Zukunftsbilder. Einige begriffliche Anmerkungen


Autor: Klaus Sachs-Hombach
[erschienen in: Bild und Transformation - IMAGE 12 (Ausgabe Juli 2010)]

Schlagwörter: Fiktionale Bilder, Zukunftsbilder, epistemische Bilder, Bildinhalt, Bildreferenz, illokutionäre Funktion, illokutionäre Marker

Disziplinen: Philosophie und Bildwissenschaft


Der folgende Artikel reflektiert über den Begriff der Zukunftsbilder und schlägt als begriffliche Explikation vor, Zukunftsbilder als spezielle fiktionale Bilder aufzufassen, deren spezifische Differenz in der intendierten zukünftigen Referenz liegt. Zukunftsbilder stellen zukünftige Sachverhalte demnach mit dem Anspruch dar, dass sie einmal real sein werden oder zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit real werden könnten. Der damit erhobene Erkenntnisanspruch muss sich aus den Bildverwendungsbedingungen herleiten lassen und den Betrachtern auch kommunikativ angezeigt werden.

The following article reflects upon the concept of images of the future. A conceptual explication is proposed in which images of the future are considered as a special kind of fictional images. The specific difference of these fictional images lies in the intended future reference. Images of the future depict future circumstances with the claim that they are to be real at a certain point of time or at least with a certain likelihood of becoming real. The herewith raised claim of insight has to be deduced from the conditions of image-use and the claim must be indicated to the observer within the communicative process.

1. Einleitung

Bildern wird in der Forschung ein Glaubhaftigkeitsplus zugeschrieben. Das heißt nicht, dass wir Bildern im besonderem Maße vertrauen können oder gar vertrauen sollten,sondern dass sie im Vergleich zur sprachlichen Darstellung eine höhere Wirksamkeit bei Einstellungsänderungen der Rezipienten besitzen. Die visuelle Darstellung von Ereignissen und Sachverhalten wird empirischen Untersuchungen zufolge tendenziell als realer empfunden, als dies bei sprachlichen Darstellungen der Fall ist. Dies gilt nicht nur für Fotografien, sondern für alle gegenständlich darstellenden Bilder. Eine nahe liegende Erklärung hierzu ergibt sich aus dem Wahrnehmungsbezug der Bilder: Zumindest die realistisch darstellenden Bilder können insofern als wahrnehmungsnahe Darstellungen gelten, als sie, semiotisch gesprochen, motiviert sind durch strukturelle Analogien zwischen Darstellung und Dargestelltem. Insofern durch diese Analogien teilweise dieselben kognitiven Mechanismen bei der Rezeption der Bilder aktiv sind, die auch bei der Wahrnehmung der dargestellten Gegenstände aktiv wären, wird die Neigung erhöht, das realistisch Dargestellte als real aufzufassen. Dies heißt selbstverständlich keineswegs, dass es wirklich real ist; es wird nur (gewissermaßen auf Grund einer systematischen Fehlerleistung unseres kognitiven Systems) insbesondere im Verhältnis zum sprachlich Dargestellten als realer empfunden.

In dem speziellen Fall der analogen Fotografie scheint dieses Realitätsempfinden berechtigt zu sein, da wir üblicherweise von einem kausalen Bezug zum Fotografierten ausgehen. Die Fotografie wurde in der Theoriegeschichte daher oft als ein objektives Verfahren der Wirklichkeitsdarstellung bezeichnet. Dies ist sicherlich in einem bestimmten Maße richtig: in dem Maße (nämlich), in dem wir Fotografien als eine Art Messinstrument verwenden, um uns Daten von Bereichen zu verschaffen, die uns mit unseren üblichen Wahrnehmungsfähigkeiten nicht zugänglich sind. Ein gutes Beispiel hierfür sind Röntgenaufnahmen, deren epistemischer Status etwa beim Zahnarzt in der Regel nicht angezweifelt wird. Dieses wie andere Beispiele sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Aspekte der fotografischen Verfahren stilistischen und damit auch rhetorischen Einflüssen unterliegen, so dass die Grenze zwischen dem kausal Verbürgten und dem rhetorisch Nahegelegten nur schwer zu ziehen ist. Daher wird die Fähigkeit, einen Eindruck von Realität glaubhaft zu vermitteln, realistischen Darstellungen insgesamt zugesprochen werden, unabhängig vom fotografischen Aspekt. Interessanter Weise hat entsprechend die Verbreitung der digitalen Fotografie die Glaubhaftigkeitseffekte der Fotografie auch nur wenig erschüttern können, obschon die digitale Fotografie auf der Ebene der Pixel in beliebiger Weise manipuliert werden kann und ihr kausaler Bezug damit grundsätzlich problematisch geworden ist. Unser Wissen, dass etwa die berühmt-berüchtigten Bilder von Abu Ghuraib digital (z.B. mit Handykameras) hergestellt wurden und die Realität des Dargestellten entsprechend nicht verbürgen können, war für ihre Wirksamkeit in der Öffentlichkeit von untergeordneter Bedeutung.

Gehen wir im Folgenden davon aus, dass sich Glaubhaftigkeitseffekte bei Bildern empirisch ausmachen lassen (vgl. die experimentelle Belege bei Levie 1987, S. 22 ff. und Kroeber-Riehl 1996, S. 84 f). Aus nahe liegenden Gründen wird (nun) jemand, der einen anderen (oder eine Gruppe von Personen) von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen will, auf Bilder zurückgreifen oder seine entsprechenden Versuche zumindest mit Bildern unterstützen. Dies ist uns etwa in der Werbung auch zur Genüge geläufig. Wie verhalten sich Bilder aber, wenn sie erklärter Maßen nicht mehr von realen Dingen handeln, sondern von zukünftigen Ereignissen und Sachverhalten? Kommt diesen Bildern dennoch ein Glaubhaftigkeitseffekt zu oder macht es einen Unterschied, ob wir wissen, dass diese Bilder fiktive Sachverhalte zeigen? Eignen sie sich gegenüber sprachlichen Mitteilungen auch dann besonders gut, wenn es darum geht, etwa auf zukünftige Gefahren hinzuweisen? All diese Frage lassen sich meines Erachtens letztlich nur empirisch klären. Dennoch ist es sinnvoll, sich einige grundsätzliche begriffliche Zusammenhänge klarzumachen, die uns auch in der Konzeption der empirischen Analysen behilflich werden können. Dies ist die Aufgabe des vorliegenden Artikels, die ich als eine genuin philosophische Aufgabe ansehe. In einem ersten Schritt werde ich hierzu die mir in diesem Zusammenhang wesentlich erscheinende Unterscheidung zwischen Inhalt und Referenz erläutern. In einem zweiten Schritt gehe ich auf die Frage nach speziellen kommunikativen Aspekten von Zukunftsbildern ein und werde in einem dritten und letzten Schritt schließlich die Erkenntnismöglichkeiten von Zukunftsbildern diskutieren.

2. Inhalt und Referenz

Auch bei Bildern über Zukünftiges ist (wie bei allen Bildern) die Unterscheidung von Inhalt und Referenz von zentraler Bedeutung. Als Inhalt bezeichne ich das, was wir in Bildern sehen. Was wir in Bildern sehen, kann (auf elementarer Ebene) als bestimmte Formen und Farben konzeptualisiert oder (auf der gegenständlichen Ebene) als jeweils spezifische Gestalten und Objekte interpretiert werden. Der interpretierte, gegenständliche Inhalt kommt einem Bild sicherlich nicht an sich zu; er wird ihm immer durch einen Verwender zugeschrieben. Dabei gibt es sicherlich Adäquatheitsbedingungen, so dass ein Inhalt nicht beliebig zugeschrieben werden kann, sondern intersubjektiv ausgewiesen werden können muss. Sagt ein Betrachter, er sehe in einem Bild einen Elefanten, so erwarten wir, dass er beispielsweise bestimmte Partien des Bildes als eine Rüsseldarstellung erkennt (und uns auch zeigen kann), (andere Partien als Darstellung der Ohren etc.)Indem in dieser Weise ein Inhalt zugeschrieben wird, erheben wir einen Gegenstand überhaupt erst in den Status eines Bildes. Ein Bild entsteht, anders gesagt, mit genau dieser Zuweisung eines Inhaltes zu einem dann als Bildträger verstandenen Gegenstand. Bilder sind also wie alle Zeichen Gegenstände, denen wir in bestimmter Weise einen Inhalt zugeschrieben haben. Dabei ist es ganz unerheblich, ob dieser Inhalt fiktional ist. Die fiktionalen Bilder (unter denen als spezifische fiktionale Bilder die Bilder über Zukünftiges fallen) haben sicherlich einen Inhalt. Sie unterscheiden sich aber dadurch von nicht-fiktionalen Bildern, dass sie keine Referenz haben. Als Referenz bezeichne ich die Relation, die zwischen dem Bild und dem in Bild dargestellten Gegenstand oder Sachverhalt besteht. Das Bild eines Einhorns hat entsprechend ein Einhorn als Inhalt, aber keine Referenz, weil es Einhörner nicht gibt. Der Inhalt (unabhängig davon, ob er bildlich oder sprachlich dargeboten wird) reicht aber aus, um sich bestens über Einhörner zu verständigen, so wie wir uns auch bestens über Winnetou oder Pippi Langstrumpf verständigen können, obschon wir sehr genau wissen, dass es sich um fiktive Personen handelt.

Die Unterscheidung zwischen Inhalt und Referenz ist für alle Zeichen relevant. Auch das Wort >Einhorn< hat beispielsweise einen Inhalt, jedoch keine Referenz. Wird nun gefragt, was das Wort >Einhorn< vom Einhorn-Bild unterscheidet, so können wir auf die spezifischen Weisen hindeuten, in der in beiden Fallen ein Inhalt zugeschrieben wird. Im Falle der Bilder hat dies viel mit perzeptuellen Kompetenzen zu tun, die uns bestimmte visuelle Gestalten als Darstellungen von Einhörner erkennen lassen; im Fall des Wortes >Einhorn< hilft uns die visuelle Gestalt dieses Wortes nicht weiter: Wir müssen den Inhalt, d.h. die lexikalische Bedeutung des Wortes bereits gelernt und in unserem kognitiven System verfügbar haben. Diese Art der Unterscheidung, mit der ich den schon erwähnten Begriff der Wahrnehmungsnähe erläutere, ist nicht unstrittig und auch etwas komplizierter als hier vorgestellt. Aber die damit verbundenen Probleme möchte ich hier zurückstellen (siehe etwas ausführlicher in: Sachs-Hombach 2003) und im Folgenden davon ausgehen, dass der Inhalt eines Bildes sich zumindest um Teile unserer Wahrnehmungskompetenzen verdankt, dieFragen nach der Bildreferenz davon aber unabhängig sind. Sofern es einen Referenten gibt, werden wir berechtigter Weise erwarten, dass er teilweise durch den Bildinhalt festgelegt wird. Ob ein Bild auf konkrete empirische oder auf abstrakte Gegenstände oder auch (im Fall desfiktionalen Bildes) gar nicht referiert, lässt sich aber in der Regel am Bild selbst nicht erkennen. Auch im Falle des Einhorn-Bildes wissen wir nur deshalb um dessen Fiktionalität, weil wir gelernt haben, dass es Einhörner nicht gibt. Jemand, der dies nicht gelernt hat, wird bis zur Aufklärung dieses Irrtums vermutlich denken, dass Einhörner wie andere Tiere in irgendeinem Teil der Erde leben.

Die Bilder über Zukünftiges, um die es uns hier gehen soll, sind eine Unterart der fiktionalen Bilder, weil sie wie diese einen Inhalt, aber auf jeden Fall keinen gegenwärtig existierenden Referenten besitzen. Dadurch wird deutlich, dass wir auch zuvor immer unterstellt haben, dass es sich bei der Rede von Referenz immer um aktuelle Referenz gehandelt hat. Es ist prinzipiell nicht auszuschließen, dass ein Gegenstand, der uns heute als fiktiv erscheint, in der Zukunft real sein wird. Es könnte sich etwa herausstellen, dass es Einhörner doch in einem uns bisher unbekannten Erdteil gibt. Entsprechend kann auch die Zeichnung eines Hauses heute als fiktional gelten, insofern wir uns dieses Haus nur ausgedacht haben, in der Zukunft aber als real, wenn dieses Haus inzwischen gebaut worden ist. Auch umgekehrt könnte sich herausstellen, dass die Darstellung eines für real gehaltenen Tieres in Wirklichkeit eine fiktionale Darstellung ist, weil sich die zuvor glaubhaften Zeugnisse, auf die sich die Darstellung gestützt hatte, als Fälschungen erweisen. Eine sinnvoll erscheinende Möglichkeit, den Unterschied begrifflich zu fassen, der fiktionale Bilder, die dem Beispiel des Einhorn-Bildes analog sind, von fiktionale Bildern im Sinne von Zukunftsbildern unterscheidet, lässt sich daher an einer an Zukunft ausgerichteten Referenz festmachen: Zukunftsbilder sind diesem Vorschlag zufolge gegenwärtig zwar ohne Referenz, sie wurden aber in der Absicht hergestellt, Sachverhalte darzustellen, von denen wir es für möglich oder für wahrscheinlich halten, dass sie in der Zukunft real sein werden.

Ausgehend von der elementaren Unterscheidung in Inhalt und Referenz schlage ich also zur begrifflichen Bestimmung von Zukunftsbildern vor, sie als fiktionale Bilder aufzufassen, deren spezifische Differenz in der intendierten zukünftigen Referenz liegt. Dies schließt einerseits die Ansicht ein, dass ein Bild nicht durch eine intrinsische Eigenschaft des Bildes zu einem Zukunftsbild wird, sondern durch die auf Zukunft gerichtete Intention des Bildherstellers. Andererseits führt dies aber zu dem Problem bzw. der Frage, woher der Bildbetrachter in diesen Fällen denn weiß, dass es sich um ein Zukunftsbild handelt, denn in den seltensten Fällen ist es möglich (und in der Regel auch gar nicht nötig), den Bildhersteller über seine Intentionen zu befragen. Damit kommen wir zur Frage der Erkennbarkeit von Zukunftsbildern im kommunikativen Prozess.

3. Kommunikative Aspekte der Zukunftsbilder

Um ein Bild als Zukunftsbild zu erkennen, müssen wir es immer auch als fiktionales Bild erkennen. Weder der fiktionale Status noch der Zukunftsaspekt sind den Bildern selbst unmittelbar zu entnehmen. Sie ergeben sich erst durch das Wissen um die Referenz des Bildes. Insofern wird der Bildhersteller, wenn es ihm wichtig ist, dass sein Bild als ein fiktionales Bild erkannt und verstanden wird, zusätzliche Hinweise geben (müssen), die eine entsprechende Betrachtungsart nahe legen (bzw. wird er, wenn er dies verschleiern will, alle diese Hinweise unterdrücken). Die Hinweise auf den Status der Referenz lassen sich – in Anlehnung an die Sprechakttheorie – als illokutionäre Marker verstehen, mit der die illokutionäre Rolle des Bildes angezeigt oder betont wird (vgl. Sachs-Hombach 2006). Hierbei sind das Über-Zukünftiges-Informieren oder auch das Vor-Zukünftigem-Warnen die spezifischen illokutionären Rollen des Bildes. Der einfachste Fall eines illokutionären Markers, der ein Bild als Zukunftsbild auszeichnet, ist ein Hinweis in einer Bildunterschrift, der den dargestellten Sachverhalt als einen in der Zukunft liegenden, evtl. prognostisch ermittelten Sachverhalt bestimmt.

Schwieriger und weniger eindeutig ist der Einsatz von bildinternen visuellen Markern. Betrachten wir hierzu zunächst den Fall, dass lediglich der fiktionale Aspekt eines Bildes herausgehoben werden soll. Dies wird oft schon gelingen, wenn ein Gegenstand in für uns ungewöhnlicher oder fremder Weise dargestellt wird, etwa durch die Kombination von Aspekten, die uns jeweils einzeln, aber nicht in ihrer neuen Zusammenstellung bekannt sind. In dieser Weise ist das Einhorn-Bild kombiniert aus der Darstellung eines Pferdes und der Darstellung eines Horns. Jeder einzelne Aspekt referiert auf reale Gegenstände, in der Kombination wird mit der Darstellung aber ein neuer, nun fiktiver Gegenstand entworfen. Selbst bei sehr realistisch gezeichneten Einhorn-Bildern weist uns also die ungewöhnliche Zusammenstellung auf die Fiktionalität des Bildes hin, wobei der Eindruck des Ungewöhnlichen aber wiederum ganz entscheidend von unserem Weltwissen abhängt und damit auch individuelle Unterschiede aufweisen kann.

Eine ungewöhnliche Zusammenstellung kann auch vorliegen, wenn nur der Hintergrund des Bildes einen ungewohnten Kontrast zum dargestellten Gegenstand bietet. Die vor dem fremdartigen Hintergrund erscheinenden Gegenstände wirken dann selber irreal. Auch dies setzt natürlich einen uns vertrauten Standardkontext (und ein entsprechendes Weltwissen) voraus, dem gegenüber wir einen Hintergrund überhaupt erst als fremdartig erleben. Der Eindruck von Fiktionalität wird daher, etwas allgemeiner gesagt, durch den Kontrast zu dem Wissen erzeugt, mit dem wir standardmäßig den thematischen Gegenständen und Kontexten eine bestimmte Form und ein bestimmtes Aussehen unterstellen.

Etwas komplizierter ist der Fall, wenn es sich um die spezielle Form der auf Zukunft gerichteten fiktionalen Darstellungen handelt. Es ist in diesem Zusammenhang sehr interessant, sich erneut ältere Science Fiction Filme (etwa Raumpatrouille Orion) anzusehen, die einerseits durchaus erkennbar auf Zukunft angelegt sind, die andererseits aber zum Teil merkwürdig altmodisch und überholt wirken. Sie machen deutlich, dass die in der jeweiligen Gestaltung umgesetzten Vorstellungen über Zukunft selber geschichtlich sind und mitunter sehr deutlich als längst vergangene Zukunftsbilder empfunden werden, auch wenn sie gegenwärtig noch immer in der Zukunft liegende Sachverhalte abbilden. Es handelt sich gewissermaßen um unglaubhafte Zukunftsbilder, die weitaus mehr über die Vergangenheit zu verstehen geben als über die Zukunft. Es wird mit diesem Beispiel klar, dass die jeweiligen Zeitbezüge des Bildes in unterschiedlicher Weise und zudem gleichzeitig zum Tragen kommen können. Im Beispiel der Serie Raumschiff Orion betrifft der Zukunftsaspekt lediglich die technische Ausstattung, der Vergangenheitsaspekt wird dagegen im Design und weiteren formalen Darstellungsweisen deutlich. In beiden Fällen heben sich die vermittelten Aspekte durch unser jeweiliges Wissen ab, beim Zukunftsaspekt durch unser Wissen um den Stand der Technik (es gibt gegenwärtig eben noch keine Raumschiffe), im Vergangenheitsaspekt durch unser Wissen um die gestalterischer Verfahren und stilgeschichtlichen Entwicklungen.

Mit dieser Unterscheidung wird nun deutlich, dass es mindestens zwei (und vermutlich viele weitere) Dimensionen gibt, über die der Eindruck von Zukunft vermittelt werden kann. Dieser Eindruck wird sich bei allen diesen Dimensionen dem Kontrast zu unserer Kenntnis des gegenwärtigen Zustandes der Welt verdanken. Indem der Zukunftsaspekt aber anhand unterschiedlicher Darstellungsdimensionen zum Ausdruck gebracht werden kann, wird es möglich, dass diejenige Dimension, die den Zukunftsaspekt vermittelt, von anderen Dimensionen, die eher Vergangenheitsaspekte vermitteln, überlagert wird und der Zukunftsaspekt damit zur bloßen Kulisse absinkt.

Sicherlich gibt es sehr vielfältige Möglichkeiten, einen Eindruck von Zukunft mit visuellen Mitteln zu bewirken. Diese Möglichkeiten vervielfältigen sich noch, wenn wir die Konventionen hinzunehmen, die zum besseren Verständnis von Bildern entwickelt worden sind bzw. jederzeit ergänzend entwickelt werden können. In der filmischen Darstellung ist es etwa üblich, Zeitverschiebung, die mit Traum oder Erinnerung einhergehen, durch eine unscharfe, etwas nebelig erscheinende Bildqualität zu vermitteln. Dieses Stilmittel ist sicherlich nicht in natürlicher Weise jedem Zuschauer verständlich, sondern nur durch die entsprechenden Sehgewohnheiten, mit denen dies Verfahren im Sinne einer Konvention verankert wird. Ich möchte die Vielfalt der einzelnen Verfahren hier nicht in Einzelnen besprechen, sondern als Zwischenresümee pauschalisierend festhalten, dass Bilder nicht intrinsisch zu Zukunftsbildern werden, sondern durch spezifische Weisen der Gestaltung, die innerhalb sehr unterschiedlicher Darstellungsdimensionen (etwa Verhältnis der Teile, Verhältnis von Figur und Grund, Stand der technischen Aspekte oder auch einfach nur das Design der dargestellten Gegenstände) einen Kontrast zu unseren Standardannahmen über Stand und Aussehen der Welt erzeugen kann. Diese Form der Gestaltung kann als Einsatz von visuellen Markern beschrieben werden, mit denen der Zukunftsaspekt als illokutionäre Rolle der Bilder herausgestellt wird.

Ein wichtiger Aspekt, der eine Präzisierung meiner begrifflichen Bestimmung erfordern wird, ist mit dem erreichten Stand der Überlegung aber noch ungeklärt geblieben. Die Zukunftsbilder, um die es in den folgenden Beiträgen gehen wird, sind sehr spezielle Zukunftsbilder, insofern sie mit dem Anspruch verbunden werden, etwas Sachhaltiges über die Zukunft zum Ausdruck zu bringen und damit idealer Weise auch einen Beitrag zur verträglichen Gestaltung von Zukunft zu leisten. Im Unterschied hierzu beinhalten etwa Science Fiction Filme zwar Zukunftsbilder in dem Sinne, dass in ihnen eine zukünftige Welt dargestellt wird. Es ist aber in der Regel ganz unklar, ob die dargestellten Welten überhaupt möglich sind (d.h. ob sie sich mit unseren gegenwärtigen physikalischen Erkenntnissen vereinbaren lassen und entsprechend real werden könnten). Das ist bei viele Szenarien, die in Science Fiction Filmen entworfen werden, aus empirischen oder gar logischen Gründen eher nicht der Fall. Es ist beispielsweise überaus fraglich, ob Raumschiffe jemals schneller als mit Lichtgeschwindigkeit werden fliegen können, wie es ebenfalls sehr fraglich ist, ob etwa die in Matrix entworfene Welt überhaupt konsistent gedacht, geschweige denn irgendwann einmal realisiert werden kann. Dies ist für den Zuschauer in der Regel aber ganz unerheblich, denn diese Art von Zukunftsbildern sind primär als Kulissen und entsprechend ohne den Anspruch gedacht, etwas Sachhaltiges über die Zukunft zum Ausdruck zu bringen. Wie lassen sich diese Bilder aber begrifflich von den Zukunftsbildern im engeren Sinn unterscheiden, denen es um eine >reale< Zukunft geht? Damit kommen wir zu dem dritten und letzten Punkt, zum Erkenntnisaspekt der Zukunftsbilder. Die speziellen Zukunftsbilder, um die es hier geht, sollen den Zukunftsaspekt nicht nur dekorativ aufweisen; sie sollen zukünftige Sachverhalte vielmehr mit dem Anspruch darstellen, dass sie einmal real sein werden oder zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit real werden könnten. Sie beanspruchen damit gewissermaßen, ihre Fiktionalität überwinden und so als Argumente für kommende kulturelle Transformationen dienen zu können. Wie ist es aber zu verstehen, dass wir mit auf Zukunft bezogenen und damit notwendiger Weise fiktionalen Bildern in der Lage sein sollen, Erkenntnisse zu erwerben oder zumindest zu vermittelt?

4. Zukunftsbilder und Erkenntnis

Die Frage, ob wir mit Zukunftsbildern Erkenntnisse im strengen Sinn erwerben können, würde ich eher verneinend beantworten wollen, da ich es generell für fraglich halten, dass wir Erkenntnisse über die Zukunft erwerben. In deterministischen Systemen ist es sicherlich möglich, genaue Vorhersagen zu treffen und so beispielsweise eine zukünftige Mondfinsternis zu bestimmen. Schon dies würde ich nicht im strengen Sinn als eine Erkenntnis über Zukünftiges bezeichnen, sondern als eine Anwendung unserer bestehenden Erkenntnisse auf die Zukunft. Noch problematischer ist es aber, dass bereits das Wetter und natürlich das menschliche Handeln keine deterministischen Systeme sind. Es handelt sich um nicht-deterministische Systeme, die, wenn überhaupt, nur statistische Aussagen erlauben und als Prognosen keine Erkenntnisse, sondern eher Wahrscheinlichkeiten darstellen.

Betrachten wir kurz die Voraussetzungen von Prognosen, die in der Wissenschaft durchaus üblich sind. Von einer guten wissenschaftlichen Theorie werden wir sogar erwarten dürfen, dass sie Prognosen zu generieren erlaubt, die dann evtl. auch als Bestätigung der Theorie dienen kann. Eine Prognose hängt hierbei zum einen vom jeweils unterstellten Ist-Zustand ab und zum anderen von den als relevant angenommenen Mechanismen und Gesetzlichkeiten, denen die Transformation des Ist-Zustandes unterliegt. Nur wenn wir beide Bereiche in befriedigender Weise erfasst und keine relevanten Einflüsse vernachlässigt haben, können wir annehmen, dass unsere Hochrechnung zuverlässig ist und einen zukünftigen Ist-Zustand hinsichtlich ausgewählter Parameter beschreibt. Das scheint mir bei überaus komplexen Phänomenen wie klimatischen Entwicklungen, für die zudem die jeweiligen gesellschaftlichen Voraussetzungen relevant sind, überaus schwierig zu sein. Unsere Prognosen werden daher einfach voraussetzen müssen, dass beispielsweise die zahlreichen durch menschliches Verhalten bedingten Einflussfaktoren gemäß den derzeitigen Kenntnissen konstant bleiben bzw. sich konstant entwickeln.

Aber lassen wir diese Probleme auf sich beruhen. Gehen wir davon aus, dass Prognosen auch in komplexen nicht-deterministischen Systemen in einem bestimmten Maße möglich sind und dass deren Vorhersagen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten werden. Was bedeutet dies nun für die Zukunftsbilder? Zur Klärung dieser Frage sollten meines Erachtens verschiedene Funktionen von Zukunftsbildern unterschieden und getrennt bedacht werden.

Unproblematisch ist der offensichtliche Fall, bei dem die Zukunftsbilder die wissenschaftlich ermittelten Prognosen lediglich veranschaulichen. Im Rahmen der Klimaforschung gibt es entsprechende Visualisierungen in großer Fülle. Bildern wird in dieser Funktion eine didaktische Funktion zugeschrieben. Sie liefern also nicht selber einen Erkenntnisbeitrag, sondern dienen als Vermittlungsmedium. Ihre prognostische Qualität wird von der Qualität der wissenschaftlichen Ergebnisse abhängen, ihre Wirksamkeit von ihrer geschickten Gestaltung. Die Berechtigung solcher Bilder steht nicht in Frage, ihre Wirksamkeit ist jedoch unklar. Da diese Bilder (im Beispiel Klimawandel) nur negativ verfahren, verleihen sie den zukünftig zu erwartenden Katastrophen zwar ein Aussehen, können aber vermutlich nur wenig positive Impulse für das je individuelle Handeln geben.

Neben den didaktischen Funktionen können Bilder durchaus auch im engeren Sinn epistemische Funktionen übernehmen und entsprechend dazu beitragen, mehr oder weniger direkt, Erkenntnisse erwerben. Hier sollten erneut zwei Funktionen unterschieden werden, je nachdem, ob Bilder in Entstehungszusammenhänge oder in Begründungszusammenhängen auftreten. In welcher Weise gilt dies aber auch für Zukunftsbilder? Mit diesen können wir sicherlich nicht in der direkter Weise Erkenntnisse erwerben, dass wir mit bildgebenden Verfahren zukünftige Zustände erfahrbar machen, denn diese sind in der Gegenwart empirisch eben nicht existent. Möglich ist es aber, dass Bilder innerhalb der prognostischen Tätigkeit eine orientierende Funktionen erhalten und so die Entstehungsbedingungen unserer Erkenntnisbemühungen prägen. Auch als Zukunftsbilder können Bilder in diesem Zusammenhängen als Analogiemodelle dienen, mit denen anhand der bildhaften Darstellung der thematischen Zustände und Sachverhalte eine komplexe Struktur von einem theoretisch bereits erfassten Bereich auf einen bisher unerforschten Bereich übertragen wird. Zwar ist der Nutzen bzw. Erkenntniswert solcher Analogiemodelle (auch wenn sehr genau präzisiert wird, worin die Entsprechungsverhältnisse in der Analogie bestehen) prinzipiell begrenzt, da mit diesen Modellen keine Geltungsansprüche, sondern nur strukturelle Ähnlichkeiten generiert werden. Die unterstellten Analogien können aber in normativer Funktion als Anweisung dienen, thematische Bereich anhand analoger Hypothesen genauer zu untersuchen. Ihnen kommt also eine wichtige Orientierungsfunktion zu, indem sie den Blick auf abstraktere begriffliche Zusammenhänge durch eine im Bild notwendig gegebene Akzentuierung und Perspektivierung erheblich beeinflussen und lenken. Dieser erkenntnisfördernde Modellcharakter bestimmter Bilder in der Wissenschaft scheint mir genau derjenige Aspekt zu sein, auf den die kognitive Ästhetik mit Bezug auf Kunstwerke hingewiesen hat. Auch Kunstwerke stellen Modelle zur Verfügung, die uns exemplarisch vorführen, wie wir in angemessener Weise bisher noch nicht befriedigend verstandene konkrete gesellschaftliche Vorgänge besser verstehen und beurteilen können.

Eine weitere Möglichkeit, mit Bildern zum Erkenntnisgewinn beizutragen, ergibt sich aus ihrer Verwendung als visuelle Argumente (vgl. Scholz 2000). In dieser Funktion können sie einen eigenständigen Beitrag nicht nur zur Entdeckung, sondern auch zur Begründung liefern, wenn sie komplexe Sachverhalte derart in schematischer Weise darstellen, dass sachliche Zusammenhänge, die in sprachlicher Form nur sehr mittelbar nachvollziehbar sind, anschaulich und damit intuitiv einsehbar werden. Eine visuelle Argumentationsfunktion übernehmen Bilder in diesem Sinne etwa in den grafischen Darstellungen geometrischer Theoreme. Das wird mit Zukunftsbildern nur in begrenzter Weise möglich sein. Zudem erfordern Bilder, die in diesem Sinne als >visuelle Argumente< Verwendung finden, einen klar vorgegebenen, in der Regel sprachlich bestimmten Kontext, der die Bildwahrnehmung, das Bildverständnis und auch die Leistungsfähigkeit von Bildern hinsichtlich der Erzeugung oder Änderung von Überzeugungen leitet.

Wie zu Beginn meiner Überlegungen betont, erachte ich die Fragen nach der konkreten Wirksamkeit von Bildern als empirische Fragen, zu deren Beantwortung wir entsprechend auf den Einsatz experimenteller Verfahren angewiesen sind. Hierbei scheint mir insbesondere die Frage interessant zu sein, ob sich die Wirksamkeit der Bilder nicht sehr schnell erschöpfen wird, wenn sie sich nur negativ auf das Warnen vor Katastrophen beschränkt und es ihr nicht gelingt, positiveine Identität für nachhaltiges und umweltverträgliches Handeln zu schaffen.


Literatur

  • Levie, W. Howard (1987): Research on Pictures: A Guide to the Literature, in: Willows & Houghton, 1-50.
  • Kroeber-Riel, Werner (1996): Bildkommunikation. Imagerystrategien für die Werbung, München: Verlag Franz Vahlen.
  • Sachs-Hombach, Klaus (2003): Das Bild als kommunikatives Medien. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft, Köln: Halem Verlag.
  • Sachs-Hombach, Klaus (2006): Kommunikative Verbindlichkeit. Anmerkungen zur Differenz sprachlicher und visueller Kommunikation, in: Hofmann, Wilhelm (Hg.): Bildpolitik – Sprachpolitik. Untersuchungen zur politischen Kommunikation in der entwickelten Demokratie, Münster u.a.: LIT, 181-196.
  • Scholz, Martin (2000): Technologische Bilder. Aspekte visueller Argumentation, Weimar: VDG.


Autor

    Klaus Sachs-Hombach: 1957 geboren, Studium der Philosophie, Psychologie und Germanistik in Münster, 1990 Promotion, 2003 Habilitation, Forschungsaufenthalte in Oxford und am MIT in Cambridge (MA); seit 2003 Oberassistent am Institut für Simulation und Graphik der Universität Magdeburg, seit 2007 Professor für Philosophie mit dem Schwerpunkt Kognitionswissenschaften an der TU Chemnitz.

    Forschungsschwerpunkte: Bild-, Zeichen-, Medien- und Kommunikationstheorien, Ästhetik und Kulturtheorie, philosophische Probleme der Psychologie, Psychologiegeschichte und Kognitionswissenschaft.

    Gründung und Leitung der Internetplattform „Virtuelles Instituts für Bildwissenschaft (VIB) der der Online-Zeitschrift IMAGE. Journal for interdisciplinary image science.


Publikationen (Auswahl)

  • Philosophische Psychologie im 19. Jahrhundert, Freiburg: Alber 1993.
  • Das Bild als kommunikatives Medium. Elemente einer allgemeinen Bildwissenschaft, Köln: Halem 2003.
  • (als Hg.): Was ist Bildkompetenz? Wiesbaden: DUV 2003.
  • Wege zur Bildwissenschaft. Interviews, Köln: Halem 2004.
  • (als Hg.): Bildwissenschaft zwischen Reflexion und Anwendung, Köln: Halem 2005.
  • (als Hg.): Bild und Medium. Kunstgeschichtliche und philosophische Grundlagen der interdisziplinären Bildwissenschaft, Köln: Halem Verlag 2006.
  • (als Hg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen und Methoden, Frankfurt/Main: Suhrkamp 2005.
  • (als Hg.): Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des visualistic turn, Suhrkamp 2008.


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