gottseidank: ich muß keine teflon-overalls tragen. mode(fotografie) und zukunft


Autor: Anna Zika
[erschienen in: Bild und Transformation - IMAGE 12 (Ausgabe Juli 2010)]

Schlagwörter: Mode im 20./21. Jahrhundert und Modefotografie (fashion in the 20th/21st ct and fashion photography); Millennium; Kleidung und Zukunft (dress and future)

Disziplinen: Designwissenschaften, Kulturwissenschaften


Um 1960 kamen „futuristische Kollektionen“ von Pierre Cardin, Paco Rabanne und André Courrèges auf die Laufstege, aber nicht unbedingt an die Körper allzu zahlreicher ModekonsumentInnen. Bekannt wurden die Entwürfe auf dem Umweg über Kostüme für Science-Fiction-Filme (z.B. Barbarella). Science-Fiction-Elemente bilden ihrerseits den visuellen Vorrat für Requisiten und Kulissen bei Inszenierungen der Modefotografie, vor allem seit etwa 1950. Zukunftsfähige Innovationen bleiben (bisher) vor allem auf den Bereich der Textil-/Materialtechnologie bzw. auf den Sektor von Freizeit- und Funktionskleidung beschränkt.

In the 1960s Pierre Cardin, Paco Rabanne and André Courrèges launched their „futuristic collections“ on the catwalks, without too much success in selling them to fashionable customers. Nevertheless their designs became famous as costumes for Science-Fiction-movies, e.g. Barbarella. Science-fictional narratives constitute the visual strategies of certain fashion photographs regarding accessory and setting, especially since the 1950s. Sustainable innovations are found (until now) mainly in textile technologies and the development of materials, as well as in the sphere of casual and functional wear.


gottseidank: ich muß keine teflon-overalls tragen. mode(fotografie) und zukunft

Das brennendste Interesse der Mode liegt für den Philosophen in ihren außerordentlichen Antizipationen. Es ist ja bekannt, daß die Kunst vielfach, in Bildern etwa, der wahrnehmbaren Wirklichkeit um Jahre vorausgreift… Und dennoch ist die Mode in weit konstanterem, weit präziserem Kontakt mit den kommenden Dingen kraft der unvergleichlichen Witterung, die das weibliche Kollektiv für das hat, was in der Zukunft bereitliegt. Jede Saison bringt in ihren neuesten Kreationen irgendwelche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge. Wer sie zu lesen verstünde, der wüsste im Voraus nicht nur um neue Strömungen der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen (Benjamin 1982, S. 112).

Walter Benjamin

Zu dem Zeitpunkt, als Pierre Cardin, André Courrèges und Paco Rabanne ihre futuristischen Kollektionen über die Laufstiege trieben, begann meine persönliche Zukunft, indem meine Eltern planten, mich in die Welt zu setzen. (Bildbeispiel 1, Bildbeispiel 2, Bildbeispiel 3, Bildbeispiel 4, Bildbeispiel 5, Bildbeispiel 6, Bildbeispiel 7 und Bildbeispiel 8)

Die genannten Designer revolutionierten mit ihren in ihrer Zeit visionären Entwürfen die Kleidung der Frau und – beabsichtigterweise – auch des Mannes. Denn sie verwendeten zum einen nicht länger Baumwolle und Wolle, Samt und Seide oder deren synthetische Imitate, sondern Metall und Plastik. Die Materialien ihrer Kollektionen wurden nicht wie herkömmliche Textilien gewebt oder gestrickt, gehäkelt oder gewirkt, sondern gegossen und geformt, gehämmert und genietet, verbunden nicht durch Nähte, sondern durch Ösen und Kettenglieder. Die dabei entstehenden Flächen waren teils nicht in sich geschlossen, sondern boten Einblicke auf den Körper, die zuvor nicht üblich, wahrscheinlich nicht einmal vorstellbar waren.

Diese Mode schien schiere Zukunft zu visualisieren. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass „Zukunft“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in erster Linie mit technischem Fortschritt assoziiert wurde. Dazu später mehr.

So hatten die Entwürfe von Rabanne, Courrèges oder Cardin Ähnlichkeit mit Astronautenanzügen, galt doch der Aufbruch in den Weltraum – abgesehen davon, dass sich auf diesem Feld der Wettbewerb zwischen den Supermächten in Ost und West extraterrestrisch austragen ließ – als ein Anzeichen weitreichender gesellschaftlicher Veränderungen in den 1960er Jahren. Zu diesen Veränderungen gehört beispielsweise die (angestrebte) Neudefinition von Geschlechterrollen – neben Mondflug und Weltfrieden ein Hauptparameter in der Kulturgeschichte der Zukunftsentwürfe. In einer 1910 von Arthur Brehmer herausgegebenen Aufsatzsammlung, „Die Welt in 100 Jahren“, sah die schwedische Reformpädagogin und Frauenrechtlerin für das Jahr 2010 voraus: „Der männliche und der weibliche Typus sind in so hohem Grade verschmolzen, daß der Blick nur durch gewisse, aus Zweckmäßigkeitsgründen noch beibehaltene Verschiedenenheiten in der Kleidung die Geschlechter unterscheiden kann“ (Key 1910, Nachdruck Hildesheim 2010, S. 117–124, hier S. 119).

Und so präsentierten sich die kosmischen Kollektionen der späten 1960er Jahre, die wie in das dritte Jahrtausend vorauszuweisen schienen, häufig als Unisex-Look. (Bildbeispiel 9)

Zwar nahmen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder einzelne Designer Plättchenkleider oder geschmeidige Overalls in ihre Laufstegpräsentationen auf und erwiesen damit Rabanne und Co. bis heute Referenz; eine breitenwirksame Mode waren deren Outfits in ihrer eigenen Zeit jedoch nicht geworden. Vielmehr höhnte beispielsweise die Stilfibel Architectural Digest, wie Vogue ein Geschöpf der modemächtigen Condé Nast-Gruppe, rückblickend: „Im Jahr der Mondlandung erregte die Serie „Up“ von Gaetano Pesce Aufsehen, deren organisch geformte Sessel für die Werbung mit körperbestrumpften Damen im Science-Fiction-Look accessoiriert wurden. … So stellten sich die Sixties die Zukunft vor, und zum Glück hatten sie nur beim Mobiliar Recht.“ (Bildbeispiel 10) (Text und Bildunterschrift, zit. nach AD 10/2006, S. 84) Immerhin hatte sich die „utopische Kleidung“ Paco Rabannes in einem anderen Feld als der Alltagsmode bewährt: die Filmfigur Barbarella aus dem gleichnamigen Science-Fiction-Epos von Roger Vadim brannte sich nicht zuletzt wegen ihrer gewagten Ausstattung dem kollektiven Gedächtnis ein. (Bildstrecke: Bildbeispiel 11) So bestätigte sich dann auf dem Umweg über den Science-Fiction Film Rabannes Look als stilprägend für die Visualisierung künftiger Kleidung. Aufgewachsen mit Fernsehserien wie Raumschiff Enterprise lebte ich jedenfalls bis in die 1980er Jahre in der beständigen Furcht, dass eine noch zu erlebende Zukunft Gegenwart würde, in der ich ununterscheidbare, beschichtete Overalls zu tragen hätte.

Es kam anders.

À la Mode

Was also hat es mit der Zeitdimension der Mode auf sich? Mit ihrem Verhältnis von Vergangenheit und Zukunft, zwischen die der winzige Spalt des Aktuellen geschoben ist? Mit ihren offenen und versteckten Beziehungen zum Leben und zum Tod? Zum Symbolischen und zum Allegorischen? Wir tun gut daran, uns hinsichtlich solcher Fragen an Simmel und Benjamin zu halten (Böhme 2009, S. 48-83, hier S. 56)

Hartmut Böhme

Obwohl die einleitend erwähnten Designpositionen zu den Meilensteinen neuerer Modegeschichte gehören und keine kostümkundliche Abhandlung ohne ihre Erwähnung resp. Abbildung auskommt, sind sie zur Zeit ihrer Lancierung nicht wirklich Mode geworden. Was aber ist „Mode“ per definitionem überhaupt?

Der in der Empfehlung von Hartmut Böhme genannte Philosoph Georg Simmel machte das „Wesen der Mode“ darin aus, „dass immer nur ein Teil der Gruppe sie übt, die Gesamtheit aber sich erst auf dem Wege zu ihr befindet“ (Simmel 1911, S. 29-64; wieder abgedruckt in: Bovenschen 1986, S. 179-207, hier S. 187). Der „Teil der Gruppe“ verweist hier auf das Prinzip der sozialen Elite. Jahrhundertelang war das äußere Erscheinungsbild ein Hauptkennzeichen von Eliten. Zu diesem Erscheinungsbild gehörte außer der Kleidung etwa auch der Stil von Haus und Inneneinrichtung, Fahrgerät und Habitus – kurz alles, was sich unter Mode im wörtlichen Sinne von „Art und Weise“ fassen läßt. Insofern diese Bestandteile in der Regel als Luxusgegenstände kostbar und teuer waren, trugen sie konstituierend zur Elitenbildung bei. So sprach auch René König von Mode als einem „Zeichen des Reichtums“ und ihrer Exklusivität als einer Beschränktheit auf die Oberklassen. Distinktionsmerkmal für solche Oberklassen blieb die Formulierung äußeren Anscheins aber immer nur vorübergehend, denn, wie Simmel weiterhin anmerkt, formuliert sich Mode in Zeitverläufen; d.h., sie ist zum einen ein Mechanismus der „Vorführung“ (durch Wenige) und – wie auch immer zeitversetzten – Nachahmung (durch Viele). So wird „Mode“ zum Paradigma des jeweils Künftigen; noch heute wird sie daraufhin beurteilt oder bewertet, ob sie als vergangen (out), gegenwärtig (in) oder in Aussicht stehend (coming soon) gilt. „Der Nachahmungstrieb als Prinzip charakterisiert eine Entwicklungsstufe, auf der der Wunsch nach zweckmäßiger persönlicher Tätigkeit lebendig, aber die Fähigkeit, individuelle Inhalte derselben zu gewinnen, nicht vorhanden ist. Der Fortschritt über diese Stufe hinaus ist der, dass außer dem Gegebenen, dem Vergangenen, dem Überlieferten die Zukunft das Denken, Handeln und Fühlen bestimmt.“ (Ebd., S. 180). So ist der „teleologische Mensch“ als der „Gegenpol des Nachahmenden“ der Inbegriff des modischen Menschen. Dieser befindet sich in der prinzipiell unlösbaren Situation, dass die Mode, wenn sie durch zu reichliche Nachahmung „völlig durchdrungen“ (Ebd., S. 187) ist, ihrem Wesen nach keine Mode mehr ist und durch eine andere, „neue“ ersetzt werden muß. So ist er ständig „auf dem Wege zu ihr“. Mit der Demokratisierung westlicher Gesellschaften nach dem Ende des Ancien Régime setzte diesbezüglich ein Beschleunigungsprozeß ein, indem die Nachahmungsperioden immer kürzer wurden, die Kreise also immer näher „aneinanderrückten“ (Ebd., S. 184). Die Moden wechselten immer häufiger, bis schließlich im „Spiel zwischen der Tendenz auf allgemeine Verbreitung und der Vernichtung ihres Sinnes, die diese Verbreitung gerade herbeiführt“ im „Reiz gleichzeitigen Anfangs und Endes“ (Ebd., S. 188f) beinahe verschmilzt: „Sie [die Mode] steht immer auf der Wasserscheide von Vergangenheit und Zukunft und gibt uns so, solange sie auf ihrer Höhe ist, ein so starkes Gegenwartsgefühl, wie wenige andere Erscheinungen“ (Ebd).

Als „Präsentationsform des immer Neuen“ bietet sie „einen Vorgriff auf Kommendes, auf Zukunft“ – nicht nur in ästhetischer Hinsicht: So hatte z.B. „die Mode den Folklore-, den Natur- und den Schmuddellook bereits im Angebot, als die Leute das Wort Ökologie noch gar nicht buchstabieren konnten“ (Bovenschen, S. 10-32, hier S. 25). Auf der individuell-biographischen Ebene könnte etwa das Aneignen von Luxusmarken durch Jugendliche bestenfalls als Vorgriff auf eine wirtschaftlich erfolgreiche Existenz gedeutet werden (vgl. Richard 1998, S. 48-95, hier S. 60).

Eine künftig kommende Mode muß, bevor und während sie sich an Avantgarden und Eliten realisiert, bekannt sein bzw. bekannt gemacht werden, damit sich die „Gesamtheit“ auf sie einstellen und sie erwarten kann. Hierbei sind seit über 250 Jahren publizistische Formate behilflich, nämlich Modejournale, -zeitschriften und -magazine.

Die frühen Ausgaben solcher Periodika seit der Mitte des 18. Jahrhunderts arbeiteten mit verbalen Beschreibungen von Kleidern und Sachen, da zunächst keine geeigneten Reproduktionstechniken für die Verbreitung zahlreicher Bilder zur Verfügung standen. Die Unterwerfung unter die Mode als eine abstrakte, unberechenbar wirkende Größe bestimmte die Rolle der Schreibenden als die sensibler Wahrnehmender: „,Die Horcher wollen vernommen haben’, schreibt beispielsweise der Confectionär am 1. Juni, daß Meister Worth und Pingat für die Confection, die Mäntel und Paletots der Herbstsaison dem engeren Ärmel ihre Gunst entziehen… Bei Redfern wird man Herbstmodelle schaffen, die aus zweierlei Stoff gehalten sind… Bei Francis… will man den Karpfen sich zum Muster nehmen… Doucet wird versuchen… usw.’“ (Sombart 1902, S. 1-23, wieder abgedruckt in: Bovenschen, a.a.O., S. 80-105, hier S. 98) – Before it’s in fashion, it’s in Vogue!

Von kommenden Dingen

Die Person, die mittels einer Anstecknadel und eines Ohrringes telefonieren kann, wird als avantgardistisch modisch gelten (Richard 1998, S. 88).

Birgit Richard

Mode und Zukunft hängen, wie Benjamin darlegte, unmittelbar zusammen. Moden, im Sinne wechselnder Kleid- und Repräsentationsformen, die durch Beobachtung und Nachahmung Verbreitung finden, existieren, seit es Hochkulturen gibt. Die regelmäßige mediale Berichterstattung über Mode datiert jedoch erst ins 18. Jahrhundert zurück. Ebenfalls erst seit dem 18. Jahrhundert sind der Begriff der „Zukunft“ als einer kommenden, zu erwartenden (fernen) Zeit und die theoretische wie fiktive Beschäftigung mit ihr allgemein gebräuchlich – und das, obwohl Menschen seit Jahrtausenden planend und erwartend, hoffend und fürchtend mit Zeit umgingen – sei es beim Ackerbau, bei der Kinderaufzucht oder im Finanzwesen. Historische Utopien als Gesellschaftsmodelle wie z.B. Platons Politeia waren jeweils als kritische Kommentare zur eigenen Gegenwart gemeint. Erst „auf die Entdeckung der Erde folgte die Entdeckung der Zukunft. Etwa ab 1770 ist sie es, die zum Land der Verheißung wird, zur Terra incognita […], zum noch nicht bekannten Land“ (Steinmüller 1999, S. 13). Als ältester Zukunftsroman, dessen Handlung in einer deutlich voraus datierten Zeit spielt, wird zumeist Das Jahr 2440 von Louis-Sebastien Mercier genannt. Diese Fiktion markiere, so Angela und Karlheinz Steinmüller, „den Wandel von der räumlichen zur zeitlichen Utopie – weg vom imaginären Wunschort, hin zu einer möglichen künftigen Wunschzeit“ (Ebd).

In Umkehrung des Schlegelschen Diktums vom Historiker als „rückwärts gekehrtem Propheten“ deutet Georg Ruppelt „Autoren, die über die Zukunft schreiben [als] vorwärts gewandte Geschichtsschreiber“ (Ruppelt, S. V). Doch sind Methoden und Instrumentarien dieser komplementären Species von Autoren äußerst verschieden: Quellen und Aufzeichnungen hier, hoffende oder befürchtende Visionen dort.

Science and Fiction

Eine Wissenschaft von der Zukunft gibt es nicht. Trendforschung ist also keine Futurologie (Bolz, S. 199).

Norbert Bolz

Insofern „verbindliche“ Aussagen über die Zukunft natürlicherweise nicht belegt oder beurkundet werden können, haftet ihnen ein Rest des Spekulativen und/oder Fiktionalen an. Versuche, Zukunft im Rahmen des Vorhersagbaren zu „erforschen“ und Versuche, „Zukunft“ in der Art „vorwärts gewandter Geschichtsschreibung“ wort- und bildsprachlich zu schildern, treffen sich im kompositen Genre der „Science Fiction“. Dieser Begriff ist mehr oder weniger zum Synonym für (romanhafte) „Literatur über Wissenschaft bzw. Technik“ (vgl. Steinmüller 1995, S. 9) (vornehmlich in der Zukunft) geworden: „Wir haben […] keine Literatur der Zukunft, wohl aber eine Literatur über die Zukunft, die nicht nur die Werke der großen Utopisten, sondern auch die moderne Science-Fiction umfasst. Letztere erfreut sich als literarische Gattung nur geringen Ansehens [… Doch…] besitzt sie als phantasieanregende Kraft zur Schaffung vorausschauender Denkgewohnheiten enorm großen Wert“ (Toffler 1974, S. 303). Freilich hat – so jedenfalls Jean Pierre Faye (Faye 1977) – auch Geschichte im Sinne von Historiographie jeweils einen narrativen und häufig genug fiktiven Kern.

Einer der Hauptgegenstände populärer Science Fiction in Buch und Film ist der technologische Fortschritt (häufig als Bedingung oder Begleiterscheinung gesellschaftlichen Wandels), sei es im Bereich des Personenverkehrs, der Telekommunikation oder der Kriegsführung. Besonders wünschenswert galten die Überwindung der Erdanziehung und das Vordringen in weitere kosmische Sphären. Den Traum vom Fliegen referierten schon antike Mythen, und eine Reise zum Mond gehört spätestens seit der Renaissance zu den bevorzugten Topoi (Beispiele bei Steinmüller 1995, S. 95). Aufgrund der Beliebtheit und Verbreitung von Science-Fiction (keineswegs nur in der Jugend- oder Subkultur) scheint sie besonders geeignet zur Plünderung, wenn es darum geht, fortschrittliche Aspekte und Zukunftsfähigkeit von Produkten, z.B. in der Werbung zu visualisieren. So gehören Versatzstücke des Raumflugs und der Kontaktaufnahme mit Außerirdischen zu den bevorzugten Requisiten für Inszenierung einer künftigen bzw. atmosphärisch in die Zukunft verweisenden Mode (s.u.). Schlagworte wie Cyberspace oder Cyberpunk haben darüberhinaus längst den Weg aus der Begriffswelt von Nerds und Freaks in die Starkdenke der ästhetischen und soziologischen Theorie gefunden.

Eine Zwei und drei Nullen

… I cannot see a single, all-unifying millennial movement which (even as the miniskirt did in 1964) will sweep us all into stylistic synchronization (Polhemus 1996, S. 135).

Ted Polhemus

(Neither can I, Anm.d.V.)

Im 20. verdichteten sich unterschiedlichste Projektionen zur „Zukunftstollheit“ (Steinmüller 1999, S. 16). In einer Epoche welterschütternder Ereignissen wie den beiden Weltkriegen, die ein bisher nicht gekanntes Höchstmaß technischer Aufrüstung brachten, und Umwälzungen, die in faschistisch-totalitären Systemen extreme Ausprägungen erreichten, spielte das Herannahen der Jahrtausendschwelle erst recht eine Rolle. Stellte die Zwei mit den drei Nullen in früheren Jahrhunderten eine zeitliche Utopie dar, war dieses Jahr für Autoren des voranschreitenden 20. Jahrhunderts oder wenigstens für deren unmittelbare Nachkommen erlebbar. Bereits Edward Bellamy wählte für seine Roman-Utopie, einen „Rückblick“ auf die eigene Gegenwart (1887), das Jahr 2000 als zeitlichen Ausgangspunkt.

Anläßlich der Weltausstellung 1900 in Paris, die insbesondere die Errungenschaften und Verheißungen der Elektrizität feierte, wurde Schokolade mit beiliegenden Bildchen herausgebracht, auf denen elektrische Anwendungen „en l’an 2000“ zu sehen waren. Eines dieser Bildchen zeigt eine Dame im Boudoir: anscheinend ist den Zeichnern kein Zukunftslook eingefallen, so trägt die soeben Aufgestandene ein züchtig-bodenlanges Nachtgewand mit Spitzenrüschen, und ihr Haar ist entsprechend der Mode um 1900 üppig gekraust. Die Schönheitspflege erfolgt mithilfe von elektrisch angetriebenen Bürsten und Quasten, die von einer galgenartigen Vorrichtung zur Dame herunter ragen. Diese steuert derweil den kosmetischen Prozeß mit Knöpfen an einem Reglerpult und kontrolliert die Resultate in einem Spiegel, dessen Neigungswinkel sie pedaliter verändern kann (vgl. Abb. ebd., S. 23).

In den folgenden Jahrzehnten (einschließlich der 1990er Jahre) packte jede Epoche in das Jahr, „was sie bewegte“ (Ebd., S. 278f). U.a. fragte die FDJ-Zeitung Junge Welt vom 17. April 1970 „Was tust du am Donnerstag, dem 6. Januar des Jahres 2000?“ Eine der Einsendungen, die in den folgenden Ausgaben abgedruckt wurden, freut sich auf eine Mode, die „im Jahr 2000 für diese Tageszeit aus Supermini-Kleidern [besteht], die man mit langen Röcken oder mit kurzen Hosen variieren kann. Das Material ist pflegeleicht oder aus Papier, so dass man sie nach einmaligem Gebrauch wegwerfen kann“ (Zit. ebd., S. 202) – die Zeitgenossen des realexistierenden Minirocks bewegte am meisten, ob die Rocksäume weiter klettern werden.

Noch 1996 versuchte Ted Polhemus in seiner modesoziologischen Studie herauszufinden, what to wear in the third millennium. Ihn und die von ihm Befragten motivierte – und zwar unabhängig von ihren Neigungen, Sozialisationen oder ästhetischen Vorlieben – die Hoffnung, das unmittelbar bevorstehende Jahr 2000 werde etwas „Großes“ und „Anderes“ und „Kosmisches“ bescheren, zuvörderst aber den stilistischen Ausdruck einer Gemeinschaft, die mehr sei, als die Summe ihrer Teile. Polhemus sah diesbezüglich eine deutliche Bevorzugung uniformitärer Elemente wie Logos und Embleme, gleichförmiger Schnitte und Farbgebungen voraus, um wie in traditionellen Stammesgesellschaften Gemeinsinn zu signalisieren, statt – wie bisher – die individuelle Persönlichkeit zu betonen. Die Frauenrechtlerin und Reformpädagogin Ellen Key hatte (1910) für das Jahr 2006 gar ein Serum prognostiziert, „durch welches die entsetzliche Krankheit, gegen die die Gesellschaft trotz zahlloser hygienischer Verhaltensmaßregeln vergebens angekämpft hat – die Individualitäts- und Originalitätssucht [mithin die eigentlichen Ursachen für Mode, d.V.] –, ganz erlöschen wird.“ (Key, a.a.O., S. 118)

Nun haben wir, wie sich für die Arbeit an diesem Text herausstellen sollte: praktischerweise, nicht nur das Jahr 2000 überlebt, sondern auch das Jahr 2010 erlebt, um Ellen Keys Prognose in Abrede stellen zu können.

Es irrten auch diejenigen, die am Ende des Jahres 1979 einer Einladung gefolgt waren, in einem Londoner Club den „Style for the 80s“ antizipierend zu feiern und daher in „futuristischen PVC-Raumanzügen“ (Polhemus S. 68) erschienen waren. Sie hatten, von Ted Polhemus sanft belächelt, die Zeichen dämmernder Postmoderne übersehen und zeigten sich daher nicht in der Lage, das Gestaltprinzip nostalgisch-eklektizistischer Stilmischungen im Rückgriff auf historische Anregungen zu verkörpern, das – übrigens auch über den Jahrtausendwechsel hinaus – stilprägend bleiben sollte. Denn Polhemus’ Erwartung, nach einer zyklischen Folge von Revivals (der Revivals) könne es nach der Millenniumsschwelle etwas vollständig Neues geben, hatte sich (bisher) nicht erfüllt!

So, wie sich insgesamt zum Jahr 2000 hin die historischen Zukunftsvisionen – sowohl die Befürchtungen als auch die Hoffnungen als „verbraucht“ (Steinmüller 1999, S. 281) erwiesen, hatte sich auch in der Mode der kolossale Wandel nicht eingestellt.

Bezeichnenderweise ist mir in meiner (wennauch lückenhaften) Sammlung von Ausgaben etwa der deutschen Vogue zuletzt im Januar 2000 (das Heft wurde also in den letzten Wochen des 20. Jahrhunderts produziert) eine Modestrecke mit futuristischem Gepräge aufgefallen: „Mit smarten Linien und schillernden Stoffen schmeichelt die neue Mode dem Space Age“ (Vogue (deutsch) 1/2000, S. 134ff). Gemäß der Überschrift „Jetzt ist die Zukunft“ fotografierte Raymond Meier Models in gegenwärtiger, bestenfalls modernistischer, keinesfalls utopischer Umgebung, bestehend aus Hochhausarchitekturen oder schlicht im Waldstück. Die Looks: durchweg schimmernd.

Scheint’s, interessierte in den Moderedaktionen kurz nach Ausbruch des Dritten Jahrtausends das Dritte Jahrtausend kaum jemanden mehr.

Mode und Kleidung – nicht ganz dasselbe

„Wir wissen alle, dass wir immer in der Zukunft leben. Es gibt nur diesen schmalen Grat der Gegenwart, in dem wir zwischen Vergangenheit und Zukunft existieren. Mein Interesse liegt jenseits der Erfindung der Zukunft, in Kleidung, Wohnen, Leben und Arbeiten.“

Gleichwohl stößt, wer sich mit dem Zusammenhang von Mode und Zukunft beschäftigt, auf begeisterte Hymnen textiltechnologischer Entwicklungen, vornehmlich im Bereich der Oberflächenkonstruktion, -gestaltung oder -ausrüstung sowie im Bereich der Applikation technischer Anwendungen an Kleidung. Solche „Wearables“ werden seit spätestens den 1990er Jahren erforscht und hatten teils Einzug in die Outfits der Techno-Szene kurz vor der Jahrtausendwende finden können. Ihre Beschreibung als (zukunftsfähige) Kulturtechnik war u.a. Gegenstand der Erörterungen etwa von Birgit Richard im Themenheft „Mode“ der Zeitschrift Kunstforum Bd. 141, 1998. Richard fokussierte hier eine gesellschaftliche Erscheinungsform, die sich im Rückblick auf die (von heute aus) vergangenen zehn Jahre inklusive Millenniumsschwelle als vorübergehend vollendet (vgl. auch Spieler in: Becker/Schütte 1999, S. 139) erwiesen hat. Denn die vestimentären Gesten und Gepflogenheiten der Angehörigen dieser Szene haben sich nicht nachhaltig auf andere Gruppen übertragen. Vielmehr war an der Jahrtausendschwelle zu beobachten, wie Gesellschaften „in Stämme zerfallen, die sich mit komplizierten, rasch wechselnden Codes ausgestattet haben, die es ihren Mitgliedern ermöglichen, sich auf der Straße gegenseitig zu erkennen“ (vgl. Heinzelmann 2001, S. 20). Zwar folgt auch hier das Kleidungsverhalten dem Muster von Beobachtung und Nachahmung, die Kleidung wird hier jedoch eher als eine Art „Tracht“ genutzt, insofern Gruppenzugehörigkeiten – und sei es für eine durchtanzte Nacht – markiert und empfunden werden sollen. Dabei wird es zum Ende des 20. Jahrhunderts – und daran hat sich grundsätzlich bis heute nichts mehr geändert – in Anbetracht synchroner (und nicht wie früher sukzessiver) Stilpluralismen immer schwieriger, von der Mode (als einer einzig jeweils gültigen, wie z.B. der Mode des Minirocks um 1970) zu sprechen. Mode zerfällt ihrerseits in mehr oder weniger kurzlebige Sub-Moden, die sich nur bedingt um das historische Woher und das künftige Wohin scheren.

Die Kleidung der Techno- und Houseszene hatte immerhin „abstrakt über Symbole und Embleme auf Zukunft und Technologie“ (Richard 1998, S. 80) verwiesen und ist hier daher von gewissem Interesse. „Blinkende Applikationen an der Kleidung, kleine Lampen, leuchtende Lutscher, Laserpointer und andere reflektierende, strahlenaussendende Dinge sind niederkomplexe Technologien. Dabei erstellt sie [die Techno- und Houseszene] unbewußt ein Bild von neuen Technologien mit infantilen Mitteln. Sie erprobt die Bilder der Zukunft kindlich-naiv, spielerisch, sie geht auf Kindesbeinen auf zukünftige Entwicklungen zu“ (Ebd). Allein, auf diesen Kindesbeinen blieb der Gang in Richtung „zukünftiger Entwicklungen“ stehen. Die Zukunftsgewandtheit der Techno- und Houseszene fand nachfolgend keinen erwachsenen Ausdruck, und Tendenzen zur Cyborgisierung, zum „Abheben aus endlichen Körperwelten“ (Ebd., S. 79) – extropisch oder durch Ausflüge ins All – manifestierten sich modisch allenfalls auf der Ebene von Accessoires wie Insektenbrillen oder Sternen- und Planetenmotiven.

Insgesamt machen sich technische Innovationen eher in der (Freizeit- und Funktions-)Kleidung als in der „Mode“ bemerkbar. Zumeist handelt es sich um haptische, weniger um ästhetische Qualitäten, die umso schwieriger ins fotografische Bild zu setzen sind. Häufig verzichtet die fotografische Lancierung solcher Neuheiten im Interesse größerer Produktinformation auf inszenatorische Effekte, also auch darauf, einen futuristischen oder futurologischen Kontext zu assoziieren.

So präsentierte etwa Philips Design im Segment Multimedia Clothing der Ausstellung Vision of the Future 1996 u.a. music t-shirts mit integrierten, solarzellbetriebenen Kopfhörern und ins Gewirk eingearbeiteten Musikwiedergabe-Chips. Visuell ist ein solches T-shirt von einem herkömmlichen zunächst kaum zu unterscheiden. Die Fotografien in der gleichnamigen Publikation zeigen junge Menschen bei einer Handhabung von Kopfhörern, die nicht Teil der Kleidung sind (vgl. Philips Design) Ein Ski-Jacket im klassischen Troyer-Schnitt und aus traditionellem Winterfleece ist mit teils ausklappbaren Applikationen ausgestattet, die das Navigieren im Skigebiet ebenso gestattet wie den Hilferuf im Notfall. Kopfhörer und Mikrophone ermöglichen, wer hätte das gedacht?, die Kommunikation mit Co-Skifahrern, die außer Sicht- und Hörweite geraten sind (Abbildung und Beschreibung ebd., S. 66f). Insofern Telekommunikations- neben wie auch immer gearteten und beanspruchten Informationstechnologien eine Hauptanwendung der Smart Fashions und Wearables darstellt, dürfen in Philips’ Vision of the Future natürlich auch Videophone Watches nicht fehlen, Armbanduhren, die den Anblick einer angerufenen oder anrufenden Person im Briefmarkenformat ans Handgelenk heften, und die den Weg in die Realität selbst Skype-Süchtiger noch nicht geschafft haben – obwohl bereits in den 1930er Jahren die Videotelephonie am Handgelenk von Comic Figuren wie Buck Rogers oder Dick Tracy thematisiert wurde. Die Benutzung solcher Geräte im heutigen Straßenverkehr zu gestatten bliebe allenthalben fragwürdig.

Obwohl sie das Wort „Mode“ im Titel ihrer 2007 erschienenen Publikation „Mode und High-Tech – Anziehbare Computer erobern den Laufstieg“ führen, versäumen es die Autoren „Mode“ zu definieren oder allgemeinere Überlegungen zur Mode anzustellen. Stattdessen behaupten sie „Mode und High-Tech verweben sich“ – um sogleich einräumen zu müssen „auch wenn heute noch primär künstlerisch ausgebildete Modedesigner diese Vernetzung mit Technik nur mit Sitrnrunzeln oder Ablehnen sehen“ (Böger/Hartmann 2007, S. 7). Dennoch ist das Vertrauen der Ingenieure Astrid Böger und Wolf-D. Hartmann ungebrochen: „Die Zukunft kleidet sich in High Tech. Spätestens seitdem Mobiltelefone, digitale Assistenten oder MP3-Player wie USB-Stifte zum Outfit zählen, gewinnt die Mode neue Mitgestalter aus dem Bereich der Hochtechnologien“ (Ebd., S. 6). Nun blieben derartige apparative Erweiterungen unserer sinnlichen Wahrnehmungen und kognitiven Leistungen bisher weitgehend von der Kleidung getrennt und wurden von international markt- und markenführenden DesignerInnen zur Integration in ihre Kollektionen auch nicht vorgesehen.

Zu den Fragestellungen, die „im Mittelpunkt des umfangreichen Programms“ (vgl. ebd. S. 11ff) von Böger und Hartmann standen, gehörten Ästhetik und/oder Soziologie der Mode/Designstrategie etc. nicht. Die meisten der im Buch besprochenen Innovationen entstammen dem „Bereich der Technik, und die Entwickler sind großenteils Ingenieure“ (Ebd., S. 182). Genau die entscheidende Verknüpfung/Transferleistung zwischen Techniker und Gestalter/künstlerischem Visionär fehlt also.

Vielmehr stand ausschließlich Funktionalität der Kleidung bzw. in erster Linie der Materialien, aus denen sie gefertigt wird, im Focus (z.B. UV-Schutz, Klimaausgleich, Datentransfer, persönliche Sicherheit/Selbstverteidigung).

Wie ist es um die Bildwelten dieser „Verwebung“ von „Mode und High-Tech“ bestellt?

Das Cover der Publikation wartet mit einer Fotografie auf, die fünf Personen beiderlei Geschlechts in Outfits zeigt, die in Zusammenarbeit mit Siemens für die Berliner Messe HomeTech 2002 entwickelt worden waren, unter Integration „aktive[r] Leuchtelemente, Tablet-PC, USB-Interfaces und konzeptionell weitere[r] Schnittstellen für Ambient Intelligence Anwendungen im Smart-Home-Umfeld im Themenpark Wie leben wir morgen?“ (Bildunterschrift zitiert ebd., S. 135). Männer und Frauen tragen gleichartige weiße, glänzende, körperfern geschnittene Anzüge mit geringer Passform, die den Uniformen von Weltraumfahrern oder Entsorgungstechnikern nachempfunden scheinen. Auf der Vorderseite der Körperhüllen wirken kreisförmige Leuchtelemente wie in einen Brustlatz gesteckte CDs. Mobilfunkzubehör baumelt von schwarz gefütterten Kragen herab. Unter solchen Umständen empfinde ich Erleichterung darüber, dass die Eroberung des Laufstegs durch anziehbare Computer bisher ausgeblieben ist. Sollte Derartiges tatsächlich je „Mode“ im von uns gebrauchten Sinne werden, besteht immerhin Hoffnung, dass sie – definitionsgemäß – auch wieder vorübergeht.

Aus dem Jahr 2002 stammt eine Kollektion e-Smog abweisender Funktionswäsche der Firma Silvertext. Das Foto der Produktverpackung (Abb. ebd., S. 60) zeigt ein Paar, das – frisiert und gestylt als käme es frisch aus den 1970er Jahren – schützend je eine Hand erhebt, wie um große, blendende Helligkeit abzuwehren. Vergleichbare Posen sind etwa in Auflärungskampagnen der 1950er Jahre zu finden, als Bürgern empfohlen wurde, zur Schadensvermeidung während eines Atomkriegs eine Aktentasche vor das Gesicht zu halten.

Auf dem Foto (Abb. ebd., S. 30) einer „Multimediajacke mit integrierter Tastatur im Ärmel, PDA mit Internetzugang, Speaker, Mobilphoneanschluß, GPS Receiver, Alarmfunktion“, entwickelt von dc2wearLab/BTu, 2005, sehen wir eine nicht taillierte Reversjacke, die traditionell mit Knöpfen geschlossen wird. Anstelle einer aufgesetzten Vordertasche lässt sich eines der genannten Geräte (in der Publikation nicht bezeichnet) herausklappen und bedienen. Die Trägerin von Jacke und Freisprechanlage erweist mit Leia-Organa-Frisur eine sichtbare Referenz an einen populären Science-Fiction Film.

Shiny, shiny, bad times behind me. Good times come to me now

Angela und Karlheinz Steinmüller schildern das architektonische Futurama auf der New Yorker Weltausstellung „World of Tomorrow“ des Jahres 1939 und weisen darauf hin, dass „die Besucher in konventionellen Anzügen und Kostümen, nicht in Zellophan oder silberglänzende Alufolie gekleidet“ (Steinmüller 1999, S. 120) daherkamen. Auch diesen Autoren erscheinen also derartige Materialien als Inbegriff zukünftiger Mode. Ähnlich verwendet Silvia Bovenschen die Epitheta „silbrig“ und „geglättet“ – und zwar um die Einfälle von Kostümdesignerin für Science-Fiction-Filme als „ärmliche Versuche“ (vgl. Bovenschen 1986, S. 27f) zu schmähen.

Die Erfindung der „Kunstseide“ in den 1920er Jahren gehört zu den Meilensteinen der Modegeschichte, insofern sie wesentlich zur Demokratisierung (und Vulgarisierung) luxuriöser Erscheinungsbilder beitrug. Zu glänzen oder gar ein Glanz zu sein – der sehnlichste Wunsch von Irmgard Keuns „kunstseidenem Mädchen“ – ist nun erschwinglich geworden. Indes ist auf einer Modefotografie etwa eines Abendkleids häufig nicht zu erkennen, ob es sich um teure echte oder billige Kunstseide handelt. Das zukunftsträchtige, gesellschaftlich revolutionäre Potential des synthetischen Materials bleibt auf der ästhetischen Ebene im Als-Ob der Imitation verborgen. Gleiches gilt für die Herstellung von Modeschmuck, den die Designerin Coco Chanel unbekümmert mit echten Cimelien mischte: etliche Porträtaufnahmen zeigen sie mit mehreren Reihen von Geschmeiden reich gerüstet, ohne dass das Betrachterauge imstande wäre – zumal auf einer Schwarzweißfotografie – das Wahre vom Falschen zu unterscheiden.

Innovative Materialien werden denn auch weniger wegen ihrer ästhetischen als wegen ihrer Trageeigenschaften gerühmt; dazu gehören „komfortabel, pflegeleicht, elastisch, schmutzabweidend, thermoregulierend, atmungsaktiv, um nur einige zu nennen“ (Böger/Hartmann, a.a.O., S. 31). Diese Eigenschaften sind zu fühlen, nicht unbedingt zu sehen und folglich schwer im Bild darstellbar.

Das „Morgen“ im Modebild – siehe gestern

september is the january in fashion

Candy Pratts Price

Walter Benjamin sprach Mode die Gabe „außerordentlicher Antizipationen“ zu, wie sie vergleichbar auch die „Kunst“ aufweise, die „vielfach, in Bildern etwa, der wahrnehmbaren Wirklichkeit um Jahre vorausgreift“. Das „Bild“ als ästhetisches Produkt bzw. Resultat ist der Mode und der Kunst gemein. Im „Bild“ werden Mode und Kunst u.U. identisch, womit sich u.a. die Ausstellung und das zugehörige Katalogbuch „Chic Clicks“ ausführlich beschäftigt haben. Die Modefotografie bringt längst nicht nur zu verkaufende Kleidung zur Geltung – dies vielleicht sogar am wenigsten – sondern schafft Atmosphären, in denen sich ein semantisches Programm an Haltungen, Posen, Befindlichkeiten und Stimmungen entfalten kann, das zu Nachahmung und Identifikation ermuntert.

Ob, wie Benjamin pries, die Mode und ihre Bilder tatsächlich „um Jahre“ vorausgreifen, muß angesichts eines globalisierten Milliardenumsatzgeschäfts, dessen Antizipationskraft gerade einmal von September bis zum Januar des folgenden Kalenderjahres reicht, überdacht werden. Statt utopische Gesellschaftsmodelle oder alternative Lebensformen zu entwerfen, entwickelt die aktuelle Modeindustrie lediglich weiter, was sich bereits gut verkaufen ließ. Daraus folgt das „flaue Gefühl, die vage Ahnung, die wachsende Befürchtung und die niederschmetternde Einsicht, dass alles, was man gesehen hat, all das Neue, Revolutionäre, Umwerfende, Andere, Rebellische und Junge, irgendwie bekannt und dazu noch gleich aussieht.“ (Becker/Schütte, a.a.O., S. 57). Und auch die Möglichkeiten der Fotografie, seit knapp 100 Jahren die wichtigste Vermittlerin von Mode, Neuheit und Voraussein wenigstens inszenierend vorzutäuschen, haben sich als übersichtlich erwiesen.

Hier nur einige Beispiele:

Das schweizer Mode- und Unterhaltungsmagazin Sie und Er (Ersch. seit 1924 in Zürich) bescherte seinen Leserinnen und Lesern in der Ausgabe Nr. 9 vom 26. Februar 1959 eine Reise ins Weltall. Die hanebüchene Inszenierung mit Attrappen von Raketen-Interieurs lässt selbst die Ausstattung der Raumpatrouille Orion als technisch avanciert erscheinen. „Unsere Phantasie mag den Tatsachen um einiges [tatsächlich: um 8 Jahre, Anm. d. V.] vorauseilen, und doch ist es heute schon amüsant, auf Flügeln des Gedankens ins Weltall hinauszufliegen.“ Möglicherweise sehen daher die Models auch überdurchschnittlich erheitert aus. „Zunächst allerdings wird sich die Garderobe der Raumschiffahrer wenig um die Mode kümmern. Aber wer weiß, ob nicht eines Tages auf dem Mond, den Planeten oder gar den Fixsternen Modeparaden vor den erstaunten Augen von Mond, Mars- oder Andromeda-Menschen vorbeidefilieren werden.“ (Sie und Er, Nr. 9/26. Februar 1959, S. 36f)

In diesem Fall kümmerte sich die Mode jedenfalls auch nicht um die Garderobe der Raumschiffahrer, denn die jungen Damen präsentieren in klassischen Posen zeitgenössiche Tailleurs und Complets von Dior oder Guy Laroche, die der eigenen Gegenwart mitnichten vorauseilen.



ABBILDUNG 1

Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin



ABBILDUNG 2

Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin


Auch für Richard Avedon ist die technische Welt des Raumflugs nur Kulisse für die Inszenierung einer Modefotografie: für die Februarausgabe von Harper’s Bazaar 1960 lichtete er ein schlichtes, ärmelloses Modell von Trigère an einer jungen Frau ab, die breitbeinig, mit in die Taille gestemmten Händen für die Kamera posiert. Außergewöhnlich mutet allenfalls eine helle Stoffbahn an, die quer über Schultern und Kopf gelegt ist. Im Hintergrund machen sich behelmte Arbeiter an einer Rakete der United States zu schaffen, die von einem Gerüst aus versorgt wird. In die Zukunft weist die Fotografie insofern, als mit einer baldigen Zündung der Rakete zu rechnen ist – einen ersten bemannten Raumflug (ohne Zwischenlandung) trat der US-Amerikaner John Glenn 1962 an.

Es bleibt fraglich, ob das Yogarad, das Melvin Sokolsky 1962 auf dem Dach eines New Yorker Hochhauses fotografierte, als Katapult in den Weltraum dienen soll. (Bildbeispiel 12)

Zumindest nimmt der Fotograf den Fitneßwahn künftiger Jahrzehnte vorweg. 1963 läßt Sokolsky Models in Glaskugeln wie in Miniraumschiffen durch urbane Landschaften schweben. (Bildbeispiel 13) Inspiriert wurde der Bildgeber nach eigener Auskunft jedoch weniger durch futuristische Beförderungsmöglichkeiten, sondern durch Hieronymus Boschs Garten der Lüste (um 1500).

Weltraumreisen bzw. Kontakte mit Außerirdischen erweisen sich gleichwohl als das hartnäckigste Motiv für inszenierte Modefotografie. Ein Bildgegenstand, der nur dadurch gesteigert wird, dass die gezeigte Mode selbst die „Garderobe der Raumschiffahrer“ nachempfindet oder sogar vorwegnimmt. Dies ist ansatzweise bei den eingangs erwähnten Kollektionen von Pierre Cardin, André Courrèges oder Paco Rabanne der Fall. Diese Mode beeinflusste jedoch eher Filmkostüme als die Kleiderschränke solventer Kundinnen. Zeitnah bricht eine neue Ära der Fernsehunterhaltung an: am 17. September 1966 startet die deutsche Serie Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffs ORION. Die „Handlung“ der Episoden ist im Jahr 3000 angesiedelt. Die Ausstattung der Raumkapsel und das Starlight-Casino, in dem sich die Mannschaft mit futuristischen „Tänzen“ von ihren Abenteuern entspannt, knüpfen unmittelbar an innovative Produktdesigntendenzen der späten 60er Jahre: Plexiglas und andere Kunststoffe sowie Leichtmetalle gehören zu den bevorzugten Materialien, die in ihrem kurvigen Design von Verner Panton entworfen sein könnten. Geschlechtslose Strampelanzüge umhüllen weibliche wie männliche Körper der Besatzung wie zweite Häute, deren Farben von der TV-Nation (schwarzweiß!) noch nicht unterschieden werden können. Die toupierten Frisuren und das Makeup der Damen mit dramatischen Lidstrichen unterscheiden sich kaum von den kosmetischen Vorlieben der ZeitgenossInnen.

Folglich beobachtet Daniel Devoucoux, dass „die Kostüme in Science-Fiction-Filmen […] im Allgemeinen sehr leicht durchschaubar und weniger verrückt [sind], als man erwarten würde“ (vgl. Devoucoux 2007, S. 223ff). Insgesamt geben ihre Ästhetiken eher Aufschluß über die Zeit, in der sie entworfen wurden als über die (künftige) Zeit, in der die Handlungen der Filme angesiedelt sind. Auffällig ist in Filmen wie Blade Runner (1982), Brazil (1985) oder Gattaca (1997), dass diese Filme zwar jeweils in einer Zukunft spielen, das Kostümbild jedoch an der Mode der 1940er oder 50er Jahre orientiert ist. Der Look einzelner Filmfiguren gemahnt an das Erscheinungsbild von Menschen in Zeiten totalitärer Systeme bzw. des Kalten Krieges. Über das Dejavu des historistischen Outfits wird die Zukunft imaginierbar als eine Epoche bekannter, da schon einmal erlebter politischer Schrecken und Bedrohungen. Blade Runner und Brazil entstanden überdies auf dem kulturellen Höhepunkt der Postmoderne, als deren charakteristische Designstrategie in den 1980er Jahren wir eklektizistische Stilmixe und historische Zitate kennen. Das postmoderne Revival des Hypothetischen wurde von Barbara Vinken als „Zurück zur Zukunft“ benannt, etwa wenn Thierry Mugler oder Claude Montana in ihren Kollektionen das Genre des (historischen) Science-Fiction-Comics zitieren (vgl. Vinken 1993, S. 87). Postpostmodern und gleichsam zu einer Mode nach der „Mode nach der Mode“ (Vinken) wird beispielsweise eine Kollektion von Nicolas Ghesquière für das Haus Balenciaga, wenn er einräumt, „ein Kind der Achtziger“ (Vogue Fashion News 1/2009, S. 30) zu sein und Star Wars zu lieben. Er zitiert somit seinerseits ein Zukunftsbild, das prägend für die Postmoderne war und vice versa von ihr geprägt wurde. Desungeachtet (miß)interpretiert die Vogue-Redaktion diese Retro- als Perspektive und titelt: „Vor uns die Zukunft. Sternzeit 2009“ (Ebd.).

Unter den Länderausgaben der Vogue nimmt die italienische hinsichtlich Typographie und Layout sowie Exzentrizität der Fotostrecken eine rühmliche Sonderstellung ein.

Peter Lindbergh präsentierte hier beispielsweise im Oktoberheft 1998 (No. 578 Theatre of fashion) looking forward. Zwei Models haben, gekleidet u.a. in Designs von Jean Paul Gaultier, Alberta Ferretti, Nino Cerruti, Aufenthalt in einem Wüstencamp genommen, das mutmaßlich der Beobachtung des Weltraums dient. (Bildbeispiel 14) Die hochpreisige Markenkleidung wird accessoiriert mit Datenhelmen, Leuchtkörpern, die wie Schutzschilde gehandhabt werden, sowie Kameras und Kopfhörern. Graphisches Intro ist die Reproduktion eines Patents von Nikola Tesla, dem Entdecker elektromagnetischer Wellen und Vorreiter der Wechselstromtechnik, aus dem Jahr 1896. Damals ließ er u.a. seine Grundidee für ein Radiosystem patentieren. Fahrzeuge aus den 1930er Jahren verweisen zurück in eine Zeit, in der Science-Fiction, besonders als Comicstrip, besonders populär war.

Andere Fotostrecken von Peter Lindbergh, bevorzugt in Schwarzweiß, bedienen sich in den 1990er Jahren des Außerirdischen als Assistenzfigur. (Bildbeispiel 15, Bildbeispiel 16 und Bildbeispiel 17)

In der genannten Vogue Italia No. 578 publizierte Helmut Newton Tomorrow’s girl. Die Zukünftigkeit dieses Girls ist speziell durch die Ausstattung mit Kleidung und Accessoires aus glänzenden, reflektierenden Materialien angedeutet, deren Verwendung in den Bildkontexten unverkennbar Schutzfunktion übernimmt. Das auf der Aufmacherdoppelseite abgebildete Kleid von Versus bilden lose verbundenen Rechtecken, die aus Metallmaschen gewirkt sind und wie bei Paco Rabanne Ausblicke auf den Körper gewähren. Von Rabanne stammt die Schutzbrille des rücklings auf den Boden gestreckten Models. Visiere und Helme oder extravagante Schutzhandschuhe, die an Ritterrüstungen erinnern (u.a. von Alexander McQueen), vervollständigen die Modestrecke auf den folgenden Seiten und wecken die Befürchtung, dass das Leben tomorrow besonders gefahrvoll sei: auf einer Fotografie muß das in ein metallisch reflektierendes Bustier von Dolce & Gabbana gezwängte Model gewaltsam aus seinen Handschellen befreit werden. (Bildbeispiel 18 und Bildbeispiel 19)

In Westen nichts Neues. Und in Bildern auch nicht

Prophezeiungen haben nur dann Sinn und Zweck, wenn sie Schlußfolgerungen aus schon Vorhandenem und dessen bisherigem Entwicklungsgang sind (del Lotto, S. 275).

Cesare del Lotto

Während sich seine Mitautoren Welt und Leben im Jahre 2010 vorzustellen versuchten und zu teilweise sehr konkreten Visionen gelangten, kapitulierte Cesare del Lotto 1910 vor der Unberechenbarkeit und Unvorhersehbarkeit der Kunst. Gleiches gilt wohl für die Mode, wie diejenigen einräumen, die sich professionell mit ihr und ihren Bildern beschäftigen. „Wenn ich wüßte, was der Millennium-Look ist, würde ich viel Geld damit verdienen, ihn zu designen!“ (Suzy Menkes). So stimmt Norbert Bolz mit del Lotto dahingehend überein, dass man Trends „nicht erfinden“ kann – „Man kann sie nur abtasten, verstärken – und ihnen Namen geben“ (Bolz 1999, S. 199).

Derartige Einsichten decken sich mit der Arbeitsthese von Martin Scholz, die der Arbeit an dieser Publikation zugrunde liegt, dass „so gut wie keine Bildherstellungsmethoden zu identifizieren sind, die Zukunft angemessen (in Bezug auf die kulturelle Transformation) vermitteln könnten“. Jedenfalls entspricht es dem eingangs erläuterten Wesen von Mode, „individuelle Wahrnehmung(en)“ und „gruppenbestimmte Wahrnehmungsabläufe“ (Scholz) jeweils nur kurzfristig zu verändern. Um geringfügige Variationen dennoch bildnerisch als augenscheinlich „neu“ inszenieren zu können, fällt Modefotografen nicht viel mehr ein als blinkende Accessoires, utopische Kulissen, technologisch avancierte Verkehrsmittel oder extraterrestrische Begleitererscheinungen. Diese Inszenierungsmittel haben sich aber im wesentlichen nicht mehr geändert, seit sich solche Zukunftsträume im technischen Bild manifestieren, und so kommen selbst avancierteste und avantgardistischste Designer wie Gareth Pugh oder Walter van Beirendonck um sie nicht herum.

Da macht es auch keinen großen Unterschied, dass sich die Präsentationsparameter dieser stabilen Ikonographien gewandelt haben: schon 1910 sah Robert Sloss das 21. Jahrhundert als „drahtloses“ voraus; er schilderte die Bestellung eines Brautkleids durch „teleautophonische Verbindung mit dem Modehaus“: „Man wird einfach von seinem Zimmer aus alle Warenhäuser durchwandern können und in jeder Abteilung halt machen, die man eingehender zu besichtigen oder wo man etwas auszuwählen wünscht“ (Sloss, S. 46). So nahm er Internet- und Teleshopping vorweg und datierte deren allgemein zugängliche Realisation ganz richtig auf die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert. Die Vorführung von Kleidung auf digitalen Displays mit entsprechenden Zoom- und Animationsfunktionen einschließlich der Simulation, wie das Kleidungsstück am eigenen Körper der Kaufwilligen aussehen könne, ist inzwischen Wirklichkeit. Doch auch, wenn Online- bzw. virtuelle Modenschauen und –präsentationen rein numerisch einen größeren Zuspruch erfahren als Laufstegspektakel in Paris, Mailand, London oder New York, bleiben diese als Realitätskern unverzichtbar. Suzy Menkes sieht zwar die Zukunft der Mode auf Bildschirmen (vgl. Becker/Schütte, a.a.O., S. 96), ich selbst sehe sie aber bis auf weiteres immer noch auf Körpern. Bisher haben sich jedenfalls vollständig virtuelle Models, als deren Erstes Ende der 1990er Jahre das japanische Cyber-Girl Kyoko Date angetreten war (vgl. ausführlicher Kunstforum 141, S. 204) nicht nachhaltig im Modebild behaupten können. Was insofern erstaunlich ist, als ein computergeneriertes, digitales Model die Frage nach Realitätsbezug und Repräsentationsvermögen von digitaler Fotografie spiegeln würde. Eine Frage freilich, die per se einen herkömmlichen Verstand an die Grenzen des Leistbaren führt, denn das menschliche Gehirn hat sich, ungeachtet technologischer Innovationen in den Bereichen der Bilderzeugung und –vermittlung hinsichtlich seiner kognitiven Verarbeitungspotenziale in den letzten Jahrtausenden praktisch nicht verändert. Stark vereinfacht: wir glauben – wider besseres Wissen – auch heute noch, was wir sehen, und was es noch nicht gibt, kann schlechterdings nicht sichtbar sein. 200 Jahre Fotografiegeschichte und die Kenntnis dieser Geschichte haben nun einmal die Referenz (den Verweischarakter auf Wiedererkennbares) als Konstituens dieses technischen Mediums etabliert.

Roger M. Buergel hatte die Documenta XII daraufhin befragt, ob die Moderne unsere Antike sei. Entsprechend wäre zu überlegen, ob die Zukunft unsere Gegenwart sei.

Einige Indizien sprechen dafür, dass das Science-Fiction-Zeitalter angebrochen sei, da verschiedene der prognostizierten technischen Erfindungen und gesellschaftlichen Entwicklungen „Wirklichkeit“ geworden sind. Hierbei haben die Mode und ihre Medien eine erstaunlich untergeordnete Rolle gespielt. Die Erzeuger, sowohl der Mode als auch ihrer Bilder schielen längst nach dem Museum als der institutionellen Pathosformel des Bewahrenswerten. Die Zukunft schert sie immer weniger. Denn der dem Wesen der Mode immanente Vorausblick wenigstens auf die übernächste Saison hat sich in dem Augenblick erledigt, wenn juvenile Blogger life von den Catwalks ins Internet petzen, so dass die Massenartikler den „neuen“ Prada-Look schneller ins Regal hängen können als Prada selbst. Indem wir so zwar einerseits vom Hereinbrechen der Zukunft in unsere Gegenwart sprechen können, bleiben wir andererseits weit hinter dem Erwartungshorizont des Herausgebers zurück, „visuell dar[zu]stellen, wie Menschen in 10, 20 oder 50 Jahren leben können oder wollen“.


Literatur

  • AD/Architectural Digest 10/2006.
  • Am Millennium – jenseits der Mode, Interview mit Suzy Menkes, Susanne Becker/Stefanie Schütte, (Hg.) Magisch angezogen. Mode.Medien.Markenwelten, München 1999, S. 95-103.
  • Walter Benjamin, Das Passagenwerk, Aufzeichnungen und Materialien, B – Mode (= Gesammelte Schriften V, 1, Frankfurt M. 1982).
  • Astrid Böger und Wolf-D. Hartmann, Mode und High-Tech. Anziehbare Computer erobern den Laufsteg, Hamburg 2007.
  • Hartmut Böhme, Zeiten der Mode. In: Kunstforum 197 (2009), Dressed! Art en Vogue, S. 48-83.
  • Norbert Bolz, Mode oder Trend? Ein Unterschied, der einen Unterschied macht. In: Kunstforum 141, S. 197-201.
  • Silvia Bovenschen (Hg.), Die Listen der Mode, Frankfurt M. 1986, S. 179-207.
  • Silvia Bovenschen, Über die Listen der Mode, in: (Dies., Hg.) Die Listen der Mode, a.a.O., S. 10-32.
  • Arthur Brehmer (Hg.), Die Welt in 100 Jahren. Berlin 1910, Nachdruck Hildesheim 2010.
  • R.J. Cutler, The September Issue (Filmdokumentation) 2009.
  • Das Leben ist meine Komplexität. Ein Gespräch mit Morgan Puett von Heinz-Norbert Jocks, in: Kunstforum 197, S. 112-125.
  • Daniel Devoucoux, Mode im Film. Zur Kulturanthropologie zweier Medien. Bielefeld, 2007.
  • J.P. Faye, Theorie der Erzählung, dt. Frankfurt/M. 1977.
  • Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch. 16 Bde. [in 32 Teilbänden]. Leipzig 1854ff.
  • Markus Heinzelmann, Wie die Mode untragbar wurde. In: Susanne Anna u. Markus Heinzelmann (Hg.) untragbar. Mode als Skulptur. Ostfildern-Ruit 2001, S. 11-23.
  • Alfons Kaiser, Aus alt mach neu: die Marken wechseln, die Formen bleiben. In: Becker/Schütte, a.a.O., S. 57-66.
  • Ellen Key, Die Frau in hundert Jahren, in: Arthur Brehmer (Hg.), Die Welt in 100 Jahren. Berlin 1910, Nachdruck Hildesheim 2010.
  • Cesare del Lotto, Die Kunst in 100 Jahren, in Brehmer, a.a.O., S. 275-282.
  • Cordula Meier, Fashion goes virtuell. Zur schicksalhaften Allianz von Mode und Fotografie. In Kunstforum 141, S. 203-219.
  • Philips Design, Vision of the Future (Ausstellung 1996). 4th ed. Blaricum, 1998.
  • Ted Polhemus, Style Surfing, What to wear in the 3rd millennium, London 1996.
  • Birgit Richard, Die oberflächlichen Hüllen des Selbst. Mode als äshetisch-medialer Komplex. In: Kunstforum 141 (1998) Mode, S. 48-95.
  • Georg Ruppelt, Zukunft von gestern, in: Brehmer, a.a.O., S. V-XX.
  • Sie und Er, Nr. 9/26. Zürich, Februar 1959.
  • Georg Simmel, Die Mode, in: (ders.) Philosophische Kultur. Gesammelte Essais, Leipzig 1911, S. 29-64 wieder abgedruckt in: Silvia Bovenschen (Hg.), Die Listen der Mode, Frankfurt M. 1986, S. 179-207.
  • Robert Sloss, Das drahtlose Jahrhundert, in: Brehmer, a.a.O., S. 27–50.
  • Werner Sombart, Wirtschaft und Mode. Ein Beitrag zur Theorie der modernen Bedarfsgestaltug, Wiesbaden 1902, S. 1-23, wieder abgedruckt in: Bovenschen, a.a.O., S. 80-105.
  • Sabine Spieler, Sport, Musik und Fernsehen, das globale Modedorf. In: Susanne Becker/Stefanie Schütte, (Hg.) Magisch angezogen. Mode.Medien.Markenwelten, München 1999, S. 136ff.
  • Angela u. Karlheinz Steinmüller, Visionen 1900 2000 2100. Eine Chronik der Zukunft. Hamburg 1999.
  • Karlheinz Steinmüller, Gestaltbare Zukünfte. Zukunftsforschung und Science Fiction. Abschlußbericht (13), Sekretariat für Zukunftsforschung, Gelsenkirchen 1995.
  • Alvin Toffler, Der Zukunftsschock, München 1974.
  • Barbara Vinken, Mode nach der Mode, Kleid und Geist am Ende des 20. Jahrhunderts, Frankfurt M. 1993.
  • Vogue (deutsch) 1/2000.
  • Vogue Fashion News, Supplement zur Ausgabe Vogue deutsch 1/2009.


Autor

    Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Neueren Deutschen Literaturgeschichte RWTH Aachen, M.A. 1996, Dr. phil. (Uni Wuppertal) 2001, seit 2001 Prof. f. Theorie der Gestaltung FH Bielefeld


Publikationen (Auswahl)

  • Geist und Gefühl. Der Wörlitzer Park zwischen Aufklärung und Empfindsamkeit, Weimar 1998.
  • Hg. von The Moving Image, Weimar 2004.
  • Ist alles eitel? Modejournale zwischen Aufklärung und Zerstreuung, Weimar 2006.
  • Hg. (zus. mit Adelheid Rasche) von Styl. Das Berliner Modemagazin der frühen 1920er Jahre, Stuttgart 2009.


.
Fussnoten:

(1)

vgl. zur Etymologie ausführlicher Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch. 16 Bde. [in 32 Teilbänden]. Leipzig 1854ff. Grimms weisen daraufhin, dass bis ins 17. Jahrhundert hinein „Zukunft“ vor allem im räumlichen Sinne von Ankunft verwendet wurde.

(2)

Andrew Gregory etwa erwartet für sich vom Jahr 2000 einen „extremen“ Look, Clare Rose ein „starkes Bild“, vgl. Polhemus a.a.O., S. 39f.

(3)

Das Leben ist meine Komplexität. Ein Gespräch mit Morgan Puett von Heinz-Norbert Jocks, in: Kunstforum 197, S. 112-125, hier S. 112.

(4)

Der im Vorwort empfohlene Link www.dc2wearlab.de war 2010 nicht mehr aktiv!

(5)

Haysi Fantayzee , Songtext SHINY SHINY (1983)

(6)

The September Issue, Filmdokumentation von R.J. Cutler, 2009.

(7)

Am Millennium – jenseits der Mode, Interview mit Suzy Menkes, in: Becker/Schütte, a.a.O., S. 95-103, hier S. 102.