Gespie(ge)lte Gewalt – Junge Männer in Aufruhr

Author: Patricia Edema


Bei den Amokläufen wird der Geschlechteraspekt weitgehend ausgeblendet. Außenseitertum, Mobbing, Perspektivlosigkeit – die Motive, die zu den gewaltsamen Ausbrüchen jugendlicher Gewalt in der jüngsten Vergangenheit führten, sind plausibel und schnell ausfindig gemacht.

Gespie(ge)lte Gewalt – Junge Männer in Aufruhr

Bei den Amokläufen wird der Geschlechteraspekt weitgehend ausgeblendet. Außenseitertum, Mobbing, Perspektivlosigkeit – die Motive, die zu den gewaltsamen Ausbrüchen jugendlicher Gewalt in der jüngsten Vergangenheit führten, sind plausibel und schnell ausfindig gemacht. Dennoch stellt sich immer wieder dieselbe Frage: Wie kann es dazu kommen, dass junge Männer – und es sind in erster Linie männliche Täter, unter deren Gewalt allen voran Frauen zu leiden haben – zu dieser brutalen Form der Konfliktlösung greifen? Oder anders gefragt: Warum wird bei den Amokläufen der Geschlechteraspekt in Bezug auf Täter und Opfer weitgehend ausgeblendet?

Die Vermutung sei aufgestellt, dass genau hier der Kern des Problems zu liegen scheint, den die sich anschließenden Debatten und gezogenen Schlussfolgerungen konsequent außer Acht lassen: der Faktor Geschlecht bzw. die diesem Konstrukt immanenten Identitätsbilder.

In den Gesellschaftswissenschaften spricht man von der sozialen Konstruktion geschlechtlicher Identität, die bis in das Körpergefühl eingeschrieben gewissermaßen performiert wird. Männlichkeitsbilder – die diesen Bildern innewohnenden Strategien zur Bewältigung existentieller Krisen – sind in unserer Gesellschaft nach wie vor stark mit Gewalt, Dominanz und Heldentum behaftet. Jungen entwickeln ihre Geschlechtsidentität vor allem über die Abgrenzung von Frauen, die häufig mit einer Abwertung des Weiblichen (Schwäche, Passivität, Verwundbarkeit) einhergeht. Um das zu ändern, müssen die gängigen Identitätskonstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit – die daran anknüpfenden inneren Einstellungen und unbewussten Wertungen – kritisch hinterfragt werden. Welche Bilder von Männlichkeit haben junge Männer und welche haben sie von Weiblichkeit? Sind diese gesellschaftlichen Identitätsbilder notwendigerweise verhaltenswirksam?

Jacques Lacans psychoanalytische Identitätstheorie arbeitet die zentrale Rolle des Visuellen bei der Genese der menschlichen Psyche heraus. Weil das Ich, welches sich in der frühkindlichen Phase durch das im Spiegel erblickte Selbstbild herausbildet, auf einem Bild basiert, konstituiert es eine ganze Sphäre des Bildhaften innerhalb des Psychischen. Die Identifikation des Kindes mit seinem Spiegelbild ist allerdings eine Täuschung – der Ort des Erkennens ist zugleich einer der Verkennung: Die Ganzheit und die Einheit, die das Kind im Spiegelbild erkennt, stellt nämlich das genaue Gegenteil zu seinem als zerstückelt erfahrenen realen Körper dar. Das Spiegelbild wird ihm mithin zum Symbol eines Gefühls der Einheit, Ganzheit, Sicherheit, Stabilität und Identität.

Der Spiegel ist nur ein konkretes Beispiel für die viel weiter gespannte Identifizierung mit dem Spiegelbild, das wiederum, weit über seine konkrete Bedeutung hinaus, jede als ähnlich und ganzheitlich erfahrene Gestalt meint: Der Blick auf einen Helden in Computerspielen kann ebenso die Funktion des Spiegels erfüllen, sofern er dem pubertierenden Jugendlichen die ihm mangelnde Einheit spiegelt.

Bei gewaltverherrlichenden Computerspielen für Jugendliche zeigt sich, wie stark Gewaltfantasien mit einer feindseligen Abwertung von Weiblichkeit verknüpft sind. Identifikationen über Filme oder Computerspiele sind zunächst imaginär als erweiterte Identifizierungen erfahrbar. Während in Filmen Männern typischerweise gewaltgetönte Lösungsvorschläge zur Bewältigung von Konflikten ›aufgezeigt‹ werden, ist bei Computerspielen der Aspekt der interaktiven, performativen Identifizierung konstitutiv. In Gewaltspielen erfolgt die Identifikation über eine spielerische, interaktive Identifizierung, bei der die ausgeübte Gewalt mit Erfolg, erfahrbares Töten mit der eigenen, männlichen Aufwertung assoziiert ist. Das gefährliche Potential dieser Bilder liegt mithin darin, dass sie sich als innere Haltung und Einstellung habitualisieren können und nicht mehr als eine von außen übernommene, soziale Konstruktion wahrnehmbar, sprich sichtbar, sind.

Die Gesellschaft ist der Spiegel, der uns prägt, vor dem wir agieren. Sie liefert Vorbilder, die nicht zwangsläufig übernommen werden müssen, so doch als Möglichkeit immer präsent und existent sind. Es scheint äußerst ratsam, die bereit gestellten Männlichkeitsbilder, die Prägung junger Menschen in den Medien, zu überdenken.