Gleich groß oder kleiner? Vom Vorwurf des Eurozentrismus

Autor: Franz Reitinger


Das Stadtschloss der Hohenzollernkönige an der Spree vereint das Schicksal beider: Es wurde wie Das Tuilerienschloss der Bourbonenkönige an der Seine abgerissen und sollte wie der Louvre in ein Museum umgewandelt werden.

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1. Kulturbotschafter oder Projektionsfläche?

Das Stadtschloss der Hohenzollernkönige an der Spree vereint das Schicksal beider: Es wurde wie das Tuilerienschloss der Bourbonenkönige an der Seine abgerissen und sollte wie der Louvre in ein Museum umgewandelt werden. In ihm könnten die herausragenden Stücke aus dem vormaligen preußischen Kulturbesitz Aufstellung finden. Nichts wäre folgerichtiger. Aber nein, das Triumvirat der Initiatoren mit Hermann Parzinger als Primus inter pares bricht im Konzept eines Weltkulturforums, das es in Berlin schon in der Form eines Hauses der Kulturen gibt, nicht nur mit der kulturellen Abkunft Europas von der griechisch-römischen Antike, sondern gleich auch mit dem Prinzip des Museums als solchem. In einem Anflug von Größenwahn simulieren Parzinger und die Seinen das politische Zentrum einer Weltkultur, das oder auch die es so nie gegeben hat. Was bei Lichte gesehen bleibt, ist eine armselige Aufklärungsmaschine über den deutschen Kolonialismus in einem Haus, das ein Geschenk an Europa sein könnte. Anstatt die repräsentative Kraft dieses Ortes zu nutzen, machen die Initiatoren daraus einen Taubenschlag für windige Visionen. Ob das auf die Dauer gutgehen kann?

Parzingers Plädoyer für eine Indienstnahme Berliner Kulturschätze zum Wohle der deutschen Globaldiplomatie ist so überzeugend vorgetragen, dass man kaum anders kann, als sie für staatstragend zu halten. Wer würde in dieser Fürrede heute noch das sehen, als was sie noch vor wenigen Jahren gegolten hätte: nämlich als ideologisches Konstrukt einiger Ethnologen und politisches Kind der vormaligen Berliner Yuppie-Regierung. Indirekt bestätigt wird dieser Befund durch die jüngste Frage eines Feuilletonisten der Berliner Tageszeitung, die da in etwa lautet: Wie kommt es, dass ein linker Verlag ein Schloss-Buch publiziert? In seiner Rezension wird die Geburt der genialen Idee als strategischer Schachzug seitens der linken Stadtregierung beschrieben, die das Bürgerbegehren zur Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses nicht länger verhindern konnte. Zu einem stimmigen Bild fügt sich dieser Sachverhalt angesichts des Geschiebes und Gezerres um andere vormals mit dem Schloss eine bauliche Einheit bildende Denkmale wie den Neptunbrunnen, die Königskolonaden und die Bauakademie, für die der Bund Gelder locker macht, die die Bausenatorin der stark verschuldeten Hauptstadt großzügig ausschlägt. Dem Anschein nach ging es den Initiatoren des Humboldt-Forums von allem Anfang an darum, den nationalen Nimbus des Königsschlosses zu dekonstruieren und durch eine übernationale Idee zu ersetzen, die durch die vergleichsweise überschaubare politische Rolle der Bundesrepublik im Weltgeschehen nur notdürftig gedeckt wird.

2. Totem und Tabu

Sogar für die verantwortlichen Kuratorinnen kam die jähe Aufwertung der Ethnologie im Zuge der Forisierung des einzurichtenden Schlosses überraschend, die aus einem repräsentativen Ort ein informelles Gesprächsforum werden lässt. Das Staunen über den unverhofften Prestigegewinn ist der Gesprächsrunde in Harald Asels Radio-Forum von 2016 – hier findet der entwendete Begriff zu seiner eigentlichen Bedeutung – förmlich anzuerkennen. Euphorisiert von ihrer neuen, staatstragenden Aufgabe und zugleich davor zurückschreckend, sind die Museumsfachfrauen dennoch weit davon entfernt, sich mit dem Erreichten zufriedenzugeben. Schon stricken sie an einem sehr viel umfassenderen Forderkatalog, der die Aufstockung des Personals und der Geldtöpfe sowie einen permanenten Förderplan vorsieht. Es wird in diesem Gespräch aber noch etwas deutlich. Die für die Selbstfindung und das Selbstverständnis Europas nicht unwichtigen, aber doch am Ende nachrangigen Kultobjekte aus fernen Weltregionen werden auf eine Plattform gehoben und in ein neues Format gebracht. Die ihnen dermaßen zufallende neue Sichtbarkeit hat indes eine Kehrseite, nämlich deren weltweite Exponierung. Schon bringen sich museale Provenienzforschung und universitäre Kolonialismuskritik in Stellung, um das Schloss als Bühne für ihre historische Abrechnung mit den Kolonialmächten zu nutzen und diese zum großen Showdown werden zu lassen. Im Konzept des Humboldt-Forums sehen sie endlich ihre historische Chance gekommen.

War die Bestimmung der Herkunft historischer Objekte lange Zeit eine nützliche Hilfswissenschaft zur Verifizierung von unbekannten Meisterwerken gewesen, so ist aus ihr durch die politische Brisanz ihrer Forschungen und ihre massive staatliche Förderung geradezu eine Kernaufgabe historischen Tuns und Wollens geworden. Provenienzforschung und Kolonialismuskritik drohen zusehends zu einem strukturellen Problem der Museen und Universitäten zu werden. Parasitengleich machen sie sich in den Institutionen breit und höhlen die klassischen Kernbereiche historischer Forschung immer weiter aus. Indem sie die Betrachtung der Werke auf die materielle Ebene ewigen Schacherns heruntermodulieren, rücken vormals geachtete Kulturleistungen unverhohlen in die schnöde Perspektive wohlfeiler Waren. Ob es sich bei den beschriebenen Tendenzen um inhärente Lateraleffekte handelt, wie sie sich aus der strukturellen Verfestigung der institutionellen Landschaft zwangsläufig ergeben, oder ob diese von den Initiatoren des Humboldt-Forums selbst mitgedacht und intendiert wurden, bleibt vorderhand unklar. Schon jetzt aber nähren die zum königlichen Popanz aufgeblasenen ethnologischen Schaustücke eine Sphäre des Generalverdachts, die sich wie eine giftige Wolke über das Schloss, das Land, ja ganz Europa legt. Dabei bietet der königliche Bau den ethnologischen Sammlungen überhaupt erst jenes Format, um als Fanal im Sinne einer Selbstdemontage Europas wirksam werden zu können. Durch ihn wächst den Werken jene Aura zu, die sie zur Demontierung vermeintlicher Macht und Identität befähigt.

3. Was ist Europa?

Der Name Alexander von Humboldt scheint das neue Globalforum abzusegnen, nur tut er dies wirklich in dieser Ausschließlichkeit eines von Parzinger vorgetragenen universellen Egalitarismus? Oder lehrt das Beispiel Humboldts nicht gerade das Gegenteil: nämlich in welch außerordentlichem Maß Europa der Nährboden für herausragende wissenschaftliche Leistungen war und ist? Wer in Berlin eine solche Auffassung für antiquiert hält oder davon gar peinlich berührt wird, dem sei empfohlen, sich umzusehen, etwa in Frankreich, wo der vormalige Bildungsminister Luc Ferry unlängst im Figaro eine an Deutlichkeit kaum zu übertreffende, wenngleich mit Parzingers Idealwelt nur schwerlich in Einklang zu bringende Antwort gab: »Qui, il existe de ›grandes civilisations‹«. In Ferrys Beitrag wird deutlich, welcher Druck von außen ausgeübt wird, um alles und jeden über den gleichen Leisten zu scheren. Woher der scharfe Wind bläst, lässt sich zwischen den Zeilen erahnen. Ferry spricht auch von den Bedrohungen, die von dem ethnographischen Egalitarismus, der in Wirklichkeit nur eine globale Form des relativistischen Denkens ist, für die Ideen der Aufklärung, der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Demokratie ausgehen. Sicherlich wird man annehmen dürfen, dass Ferry weiß, worüber er schreibt. Im Gegenzug bleibt abzuwarten, wie lange man in Merkel-Deutschland die schönen Seiten einer Globalisierung an der Spree mit gelegentlichen Kanzlerausflügen in ein folkloristisches Afrika wird genießen dürfen. Noch glaubt man hier auf ein Museum verzichten zu können, das europäische Leistungen und Verdienste in einem globalen Maßstab in den Fokus rückt. Dabei ginge es nicht um die Kultivierung von alten Voreingenommenheiten, sondern um die Entwicklung nachhaltiger Perspektiven. Ein standpunktloser Universalismus als demokratiepolitisches Kredo eines ins Paradox getriebenen Staates ohne Grenzen kann in einer Zeit des Aufkeimens neuer Nationalismen keinesfalls die richtige Antwort sein. Die Befürwortung eines vereinten und starken Europa als ›kulturellen Rassismus‹ zu diskreditieren, wäre ein Verrat an der europäischen Idee.