Daten, Bilder: Weltanschauungen. Über die Rhetorik von Bildern in der Hirnforschung


Autor: Alexander Grau
[erschienen in: IMAGE 4 (Ausgabe Juli 2006)]

Schlagwörter: Bilder in der Hirnforschung

Disziplinen: Philosophie, Neurowissenschaft


Since the 1970s, the technical development of functional brain imaging has made considerable progress. Despite the high technical level of Positron Emission Tomography (PET) and of functional Magnetic Resonance Imaging (fMRI), the related epistemological and semiotical problems have hardly been adressed. This article begins with a description of the technical basis of PET and fMRI. Then the epistemological problems of these procedures and their semiotic structures are outlined. The following hypotheses are brought up for discussion: The pictures produced in functional brain imaging are symbols and are therefore subject to specific semiotic problems. The semiotics of the procedures in question are connotative. PET/fMRI-pictures do not denote the source of the signal (the brain), but are exemplifying symbols giving room to a wide range of interpretations, which stands in contrast to the implied lack of ambiguity. This is why this technology is susceptible to nonscientific questions and interpretations – a problem which has accompanied brain science ever since its inception.

Abstract in Deutsch:

1. Einleitung

Dank funktioneller Bildgebungsverfahren ist es in den letzten Jahrzehnten möglich geworden, dem Gehirn bei seiner Arbeit „zuzusehen“ und so die Areale einzelner kognitiver Leistungen näher zu bestimmen. Mit großem, auch großem finanziellen Aufwand, wird seit Jahren erfolgreich an der Verbesserung dieser Verfahren gearbeitet. Dementsprechend wurden und werden diese neuen Techniken intensiv genutzt und es ergießt sich seit geraumer Zeit eine Flut von Forschungsberichten über die Forschungslandschaft, die dazu geführt hat, dass diese Bilder einen quasi ikonischen Status genießen und – wie seinerzeit das Apfelmännchen – paradigmatisch für die Forschung unseres Jahrzehnts stehen.

Im Folgenden, werde ich zunächst skizzieren worum es eigentlich geht. Daraufhin werde ich, um diskutieren zu können, wo die Probleme funktioneller Bildgebungsverfahren liegen, zunächst deren technische Seite skizzieren: – wie funktioniert das eigentlich? Daraufhin und um deutlich zu machen, dass kritische Einwände nicht nur der Phantasie poststrukturalistische Kultwissenschaftler entspringen, werde ich dann anhand zweier Studien kurz die wissenschaftspraktischen Probleme illustrieren, die funktionelle Bildgebungsverfahren mit sich bringen.

Neben diesen praktischen Problemen, haben die angesprochenen Verfahren jedoch auch eine Reihe unpraktischer Probleme. Deren Ursache liegt meines Erachtens in der semiotischen Architektur dieser Verfahren begründet. Ich werde daher im vierten Abschnitt dieses Beitrags die semiotische Architektur der den funktionellen Bildgebungsverfahren zugrunde liegenden Prozesse kurz illustrieren. Mein Ziel ist es dabei zu erläutern, inwiefern die empirische Unterbestimmtheit dieser Bilder in Hinblick auf gewisse Fragen zu einer Überkodierung förmlich einlädt. Überkodierungen aber sind nichts anderes als Weltanschauungen, innerhalb deren Semiotik Bilder in der Lage sind, eine herausragende Funktion einzunehmen. Der vorliegende Aufsatz lässt sich somit auch als ein Plädoyer für ein bisschen Ikonoklasmus auffassen.

2. Worum geht es?

Die suggestive Kraft moderner Bildgebungsverfahren liegt in der scheinbaren Eindeutigkeit, mittels derer die Messergebnisse dargestellt werden und die farbcodiert illustrieren, welche Gehirnareale bei bestimmten kognitiven Leistungen aktiv oder zumindest assoziiert oder korreliert sind.

Die Frage, die sich aus wissenschaftstheoretischer Sicht stellt, ist dabei relativ einfach: Was stellen die spektakulären und scheinbar so eindeutigen Fotos der Bildgebungsverfahren eigentlich dar, worauf beziehen sie sich und was lässt sich aus ihnen ableiten? Insbesondere diese letzte Frage ist von erheblichem metaphilosophischen Interesse, da die besagten Bilder gerne als Belege für die unterschiedlichsten philosophischen oder weltanschaulichen Aussagen benutzt werden. An diesem Punkt aber wird es kritisch. Es besteht eben ein erheblicher Unterschied, ob ich mit Hilfe der PET einen Tumor nachweise, ob ich kognitive Funktionen lokalisiere oder ob ich – dritte Ebene – anhand der hübschen Bilder Aussagen über das Selbstbewusstsein, über die Liebe, die Moral oder Gott formuliere. Schon die Lokalisation kognitiver Funktionen ist nicht ganz unproblematisch. Das ist die wissenschaftspraktische Ebene. Noch schwieriger ist die semiotische Ebene. Was bezeichnen eigentlich diese Aufnahmen und was lässt sich aus ihnen ableiten?

Um diese Frage zu beantworten, muss man sich zunächst die technischen Grundlagen der beiden wichtigsten funktionellen Bildgebungsverfahren, also der schon angesprochenen Positronenemissionstomographie (PET) und der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) vor Augen führen.

3. Verfahren

Sowohl die PET, als auch die fMRT nutzen das Phänomen der neurovaskulären Kopplung.

Sie bedienen sich also des Effekts, dass aktivierte Neuronen vermehrt Sauerstoff und Glucose zum Stoffwechsel benötigen, wodurch es zu einer Änderung des regionalen cerebralen Blutflusses (rCBF) und des regionalen cerebralen Blutvolumens (rCBV) kommt.

Die Bilder der PET beruhen letztlich auf einer Strahlung, die von einem radioaktiven Isotop ausgeht, dass zuvor inhaliert oder injiziert wurde. Aufgrund der neurovakulären Kopplung wächst die in einem Hirnareal detektierbare Strahlung proportional zum regionalen Blutvolumen oder zum regionalen Blutfluss. Zumindest in der Theorie. Praktisch sieht es so aus, dass die gemessene Photonenstrahlung, dass Blutfluss und kognitive Leistung drei verschiedene Dinge sind, die zwar in einem engen Verhältnis stehen aber nicht identisch sind. Das bedeutet, dass die vorhandenen Daten mit Kenntnissen beispielsweise über An- und Abflutungsfunktionen des markierten Wassers und der Sauerstoffkonzentrationen während verschiedener Untersuchungsphasen ergänzt und dementsprechend verrechnet werden müssen.

Die so erhalten Daten eignen sich aber mitnichten zur Visualisierung. Dafür müssen die nicht relevanten Daten zunächst eliminiert und das ungünstige und äußerst kontrastarme Signal-Rausch-Verhältnis optimiert werden. Doch auch nach der Kontrastierung sind die Daten für eine Korrelationen von Funktion und Hirnregion nur bedingt geeignet. Aus diesem Grund wird in den meisten Studien eine Kontrollmessung vorgenommen, bei der zumeist ein unspezifischer Reiz dargeboten wird. Die funktionelle Aktivität ergibt sich dann aus der Differenz der beiden Messungen und wird schließlich, um den gewonnenen Daten mehr Aussagekraft zu verleihen, über mehrere Versuchspersonen addiert und gemittelt.

Ein zusätzliches, nicht ganz unwichtiges Problem der PET, ist die zeitliche Auflösung. Es dauert eine Weile, bis sich die Isotope in dem jeweiligen Gewebe messbar angereichert haben und es dauert noch einmal, bis genügend aussagekräftige Daten gemessen werden können. Zwar ist es in den letzten Jahrzehnten – die ersten Scanner wurden in den 50er Jahren gebaut – gelungen, die erforderliche Messzeit auf einige wenige Sekunden zu reduzieren, doch ist das für kognitive Prozesse, die sich im Millisekundenbereich abspielen immer noch ein sehr langer Zeitraum.

Die fMRT kompensiert einige Nachteile der PET. Vor allem ihre zeitliche Auflösung ist wesentlich besser. Die fMRT macht sich eine Besonderheit des schon angesprochenen Zusammenhangs von Neuronenaktivität, Stoffwechsel und Blutfluss zunutze.

In Bereichen mit hoher synaptischer Aktivität kommt es zu einem erhöhten Verbrauch von sauerstofftransportierendem Hämoglobin. Da Sauerstoff für den Zellstoffwechsel benötigt wird, gibt das Hämoglobin diesen ab und es entsteht Deoxyhämoglobin. Der Mangel an Oxyhämoglogin führt allerdings zu einer Überkompensation, so dass der Anteil des Deoxyhämoglobins in Bereichen mit erhöhter neuronaler Aktivität sinkt.

Bei einer fMRT-Messung passiert nun folgendes: Da Deoxyhämoglobin paramagnetisch ist, richten sich die einzelne Moleküle, ähnlich kleinen Magnetnadeln, in einem angelegten Magnetfeld aus.

Mittels eines Impulses werden die Moleküle aus diesem primären Magnetfeld gekippt. Anschließend richten sie sich wieder nach und nach in diesem ursprünglichen Magnetfeld aus und verlieren dabei die Synchronisation, die ihnen der Impuls verliehen hat.

Die fMRT misst nun vereinfacht gesagt nichts anderes als genau diese Aufhebung der Synchronisation, da die Moleküle dabei Energie abgeben.

Die größere zeitliche Auflösung der fMRT ändert allerdings wenig daran, dass sie den gleichen Bearbeitungsprozessen unterliegt wir die PET.

Die von diesen Verfahren gelieferten Bilder sind also keine mit Fotos zu verwechselnden Abbildungen, sondern Konstrukte mehrfacher mathematischer Bearbeitungen äußerst kontrastarmer Daten und möglichst geschickter Subtraktion anhand von Kontrollmessungen.

Der häufig suggerierte Eindruck einer hochgradig signifikanten Erhöhung der Kortexaktivität in speziellen Hirnarealen, ist das Produkt einer Datenoptimierung und des Strebens nach kontrastreicher farblicher Darstellung. Die tatsächlich gemessenen Daten haben nicht annährend die Kontrastschärfe, die in den dargebotenen Bildern nahe gelegt wird.

4. Wissenschaftspraktische Probleme

Dass eventuelle wissenschaftstheoretische Bedenken nicht an den Haaren herbeigezogen sind, zeigen zwei Studien, die ich nicht unerwähnt lassen möchte, bevor ich zu unserem eigentlichen Thema komme. Um die Vergleichbarkeit, Exaktheit und Reproduzierbarkeit von PET-Studien zu überprüfen, untersuchten Roberto Cabeza und Lars Nyberg eine Reihe von Messreihen, die sich mit höherstufigen kognitiven Funktionen bei Menschen befassten. Cabeza und Nyberg arbeiten in ihrer Studie mit acht Kategorien kognitiver Prozesse, denen sie die auszuwertenden PET-Messungen zuordneten. Fasst man die Einzelergebnisse der Untersuchung zusammen, so zeigt sich, dass die ausgewerteten PET-Studien die klassischen Lokalisationsbeobachtungen bestätigen.

Allerdings sind die darüber hinaus erzielten Ergebnisse alles andere als eindeutig. Eine aussagekräftige Clusterbildung, wie sie eigentlich zu erwarten wäre, lässt sich aufgrund der ausgewerteten Daten nicht erkennen.

Dass dieses Untersuchungsergebnis kein Einzelfall ist, zeigt eine Review-Studie von David Pöppel. Pöppel untersucht in seiner Arbeit fünf PET-Studien über phonologische Verarbeitungsprozesse. Dabei geht er ebenfalls davon aus, dass bei Messreihen, die die gleichen kognitiven Funktionen untersuchen, die gleichen neuronalen Strukturen aktiviert sein müssten. Das bedeutet bei großzügiger und realistischer Auslegungen: Die Messreihen sollten gewisse Überlappungen zeigen. Genau dies ist aber nicht der Fall. Überlappungen sind zwar feststellbar, sie betreffen allerdings fast ausschließlich Hirnareale, deren Beteiligung alles andere als überraschend ist. Eine eindeutige studienübergreifende Clusterbildung findet sich hingegen nicht.

Offensichtlich sind die generierten PET-Bilder weitaus weniger eindeutig, als es zu erwarten ist und als es aus wissenschaftstheoretischen Erwägungen heraus erforderlich wäre. Das ist überaus unbefriedigend. Schuld daran sind technische Unzulänglichkeiten und unzureichende neurologische Kenntnisse. Erst vor sechs Jahren beispielsweise konnte Nikos Logothetis zeigen, dass das fMRT-Signal nicht mit dem Feuern von Neuronen einhergeht, sondern mit dem Einlaufen von Signalen. Ein fehlendes fMRT Signal bedeutet also nicht, dass dort keine Neuronen aktiv sind. Das heißt: Was wir bei den fMRT-Aufnahmen sehen, ist keine Aktivität des jeweiligen Hirnareals, sondern eher ein Produkt der Aktivität ganz anderer, gegebenenfalls weit entfernter Hirnareale. Natürlich steht zu erwarten, dass mit der eingehenden Information tatsächlich auch etwas geschieht, doch so einfach, wie man lange glaubte und wie man in den meisten populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen nach wie vor glauben macht - dass also die einfache Gleichung gilt: Intensive Einfärbung = Hoher Stoffwechsel = Hohe Neuronenaktivität – so einfach ist es nicht.

5. Die Semiotik der Bildgebungsverfahren

Soweit also mein Hinweis darauf, dass auch schon gemessen an ganz konservativen und fundamentalen wissenschaftstheoretischen Maßstäben, die von den bildgebenden Verfahren generierten Daten nicht ganz unproblematisch sind. Der eigentliche Witz der PET und der fMRT ist jedoch, dass die gewonnen Daten nicht – oder zumindest nicht nur – in Tabellen präsentiert werden, sondern in Bildern. Damit haben wir jedoch ein zusätzliches Problem. Zu der Unschärfe der Daten gesellt sich auch noch die Rhetorik der Bilder. Und es ist diese Rhetorik der Bilder, die in Studien wie der von Andrew Newberg verwendet wird. Schauen wir genauer hin:

Die Abbildungen funktioneller Bildgebungsverfahren sind das Ergebnis eines Signalverarbeitungsprozesses. Die Ansammlung von Regeln, mit deren Hilfe ein an einer Quelle erzeugtes Signal mit einer Botschaft korreliert wird, heißt im Folgenden Kode. Der Kode ordnet die Elemente eines übermittelnden Systems den Elementen eines übermittelten Systems zu.

Dabei übernimmt der Kode zwei Funktionen. Zunächst wählt der Kode eine Reihe von Signalen aus und unterdrückt andere: Die gemessenen Signale werden computerunterstützt gefiltert, brauchbare Daten werden festgehalten, störende oder unvereinbare aussortiert.

Darüber hinaus korreliert der Kode ein Signal oder ein Bündel von Signalen mit einer szintigraphischen Darstellung. Das bedeutet, dass mit Hilfe des Kodes diskontinuierliche, diskrete Messeinheiten ausgewählt werden. Aus diesen Messeinheiten werden diejenigen bestimmt, die für die jeweilige Botschaft relevant sind: die Signale.

Der Kode stellt somit aus einer relativen Unordnung von Messeinheiten eine relative Ordnung von Signalen her, die in unserem Fall als Bildpunkte – als Pixel – präsentiert werden.

Die Verbindung beider Kodefunktionen – Signalauswahl, Bildgenerierung – verführt leicht zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen. Der Grund dafür liegt in der durch die beiden Leistungen des Kodes erzeugten Uneindeutigkeit des Informations-Begriffs. Es empfiehlt sich daher in unserem Fall, drei Formen von Information zu unterscheiden:

Am Anfang steht die Information am Messgerät, also die durch die PET oder fMRT gemessene Strahlung. Diese Information1 wird durch das kodifizierende System korrigiert. Anstelle der relativen Unordnung der rohen Messdaten wird eine relative Ordnung, die Information2, generiert. Mit Hilfe dieser Information2 werden mittels Subtraktion die eigentlich relevanten Messdaten herausgefiltert, die Information3a, also die Feststellung, dass eine gewisse kognitive Leistung in einem speziellen Hirnareal eindeutig lokalisiert ist.

Damit haben wir das eigentliche Datenmessverfahren etwas grob in ein semiotisches Vokabular überführt. Der eigentliche Witz der funktionellen Bildgebungsverfahren liegt jedoch darin, dass die Information3a, die aufgrund ihrer komplexen semiotischen Generierung an sich schon einen weiten Interpretationsraum erschließt, in das Medium Bild übertragen und damit eine Botschaft zweiter Ordnung abgeleitet wird, eine Information3b, die sich gerne auf allgemeine, zumeist philosophisch-weltanschauliche Fragestellungen bezieht. Die Antwort auf solche allgemeine, eher weltanschaulich-philosophische Fragen stellt mithin die Information4 dar, wobei der Schritt von Information3a zu Information4 ganz anderen Regeln unterliegt, als die vorherigen. Die Pointe solcher Arbeiten liegt also darin, dass von der Generierung der Information2 auf die Botschaft der Information3b geschlossen und schließlich eine quasiphilosophische Deutung als Information4 nahe gelegt wird.

Der Kode als Ganzes entspricht in dem obigen Schema der Korrelation von den an der Quelle ausgehenden Signalen mit der Botschaft. Die verwendeten Kodifizierungssysteme sind dementsprechend Sub-Kodes, deren Aneinanderreihung den Kode des Gesamtsystems ergibt, wobei die ersten beiden Sub-Kodes Kodes klassischer Informationsbearbeitung darstellen, der dritte Sub-Kode hingegen, da er erst durch den Wechsel des Mediums zum tragen kommt, mittels einer bildrhetorischen und bildpsychologischen Analyse erschlossen werden kann.

Das alles bedeutet jedoch, dass der Kode als ganzes somit nicht nur die Regeln einer Zeichenfunktion enthält, sondern selbst das Zeichen ist. Dabei verbindet der Kode eine Ausdrucksebene (den Signifikanten) mit einer Inhaltsebene (dem Signifikat). Die Information2 ist dabei der Signifikant der Information1 und wird qua Kodifizierung zum Signifikat der Information3a usw.

Das Kodefizierungssystem der funktionellen Bildgebungsverfahren, soweit die erste These, ergibt also eine konnotative Semiotik.

Konnotative Semiotiken sind dadurch definiert, dass die Ausdrucksebene einer Semiotik eine weitere Semiotik darstellt: Die Inhaltsebene der gemessenen Daten wird zur Ausdrucksebene eines weiteren Inhalts, Information2 denotiert Information1 und konnotiert Information3a, die Botschaft. Information4 ist dementsprechend eine dreifache Konnotation der ursprünglichen Ausdrucksebene, die darüber hinaus mit dem Schritt von Information3b zu Information4 nur schwer semiotisch zu kontrollieren ist.

Analysiert man die einschlägige Literatur, so gewinnt man den Eindruck, dass die meisten Naturwissenschaftler die PET oder fMRT-Bilder als Indices interpretieren. Der Grund dafür ist zum einen die große Rolle, die dem Index für die naturwissenschaftliche Erkenntnis tatsächlich zukommt und zum anderen die ad hoc unterstellte Kontiguität zwischen dem funktionalen Zustand des Gehirns auf der einen und der Abbildung auf der anderen Seite. Diese Kontiguität ist allerdings problematisch, da der Zusammenhang zwischen der Annihilation der Positronen und dem generierten PET-Bild nicht indexikalisch ist wie das Brennen eines Waldstückes und der dadurch erzeugte Rauch.

Aus vergleichbaren Gründen sind die von den Bildgebungsverfahren generierten Abbildungen auch nicht ikonisch wie die, traditionell so kategorisierten, Fotografien. Zwar markiert auch der Fotoapparat und sein physikalischer Aufbau, ebenso wie der fotochemische Prozess von Aufnahme und Entwicklung, einen Kodifizierungsvorgang, bei dem Signale (elektromagnetische Strahlung zwischen 350nm und 750 nm), die von einer Quelle – wir denken uns eine Mohrrübe – ausgehen mit Farbpunkten auf einem Foto korreliert werden. Doch immerhin verursacht eine Mohrrübe, die Licht eines gewissen Frequenzbereiches reflektiert, auf dem erzeugten Foto ein Ding, das die Umrisse einer Mohrrübe hat und Licht in etwa in dem Frequenzbereich reflektiert, wie die ehedem fotografierte Mohrrübe. Der semiotische Zusammenhang zwischen dem Denken von Worten und einer PET-Aufnahme, die zeigen soll, welche Hirnregionen an dem Denken von Worten beteiligt sind, ist ein anderer.

Die zweite These lautet somit: Unter semiotischer Perspektive sind die Aufnahmen bildgebender Verfahren Symbole und unterliegen damit deren spezifischen zeichentheoretischen Problemen. Symbole sind konventionell und autonom. Sie bekommen ihre Bedeutung aus dem enzyklopädisch organisierten Symbolsystem.

Drittens: Durch die Überlappung von Ausdrucks- und Inhaltsebene aufgrund der oben analysierten spezifischen Bedingungen der Signalkodierung, sind die Aufnahmen bildgebender Verfahren nicht denotierend, sondern exemplifizierend im Sinne Goodmans. Allerdings unterliegen sie nicht nur einem einfachen, sondern einem dreifachen Exemplifikationsvorgang.

Exemplifikatorische Symbole sind gegenüber denotativen Symbolen dadurch charakterisiert, dass sie offen, unausschöpfbar und daher letztlich unterbestimmt sind. Die Unausschöpfbarkeit der Symbole erschließt sich symboltheoretisch dadurch, dass die Exemplifikation entgegengesetzt zur Denotation verläuft, also durch eine Rückbezugnahme auf das Denotierende vom Denotierten her.

Die Exemplifikation setzt also das jeweilige Symbol in Bezug zu einer Auswahl seiner Eigenschaften. Mit dieser Auswahl eröffnet sich zugleich ein Interpretationsraum, bei dem es nur Richtigkeit im Sinne von Adäquatheit und Angemessenheit einer Interpretation im Zusammenhang einer jeweiligen Praxis geben kann. Worauf sich ein exemplifikatorisches Symbol bezieht, ist somit eine Frage der Deutung und Geübtheit des jeweiligen Interpreten und des jeweiligen Kontextes.

Die Aufnahmen bildgebender Verfahren stehen als Symbole somit in einem komplexen semiotischen Verweisungs- und Interpretationszusammenhang, der einen nicht zu unterschätzenden Auslegungsspielraum konstituiert. Dieser aufgerissene Interpretationsraum ist aber die Folge der Logik der Zeichenerzeugung durch die funktionellen Bildgebungsverfahren selbst.

Zusammenfassend ergibt sich bisher also folgendes – thesenhaftes – Bild der Semiotik funktioneller Bildgebungsverfahren:

  • PET/fMRT-Signale unterliegen einer zweistufigen Codierung, die sie mit der Botschaft korreliert.
  • Die Inhaltsebene der ersten Kodierungsstufe wird dadurch zur Ausdrucksebene der zweiten Kodierungsstufe..
  • Eine Semiotik, deren Ausdrucksebene eine weitere Semiotik ist, ist konnotativ..
  • Zugleich sind PET/fMRT-Bilder zeichentheoretisch Symbole..
  • Als Symbole einer konnotativen Semiotik sind sie exemplifikatorisch..
  • Als exemplifikatorische Symbole beziehen sich PET/fMRT-Aufnahmen nicht denotativ auf den Zustand der signalgebenden Quelle (des neuronalen Zustands des Gehirns)..
  • PET/fMRT-Aufnahmen erhalten ihre Bedeutung durch den Bezug auf Merkmale, die selber wiederum Resultate eines Kodierungsprozesses sind..
  • Dadurch eröffnen PET/fMRT-Aufnahmen als Symbole einer konnotativen Semiotik einen Interpretationsraum, der in Kontrast steht zur suggerierten Eindeutigkeit denotativer Bezugnahme..

Ursache für die Implantationsfähigkeit von PET/fMRT-Aufnahmen in weltanschauliche Diskurse, ist die semantische Beschaffenheit philosophischer und kultureller Debatten. Philosophische Termini sind im Wesentlichen intensional, sie denotieren keine externen Gegenstände, sondern entfalten ein enzyklopädisches System konnotativer Bezüge. Die „Gegenstände“ dieses Sprachspiels sind weniger Ziele eines reflexiven Prozesses, als vielmehr die Basis unserer kulturellen und sozialen Existenz, also Grundlage und nicht Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Das bedeutet zugleich, dass das philosophische Vokabular semantisch unausschöpflich ist und die jeweilige Exemplifikation unterbestimmt bleibt. Diese Unterbestimmtheit philosophisch-weltanschaulicher Termini ermöglicht zwar die Offenheit philosophischer Sprachspiele, erzeugt aber bei deren Implantierung in empirische Wissenschaftssprachen semantische Unschärfen, die – das die These – mit Hilfe visueller Argumentation und der Eröffnung eines ikonischen Erkenntnisraumes überbrückt werden soll. Mit anderen Worten: Es kommt zu einer Überkodierung. Die dadurch entstehenden semiotischen Konstrukte tragen allerdings wenig – soweit zumindest meine Vermutung – zur Klärung wissenschaftlicher Fragen und lediglich Verwirrendes zur philosophischen Diskussion bei. PET/fMRT-Aufnahmen scheinen aufgrund ihrer inhärenten semiotischen Logik die in der Hirnforschung ohnehin vorhandene Tendenz zur ideologischen und allegorischen Überdeutung der eigenen Forschungsergebnisse zu verstärken.

Um diese Prozesse genauer zu analysieren, bedarf es nicht nur einer genaueren Beschreibung der Kodierungsstufen von Information1 bis Information3b, sondern vor allem einer genauen Untersuchung der bei der Generierung von Information4 ablaufenden Prozesse. An diesem Punkt jedoch, muss der hier skizzierte, zunächst rein semiotische Zugriff, um weitere methodische Instrumentarien ergänzt werden.

So steht zu vermuten, dass PET/fMRT-Aufnahmen in ihrer bildlichen Konzeption auf bildrhetorische Mittel zurückgreifen, wie sie aus anatomischen Darstellungen seit Beginn der Neuzeit bekannt sind. Ich habe an anderer Stelle schon einmal angedeutet (vgl. Verf. 2003, 80), dass ich davon ausgehe, dass es so etwas wie Pathosformeln der Darstellung des menschlichen Gehirns (und nicht nur des Gehirns) gibt, also tradierte, formelhafte Darstellungen, Perspektiven, Aufschnitte, Kontexte und dergleichen mehr. Eine umfassende wissenschaftliche und wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit den angesprochenen Verfahren, darf sich deshalb nicht auf die neurologischen, physikalischen oder verfahrentechnischen Probleme konzentrieren, die diese Techniken mit sich bringen, sondern muss kunstwissenschaftliche, semiotische und bildwissenschaftliche Perspektiven mit einbeziehen.

Literatur

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Fussnoten:

(1)

Seit Mitte der 1970er Jahre macht die technische Entwicklung funktioneller Bildgebungsverfahren rasante Fortschritte. Das technologische Niveau der Positronenemissionstomographie (PET) und der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) darf allerdings nicht den Blick darauf verstellen, dass die wissenschaftstheoretischen und semiotischen Probleme dieser Technologien noch kaum analysiert sind und eine Untersuchung der erkenntnistheoretischen Implikationen noch aussteht. Im vorliegenden Beitrag werden zunächst die technischen Grundlagen von PET und fMRT dargestellt. Darauf aufbauend, werden die wissenschaftstheoretischen Probleme dieser Verfahren skizziert und ihre semiotische Struktur umrissen. Dabei werden folgende Hypothesen zur Diskussion gestellt: Die Aufnahmen bildgebender Verfahren sind Symbole und daher mit deren spezifischen zeichentheoretischen Problemen behaftet. Die Semiotik der geschilderten Verfahren erweist sich als konnotativ. PET/fMRT-Bilder denotieren nicht die signalgebende Quelle (das Gehirn), sondern eröffnen als exemplifizierende Symbole einen weiten Interpretationsraum, der im Kontrast zur suggerierten Eindeutigkeit steht. Damit macht sich diese Technologie anfällig für außerwissenschaftliche Fragestellungen und Interpretationen und tradiert ein Problem, das die Hirnforschung von ihren Ursprüngen bis in die Gegenwart begleitet.