Für eine historische Bildwissenschaft

Autor: Astrit Schmidt-Burkhardt


Anmerkungen zum XXX. Deutschen Kunsthistorikertag in Marburg


Der letzte Deutsche Kunsthistorikertag (25.-29. März 2009) versuchte zumindest eines klar zu machen: Die Kunstgeschichte war schon immer eine "historische Bildwissenschaft". Mit Nachdruck hat Horst Bredekamp wiederholt daran erinnert: sei es auf dem Podium, sei es aus dem Publikum oder in persönlichen Gesprächen. Besorgt wurde ein kollektives Minderwertigkeitsgefühls innerhalb der Zunft diagnostiziert...

Für eine historische Bildwissenschaft!

Anmerkungen zum XXX. Deutschen Kunsthistorikertag in Marburg

Der letzte Deutsche Kunsthistorikertag (25.-29. März 2009) versuchte zumindest eines klar zu machen: Die Kunstgeschichte war schon immer eine ”historische Bildwissenschaft”. Mit Nachdruck hat Horst Bredekamp wiederholt daran erinnert: sei es auf dem Podium, sei es aus dem Publikum oder in persönlichen Gesprächen. Besorgt wurde ein kollektives Minderwertigkeitsgefühls innerhalb der Zunft diagnostiziert, das dazu geführt habe, dass man sich die bildwissenschaftliche Kompetenz von anderen Disziplinen in Abrede stellen lasse. Mehr Selbstbewusstsein hatte deshalb der erste Richard-Hamann-Preisträger gefordert. Unisono begannen nicht nur die Bredekamp-Schüler sondern auch alle anderen Redner und Rednerinnen, die von Christiane Kruse zur Sektion ”Kunst- und Bildwissenschaft – Kanonbruch oder Anschluss an den Kanon?” eingeladen wurden, ihre Vorträge mit einem ähnlich klingenden Credo, so als habe man sich vorher abgesprochen. Das dezidierte Bekenntnis zur Kunstgeschichte, das man jedem einzelnen abnehmen mag, bekam dadurch gleichwohl den Beigeschmack von Gruppenzwang. Die zunächst offen angelegte Einführung in die Problemstellung der Sektion wurde so zumindest auf Kurs gehalten. Implizit wurde damit ein Feinbild aufgerufen, das jedoch niemand im Saal konkret zu benennen wagte.


Doch wer könnte der Kunstgeschichte ihre Rolle und Aufgabe als ”historische Bildwissenschaft” tatsächlich streitig machen? Gewiss wurden in der Folge des Iconic Turn medienwissenschaftlich orientierte Institute gegründet, die sich dezidiert der ”Bildwissenschaft” annehmen. Auch die jüngst in Chemnitz gegründete ”Gesellschaft für interdisziplinäre Bildwissenschaft e.V.” hat sich zum Ziel gesetzt, als offene Plattform Bildwissenschaft zu fördern und dabei möglichst viele Ansätze zu Wort kommen zu lassen. Dies soll nicht zuletzt in dem überflüssigen Epitheton ”interdisziplinär” zum Ausdruck kommen, so als sei Bildwissenschaft nicht schon genuin interdisziplinär. Die Mitglieder des Vorstands aus unterschiedlichen Professionen – darunter auch ein Kunsthistoriker – versuchen jedenfalls dieser Interdisziplinarität nach außen gerecht zu werden. Doch ein einzelnes Department oder ein Verein hebeln die seit rund 200 Jahren fest institutionalisierte Kunstgeschichte nicht so einfach aus. Was sie allerdings tun können und in letzter Zeit tatsächlich verstärkt getan haben: Sie haben sich Bildkompetenzen angeeignet, die als Herausforderung auf die Kunstgeschichte selbst produktiv zurückwirken. Letztere konnte ihre Reformfähigkeit immer wieder dadurch unter Beweis stellen, dass sie die als Randphänomene behandelten Bilder verstärkt ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit gerückt hat und damit an der Umgestaltung des ”Kanons” – so ja das Generalthema der Tagung – programmatisch mitzuwirken verstand. Die verstärkte Auseinandersetzung mit dem ”Technischen Bild” ist dafür ein gutes Beispiel. Dabei partizipiert das Interesse an technischen Bildern gleich doppelt: an der Erfolgsgeschichte der Naturwissenschaften einerseits und der Aura der Neuen Medien anderseits.

Wenn sich die Kunstgeschichte heute etwa mit Lehrfilmen (Thomas Hensel), dem Dieselmotor (Steffen Bogen) oder mit der Gestaltung der ersten grafischen Benutzeroberflächen (Margarete Pratschke) befasst, kann sie dies vor dem Hintergrund tun, dass diese Themen stets Schnittstellen zur europäischen Hochkunst oder zur Kunstgeschichte bzw. -theorie geboten haben. Was aber, wenn es diese explizite Anschlussfähigkeit nicht gäbe? Würde nicht erst dann der Anspruch der Kunstgeschichte, eine ”historische Bildwissenschaft” zu sein, eingelöst werden? Durch die Beobachtung, dass wer heute beispielsweise Untersuchungen zur Werbefotografie (Sabine Kampmann) anstellt, sich noch immer rechtfertigen zu müssen glaubt, wird man genau mit dieser Frage konfrontiert. Auf die Kunstgeschichte als umfassende ”historische Bildwissenschaft” wirft diese Tatsache freilich kein gutes Licht. Zugleich wird daran dreierlei deutlich: erstens, dass längst gewonnene Terrains auch wieder verloren gehen können und neu erschlossen werden müssen; zweitens, dass andere ”nicht-technische” Bilder von der Kunstgeschichte weiterhin marginalisiert werden, obwohl deren Beitrag zur Kultur- und Geistesgeschichte mitnichten unterschätzt werden darf; und drittens, dass die eigentliche Bedrohung von Kunstgeschichte als ”historischer Bildwissenschaft” in ihrer Enthistorisierung liegt, bei der die ”long durée” der Geschichte auf eine Kurzzeitgeschichte zusammenschrumpft.


Die Gefahr einer Sezession innerhalb der Disziplin besteht sicherlich nicht. Vielmehr hat der Rappel à l'ordre etwas ganz anderes bewirkt: das erneute Bewusstwerden kunsthistorischer Stärken. Denn es geht um Fachkompetenzen und um Wissenschaftspolitik und damit auch um den ungeteilten Zugriff auf Fördermittel, die schon immer knapp waren. Dies gilt umso mehr in Zeiten der Weltwirtschaftskrise.


Peter Geimer hat in seinem Plenumsvortrag das thematische Fassungsvermögen des Faches deutlich zum Ausdruck gebracht und damit seine Kritik einer Unterscheidung zwischen Kunstgeschichte und Bildwissenschaft unterstrichen. Gewiss: Die Kunstgeschichte war immer schon ”historische Bildwissenschaft” – auch wenn dafür kein eigener Lehrstuhl eingerichtet wurde. Darüber lässt sich nicht erst seit Marburg nicht mehr streiten. Was aber, wenn man diesen Satz paradigmatisch umdreht? Kippt mit der Behauptung ”Historische Bildwissenschaft war immer schon Kunstgeschichte” nicht vielleicht eine konsensfähige Doktrin?

Astrit Schmidt-Burkhardt