Youtubing Teheran – Für eine Ethik des Betrachtens

Autor: Patricia Edema


Die Protest-Bilder aus Teheran schockieren die Weltöffentlichkeit und bestätigen zugleich die öffentliche Paralyse.

Die Protest-Bilder aus Teheran schockieren die Weltöffentlichkeit und bestätigen zugleich die öffentliche Paralyse.

Die allmählich abflauende Bilderflut der Oppositionsbewegung aus Teheran, die in den schockierenden Aufnahmen und etlichen Bildzitaten der sterbenden Iranerin Neda Agha-Soltani einen erschütternden Höhepunkt erfahren hat, entsetzt die Weltöffentlichkeit, ohne diesem Entsetzen eine genaue Richtung zu geben. Die visuelle Repräsentation menschlichen Leidens, die Youtubisierung der Wirklichkeit, hat zu einer Demokratisierung der Informationsverbreitung beigetragen, zugleich jedoch die ethische Reaktionsbereitschaft herabgesetzt.

Dass die Funktion des Bildes in ganz anderen Regionen als in ihrem Gebrauch als illustrierende Geschichtsquelle zu finden sei, hat auf bewundernswerte Weise Horst Bredekamps Bildtheorie dargelegt, die das Bild als für das Denken und Handeln konstitutiven Bildakt definiert. Bilder tragen aktiv zur Welterschließung und Wissensproduktion bei und verstricken Menschen in die Konflikte ihrer Zeit. Für den Kulturtheoretiker Roland Barthes ist die Fotografie in ihrem Wesen nach immer gewaltsam, »nicht weil sie Gewalttaten zeigt, sondern weil sie bei jeder Betrachtung den Blick mit Gewalt ausfüllt und weil nichts in ihr sich verweigern […] kann«. Der Machtkampf in Iran zeigt sich als ein Bilderstreit, bei dem nicht die couragierten Akteure, die diese Aufnahmen produzieren, in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken, eben so wenig geht es um die Abgebildeten – sondern um uns, die diese Bilder täglich konsumieren.

Was wird durch die Betrachtung dieser Bilder bestimmt? Wie wird dadurch etwas bestimmt? Die Ethisierung des Blickes besteht wohl zuvorderst darin, dass das Betrachten von Bildern uns zu Zeitzeugen macht, zu Mitwissern von etwas, das passiert bzw. bereits stattgefunden hat. Rechtlich bezieht sich die Schuldfrage auf diejenigen, die eine Tat begangen haben. Die Frage, welche ethischen Konsequenzen man aus der Beziehung zur Herstellungsintention eines Bildes und seiner Betrachtung ziehen könnte, stellt sich Horst Bredekamp. In der Diskussion um die Bilder gefolterter irakischer Häftlinge im Gefängnis von Abu Ghraib und die darauffolgend gefilmte Enthauptung weißer amerikanischer Zivilisten macht er auf den fatal-kausalen Zusammenhang zwischen Tötung und Bildproduktion aufmerksam. Der Tötungsakt wird genutzt, um ein Bild herzustellen, deshalb wird die Enthauptung selbst zum Bildakt. Bredekamp weitet eine derartige Tötung, deren Zweck an die Ikonisierung des Tötungsaktes gebunden ist, auf die Betrachtung dieser Bilder aus, denn »wenn das Töten eines Menschen den Zweck hat, seinen Tod zum Bild werden zu lassen, dann ist das Betrachten dieses Bildes unabdingbar ein Akt der Beteiligung«.

Es zeigt sich, dass der Rezeptionsakt ein Bestandteil des Abgebildeten selbst ist – er macht das Aufgenommene erst begreiflich. Die Betrachtung von Bildern menschlichen Leidens ist eigentümlich komplizenhaft, denn sie nimmt Einfluss auf die (nicht zuletzt technische) Inszenierung des Geschehens, erhält das Geschehene am Leben, ermöglicht die konsumierende Lust, es erneut erleben zu können. Die massenhafte Verbreitung der iranischen Protest-Bilder in den Medien fällt sicherlich nicht nur mit der Vereinfachung der technischen Publikationsbedingungen zusammen, sondern mit einer Ekstase des Betrachtens. Denn warum sollte die mediale Repräsentanz, die Häufung der Bilder, so enorm sein?

Bilder müssen in gewissem Sinne schockieren, um anzuklagen. Doch ist, wie die Kritikerin Susan Sontag beklagt, die Darstellung des Leidens zur visuellen Norm geworden, die ein Nichtsehen im Blickfeld des Sichtbaren etabliert. Angesichts der Debatten in den Medien, die bereits über das Ende der iranischen Rebellion diskutieren, scheint Sontag Recht zu behalten, denn es zeigt sich, dass die Bilder – zentrales Argumentationsinstrument der öffentlichen Anprangerung – tatsächlich als ein Zeugnis sozialer Betäubung in die Geschichte eingehen.

Bestimmend für die Betrachtung sterbender Menschen sei gleichwohl ein direkter Apell an den konsumierenden Blick. Ist das Prinzip des Betrachtens dieser öffentlichen Bilder nicht darin zu sehen, dass diese den Betrachter zu einer ethischen Bereitschaft zur Reaktion veranlassen, die sich nicht auf empörende Anteilnahme, auf ein Sinnieren über das Leid anderer, beschränken darf? Und liegt nicht gerade die Macht der Aufnahmen aus Teheran, uns zu erregen, in eben jener deutenden, kognitiven Interpretation der Realität und effektiven, politischen Interaktion durch den Einzelnen, die über den emotionalen Affekt betäubender Betroffenheit hinausgeht? Die Fähigkeit ethischen Betrachtens erfordert eine grundsätzliche Befragung der kulturellen Norm des Sehens, die uns offensichtlich erblinden lässt für das, was wir sehen.