Visuelle Erkenntnis. Zum Bildverständnis des Hermetismus in der Frühen Neuzeit


Autor: Regula Fankhauser
[erschienen in: IMAGE 5 (Ausgabe Januar 2007) ]

Schlagwörter: Hermetik, Rationalismus, Emblematik, Epistemologie

Disziplinen: Kulturwissenschaft, Philosophie


The borderline between scientific knowledge and imagination isn’t as clear as it was believed for a long time. If we look back to the origins of modern scientific thought we can see how close visual arts and scientific thought used to be. A gaze at the pictorial cosmos of the hermetics shows how important visuality was for epistemological issues. Considering picture-writing, hermetic diagrams and alchemistic emblems one can understand the crucial role of Renaissance imagery for the development of scientific thought. It shows the heuristic power of image production and makes clear that the hermetic concept of visuality can be seen as a forerunner of modern ideas about scientific models.

Abstract in Deutsch:

1. More hieroglyphico vs more mathematico

1617 kommt Johannes Kepler an der Frankfurter Buchmesse ein Buch in die Hände: Robert Fludds „Utriusque cosmi historia“, gedruckt bei de Bry in Oppenheim, dem Distributionszentrum für europäischen Hermetismus und Rosenkreuzertum. Das Werk enthält in zwei Teilen eine Metaphysik und eine Physik – genetisch entwickelt aus der biblischen Schöpfungsgeschichte. Fludd, englischer Arzt und Hermetiker, wird der Mitgliedschaft bei den Rosenkreuzern verdächtigt, einer Art virtuellen Diskursgemeinschaft, die wissenschaftliche Forschung mit der Utopie politisch-gesellschaftlicher Erneuerung verbindet. Sein Hauptwerk, das Kepler von Frankfurt mit nach Hause nimmt, verdeutlicht auf exemplarische Weise Fludds „visuelle Epistemologie“: überaus reich bebildert – die Stiche stammen fast alle von Matthaeus Merian, dem zukünftigen Erben der de Bryschen Offizin und Insider im Kreis der Alchemisten und Hermetiker – übt es v.a. dank seinen Illustrationen eine Anziehungskraft aus, die auch einen heutigen Betrachter noch zu irritieren vermag. Deren Wirkung auf Kepler ist belegbar: das Buch wurde zum Anlass für eine Kontroverse zwischen Kepler und Fludd, in der es vordergründig um die Funktion von Bildern im wissenschaftlichen Diskurs, grundsätzlicher aber um den Begriff der Wissenschaftlichkeit selbst geht. Sie kann deshalb als komprimierte Form zweier sich voneinander abgrenzender „Mentalitäten“ (Vickers 1984) und in der Ablösung der einen durch die andere als Paradigmenwechsel (Kuhn 1977) innerhalb der Wissenschaftsgeschichte gelesen werden.

Was der deutsche Astronom, Mathematiker und Mystiker dem englischen Hermetiker in der Folge vorwirft, ist schnell referiert: Fludd schreibe einen dunklen und verworrenen Stil („occultum et tenebrosa“), er mystifiziere mehr, als dass er erkläre („mysteriae profundissimae“), und er verwende insbesondere die Bilder in einer Art und Weise, die ihm, Kepler, als Mathematiker, fremd sei: während seine eigenen Diagramme „more mathematico“ zu verstehen seien, so diejenigen Fludds „more hieroglyphico“. Und während er in seinen Arbeiten sich unmittelbar auf die physikalische Wirklichkeit (der Planetenbahnen) beziehe, so fokussiere Fludd in seiner Epistemologie auf das Bild: „To him, the subject of World Harmony is his picture of world (conceptus suus Mundi); to me it is the universe itself or the real planetary movements.“(Hervorhebungen R.F.).

Nun ist es aber nicht etwa so, dass Kepler sich symbolischem und numerologischem Denken gegenüber völlig abstinent verhalten hätte. Symbolisches Denken durchwirkt auf einer eher unbewussten Ebene in Form eines trinitarischen Subtextes seine wissenschaftlichen Konzepte. Und auch explizit hat sich Kepler mit kabbalistischer Symbolik befasst – wertet das aber als Zeitvertreib und Spielerei. Alles in allem formuliert er also eine Position, die als naturwissenschaftliche sich im Verlaufe des 17.Jahrhunderts etablieren konnte und ausreichend bekannt sein dürfte. „More hierogylphico“ und „more mathematico“ werden in diesem Prozess als zwei konträre methodologische Vorgehensweisen auseinanderdividiert und aufgrund der historischen Entwicklung, die als Teleologie des wissenschaftlichen Fortschritts bezeichnet werden könnte, hierarchisiert.

Von hier aus ist es auch nicht verwunderlich, wenn einige Exponenten der Wissenschaftsgeschichtsschreibung den Moment dieses Auseinanderdriftens enthistorisieren und die beiden Methodologien zu unveränderlichen und einander grundsätzlich ausschliessenden „Mentalitäten“ umdefinieren. So ist für Brian Vickers der ausufernde Gebrauch der Analogie charakteristisches Merkmal magisch-hermetischer Denkmentalitäten und unvereinbar mit einer szientifischen Mentalität, die sämtliche metaphorischen Vorgehensweisen zu eliminieren versucht. Das Bildverständnis der Hermetiker, das Kepler als „more hieroglyphico“ bezeichnet, wird in diesem Zusammenhang zu einem Sonderfall eines allgemeineren Problems, an dem exemplarisch die konträren Methodologien von hermetisch-magischer und rational-szientifischer Mentalität abgelesen werden können: dem Problem nämlich, wie sich Sprache zur Wirklichkeit, die sie beschreibt, verhält. Die Verwechslung oder mangelnde Unterscheidung zwischen Zeichen und Referenten kennzeichnet dabei die hermetische Position, die als semiologische charakterisiert werden könnte (Foucault 1971). Das hermetische Sprachverständnis tendiert gerade dazu, einen Zusammenhang zwischen Wörter und Dingen herzustellen und sprachmagisch die Manipulation von Wörtern als Einwirkung auf die Dinge zu begreifen. Die analogische Denkweise, die Sprache und Realität voneinander abhängig begreift, stützt sich dabei vor allem anderen auf die Bildlichkeit, die als Aehnlichkeit zwischen Zeichen und Referent die beiden verschiedenen Ebenen miteinander überblendet, Semiologie und Hermeneutik in der Form der Aehnlichkeit übereinanderlagert (Foucault 1971: 60).

Es ist deshalb nicht weiter erstaunlich, dass Fludd dem bildgebenden Verfahren methodologisch einen zentralen Stellenwert einräumt; die Bilder in seinen Werken sind mehr und anderes als Illustrationen. Sie sind Visualisierungen eines Erkenntnisprozesses, der seinen Gegenstand im Moment der pikturalen Darstellung erst entstehen lässt. Oder wie Fludd sich ausdrückt: „The true philosophy ... will diligently investigate heaven and earth, and will sufficiently explore, examine and depict Man, who is unique, by means of pictures.“ (zit. in Westmann 1984:179)

Demgegenüber spricht sich Kepler mit der Zurückweisung des more hieroglyphico für eine Trennung von Wort und Ding aus und vertritt eine szientifische Position, in der Zeichen und Referenten als unabhängige Variablen verstanden werden. Hier hat die Analogie nur noch in der Heuristik eine gewisse Bedeutung. Bildlich-symbolische Repräsentationen sind zwar für Kepler nicht bedeutungslos; Keplers Polyeder als Bild für Gottes archetypische Ideen gehört zu den Basics der wissenschaftsgeschichtlichen Bildergalerie. Aber sie sind „more mathematico“ zu verstehen, d.h. sie sind nachträgliche Uebersetzungen von etwas, was nur mathematisch angemessen formuliert werden kann. Damit sind sie von abegeleitetem und sekundärem Status und weisen von sich selber weg auf etwas prinzipiell Unanschauliches.

Hier zeichnet sich der Verlust der Anschaulichkeit ab, der die modernen Naturwissenschaften zunehmend charakterisieren sollte. Er geht Hand in Hand mit einem „naiven“ , aber janusköpfigen Bild- und Sprachverständnis: während einerseits das Ideal einer eindeutigen und streng formalisierten Sprache sich blind zeigte für die (notwendigen) Metaphorisierungen, die die wissenschaftlichen Codes durchsetzen, wurde andererseits das wissenschaftliche Bild gemäss einem naturalistischen Fehlschluss lange Zeit als Abbild missverstanden, ohne dass die medialen Bedingungen der Bildproduktion reflektiert worden wären. Erst mit der modernen Bilderflut und den neuen bildgebenden Verfahren in den Naturwissenschaften scheint die Frage, was denn nun die Bilder , die die Hochglanzmagazine von Science bis Nature füllen, eigentlich genau zeigen, aktuell geworden zu sein.

Mit der strikten Trennung von Zeichen und Referent und der Zurückweisung eines semiologischen Naturverständnisses haben die mechanistischen Naturwissenschaften des 17.Jahrhunderts viel gewonnen – und einiges verloren. Verloren ging nicht nur ein qualitativer Zugang zu den Phänomenen der Natur und ein differenziertes Bewusstsein bezüglich der Rolle, die Zeichen für die menschliche Erkenntnisleistung spielen, sondern insbesondere die Reflexion auf Formen und Funktionen der Bildlichkeit.

Aber: Was zeigen denn nun hermetische Bilder?

2. Zum Beispiel: Bilderschriften

Wenn Kepler auf den Begriff der Hieroglyphe zurückgreift, um Fludds Diagramme zu charakterisieren, so entspricht dies dem Sprachgebrauch der Zeit: Hieroglyphe bezeichnet im weiteren Sinne jede Art symbolischer Codierung, hieroglyphisch zu sprechen bedeutet in diesem Zusammenhang, in übertragenem oder bildlichem Sinne zu sprechen. Hieroglyphe also als Synonym für Symbol – wobei der Symbolbegriff in der Frühen Neuzeit in seiner grossen Spannbreite sämliche Formen der Allegorese, die damals zur Verfügung stehen, aufnimmt. Im engeren Sinn dagegen meint Hieroglyphe das Zeichen einer Bilderschrift – und als solche wurden die ägyptischen Hieroglyphen seit dem 15.Jahrhundert auch aufgefasst. Den Anfang macht 1419 ein nach Italien gebrachtes griechisches Manuskript mit 189 Beschreibungen von Hieroglyphen und ihren Bedeutungen, der sogenannte „Horapollo“, ein spätantiker Text, wahrscheinlich im 5.Jhd. in Koptisch verfasst. In ihm schien die Lösung des geheimnisvollen Codes enthalten zu sein. Die Hieroglyphen, die dort aufgeführt werden, sind jedoch weder ägyptisch noch phonetisch, wie es die ägyptischen Hieroglyphen waren. Es handelt sich vielmehr um den Grundstock einer Bilderschrift, der in der Folge fleissig rezipiert und weiterentwickelt wurde, dies v.a. in der Emblemliteratur und den Impresen, was schliesslich zu einem eigenen Wissenszweig, der sogenannten Hieroglyphik, geführt hat (vgl. Weingärtner 1997 und Wittkower 1983).

Die Entdeckung und die intensive Rezeption der Hieroglyphen in der Renaissance ist symptomatisch für das Sprach- und Bildverständnis der neuplatonisch-hermetischen Tradition. Sie gehören zu den schon fast als manisch zu bezeichnenden Bemühungen, neue (Bild-)zeichen zu erschliessen um neue Codes einführen zu können. Neben den Hieroglyphen sind es v.a. kabbalistische Buchstaben- und Zahlenmystik, die in der Hermetik der Renaissance zu einer Art Kulturtechnik entwickelt werden. Sie dienen letztlich dem Zweck, eine rhetorische Situation zu schaffen, in der Strukturen und Codes durch ständige Metaphorisierung der Interpretation unterworfen und dadurch ausgeweitet und aufgebrochen werden.

Die Vorliebe für Bilderschriften und Piktogramme entspricht dem semiologischen Denken der Zeit und versucht, Schrift und Körper einander noch stärker anzunähern. In der Signaturenlehre des Paracelsus wird jeder Sachverhalt als Zeichen lesbar, das auf etwas verweist, das ihm – beispielsweise in der Gestalt – ähnlich ist. Dem Wuchern dieser natürlichen Schriftzeichen versucht Paracelsus‘ Sprachpraxis nachzueifern, indem er in ständigen Neuschöpfungen und Metaphern diese sprachlich nachzubilden sucht. Dies gilt auch für die in der Renaissance gepflegte Piktoralisierung der Schrift: Bilderalphabete und Bilderschriften (vgl.Abb.1) versuchen, die Schriftzeichen den Signaturen anzugleichen und sie dadurch ontologisch zu verankern. Sowohl in den Signaturen wie in den Piktogrammen verkörpert sich der Schriftsinn; das Piktogramm ist – im Unterschied zum litteralen Schriftzeichen – nicht arbiträr; die ikonische Aehnlichkeit zwischen Zeichen und Bedeutung naturalisiert das Schriftzeichen und metaphorisiert im Gegenzug das Bild, das als Schrift nun mehr und anderes ist als simple Abbildung eines Gegenstands.



Abb. 1: Colonna, Francesco: “Hypnerotomachia Poliphili”. Riproduzione ridotta dell’edizione aldina del 1499, tomo primo, Milano 1998: 41


Die mythische Bedeutung, die den Hieroglyphen anhaftet, deckt sich mit der Erkenntnisleistung, die die hermetisch-neuplatonische Philosophie in ihnen zu entdecken vermag. Im Rückgriff auf Plotin vertritt Marsilio Ficino die Ansicht, dass die Hieroglyphen bei den alten Aegyptern eine Art gottähnlicher Wesenserkenntnis ermöglichten, da sie den Begriff einer Sache darzustellen vermochten, und zwar nicht in diskursiver Form, sondern in der simultanen Vollständigkeit eines Bildes. Die Auffassung, dass sich in der Hieroglyphe Sachwissen über den bildlich dargestellten Sachverhalt verdichte, setzt sich bis zu Erasmus fort, der für das Lesen und Verstehen der Hieroglyphen gründliche Kenntnisse der Eigenschaften der dargestellten Tiere, Pflanzen und Gegenstände voraussetzt.

Es handelt sich bei den Hieroglyphen nicht um ein didaktisches Hilfsmittel; denkbar wäre ja, dass die einfachere, weil der Anschauung unterworfene Codierung, einen unmittelbareren Zugang zum Wesen einer Sache ermöglichen würde. Aber der Weg über die Hieroglyphe ist keine Abkürzung, sondern ein Umweg, der zu einer vollständigeren Erkenntnis der Sache führen soll. Die Hieroglyphe zu entziffern, verlangt dem Leser eine beträchtliche Leistung ab.

Um den Decodierungsschlüssel richtig anwenden zu können, muss er die Sache, die als Bildzeichen eingesetzt wird, gründlich kennen. Sachkenntnis und Hermeneutik verschränken sich ineinander; von hier aus wird auch erklärbar, wie die Bilderschriften zunehmend als Geheimzeichensprache eingesetzt werden konnten - zum Zweck sozialer Kennzeichnung und Legitimierung.

Die Bilderschriften der Renaissance – so lässt sich zusammenfassen – verdeutlichen auf exemplarische Weise den Versuch, Zeichensysteme so einzusetzen, dass sie den Mechanismus der Interpretation in Gang bringen. Gesucht wird eine komplexe rhetorische Situation, die mit Lotman als metaphorisierende bezeichnet werden könnte (vgl Lotman/Gasparov 1979). Lotman definiert „rhetorische Situation“ als Nebeneinander zweier unterschiedlich organisierter Textstrukturen, die sich nicht aufeinander reduzieren lassen. Als metaphorisierende Variante dieser Situation bezeichnet er diejenige, die durch Voranstellung einer einfacheren, eindeutigeren Struktur auf paradigmatische Ausweitung und Interpretation tendiert. Als metonymische dagegen gilt diejenige, die durch Voranstellung einer komplexen, polyvalenten Struktur auf syntagmatische Einengung und Formalisierung drängt. Die rhetorische Situation, die die Hermetiker suchen, entspricht der metaphorisierenden Variante. Im Unterschied dazu wählen die Empiriker und Rationalisten der Frühen Neuzeit eher die metonymische Variante.

Die metaphorisierende Rhetorik der Hermetiker dient also der Ausweitung und Oeffnung der Bedeutungsgebung. Indem zwei unterschiedlich organisierte Codes – hier der piktorale, da der litterale – nebeneinander gestellt werden, eröffnet sich ein neuer Deutungsspielraum. Bild und Schrift lassen sich nicht ineinander übersetzen. Sie verweisen aber aufeinander und transformieren sich so gegenseitig. Im metaphorisierenden Spielraum wird nicht nur die Schrift naturalisiert, sondern vor allem das Bild zum Träger eines Schriftsinns.

Naturalisierung der Schrift – Metaphorisierung des Bildes, auf diese Formel liessen sich die verschiedensten „hieroglyphischen Techniken“ der Hermetik zurückführen.

3. Das hermetische Diagramm

Werfen wir nun aber einen Blick auf Fludds Diagramme. Was genau visualisieren sie? Und inwiefern stehen sie für einen symbolischen, oder eben „hieroglyphischen“ epistemischen Stil?

Als Beispiel soll das erste der Genesis-Diagramme dienen, die den ersten Teil des Buches über die Metaphysik des schon zitierten Werkes „Utriusque cosmi historia“ illustrieren. (Abb. 2).

Abgebildet wird ein schwarzes Quadrat, an dessen vier Seiten je die Worte „et sic in infinitum“ angebracht sind. Es handelt sich um die Visualisierung des Nichts als Anfang und Ausgangspunkt der Schöpfung. Das Diagramm ist für seine Zeit spektakulär: würde man die Kopfzeile der Buchseite, die hier mitabgedruckt ist, weglassen, so könnte es sich problemlos um ein Werk abstrakter moderner Kunst handeln. Die Kopfzeile jedoch weist es als Veranschaulichung eines Begriffs in einem Traktat aus – eben demjenigen von der Beschaffenheit des Nichts oder in der philosophischen Terminologie: der Privation.



Abb. 2: Fludd, a.a.O.: 26


Auf die Schwierigkeit dieses Begriffs nimmt auch der Text mit einem kurzen begriffsgeschichtlichen Abstecher Bezug. Im Rückgriff auf Augustin und dessen Auseinandersetzung mit den Manichäern, die ein dualistisches Weltbild und damit eine eigenständige Seinsweise des Dunklen vertraten, rekapituliert Fludd die christlich-aristotelische Position, die die Dunkelheit („tenebrae“) oder das Nichts („privatio“) als Negation verstehen: als Abwesenheit des Lichts („lucis absentia“) oder Mangel an Form („formae lucidae ablatio“). Die begrifflichen Schwierigkeiten, die die Bestimmung eines absolut Bestimmungslosen bieten, sind Teil der Philosophiegeschichte und werden von Fludd in einem Nebensatz erwähnt („privatio vero nominari non potest, nisi respectu cujusdam positionis“). Interessant und für unseren Zusammenhang relevant ist die Konsequenz, die Fludd aus dieser statuierten Schwierigkeit zieht: „Sed si recte consideretur tenebrarum significatio, illam latius quam privationis vocabulum se extendere percipiemus.“ („Wenn wir aber die Bedeutung des Dunklen richtig bedenken, so kann diese besser als durch das Wort „privatio“ (begriffen) durch ein sich Ausdehnendes wahrgenommen werden.“) Was also bereits auf der sprachlichen Ebene entschieden wird – der Vorzug des bildlich-konkreten Ausdrucks, „tenebrae“, vor dem abstrakt-begrifflichen, „privatio“ – enthält seine Entsprechung im Diagramm, das versucht, Finsternis als Metapher für das Nichts zu visualisieren.

Doch was genau zeigt dieses Diagramm, wenn es das Nichts als schwarze Fläche, die man sich in unendlicher Ausdehnung vorzustellen hat („Et sic in infinitum“), visualisiert? Das Diagramm –so die Antwort - versucht die Negation der Sichtbarkeit sichtbar zu machen.

Ein paradoxes Unternehmen – aber ein Unternehmen, das in der Modellbildung nicht unbekannt ist. Fludds Diagramm fungiert als Modell - als Modell von etwas, das Inhalt philosophischer Reflexion sein kann, dem die Philosophie aber begrifflich nicht Herr wird. Davon zeugen all die Anstrengungen der Philosophiegeschichte, die den Begriff des „Nichts“ zu bestimmen versuchen, dabei jedoch immer von etwas Gesetztem abstrahieren müssen. Ein Modell aber auch von etwas, das man sich nicht vorstellen kann. Vom sinnlosen Versuch, sich ein Nichts vorzustellen, können schon Kinder erzählen.

Ein Modell also – aber welchen erkenntnistheoretischen Status hat dieses Modell? Man könnte sagen, dass es etwas ins Bild bringt, was sich der Anschauung entzieht, aber andererseits nur als Anschauliches Gegenstand des Nachdenkens werden kann. Unanschaulich, nicht weil versteckt oder unter einer Oberfläche verborgen, sondern weil prinzipiell dem Sehen und der Wahrnehmung nicht zugänglich. Denn auch wenn man statt des abstrakten Begriffs des Nichts oder der Privation den bildlichen der Finsternis wählt: Finsternis ist nur wahrnehmbar, solange noch eine Spur von Licht vorhanden ist. Totale Finsternis kappt auch die Wahrnehmung der Finsternis.

Dass dieses schwarze Quadrat, das im Uebrigen die Strichführung und damit die Technik seiner Herstellung deutlich erkennen lässt, für das Nichts steht, ist unmittelbar evident; und doch kommen wir sofort in grosse Schwierigkeiten, wenn wir erklären müssen, was wir nun genau sehen, wenn wir das Nichts als schwarzes Quadrat sehen. Das schwarze Quadrat ist ein Modell des Nichts, insofern es in analoger Weise etwas zur Anschauung bringt, das Gegenstand der Reflexion sein kann, dem aber nie eine Anschauung direkt korrespondieren kann.

Der kreativ-heuristische Aspekt der Modellbildung wird in Fludds Genesis-Diagrammen offensichtlich. Schritt für Schritt entsteht hier die Welt, wie es in der Bibel vorgesehen und beschrieben ist, Bild für Bild lässt der Maler/Stecher Form aus der Materie entstehen. Und auch wenn sich Fludds Traktat in der Tradition der Genesis-Kommentare situiert, so ist er doch mehr und anderes als das. Die Prinzipien von Licht und Dunkel, die sowohl für den göttlichen Schöpfungsakt wie für den künstlerischen Malakt konstitutiv sind, werden als kreativer Malprozess vor dem Leser/Betrachter entfaltet und fungieren als Modell für die in der Genesis beschriebene Entstehung der Welt. Fludds Werk macht deutlich: Schöpfen heisst Sichtbarmachen. Von hier aus wird der besondere erkenntnistheoretische Status der hermetischen Diagramme verstehbar. Erkenntnis entsteht im Akt der Visualisierung und ist ohne diesen nicht einlösbar. Das Bild ist nicht sekundäre Illustration einer unabhängig von ihm gewonnenen Erkenntnis, sondern primäres Erkenntnismittel. Fludds Diagramme sind unverzichtbare Elemente seiner visuellen Epistemologie.

4. Das Emblem

Auch die Emblematik hat die spezifische Erkenntnisleistung bildhafter Darstellung zu nutzen gewusst. In der frühneuzeitlichen, vorwiegend protestantisch geprägten Buchproduktion markieren emblematische Darstellungsformen, die sich der vielfältigen Wechselbeziehungen von Wort und Bild bedienen, eine unübersehbare Präsenz. Angesichts dieser Tatsache scheint es problematisch, die protestantische Kultur vorschnell als bilderfeindlich zu bezeichnen. Fasst man unseren Zusammenhang ins Auge, wo die Verzahnung zwischen Protestantismus und Hermetik/Alchemie zu einer reichhaltigen und ausufernden Bildproduktion führen, so wird diese gängige Typisierung unhaltbar. Freilich macht es Sinn, die beiden konfessionell ausgeprägten Kulturen hinsichtlich des Bildgebrauchs zu unterscheiden. Während die katholisch-gegenreformatorische Tradition Visualität eher affektiv-religiös einsetzt, so verwendet die protestantische das Bild eher in einem kognitiv-moralischen Kontext.

Die zeitgenössische Vorliebe für die Kombination von verbalen und visuellen Codes hat also verschiedenste Ursachen. Sie liegen im Falle der hermetisch-alchemistischen Emblemliteratur in der Sache selbst, d.h. in der Natur ihrer Epistemologie. Dies soll an einem Beispiel gezeigt werden.

Zur Diskussion steht ein Emblem aus der „Atalanta fugiens“ von Michael Maier (Abb. 3), einem der bekanntesten alchemistischen Emblembücher seiner Zeit. Die „Atalanta fugiens“, erschienen 1617 wiederum bei de Bry in Oppenheim, besteht aus fünfzig Emblemen, gestochen von Matthaeus Merian, mit je einem erklärenden Diskurs und in der ursprünglichen Fassung mit einem musikalischen Fugensatz. In üblicher Dreiergliederung präsentieren sich die Emblemata als Ensemble von zusammenfassender Inscriptio, visualisierender Pictura und präzisierender Subscriptio. Ihnen folgt ein längerer diskursiver Haupttext, der das vom Emblem eingeführte und verrätselte Thema aufnimmt, ausbreitet und erweitert. Wichtig scheint mir zu betonen, dass die Kohärenz zwischen Emblem und diskursivem Haupttext oft nicht zu erzwingen ist; noch können Emblem und Discursus als zwei verschiedene, aber in sich konsistente Aussagen betrachtet werden. Vielmehr müssen die vielfältigen Verweisungsmöglichkeiten, die sich aus der Verschränkung von verbalem und visuellem Code und aus dem Ineinanderspiel von Emblem und Discursus ergeben, ins Auge gefasst und beschrieben werden. Eine einzige, wesentliche Korrelation zwischen Emblem und Diskurs allerdings lässt sich festhalten; letzerer hält sich nämlich, was die Argumentationsstruktur angeht, an dieselbe Form wie das Emblem: er vereinigt in sich die Darstellung eines zeichenhaften Sachverhalts, der sogenannten Res significans, mit dessen Auslegung, bleibt aber, was die Schlussfolgerung angeht, offen, d.h. überantwortet diese dem Leser/Betrachter (vgl. z.B. Warncke 1987).



Abb. 3: Maier, a.a.O.: 61


Das Emblem, das hier näher betrachtet werden soll, präsentiert als Res significans die geometrische Konstruktion. Die Inscriptio formuliert lapidar, wie die Utopie schlechthin, nämlich der Stein der Weisen, zu realisieren sei. Rezeptartig fasst sie zusammen, was der Alchemist auf der Pictura vorführt, und stiftet den Zusammenhang zwischen dem singulären Emblem und dem übergreifenden Textganzen der „Atalanta“, d.h. zwischen geometrischer Konstruktion und alchemistischem „Grossem Werk“. Die Subscriptio dann wiederholt erst noch einmal die Anweisung, um dann am Schluss das Rätsel mit dem Hinweis auf die Pictura als Pointe zu bringen: „Solt‘ dein Verstand und Sinn auch alles gleich ergründen/ So seh‘ die Mess-Kunst an/ darinn ist es zu finden.“ Was genau aber in der Mess-Kunst gefunden werden soll, das bleibt offen – es ist das eigentliche Rätsel, das die emblematische Lektüre zu lösen hat.

Sehen wir also die Mess-Kunst, die auf der Pictura dargestellt wird, genauer an:

Die Konstruktion, die der Alchemist vorführt, erinnert entfernt an all die vielen Proportionsbilder in der Tradition des Vitruvmanns, die die alchemistische Bildproduktion kennzeichnen. Auch hier nämlich haben wir ein Quadrat und einen Kreis, in die zwei menschliche Figuren eingeschrieben sind. Die ganze Konstruktion versinnbildlicht das alchemistische Werk, sein hochgesetztes Ziel wie – und dies ist nur in der Pictura lesbar - das Verfehlen dieses Ziels. Die Quadratur des Zirkels – höchstes Desiderat alchemistischen Strebens - misslingt.

Der Alchemist, der hier als Geometer agiert, versucht als zweiter Gott den Schöpfungsakt zu wiederholen, so wie er in der „Weisheit Salomos“, einem apokryphen Buch der Bibel, beschrieben wird: dort nämlich ist zu lesen, dass Gott die Welt nach „Mass, Zahl und Gewicht“ eingerichtet habe. Auf diese Stelle berufen sich all jene Bilddarstellungen, die Gott mit einem Zirkel bei der Konstruktion der Welt zeigen; auf diese Stelle nimmt auch diese Darstellung des Alchemisten als Weisen (vgl. seine turbanartige Kopfbedeckung) und Geometer Bezug. Unterstrichen wird damit das Schöpferisch-Konstruktive des alchemistischen Laborierens, das selbsttätige Hervorbringen von etwas Neuem, nie Dagewesenem. Dieses Neue kann sich in unterschiedlichen Phantasien ausprägen: in seinen bescheideneren Formen ist es ein Heilmittel zur Bekämpfung verschiedener Krankheiten oder ein Lösungsmittel zur Metallscheidung und –bestimmung. In seinen anspruchsvolleren Varianten dagegen tritt es als Lebenselixier auf, als Metalltransmutation oder gar als Homunkulus. Allen Formen aber ist gemeinsam, dass das künstliche Produkt, das schliesslich den alchemistischen Prozess krönt und abschliesst, das in der Natur Angelegte vollendet und den Alchemisten/Menschen von den Schlacken seines Menschseins reinigt und erlöst.

Die geometrische Konstruktion nun versinnbildlicht die verschiedenen Prinzipien des alchemistischen Werks: zuinnerst die Dualität mit Mann und Frau, die im sie umgebenden Kreis in die Einheit überführt wird – alchemistische coincidentia oppositorum, die oft als Androgynität allegorisiert wird. Quadrat und Dreieck alsdann stehen für die zwei Eckpfeiler alchemistischer Theorie, die wiederum mit Prozessstufen analogisiert werden. Das Quadrat repräsentiert die aristotelischen vier Elemente, in die – so die Erläuterung im Discursus – die gemischten und „unreinen“ Stoffzusammensetzungen verwandelt werden müssen. Das Dreieck wiederum steht für die drei paracelsistischen Prinzipien Sal/Körper, Sulphur/Geist und Mercurius/Seele, in die die vier Elemente überführt werden können. Ihnen entsprechen die drei Prozessstufen der formalen Auflösung (die „Schwärzung“), der Sublimatio oder Reinigung (die „Weissung“) und der Fixatio oder Verfestigung, Schliesslich der äusserste Kreis, der die letzte Transformationsstufe versinnbildlichen soll, nämlich die Herstellung der Quintessenz, des Elixiers, des Steins der Weisen.

Am Boden, neben und hinter dem Alchemisten, liegen weitere Zeugen seiner konstruktiven Bemühungen: die Skizze zeigt wiederum einen Kreis als Zeichen der Einheit, ein Quadrat und einen sechszackigen Stern als Zeichen der Vereinigung der vier Elemente. Daneben liegen ein Kreuz als Sinnbild seiner religiösen Ausrichtung und ein Winkelmass.

Was aber sofort und noch vor jeder sorgfältigen Lesart augenscheinlich wird, ist die Tatsache, dass die Konstruktion nicht aufgeht. Auf keinem anderen alchemistischen Bild wird das Scheitern des grossartigen Projekts derart unmissverständlich und anschaulich dargestellt. Bildkompositorisch wird der Zwischenraum zwischen oberer Ecke des Dreiecks und dem Punkt, wo der Zirkel auf dem äusseren Kreis aufruht, d.h. also der klaffende Zwischenraum, in dem sich das Scheitern zeigt, zum Zentrum des ganzen Bildes. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man diese emblematische Darstellung mit den vitruvianschen Proportionsbildern vergleicht, die sonst die alchemistische Bilderwelt schmücken: die hier dargestellte Konstruktion zentriert nicht den Menschen, der in die geometrischen Formen eingelassen ist, sondern rückt die Lücke in der Konstruktion in den Vordergrund. Der Proportionsmann wird hier nur zitiert, um auf sein Gegenteil zu verweisen. Die Disproportionalität ist augenfällig. Der Zirkel nämlich ist zu gross für den Menschen – sein Unternehmen ist deshalb von Vornherein zum Scheitern verurteilt. Und der Kreis, der auf einer quadratischen Mauer aufgezeichnet ist, passt schlecht in das Quadrat, seine Position wirkt zufällig. Die Mauer ist überdies in einem erbärmlichen Zustand; die Architektur, seit den italienischen Renaissancekünstlern Inbegriff konstruktiven Kunstwillens und Vorbild für Proportionalität, ist selbst vom Verfall gezeichnet, der Zeit unterworfen.

Nun könnte die Skepsis des Alchemisten gegenüber der Realisierbarkeit seines „Grossen Werks“ durchaus auch anders verbildlicht werden – in der „Atalanta fugiens“ finden sich Embleme, die die Unmöglichkeit des Unternehmens z.B. anhand eines verschlossenen, von einer hohen Mauer umgebenen Gartens oder anhand einer zu kurzen Leiter darstellen. Die Tatsache, dass in diesem Emblem die Geometrie als Res significans bemüht wird, ist signifikativ. Der Zweifel, den das Bild festhält, trifft nicht nur das alchemistische Opus, sondern ebenso die Sache, die hier als Zeichen zur Darstellung von etwas anderem eingesetzt wird: die Geometrie. Die Geometrie gilt seit Platon als Königin der Wissenschaften; sie ist eine Art Initiationswissenschaft – wer nichts davon versteht, der soll jede wissenschaftliche Anstrengung sein lassen; dies jedenfalls legt die Inschrift über der Türe zur platonischen Akadamie dem Eintretenden nahe. Darauf nun nimmt wiederum der erläuternde Discursus Bezug: dort findet sich nämlich eine explizite Kritik an der platonischen Anamnesistheorie und am programmatischen Dialog „Menon“, welcher für den Beweis, dass die Seele im Besitz präexistenter Ideen ist, an die sie sich nur zu erinnern braucht, ein Beispiel aus der Geometrie benutzt. Die Kritik trifft so nicht nur die Anamnesistheorie, sondern auch den Primat, der in der platonischen Erkenntnistheorie der Geometrie zugewiesen wird. Diesem antwortet der Alchemist mit dem Primat der Physik, d.h. einer an der Materie sich orientierenden, (al-)chemischen Vorgehensweise, die die geometrischen Formen nur als Repräsentationsmodus für stoffliche Vorgänge betrachtet.

Die Zeitlosigkeit abstrakter, geometrischer Formen steht seit Platon für die Nobilität theoretischer Erkenntnis; die Sicherheit, die methodologisch durch ein streng deduktives Fortschreiten gewährleistet ist, führt unter Rationalisten der Epoche zur Uebernahme des „more geometrico“. Die Geometrie kennt kein Ungefähres. Entweder stimmt die Konstruktion oder sie stimmt nicht. Erkennbar allerdings wird dies in der Anschauung. Dieses Faktum weiss die Figura des Emblems zu nutzen. Die Evidenz, die von diesem misslungenen Meisterstück ausgeht, spricht für sich und steht aussagenlogisch in krassem Widerspruch zu dem verbalen Emblemtext, der die Figur einrahmt. Suggeriert der Verbaltext ein operatives Vorgehen, das an einen Algorhythmus erinnert, so inszeniert der visuelle Text den Fehler, der im algorhythmischen Vorgehen selbst steckt: die Unangemessenheit des Vorgehens an den Gegenstand, der in der Alchemie als Erkenntnisgegenstand fokussiert wird.

Im Bild also wird auf einen Schlag sozusagen sichtbar, was im Discursus umständlich und z.T. wenig stringent als These entwickelt wird: spricht sich letzterer gegen den Primat der Geometrie und die theoretisch-konstruktive Methode aus, so visualisiert ersteres die Mess-Kunst als fehlgeschlagenes Projekt. Nur als Bildanschauliches wird es möglich, die Gleichzeitigkeit von Konstruieren und Verfehlen in Szene zu setzen und evident zu machen.

Durch den verbalen Text wird diese Bedeutung vorerst in einem konkreten Kommunikationszusammenhang deiktisch verankert: die Konstruktion steht für eine bestimmte Methodologie, auf die sich die Alchemie immer wieder abgestützt hat und die hier kritisiert wird. Als fehlgeschlagene Konstruktion steht sie überdies für das alchemistische Projekt als Ganzes und formuliert einen latenten Zweifel, in den das Phantasma des Grossen Werks immer wieder umkippt. Nur durch die Pictura jedoch wird eine noch grundsätzlichere Ebene ins Spiel gebracht. Sie macht nämlich eine Aussage über das Verfahren der Bildgebung selbst. Oder anders: nur im Bild wird die Gleichursprünglichkeit von „Bilden“ und „Verfehlen“ sichtbar. Nur im Bild wird die irreduzible Differenz von Wirklichkeit und Bild, das wir uns von ihr machen, fassbar. Genauer: in der Lücke, die das Bild zu seinem Zentrum macht.

5. Vorläufige Thesen

Das hermetische Denken, und speziell dessen alchemistische Ausprägung, ist ein Bilder-Denken, das seine Affinität zu Kunst und Aesthetik nie verleugnet hat. Auch in dieser Hinsicht kann es als vor-wissenschaftliches bezeichnet werden. Zu einem sogenannt wissenschaftlichen Denken gehört spätestens seit dem 19.Jhd. eine klare Auseinanderdifferenzierung von Kunst und Wissenschaft. Aesthetische Kriterien haben seither in der Wissenschaft nichts mehr zu suchen. Das Ideal einer szientifischen Objektivität, das seinen Ausgangspunkt paradoxerweise in der Kunst der Renaissance, d.h. in der Thematisierung von Perspektive und Proportion hat, schliesst Kategorien des Subjektiven wie Imagination und Bildhaftigkeit von sich aus und definiert sich als eine Sphäre der Regeln, der Logik und der Berechenbarkeit. Aus dieser Perspektive erscheint die Bilderwelt der Alchemisten als Ausdruck eines vorwissenschaftlichen , gewissermassen „primitiven“ Denkens, das bestenfalls für die Kulturwissenschaften von Interesse sein dürfte.

Dass diese strenge Grenzziehung zwischen einem rational-objektiven Wissensbereich und einem ästhetisch-subjektiven Imaginationsbereich so nicht haltbar ist, rückt zunehmend ins Bewusstsein einer zumeist interdisziplinär ausgerichteten Wissenschaftsgeschichte, die die „Piktoralisierung“ der Natur in den modernen Naturwissenschaften (vgl. Heintz & Huber 2001: 9) und die Art und Weise, wie epistemische Stile in Bilder Eingang finden und damit kommuniziert werden, ins Auge fasst.

Diese jüngste Hinwendung zum Bild könnte in den Hermetikern der frühen Neuzeit eine interessante Alternative zur Bildvergessenheit, verstanden als Ignoranz gegenüber Status und Wirkungsweise von Bildern in der mechanistischen Wissenschaftstradition, finden. Die hermetische Fokussierung auf das Bild, die bereits Kepler aufgefallen ist und von der er sich abgegrenzt hat, gibt Zusammenhänge zwischen ästhetischen und wissenschaftlichen Kriterien frei, die lange Zeit gar nicht erkannt werden konnten, weil sie tabuisiert wurden.

Einige dieser Zusammenhänge sind hier skizziert worden; sie sollen zum Schluss noch einmal zusammengefasst werden:

Zu erinnern ist zum Einen an das Bemühen der Hermetiker, eine metaphorisierende rhetorische Situation zu schaffen. Das Beispiel der Bilderschriften kann angeführt werden, um zu zeigen, wie die Hermetik versucht, vom „Buchstaben“ wegzukommen, d.h. den Sinn in Bewegung zu halten, flottieren zu lassen, und die metaphorische Bewegung nicht in einem letztgültigen Sinn zum Stoppen zu bringen. Das semiologische Denken ist zwar spirituell, aber gleichzeitig anti-metaphysisch: es gibt keinen abschliessenden Sinn und dementsprechend auch keine Verwalter und Zensoren, die darüber wachen könnten. In der metaphorisierenden rhetorischen Situation, die das hermetische Spiel mit den verschiedenen Codes herzustellen bemüht ist, geht es um eine paradigmatische Sinnentwicklung ausserhalb des semiotischen Objekts und nicht um eine syntagmatische Sinnpräzisierung innerhalb des semiotischen Objekts. Dieses „buchstabensprengende“ Vorgehen beruht auf einer Konfrontation verschieden strukturierter Texte, einem Nebeneinander von Codes, die nicht aufeinander reduzierbar sind und aus deren Kontrast der kreative Gedanke erst entstehen kann.

Zum andern ist der Stellenwert des Modells innerhalb der hermetischen Bilderwelt noch einmal zu erwähnen. Das hermetische Diagramm, wie es beispielhaft von Fludd in seinen Genesis-Diagrammen konzipiert wird, verdeutlicht, wie die Hermetiker modellhaftes Denken begreifen und einsetzen. Fludds Diagramme, die nicht Beiwerk, sondern integrales Moment seines Denkens sind, fungieren als Veranschaulichung eines prinzipiell Unanschaulichen. Grundsätzlich Verborgenem oder Unvordenklichem gilt das Interesse des Hermetikers. Dieses möchte er ans Licht bringen – ein paradoxer Vorgang, dem sich die reiche Bildproduktion besonders der Alchemie verdankt. Nur über das analoge Verfahren der Bildgebung scheint es möglich, über Geheimnisse zu kommunizieren, ohne diese zu entschleiern und aufzulösen.

Hermetische Erkenntnistheorie und Bildverständnis sind eng miteinander verbunden. Letzteres lehnt sich an das Kunstverständnis der Renaissance an und ignoriert das christliche Bilderverbot. Vielmehr orientiert sich der Hermetiker am Schöpfungsmythos und sieht sich selber in der Tradition des Homo secundus Deus. Erkennen heisst ihm deshalb hervorbringen oder sichtbar machen:die hermetischen Diagramme bringen etwas ins Bild, was für den Hermetiker als Bild Gegenstand der Reflexion wird. Im Akt der Visualisierung entsteht Erkenntnis.

Die Bilder der Hermetiker – Diagramme, Embleme, Systembilder – betonen ihr Gemacht-Sein; sei dies durch abstrahierende Darstellung, wie bei den Genesis-Diagrammen Fludds, oder durch emblematisches Verrätseln wie im Beispiel der „Atalanta fugiens“. In der Emblemkunst erweist sich das Zusammenspiel von visueller und verbaler Sprache als konstitutiv gerade für den bildstärkenden Charakter der Emblematik: anstatt illusionistisch die Bildhaftigkeit vergessen zu lassen, insistiert das alchemistische Emblem in seiner komplizierten Verweisstruktur auf seinem Charakter als zeichenhaftem Objekt. In zahlreichen Beispielen, von denen eines hier genauer angeschaut wurde, wird überdies die unauflösbare Differenz von Bild und Wirklichkeit selbst bildlich thematisiert. Sie ist die Bedingung von „Bildlichkeit“ überhaupt.

Das haben die Hermetiker gewusst – und ausgiebig davon Gebrauch gemacht.

Literatur

Baigrie, Brian S.: „Picturing Knowledge. Historical and Philosophical Problems Concerning the Use of Art in Science”, Toronto 1996.

Blumenberg, Hans: „Paradigmen zu einer Metaphorologie“, Frankfurt/M. 1998.

Böhm, Gottfried: „Was ist ein Bild?“, München 1994.

Böhme, Hartmut: „Feuer, Erde, Wasser, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente“, München 1996.

Fankhauser, Regula: „Alchemistische Hermetik und emblematische Darstellung.“ In: Kodikas 24, No.3-4, 2002: 27-37.

Fludd, Robert: „Utriusque Cosmi Maioris scilicet et Minoris Metaphysica, Physica atque Technica Historia: in duo volumina secundum cosmic differentiam divisa”, Oppenheim 1617-1621.

Foucault, Michel: “Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften“, Frankfurt/M. 1971.

Heintz, Bettina/Huber, Jörg (Hrsg.): „Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten“, Zürich 2001.

Imdahl, Max: „Ikonik. Bilder und ihre Anschauung.“ In: Böhm 1994: 300-324.

Kuhn, Thomas S.: “Die Entstehung des Neuen. Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte“. Frankfurt/M. 1977.

Lotman, Jurij/Gasparov, Boris: „La rhétorique du non-verbal.“ In: Rhétoriques, sémiotiques, 1-2, 1979: 75-95.

Maier, Michael: „Chymisches Cabinet derer grossen Geheimnussen der Natur“, Frankfurt/M. 1708.

Vickers, Brian (Hrsg.): “Occult and scientific mentalities in the Renaissance”, Cambridge 1984.

Vickers, Brian: “Analogy versus identity: the rejection of occult symbolism, 1580-1680”. In: Vickers 1984: 95-163.

Warncke, Carsten-Peter: “Sprechende Bilder – sichtbare Worte. Das Bildverständnis in der frühen Neuzeit“, Wiesbaden 1987.

Weingärtner, Helge: “Horapollo. Zwei Bücher über die Hieroglyphen“. In der lat. Uebersetzung von Jean Mercier nach der Ausg. Paris 1548, Erlangen 1997.

Westmann, Robert S.: “Nature, art, and psyche: Jung, Pauli and the Kepler-Fludd polemic”. In: Vickers 1984: 177-229.

Wittkower, Rudolf: „Allegorie und der Wandel der Symbole in Antike und Renaissance”, Köln 1983.

Yates, Frances A.: “Giordano Bruno and the Hermetic Tradition”, London 1964.


.
Fussnoten:

(1)

Eine strenge Grenzziehung zwischen rational-objektivem Wissensbereich und ästhetisch-subjektivem Imaginationsbereich wird zunehmend problematisch. Ein erneuter Blick auf einige Aspekte der vorwissenschaftlichen Bilderwelt der Hermetiker zeigt interessante Parallelen zu aktuellen Diskussionen rund um den epistemologischen Stellenwert des Visuellen. So weiss der Einsatz von visuellen Codes in Bilderschriften als buchstabensprengendes Verfahren die heuristische Kraft des Bildlichen zu nutzen. Das hermetische Diagramm sodann verdeutlicht, wie Hermetiker modellhaftes Denken begreifen und welche Rolle sie hierbei der Bildproduktion zuweisen. Und schliesslich lässt sich an alchemistischen Emblemen nachlesen, wie im Zusammenspiel von visueller und verbaler Sprache das nur Bildmögliche evidenziert und epistemologisch thematisiert wird.

(2)

Eine Zusammenfassung der Kontroverse findet sich bei Westmann 1984, dem auch die hier zitierten Stellen entnommen sind, und bei Yates 1964

(3)

Johannes Kepler, „Harmonice mundi“, zitiert aus: Westmann 1984, S.206

(4)

„I too play with symbols and have planned a little work, Geometric Cabbalah which is about the Ideas of natural things in geometry; but I play in such a way that I do not forget that I am playing. For nothing is proved by symbols...“, zit. in Westmann 1984, S.205

(5)

In jüngerer Zeit hat sich in der Analyse der Wissenschaftssprache ein „iconic turn“ abgezeichnet: Metaphern, die die wissenschaftliche Begriffssprache unterlaufen, werden hier zum Gegenstand der Untersuchung. Vgl. v.a. Blumenberg 1998.

(6)

Die Metapher ist nicht ganz zutreffend und müsste eigentlich durch diejenige der Verschiebung ersetzt werden. In der Frage, wie das Verhältnis zwischen hermetisch-magischen und rational-empirischen Wissenschaften historisch zu beurteilen sei, würde die Verschiebung am ehesten meine eigene Position bezeichnen können. Die Debatte reicht in die 80er Jahre zurück: Vickers u.a. bringen es auf die Formel „From Magic to Science“, Frances A. Yates dann korrigierend auf „Through Magic to Science“. Beide suggerieren, dass mit der Ablösung der hermetischen Tradition im Zeitalter der wissenschaftlichen Revolution „Magic“ definitiv verloren gegangen sei. Ich selber tendiere zu einer Formel „Through Magic to Science and viceversa“ – gerade auch was die oben skizzierte Bilderfrage anbelangt. Dies aber auszuführen, würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen.

(7)

Die Weiterentwicklung der Hieroglyphen ging denn auch im Umkreis politischer Machtzentren vonstatten und führte schiesslich zu einer Verbindung mit dem aristokratischen Gebrauch von Devisen und der Entwicklung individueller Symbole, die das Wesen ihres Trägers für Eingeweihte kennzeichneten (Imprese)

(8)

Ich zitiere im Folgenden aus der deutschen Erstübersetzung von 1708, die unter dem Titel „Chymisches Cabinet derer grossen Geheimnussen der Natur“ in Frankfurt bei G.H.Oerling erschienen ist.

(9)

Zur Interpretation des Emblems vgl. auch Hartmut Böhme, „Feuer, Erde, Wasser, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente“, München 1996, S.250ff.

(10)

Der Widerspruch, den der alchemistische Autor als Argument gegen die platonische Erkenntnistheorie geltend macht, lautet wie folgt: wenn doch der Knabe Menon beweist, dass selbst Kinder dank der präexistenten Ideen im Besitz geometrischen Wissens sind, dann ist nicht einzusehen, wer vor der platonischen Akademie, die den Unwissenden in der Geometrie den Zugang verwehrt, ausgeschlossen bleiben soll.

(11)

Hier die vollständige Passage aus dem Discursus: „Denen Philosophis und Natur-Weisen scheinet dieses alles nichts fremdes zu seyn/ dann sie heissen den Circul in eine Viereck/ und das Viereck durch ein Dreyeck wieder in einen Circul umzukehren. Und hiedurch bilden sie das simple Corpus ohne Winckel vor/ gleich als wie die vier Elementa durch ein Viereck oder Quadrat von ihnen vorgestellet wird. Andeutende: dass aus jeglichen schlechten (einfältigen) Cörper die vier Elementa musten geschieden werden. Ein solches Viereck entspringet aus der Physic, und wie einem jeden bekandt ist/ so stimmet es mit der Natur ein / und giebt dem menschlichen Gemüth zur Erleuchtung seines Verstands (...) weit grösseren Nutzen/ als die theoretische und von der Materi abweichende Mathematica (...).“ Michael Maier a.a.O, S.63.

(12)

So z.B. bei Descartes und Spinoza

(13)

Dieses nur Bildmögliche wird von kunsttheoretischer Seite und in der Tradition Panofskys auch etwa als „Ikonik“ bezeichnet. Der ikonische Bildsinn ist eine „dramaturgische Leistung“, die etwas als „evidente szenische Simultaneität“ erfahrbar macht,was im „Medium der Sprache weder als empirische Tatsache zu beschreiben noch auch als imaginierte Vorstellung zu erzeugen“ ist. Vgl. Imdahl 1994, S.310.

(14)

Am ausgeprägtesten geschieht dies im angelsächsischen Sprachraum. Vgl. stellvertretend: Brian S. Baigrie, „Picturing Knowledge. Historical and Philosophical Problems Concerning the Use of Art in Science“, Toronto/Buffalo/London 1996.

(15)

Von hier aus ist vielleicht auch verstehbar, warum Paracelsus derart die Gemüter erhitzte. Kein ernst zu nehmender Gelehrter der Zeit kam darum herum, in der Kontroverse um den Paracelsismus Farbe zu bekennen. Und der Stil der Diffamierungen („Caccophrastus“) zeigt, dass es hier um mehr ging, als um eine Frage der (medizinisch-chemiatrischen) Methode.

(16)

Zu diesem Problem der Allegorese vgl. Regula Fankhauser, „Alchemistische Hermetik und emblematische Darstellung“, in: Kodikas 24, No. 3-4, Tübingen 2002.