Karikaturenstreit

Author: Franz Reitinger


Im aktuellen Karikaturenstreit geht es nicht nur um die
Problematik des Bilderverbots. Es scheint sich jetzt zu rächen, dass viele der nicht-westlichen Gesellschaften wesentliche Entwicklungen des Bildes übersprungen haben, um unversehens im globalen Dorf zu landen. Nur so ist es zu verstehen, dass eine vormoderne Bildform wie die Karikatur und nicht etwa ein avanciertes Medienprodukt oder ein zeitgenössisches Kunstwerk den Anstoß zu den aktuellen Protesten gab.

Im Zuge der Vorbereitungsarbeiten zur Berliner Festwochen-Ausstellung Europa und der Orient des Jahres 1989 zogen die Ausstellungsorganisatoren eine Miniaturmalerei aus dem 15. Jahrhundert aus Furcht vor muslimischen Übergriffen zurück. Die entsprechende Miniatur stellte dar, wie Mohammed im siebten Himmel von den aus der Überlieferung des Korans als ‚Huris’ bekannten Paradiesjungfrauen verwöhnt wurde. Während jede Zeitung von heute schon morgen zum alten Papier zählt, war die Abbildung, unbeschadet der fünfhundert Jahre, die seit ihrer Entstehung verstrichen waren, bis in die Gegenwart brandaktuell geblieben. Das Fragment einer fremden Zeit hatte sich wie eine Wunde in das Geschichtsgefüge der abendländischen Kulturentwicklung gegraben. Die zahlreichen kunstgeschichtlichen Stil- und Epochendarstellungen schienen mit einem Mal Makulatur.

Es ist aus heutiger Sicht nicht völlig belanglos, dass die damalige Festwochenausstellung im Kontext einer ethnologischen Ausstellungsreihe konzipiert worden war. Die moderne Ethnologie hat ihre historischen Wurzeln in den Vereinigten Staaten, wo man für den Karikaturensturm des Islam deutlich mehr Verständnis als in den übrigen Ländern der westlichen Welt aufzubringen bereit ist. So dürfte es nicht überraschen, dass die amerikanische Ethnologie selbst in Bereichen, in denen man dies nicht vermuten würde, bemerkenswerte Beispiele für akademische Selbstzensur liefert. Vor einigen Jahren etwa gingen die Herausgeber eines wissenschaftlichen Sammelbandes auf die Forderung von Indianervertretern ein und verzichteten auf die Reproduktion einer Irokesenmaske. Entsprechende Masken finden sich in zahlreichen amerikanischen und europäischen Museen. Es wäre den Herausgebern also ein Leichtes gewesen, sich hierfür die Publikationsrechte zu besorgen.

Im Fall der Irokesen haben wir es um keine bilderlose oder ikonophobe Kultur zu tun, wodurch die mit dem islamischen Bilderverbot verbundene Problematik wegfällt. Ohnehin hätte es sich bei der Reproduktion nicht um das Original gehandelt. Offenbar war den Stammesvertretern daran gelegen, bestimmte Aspekte visueller Information mit dem Argument unter ihre Kontrolle zu bringen, dass die dargestellten Objekte ursprünglich sakrale Funktionen besessen hätten und von ihrer Zwecksetzung her nicht für eine Veröffentlichung bestimmt seien. Würde das Beispiel Schule machen, wäre ein in seinen Folgen unabsehbarer Prozess der Desäkularisierung wohl nicht mehr aufzuhalten: Alles kehrt um, Marsch! Mit wehenden Fahnen zurück in eine überwunden geglaubte Vergangenheit voller zauberischer, ankultender Bilder.

Die Ethnologie erhob in den letzten Jahrzehnten den Anspruch, eine Leitdisziplin unter den Kulturwissenschaften zu sein. Ihr Einfluss auf das Denken der westlichen Welt ist kaum zu unterschätzen. Vergessen zu sein scheint, dass die Ethnologie selbst in Abgrenzung von den christlichen Missionsbestrebungen entstanden war und erst in Auseinandersetzung mit den Missionaren ihr wissenschaftliches Profil erhalten hatte. Wie kaum eine andere Disziplin bietet die Ethnologie denn auch das Paradebeispiel einer Alternativwissenschaft, die sich in Überwindung ihrer Anfänge zu einer normativen Wissenschaft emporarbeitete, indem sie die theoretischen Grundlagen des von ihr verfochtenen kulturellen Relativismus’ zur Ausbildung einer Art Ersatzmoral nutzte. Diese Moral treibt die duldsamen Zeitgenossen angesichts erdrückender historischer Lasten zu immer weitreichenderen Verzichtsleistungen an, ohne das vom Gewissen angenagte, defizitäre Bewusstsein damit zufrieden stellen zu können. In ihren extremsten Ausformungen stellt sie sich als verkappte Form eines skrupulösen Bewusstseins dar, das in seiner Selbstgerechtigkeit als eine Art Immunisierungsstrategie zu begreifen ist, die auf ihrer Flucht in die Unbelangbarkeit Trost in immer neuen Paradoxien sucht. Dabei ist das konzessive Verhalten der Ethnologie selber zutiefst religiös konnotiert. Es verinnerlicht aszetische Verhaltensmuster und tradiert diese in säkularisierter Gestalt fort. Die Ethnologie scheint so ein Opfer der Verhältnisse geworden zu sein, in denen sie selbst groß geworden war, jener sowohl zivilen als auch religiösen Atmosphäre, wie sie auf den amerikanischen Universitäten zu herrschen pflegt, die durchwegs protestantische Gründungen sind und in deren Stiftungsräten der Stimme geistlicher Vertreter auch heute noch entscheidendes Gewicht zufällt.

Im Jahr 1989 hätten es die weltpolitischen Verhältnisse gewiss weit eher erlaubt, allfälligen Drohungen mit Bestimmtheit entgegenzutreten, als dies unter den heutigen Bedingungen möglich erscheint. Seither ist nicht nur wertvolle Zeit verstrichen, es sind auch andere Beispiele von angstgeleiteter Vor- und Selbstzensur bekannt geworden. Die völlig überzogenen Reaktionen, die zwölf mittelmäßige Karikaturen Monate nach ihrem Erscheinen in einer Tageszeitung eines europäischen Kleinstaats in weiten Teilen der islamischen Welt auslösten, sind so gespenstisch wie absurd. Es ist, als ob Vertreter des Islam Ernst mit ihrer Absicht machten, der übrigen Welt ihr von Zwang und Gewalt bestimmtes Maß der Dinge aufzunötigen.

In der Diskussion um die aktuellen Vorfälle wird meist übersehen, dass in dem Konflikt zwei Komponenten einander überlagern: Im Mittelpunkt der Medienberichterstattung steht naturgemäß das Bilderverbot und damit die Auseinandersetzung um kirchenrechtliche Fragen, die die Visualisierung sichtbarer und unsichtbarer Tatsachen betreffen. Wie weit reicht die religiöse Sphäre in das öffentliche Leben? Gelten religiöse Vorschriften auch für die Politik, die Justiz, die Wissenschaft oder die Kunst? Vor der Kodifizierung des bürgerlichen Rechts und der Etablierung einer zivilen Rechtssprechung war es in den meisten europäischen Ländern üblich gewesen, religiöse Vergehen nach kirchlichem Recht zu ahnden. Goya war einer der letzten Künstler gewesen, die das blutige Treiben von Inquisition und Autodafé aus eigener Anschauung kannten und in ihren Werken anprangerten.

Das Prinzip der Gewaltenteilung und die Ausdifferenzierung der westlichen Gesellschaften in verschiedene Kompetenz- und Verantwortungssphären führten zur Einschränkung der jeweiligen Teilbereiche und ihres absoluten Geltungsanspruchs. Die Ausbildung eines öffentlichen Raums gestattete die Verhandlung und Vermittlung dieser Sphären auf breiter Grundlage. Der Effekt dieses gewaltenteiligen Systems lässt sich etwa am Beispiel der calvinistischen Bilderstürmer darlegen. Calvins Bilderverbot blieb auf den Kirchenraum beschränkt und konnte den Aufschwung von Kartographie, wissenschaftlicher Buchillustration, Genre- und Landschaftsmalerei in den Niederlanden, England und den Vereinigten Staaten nicht verhindern. Ansätze zu einer solchen Entwicklung sind auch im Islam zu beobachten, wo im Schutz einer höfischen Kultur umfassende epische Illustrationszyklen entstanden. Seit dem 17. Jahrhundert haben Reisende, Künstler und Archäologen den Orient, seine Menschen, seine Landschaft und Kultur in Bildern dokumentiert und damit wesentlich dazu beigetragen, diesem zu seinem Antlitz zu verhelfen. Sollte das islamische Bilderverbot wie unter dem afghanischen Regime der Taliban eine Zerstörung all dieser Kulturgüter zur Konsequenz haben?

In den fraglichen zwölf Karikaturen geht es nicht nur um die Problematik des Bilderverbots. Ebenso wichtig ist die Frage: Welchen historischen Stellenwert hat das Lachen und die Erzeugung von Lacheffekten mittels sprachlichen und ikonischen Zeichen in der islamischen Welt überhaupt? Bis heute gilt die politische Karikatur nach englischem Vorbild als Inbegriff einer Demokratisierung des Bildes. Ihre Erfindung zu Anfang des 18. Jahrhunderts ist als eine Folge der durch die ‚Glorreiche Revolution’ in Gang gesetzten demokratischen Erneuerung des politischen Systems in England anzusehen. In einer Zeit, als im übrigen Europa das Lachen in Bildern durchwegs als Lachen von oben – das heisst: als Propaganda im Dienst der Herrschenden – begriffen worden war, exerzierten englische Karikaturisten vor, wie man sich den gewaltlosen Schlagabtausch zwischen Anhängern der Regierung und der Opposition vorzustellen habe.

Bildsatire war nie unschuldig, egal ob man an die Flugblattpropaganda im niederländischen Befreiungskampf und im Dreißigjährigen Krieg oder an die breit gefächerte Bildpublizistik denkt, die die Jakobinerrevolution im Frankreich des 18. Jahrhunderts begleitete. Kolonialismus und nationalstaatliche Politik trugen dazu bei, dass die politische Karikatur viel von ihrer Glaubwürdigkeit verlor und zu einer ebenso grimmigen wie blutrünstigen Angelegenheit wurde. Die Karikatur weiterhin am Leisten einer idealen Wahrheit messen zu wollen, erscheint nach den Exzessen der NS-Hetzpropaganda schwerlich denkbar.

Natürlich kann man versuchen, Tendenzen und Fehlentwicklungen in Karikaturen auszumachen. Doch ist die Entwicklung bildimmanenter Kriterien, die zwischen guten und schlechten Karikaturen zu unterscheiden erlaubten, eher unwahrscheinlich. In jedem Fall wäre es falsch, jeden verlachten Juden als Opfer antisemitischer Umtriebe hinstellen zu wollen, ging und geht doch Lachen schließlich immer auf Kosten von anderen. Wir möchten deshalb folgende grobe Faustregel zur Beurteilung von Karikaturen aufstellen: In Diktaturen funktionieren Karikaturen immer nur als subversive Kraft und nie als offizieller Ausdruck. Ein Karikaturenwettbewerb zum Holocaust in einem theokratischen Einparteienstaat ist nicht nur geschmack- sondern auch witzlos. Gehört werden sollten dagegen jene Künstler und Karikaturisten, die gegen die Regime ihrer Zeit Stift und Hand erhoben und dafür nicht selten mit dem Leben büßten. In funktionierenden Demokratien dagegen gilt: Wer es nicht schafft, sich im öffentlichen Raum angemessen zu artikulieren, hat es auch nicht verdient, wahrgenommen zu werden. Ausdrücklich falsch wäre es allerdings, daraus den Schluß ziehen zu wollen, wem es gelingt, sich Gehör zu verschaffen, der würde dies auch ausdrücklich verdienen.

Die Entwicklung der religiös motivierten Bildsatire verlief anders als die der politischen Karikatur und ist dementsprechend davon abzuheben. Die Verspottung religiöser Parteien war dem byzantinischen Bildkreis nicht unbekannt und erreichte im Zuge der konfessionellen Auseinandersetzungen am Beginn der Neuzeit relativ früh ein beachtliches Niveau. Schon die alten Griechen hatten sich über ihre Götter lustig gemacht und auch in der christlichen Welt war es nur ein kleiner Schritt vom verehrten Volks- zum verlachten Säulenheiligen. Die Bildsatire Europas scharte ein ganzes Pandämonium fragwürdiger Pseudo-Heiliger wie den heiligen Grobianus oder die heilige Seltenfried um sich, denen man in parodierender Absicht Altäre baute und Opfer darbrachte. Lediglich das Bild Gottes blieb in seiner dreifachen Gestalt als Schöpfergott, als Religionsgründer und als Zeitenrichter von der religiösen Polemik verschont. Dies hinderte die himmlischen Mächte jedoch keineswegs, in den Spottdrucken als sanktionierende Instanz in Erscheinung zu treten.

Interessant erscheint aber doch, dass der Vorgang der Gotteslästerung innerhalb der christlichen Bildtradition immer wieder über die Jahrhunderte thematisiert wurde und sich dem christlichen Gedächtnis im Bild des Gottesattentats einprägte. Die ‚Motivgeschichte des Gottesattentats’ ergibt ein über mehrere hundert Seiten langes, lesenswertes Kompendium all jener ‚Schüsse, die Ihn nicht erreichten’. Die damit verbundene Bildvorstellung war indes keine originär christliche, sondern wurde vor 1200 wie andere Stoffe und Motive aus dem arabischen Raum übernommen. Die Evokation des Lästerungsvorgangs im Bild war seither Teil der christlichen Abschreckungsstrategie mit der Folge, dass der Tatbestand des Gottesattentats als solcher affirmiert wurde und die Möglichkeit von Folgeattentaten als permanente Bedrohung im Raum stand.

William Hogarth und die auf ihn folgenden Karikaturisten rieben sich an den Konfessionen, nicht aber an der Gottesvorstellung selbst. Die Karikatur blieb antiklerikal, ohne je blasphemisch zu sein. Wo es dennoch zu Verstößen kam, waren diese nicht ostentativ als Manifestation, sondern subtil als Anspielung angelegt. Ob Voltaires erhellender Ausspruch, dem zufolge man Gott erfinden müsste, wenn es ihn nicht schon gäbe, als Ausgangsfigur für eine ikonische Tradition der Gotteslästerung anzusehen ist, erscheint zweifelhaft. Eher hat die moderne Pornographie mit Felicien Rops symbolisch verbrämter ‚Wollust am Kreuz’ Pate gestanden. Doch selbst hier stellt sich wie bei George Grosz’ Christus mit Gasmaske die Blasphemie zunächst als Nebeneffekt ein, ohne im eigentlichen Sinne intendiert zu sein. Rops erinnerte in seinem Gemälde an die Leiden und Verfolgungen durch die staatliche Zensur, der erotische Kunst und Literatur über Jahrhunderte ausgesetzt war. Im gemeinsamen Kampf gegen die herrschenden Zensurbestimmungen wuchs seit dem Ende des 19. Jahrhundert in antiklerikal gesinnten und libertinistischen Kreisen die Bereitschaft zu gezielten Provokationen und Übertretungen.

Es wäre eine Illusion zu glauben, wir lebten in einer Epoche der Gleichzeitigkeit, in der die historischen Zeiten in der Virtualität eines technisch vermittelten Raums einfach kollabierten. Zweihundertfünfzig Jahre dauerte es etwa, bis die Motive des humoristischen Volksbilderbogens, wie sie in Deutschland seit dem 15. Jahrhundert Verbreitung fanden, auch Rußland und Skandinavien erreichten. Die politische Karikatur wurde in vielen europäischen Ländern erst mit hundertjähriger Verzögerung heimisch. Den Napoleonischen Kriegen kam dabei ebenso katalysatorische Bedeutung zu wie der Studentenrevolution und der Einführung der Pressefreiheit im Jahr 1848. Die globale Beschleunigung unserer modernen Gesellschaften lässt darüber hinwegtäuschen, dass Bereiche der symbolischen Kommunikation nicht mit der allgemeinen Entwicklung Schritt gehalten haben. Es scheint sich jetzt zu rächen, dass viele der nicht-westlichen Gesellschaften wesentliche Entwicklungen des Bildes übersprungen haben, um unversehens im globalen Dorf zu landen, das nun seinerseits den überlieferten Vorstellungen unterworfen werden soll. Nur so ist es zu verstehen, dass eine vormoderne Bildform wie die Karikatur und nicht etwa ein avanciertes Medienprodukt oder ein zeitgenössisches Kunstwerk den Anstoß zu den aktuellen Protesten gab. Offenbar steht den Protestierern kein gedanklicher Spielraum für Differenzierungen zwischen generalisierender Satire, personalisierender Invektive und Bildformen wie dem Schandbild zur Disposition, das die gezielte Vernichtung dargestellter Personen intendiert. Ja, es stellen sich Zweifel ein, dass es in den betroffenen Ländern jenseits von Theologie und Kirchenrecht überhaupt eine fachliche Instanz geben könnte, die kompetente Aussagen über Fragen des Bildes zu treffen in der Lage ist. In jedem Fall werden wir in diesen Ländern mit erheblichen Defiziten zu rechnen haben, wenn es um die Dechiffrierung von Bildwerken und die Erklärung ihrer Wirkungsweise geht, mit Defiziten, die es wenig ratsam erscheinen lassen, in der Frage der Bilder auf rigiden, abstrakten Prinzipien beharren zu wollen.

Es wäre ein grober Fehler, die Macht der Bilder zu unterschätzen. Die Vergangenheit bietet mehrere Beispiele dafür, dass Bilder Kriege auszulösen vermochten, zuletzt im späten 17. Jahrhundert als England den Holländern den Krieg erklärte, weil diese die englischen Staatssymbole in Spottbildern verächtlich gemacht hatten. Die heftige und unverhältnismäßige Massenreaktion, die die zwölf besagten Karikaturen in einigen Weltregionen auszulösen imstande sind, erklärt sich wohl am ehesten damit, dass der Ort des Göttlichen als eine Art ultimatives Heiliges betrachtet wird, das der allgemeinen Nivellierung der Werte durch eine kommerzialisierte Medienwirklichkeit entgegensteht, in der die überlieferten Wertvorstellungen nur noch in den Figuren ihrer Verkehrung und Pervertierung fortbestehen. Die Situation wird in diesen Ländern dadurch erschwert, dass der auf den Menschen lastende Modernisierungsdruck, anders als dies die Medien suggerieren, kaum durch Wohlstandsgewinne abgefedert wird. Die aufgestauten Gefühle der Frustration und Verzweiflung lassen viele derart – nicht anders als schon in den Ländern der ehemaligen Achsenmächte zu Anfang der dreißiger Jahre – zu einem willfährigen Instrument der politischen Manipulation werden.

Schwerlich lässt sich der Eindruck verhehlen, dass in den gewaltsamen Protesten gegen die zwölf Karikaturen ein den älteren von uns nur zu vertrautes Phänomen im globalen Maßstab wiederkehrt. Gemeint ist jenes zur chronischen Cholerik neigende, überreizte Publikum, das den Künstlern in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg das Leben schwer machte und ein Klima der Bedrohung und Einschüchterung schuf. Wie die damaligen Künstler haben es die dänischen Karikaturisten verstanden, einen wunden Punkt zu treffen und dabei die latent vorhandene Aggression offen zu legen und zu demaskieren. Tatsächlich geht es im Kern der Auseinandersetzung überhaupt nicht um die mutwillige Verletzung von Gefühlen, sondern, im Gegenteil, um die politisch motivierte Verschleierung und Tabuisierung von Verhältnissen der Unterdrückung, für die die Religion den willfährigen Vorwand abgibt. Genau diese Verhältnisse sichtbar zu machen, sind alle im Einzugsbereich des Bildes tätigen Kulturschaffenden aufgerufen.

Mit hehren Worten wurde dieser Tage die ‚Freiheit der Kunst’ beschworen. Doch geht es hier in der Sache tatsächlich um Kunst? Wenn uns daran gelegen ist, in den islamischen Ländern verstanden zu werden, täten wir vermutlich besser, es bei dem Rekurs auf die essentiellen Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit bewenden zu lassen. Dass es einer subventionierten Freiheit bedarf, um den Auswüchsen einer liberalisierten Freiheit zu begegnen und etwas vom Ideal der ‘großen’ Freiheit in den heutigen Medienalltag hinüberzuretten, dürfte von außen nur weitere Fragen provozieren. Die eigentliche Herausforderung besteht in der Erhaltung und langfristigen Sicherung eines repressionsfreien Raums zur Artikulation kontroverser Meinungen, nicht aber in dem Beharren auf alten und der Schaffung von neuen Privilegien.