Bildtransfers. Der Einsatz visueller Medien in der Indianermission Neufrankreichs


Autor: Franz Reitinger
[erschienen in: IMAGE 6 (Ausgabe Juli 2007) ]

Schlagwörter: Bilderangst, Indianermission, Irokesen, Jesuiten, Bildperformanz, Neuzeitliche Bildforschung, Quebec, Transkulturelle Ikonographie, Transportable Bilder

Disziplinen: Geschichte, Kunstgeschichte


This historical essay focuses on the implementation and the effect of images, charts and maps on the Native Americans during the Christianizing campaigns of the Jesuit mission in the 17th century. The detailed mission reports allow us to describe the introduction of the mimetic image into an indigene culture as a technological transfer which made the acculturative process work.
Images captured and refracted current tensions, and set off feelings of curiosity and anxiety. Particularly frightening was their presence in an environment foreign to the American mind and in the context of a rigid installation, which urged the spectator into a specific attitude or closed up possible escape routes as, for example, a chapel's interior. The missionaries were inclined to misunderstand the Red Indian's reactions as religious fear. However, the ambivalent feelings of the savages seem to be quite similar to those encountered in a chamber of horrors. This is substantiated by the fear of the Native Americans that images themselves could look, speak and behave. When the Indian allowed himself to yield to the allure of enhanced visualization, however, he did so at his own risk without a claim for compensation against a potentially liable operator. For all damages beyond mere iconic enchantment he alone took responsibility.
Thanks to the missionary reports we get a better understanding of what the introduction of illusionary images meant to a sign controlled, semiotic society. As for any cultural step in a new direction, the simulacrum, or mimetic image involved a shock-like experience of which we have no adequate idea in an updated world where images have become part of the fabric of common sense. Civilized nations have forgotten what people felt two or three generations ago when they, for the first time, entered a darkened cinema hall, went through an automatic entrance door, or set foot on an escalator. And yet, these are the traumatic occurrences, of which our modern societies – one may think of nowadays IMAX-theatres – ascertain themselves with every new development. The trick is to demonstrate against all appearances: I am not terrified!

Abstract in deutsch:

1. Einleitung

Anhand der sehr detaillierten Missionsberichte aus dem 17. Jahrhundert lässt sich bis heute nachvollziehen, was die Einführung des illusionistischen Bildes in eine weitgehend bilderlose Gesellschaft bedeutete. Die genaue Lektüre dieser Berichte erlaubt uns, den unvermittelten Hereinbruch des Bildes in die Indianerkulturen der nordamerikanischen Wald- und Seengebiete als eine Art von Technologietransfer zu begreifen, durch den ein nachhaltiger Akkulturationsprozess in Gang gesetzt werden konnte. Im Kontakt der Indianer mit dem neuen Medium wurden die Spannungen zwischen den Zivilisationen aufgefangen, gebrochen, und schließlich dechiffrierbar. Wie bei jedem größeren Kulturschritt war damit zunächst eine schockartige Erfahrung verbunden, von der man sich heute, da die Bilder längst eine Selbstverständlichkeit geworden sind, keine zureichende Vorstellung mehr macht. Die Menschen der so genannten zivilisierten Welt haben nur allzu rasch vergessen, wie ihre Groß- bzw. Urgroßeltern beim erstmaligen Betreten eines Kinos, beim Einsteigen in ein Automobil, beim Durchschreiten einer sich automatisch öffnenden Türe oder bei Benutzung einer Rolltreppe reagierten. Und doch sind es gerade diese traumatischen Erlebnisse, derer sich unsere Gesellschaft in immer neuen Entwicklungen – man denke etwa an die heutigen Imax-Theater – zu vergewissern sucht. Stets geht es dabei darum, sich zu bestätigen: Ich habe keine Angst! Mit gutem Grund konnten Vertreter der modernen Kunst die Angst im Angesicht des Bildes erneut thematisieren. Der amerikanische Künstler Barnett Newman etwa stellte in einer Reihe von monochromen Gemälden großen Formats aus den Jahren 1966/67 die Frage: ”Wer fürchtet sich vor Rot, Gelb und Blau?” Sicherlich niemand, denn wer wollte schon an Gefühlen rühren, die man längst überwunden zu haben glaubte.

2. Semantik des Andersseins

Obgleich sich auch andere Orden wie die Rekollekten oder die Sulpizianer zeitweise an der Indianermission beteiligten, waren es vor allem die Jesuiten, die seit 1632 von Quebec aus die Bekehrung der Ostküsten-Indianer betrieben. Das ambitionierteste Vorhaben der Jesuitenmission stellte die Bekehrung des Huronenbundes dar, in dessen Dörfern die Patres seit 1634 eine Anzahl von festen Stationen errichtet hatten. Die fünfzehnjährige Aufbauarbeit am Lake Huron wurde in den Irokesenkriegen zunichte gemacht, die seit 1642 zahlreichen Missionaren das Leben kosteten und schließlich in der völligen Aufreibung des Bundes endeten. Erst nach den Friedensschlüssen zwischen der französischen Krone und den fünf Irokesennationen im Jahr 1665 konnten sich die Jesuiten an die Christianisierung des von allen mächtigsten Stammesverbandes wagen.

1667 begleiteten die Missionare Jacques Fremin, Jacques Bryas und Jean Pierron eine Abordnung von Irokesen zu Verhandlungen nach Quebec. Im Gegenzug wurden sie eingeladen, ihrerseits die sieben befestigten Irokesenstädte nördlich des Mohawk im heutigen Bundesstaat New York aufzusuchen, die im Einzugsbereich der miteinander konkurrierenden militärischen und ökonomischen Interessen der Holländer und Franzosen lagen. Im Oktober 1668 löste Pierron seinen Mitbruder Fremin in der Mohawkmetropole Tinontoguen ab, nachdem dieser von einem besoffenen Irokesen derart malträtiert worden war, daß sein Gesicht für lange Zeit entstellt blieb. Die folgenden zweieinhalb Jahre wohnte Pierron unter den Indianern und nahm an ihren Kriegszügen teil.

In schillernden Worten beschrieb René Fülöp-Miller, der Autor üppiger kulturhistorischer Bücher, Pierrons Arbeitsweise in den Wäldern ”Lousianas”: ”Mit Malkasten und Palette erschien er bei den Wigwams der Indianer und entwarf hierauf, umdrängt von staunenden Zuschauern, Bilder der Hölle, des Himmels, der Engel und Teufel. Danach erklärte er ihnen den Sinn dessen, was er gemalt, und bewog durch diesen Anschauungsunterricht wirklich eine Anzahl von Irokesen zur Taufe.” Offensichtlich hatte der Historiker das ungleich besser dokumentierte Beispiel der akademischen Maler George Catlin (1794-1872) und Karl Bodmer (1809-1893) vor Augen, die fast zwei Jahrhunderte später die Indianerstämme des Missourigebietes aufsuchten, nicht etwa um den Indianern – wie in Fülöp-Millers Darstellung – etwas vorzumalen, als diese ihrerseits zum Gegenstand ihrer Bilder zu machen.

Gemessen an Catlin und Bodmer hielt sich das künstlerische Talent der Missionare ebenso wie ihr ethnologisches Interesse an den Indianern in Grenzen. Eine Ausnahme bildete Jacques Marquette, der als Mitglied einer fünfköpfigen Expedition im Frühjahr 1673 hoch oben auf einem Felsvorsprung des Mississippi monumentale Malereien entdeckte, sie in seinem Tagebuch ob ihrer außergewöhnlichen Qualität beschrieb und eine genaue Zeichnung davon anfertigte. Marquette erkannte zwei furchterregende Ungeheuer von der Größe je eines Kalbes in den Farben Rot, Grün und Schwarz mit einem schuppigen Körper, Hörnern und einem den ganzen Leib umwindenden Schwanz.

Schon im ersten Band ihrer ”Relations” hatten die Jesuiten von den Körpermalereien und Tätowierungen der Indianer Akadiens mit figurativen Motiven wie Vögeln, Schlangen, Adlern und Schildkröten berichtet. Später sahen die Missionare in den Hütten der Eingeborenen sorgfältig bemalte Bisonschädel, Bärenköpfe und dergleichen Totemtiere mehr. Zur Abwehr von Krankheiten pflegten die Huronen über den Eingängen zu ihren Hütten Strohpuppen, Kornmasken und andere Apotropaia aufzuhängen. Noch größeres Befremden riefen die so genannten ”Falschen Gesichter” der Irokesen hervor, in Holz geschnitzte und farbig gefasste Masken, die bis zu einem halben Meter hoch sein konnten. Zwei durchlöcherte Metallteile eines alten Kessels bildeten die Augen. Auf den Raubzügen der Indianer stellten die eigenartigen Masken begehrte Beutestücke dar. Obgleich den Missionaren nicht entging, welch hohen Wert die Indianer derlei Artefakten beimaßen, blieben diesen die sozialen und spirituellen Hintergründe verborgen.

Zu Mariae Himmelfahrt des Jahres 1638 nahm eine Delegation von Indianern an einer feierlichen Prozession in Trois Rivières teil. Paul Le Jeune (1591-1664) hob in seinem Bericht die dekorative Wirkung hervor, die dabei von den bemalten Büffelroben der Rothäute ausging. Die Irokesen hatten ihre mit Figuren geschmückten Elch- und Büffelhäute meist im Zuge der Tributzahlungen durch unterworfene Stämme erhalten. Später freuten sich die Missionare über die reich verzierten Roben, die sie von ihnen geschenkt bekamen. Der 1729 von den Natchez ermordete Paul de Poisson meldete seinen Ordensoberen, am Ufer des Arkansas mehrfarbige mit Kalumet, Vögel und Tieren bemalte Büffelroben gesehen zu haben, die in der Sprache der Eingeborenen ”mataché” genannt würden und sich vorzüglich als Tisch- und Bettdecken eigneten. Die erste Überblicksdarstellung über das Bemalen von Tierfellen gab der Jesuit Joseph-François Lafiteau in seiner Geschichte der Völker Amerikas von 1724.

Deutlicher als im Bereich der Garderobe trat der artifizielle Charakter indianischer Bildwerke an den magischen Praktiken der Schamanen zutage. In einem Fall veranlasste ein Medizinmann, daß zur Heilung eines kranken Mädchens Kissen und Laken mit ”hunderten grotesken Figuren”, darunter Kanu, Paddel und Tänzer, bemalt werden sollten. Auch Totengerüste waren mit wilden Tieren und Vögeln versehen, die, wie Claude Chauchetière von den Indianern erfuhr, die Lebensgeister symbolisieren sollten. Während die an den Ufern des Mississippi entdeckten Felsmalereien nach Ansicht ihres Entdeckers Jacques Marquette europäischen Werken an Qualität kaum nachstanden, brachte Paul le Jeune zum Ausdruck, was sicherlich die meisten seiner Kollegen von diesen Malereien dachten: ”Sogleich begannen sie auf ein Tuch zu malen, aber was dabei herauskam, waren doch nur lauter Fratzen, so weit reichen ihre malerischen Fähigkeiten.”

Ähnlich fiel das Urteil über eine Arbeit der Irokesen aus, die gut sichtbar auf einem astlosen Baum festgebunden war. Die Irokesen hatten den Querbalken eines Kreuzes heruntergerissen, das der Kommandant der französischen Truppen du Plessis das Jahr zuvor im Indianergebiet errichtet hatte. Auf den Balken malten sie dreißig Huronen, die sie auf ihrem Kriegszug gegen die Franzosen gefangen hatten. Die Missionare ließen sich die Darstellung von ihren Dolmetschern erklären, von denen sie erfuhren, daß die Dargestellten nach Rang und Alter, durch relative Größe und qualifizierende Zusatzzeichen unterschieden waren. Diejenigen unter ihnen, die zuvor getötet worden waren, hatte der irokesische Künstler in Schwarz gemalt, jene die dem Feuer übergeben werden sollten, dagegen in Rot.

Mit Schaudern sollten die Missionare später beobachten, wie die frisch abgenommenen Skalps von den Irokesen auf rotverschmierten Pfählen herumgetragen wurden. Nicht alles war daran Blut. In ihren Relationen wussten die Patres von dem satten Rot zu berichten, das die Indianer aus Kupfererzen gewannen und bald erhielten sie auch einen Eindruck, wie sich die aufregenden Körperfarben anfühlten. Nachdem die Irokesen einen der Missionare zur Geisel genommen hatten, bemalten sie dessen Gesicht mit roter und schwarzer Farbe, um ihn als ein Opfer des Kriegsdämons zu kennzeichnen.

Indes standen die Missionare den Irokesen im Kampf um Zeichen und Symbole kaum nach. Während sie die Indianer schon von weitem durch eine bestickte Fahne aus feinem weißen Taft mit den Namenslettern Jesu auf sich aufmerksam zu machen suchten, nutzten sie jeden unbeobachteten Augenblick, um die bunt markierten Wegzeichen und -idole der Indianer, auf die sie bei ihren Kanufahrten stießen, zu zerstören. Geschickt verfuhr Louis André (1641-1714) im Dorf der Menominee, einem sich vornehmlich von Wildreis ernährenden, friedlichen Stamm am Westufer des Michigansees. Gleich bei seiner Ankunft hatte er einen mit kräftigen Farben bestrichenen Pfahl erblickt, ein Fruchtbarkeitsmal, an dessen Ende ein Brett mit einer Sonnendarstellung gebunden war. André gelang es, die Dorfgranden zu überreden und das Bild der Sonne gegen ein Kruzifix auszutauschen, das er bei sich führte. Angesichts der gründlichen Vorgehensweise der Missionare ist es sicherlich kein Wunder, wenn sich so gut wie keine indianischen Bilddokumente aus dieser Zeit erhalten haben. Zu den rühmlichen Ausnahmen zählt eine während eines Kriegszugs der Seneca an einem Baum angebrachte Ritzzeichnung aus dem Jahr 1666, von der eine französische Kopie einen mehr oder weniger zuverlässigen Eindruck vermittelt.

3. Ikonologie der Fremdwahrnehmung

Nur schrittweise dürften die Missionare den Nutzen der Bilder für die Mission erkannt haben. ”Dir die Strapazen des Weges auszumalen, dazu reichen weder Feder noch Pinsel”, befand Le Jeune noch 1634. Zu Weihnachten des gleichen Jahres nahm er aus seinem Brevier eine der Illustrationen heraus und stellte sie mit anderen Objekten zu einer Art Gebetsnische für eine improvisierte Weihnachtsfeier zusammen. Erst 1635 dürften mit der Errichtung des Jesuitenkollegs in Quebec die ideologischen und materiellen Voraussetzungen für den instrumentellen Einsatz des Bildes im Kontext des jesuitischen Bekehrungstheaters geschaffen worden sein. Nach einer zweijährigen Missionstätigkeit bei den Huronen konnte François-Joseph Le Mercier (1604-1690) im Juli 1637 vermelden, dass in Arenté und anderen Orten am Ostufer des Huronsees eine große Nachfrage nach Bildern und Gemälden bestünde. Im darauf folgenden Winter hielten die Häuptlinge des Huronenbundes in dem zwanzig Kilometer südlich von Arenté gelegenen Dorf Ossossané zwei große Ratsversammlungen ab, die den endgültigen Umschwung in der Bilderfrage brachten. Von nun an drängten die Indianer voller Neugier zu den sonntäglichen Gebetsfeiern, um die Choräle der Missionare zu hören und deren Bilder zu sehen.

Die Missionare begnügten sich zunächst mit vorgefertigten Bildern, die bei renommierten Pariser Verlegern wie Sebastien Huré (gest. 1650), dem älteren Pierre Mariette (1603-1657), Jean François Cars (1670-1763) und seinem Sohn Laurent (1699-1771) eigens für die Mission in Auftrag gegeben wurden. Charles Garnier (1605/06-1649) etwa erhielt regelmäßig einmal im Jahr aus Paris einige Bilder und Gemälde zugesandt, die ihn unter günstigen Umständen über zwei Zwischenstationen erreichten. Einige Missionare wie Jean de Lamberville (1633-1714) führten aus eigener Initiative derartige Bilder aus Frankreich in die Kolonien ein.

Die von den Missionaren bestellten Stiche wiesen gegenüber der christlichen Ikonographie eine Reihe von Besonderheiten auf. Einen ersten Gestaltungsvorschlag unterbreitete bereits Pater Le Jeune, der in den ”Jesuitenrelationen” vereinfachte Kompositionen empfahl, in denen die sittliche Rolle jeder Figur deutlich herausgearbeitet sein sollte. Die Missionsberichte seines Kollegen Le Mercier enthielten weitere Anhaltspunkte, wie etwa den, dass lediglich Figuren von natürlicher Größe auf die Indianer Eindruck machten. Am sorgfältigsten ging der seit 1636 in der Mission aktive und später von den Irokesen ermordete Garnier bei der Auswahl seiner Bilder vor, indem er einen in seiner Ausführlichkeit einmaligen Kriterienkatalog zusammenstellte. Der sich in einem Brief an seinen älteren Bruder und nachmaligen Ordensprovinzial der Karmeliter dokumentierende außerordentliche Sinn für die visuellen Aspekte der Malerei geht über Fragestellungen der nachtridentinischen Bildtheologie deutlich hinaus und läßt die großbürgerliche Herkunft des Parisers erkennen. Seine frühen bibliophilen Neigungen werden in gewisser Weise durch eine Anekdote bestätigt, nach der Garnier an einem Buchstand auf der Pont-Neuf ein obszönes und irreligiöses Buch erwarb, um es augenblicklich zu vernichten, damit es niemandem in die Hände fiele, der hiermit Missbrauch treiben könnte. Die Zensur trägt hier gewissermaßen philanthrope Züge.

In der Tat hätten die brieflichen Ausführungen des Missionars den Bemühungen des Kunsthistorikers Erwin Panofsky um eine klare Unterscheidung von natürlichem und konventionellem Bildsujet zu einer empirischen Grundlage verhelfen können. So werden neben Heiligenschein auch Profildarstellung und Schattierung von Garnier als europäische Konvention erkannt und verworfen, da sie das Verständnis der Bilder seitens der Indianer nur unnötig erschwerten. Noch George Catlin sollte in seinen Briefen und Notizen auf die indianische Deutung des Profils als halbes Gesicht eingehen und die sich hieraus ergebenden Implikationen aufzeigen. Catlin trug in seinen Gemälden wie kein anderer Künstler den Prinzipen indianischer Wahrnehmung Rechnung. Anders als etwa die frühen Indianerporträts des Ateliermalers Charles Bird King (1785-1862) beziehen Catlins Bilder ihre Wirkung immer wieder aus der Frontalität des jeweils Dargestellten. Der von seinen Zeitgenossen überwiegend praktizierten Helldunkelmalerei setzte Catlin eine flächig dekorative Farbenmalerei entgegen, die – wie bereits Baudelaire anlässlich seiner ausführlichen Besprechung des Pariser Salons von 1846 registrierte – eher der Ethnologie als der vergleichenden Anatomie verpflichtet war.

Eine bildnerische Konsequenz der indigenen Wahrnehmungsmuster bildete unter anderem die Aufspaltung eines Gegenstandes in eine Vorder- und in eine Rückseite und deren simultane Darstellung. Auf die unter den Indianern der Nordwestküste weit verbreitete Denkform des ”split image” machte der Ethnologe Franz Boas (1858-1942) aufmerksam, der mit seinen Forschungsarbeiten der kubofuturistischen Malerei des frühen 20. Jahrhunderts in den westlichen Kunstmetropolen theoretisch vorarbeitete.

Handelte es sich bei der herkömmlichen Seitenansicht um eine konventionalisierte Form der Bildnismalerei, die im transkulturellen Dialog zu Missverständnissen Anlass gab, so macht Garnier in der Bartlosigkeit der Gesichter, der Nacktheit der Figuren und der Farbsymbolik der Gewänder vornehmlich Zugeständnisse an den indianischen Geschmack. Als essentiell erweist sich ein kräftiger Farbauftrag, soll das Bild seine Wirkung nicht verfehlen. Die Attraktivität der Buntfarben geht soweit, dass selbst Kupferstiche – konträr zum Zeitgeschmack des barocken Klassizismus – möglichst farbig gefasst sein sollen. Naturtöne wie Grün und Gelb genießen geringeres Ansehen als kräftiges Rot und klares Blau. Die sich hieraus ergebende Rangordnung der Farben hinsichtlich ihrer kulturellen Wertigkeit verbietet es dem Maler, zur Schilderung der Ausburten der Hölle etwa auf die Farbe Blau zurückzugreifen.

Garnier legt besonders wert auf den hellen Teint Mariens und der Heiligen weniger, um damit einem Wunsch der Eingeborenen nachzukommen als vielmehr um den hegemonialen Anspruch der Europäer gegenüber den Eingeborenen zu unterstreichen. Eher didaktischen Überlegungen folgt demgegenüber der Vorschlag, auf unnötige Details wie Blumen, Bäume oder Tiere zu verzichten, welche die Indianer vom christlichen Inhalt des Bildes ablenken könnten. Eine derartige Konzentration auf das Menschenbild ist allerdings auch als eine strategische Entscheidung wider die totemistische Malerei der Indianer zu werten.

Die Suggestionskraft von Bilddrucken und Malereien sollte durch Zeigegesten und eindringliche Blicke aus dem Bild zusätzlich gesteigert werden. Garniers Forderung an die Künstler, die Augen der dargestellten Personen stets in geöffnetem Zustand wiederzugeben, findet ihre Begründung in der Vorliebe der Indianer für Bilder, ”die auf das zurückblicken, was sie anblickt”. Offenbar liegt hier eine der Wurzeln des sich selbst gewissen, reflexiven Bildes, dessen Erfindung sich die Kunst bis heute zugute zu halten pflegt.

Wiederholt betont Garnier, er wünsche von einem Bild möglichst viele Abzüge, geht es ihm doch nicht zuletzt um die Multiplikation der Glaubensbilder durch deren Verbreitung in Kopien. Noch 1727 bat de Poisson einen Ordensbruder in Paris, er möge ihm so viele Kupferstiche senden, wie nur irgendwie in einem Kanu Platz fänden. Zwei Jahre später starb der Jesuit im Pfeilhagel der Natchez – wie Garnier und viele andere Kollegen vor ihm – den Tod eines Märtyrers.

4. Trauma der Bilderfahrung

Erst nach der Wiederaufnahme der Mission in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts ist eine größere Verbreitung von Bilddrucken und damit eine stärkere Diversifizierung der Bilder nach Themen und Gattungen zu beobachten. Jacques Gravier (1651-1708) etwa besaß eine Folge von Kupferstichen, mit denen er den Illinois das komplette Neue Testament erläutern konnte. Neben religiösen Arbeiten setzten die Patres Pierre Millet (1631/35-1708) und Jean de Lamberville bei den Onondaga auch weltliche Stiche ein. Millet, der in der Folge von den Irokesen gefangen gesetzt und einige Jahre zur Geisel genommen wurde, stellte in der Mitte seiner Hütte ein Arrangement zusammen, ”um die Phantasie der Indianer durch irgendeine Art von formaler Anordnung zu fesseln.” Vor den Altar hängte der Missionar einen jener perlenbesetzten Medizingürtel, wie sie im Indianerterritorium als Zahlungsmittel Verwendung fanden. Zu beiden Seiten brachte er eine Weltkarte, einen Spiegel beziehungsweise ein Bild des heiligen Ludwig, des Schutzpatrons der Franzosen an. An anderer Stelle plazierte er schließlich die Porträts König Ludwigs XIV. und des 1661 geborenen gleichnamigen Thronnachfolgers. Dann legte er eine Bibel auf einen mit einem roten Tuch unterlegten Tisch und stellte darunter ein Bild Christi, ”zu dessen Füßen alle Symbole der Abergläubigen und Zügellosen dieses Landes lagen, als ob damit angezeigt werden sollte, daß er sie überwunden habe.” Szenen wie diese machen begreiflich, wieso die Missionsbestrebungen der Jesuiten von der Krone begrüßt und gefördert wurden. Niemand verstand es schließlich besser als die Missionare, aus den Wilden loyale Subjekte zu machen.

Die Weltkarte hatte für Millet mehr die Funktion eines symbolischen Objekts als eines Bildes, wollte dieser doch damit lediglich zum Ausdruck bringen, dass Gott alle Dinge erschaffen hat. Lamberville hingegen konfrontierte die Indianer mit einer topographischen Ansicht von Paris und Umgebung, nur um zu sehen, wie sich die Eingeborenen beim Anblick der vielen Straßenzüge des Staunens nicht länger erwehren konnten. Sein Bericht ist zweifellos darauf angelegt, den französischen Lesern der ”Jesuitenrelationen” zu schmeicheln. Er setzt zudem die Annahme voraus, dass die Indianer Bilder in Draufsicht zu lesen imstande waren. Freilich pflegten sich die Indianer eher mit Hilfe von Zeichen als anhand von Bildern in geographischen Räumen zurechtzufinden. So benutzten sie zur Wegorientierung etwa Gürtel aus weißen und farbenen Porzellanperlen. Eine Irokesen-Delegation erklärte den verdutzten Missionaren, wie ein solcher Gürtel zu lesen sei: ”Hier sind die Seen, hier die Flüsse, dort die Berge und die Täler, die zu passieren sind, und dort sind die Furten und Wasserfälle. Dies alles ist zu beachten, damit niemand im Zuge der Besuche, die wir einander abstatten werden, verloren geht.” Später fanden Lambervilles Nachfolger in der Mission heraus, dass die Indianer tatsächlich auch im engeren Sinne über eigene Karten verfügten. Auf ausgedehnten Jagdausflügen und Kriegszügen ergab sich die Notwendigkeit, ferner liegende Gegenden zu erkunden. ”Bey ihrer Zurückkunft”, notierte Joseph-François Lafiteau, ”haben sie alles bemerkt, und sie zeichnen, obwol ziemlich ungeschickt, auf Baumrinden oder in den Sand solche genauen Landkarten, daß ihnen nichts als das Meilenmaas ermangelt. Dergleichen Art von geographischen Rissen heben sie auch in ihrem öffentlichen Schatze auf, damit sie sich derselben im Nothfall bedienen können.” Lafiteaus Aussage beruhte nicht etwa auf eigenen Feldforschungen. Vielmehr hatte er die Passage aus dem 1703 in London publizierten Reisebericht des französischen Leutnants Lahontan (1666-1716) übernommen und in seine komparative Systematik antiker Mythen und neuentdeckter Naturreligionen eingepasst.

Bilder schienen den ersten Missionaren zunächst einen thematischen Einstieg in die Predigt zur Hand zu geben, ein Leitmotiv, das sie auf ihren Bibelreden begleitete und ihnen half, von ausgedehnt verbosen Streifzügen durch die Physikotheologie, auf denen sie die Schönheit und Zweckmäßigkeit alles von Gott auf Erden Geschaffenen priesen, wieder zum christlichen Kern ihrer Botschaft zurückzufinden. Erst allmählich wurden sie der Gewalt des Eindrucks gewahr, den die Bilder auf die frischen Augen der Eingeborenen machten. François-Marc Gagnon hebt zu Recht das außerordentlich starke Interesse der Indianer an den Bildern hervor, dem in den Missionen Chinas und Südamerikas nichts Vergleichbares gegenübergestellt werden könne. Er vermeint die Ursache für dieses Interesse in der besonderen Aufmerksamkeit zu erkennen, welche die Indianer den Träumen schenkten, und sieht darin gewissermaßen eine Erweiterung des indianischen Traumerlebens. Tatsächlich weckten Bilder nicht nur die Neugier der Eingeborenen und übten auf diese eine magische Anziehungskraft aus. Sie riefen auch immer wieder massive Ängste hervor. Sicherlich lassen sich derlei angstbesetzte Reaktionen auf Bilder eben so gut im abendländischen Kulturkreis beobachten. Indessen ist die Dichte der in den ”Jesuitenrelationen” dokumentierten Vorfälle augenfällig.

Zunächst waren es Bildnisdarstellungen, die animistische Ängste aufkommen ließen. ”Ich weiß nicht, wer der da ist”, äußerte sich ein Hurone, indem er auf ein Christusbild zeigte, ”aber er allein ist's, der mir Angst macht.” Beängstigend war darüber hinaus die Gegenwart der Bilder in einer dem Indianer fremden Umgebung als auch im Rahmen einer fixen Installation, die den Betrachter in eine bestimmte Haltung zwang oder keinerlei Fluchtwege offen ließ, wie dies etwa im Inneren einer Kapelle der Fall war. Besonders ausführlich ist in den ”Jesuitenrelationen” die zwiespältige Reaktion einer Huronensquaw beschrieben: ”An jenem Tag erhielten wir Besuch von einer Frau aus dem Dorf Arenté. Es war nur zu köstlich mit anzusehen, wie verdutzt sie am Eingang unserer Hütte für einige Zeit stehen blieb, nicht vorwärts zu gehen und über die Schwelle zu schreiten wagte! Mit Vergnügen beobachteten wir sie in ihrem inneren Widerstreit. Denn einerseits fühlte sie sich gewaltig von der Neuheit dieser Sache angezogen, andererseits ergriff sie beim Nähertreten an unsere Bilder alsbald die Furcht, sich mit Krankheit anzustecken, und ließ sie zurückweichen. Nachdem sie eine Weile mit sich gerungen hatte, packte sie die Neugier so sehr, daß sie sich nicht anders zu helfen wusste: Ich muß es wagen und hineinschauen, sagte sie, und sollte mich dies mein Leben kosten.” Die Missionare pflegten das Verhalten der Indianer als religiöse Angst misszuverstehen. Hingegen dürften die zwiespältigen Gefühle der Wilden durchaus denjenigen vergleichbar sein, die sich beispielsweise beim erstmaligen Besuch eines Gruselkabinetts einstellen. Dafür spricht nicht zuletzt die panische Furcht der Indianer, die Bilder könnten sehen, sprechen und sich bewegen. Wenn sich der Eingeborene auf das Spektakel einließ, tat er dies freilich auf eigenes Risiko ohne Anspruch auf Haftung seitens der Betreiber. Für alle über die Anmutungsqualitäten des Bildes hinausgehenden Schäden hatte er allein aufzukommen.

War Bildern für sich bereits etwas Bedrohliches eigen, so setzten einzelne Missionare verstärkt auf das furchterregende Bildsujet. Dem lag die Auffassung zugrunde, dass die Angst – einem Diktum Pater Le Jeunes zufolge – im primitiven Denken der Vorbote des Glaubens sei. Darstellungen der Hölle und des Jüngsten Gerichts bildeten entsprechend den Schwerpunkt der Missionsikonographie. Jean Morain (1650-1688), der in seiner Kapelle bei den Etchemin das Bild eines Verdammten ausstellte, verfuhr wie die meisten seiner Kollegen. Folgerichtig war es auch, wenn Claude Chauchetière nach einer Vision zu malen begann und für sein erstes Bild eine Darstellung des Jüngsten Gerichts wählte. Die Lektüre der Berichte von der unsäglichen Grausamkeit, mit der die Indianer ihre Gefangenen zu Tode brachten, dürfte indessen hinreichen, um zu erahnen, dass es diesen anhand derartiger Bilder weit mehr mitzuteilen gab als allein geistliche Inhalte. Angst war, so gesehen, nicht allein der halbe Weg zum Glauben, sie war ebenso die verinnerlichte Form der Barbarei. Tatsächlich erkannten die bekehrten Huronen und Algonkin in den Qualen der christlichen Hölle nur die frenetische Wut der Irokesen wieder, der manche um ein Haar entronnen waren.

5. Multivalenz der visuellen Botschaft

Wie an diesem und ähnlichen Beispielen zu ersehen ist, war die Botschaft der Bilder alles andere denn eindeutig. Bei symbolischen Objekten schien dies nicht weiter verwunderlich. So konnte einer jener Medizingürtel, die in der Sprache der Indianer ”Wampum” genannt wurden und bei diesen wegen ihres Besatzes mit Porzellanperlen hoch in Kurs standen, während der Messe die symbolische Präsenz eines einzigen Gottes andeuten. Im Rahmen einer Ratsversammlung ließ sich anhand eines derartigen Tauschgegenstandes aber eben so gut eine indirekte Drohung aussprechen, welche besagte, dass jeder Indianer, der einem Franzosen etwas zuleide tue, ein Schicksal erleiden werde, das dem vor aller Augen an einem Masten baumelnden Gürtel gleicht. Eindeutigkeit war hier nur mit Hilfe eines Machtworts zu gewinnen. So schloß etwa eine Kriegsdelegation der Irokesen ihre Ausführungen vor den Missionaren in St. Joseph de Sillery mit den Worten: ”Wer immer es wagt, den Zweck dieser Malerei oder Schrift gering zu schätzen, hat es verdient, daß man ihm den Schädel einschlägt.”

Freilich waren auch bei echten Bildwerken die Schlüsse, welche die Indianer aus ihrer Betrachtung zogen, längst nicht immer vorhersehbar. Angehörige der Algonkin sprechenden Nipissing etwa glaubten in der Taube des Heiligen Geistes den Donnervogel der indianischen Mythologie zu erkennen. Als man einigen Huronen drei Marienbilder zeigte und ihnen erklärte, daß es sich hierbei um die Mutter des Erlösers handle, konnten sie sich des Lachens nicht erwehren, denn, wie war es möglich, daß ein Mann gleich von drei Müttern abstammte. Mehr noch als die spontane Verwechslung von signifiant und signifié überraschte die Missionare, dass ihre Kruzifixe die Huronen dazu angeregt hatten, Haut, Schilde, ja sogar Lendenschurze auf Kriegszügen mit dem Zeichen des Kreuzes zu bemalen.

Nicht lange danach setzte ein Medizinmann die Verdammten auf einer Darstellung des Jüngsten Gerichts mit den Opfern der letzten Epidemie gleich, wodurch der Verdacht, die Seuche eingeschleppt zu haben, erst recht auf die Jesuiten fiel. Wie gefährlich eine solche Auslegung für die Patres werden konnte, zeigt der Umstand, dass einige von ihnen späterhin tatsächlich aufgrund dieses Sachverhalts von den Irokesen hingerichtet wurden. Die Sicherung der Auslegungshoheit über die Bilder musste deshalb eine der vordringlichen Aufgaben der Missionare bleiben. Nur allzu oft traten sie mit ihrer Darlegung in direkte Konkurrenz zu dem um seinen Einfluss fürchtenden Thaumaturgen vor Ort. Selbst wo es ihnen gelingen sollte, diesen durch allerlei Tricks auszuboten und seinen Deutungsansatz ad absurdum zu führen, bedurfte es einer fortwährenden Kontrolle der Bilder, sei es durch einen sie begleitenden Kommentar, der allgemeine Richtlinien für ihre Interpretation vorgab, sei es durch die Einschränkung ihres Gebrauchs. Das hierbei angewandte Verfahren konnte präventiv sein, indem man einer unerwünschten Deutung zuvorzukommen suchte: Der Missionar, so wird berichtet, hob das Bild des Erlösers für alle sichtbar in die Höhe und gab damit zu verstehen, dass ein Gegenstand, der von so vielen öffentlich geachtet werde, nicht irgendwelchen verdeckten Praktiken der schwarzen Magie dienen könne. Das Verfahren konnte aber auch restriktive Züge tragen, indem man die Indianer zu einer eindeutigen Stellungnahme zwang und ihnen eine bestimmte Leseweise abverlangte: Zu Allerheiligen des Jahres 1683 veranstaltete etwa Jacques Bigot (1644-1711) in einem Missionsdorf der Abenaki nächtliche Andachten, zu denen er zwei großformatige Bilder mit den Seelen im Fegefeuer aufstellen ließ, die den Altar weitgehend abdeckten. Zu beiden Seiten plazierte er je ein großes Bild mit einer Darstellung des Todes. Am Ende seines Missionsunterrichts führte Bigot die Indianer einzeln in einen Nebenraum, fragte sie, ob diese auch wirklich an die Qualen der Hölle glaubten und zeigte ihnen daraufhin das Bild eines Verdammten. Dann ließ er den jeweiligen Indianer vor dem Bild mit der Aufforderung allein, er möge sich für oder gegen die Taufe entscheiden. Derlei Methoden, mit denen die Jesuiten die Indianer zum Eintritt in die Kirche zu bewegen suchten, erinnern an die moderne Abonnentenwerbung vor der Erfindung des Konsumentenschutzes. Wurde doch auch dem Jawort des Indianers eine Art rechtliche Verbindlichkeit unterlegt, die es erlaubte, eine nachmalige Widerrufung des Entschlusses als Wortbruch zu ahnden. In einem solchen Vorgehen einen besonderen Hang der Jesuiten zu Täuschung und Betrug erkennen zu wollen, wäre allerdings unbedarft. Individualrechte wurden in der Frühen Neuzeit gering geachtet, und die Praktiken, derer sich etwa die französischen Militärs bei der Rekrutierung neuer Soldaten oder die staatlichen Behörden bei der Anwerbung von Siedlern für die Kolonien bedienten, waren – aus heutiger Sicht – kaum weniger bedenklich.

Die von den Missionaren eingerichteten Bekehrungszellen waren nach dem Muster der Räumlichkeiten gestaltet, in denen sich die geistlichen Bruderschaften in Frankreich zur gemeinsamen Meditation zu versammeln pflegten. Voltaire sollte derlei Zusammenkünfte bei einem Aufenthalt in Toulouse noch persönlich erleben. Im zweiten Kapitel seines ”Traité sur la tolérance” von 1764 evozierte der Philosoph die düstere Atmosphäre abgedunkelter ”Chambres de méditation”, in denen sich die vermummten Kongregationsmitglieder versammelten, um sich der autosuggestiven Wirkung auszusetzen, wie sie von den großformatigen Gemälden ausging, auf denen die Ausburten einer universellen Blutgerichtsbarkeit Triumphe feierten.

Je stabiler das Umfeld war, in dem die Missionare agierten, desto eher konnten sie sicher sein, daß die Bilder ohne weiteres Zutun ihre Wirkung als Selbstläufer und Multiplikatoren zeitigten. Während die Indianer einander erregt die Bilder auslegten, brauchte Pierron nur aufmerksam zuzuhören, um so ihre Sprache zu erlernen. Wie Le Nobletz vor ihm verstand es der Jesuit, für sich eine Witwe zu gewinnen, welche die in der Kapelle ausgestellten Bilder ihren Stammesgenossen auslegte und dazu predigte. Am erfolgreichsten verfuhr Jacques Gravier bei den Illinois südlich des Lake Michigan. Gravier besaß eine komplette Folge von Kupferstichen zum Neuen Testament, die er den Indianern nach der Messe im Katechismusunterricht darlegte. Später wies er die mit einem Franzosen verheiratete Tochter eines Häuptlings der Kaskaskia in die Bilder ein. Ihr konnte der Jesuit alsbald bescheinigen, sie erkläre den Dorfgenossen die Bilder auf ihre Art besser, als er selber je dazu imstande gewesen wäre. Nach und nach erlaubte er der jungen Frau die Bilder mit sich nach Hause zu nehmen, damit sie ihre Eltern, Verwandten und Bekannten, Kinder und Greise in die Geheimnisse des Glaubens einführe. Mit ihrer Hilfe gelang es ihm, den Medizinmann des Stammes auszuboten und Kaskaskia und Peoria zur Übersiedlung in die Nähe eines Franzosenforts zu bewegen. Garnier sollte an den Folgen einer Pfeilschusswunde sterben, die er bei einer persönlichen Attacke durch Abkömmlinge der Peoria erlitten hatte. Während der Schaft abbrach, blieb der Pfeilkopf im Arm des Missionars stecken und konnte auch nach seiner Rückkehr von den renommiertesten Wundärzten in Paris nicht mehr operativ entfernt werden.

In den ”Relationen” der Jesuiten wurde die Effizienz der visuellen Medien in der Missionsarbeit und deren Nachdrücklichkeit im Erleben der Eingeborenen immer wieder hervorgehoben. Die einen hielten sich den Mund zu, andere gingen erregt auf und ab, strichen mit der Hand erst über das Bild und legten sie sich sodann auf das Gesicht, um so ihrer Bewunderung Ausdruck zu verleihen. In der kollektiven Wahrnehmung konnte sich die Erlebnisfähigkeit der Indianer weiter steigern. Das ganze Versammlungshaus erbebte ob der vielen Stimmen, die ihrer Bewunderung angesichts der außerordentlichen Gegenstände freien Lauf ließen, berichtet Le Jeune von den Huronen. René Menard schrieb von der Irokesen in Oiogoen: ”Sie stellten mir zu den Bildern verschiedene Fragen. Hielt ich de facto auch nur einmal am Tag Katechismusunterricht, so dauerte dieser von der Früh bis in die Nacht.” Claude-Jean Allouez (1622-1689), der nach der Ermordung Charles Garniers die Mission bei den Pétun am Lake Huron wieder aufgenommen und seit 1669 Kontakt zu den Algonkin sprechenden Mascouten am Ostufer des Michigansees hatte, löste mit einem Bild vom Jüngsten Gericht einen regelrechten Volksauflauf und bis in die Nacht anhaltende Debatten aus.

Bilder erregten das Interesse der Eingeborenen und eröffneten den Missionaren einen Zugang zum wilden Denken. Sie konnten die Aufnahmebereitschaft unter den Indianern schlagartig erhöhen, wie das Beispiel eines Irokesenkriegers belegt, der den Huronen in die Hände gefallen war. Nachdem alle Versuche gescheitert waren, ihn anzusprechen und aus seinem traumatischen Zustand zu holen, hielten ihm die Missionare ein Bild vor. Bei dessen Anblick erwacht der Geist des jungen Mannes, der aufhorcht und mit einem Mal auf das Gesagte hinhört. Aufmerksamkeit ließ sich aber auch in Bildern thematisieren, etwa anhand einer Darstellung, die Jesus im Tempel unter den Schriftgelehrten zeigte, zu der ein Algonkin bemerkte, ”daß die Gelehrten allesamt offenen Auges in ihre Bücher starrten, Unser Herr das seinige hingegen überhaupt nicht beachtete.”

Pierron betont seinerseits die Macht der Bilder wie auch deren Einfluss auf die Empfindungen der Indianer und macht seine Erfahrung zur Maxime seines Handelns, indem er schreibt: ”Man muß zunächst ihre Herzen rühren, bevor man sie in ihren Meinungen wird überzeugen können. Dieser Absicht entsprechend habe ich geistliche und überaus fromme Bilder gemalt, die entscheidend zu ihrer Belehrung beigetragen haben.” Die Macht, welche die Bilder auf die Gefühle und Vorstellungen der Indianer ausübten, dachte man sich vielfach materialisiert als Aura oder Fluidum, welche die Bilder umgaben. Schließlich wurde ihre Macht aber auch als reale Stärke missverstanden, so etwa, wenn von einem Huronen berichtet wird, dass er auf einem Kriegszug ein Christusbild als magischen Beistand bei sich führte. Verhindern ließ sich die Zerschlagung der Huronenliga durch die mit Feuerwaffen ausgerüsteten Irokesen damit allerdings nicht.

6. Der Missionar als Feldmaler

Im Unterschied zu den meisten seiner Ordenskollegen, die ihre Bilder aus Europa bezogen, übte Jean Pierron die Malerei persönlich aus. Sicherlich griffen mitunter auch andere Missionare zum Pinsel, etwa wenn es darum ging, mit eigenen Mitteln eine entsprechende Altar- und Kapellenausstattung anzufertigen. Zu nennen wären hier etwa Louis André bei den Menominee oder Sébastien Rasles (1652-1724) bei den Abenaki, den die Engländer so sehr haßten, daß sie auf seinen Skalp eine stattliche Prämie aussetzten. Die Fähigkeiten dieser und anderer Missionare gingen jedoch kaum je über das Ornamentale hinaus. Pierron soll sich dagegen noch in Frankreich vor Antritt seiner Mission die ersten maltechnischen Kenntnisse angeeignet haben. Der Missionar setzte seine künstlerischen Fertigkeiten zunächst nicht dazu ein, um den Kontakt zu den Indianern herzustellen. Erst bei seinem zweiten Missionsaufenthalt im Kernland der Mohawk von Herbst 1668 an scheint er zur Fertigung eigener Bilder übergegangen zu sein.

Wie Pierrons Malerei von der materiellen Seite her beschaffen war, entzieht sich angesichts der nicht länger vorhandenen Bilder unserer Kenntnis. Nur in wenigen Fällen kommen die Autoren der ”Jesuitenrelationen” auf die Machart der Bilder zu sprechen. Der bereits erwähnte Charles Garnier etwa trifft sowohl in Hinblick auf deren Form wie deren Funktion eine klare Unterscheidung zwischen ”image” und ”tableau”. Unter ”image” versteht Garnier farbig gefasste Bilddrucke auf Papier, die bei größeren Formaten auf Tuch aufkaschiert sein konnten. ”Tableau” bezeichnet dagegen ein auf Leinwand oder einen anderen festen Bildträger gemaltes Bild. Da es vielfach an höherwertigen Materialien mangelte, tat es in den meisten Fällen allerdings auch ein Karton. Während Bilddrucke transportabel und gegebenenfalls auch als Rollbild einsetzbar sein sollten, waren Gemälde meist für die Aufstellung an einem festen Ort vorgesehen. Garnier geht in seinen Ausführungen sogar auf die Art der jeweiligen Hängevorrichtung ein, die das zur Mission bestimmte Bild aufweisen sollte. Im Museum Plantin-Moretus hat sich ein Rollbild mit der Darstellung des Gekreuzigten erhalten, das uns einen Eindruck vom möglichen Aussehen eines solchen Bildes vermittelt.

Auch den jeweiligen Ausmaßen des Bildes standen die Missionare keineswegs gleichgültig gegenüber. Jean Bigot etwa wünschte sich ausdrücklich Bilder größeren Formats, die der besseren Haltbarkeit wegen auf Leinwand gemalt sein sollten. Die Bilder, die er sich erträumte, hatte Bigot offenbar in Québec zu Gesicht bekommen. Es waren dies Arbeiten des Rekollekten Luc Lefrançois, der von 1670 an für fünfzehn Monate in den Kolonien weilte und dort für kirchliche und weltliche Autoritäten unter Einschluß der Jesuiten repräsentative Gemälde ausführte. Ansehnliche Formate übten insofern einen nachhaltigen Eindruck auf die Indianer aus, als sie die Wiedergabe von Personen im natürlichen Maßstab erlaubten und dadurch wesentlich zum illusionistischen Effekt des Bildes beitrugen. Demgegenüber hatten die kleinen Formate den Nachteil, daß man sie – so der Missionar Claude Chauchetière – nicht aus der Ferne betrachten konnte, wodurch sie sich wenig für die kollektive Unterweisung eigneten. Dies waren die Kategorien, nach denen die Missionare die Bilder beurteilten und in denen wir uns Pierrons Malweise vorzustellen haben. Darüber hinaus lässt sich lediglich festhalten, dass Pierron keineswegs als Schaumaler auftrat, wie Fülöp-Miller vermeinte, sondern es vorzog, überwiegend nachts zu arbeiten.

Gegenüber der Verwendung gefälliger Pariser Verlagsprodukte hatte die eigenhändige Anfertigung von Bildern zunächst den Vorteil, dass sie einer stärkeren Flexibilisierung Vorschub leistete. Pierron konnte vom europäischen Kunstgeschmack unabhängig auf die jeweiligen Bedürfnisse und die Gegebenheiten vor Ort eingehen. Zum anderen trug ihm sein Können bei den Indianern eine Autorität ein, die der eines Demiurgen kaum nachstand. Unter den nach christlichen Gemäldevorlagen gefertigten Arbeiten Pierrons ragt ein in der spätmittelalterlichen Tradition einer ”Kunst des Sterbens” gehaltenes Gemälde hervor. In dem antithetischen Entwurf stellte Pierron – wie schon die Ordensmissionare nach der Eroberung Mexikos – das böse Ende des heidnischen Wilden dem guten Ende des bekehrten Indianers gegenüber. Er forcierte dabei den Bekehrungsgedanken und stellte seine Betrachter vor die Entscheidung zwischen zwei in scharfer Opposition zueinander stehenden Alternativen.

Pierron paßte die traditionelle Ikonographie aber auch an die gegebenen Verhältnisse an, wobei er Beobachtungen aus dem indianischen Alltag in seine Arbeiten einfließen ließ. Auf der Seite der Verdammten etwa gab er die charakteristischen Züge einer Irokesenwitwe wieder, die sich die Ohren zuhält und sich weigert, den Jesuiten länger zuzuhören. Mit versteckter Ironie gelang es Pierron derart die Vorbehalte der Indianer zu zerstreuen, indem er ihnen den Spiegel ihrer selbst vorhielt. Konkrete Anspielungen auf die indigene Lebenswelt fanden sich auch noch in späteren Arbeiten. Brachial war etwa die Moral eines Gemäldes, das die Irokesen bei der Verbrennung ihrer Feinde zeigte und den Neophyten den barbarischen Zustand drastisch vor Augen führte, den sie hinter sich gelassen hatten. Der Missionar Jean Bigot nannte diese Darstellung ”la plus naisve”, vermutlich deshalb, weil sie der Erfahrungswelt der Indianer am nächsten kam.

Pierrons Arbeiten in eine historische Perspektive stellen zu wollen, wäre nicht ohne Reiz. So ließe sich in ihnen eine Vorform des Bänkelsangs erkennen, bei dem ein Balladensänger Jahrmarktsbesuchern mit Hilfe eines Zeigestabs ein in mehrere Felder unterteiltes, aufrollbares Tableau auslegte. In der Anfangszeit dieses Genres wurden anstelle der später üblichen Moritaten – ähnlich wie in der Mission – christliche Inhalte aus der Heilsgeschichte kolportiert. Das Missionsbild weist aber auch auf das im 18. Jahrhundert aufkommende ”Exhibition pièce” voraus, ein eigens zum Zwecke der kommerziellen Schaustellung geschaffenes Einzelwerk, das in Begleitung des Malers auf Tournee geschickt wurde. Derlei Wanderausstellungen wurden – ehe sie sich in Europa einbürgerten – erstmals von amerikanischen Malern wie Benjamin West organisiert. In beiden Fällen haben wir es gewissermaßen mit einer kommerzialisierten Form der von den Missionaren erstmals erprobten Praktiken zu tun.

Dank der appellativen Struktur seiner Gemälde konnte Pierron die von ihm beabsichtigte Wirkung kaum verfehlen. Der Jesuit verstand es, die Indianer mit seiner Malerei so sehr zu beeindrucken, daß sich die Nachricht von seinen außerordentlichen Fähigkeiten weit über das Stammesgebiet der Mohawk hinaus unter den benachbarten Nationen verbreitete. Selbst in der Ratsversammlung der Stammeshäuptlinge bildeten die Gemälde des Missionars das alles überragende Tagesthema. Kaum weniger interessiert zeigten sich seine Missionarskollegen, die Pierron baten, auch für sie dergleichen Gemälde anzufertigen.

7. Rekulturation des Spiels

Von der appellativen Funktion seiner Gemälde abgesehen verfolgte Pierron ausgeprägt didaktische Ziele. Seiner Vorstellung gemäß sollten die Indianer wesentliche Glaubensinhalte ”spielerisch erlernen” und so im Gedächtnis behalten. Zu diesem Zweck erfand er diverse religiöse Lernspiele, wie sie während des 17. Jahrhunderts in Frankreich in Mode gekommen waren. In den ”Jesuitenrelationen” von 1669/70 berichtete Pierron etwa von einem Spiel, das er für die Zwecke der Mission entworfen habe. Schon sein Kollege Le Jeune hatte einem Indianer das Versprechen abgenommen, er möge ”du point en point” – genau eines nach dem anderen – tun, was man ihm aufgetragen. Pierron nannte sein Spiel ebenfalls Du point au point, weil es vom Zeitpunkt der Geburt bis zum Zeitpunkt der Ewigkeit alles enthalte, was ein Christ wissen müsse. Die Irokesen umschrieben den etwas abstrakten Titel des Spiels mit Le Chemin pour arriver au lieu où l'on vit toujours, soit dans le Paradis, soit dans l'Enfer, das ist ”Der Weg, auf dem man, sei es im Paradies oder in der Hölle, das ewige Leben erlangt”.

Du point au point war kein Kartenspiel, wie mehrfach vermutet wurde. Wir haben uns darunter vielmehr eine Art Laufspiel nach dem Muster herkömmlicher Gänsespiele vorzustellen. Gelegentlich bezog sich Pierron darauf sogar mit dem Ausdruck ”Carte”. Pierron erblickte in dem Spiel also offenbar eine Art Wegekarte, die anstatt der üblichen geographischen Inhalte religiöse Sachverhalte vermittelte. Eine solche Vorstellung war von geographischen Laufspielen inspiriert, wie sie der königliche Geograph Pierre Du Val seit 1645 in seinem Verlagsprogramm führte. Sie scheint aber auch ein Reflex auf jene Phantasiekarten allegorischen Inhaltes zu sein, wie sie in literarischen Kreisen in Paris am Beginn der Regierungszeit Ludwigs XIV. en vogue waren.

In emblematisch verkürzter Form verzeichnete der Missionar auf seiner Karte die sieben Sakramente, die drei theologischen Tugenden, die zehn Gebote, die Erbsünde samt den ihr entspringenden Übeln, die vier letzten Dinge, Gottes Zorn wie auch die Werke der Barmherzigkeit. Jeweils separate Felder sollten der göttlichen Gnade, dem Gewissen, der Willensfreiheit der Menschen und einer geringen Anzahl von Auserwählten vorbehalten bleiben. ”Mit jedem Feld und jedem Emblem kann sich”, wie Pierron ausführt, ”eine Vielzahl von außerordentlich fruchtbaren Unterhaltungen ergeben.” Das Spiel fand denn bei den Indianern auch erheblichen Anklang. Diese ”nötigten mich geradezu, es mit ihnen zu spielen, und so brachten wir die Osterfeiertage ebenso unbeschadet wie zu unser aller Nutzen beim Spiel zu.” Aus Pierrons Sätzen spricht die Erinnerung an ungetrübte Tage. Wohl hatten die Mohawk selber mehr zum Gelingen der Übung beigetragen, als dem Missionar bewusst sein mochte, indem sie im Anschluss an die obligatorischen Handlungen zur Austreibung des Winters Spiele, Scherze und sogar etwas wie Scharaden zu treiben pflegten. Pierrons Spielvorlage fügte sich mühelos in eine solche rituelle Lebensordnung ein.

”Titel und Spielanleitung”, so kündigte Pierron an, ”wird man unten auf der Karte gedruckt sehen können. Ist es doch meine Absicht, diese in Kupfer stechen zu lassen, um derart über mehrere Exemplare zu verfügen”. Durch eine Erkrankung war er zwar abgehalten worden, eine dazugehörende Erläuterung in Buchform fertigzustellen und rechtzeitig nach Frankreich abzusenden. Doch hielt ihn das nicht davon ab, seinen Ordensbrüdern daheim zu empfehlen, das von ihm entworfene Spiel ihrerseits für den Religionsunterricht auf dem Lande einzusetzen. Eine solche Empfehlung geht nicht nur mit der Beobachtung anderer Missionare konform, dass die Intelligenz der Indianer vielfach diejenige europäischer Bauern übertreffe. Sie macht auch deutlich, dass die Missionsbestrebungen in Übersee nicht ohne Rückwirkung auf das religiöse Leben in Europa blieben.

Schließlich stellte Pierron den Lesern der ”Jesuitenrelationen” ein weiteres Spiel in Aussicht, das er nach Pierre du Vals gleichnamigem kartographischen Laufspiel ”Jeu du monde” nannte. Das ”Spiel von der Welt” war als thematisches Gegenstück zu Du point au point gedacht. Mit ihm verband Pierron den Zweck, ”die abergläubischen Vorstellungen unserer Wilden zu untergraben und ihnen dabei einen ansprechenden Gesprächsstoff zur Unterhaltung zu liefern.”

Schon 1670 wurde Pierron von zwei neuen Missionaren abgelöst und nach Quebec zurückbeordert. Seine Biographen glaubten deshalb davon ausgehen zu können, dass es zu keiner Drucklegung der besagten Spielentwürfe gekommen sei. Dem widerspricht ein Hinweis des verdienten Bildforschers John Grand-Carteret, der in seinen ”Vieux papiers, vieilles images” von 1896 eine Liste religiöser Spiele aus dem späten 17. Jahrhundert zusammengestellt hat. Unter den gedruckten Spielvorlagen, die Grand-Charteret auflistet, befindet sich tatsächlich ein ”Jeu du point au point pour la fuite des vices et pour la pratique des vertus”, von dem wir erfahren, daß es aus einer Serie von Medaillons bestand, die mit kleinen Vignetten versehen und mit christlich-moralischen Begriffen wie Péché mortel (”Todsünde”), La Vie de la grâce (”Gnadenleben”), La Patience (”Geduld”) und L'Aumône (”Almosen”) hinterlegt waren.

Die Nachrichten über Pierrons letzte Jahre sind dürftig. Von 1672/73 an ging der Jesuit noch einmal auf Mission. Diesmal drang er zu den Seneca, dem am weitesten westlich lebenden Irokesenstamm am Südufer des Ontariosees vor. Freilich erwiesen sich die Seneca als wenig gastfreundlich. Sie machten sich über die Missionare lustig, bewarfen sie mit Steinen und rissen deren Hütten nieder. Der aufklärerische Impetus der Anfangsjahre war verflogen. Auf eigenen Wunsch wurde Pierron von der Mission abgelöst und kehrte 1678 nach Frankreich zurück. 1684 mussten die Missionsaktivitäten wegen der wiederaufflammenden Kämpfe zwischen Engländern, Franzosen und ihren jeweiligen Bündnispartnern erneut auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden.

8. Resümee

Die Jesuitenmission in Neufrankreich durchlebte drei Phasen: In ihrer Anfangsphase gelangten aus Europa importierte Bildwerke verschiedenster Art zum Einsatz. Die ersten Erfahrungen der Missionare resultierten in einer wahrnehmungskritischen Analyse des indianischen Rezeptionsverhaltens und der Entwicklung eines sowohl in thematischer wie in stilistischer Hinsicht genau definierten Bildbegriffs. Ziel der Bilder sollte es sein, in den Indianern starke Gefühle zu wecken, ihnen Angst einzujagen und deren für europäische Vorstellungen schier unfassbare Wildheit einzudämmen. Die schriftlichen Zeugnisse belegen den Kulturschock, den diese Bilder auslösten.

In der Hochphase der Mission kam es zur Entwicklung eines performativen Ansatzes. Ins Zentrum rückte der Künstler-Missionar, der den Malakt zu einer öffentlich-kultischen Handlung ausarbeitete, durch die er höchste Autorität erlangte. Von den neuen didaktischen Bestrebungen der Missionare gingen Impulse auf den Religionsunterricht in Europa aus, etwa was die Entwicklung von religiösen Spielen betrifft, die der unterhaltenden Belehrung dienten. In ihren Berichten an den Mutterorden, ihre Freunde und Förderer in Frankreich legten die Missionare detaillierte Rechenschaft über Ihre Aktivitäten ab.

In der Nachphase blieben die Missionsbemühungen auf die christianisierten Indianer der im Schutz der großen Handelsforts errichteten Reduktionen konzentriert. An Bedeutung gewannen nunmehr konventionalisierte Bildhandlungen wie die Zirkulation von handgemalten Bilderkatechismen, die Dauerpräsentation von gemalten Bildern und Tafeln in den Gemeindekapellen und die Fertigung illustrierter Chroniken, in denen man die Geschichte der jeweiligen Reduktion dokumentierte. Mit dem Verlust Kanadas an die Engländer kamen die wesentlich von der französischen Kolonialpolitik getragenen Missionsbestrebungen zum Erliegen.


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Fussnoten:

(1)

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem Einsatz und der Wirkung von Kultbildern, Lehrtafeln und Karten zum Zwecke der Christianisierung der indigenen Bevölkerung Nordamerikas im Zeitalter des Barock. Anhand der sehr detaillierten Missionsberichte kann die Einführung des Bildes in die Indianerkulturen als Technologietransfer beschrieben werden, der es den Missionaren in den Wäldern Neufrankreichs erlaubte, einen nachhaltigen Prozess der Akkulturation in Gang zu setzen. Die Reaktion der Indianer auf das neue Medium, das die Spannungen zwischen den Zivilisationen gewissermaßen auffängt und bricht, wird anhand einer genauen Lektüre der Texte konkret nachvollziehbar. - Bilder lösten sowohl Angst als auch Neugierde aus. Beängstigend war ihre Gegenwart vor allem in einer dem Indianer fremden Umgebung im Rahmen einer fixen Installation, die den Betrachter in eine bestimmte Haltung zwang oder keinerlei Fluchtwege offen ließ, wie dies etwa im Inneren einer Kapelle der Fall war. Die Missionare pflegten das Verhalten der Indianer als religiöse Angst misszuverstehen. Hingegen dürften die zwiespältigen Gefühle der Wilden durchaus denjenigen vergleichbar sein, die sich – zumal das erste Mal – beim Besuch eines Gruselkabinetts einstellen. Dafür spricht nicht zuletzt die panische Furcht der Indianer, die Bilder könnten sehen, sprechen und sich bewegen. Wenn sich der Eingeborene auf das Spektakel einließ, tat er dies freilich auf eigenes Risiko ohne Anspruch auf Haftung seitens der Betreiber. Für alle über die Anmutungsqualitäten des Bildes hinausgehenden Schäden hatte er allein aufzukommen. - Anhand der Berichte der Jesuiten lässt sich nachvollziehen, was die Einführung des illusionistischen Bildes in eine von der Macht der Zeichen beherrschte, semiologische Gesellschaft bedeutete. Wie bei jedem größeren Kulturschritt war damit eine schockartige Erfahrung verbunden, von der man sich heute, da die Bilder längst eine Selbstverständlichkeit geworden sind, keine zureichende Vorstellung mehr macht. Die Menschen der so genannten zivilisierten Welt haben nur allzu rasch vergessen, wie ihre Groß- bzw. Urgroßeltern beim erstmaligen Betreten eines Kinos, beim Einsteigen in ein Automobil, beim Durchschreiten einer sich automatisch öffnenden Türe oder bei Benutzung einer Rolltreppe reagierten. Und doch sind es gerade diese traumatischen Erlebnisse, derer sich unsere Gesellschaft in immer neuen Entwicklungen – man denke etwa an die heutigen Imax-Theater – zu vergewissern sucht. Stets geht es dabei darum, sich zu bestätigen: Ich habe keine Angst!