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Die Bildphilosophien Ludwig Wittgensteins und Oliver Scholz' im Vergleich


Autor: Christian Trautsch
[erschienen in: IMAGE 11 (Ausgabe Januar 2010)]

Schlagwörter: Bild, Bildbegriff, Isomorphie, Artefakt, Wittgenstein, Scholz

Disziplinen: Philosophie, Semiotik


Based on the distinction between wide, abstract and narrow, concrete concepts of image and thus of abstract and concrete images, this article presents a comparison of the image philosophies of Ludwig Wittgenstein and Oliver Scholz. According to Wittgenstein's theory, the image is integrated into a complex world ontology and represents a means to an end – it must not necessarily be a sign. In contrast, Scholz's autotelic describes a concrete emblematic artifact. For Wittgenstein, the picture is only an image if it is a matter of fact, while for Scholz, an image may be unrealistic, and be only constituted by its syntactic and semantic properties. Interestingly, both approaches have three major general objectives in common: to examine the relevance of reality and the relationship between image and sign and the most complete examination of the image.

Ausgehend von der Unterscheidung von weiten, abstrakten und engen, konkreten Bildbegriffen und somit von abstrakten und konkreten Bildern, wird im vorliegenden Beitrag ein Vergleich der Bildphilosophien Ludwig Wittgensteins und Oliver Scholz' vorgenommen. Während das Bild bei Wittgenstein in eine komplexe Weltontologie integriert ist, nicht zwangsläufig zeichenhaft sein muss und ein Mittel zum Zweck darstellt, ist das Bild bei Scholz ein selbstzweckmäßig beschriebenes konkretes zeichenhaftes Artefakt. Während bei Wittgenstein das Bild nur dann ein Bild ist, sofern es einen Sachverhalt der Wirklichkeit darstellt, kann das Bild bei Scholz durchaus wirklichkeitsfremd sein und wird im Wesentlichen durch seine syntaktischen und semantischen Eigenschaften konstituiert. Interessanterweise verfolgen beide Ansätze drei wesentliche gemeinsame Grobziele: die Prüfung der Wirklichkeitsrelevanz und des Zusammenhangs von Bild und Zeichen sowie die weitgehend erschöpfende Darstellung des Bildbegriffs.

Einleitung

»Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit [...]

Was das Bild mit der Wirklichkeit gemein haben muß,

um sie auf seine Art und Weise – richtig oder falsch –

abbilden zu können, ist seine Form der Abbildung [...]

Die abbildende Beziehung besteht aus den Zuordnungen

der Elemente des Bildes und der Sachen«

(Wittgenstein 1984a: 15, Absatz 2.1.2 ff)


»Ein Bild ist etwas nur dann, wenn es als Element

eines Zeichensystems mit bestimmten Eigenschaften fungiert,

so behandelt, so verstanden wird«

(Scholz 2004: 135)


Der vorliegende Aufsatz vergleicht die Bildphilosophien von Ludwig Wittgensteins Tractatus Logico Philosophicus (1984a) und Oliver Scholz' Bild, Darstellung, Zeichen (2004). Die oben dargestellten Zitate stellen Schlüsselstellen zu den Bildbegriffen der beiden Autoren dar. Demnach versteht Wittgenstein unter Bild ein der Form nach der ›Wirklichkeit‹ gleichendes ›Modell‹, das durch Zuordnungen der Bildelemente zu den ›Sachen‹ konstituiert wird. Dagegen sieht Scholz das Bild als auf bestimmte Art und Weise strukturiertes und interpretiertes Zeichensystem.

Wie sich im Verlauf dieser Arbeit herausstellen wird (siehe 2.1 bis 2.3), handelt es sich bei den genannten Ansätzen um in ihren Grundgedanken gegensätzliche Positionen. Gemäß der von Klaus Sachs-Hombach vorgenommenen Bildunterscheidungen (vgl. u.a. 2004), lässt sich die Theorie von Wittgenstein als Philosophie mit einem weiten Bildbegriff bezeichnen. Weniger ein Bild als konkreter Gegenstand, sondern vielmehr ein abstraktes Verhältnis der Isomorphie ist gemeint. Dagegen vertritt Oliver Scholz einen engen Bildbegriff, der das Bild durchaus als Artefakt versteht (vgl. 1.).

So ist die Frage berechtigt, welchen Sinn es macht, zwei gegensätzliche Theorien zu vergleichen, wenn es am Ende doch nur auf Unterschiedlichkeit in jeder Hinsicht hinausläuft. Doch ganz so einfach ist es nicht. Interessanterweise haben beide Ansätze – wenn auch schließlich mit unterschiedlichen Ergebnissen – drei wesentliche Aspekte gemeinsam: die Frage nach der Relevanz der Wirklichkeit beim Bild und nach dem Zusammenhang von Bild und Zeichen sowie das Grobziel der weitgehend erschöpfenden Darstellung des Bildbegriffs.

Der vorliegende Aufsatz ist wie folgt gegliedert: In Abschnitt 1 werden ein paar wesentliche Aussagen der beiden Bildphilosophien genannt. Abschnitt 2 widmet sich den gemeinsamen Aspekten verschiedener Ergebnisse.

1. Allgemeines zu den Bildbegriffen Wittgensteins und Scholz'

Das laufende Kapitel widmet sich den Bildbegriffen in Wittgensteins Tractatus [...] (1984a) und Scholz' Bild, Darstellung, Zeichen (2004) zunächst im Allgemeinen. Es werden lediglich Voraussetzungen und Grundzüge der Theorien aufgezeigt. Detailliertere Angaben zu den Texten werden im Zusammenhang mit den gemeinsamen Aspekten gemacht (siehe 2.1 bis 2.3) und sollen hier nicht vorweggenommen werden.

1.1 Das Bild als besondere Art von Tatsache bei Wittgenstein

Das Wittgenstein'sche Bild ist in eine komplexe Weltontologie integriert, die im Folgenden umrissen wird. In einem ersten Abschnitt wird der Zusammenhang bzw. die gegensätzliche Abhängigkeit von Welt und Gegenstand geklärt. Die Welt ist demnach ›alles, was der Fall ist‹ und ›[w]as der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten‹. Sachverhalte wiederum kommen durch die ›Verbindung von Gegenständen (Sachen, Dinge)‹ zustande. Umgekehrt lässt sich auch die Welt schrittweise aus den Gegenständen erschließen. Durch die Konfiguration der Gegenstände entstehen Tatsachen und alle Tatsachen zusammengenommen ergeben die Welt. Die einfachen und unteilbaren Gegenstände stellen die ›Substanz der Welt‹ dar. Dennoch ist die Welt keine Verbindung von Gegenständen sondern von Tatsachen, da die Welt – so Wittgenstein – keine ungeordnete Menge von Gegenständen, sondern eine Menge von Sachverhalten, die geordnete Gegenstandspaare sind, ist. Die Welt stellt also ein logisch in sich stimmiges Ganzes dar. Die Gegenstände sind des Weiteren mit einer ›logischen Form‹ ausgestattet, die die ›Möglichkeit der Struktur‹ darstellt. Die logische Form legt fest, welche Gegenstände Konfigurationen (die Strukturen) eingehen können.

Nach Wittgenstein stellt das Bild eine besondere Art von Tatsache dar. Allerdings ist nicht jede Tatsache ein Bild, da sonst auch die Gegenstände und die Welt in irgendeiner Weise bildhaft sein müssten. Das Bild zeichnet sich durch zwei wesentliche Aspekte aus, die in den genannten Zitaten der Einleitung vorkommen. Es findet sowohl eine Abbildung der Wirklichkeit als auch eine Zuordnung von Bildelementen zu Gegenständen statt (mehr dazu vgl. 2.1).

1.2 Das Bild als besondere Art von Artefakt bei Scholz

Im ersten Kapitel von Bild, Darstellung, Zeichen mit dem Titel Bilder – Begriffe und Fragen stellt Oliver Scholz sieben verschiedene Bildverständnisse vor, wobei u.a. natürliche, innere und mathematische Bilder erläutert werden. Er selbst gibt zu verstehen, dass er das Bild vorwiegend als bestimmte Art von Artefakt bzw. als künstlichen Gegenstand versteht und nennt als Beispiele Gemälde, Zeichnungen, Kupferstiche und Holzschnitte.

Die in den nachfolgenden zwei Kapiteln vorgenommenen Widerlegungen gängiger Bildverständnisse (zur Ähnlichkeits- und Kausalrelationsauffassung vgl. 2.1) sowie die Erläuterungen der bildlichen Strukturmerkmale und Voraussetzungen für Bildhaftigkeit in Kapitel 4 (Strukturen bildlicher Zeichensysteme) sind von einer Synthese der Symboltheorie Nelson Goodmans (1976) und der perzeptuellen Bildauffassung Ernst H. Gombrichs (1984) (Klassifikation im Wesentlichen nach SACHS-HOMBACH 2004) geprägt. Ein Bild ist demnach ein Artefakt mit bestimmten syntaktischen und semantischen Strukturmerkmalen (nach GOODMAN 1976 und 1997), das zudem noch als solches interpretiert werden muss (Theorie des Bilder-lesen-Lernens in GOMBRICH 1984).

2. Gemeinsame Aspekte und verschiedene Ergebnisse bei Wittgenstein und Scholz

Wie in der Einleitung angedeutet, setzt sich sowohl Wittgenstein als auch Scholz mit der Frage nach dem Zusammenhang von Bild und Wirklichkeit sowie mit der Zeichenhaftigkeit von Bildern auseinander. Beide haben zudem ein gemeinsames Grobziel: die möglichst erschöpfende Darstellung des Bildbegriffs. Die genannten Punkte sollen im Folgenden erläutert werden.

2.1 Das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit

2.1.1 Der Wirklichkeitsbezug als konstitutiv für das Bild bei Wittgenstein

Der Zusammenhang von Bild und Wirklichkeit spielt bei Wittgenstein eine essenzielle Rolle. Damit ein Bild überhaupt Bild sein kann, muss es nämlich einen Sachverhalt der Wirklichkeit abbilden. Da – so Wittgenstein – die ›gesamte Wirklichkeit‹ die Welt ist, ist auch der Weltbezug dem Bild wesentlich. Bilder von fiktiven Gestalten oder Vergleichbarem lassen sich daher grundsätzlich ausschließen (vgl. dazu seine Selbstwiderlegungen WITTGENSTEIN 1984b). Nach Wittgenstein machen wir uns ›Bilder von den Tatsachen‹, wobei den Gegenständen der Tatsachen bzw. in den Sachverhalten die Bildelemente im Bild entsprechen. Die abbildende Beziehung ist eine ›Zuordnung der Bildelemente zu den Sachen‹. Im weiteren Verlauf des Textes geht Wittgenstein darauf ein, wie es überhaupt sein kann, dass das Bild die Wirklichkeit abbilden kann. Die Gegenstände und die ihnen zugeordneten Bildelemente weisen beide die gleiche logische Form auf. Wie wir in 1.1 gesehen haben, bestimmt die logische Form, welche Konfigurationen Gegenstände eingehen, d.h. welche Sachverhalte sie bilden können. Durch die Übereinstimmung der logischen Form, die Wittgenstein auch ›Form der Wirklichkeit‹ nennt, ist das Bild in der Lage, einen Sachverhalt vollständig abzubilden. Doch wie genau zeigt sich die logische Form am Bild? Die Idee der logischen Form, wie die gesamte Abbildungstheorie, ist an die Hertz'sche Mechanik angelehnt und meint, dass an dem Bild genauso viel zu unterscheiden sein soll, wie an dem Sachverhalt, den es abbildet. Oder anders gesagt: Das Bild weist dieselbe logische Mannigfaltigkeit wie der abgebildete Sachverhalt auf. Die Begriffe Gegenstand und logische Form sind vom Hertz'schen Massenteilchen und seiner Fähigkeit zur Bindung an andere Massenteilchen abgeleitet (vgl. MAIER 1985).

2.1.2 Der Wirklichkeitsbezug als nebensächlich für Bildhaftigkeit bei Scholz

Auch Oliver Scholz setzt sich in Bild, Darstellung, Zeichen mit dem Verhältnis von Bild und Wirklichkeit auseinander – nämlich im Zusammenhang mit einer Untersuchung, inwiefern die Wirklichkeit relevant für Bildhaftigkeit ist. In seinem einleitenden Kapitel Bilder – Begriffe und Fragen (2004) deutet Scholz an, dass er letztlich zwar einen systembezogenen Ansatz präferiert (vgl. 2.2), sich jedoch vorher noch mit gängigen, sich schließlich als falsch herausstellende Bildtheorien auseinander setzen möchte. Dabei handelt es sich um die wirklichkeitsbezogenen Ansätze der Ähnlichkeits- und der Kausaltheorie des Bildes. Grundgedanke der Ähnlichkeitstheorie, die an den Aristotelischen Mimesis-Begriff angelehnt ist (vgl. SCHOLZ 2004: 17 ff.; vgl. ARISTOTELES 2001), ist, dass bildliche Darstellung wesentlich auf Ähnlichkeit beruht. Nach der Kausaltheorie ist etwas nur dann ein Bild, wenn das Abgebildete ein kausal relevanter Faktor bei der Entstehung des Bildes gewesen ist (vgl. SCHOLZ 2004: 82 ff.).

Zunächst prüft Scholz, ob Ähnlichkeit hinreichend für Bildhaftigkeit ist, was er u.a. mit Bezug auf die relationslogischen Eigenschaften zwischen einem dargestellten Gegenstand (Objekt, Person etc.) und dem ähnlichen Bild widerlegt. Ist a b ähnlich, so weist auch b Ähnlichkeit mit a auf; Dennoch kann nur eines ein Bild vom Anderen sein. Als nicht notwendig – so Scholz – erweist sich die Ähnlichkeitsauffassung u.a., da es ja auch im Sachbezug leere Bilder gibt. So haben wir kein Problem damit, Gemälde von Einhörnern und Göttern als Bilder zu bezeichnen, auch wenn sie keinen Teil unserer Wirklichkeit, d.h. der sichtbaren Welt darstellen (vgl. SCHOLZ 2004: 17 ff.).

Da Ursache-Wirkungs-Beziehungen asymmetrisch sind, hat die Kausaltheorie des Bildes durchaus einen Vorteil gegenüber der Ähnlichkeitsauffassung. Allerdings ist sie nur auf einen kleinen Teil der möglichen Bilder anwendbar: Dass etwas ein Bild von einem Einhorn sein kann, hat nichts damit zu tun, dass das Einhorn eine kausale Rolle bei der Entstehung des Bildes gespielt hat. Selbst bei im Sachbezug nicht-leeren Bildern (Allgemeinbilder, Genrebilder etc.) lässt sich die Kausaltheorie nicht ohne Weiteres anwenden. Ein Bild von einem Tiger stellt i.d.R. nicht den Bildverursacher Tiger, sondern ein Allgemeinbild von einem Tiger dar. So ist die Kausaltheorie lediglich auf natürliche (Schatten, Spiegelungen) und nicht-leere singuläre Abbildungen (nach Modellen gezeichnete Porträts etc.) anwendbar.

Bei der Ähnlichkeitsauffassung und der Kausaltheorie handelt es sich um die wahrscheinlich wichtigsten zeichenphilosophisch relevanten Relationen zwischen Bild und Wirklichkeit. Da sich sowohl Ähnlichkeit als auch Kausalität als nicht zwingend für das Bild ergeben haben, ist auch der Wirklichkeitsbezug nicht notwendig für Bildhaftigkeit. Nach seiner systembezogenen Analyse des Bildbegriffs (vgl. 2.2) gibt Oliver Scholz zu verstehen, dass Bilder zwar i.d.R. denotieren (i.S.v. GOODMAN 1964), Denotation aber dennoch nicht notwendig ist.

2.2 Die Frage nach dem Zeichenhaften am Bild

2.2.1 Das Satzzeichen als das sinnlich Wahrnehmbare am Bild bei Wittgenstein

Wie in 1. gezeigt wurde, ist Bildhaftigkeit bei Wittgenstein zunächst nur an die abbildende Beziehung zwischen Gegenstand und Sachverhalt, die durch die Übereinstimmung der logischen Form zustande kommt, gebunden. Sinnlich wahrnehmbare Zeichen spielen hier zunächst keine Rolle. Auch an der Stelle, wo sich Wittgenstein über die Wahr- oder Falschheit von Bildern, die von der Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung des Bildsinnes mit der Wirklichkeit abhängt, äußert, ist noch nicht von Zeichen die Rede. Das »logische Bild der Tatsachen« ist der »Gedanke« (WITTGENSTEIN 1984a: 17, Absatz 3), der zwar wahr oder falsch sein kann, jedoch kein Zeichen ist.

In einem weiteren Schritt heißt es: »Im Satz drückt sich der Gedanke sinnlich wahrnehmbar aus« (WITTGENSTEIN 1984a: 17, Absatz 3.1), womit er zum ersten Mal auf Zeichen zu sprechen kommt. So wie der noch nicht sinnlich wahrnehmbare Gedanke, ist auch der Satz das Bild eines Sachverhaltes, nur dass dieses dagegen ein Zeichen ist. Der Satz ist kein Bild des Gedankens, sondern sein sinnlicher Ausdruck (zur Zusammensetzung der Sätze vgl. 2.3). Als Oberbegriff zu Satz führt Wittgenstein das Satzzeichen ein, das zwar immer Zeichen, jedoch nicht zwingend Bild sein muss. Das Satzzeichen ›in projektiver Beziehung zur Welt‹ – also der ›Satz‹ – ist ein bildhaftes Satzzeichen. Darüber hinaus gibt es noch sinnlose und unsinnige Satzzeichen. Sinnlose Satzzeichen sind die reinen Sätze der Logik, die zwar gelten, jedoch keine Tatsachen beschreiben. Unsinnige Satzzeichen dagegen beziehen sich auf vermeintliche Sachverhalte (z.B. Aussagen über Gott).

2.2.2 Der zeichentheoretische Ansatz bei Scholz

Wie in der Einleitung angedeutet, vertritt Oliver Scholz einen an die Symboltheorie Goodmans und an die perzeptuelle Bildauffassung Gombrichs angelehnte Bildphilosophie. Das Bild wird als ein auf bestimmte Art und Weise strukturiertes und interpretiertes Zeichensystem verstanden. Scholz' Widerlegungen der Ähnlichkeitsauffassung und der Kausaltheorie des Bildes (vgl. 2.1.2) schließt sich eine systembezogene Analyse an. Ausgangspunkt seines Kapitels Strukturen bildlicher Zeichensysteme (SCHOLZ 2004: 102 ff.) ist die Frage, welche syntaktischen (Konstruktion der Zeichen) und semantischen (Anwendungsbereiche von Zeichen) Eigenschaften sowohl denotierende (nicht-leere) als auch nicht-denotierende (leere) Bilder verbinden.

Da Bilder keine strengen Alphabetsysteme wie die Sprache aufweisen, sind sie nicht syntaktisch disjunkt, was soviel heißt wie, dass jede Marke (›Markierung‹) eine Inkription (›Eintragung‹) verschiedener Charaktere (›Erkennungsmerkmal‹) sein kann. Dagegen kann z.B. keine Marke im Deutschen zugleich ein a und ein d sein. Bildsysteme haben eine kontinuierliche Korrelation, die in der Koppelung von syntaktischer und semantischer Dichte besteht. Das bedeutet, dass eine geringfügige Merkmalsveränderung nur eine kleine Inhaltsverschiebung zur Folge hat. Der Begriff der syntaktischen Dichte ist direkt von Nelson Goodman übernommen worden, wonach ein Schema genau dann syntaktisch dicht ist, wenn zwischen zwei Charakteren jeweils ein dritter liegt. Semantische Dichte ergibt sich aus dem Fehlen semantischer Disjunktheit und semantischer Differenziertheit, wobei Ersteres die Konsequenz hat, dass zwei Charaktere einen Anwendungsbereich gemeinsam haben können und Letzteres, dass Mehrdeutigkeiten (Ambiguitäten) möglich sind. Von vergleichbaren Zeichentypen wie Karten und Diagramme unterscheiden sich Bildsysteme ferner durch ihre relative Fülle, d.h. durch ihre vergleichsweise hohe Anzahl signifikanter Aspekte des Zeichens (in Farbe, Textur, Umriss etc.). Darüber hinaus weisen Bilder eine hohe Gedrängtheit auf, die in der Bildung von Klassifikatoren (›Prädikate‹) bei wenigen (im Idealfall nur einem) Merkmalen besteht.

Neben den reinen Zeichensystem-Eigenschaften, deren Analyse für Scholz die wichtigste Aufgabe der Bildphilosophie ist, findet sich noch – wie bereits angedeutet – ein Gombrich'scher Ansatz wieder, nach dem wir erst lernen müssen, Bilder zu lesen (vgl. 1984). Das Bild ist erst dann ein Bild, wenn der Interpretationsrahmen der eines bildlichen Zeichensystems ist bzw. wenn es so ›gelesen‹ wird. So kann ein dem Kopf von Karl Marx ähnlich abgetipptes Kommunistisches Manifest sowohl als Bild als auch als Text gesehen werden. Die Fähigkeit zur Deutung von Bildern muss erst gelernt werden, was wie bei den Sprachsystemen durch den Umgang mit den Zeichen geschieht.

2.3 Gemeinsames Grobziel und verschiedene Feinziele

Wie in der Einleitung angedeutet, haben sowohl Wittgenstein als auch Scholz das Bestreben, den Bildbegriff möglichst erschöpfend zu klären. Im Folgenden wird darauf eingegangen, wie das im Einzelnen geschieht.

2.3.1 Das Bild als Teil einer komplexen Weltontologie und als Mittel zum Zweck zur Konstruktion einer logischen Syntax bei Wittgenstein

Wie in 1. gezeigt wurde, ist der Bildbegriff bei Wittgenstein in eine abstrakte Weltontologie integriert. Die Voraussetzungen für Bildhaftigkeit, die Unterscheidung von sowohl abbildenden als auch nicht-abbildenden Tatsachen, der Zusammenhang von Bild und Zeichen sowie von Sprache und Bild usw. werden in einer Weise dargestellt, wie sie komplexer, umfangreicher und in sich stimmiger nicht sein könnte. Trotz der aphoristischen Form der im Dezimalsystem gegliederten Abschnitte, lässt sich ohne weiteres ein zusammenhängendes Gerüst der verschiedenen in Verbindung mit dem Bild verwendeten Begriffe erstellen. U.a. lassen sich die Bilder nach den Tatsachen klassifizieren, wonach nicht alle Tatsachen Bilder aber alle Bilder Tatsachen bzw. Tatsachen, die abbilden, sind. Auch könnte man die Bilder nach den Satzzeichen klassifizieren, wobei man bei den Satzzeichen die bildhaften – Satzzeichen als Bild bzw. Sätze –, sinnlose und unsinnige unterscheiden könnte. Wie man es auch dreht, es ergibt sich ein widerspruchsfreies Gerüst, in dem der Bildbegriff einen wichtigen Platz einnimmt.

Im Gegensatz zu Bild, Darstellung, Zeichen ist der Bildbegriff allerdings ein Mittel zum Zweck, das auf ein Plädoyer für eine logische, von Mehrdeutigkeiten freie Grammatik, die im Folgenden umrissen werden soll, hinausläuft.

In ihrer 1994 eingereichten Dissertation mit dem Titel Die Logik des Tractatus (herausgegeben 1995) unternimmt Annette Brosch den Versuch, die von Wittgenstein nur in ihren Schemata angedeutete Weltlogik auszuformulieren. Demnach entspricht die Weltlogik in ihren metamathematischen Eigenschaften denen der Aussagenlogik. Der Elementarsatz, d.h. das Satzzeichen in projektiver Beziehung zur Welt besteht lediglich aus gepaarten Namen (Bildelemente des Satzes), die formal bzw. der logischen Form nach zusammengehören. Innerhalb der Elementarsätze gibt es keine verknüpfenden logischen Konstanten (==>,^, v), wohingegen zwischen den Elementarsätzen die Relationen Exklusion und Unabhängigkeit bestehen, die mit dem Sheffer-Strich, aus dem sich alle anderen logischen Relationen bilden lassen (==>,^, v), ausgedrückt werden können. Die abbildende Beziehung des Satzes, wobei Wittgenstein im engen Sinne nur Elementarsätze als Bilder sieht, besteht in der Zuordnung eines Elementarsatzes (n = ›Name‹) zu einem Sachverhalt (g = ›Gegenstand‹) (vgl. BROSCH 1995).

2.3.2 Die Klärung des Bildbegriffs als Selbstzweck bei Scholz

Im Gegensatz zum Vorgehen von Wittgenstein wird der Bildbegriff bei Scholz selbstzweckmäßig behandelt. Einziges Ziel ist es, die syntaktischen und semantischen Merkmale bildlicher Zeichensysteme zu klären. Dies geschieht ebenfalls in einer den Bildbegriff erschöpfenden Weise. Anstatt einfach nur den eigenen Ansatz detailliert zu klären und für diesen zu werben, macht sich Oliver Scholz die Mühe, zunächst gängige Bildverständnisse, wie unsinnig sie ihm auch erscheinen mögen, zu klären sowie die Für und Wider abzuwägen. Bis er zu seinem Kernkapitel 4. Strukturen bildlicher Zeichensysteme (SCHOLZ 2004: 102 ff.) kommt, werden zwei Großkapitel über die Ähnlichkeits- und die Kausaltheorie des Bildes vorangestellt (vgl. 2.1.2).

Vom Ansatz her geht Scholz genau von der anderen Seite an das Bild heran. Während bei Wittgenstein das Bild nicht zwingend ein Zeichen sein muss, versteht Scholz Bilder grundsätzlich als Zeichen bzw. als ein auf besondere Weise strukturiertes und interpretiertes zeichenhaftes Artefakt (vgl. 2.2.2). Hierbei geht Scholz nicht von der unspezifischen Fragestellung Was ist ein Bild? aus. Anstelle dessen formuliert er von Anfang an konkrete Fragestellungen wie: Welchen Umfang hat das Bild? Welche Phänomene fallen unter den Begriff des Bildes? Wie unterscheiden sich Bilder von anderen Zeichensystemen? usw., die er in hinreichender Weise zu klären vermag.

3. Schlussbetrachtung

Der vorliegende Aufsatz hat sich zum Ziel gesetzt, die Bildbegriffe von Ludwig Wittgensteins Tractatus Logico Philosophicus und Oliver Scholz' Bild, Darstellung, Zeichen miteinander zu vergleichen. Es hat sich gezeigt, dass beide Autoren zwei im Großen und Ganzen gegensätzliche Positionen vertreten. Während Wittgenstein ein abstraktes Verhältnis der Isomorphie im Blick hat, vertritt Scholz einen Ansatz, der von dem Bild als grundsätzlich zeichenhaftem Artefakt (das man sehen kann) ausgeht.

Trotz dieser Unterschiede weisen beide Positionen gemeinsame Aspekte auf. Beide deuten auf ihre Art und Weise den Zusammenhang und die Notwendigkeit des Wirklichkeitsbezugs für Bildhaftigkeit. Beide untersuchen die Voraussetzungen, unter denen das Bild ein Zeichen sein kann. Während Scholz das Bild grundsätzlich als Zeichen versteht, dessen Struktur nur geklärt werden muss, ist das Bild bei Wittgenstein nur dann ein Zeichen, sofern es als Satzzeichen auftritt. Auch wurde gezeigt, dass beide Ansätze um eine den Bildbegriff erschöpfende Darstellung bemüht sind.

Der Vergleich der beiden Positionen hat ergeben, dass selbst Theorien verschiedener Bildtheorie-Epochen – Wittgensteins Tractatus als Teil der Gegenbewegung zur mentalistischen Auffassung des Empirismus und die Bildphilosophie Scholz' als im Rahmen der erneuten Aufwertung mentaler Prozesse einzuordnender Ansatz (nach der Unterscheidung von SACHS-HOMBACH 2004) – und mit verschiedenen Methoden – der Tractatus als aphoristische und Bild, Darstellung, Zeichen als wissenschaftlich-essayistische Abhandlung – überraschend ähnliche Aspekte erhellen können.


Literatur

  • ARISTOTELES: Poetik. Griechisch / Deutsch. 2. Ausgabe, Stuttgart [Reclam] 2001
  • BROSCH, ANNETTE: Die Logik des Tractatus. Frankfurt / M., N.Y. [Lang] 1995
  • DAHMS, HANS-JOACHIM: Philosophie, Wissenschaft, Aufklärung. Berlin [de Gruyter] 1985
  • GOMBRICH, ERNST H.: Bild und Auge. Neue Studien zur Psychologie der bildlichen Darstellung. Stuttgart [Klett-Cotta] 1984
  • GOODMAN, NELSON: Languages of Art: An Approach to a Theory of Symbols. 2. Auflage, Indianapolis [Hackett] 1976
  • GOODMAN, NELSON: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1997
  • MAIER, ULRICH: Hertz, Wittgenstein und der Wiener Kreis. In: DAHMS, HANS-JOACHIM: Philosophie, Wissenschaft, Aufklärung. Berlin [de Gruyter] 1985
  • SACHS-HOMBACH, KLAUS; REHKÄMPER, KLAUS (Hrsg.): Bild - Bildwahrnehmung - Bildverarbeitung: interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft. 2. Ausgabe, Wiesbaden [DUV] 2004
  • SCHOLZ, OLIVER: Bild, Darstellung, Zeichen: philosophische Theorien bildlicher Darstellung. 2. Ausgabe, Frankfurt/M. [Klostermann] 2004
  • WITTGENSTEIN, LUDWIG: Tractatus Logico-Philosophicus. In: WITTGENSTEIN, LUDWIG: Werkausgabe Band 1. Tractatus Logico-Philosophicus. Tagebücher 1914-1916. Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1984a
  • WITTGENSTEIN, LUDWIG: Philosophische Untersuchungen. In: WITTGENSTEIN, LUDWIG: Werkausgabe Band 1. Tractatus Logico-Philosophicus. Tagebücher 1914-1916. Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1984b
  • WITTGENSTEIN, LUDWIG: Werkausgabe Band 1. Tractatus Logico-Philosophicus. Tagebücher 1914-1916. Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M. [Suhrkamp] 1984c


Christian Trautsch

Arbeitsstelle für Semiotik (Leitung: Prof. Dr. Roland Posner)

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