaut.].

Es gibt so gut wie keine Bilder einer positiven Transformation dieser Gesellschaft in eine Kollektivform, die mit weniger Material effizienter und gerechter wirtschaftet. Bei einem zweiten, eher grundsätzlichen Blick ist zudem das Manko festzustellen, dass Bildhersteller wie -anwender über kaum eine Möglichkeit zur Darstellung von Zukunft überhaupt verfügen. Wenn es aber keine solchen Bilderformen bzw. Visualisierungsarten gibt, können Menschenkollektive, insbesondere die medienorientierten westlichen Gesellschaften mit ihren differenzierten Milieus, dem ständigen Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums und der Rivalität der Medien untereinander, nur schwer motiviert, informiert und diskursiv mitgenommen werden. Es ist zu vermuten, dass ohne den gezielten Einsatz von Bildern die Zukunft selber undiskutiert bzw. unangeschaut bleiben und damit die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft verlustbehaftet sein wird.

Die erste Arbeitsthese dieser Publikation lautet: Sollten die Menschen eine positive Wendung der transformatorischen Entwicklungen beabsichtigen, kann auf Bildmedien (Standbild, Animation, Film) nicht verzichten werden.

Die zweite Arbeitsthese geht davon aus, dass keine Bildtypen und Themengruppen für die Darstellung einer positiven kulturellen Transformation existieren.

Als dritte Arbeitsthese wird die Fragestellung bearbeitet, dass so gut wie keine Bildherstellungsmethoden zu identifizieren sind, die Zukunft angemessen (in Bezug auf die kulturelle Transformation) vermitteln könnten.

2. Klima, Kriege, Katastrophen

Die aktuellen Veränderungen in der Welt sind, und das zeichnet sie im Vergleich zu früheren Prozessen aus, rasant und finden mehr oder minder gleichzeitig statt. Diese globalen, ineinander verschränkten Prozesse betreffen Klimaveränderungen, Migrationsbewegungen, Sozialsysteme, Rohstoffversorgung und Kriege mit ihren unterschiedlichen Motivationen und Ausprägungen.

Die Klimaveränderungen betreffen den erwarteten deutlichen Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre, einer damit verbunden Erwärmung der Weltmeere sowie der Erdatmosphäre. Diese Veränderungen korrelieren mit der Zunahme von Extremwetterlagen und einer damit verbundenen Zerstörung von Küsten- und Flussregionen, der Verwüstung von Bergtälern durch Lawinen- und Moränenabgängen, der Versteppung fruchtbarer Böden, dem Tod und der Vertreibung von großen Menschengruppen sowie der Vernachlässigung der bisherigen Infrastruktur dieser Kollektive wie bspw. Verkehrswege, Elektrizitätsnetze, Trinkwasserversorgung oder der staatlichen Daseinsfürsorge.

2005 zerstörte der Wirbelsturm Katrina weite Teile von New Orleans. Unabhängig von den Fragen einer mangelhaften Vorwarnung, unsicherer Dämme und eines schlechten Krisenmanagements sind die Folgen des Ereignisses nachhaltig. Bis 2008 kehrten 250.000 ehemalige Bewohner nicht mehr in die Stadt zurück, genauer gesagt 1/3 der weißen Bevölkerung und 3/4 der schwarzen Bevölkerung haben sich nicht mehr in New Orleans angesiedelt. Der Wirbelsturm hat daher nicht nur die gebaute Stadt zerstört, sondern zugleich die urbane Sozialstruktur, also die wirtschaftliche, politische, intellektuelle und kulturelle Realität von New Orleans nachhaltig verändert.

Die globalen Migrationsbewegungen umfassten nach Angaben des Roten Kreuzes allein in 2008 rund 25 Millionen Klimaflüchtlinge, für das Jahr 2050 geht die Organisation von weltweit 50 – 200 Millionen Flüchtlingen aus, die vor den Auswirkungen klimatischer Veränderungen (Dürre, Überschwemmungen oder Missernten) fliehen werden. Hinzu kommen Wanderungsbewegungen großer Bevölkerungsteile innerhalb nationaler Territorien bzw. über regionale Grenzen hinweg. Beispielhaft soll hier an die Flucht von rund 2 Millionen Menschen innerhalb von 4 Wochen im Jahr 2009 aus dem pakistanischen Swat-Tal erinnert werden. (Bild-) Historisches Beispiel ist die Migration von Farmarbeitern während der großen Depression der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts in den USA. Alle Migrationsbewegungen sind konfliktreich. Die grenzüberschreitenden Wanderungsbewegungen von Volksgruppen werden häufig zu Auslösern neuer Konflikte in Bezug auf Nahrungsversorgung, Heilfürsorge, Suche nach dauerhaften Arbeitsmöglichkeiten und führen ggf. zu neuerlichen ethnischen Konflikten, wenn aus bisherigen Minderheiten nun territoriale Mehrheitspopulationen werden, wie bspw. im Afrika der Großen Seen. Die globalen Migrationsbewegungen, d.h. über Kontinente hinweg, führen neben der prinzipiellen Versorgungsproblematik u.a. zu kulturellen Anpassungsproblemen, einer problematischen Diasporabildung ohne Integration, der mafiaähnlichen Finanzierung von Terrorgruppen und generellen Menschenrechtsproblemen.

Der drohende Zusammenbruch der westlichen Sozialsysteme resultiert aus einer zunehmenden Überalterung dieser Gesellschaften, die sich in steigenden Renten-kosten und der abnehmenden Versorgung der Älteren manifestiert, einer zunehmend ungleichen Verteilung von Arbeit und Einkommen sowie der ungleichen Finanzierung der Sozialkosten, bspw. für die Bankenkrise 2009. Neben der Frage einer Verteilung der Aufgaben und Lasten zwischen den Generationen steht also ein Verteilungskampf zwischen gesellschaftlich höchst ungleich aufgestellten Gruppen (wirtschaftliche Funktionseliten, unterschiedlicher Zugang zu Bildung, differenzierter politischer Einfluss, kulturelle Leitfunktionen) zu befürchten.

Eine Reihe von Autoren, insbesondere die kulturwissenschaftlich bzw. sozialpsy-chologisch ausgerichteten, wie bspw. Harald Welzer, (Klimakriege, 2008), Claus Leggewie & Harald Welzer, (Das Ende der Welt, wie wir sie kannten, 2009), J. H. Kunstler (The Long Emergency, 2005) oder Jared Diamond (Kollaps, 2005) sprechen von bevorstehenden kriegerischen Auseinandersetzungen um Ressourcen. Das betrifft neben Öl, Gas, Uran gerade auch Wasser und das zunehmend knappe Land. Ursache hier sind u.a. die ‚ungleiche‘ Verteilung von natürlichen Ressourcen wie bspw. die fossilen Energieträger, Wasservorkommen, fruchtbare Böden und die strategisch wichtigen Rohstoffe für die industrielle Hochtechnologie.

Die kriegerischen Auseinandersetzungen werden neben Dauerkriegen zwischen Nationalstaaten und ihren Koalitionen zunehmend in Form von Bürgerkriegen stattfinden, an denen wirtschaftlich interessierte Parteien (Warlords, Firmenkartelle, Drogenproduzenten) beteiligt sind, die keine Motive für die Beendigung dieser Auseinandersetzung haben, bspw. im Kongobecken oder in Afghanistan. Weiterhin werden jene Formen der gewaltsamen Auseinandersetzungen zunehmend relevant, die religiöse, ethnische oder weltanschauliche Motive nutzen, um asymmetrische Kriege / Terrorismus zu führen. Hier kann den hoch spezialisierten westlichen Gesellschaften mit relativ wenig Aufwand (Bio- und Chemiewaffen sowie Selbstmordattacken) relativ viel Schaden zufügt werden.

Auch bei einer relativ nüchternen Aufzählung der Problemlage drängt sich das Bild einer bevorstehenden und unabwendbaren ‚Katastrophe‘ auf. Dieser Begriff steht für eine totale Zerstörung der Welt (wie wir sie kennen), die Aufhebung aller bisherigen (kulturellen) Regeln und für den Untergang (der Menschheit) schlechthin. Was hierbei aus dem Blickwinkel gerät, ist der Hinweis, dass viele der oben genannten Prozesse – unabhängig, ob sie CO2-Emmissionen, Verteilungskonflikte, Migration oder weltanschauliche Rivalität betreffen – durch Menschen verursacht, bzw. durch menschliches Verhalten gesteuert werden. Das heißt, dass zumindest eine Reihe von Ursachen und Verhaltensweisen verändert werden können, sofern eine Einsicht in die Veränderung vorhanden ist. Womit diese globalen Veränderungsprozesse – auf der Ebene der Vermeidung, des veränderten Konsums und eines sozialverträglichen Umgangs/Verhaltens – letztendlich Fragen der sozialen Kommunikation sind. Im Mittelpunkt einer Lösung stehen Aufklärung, Diskurs und soziale Kontrolle.

Insofern erscheint der Begriff der ‚Transformation‘ besser geeignet zu sein, den aktuellen Zustand und die Möglichkeiten der anstehenden kulturellen Veränderungen zu beschreiben. Unter ‚Transformation‘ soll im Folgenden eine Veränderung der Gestalt (Form oder Struktur) verstanden werden, ohne dass Substanz oder Inhalt verloren gehen.

3. Die kulturelle Transformation

Die oben geschilderte, durch äußere Umstände (Umweltveränderungen, Überbevölkerung, Energieknappheit, Kriegsgefahren) erzwungene Transformation, kann letztendlich nur kulturell gelöst werden, da die zugrundeliegenden Ursachen bzw. die antreibenden Motive durch individuelles Verhalten, soziale Kooperation und soziale Vereinbarungen in Teilgruppen bzw. Gesellschaften gesteuert werden. Mithin können auch Lösungen und Umgangsweisen mit Naturkatastrophen, Migranten, Rohstoffen oder Kriegen im Wesentlichen nur durch die Entwicklung alternativer Lebensweisen, Anwendung schonender Herstellungsprozesse, Konsumänderungen und ggf. auch durch totalen Verzicht, letztendlich nur über veränderte soziale Vereinbarungen vollzogen werden.

‚Soziales Handeln‘ ist nicht durch Kausalität bestimmt und soziale Prozesse verlaufen nicht linear, zwangsläufig oder alternativlos. Vielmehr verweisen soziale Prozesse ständig auf sich selbst und sind rekursiv (Welzer 2009, S. 125). Was, das sei hier angemerkt, zugleich ihre große Gemeinsamkeit mit Sprache und Kommunikation darstellt. Die schlichte Folgerung ist, dass zur nachhaltigen und selbsttragenden Veränderung des Einzelnen soziale Transformationsprozesse notwendig sind, denn trotz allen Wissens steuern Menschen nicht unbedingt um.

„Die Bürgerinnen und Bürger zeigen Umweltbewusstsein, indem sie nicht mehr mit gutem, sondern mit schlechtem Gewissen Flugzeuge benutzen. Nachdenken über den Klimawandel führt zu unerwarteten Reaktionen, Autofahrer greifen zum stärkeren Modell als ursprünglich vorgesehen, weil die Zeit der großvolumigen Geländewagen mit 12 Zylindern und 500 PS bald abgelaufen sein könnte.“.(Welzer 2009, S. 26)

Welzer legt für diese Differenz von Handeln und Einstellung zwei Ursachen zugrunde: Zum einen sind Menschen bemüht, ‚Dissonanz‘ zu reduzieren. Wenn Handeln und Einstellung nicht zusammenpasst, also eine Dissonanz vorliegt, orientieren sich die meisten Menschen an ihrem Referenzrahmen, bspw. Familie, Bekannte, Gesellschaft. Wenn die Anderen nun nicht zu kleineren Fahrzeugen oder kleineren Kühlschränken greifen, also Verzicht zeigen, scheint das Kaufen von Energieverschwendern sozial akzeptiert zu sein. Zum anderen besitzen moderne Gesellschaften sehr lange ‚Handlungsketten‘ - ein Problem aller hochspezialisierten und arbeitsteiligen Kollektive - und gerade diese funktionale Aufteilung führt in der Folge zu fehlendem Wissen über die eigenen Handlungsoptionen, zu Verantwortungslosigkeit und zur Institutionalisierung von Problembereichen (Welzer 2009, S. 30). Insofern hängt auch die Deutung von Bedrohungsgefühlen und die daraus gefolgerten Reaktionen wesentlich von den sozial geprägten, bestätigten und vorgelebten Verhaltensmustern - Erving Goffman nannte sie Referenzrahmen - in den Gruppen ab.

Wenn ein positiver Ausgang der vermuteten und oben dargestellten ‚Veränderungsprozesse‘ gewünscht wird, scheint es geboten, das individuelle Verhalten der Individuen über die Positionen, Vorstellungen und Werte, die in den Gruppen und Gesellschaften wirken, zu verändern. Diese kollektiven Vorstellungen basieren auf der Zuordnung von ‚Bedeutung‘, die es jedem Mitglied der Gruppe ermöglichen einerseits fallbezogen und eigenständig, andererseits im Rahmen des kollektiv Erlaubten zu agieren.

Für Ferdinand de Saussure ist ‚Bedeutung‘ keine feststehende Eigenschaft von Zeichen, sondern ein Effekt ihrer Verwendung durch die Sprachgemeinschaft. Bedeutung ist also für ihn nichts ‚Vorausgehendes‘, sondern wird erst im sozialen Austausch, in der Zeichensynthese, erzeugt.

Ernst Cassirer stellt fest, dass Menschen nicht in ‚der Wirklichkeit‘ leben, sondern sich vielmehr in einem symbolischen Universum bewegen und agieren (Cassirer 2007). Die Wahrnehmung, die Erkundung, Veränderung und der Austausch über und in der Welt könne der Mensch nur mit Hilfe von Symbolen (Mythos und Religion, Sprache, Kunst etc.) vornehmen. Diese ‚Ausdrucksgebundenheit des Denkens‘ wird – auch wenn Cassirer nicht über Kommunikation im engeren Sinne spricht – wesentlich durch Sprache, Schrift oder Bild beeinflusst.

Verhaltensmuster bedürfen – nicht erst seit Internet, Twitter oder sozialen Netzwerken – in Bezug auf ihre Herstellung, Nutzung und Veränderung immer der sozialen Kommunikation. Jürgen Ruesch und Gregory Bateson publizierten 1951 ihre Studie ‚Communication. The Social Matrix of Psychiatry‘. Deren Forschung, eine Mischung aus therapeutischer Praxis und anthropologischer Feldforschung, führte zu einer neuen Sichtweise, die sich nicht mit der individuellen Disposition von Patienten beschäftigte, sondern mit den umgebenen sozialen Systemen und ihren Reaktionen auf bspw. Alkoholkranke. D.h. die soziale Matrix bestimmt die ‚möglichen Kommunikationen‘ einer Person und zugleich den jeweiligen ‚Interpretationsrahmen‘ der einzelnen Zeichen. Kernaussage der Autoren ist, dass weder der Einzelne sein eigenes Verhalten, noch das Kollektiv das individuelle Verhalten ohne die Bezüge zu einem übergeordneten Ganzen versteht (und damit verändern) kann. Die Autoren kommen ebenfalls, nun durch die Betrachtung des Kommunikationsverhaltens von Alkoholkranken aus klinisch-psychologischer Sicht, zu dem Schluss, dass ‚Bedeutung‘ nicht feststeht, sondern in einem wechselseitigen Verfahren erst hergestellt werden muss.

Zur Lösung der o.g. Umwelt,- Migrations-, Rohstoff- und sozialen Probleme bedarf es eines Lösungsansatzes, der das Verhalten und die Einstellungen der Individuen im Blick behält und dieses über die Veränderung des sozialen Referenzrahmens, also des kulturellen Kontextes, durchsetzt. Es geht damit letztlich um sozial wirksame Visionen, gemeinschaftliche Bilder und die Projektion von Zukunft, an denen sich die einzelnen Mitglieder des Kollektivs orientieren können. Es fällt auf, dass genau diese Bilder einer Zukunft aktuell nur als Bilder des Konsums, des Mehr-vom-Gleichen und des Materialverbrauches in der Öffentlichkeit (Werbung, PR oder Politikvermittlung) auftreten. Positiv belegte Visionen eines (individuellen und gemeinschaftlichen) Lebens mit einem materiell bedingten ‚Mangel‘, ‚Be-schränkung‘ oder ‚Verzicht‘ sind öffentlich nicht präsent, sie werden im öffentlichen Diskurs eher gegenteilig mit den Attributen ‚lästig‘, ‚unangenehm‘ und ‚wirtschaftsfeindlich‘ belegt.

4. Kollektiv und Kommunikation

Der Begriff ‚Kommunikation‘ orientiert sich mit seiner begrifflichen Wurzel an der ‚communio‘, also der Gemeinschaft und den dafür zuträglichen Handlungen. Kommunikation steht für ‚Austausch‘, nicht für den Monolog bzw. den reinen Konsum von PR-Strategien. Die globalen und lokalen Transformationsprozesse des im ersten und zweiten benannten Abschnitts betreffen automatisch eine Mehrheit der Weltbevölkerung und alle Formen der Kultur und Kommunikation. In der Vorbereitung der kulturellen Transformationsprozesse, bspw. durch die Kultur- und Kommunikationswissenschaften, müssen die Referenzrahmen der betroffenen Menschen, d.h. die Bedingungen, Relationen und Kommunikationsformen der Kollektive, erkundet werden und ggf. typische Kommunikationsmuster und sektorale Meinungsführer genutzt werden. Als grobe Ziele sollten gelten:

  • Änderung der individuellen Wahrnehmung,
  • Änderung gruppenbestimmter Wahrnehmungsabläufe,
  • Sensibilisierung für alternative kulturelle Wertesysteme.

Walter Lippmann, ein Pionier des Public Relation in den 1920er Jahren, war - und dieses keineswegs als Antidemokrat – davon überzeugt, dass der massenhaft durch Medien ermöglichte und erweiterte Zugang zu allen Informationen für die Bürger nicht zwangsläufig zu einem umfassend informierten und entscheidungsfähigen Citoyen führt (Hartmann 2008, S. 27f). Der Genuss der Masseninformation führt nicht unbedingt zu der Fähigkeit des Individuums, politische Entscheidungen zu entwickeln, bzw. darüber verantwortungsvoll urteilen zu können. Lippmann bringt diese Haltung mit „We are told about the world before we see it“ (Lippmann in ‚Public Opinion‘, 1922) auf den Punkt. Damit behauptet er, dass Menschen in einer sekundären Welt der Meinungen und unterschwelligen Ansichten leben (was im Grunde genommen Paul Lazarsfeld 1932 und schließlich 1944 mit der Theorie des ‚Two-Step Flow‘ bestätigt), in der gerade nicht das freie Urteilsvermögen regiert, sondern vielmehr Menschen in ‚pseudo environments‘ agieren, die durch Medien und Medienmacher erstellt werden. Jede Kommunikation mit Hilfe von Multiplikatoren, bspw. Lehrer, Pastoren oder Journalisten, basiert hierauf. An die Stelle des vernunftbegabten Bürgers bei Kant (‚Recht auf öffentlichen Vernunftgebrauch‘ und einem hieraus resultierenden Recht auf öffentliche Rede), sieht Lippmann vielmehr den ‚Stereotyp‘. Die Lenkung der ‚Masse’ bedürfe - zur ihrem eigenen Besten - einer steuernden Elite von wissenschaftlichen Kennern, Journalisten, Publizisten und Kommunikationsexperten, die die Geschicke der Öffentlichkeit verantwortungsvoll beeinflussen.

Und 1928 fügt ein anderer Vater der Public Relation, Edward Bernays, hinzu:

„Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe.” (Bernays 2007, S. 19)

Die Lenkung und Manipulation der breiten Masse war für Edward Bernays ein notwendiger Dienst an der Gesellschaft, um Chaos und Konflikt zu verhindern. Die durchaus wünschenswerte Gleichberechtigung aller Wähler in einer demokratischen Gesellschaft lässt zwangsläufig Informationslücken, Entscheidungsfreiheit und damit Konflikte entstehen. Um diese aufzulösen bzw. zu vermeiden, bedürfe es Bernays zufolge einer medialen Führung der Bevölkerung („Managing the masses“). Die Public Relations im frühen 20. Jahrhundert verfolgte die Annahme, dass ihr Expertenwissen sie dazu berechtige, die vornehmlich unbewusst handelnde Masse zu ihrem eigenen Besten zu manipulieren. Bernays nannte es ‚die Konstruktion der Zustimmung‘.

Wolfgang Welsch (Welsch 1995) erinnert 1995 an die ‚Medienvorbildlichkeit‘, also daran, dass die Präsentation von etwas in einem Medium zugleich zu einer Beglaubigungsgeste für die Existenz des Sachverhaltes geworden ist. Weil etwas abgebildet ist, muss es real sein (hier sei zugleich an den Film ‚Wag the dog‘ von 1997 erinnert, in der der PR-Berater Conrad Brean einen virtuellen, d.h. nur in den Medien existierenden Krieg der USA gegen Albanien beginnt und diesen dann mit den lakonischen Worten beendet: ‚Der Krieg ist zu Ende. Ich habe es im Fernsehen gesehen.‘). Welsch fokussiert auf den Umstand, dass die mediale Abbildung dem Publikum immer auch Aufmerksamkeit, Bedeutsamkeit und Relevanz anzeigt.

„Da Persönlichkeitsformung in der modernen Welt vorwiegend anhand von Leitbildern der Medien erfolgt, begegnen wir im Alltag zunehmend medientypisch geprägten Figuren. Durch derlei Rückwirkungen prägen Mediengesetze die Realbestände der Wirklichkeit. Nicht nur die mediale Darstellung der Wirklichkeit, sondern die außer-mediale Wirklichkeit selbst ist fortan von medialen Bestimmungsstücken durchzogen.“ (Welsch 1995, S. 231)

Nicht viel anders in seiner Feststellung des Istzustandes, wenn auch etwas skeptischer in seiner Wortwahl, schreibt Norbert Bolz:

„Auch unsere alltägliche Umwelt hat sich strukturell gewandelt. Virtual Reality, Telepräsenz und Cyberspace sind Techniken einer Visualisierung des Immateriellen und Ungegenwärtigen. Hier macht sich ein ungegenständliches Genießen fest. Es geht uns nicht mehr um Zweck und Funktion, sondern um Erlebnis und Emotion. Zweitausendfünfhundert Jahre abendländische Kulturgeschichte und nur eine Wirklichkeit? Das genügt uns heute nicht mehr. Die Pointe dabei ist: Wer wirklich etwas erleben will, sucht dieses Erlebnis eben nicht mehr in der empirischen, sondern in der virtuellen Realität; sie ist formbar und weniger störanfällig. Und wer tief fühlen will, geht ins Kino.“ (Bolz 1993, S. 217)

5. Wahrnehmung, Bilder und Bildwissenschaften

Massenkommunikation bedeutet in der Gegenwart – technisch und kulturell möglich – die Verwendung von Bildmedien. Deren Verwendung liegt scheinbar auf der Hand, vergisst jedoch allzuleicht die grundlegenden Probleme der Bildverwendung. Ein Bild ist eine materiell realisierte und daher relativ dauerhafte visuelle Veranschaulichung eines realen oder virtuellen Sachverhaltes. Klaus Sachs-Hombach definiert Bilder vor diesem Hintergrund als kommunikatives Medien (Sachs-Hombach 2003, S. 77), was es im Sinne der o.g. aktuellen Intention auszunutzen gilt, deren Ziel eine Änderung des sozial wirksamen Referenzrahmens und des individuell wirksamen Handlungsraumes ist.

Thesenhaft könnte vermutet werden, dass Fotografien für diese Vermittlungsaufgabe besonders geeignet sind, weil sie konkret, detailliert, naturnah sind und im nicht-sprachlichen Bereich mit einer tiefen kulturellen Anbindung operieren. Die Bildwahrnehmung folgt keiner linearen Struktur wie bei Sprache oder Schrift, sondern besitzt viele gleichzeitige und unmittelbare Zugänge. Bildverstehen beinhaltet zwar Aspekte einer Bildungsabhängigkeit, trainiert sich aber z.T. eigenständig. Insbesondere Fotografien können zudem in besonderer Weise emphatisch wirken.

Fotografien besitzen eine starke emotionale Wirkung, d.h. sie können den ‚Glauben‘ der Betrachter verändern. Hier ist bspw. zu erinnern an das ‚fliehende nackte Mädchen nach einem Angriff der südvietnamesischen Luftwaffe‘ und alle (älteren) Leser haben das Bild des Pulitzerpreisträgers Nick Ut vom 8. Juni 1972 vor ihrem geistigen Auge, das ein 9 Jahre altes fliehendes Mädchen aus dem Dorf Trang Bang in Vietnam zeigt. Ein anders, aktuelleres Beispiel sind die Bilder des Einschlages des zweiten Flugzeuges in die Twintowers in New York vom 11. September 2001. Auch hier haben sich nicht nur Bilder in unser Gedächtnis eingegraben, sondern die Bilder stehen zugleich für ein komplexes ‚Bündel‘ von Positionen, Handlungen und Konsequenzen.

Bei weiterer Betrachtung scheint die Fotografie allerdings nicht sonderlich gut für die Darstellung von Zukunft geeignet zu sein. Das liegt zunächst an der Herstellungsmethode selber, die selbst Zeit benötigt und jeweils nur etwas Vergangenes zeigen kann. Zudem hat die Fotografie einen deutlichen Verweischarakter auf eine existierende Form (und scheint damit auch immer an ein Wiedererkennen gebunden zu sein). Schließlich besitzen Fotografien i.d.R. zwar eine große semantische Fülle, diese bleibt jedoch weitgehend unbestimmt, da nur sehr wenige Konventionen zur Bestimmung ihrer Bedeutung bestehen. D.h., die Menge an Darstellungselementen in einer Fotografie führt nicht unbedingt zu einer Fülle verwertbarer Informationen. Insofern sollten für unsere Thematik auch andere Bildmedien (Zeichnung, Collage, Animation, Film) in Betracht gezogen werden.

Bilder können Katastrophen und deren Folgen zeigen, vielleicht auch menschliches Leid, aber eigenen sie sich zugleich für die Vermittlung transformatorischer Prozesse? Bilder, insbesondere Fotografien zeigen, technisch und kulturell bedingt, immer nur vergangene Situationen und im Fall der digitalen Medien annähernd gegenwärtige Anlässe (Helmerdig & Scholz 2006). Die Information über bevorstehende kulturelle Transformationsprozesse (und die Diskussion möglicher Lösungen) bedeutet jedoch die Projektion in eine Zukunft. Diese Bilder müssen also – unter Zuhilfenahme der fiktionalen Disposition von Bildern – eine (oder mehrere) Möglichkeit(en) visualisieren. Dieses führt über die gezielte Nutzung der Differenz von ‚Sehen‘ (Wahrnehmung dessen, was da ist) und ‚Blicken‘ (Wahrnehmung des Gemeinten; und ist für Jaques Lacan die Umkehrung der Sehrichtung, d.h. ein ‚Angeblicktsein‘ des Sehenden) (Boehm 1995, 20ff).

Im Rahmen dieser speziellen gestalterischen Fragestellung ist zunächst eine Untersuchung zu den bisherigen Bildtypen und Darstellungsmethoden geboten, ob nicht bereits - in Ansätzen oder im Medium bereits angelegt – solche Bilder (die Zukunft zeigen) vorhanden sind. Damit verbunden ist die weitergehende Fragestellung, was können, bzw. sollten diese Darstellungen anders und besser vermitteln als andere Bildtypen? Als Mindestanforderungen müssen gelten:

  • Zum Ersten müssen die Verwechselung der Zeitebenen in einem Bild ausgeschlossen werden. Das betrifft insbesondere die Frage der Referenz fiktionaler Bilder, die sich eines bekannten Darstellungsrepertoires bedienen, aber nur eine (visuelle) Prognose darstellen.
  • Zum Zweiten müssen die dahinterliegenden Argumente eines Zukunftsentwurfes visuell dargelegt oder zumindest prominent darauf verwiesen werden, um die Betrachter zu einem Vergleich und zu einer Diskussion zu befähigen.
  • zum Dritten sollen Bilder für Transformationsprozesse die Alternativen bzw. Varianten visuell so dicht beieinander und aufeinander bezogen darstellen, dass ein direkter Vergleich nicht nur ‚gesehen‘, sondern ‚erblickt‘ werden kann, d.h. die betrachtereigene Position erfasst wird.

Die Mindestanforderungen an diese Bildgruppe beschreiben damit neben den sichtbaren Anteilen einer Prognose (Form, Farbe, Materialität, Proportionen, räumliche Ausdehnung etc.), insbesondere jenen recht schwammigen Bereich der zugrundeliegenden Motive und Argumente zugunsten einer Vision sowie die vermutete Bedeutung für den Betrachter. Die Bildwissenschaften wird in diesem Fall also auch die aktive Rolle der Betrachter (Motive der Betrachtung, Sinnstiftung durch Bilder und der Konstitution ‚gemeinschaftlichen ‚Blickens‘) näher beleuchten und die Reflektion des Gesehenen untersuchen.

6. Die konkreten Möglichkeiten der Bilder

Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes untersuchen im Rahmen ihrer individuellen Themenstellung die sehr spezielle Fragestellung der Darstellung einer kulturellen Transformation und zugleich die sehr prinzipielle Fragestellung einer angemessenen Visualisierung von Zukunft. Die Antworten sind vielschichtig, fachbezogen und detailreich, sie geben Hinweise auf existierende konzeptionelle und gestalterische Lösungen in den Medien (Scouting, Themen mit Zukunftsbezug, Dekontextualisierung etc.) und zeigen die prinzipiellen oder pragmatischen Grenzen.

Hierfür werden generelle Blickwinkel, bspw. die Betrachtung historischer Verfahren, Techniken und Methoden, eingenommen oder exemplarische Themen zur Fragenstellung einer visuell orientierten Zukunftsforschung bearbeitet. Die Autorinnen und Autoren sind WissenschaftlerInnen aus der Soziologie, der Philosophie, der Designgeschichte und -theorie, den Medienwissenschaften und der Filmwissenschaft.

STEFAN RAMMLER breitet in seinem Beitrag ‚Im Schatten der Utopie‘ die kulturelle Transformation in ihrer allgemein-gesellschaftlichen Dimension und in Bezug zu den speziellen Antworten der sozialwissenschaftlichen Forschung aus. Er weist insbesondere auf die Durchschlagskraft von gemeinschaftlich entwickelten Zukunftsszenarien hin und entwirft damit die Notwendigkeit eines höchst kommunikativen und an einem permanenten sozialen Diskurs orientieren Kollektivs. Diese Überlegungen führt er an drei Szenarien beispielhaft aus. An die Stelle einer verbrauchsorientierten und, wenn mit Realismus ausgestatteten, zugleich auch kulturpessimistischen Kultur, setzt der Autor die Vorstellung einer ‚Kultur der Dauerhaftigkeit‘. Diese benötigt, so Rammlers Fazit, neben einer hohen Innovationsfähigkeit in den technischen Bereichen, vor allem die Fertigkeiten, eine kollektive Utopie zu entwickeln und in der Gesellschaft als Humus auszubreiten.

Das Dilemma jeder Zukunft, irgendwann Gegenwart und damit überprüfbar sein zu müssen, teilen die Bilder von der Zukunft nicht notwendigerweise. KLAUS SACHS-HOMBACH untersucht als Philosoph und Bildwissenschaftler in ‚Zukunftsbilder‘ die begrifflichen Zusammenhänge: Worüber und wie ist zu denken und zu sprechen, wenn Bilder die Zukunft im Hier und Jetzt zeigen sollen? Er erinnert u.a. an die Einschränkung, dass die Bilder ihre Wirksamkeit immer nur aus einer Zuschreibung / Referenz ziehen können, der Autor verneint die eigenständige Fähigkeit des Bildes in dieser Hinsicht. Vielmehr verweist Sachs-Hombach auf die Pragmatik der Bilder, bzw. auf spezielle Kombinationen, die bestimmte Bilder zu Zukunftsbildern machen, während andere Science Fiction bleiben, also Bilder, bei denen es gerade nicht um eine realisierbare Vision geht.

Der Planet und der Fötus: zwei bedeutungsmächtige Figuren führt der Medienwissenschaftler ROLF F. NOHR in ‚Sternenkind‘ an, um die Differenz und die Gemeinsamkeiten von Text und Bild zu beleuchten. Die scheinbare Polarität beider Bilder nutzt der Autor als Beispiele des immer gleichen ‚Äußerungssystems‘, das bestimmte Bildern so definiert, dass sie stellvertretend für einen nicht visuellen, die Zukunft aber tatsächlich bestimmenden Diskurs stehen. Der Blick auf die Welt und der Blick auf das werdende Leben sind Ikonen, kulturell aufgeladene Zeichen, die per se wirkungsmächtig sind und in diesen beiden Beispielen Zukunft par excellence zeigen. Nohr spricht die ursächliche Eignung von Bildern in der Vermittlung einer kulturellen Transformation nicht den Bildern selber - für ihn nur Materialisierungen eines Diskurses - sondern letztendlich ihrer ‚Nützlichkeit‘ zu.

Die Designwissenschaftlerin SABINE FORAITA und der Farbdesigner MARKUS SCHLEGEL beschreiben in ‚Vom Höhlengleichnis zum Zukunftsszenario‘ das Bild als qualitative Basis einer Vorhersage. Bildern dienen Experten in der Befragung als Ankerpunkte, Anlässe und ggf. zur detaillierten Argumentation. Die beiden Autoren behandeln die These, dass bildhafte Ausdrucksformen aufgrund ihrer Darstellungsart bereits Zukunft visualisieren. Dabei wird deutlich, dass eine Visualisierung von Zukunft durchaus auch Vergangenes, bspw. Tempelanlagen, beinhalten kann. Foraita und Schlegel legen dar, wie und weshalb Designer die Zukunftsszenarien als Bildwelten darstellen. Beispielhaft zeigen sie, dass das Bild von Materialeigenschaften einen maßgeblichen Eindruck von Zukunft vermittelt oder negiert. Beide Autoren machen deutlich, dass Zeit und Raum – zumindest in der für Menschen unmittelbar wahrnehmbaren Form der Physik – nicht völlig frei verhandelbar sind und sich insofern Bilder von Räumen und Materialien immer auf eine bestimmte (und bestimmbare) Zeit beziehen.

Drei ‚Leben‘ hat das Design und mithin haben es auch die Medienbilder. Im zweiten und dritten Leben geht das Ursprungsmotiv für ihre Herstellung häufig verloren und die Transformation der Bilder beginnt – ohne eine Steuerung seitens der Autoren. ROLF SACHSSE führt in ‚How to do things with media images‘ aus, wie mediale Bilder tatsächlich für positive Transformationen nutzbar gemacht werden können. Der Autor zeigt, dass weniger die Intention, die Konzeption oder die Kreation über die Bedeutung der Bilder entscheidet, sondern vielmehr der Gebrauch und damit das ‚Verleihen von Bedeutung‘ zu dem entscheiden Faktor für die weitere Rezeption wird. Anhand der Architekturzeichnung und insbesondere dem Architekturmodell verdeutlicht Sachsse deren große positive Wirkung für eine Veränderung der realen Welt. In dem etwas als machbar gezeigt wird (ob als Bild oder Modell), wird ein Sachverhalt ‚möglicher‘, und das schließt gerade auch die positive Transformation mit ein.

‚Das Zukünftige und das Mögliche gehören immer zusammen‘. Der Filmwissenschaftler und Bildwissenschaftler HANS J. WULFF berichtet in ‚Zeitmodi, Prozesszeit’ über die Repräsentation von Zeit im und durch Film. Das Verstehen zeitlich angeordneter Bilder basiert auf Konvention und dem Wissen über die dargestellten Bedeutungen, aber eben auch auf ‚Ableitung und Schlussfolgerung‘. Wulffs Beispiele gehen auf die Details der vom Zuschauer zu leistenden Verknüpfungsarbeit für typische Filmszenen mit Schnitten, Groß- und Nahaufnahmen, Episoden und Blickmontage ein, und zeigt zugleich, dass der ‚Umschnitt‘ ein probates filmisches Mittel der Darstellung von Zukunft sein kann. Der Autor beleuchtet weiterhin die Synchronisation von Real- und Echtzeit im Film, und diskutiert die spezifische Eigenschaft historischer Aufnahmen, die wiederum in einem zeitlich später angesiedelten Film genutzt werden. Zeitpunkt und zeitliche Distanz spielen Wulff zufolge in Bildfolgen eine andere Rolle, da die Bilder anders untereinander agieren und hierin auch eigene Referenzen erstellen bzw. verändern.

Mode, als publikumswirksame Form von Zeitdimension. ANNA ZIKA beschreibt in ‚gottseidank‘ aus der designwissenschaftlichen Perspektive die Vorführung und Nachahmung, die Mode auslöst und wofür sie Bilder elementar benötigt. Mode wird zum ‚Paradigma des Zukünftigen‘, zunächst im ankündigenden Bild der Magazine, dann in den Läden der Haute Couture und am Ende bei C&A. Die Autorin beschreibt zugleich die kulturwissenschaftlichen Bestände über eine Alltagswelt, die Spekulation, Fiktion und Zukunft entwerfen muss, um nicht im Hier und Jetzt eingesperrt zu bleiben. Das Bild wird in der Mode zu einem Vehikel, nicht nur der Ankündigung, der Bewerbung und der Absatzsteigerung, sondern vielmehr zu einer Aufladung und Verdichtung der Atmosphäre in einer Epoche. Das Individuum mag sich der Mode und seinen Bildern verweigern, als soziales Wesen kann es dem Entwurf von Modebildern nicht entgehen. Das gilt auch dann, wenn, wie Zika beruhigend ausführt, diese Zukünfte keine Wirklichkeit werden, also Bilder bleiben.

Einige Bilder beinhalten ein ‚Versprechen‘. MARTIN SCHOLZ führt an vier Beispielen aus, welche Bildarten und Gestaltungsformen nützlich für die Darstellung von Zukunft sind. Die These des Designers und Bildwissenschaftlers ist, dass Umgangs- und Anordnungsweisen für diese spezielle Darstellung durchaus vorhanden sind, nur eben etwas versteckt. Das betrifft neben bestimmten Bildthemen, bspw. die Vanitas-Stillleben, die den Betrachter mit Tautröpfchen, Spinnweben und Totenschädel an Vergänglichkeit und Neuanfang erinnern, in besonderem Maße die Bildanleitungen. In diesem Bildtyp, so führt der Autor aus, existieren nicht nur Bildscheiben, also notwendigerweise zeitliche und gedankliche Phasen, sondern auch eine das Bild bestimmende ‚Wenn-Dann-Relation‘. Diese Beziehung wird visuell vermittelt, kann also als Visualisierung von Zukunft gelten. Scholz zeigt an vier Beispielen, dass beim Betrachter durch bestimmte Bilder eine Vorstellung vom zeitlichen Horizont und zur Zukunft entsteht.


Literatur

  • Boehm, Gottfried: ‚Die Wiederkehr der Bilder‘. In: Boehm, Gottfried (Hg.): Was ist ein Bild?. München: Fink, 1995, S. 11-38.
  • Bolz, Norbert: Wer hat Angst vorm Cyberspace? Eine kleine Apologie für gebildete Verächter. In: Merkur 47 (1993), H. 9/10, S. 897-904, hier S. 897-900. Entnommen: Schöttker, Detlev (Hg.): Von der Stimme zum Internet; Göttingen 1999, S. 213-217.
  • Cassirer, Ernst: Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 2007.
  • Diamond, Jared: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt a. M.: Fischer TB, 2009.
  • Hartmann, Frank: Medien und Kommunikation. Wien: Facultas wuv, 2008.
  • Helmerdig, Silke & Scholz, Martin: Ein Pixel, Zwei Korn. Grundlagen analoger und digitaler Fotografien und ihre Gestaltung. Frankfurt a. Main: anabas, 2006.
  • Leggewie, Claus & Welzer, Harald: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie. Frankfurt a. Main: S. Fischer, 2009.
  • Kunstler, James Howard: The Long Emergency. Surviving The Converging Catastrophes Of The Twenty-First Century. London: Atlantic Books, 2006.
  • Sachs-Hombach, Klaus: Das Bild als ein kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft. Köln: Herbert von Halem Verlag, 2003.
  • Welzer, Harald: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. Frankfurt a. Main: S. Fischer, 2009.
  • Welsch, Wolfgang: Immaterialisierung und Rematerialisierung. Zu den Aufgaben des Design in einer Welt der elektronischen Medien. In: Rektor der Burg Giebichenstein: Virtualität contra Realität? 16. Designwissenschaftliches Kolloquium, Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle / Salle vom 19. bis 21. Oktober 1995. Halle/Saale: Eigenverlag, 1995, hier S. 229-240.


Autor

    Martin Scholz, Fotografenlehre, Studium Kommunikationsdesign (Dipl. Des.), Promotion (Dr. phil.), wiss. Mitarbeiter an der Universität Magdeburg, künstlerischer Assistent an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, dort Gastprofessor für angewandte Bildwissenschaft (2008/9). Lehraufträge an der HAWK Hildesheim / Fakultät Gestaltung (seit 2008); Vertretungsprofessur für Designgeschichte und -theorie an der FH Mainz (2010/11).


Publikationen (Auswahl)

  • Der Lauf der Orte. Fotografie als Zeitraum; Frankfurt a. M. 2007; zus. mit S. Helmerdig: Ein Pixel, Zwei Korn. Frankfurt a. M. 2006.
  • «Der Fels, der Tanz, die Macht und ihre Bilder. Felsmalerei der San«. In: Scholz, Martin; Helmbold, Ute (Hg.): Bildersampling., Wiesbaden 2006.
  • Kommunikationsdesign. In: Klaus Sachs-Hombach (Hg.): Bildwissenschaft; Frankfurt a.M. 2005.