http://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/api.php?action=feedcontributions&user=Klaus+Sachs-Hombach&feedformat=atomGIB - Glossar der Bildphilosophie - Benutzerbeiträge [de-formal]2024-03-28T18:06:45ZBenutzerbeiträgeMediaWiki 1.30.0http://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Figur/Grund-Differenzierung&diff=26546Figur/Grund-Differenzierung2016-09-20T12:39:45Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Kommunikationstheoretische Assoziationen */</p>
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Bei der Gegenüberstellung von »Figur« und »Grund« handelt es sich um ein ganz allgemeines Prinzip der Wahrnehmung, das vor allem anhand der Bildwahrnehmung erkannt und untersucht worden ist und für diese auch besondere Bedeutung hat: In jedem Fall von Wahrnehmung ist das Wahrnehmungsfeld notwendig gegliedert in einen als ‘Figur’ bezeichneten fokussierten Bereich, der als aus dem Hintergrund des restlichen Wahrnehmungsfeldes hervorgetreten wahrgenommen wird.<br />
Diese Gliederung unterscheidet Wahrnehmung von verwandten, aber strukturell einfacheren Begriffen der Einwirkung von Welt auf die Aktivitäten eines Organismus. Beim Reflexbegriff etwa ist noch keine Figur/Grund-Differenzierung des Reizes enthalten: Der einem Reflexbogen zugeordnete Reiz ist entweder vorhanden oder nicht, seine situationale Einbettung in den Kontext für den Reflex nicht von Bedeutung.<ref>Allenfalls Krankheit oder Ermüdung – also dem Aktivitätsträger selbst und nicht dessen Umwelt zugerechnete Eigenschaften – können den Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion verändern. Zur Reflextheorie vgl. <bib id='Gallistel 1980a'></bib>, insbesondere Kap. 1 (vgl. <bib id='Sherrington 1947a'></bib>). </ref> Erst bei den komplexerem Verhalten<ref>Vgl. auch [[Exkurs: Handlungen]]: Handlungen im weiten Sinn.</ref> zugeordneten Wahrnehmungen macht es Sinn, von einem aus dem gesamten “Merkfeld” herausgehobenen Bereich zu sprechen, dessen Wirkung zugleich auch von dem Rest des Merkfeldes abhängt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Figur die visuelle Gestalt eines gesehenen, teilweise verdeckten Gegenstandes ist, eine Stimme in einer polyphonen Musikkomposition, die Geruchskomponente eines Parfums oder der Geschmack eines bestimmten Gewürzes in einem Gericht: Stets existiert diese Figur nur vor einem (oder: eingebettet in einen) zugehörigen Grund.<br />
<br />
<br />
==Verankerung in der Gestalttheorie==<br />
<br />
Um die Fülle der Informationen, die auf ein Lebewesen von seiner Umgebung einströmen, zu organisieren und für sein Verhalten zu nutzen, müssen selektierende und gruppierende Faktoren zusammenwirken. Wichtige Faktoren, die speziell bei den ‘Wahrnehmung’ genannten Phänomenen eine Rolle spielen, wurden in der [[Gestalt]]theorie zusammengestellt. Wahrgenommen werden keine isolierten Elemente – einzelne Empfindungen (wie sie etwa dem Reizungszustand einer einzelnen Sehzelle entsprechen würden) – sondern Gesamtheiten, die prinzipiell etwas sind, was in verschiedene Umgebungen eingebettet auftreten kann: Solche Gesamtheiten erscheinen damit prinzipiell als Gestalten vor einem Hintergrund und fokussieren auf diese Weise die [[Aufmerksamkeit]] auf bestimmte immer wieder vorkommende Konfigurationen.<br />
:<br />
[[Datei:450px-Kanizsa triangle.svg.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 1: Kanizsa-Dreieck]]<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung liefert dabei den Rahmen für die gestaltpsychologischen Gruppierungsregeln: Gestaltgesetze, wie das der Nähe, der Geschlossenheit oder der Kontinuität, zielen darauf ab, Teile des Gesichtsfeldes als ''eine'' Figur vom Rest abzuheben. So wird etwa das grafisch gar nicht vorhandene “weiße Dreieck auf weißem Grund” in Abbildung 1 als eine “gute Gestalt” vor einem weitgehend gleichfarbigen Hintergrund gesehen. <br />
:<br />
Als allgemeines Wahrnehmungsphänomen ist die Figur/Grund-Differenzierung weder speziell auf visuelle Wahrnehmung beschränkt, noch gar auf das Wahrnehmen von Bildern. Allerdings wurde das Phänomen vor allem anhand von speziellen Bildwahrnehmungen entdeckt und untersucht. <br />
<br />
===Entdeckung durch Rubin===<br />
<br />
In die Wissenschaft eingeführt wurde die Figur/Grund-“Illusion” um 1915 durch den dänischen Psychologen Edgar John Rubin (1886–1951) insbesondere am Beispiel der so genannten «Rubinschen Vase» (vgl. Abb. 2). Diese Grafik, bei der die Wahrnehmung zweier einander gegenüberstehenden Gesichter in die Wahrnehmung einer dazwischen stehenden Vase umspringt, spielt in Rubins zweibändigem Werk «Synsoplevede Figurer» (deutsch (1921): «Visuell wahrgenommene Figuren») zum ersten Mal eine wichtige Rolle.<ref>Rubin führte eine Reihe ähnlicher Bilder ein (etwa das schwarz-weiße Malteserkreuz), aber am bekanntesten wurde die «Rubinsche Vase».</ref> Rubins Grafik ist ein Spezialfall der so genannten multistabilen Wahrnehmung.<ref>Man spricht von ‘multistabiler Wahrnehmung’, wenn es zu spontanen Wechseln zwischen mehreren wahrgenommenen Inhalten ohne Änderung der Reizsituation kommt, z.B. wenn wir uns visuell zweideutigen Darstellungen wie der «Rubinsche Vase» oder dem «Necker-Würfel» gegenübersehen. Nicht immer verändern sich dabei die Bereiche, die als Figur bzw. Grund empfunden werden.</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Rubin-1.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 2: Die Grafik «Rubinsche Vase»]]<br />
Der aus Kopenhagen stammende Rubin verbrachte einige Zeit in Göttingen, worauf sich u.a. eine [[Phänomenologie|phänomenologische]] Perspektive in seiner Auffassung von visueller Wahrnehmung zurückführen lässt. Offensichtlicher noch ist allerdings seine Nähe zur [[Gestalt|Gestaltpsychologie]], insofern nämlich die «Rubinsche Vase» einen weiteren Beleg für deren These lieferte, dass das visuell Wahrgenommene nicht mit dem Netzhautbild identisch ist. An der «Rubinschen Vase» lässt sich so das Prinzip der Emergenz deutlich machen, nach dem wir Gegenstände unserer Umgebung als Ganze und auf einmal wahrnehmen. Wahrnehmung sollte demnach als ein produktiver Prozess der Gegenstandskonstitution aufgefasst werden, der das in unserer Erfahrung Erfasste mit Inhalten zur Lage und Beschaffenheit der jeweiligen Gegenstände versorgt, die nicht schon in den reinen Sinnesdaten enthalten sind.<br />
<br />
===Was bedeutet «Figur und Grund»?===<br />
<br />
Anhand der «Rubinschen Vase» lässt sich untersuchen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich Figur und Grund in der Wahrnehmung bilden bzw. wie zwischen verschiedenen Figur/Grund-Differenzierungen hin- und hergesprungen wird. Rubin formulierte 1915 folgenden „fundamentalen Satz“: <br />
:<br />
:''Wenn zwei Felder aneinander grenzen und das eine als Figur und das andere als Grund erlebt wird, kann das unmittelbar anschaulich Erlebte als dadurch gekennzeichnet betrachtet werden, daß von der gemeinsamen Kontur der Felder ein formendes Wirken ausgeht, das sich nur bei dem einen oder in einem höheren Grade bei dem einen Feld als bei dem anderen geltend macht.'' (<bib id='Rubin 1921a'></bib>: S. 36f.) <br />
:<br />
Im Falle bistabiler Wahrnehmung manifestiert sich dieses „formende Wirken“ nach beiden Seiten in gleichem Grade: Die Zuweisung von Figur und Grund ist austauschbar und fluktuiert spontan: In Rubins berühmtem Beispiel sehen wir alternierend zwei Gesichter gegen einen weißen Hintergrund und eine Vase gegen einen schwarzen Hintergrund. Zu einem gegebenen Zeitpunkt nehmen wir dabei immer nur eine der beiden Möglichkeiten wahr. Da das Erregungsmuster der Netzhaut sich dabei nicht verändert hat, kann es nicht als Ursache für den spontanen Wechsel der Zuweisung herangezogen werden.<br />
:<br />
Wie Rubin festgestellt hat, tendieren wir dazu, eine kleinere, geschlossene Form als Figur gegen den Grund der größeren umgebenden Flächeanzusehen.<ref>Weitere Faktoren, die dazu beitragen, bevorzugt eine Seite einer (potentiellen) Konturlinie bzw. einen Bildbereich als Figur erscheinen zu lassen, diskutiert etwa Arnheim (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 219 ff). Vgl. auch [http://scholarpedia.org/article/Figure-ground_perception Scholarpedia: Figure-ground perception]</ref> Der Figur kommt eine ''Dingqualität'' zu, während der Grund als eher schwer zu fassen und zu kategorisieren erscheint. Die Figur sticht heraus, der Grund tritt dagegen zurück. Insbesondere wird die sie trennende Kontur selbst stets der Figur zugerechnet, nicht dem Grund. Neuere psychologische Experimente haben Rubins These hinsichtlich der Kontur empirisch bestätigt (<bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897).<ref><bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897: ''In (a), following a vase-to-faces transition, the standard image was replaced by an embossed-face version of the same stimulus, whereas in (b), subsequent to a faces-to-vase change, an embossed-vase version replaced the standard.'' (vgl. die zugehörige [[Media:Rubin-Embossed.png|Bilddatei]]).</ref><br />
<br />
===Zusammenhang mit visueller Tiefenwahrnehmung===<br />
<br />
[[Datei:vexiAegypterin_m.jpg|thumb|Abbildung 3: «Ägypterin» – Variante der «Rubinschen Vase» mit mehr als zwei Tiefenebenen ]]<br />
Dass die Konturlinie zur Figur gerechnet wird, ihre Grenze markiert, bedeutet auch, dass der Grund als ''hinter'' der Figur weitergehend wahrgenommen wird, obwohl er dort nicht direkt zu sehen ist. Die Konturlinie wirkt als Grenze nicht für ihn. Die in Abbildung 3 gezeigte Variante der Rubinschen Vase – bei der es sich in diesem Fall tatsächlich nicht um eine Vase sondern um einen Kerzenständer handelt – demonstriert diesen Aspekt augenfällig: Denn neben den beiden Figur-Zuordnungen der klassischen Fassung – zwei im Profil einander gegenüberliegende Gesichter bzw. ein Kerzenleuchter – tritt hier als dritte Variante auf: ''ein frontal dargestelltes Gesicht zu beiden Seiten des Kerzenständers, das teilweise hinter diesem verborgen bleibt'' (und selbst vor einem weiteren Hintergrund mit sechseckigem Muster liegt).<br />
:<br />
Arnheim sieht die Figur/Grund-Differenzierung als speziellen Fall des Erzeugens von Tiefenstaffelungen in der visuellen Wahrnehmung, nämlich einer mit genau zwei Ebenen (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 228 ff). Das Beispiel der «Ägypterin» (Abb. 3) macht zudem deutlich, dass der Figurbereich nicht notwendig als jeweils vorderste Darstellungsebene betrachtet wird: Bildet in dem Beispiel das Gesicht den als Figur wahrgenommenen Bildbereich, so steht der Kerzenleuchter zwar davor, ist aber nicht Teil der Figur. Dabei erklärt das Prinzip der ''guten'' (einfachen bzw. bekannten) Gestalt – hier eines frontal gesehenen Gesichts –, wieso die Figur/Grund-Differenzierung eine solche Tiefenstaffelung motiviert.<br />
:<br />
Allerdings ist die allgemeine ''Tiefen''-Staffelung im Gegensatz zur Figur/Grund-Differenzierung nicht ohne weiteres auf andere Sinnesmodalitäten übertragbar: Mag beim Gehörsinn noch eine nach Entfernung gestaffelte Verallgemeinerung der Figur/Grund-Differenzierung Sinn machen, scheinen sich die anderen Sinne eher dagegen zu sperren: als ''Lokalsinne'' liefern sie keine ''Übersicht''. Eine durch ''Verdeckungen'' bedingte Dynamik in der Figur/Grund-Differenzierung muss hier ganz anders gefasst werden. Handlungstheoretisch läßt sich im Übrigen eine Verbindung herstellen zwischen der spezifischen Art der Figur/Grund-Differenzierung in der visuellen Wahrnehmung und der Fähigkeit, den Schärfebereich der Linse im [[Auge]] zu verändern – eine Verhaltensoption, die in den anderen Fernsinnen nicht gegeben ist. Zusammen mit der entsprechenden Augenorientierung (nämlich mehr (näher) oder weniger (ferner) abweichend von der Parallelität der optischen Achsen der Augen), bildet dieser effektorische Anteil des visuellen Wahrnehmungsapparates die Basis für die Kopplung der Figur/Grund-Differenzierung mit der Tiefenwahrnehmung.<ref>Die Akkomodation der Linsen wird meist nicht direkt bewusst gesteuert und ist normalerweise mit der relativen Verdrehung der optischen Achsen beider Augen gegeneinander gekoppelt, so dass die Linsen jeweils ungefähr auf die Distanz eingestellt werden, in der sich die optischen Achsen schneiden.</ref><br />
<br />
==Zwei Arten der Dynamik von Figur/Grund-Differenzierungen==<br />
<br />
Figur/Grund-Differenzierungen sind offensichtlich kein statisches Phänomen: Die die Wahrnehmung konstituierende Einteilung des Wahrgenommenen in Figur und Grund verändert sich mit der Zeit, selbst wenn keine Veränderung der äußeren Welt (der zugrunde liegenden Reizsituation) stattfindet. Diese Dynamik kann einfach der zeitlichen Abfolge entsprechen, in der verschiedene Bereiche des jeweiligen Merkfeldes in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken. Es kann aber auch um eine ganz andere Art der Verschiebung von Grund und Figur gehen, bei der etwas, was zunächst (ganzheitliche) Figur war, nun selbst (verschiedenen) Figur/Grund-Differenzierungen unterworfen werden kann. Dynamiken der ersten Art kann man vereinfachend als ‘horizontal’ bezeichnen, zumal sich der [[Horizont|Betrachtungshorizont]] dabei nicht verändert, die Wahrnehmung also, metaphorisch gesprochen, “in demselben Horizont bleibt”. Bei der zweiten Sorte verändert sich hingegen gerade der Wahrnehmungshorizont, wie bei einer vertikalen Bewegung oder einem Zoomen; daher die metaphorische Kurzbezeichnung ‘vertikale Dynamik’. <br />
<br />
===Die “horizontale” Dynamik===<br />
<br />
[[Datei:Gegenstände.jpg|thumb|Abbildung 4: Bild «Gegenstände» von [http://www.antje-bohnstedt.de/illustrationen/gegenstaende/farbe/ Antje Bohnstedt] ]]<br />
Bistabile Wahrnehmungen wie bei der «Rubinschen Vase», bei denen die Zuweisung von Figur und Grund sich immer wieder spontan umkehrt, stellen tatsächlich nur einen Spezialfall einer allgemeinen Variabilität der Figur/Grund-Bildung dar. Die Veränderung der konkreten Figur/Grund-Differenzierung kann dabei – muss aber nicht, wie die spontanen Wechsel bei multistabilen Wahrnehmungen deutlich werden lassen – durch Aufmerksamkeitsverschiebungen vom Wahrnehmenden beeinflusst werden. Beispielweise wird auch ein Betrachter des Bildes in Abbildung 4 – abhängig von seinen Augenbewegungen – zwischen verschiedenen Figur/Grund-Zuordnungen hin- und herspringen.<ref>Die Beobachtungen, die sich hierbei an der verhältnismäßig zufälligen Zusammenstellung von Gegenständen in einem Bild wie Abbildung 4 machen lassen, sind ohne weiteres auch auf kohärenter strukturierte Bilder (oder allgemeiner Szenen) von Gegenständen zu übertragen, wie beispielweise Stillleben.</ref> Verschiedene Bildbereiche werden jeweils als Figur vor dem restlichen Grund verwendet: Diese Wechsel sind bei [[Sortale Gegenstände und Individuation|sortalen Gegenständen]] besonders deutlich,<ref>Dazu passt, dass sortale Gegenstände zwar als ihre jeweils aktuellen Umgebungen (“Hintergründe”) übersteigende (nämlich persistente) Phänomene begriffen werden, gleichwohl aber auch nie außerhalb eines [[Kontext]]es erscheinen können. </ref> aber keineswegs auf diese beschränkt. Auch wenn beispielsweise die Pinselstriche eines Gemäldes betrachtet werden und die Aufmerksamkeit von einem besonders ausgeführten Pinselstrich zu einem benachbarten Strich wandert, geht das stets mit einer entsprechenden neuen Figur/Grund-Differenzierung des visuellen Wahrnehmungsfeldes einher: Was zuerst Teil des Grundes war, wird zur neuen Figur, und die alte Figur zum Teil des neuen Grundes. <br />
:<br />
Ganz analog ist ein Umschalten der Figur/Grund-Unterscheidung beim Hören die perzeptuelle Basis des Aufmerksamkeitswechsel bei einer polyphonen Komposition auf eine andere Stimme, oder auch auf eine andere Instrumentalgruppe im Gesamtklang eines ausgehaltenen Orchesterakkords; beim Riechen das Hervortreten einer anderen Geruchskomponente eines Parfums, oder beim Schmecken das Bemerken einer weiteren Zutat in einer Sauce.<br />
:<br />
<!-- »Figur« (bzw. auch »Gestalt«) und Objektbegriff... "aktuelle Gestalt" und persistenter Gegenstand --><br />
<br />
===Die “vertikale” Dynamik===<br />
<br />
Betrachten Sie in Abbildung 4 den Federball. Nun betrachten Sie den weißen Fleck, der sich in dem Bildbereich befindet, der die rote Kappe des Federballs darstellt. In beiden Fällen wird Ihre Wahrnehmung von einer entsprechenden Figur/Grund-Differenzierung begleitet. Allerdings wird nun das, was zunächst Figur war, selbst in Figur und Grund zerlegt. Obwohl der Übergang zwischen beiden zunächst wie ein Fall von “horizontaler” Figur/Grund-Dynamik aussieht, handelt es sich um ein wesentlich komplexeres Phänomen, das mit der Frage zusammenhängt, was es denn eigentlich ist, was sich (“horizontal”) in verschiedene Figur/Grund-Paarungen aufspalten lässt. <br />
:<br />
Insbesondere konstruktivistische Wahrnehmungstheorien unterscheiden zwischen dem, was schon in Figur und Grund getrennt ist (“so sehen wir die Welt”), und das, was sich – durch einen Betrachter – in (prinzipiell diverse) Figur/Grund-Differenzierungen aufgliedern lässt, aber selbst noch nicht so aufgespalten ist (“die Welt, die gesehen werden kann”, “das, was (mithilfe von darauf vorgenommenen Figur/Grund-Differenzierungen) wahrgenommen wird”). Neben die eigentliche Figur/Grund-Gliederung tritt damit ein Drittes, das man, einem Gedanken Heiders folgend, das ‘Medium’ der Figur/Grund-Differenzierung nennen kann.<ref>Vgl. Heider «Ding und Medium». Auch einer der Medienbegriffe der Systemtheorie Luhmanns ist an diese Aufteilung angelehnt. Dazu auch ⊳ [[Wahrnehmungsmedien]]. </ref> Charakteristisch für diese “vertikale” Dynamik der Figur/Grund-Differenzierung ist, dass das ''Medium'' für eine Figur/Grund-Unterscheidung selbst das Resultat einer anderen (“tieferen”) Figur/Grund-Differenzierung darstellt. Mit ihr ist insbesondere das Phänomen der Emergenz der dritten Dimension verbunden.<br />
<br />
[[Datei:11.png|thumb|Abbildung 5: Bistabile Grafik «Neckerwürfel»: 3D- versus 2D-Wahrnehmung ]]<br />
Am Beispiel des sogenannten Neckerwürfel kann man sich das klar machen: Der Neckerwürfel gilt als ein typisches Beispiel einer bistabile 3D-Wahrnehmung: Bei der durch die schwarzen Linien bestimmten Figur eines Würfels vor neutralem Hintergrund kann entweder die linke obere oder die rechte untere der beiden im Inneren der Figur zu sehenden Ecken vorne liegen. Beide Wahrnehmungsalternativen schließen einander aus und springen in der Regel spontan ineinander um. Allerdings gibt es eine weitere Sichtweise des Bildes bei 2D-Interpretation – also als flache schwarze Linien auf weißer Fläche, die eine Flächenkachelung bilden. In diesem Fall bildet nicht der Würfel die Figur sondern eine der folgenden Flächen: in der Mitte ein kleines Quadrat, umgeben von zwei einander gegenüberliegenden kleinen Dreiecken (links unten und rechts oben) und vier Trapezen. Man stelle sich die Grafik etwa als Teil eines mit weißen Kacheln und schwarzen Fugen gestalteten Fußbodens vor. Offensichtlich entspricht diese Wahrnehmung der Wahrnehmung des Bildträgers, aus dem die dritte Dimension, in der der Würfel existiert, abgeleitet wird. <br />
:<br />
[[Datei:Dalmatiner.jpg|thumb|Abbildung 6: Verzögerte Figur/Grund-Differenzierung der zweiten Ebene bei erstem Sehen]]<br />
Auch der – für Emergenz-Phänomene charakteristische – Aha-Effekt, der bei der ersten Begegnung mit der Pigmentverteilung in Abbildung 6 in der Regel erst nach einiger Zeit auftritt, entspricht einem Wechsel der Figur/Grund-Zuordnung im vertikalen Sinn: Während zunächst die schwarzen Flecken als mehr oder weniger zufällig auf der Fläche verteilt erscheinen und einzelne davon spontan als Figur vor der umgebenden Fläche hervortreten, organisiert sich die Wahrnehmung im günstigen Fall nach einiger Zeit so, dass insbesondere ein schnüffelnder Dalmatiner als Figur vor einer Straßenszene in der Mitte des Bildes gesehen wird. <br />
:<br />
Wie beim Necker-Würfel ist es auch in diesem Fall schwierig, nach dem Erscheinen der dreidimensionalen szenischen Sichtweise auf die zugrundeliegende Flächensichtweise zurückzukommen. Der Abstieg zu den [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Elementen der Bildsyntax]] erfolgt selten spontan. Genau diese Umkehrung der vertikalen Figur/Grund-Verschiebungen spielt allerdings beim sogenannten Gestalterischen Sehen eine wichtige Rolle, geht es dabei doch darum, vorherrschende Figur/Grund-Differenzierungen aufzuheben, und beispielsweise statt des Neckerwürfels die zweidimensionale Flächenaufteilung des Bildes zu sehen. Auch die [[Bild in reflexiver Verwendung|reflexive Verwendung]] von Bildern (bzw. Szenen) verweist auf die vertikale Dimension, insofern hier die Bildwahrnehmungen als Beispiele für bestimmte Figur/Grund-Differenzierungen oder deren Fehlen verwendet werden: Das Bild der Rubinschen Vase dient in der Regel nicht dazu, visuell zwei Gesichter (oder eine Vase) zu präsentieren, sondern das Phänomen der Bistabilität der Figur/Grund-Differenzierung und damit eine bestimmte Art von Figur/Grund-Dynamiken selbst als Figur zu demonstrieren. <br />
:<br />
Auch die vertikalen Verschiebungen der Figur/Grund-Differenzierungen sind nicht auf die visuellen Sinne beschränkt. Ein auditorisches Beispiel mag der Unterschied zwischen dem Verfolgen einer Melodie und dem Konzentrieren auf die Intonation ihrer Ausführung geben.<br />
<br />
==Auswirkungen==<br />
<br />
===Auswirkungen hinsichtlich Bild und Bild&shy;wahrneh&shy;mung===<br />
<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung ist als allgemeine Eigenheit von Wahrnehmung zwar nicht spezifisch für Bildwahrnehmung, dort aber auch – insbesondere bei darstellenden Bildern – sehr wichtig. Entsprechend hat «Rubins Vase» Einfluss in den Bereichen Kunst und Design gehabt. Figur/Grund-Effekte, die dem [[Kippbild]] von Gesicht und Vase analog sind, wurden etwa von M. C. Escher häufig an ganz zentraler Stelle verwendet.<ref>Vgl. dazu die Galerie der [http://www.mcescher.com/gallery/ M.C. Escher Foundation], insbesondere die Kollektionen «Symmetry» und «Transformation Prints».</ref> Kippbilder im allgemeinen sind allerdings nicht spezifisch auf Rubins Entdeckung zurückzuführen. Viele Designer von Logos setzen Zweideutigkeiten hinsichtlich der Figur/Grund-Differenzierung in ihren Arbeiten ein, um eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erreichen. In der Kunst spricht man übrigens statt von ‘Figur’ und ‘Grund’ oft auch von ‘positivem’ bzw. ‘negativem Raum’ (vgl. <bib id='Tritthart 2013a'></bib>).<ref>Die Gegenüberstellung von positivem und negativem Raum nimmt in der Architektur eine besondere, von der allgemeinen Figur/Grund-Differenzierung etwas abgesetzte Bedeutung an: Positiv ist der von Mauerwerk etc. eingenommene Platz, negativ der umbaute Raum. </ref><br />
:<br />
Was die Konstitution des [[Bildinhalt|Bildinhalts]] gerade von naturalistisch gestalteten Bildern, Photographien oder Projektionen angeht, sind die dabei wirksamen Figur/Grund-Unterscheidungen mehr oder weniger direkt mit der “direkten” visuellen Wahrnehmung der dargestellten Szene vergleichbar. Umgekehrt werden beispielsweise Abschwächungen der Figur-bildenden Eigenschaften einer Umrisslinie in der asiatischen Grafik wie auch der klassischen Moderne im Westen dazu benutzt, die naturalistische Tiefenstaffelung und dreidimensionale Raumwirkung zu unterlaufen. Arnheim erläutert mit Blick auf Strichzeichnungen von Matisse (gegenüber Rembrandt): <br />
:<br />
:''Bei Matisse ist der Begrenzungscharakter der Umrißlinien schwach; sie haben weitgehend die Eigenschaft selbständiger Objektlinien. Die Körper wirken nicht kompakt und lassen leicht erkennen, daß sie nur Teile der leeren Papieroberfläche sind. Die Zeichnung liegt wie ein durchsichtiges Netzwerk aus Linien über dem Hintergrund. Die dreidimensionale Wirkung ist auf ein Mindestmaß reduziert. Dahinter steckt natürlich Absicht. Während die älteren Künstler eine feste Körperlichkeit und klar erkennbare Tiefe hervorheben wollten, ging es den modernen darum, Objekte zu entstofflichen und die Wirkung des Raumes herabzusetzen. Die modernen Zeichnungen sollen leichtgewichtige, offensichtlich von Menschenhand stammende Schöpfungen sein: Früchte der Einbildung und nicht Vortäuschungen einer stofflichen Wirklichkeit. Sie sollen die Fläche betonen, aus der sie entstanden sind.'' (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 220).<br />
:<br />
Generell ermöglichen spezifische [[Stil|Darstellungsstile]], insbesondere über Konturbetonung, Licht-Schatten-Setzung und ähnliche “Techniken”, bei Bildern, als intentional gestalteten Wahrnehmungsangeboten, bestimmte Figur/Grund-Bildungen beim Betrachter zu forcieren und so gezielt Interpretationen zu induzieren. Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der intendierten Kommunikation erhöht werden: Die bewusste Gestaltung der Figur/Grund-Differenzierung wirkt also als kommunikative Strategie. Einen Sonderfall der Bildherstellung stellt in dieser Hinsicht sicher die Erzeugung von multistabilen visuellen Wahrnehmungen dar. <br />
:<br />
Für die Bildwahrnehmung zentral ist zudem die Figur/Grund-Differenzierung zur Wahrnehmung des Bildes insgesamt, nämlich als ein Bildträger vor seinem Hintergrund. Mag die Wahrnehmung des darauf Abgebildeten noch so sehr auf die Figur/Grund-Differenzierungen aufbauen, die die abgebildete Szene selbst ermöglicht, etwa bei einem ''trompe l'œil''; das alleine würde noch kein Bild ausmachen sondern lediglich eine Wahrnehmungstäuschung beschreiben (⊳ [[Dezeptiver und immersiver Modus]] und [[Wahrnehmungsillusion]]). Mithilfe von [[Rahmung, Rahmen|Rahmen/Rahmung]] wird die Bildfläche von der umgebenden Wandfläche abgegrenzt und als Figur hervorgehoben. Entsprechend wird der Rahmen (als besonders betonte Kontur) auch zum Bildträger gerechnet, hinter dem sich die Wand ungesehen fortsetzt. Innerhalb des Bildträgers kann dann auf einer zweiten Stufe von Figur/Grund-Differenzierungen der Rahmen wiederum als Figur gesehen werden vor dem Hintergrund des Bildraumes (bei dreidimensional darstellenden Bildern)<ref>oder allgemeiner der eigentlichen Bildfläche</ref>, der zumeist – beispielsweise im Sinne von Albertis Fenster – als hinter dem Rahmen fortgeführt begriffen wird.<ref>Ausnahmen in reflexiver Verwendung sind mit Bildern gegeben, bei denen Teile des Inhalts auf den Rahmen oder gar über den (scheinbaren) Rahmen hinausgreifen, wie etwa bei Pere Borrell del Casos populärem Werk [https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Escaping_criticism-by_pere_borrel_del_caso.png «Flucht vor der Kritik»].</ref> Erst auf einer dritten Stufe können nun innerhalb des Bildraumes (bzw. der Bildfläche im engeren Sinn) die bildrelevanten Figur/Grund-Differenzierungen gebildet werden, die der Wahrnehmung des eigentlichen Bildinhaltes dienen. Der Rahmen liegt dabei ganz außerhalb des betrachteten Wahrnehmungsraumes, der im Wesentlichen als inhärent unbegrenzt empfunden wird. Bildwahrnehmung beruht also zumindest bei darstellenden Bildern mit ausgeprägtem Rahmen auf einer mindestens doppelten Kaskade von vertikalen Verschiebungen von Figur/Grund-Differenzierungen, durch die die konfligierenden Situierungen von sowohl Bildinhalt wie Wand als gleichzeitig hinter dem Rahmen befindlich konstituiert werden.<br />
:<br />
Auf die Rolle der Figur/Grund-Differenzierungen für das gestalterische Sehen und die reflexive Verwendung von Bildern wurde oben bereits hingewiesen.<br />
<br />
===Kommunikationstheoretische Assoziationen===<br />
<br />
Die Konzeption der Figur/Grund-Differenzierung ist nicht nur in Wahrnehmungstheorien relevant: Auch bei der [[Interaktion und Kommunikation|Kommunikation]] und insbesondere bei dem Gebrauch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche_Zeichen|sprachlicher Zeichen]] läßt sich eine analoge Differenzierung konstatieren. So werden in der Linguistik diejenigen Teile einer Äußerung bzw. eines Satzes als »thematisch« charakterisiert, die dem Adressaten bereits bekannt sind (oder auch: ihm als bekannt gelten), während das für ihn Neue in den als »rhematisch« beurteilten Abschnitten zur Sprache kommt. Das Thema bildet den Hintergrund für die eigentlich wichtige Mitteilung des Rhemas, das ohne diese Verankerung im bereits (gemeinsam) Bekannten nicht verständlich wäre.<ref>Die Thema/Rhema-Aufteilung wurde insbesondere in der Nachfolge von V. Mathesius von der Prager Schule als grundlegende linguistische Differenzierung untersucht; vgl. <bib id='Mathesius 1911a'></bib>.</ref> Genau genommen verbirgt sich bei propositionalen Äußerungen sogar eine doppelte Figur/Grund-Aufteilung: Zum Einen die Differenzierung zwischen dem thematischen [[Kontext]] und dem fokussierten [[Proposition|propositionalen Gehalt]] der Äußerung; und zum Anderen innerhalb der Proposition die Differenzierung zwischen den [[Nomination|Nominationen]], die als bereits bekannter Hintergrund (und Teil des Kontexts) der neuen Information als Anker dienen, und der [[Prädikation]], die als Figur auftritt (und als solche noch nicht im gemeinsamen Diskurskontext vor der Äußerung enthalten sein sollte).<ref>Im sprachlichen Fall kann es daher insbesondere vorkommen, dass eine als rhematisch intendierte Information tatsächlich vom Rezipienten bereits gewußt wird und daher für ihn zum thematischen Teil der Äußerung zählt, während ein vom Produzenten als thematisch eingeschätzter Äußerungsteil dem Rezipienten noch nicht bekannt war und für ihn somit zum Rhema wird. Die damit eröffnete Dynamik der kommunikativen Figur/Grund-Differenzierung ist ein wesentliches Charakteristikum sprachlicher Zeichen und demonstriert, dass zumindest bei diesen prinzipiell jede semantische Betrachtung von pragmatischen Aspekten dominiert wird. </ref><br />
:<br />
Im Bereich der Nachrichtentechnik, also in den Ingenieurwissenschaften, spielt schließlich das Verhältnis von »Signal« und »Rauschen« (auch ‘Untergrund’) eine mit »Figur« und »Grund« vergleichbare Rolle. Im Unterschied zur üblichen Redeweise von der Figur ''vor'' dem Grund wird hierbei allerdings davon gesprochen, dass es das Signal ist, das vom Rauschen ''über''lagert wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Verwendung von ‘Signal’ und ‘Rauschen’ in dem Bereich Signalentdeckungstheorie der Wahrnehmungspsychologie; <bib id='Velden 1982a'></bib>. </ref><br />
<br />
=== Figur/Grund-Differenzierung und Aufmerksamkeit ===<br />
<br />
Offensichtich kann die Figur/Grund-Differenzierung von Aufmerksamkeit und Erwartung beeinflusst und in gewissen Grenzen gesteuert werden. Die die Figur vom Grund abhebenden Gestaltbildungsprozesse stellen selbst einen spontan wirksamen Aufmerksamkeitsmechanismus dar. Gegenüber Aufmerksamkeitsphänomenen im engeren Sinn tritt bei der Figur/Grund-Differenzierung allerdings ''kein'' Ausblenden des jeweiligen Hintergrundes auf: Wird etwa eine Aufgabe mit hoher Konzentration bearbeitet – oder auch ein Spiel ganz vertieft gespielt –, so wird die jeweilige Umgebung oft völlig “vergessen”, bleibt ganz ausgeblendet und subjektiv verschwunden. <br />
:<br />
Das Wechselspiel zwischen sich spontan bildender Figur-Aufmerksamkeit und erwartungsgesteuerter Konzentration auf bestimmte Reizkonstellationen wird besonders deutlich bei der oben erwähnten umgekehrten vertikalen Dynamik: Es ist schwierig, die gestalterische Sichtweise gegen die spontane dreidimensionale Gestaltbildung durchzusetzen, selbst wenn diese bistabil ist.<br />
:<br />
In der [[Bildbearbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]] wird eine analoge Unterscheidung zwischen sogenannten ''bottom up''-Prozessen und ''top down''-Prozessen gemacht: In ''bottom up''-Prozessen werden sensorische Elemente sozusagen ohne Aufmerksamkeitssteuerung nach Gestaltgesetzen selektiert und zusammengruppiert und zu komplexeren perzeptuellen Einheiten zusammengebunden; bei ''top down''-Verfahren werden die Gruppierungs- und Selektionsschritte von einer vorgegebenen Zielgestalt (auf der gewissermaßen die Aufmerksamkeit ruht) gelenkt. Das Ziel kann dabei durchaus auch ein 3D-Modell sein (zu 3D-Modell ⊳ [[Computergraphik]]) oder sogar einem sortalen Gegenstand entsprechen.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Bildbearbeitung, digitale]]<br />
* [[Bildinhalt]] <br />
* [[Computergraphik]]<br />
* [[Dezeptiver und immersiver Modus]]<br />
* [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Horizont]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Kippbild]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Phänomenologie]]<br />
* [[Prädikation]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Sortale Gegenstände und Individuation]]<br />
* [[Stil]]<br />
* [[Wahrnehmungsillusion]]<br />
* [[Wahrnehmungsmedien]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J.]]<br />
* [[Benutzer:Zsuzsanna Kondor|Kondor. Zsuzsanna]]<br />
<br />
{{GlosTab4}}<br />
''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Figur/Grund-Differenzierung&diff=26545Figur/Grund-Differenzierung2016-09-20T12:26:49Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Auswirkungen */</p>
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<br />
Bei der Gegenüberstellung von »Figur« und »Grund« handelt es sich um ein ganz allgemeines Prinzip der Wahrnehmung, das vor allem anhand der Bildwahrnehmung erkannt und untersucht worden ist und für diese auch besondere Bedeutung hat: In jedem Fall von Wahrnehmung ist das Wahrnehmungsfeld notwendig gegliedert in einen als ‘Figur’ bezeichneten fokussierten Bereich, der als aus dem Hintergrund des restlichen Wahrnehmungsfeldes hervorgetreten wahrgenommen wird.<br />
Diese Gliederung unterscheidet Wahrnehmung von verwandten, aber strukturell einfacheren Begriffen der Einwirkung von Welt auf die Aktivitäten eines Organismus. Beim Reflexbegriff etwa ist noch keine Figur/Grund-Differenzierung des Reizes enthalten: Der einem Reflexbogen zugeordnete Reiz ist entweder vorhanden oder nicht, seine situationale Einbettung in den Kontext für den Reflex nicht von Bedeutung.<ref>Allenfalls Krankheit oder Ermüdung – also dem Aktivitätsträger selbst und nicht dessen Umwelt zugerechnete Eigenschaften – können den Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion verändern. Zur Reflextheorie vgl. <bib id='Gallistel 1980a'></bib>, insbesondere Kap. 1 (vgl. <bib id='Sherrington 1947a'></bib>). </ref> Erst bei den komplexerem Verhalten<ref>Vgl. auch [[Exkurs: Handlungen]]: Handlungen im weiten Sinn.</ref> zugeordneten Wahrnehmungen macht es Sinn, von einem aus dem gesamten “Merkfeld” herausgehobenen Bereich zu sprechen, dessen Wirkung zugleich auch von dem Rest des Merkfeldes abhängt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Figur die visuelle Gestalt eines gesehenen, teilweise verdeckten Gegenstandes ist, eine Stimme in einer polyphonen Musikkomposition, die Geruchskomponente eines Parfums oder der Geschmack eines bestimmten Gewürzes in einem Gericht: Stets existiert diese Figur nur vor einem (oder: eingebettet in einen) zugehörigen Grund.<br />
<br />
<br />
==Verankerung in der Gestalttheorie==<br />
<br />
Um die Fülle der Informationen, die auf ein Lebewesen von seiner Umgebung einströmen, zu organisieren und für sein Verhalten zu nutzen, müssen selektierende und gruppierende Faktoren zusammenwirken. Wichtige Faktoren, die speziell bei den ‘Wahrnehmung’ genannten Phänomenen eine Rolle spielen, wurden in der [[Gestalt]]theorie zusammengestellt. Wahrgenommen werden keine isolierten Elemente – einzelne Empfindungen (wie sie etwa dem Reizungszustand einer einzelnen Sehzelle entsprechen würden) – sondern Gesamtheiten, die prinzipiell etwas sind, was in verschiedene Umgebungen eingebettet auftreten kann: Solche Gesamtheiten erscheinen damit prinzipiell als Gestalten vor einem Hintergrund und fokussieren auf diese Weise die [[Aufmerksamkeit]] auf bestimmte immer wieder vorkommende Konfigurationen.<br />
:<br />
[[Datei:450px-Kanizsa triangle.svg.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 1: Kanizsa-Dreieck]]<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung liefert dabei den Rahmen für die gestaltpsychologischen Gruppierungsregeln: Gestaltgesetze, wie das der Nähe, der Geschlossenheit oder der Kontinuität, zielen darauf ab, Teile des Gesichtsfeldes als ''eine'' Figur vom Rest abzuheben. So wird etwa das grafisch gar nicht vorhandene “weiße Dreieck auf weißem Grund” in Abbildung 1 als eine “gute Gestalt” vor einem weitgehend gleichfarbigen Hintergrund gesehen. <br />
:<br />
Als allgemeines Wahrnehmungsphänomen ist die Figur/Grund-Differenzierung weder speziell auf visuelle Wahrnehmung beschränkt, noch gar auf das Wahrnehmen von Bildern. Allerdings wurde das Phänomen vor allem anhand von speziellen Bildwahrnehmungen entdeckt und untersucht. <br />
<br />
===Entdeckung durch Rubin===<br />
<br />
In die Wissenschaft eingeführt wurde die Figur/Grund-“Illusion” um 1915 durch den dänischen Psychologen Edgar John Rubin (1886–1951) insbesondere am Beispiel der so genannten «Rubinschen Vase» (vgl. Abb. 2). Diese Grafik, bei der die Wahrnehmung zweier einander gegenüberstehenden Gesichter in die Wahrnehmung einer dazwischen stehenden Vase umspringt, spielt in Rubins zweibändigem Werk «Synsoplevede Figurer» (deutsch (1921): «Visuell wahrgenommene Figuren») zum ersten Mal eine wichtige Rolle.<ref>Rubin führte eine Reihe ähnlicher Bilder ein (etwa das schwarz-weiße Malteserkreuz), aber am bekanntesten wurde die «Rubinsche Vase».</ref> Rubins Grafik ist ein Spezialfall der so genannten multistabilen Wahrnehmung.<ref>Man spricht von ‘multistabiler Wahrnehmung’, wenn es zu spontanen Wechseln zwischen mehreren wahrgenommenen Inhalten ohne Änderung der Reizsituation kommt, z.B. wenn wir uns visuell zweideutigen Darstellungen wie der «Rubinsche Vase» oder dem «Necker-Würfel» gegenübersehen. Nicht immer verändern sich dabei die Bereiche, die als Figur bzw. Grund empfunden werden.</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Rubin-1.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 2: Die Grafik «Rubinsche Vase»]]<br />
Der aus Kopenhagen stammende Rubin verbrachte einige Zeit in Göttingen, worauf sich u.a. eine [[Phänomenologie|phänomenologische]] Perspektive in seiner Auffassung von visueller Wahrnehmung zurückführen lässt. Offensichtlicher noch ist allerdings seine Nähe zur [[Gestalt|Gestaltpsychologie]], insofern nämlich die «Rubinsche Vase» einen weiteren Beleg für deren These lieferte, dass das visuell Wahrgenommene nicht mit dem Netzhautbild identisch ist. An der «Rubinschen Vase» lässt sich so das Prinzip der Emergenz deutlich machen, nach dem wir Gegenstände unserer Umgebung als Ganze und auf einmal wahrnehmen. Wahrnehmung sollte demnach als ein produktiver Prozess der Gegenstandskonstitution aufgefasst werden, der das in unserer Erfahrung Erfasste mit Inhalten zur Lage und Beschaffenheit der jeweiligen Gegenstände versorgt, die nicht schon in den reinen Sinnesdaten enthalten sind.<br />
<br />
===Was bedeutet «Figur und Grund»?===<br />
<br />
Anhand der «Rubinschen Vase» lässt sich untersuchen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich Figur und Grund in der Wahrnehmung bilden bzw. wie zwischen verschiedenen Figur/Grund-Differenzierungen hin- und hergesprungen wird. Rubin formulierte 1915 folgenden „fundamentalen Satz“: <br />
:<br />
:''Wenn zwei Felder aneinander grenzen und das eine als Figur und das andere als Grund erlebt wird, kann das unmittelbar anschaulich Erlebte als dadurch gekennzeichnet betrachtet werden, daß von der gemeinsamen Kontur der Felder ein formendes Wirken ausgeht, das sich nur bei dem einen oder in einem höheren Grade bei dem einen Feld als bei dem anderen geltend macht.'' (<bib id='Rubin 1921a'></bib>: S. 36f.) <br />
:<br />
Im Falle bistabiler Wahrnehmung manifestiert sich dieses „formende Wirken“ nach beiden Seiten in gleichem Grade: Die Zuweisung von Figur und Grund ist austauschbar und fluktuiert spontan: In Rubins berühmtem Beispiel sehen wir alternierend zwei Gesichter gegen einen weißen Hintergrund und eine Vase gegen einen schwarzen Hintergrund. Zu einem gegebenen Zeitpunkt nehmen wir dabei immer nur eine der beiden Möglichkeiten wahr. Da das Erregungsmuster der Netzhaut sich dabei nicht verändert hat, kann es nicht als Ursache für den spontanen Wechsel der Zuweisung herangezogen werden.<br />
:<br />
Wie Rubin festgestellt hat, tendieren wir dazu, eine kleinere, geschlossene Form als Figur gegen den Grund der größeren umgebenden Flächeanzusehen.<ref>Weitere Faktoren, die dazu beitragen, bevorzugt eine Seite einer (potentiellen) Konturlinie bzw. einen Bildbereich als Figur erscheinen zu lassen, diskutiert etwa Arnheim (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 219 ff). Vgl. auch [http://scholarpedia.org/article/Figure-ground_perception Scholarpedia: Figure-ground perception]</ref> Der Figur kommt eine ''Dingqualität'' zu, während der Grund als eher schwer zu fassen und zu kategorisieren erscheint. Die Figur sticht heraus, der Grund tritt dagegen zurück. Insbesondere wird die sie trennende Kontur selbst stets der Figur zugerechnet, nicht dem Grund. Neuere psychologische Experimente haben Rubins These hinsichtlich der Kontur empirisch bestätigt (<bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897).<ref><bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897: ''In (a), following a vase-to-faces transition, the standard image was replaced by an embossed-face version of the same stimulus, whereas in (b), subsequent to a faces-to-vase change, an embossed-vase version replaced the standard.'' (vgl. die zugehörige [[Media:Rubin-Embossed.png|Bilddatei]]).</ref><br />
<br />
===Zusammenhang mit visueller Tiefenwahrnehmung===<br />
<br />
[[Datei:vexiAegypterin_m.jpg|thumb|Abbildung 3: «Ägypterin» – Variante der «Rubinschen Vase» mit mehr als zwei Tiefenebenen ]]<br />
Dass die Konturlinie zur Figur gerechnet wird, ihre Grenze markiert, bedeutet auch, dass der Grund als ''hinter'' der Figur weitergehend wahrgenommen wird, obwohl er dort nicht direkt zu sehen ist. Die Konturlinie wirkt als Grenze nicht für ihn. Die in Abbildung 3 gezeigte Variante der Rubinschen Vase – bei der es sich in diesem Fall tatsächlich nicht um eine Vase sondern um einen Kerzenständer handelt – demonstriert diesen Aspekt augenfällig: Denn neben den beiden Figur-Zuordnungen der klassischen Fassung – zwei im Profil einander gegenüberliegende Gesichter bzw. ein Kerzenleuchter – tritt hier als dritte Variante auf: ''ein frontal dargestelltes Gesicht zu beiden Seiten des Kerzenständers, das teilweise hinter diesem verborgen bleibt'' (und selbst vor einem weiteren Hintergrund mit sechseckigem Muster liegt).<br />
:<br />
Arnheim sieht die Figur/Grund-Differenzierung als speziellen Fall des Erzeugens von Tiefenstaffelungen in der visuellen Wahrnehmung, nämlich einer mit genau zwei Ebenen (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 228 ff). Das Beispiel der «Ägypterin» (Abb. 3) macht zudem deutlich, dass der Figurbereich nicht notwendig als jeweils vorderste Darstellungsebene betrachtet wird: Bildet in dem Beispiel das Gesicht den als Figur wahrgenommenen Bildbereich, so steht der Kerzenleuchter zwar davor, ist aber nicht Teil der Figur. Dabei erklärt das Prinzip der ''guten'' (einfachen bzw. bekannten) Gestalt – hier eines frontal gesehenen Gesichts –, wieso die Figur/Grund-Differenzierung eine solche Tiefenstaffelung motiviert.<br />
:<br />
Allerdings ist die allgemeine ''Tiefen''-Staffelung im Gegensatz zur Figur/Grund-Differenzierung nicht ohne weiteres auf andere Sinnesmodalitäten übertragbar: Mag beim Gehörsinn noch eine nach Entfernung gestaffelte Verallgemeinerung der Figur/Grund-Differenzierung Sinn machen, scheinen sich die anderen Sinne eher dagegen zu sperren: als ''Lokalsinne'' liefern sie keine ''Übersicht''. Eine durch ''Verdeckungen'' bedingte Dynamik in der Figur/Grund-Differenzierung muss hier ganz anders gefasst werden. Handlungstheoretisch läßt sich im Übrigen eine Verbindung herstellen zwischen der spezifischen Art der Figur/Grund-Differenzierung in der visuellen Wahrnehmung und der Fähigkeit, den Schärfebereich der Linse im [[Auge]] zu verändern – eine Verhaltensoption, die in den anderen Fernsinnen nicht gegeben ist. Zusammen mit der entsprechenden Augenorientierung (nämlich mehr (näher) oder weniger (ferner) abweichend von der Parallelität der optischen Achsen der Augen), bildet dieser effektorische Anteil des visuellen Wahrnehmungsapparates die Basis für die Kopplung der Figur/Grund-Differenzierung mit der Tiefenwahrnehmung.<ref>Die Akkomodation der Linsen wird meist nicht direkt bewusst gesteuert und ist normalerweise mit der relativen Verdrehung der optischen Achsen beider Augen gegeneinander gekoppelt, so dass die Linsen jeweils ungefähr auf die Distanz eingestellt werden, in der sich die optischen Achsen schneiden.</ref><br />
<br />
==Zwei Arten der Dynamik von Figur/Grund-Differenzierungen==<br />
<br />
Figur/Grund-Differenzierungen sind offensichtlich kein statisches Phänomen: Die die Wahrnehmung konstituierende Einteilung des Wahrgenommenen in Figur und Grund verändert sich mit der Zeit, selbst wenn keine Veränderung der äußeren Welt (der zugrunde liegenden Reizsituation) stattfindet. Diese Dynamik kann einfach der zeitlichen Abfolge entsprechen, in der verschiedene Bereiche des jeweiligen Merkfeldes in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken. Es kann aber auch um eine ganz andere Art der Verschiebung von Grund und Figur gehen, bei der etwas, was zunächst (ganzheitliche) Figur war, nun selbst (verschiedenen) Figur/Grund-Differenzierungen unterworfen werden kann. Dynamiken der ersten Art kann man vereinfachend als ‘horizontal’ bezeichnen, zumal sich der [[Horizont|Betrachtungshorizont]] dabei nicht verändert, die Wahrnehmung also, metaphorisch gesprochen, “in demselben Horizont bleibt”. Bei der zweiten Sorte verändert sich hingegen gerade der Wahrnehmungshorizont, wie bei einer vertikalen Bewegung oder einem Zoomen; daher die metaphorische Kurzbezeichnung ‘vertikale Dynamik’. <br />
<br />
===Die “horizontale” Dynamik===<br />
<br />
[[Datei:Gegenstände.jpg|thumb|Abbildung 4: Bild «Gegenstände» von [http://www.antje-bohnstedt.de/illustrationen/gegenstaende/farbe/ Antje Bohnstedt] ]]<br />
Bistabile Wahrnehmungen wie bei der «Rubinschen Vase», bei denen die Zuweisung von Figur und Grund sich immer wieder spontan umkehrt, stellen tatsächlich nur einen Spezialfall einer allgemeinen Variabilität der Figur/Grund-Bildung dar. Die Veränderung der konkreten Figur/Grund-Differenzierung kann dabei – muss aber nicht, wie die spontanen Wechsel bei multistabilen Wahrnehmungen deutlich werden lassen – durch Aufmerksamkeitsverschiebungen vom Wahrnehmenden beeinflusst werden. Beispielweise wird auch ein Betrachter des Bildes in Abbildung 4 – abhängig von seinen Augenbewegungen – zwischen verschiedenen Figur/Grund-Zuordnungen hin- und herspringen.<ref>Die Beobachtungen, die sich hierbei an der verhältnismäßig zufälligen Zusammenstellung von Gegenständen in einem Bild wie Abbildung 4 machen lassen, sind ohne weiteres auch auf kohärenter strukturierte Bilder (oder allgemeiner Szenen) von Gegenständen zu übertragen, wie beispielweise Stillleben.</ref> Verschiedene Bildbereiche werden jeweils als Figur vor dem restlichen Grund verwendet: Diese Wechsel sind bei [[Sortale Gegenstände und Individuation|sortalen Gegenständen]] besonders deutlich,<ref>Dazu passt, dass sortale Gegenstände zwar als ihre jeweils aktuellen Umgebungen (“Hintergründe”) übersteigende (nämlich persistente) Phänomene begriffen werden, gleichwohl aber auch nie außerhalb eines [[Kontext]]es erscheinen können. </ref> aber keineswegs auf diese beschränkt. Auch wenn beispielsweise die Pinselstriche eines Gemäldes betrachtet werden und die Aufmerksamkeit von einem besonders ausgeführten Pinselstrich zu einem benachbarten Strich wandert, geht das stets mit einer entsprechenden neuen Figur/Grund-Differenzierung des visuellen Wahrnehmungsfeldes einher: Was zuerst Teil des Grundes war, wird zur neuen Figur, und die alte Figur zum Teil des neuen Grundes. <br />
:<br />
Ganz analog ist ein Umschalten der Figur/Grund-Unterscheidung beim Hören die perzeptuelle Basis des Aufmerksamkeitswechsel bei einer polyphonen Komposition auf eine andere Stimme, oder auch auf eine andere Instrumentalgruppe im Gesamtklang eines ausgehaltenen Orchesterakkords; beim Riechen das Hervortreten einer anderen Geruchskomponente eines Parfums, oder beim Schmecken das Bemerken einer weiteren Zutat in einer Sauce.<br />
:<br />
<!-- »Figur« (bzw. auch »Gestalt«) und Objektbegriff... "aktuelle Gestalt" und persistenter Gegenstand --><br />
<br />
===Die “vertikale” Dynamik===<br />
<br />
Betrachten Sie in Abbildung 4 den Federball. Nun betrachten Sie den weißen Fleck, der sich in dem Bildbereich befindet, der die rote Kappe des Federballs darstellt. In beiden Fällen wird Ihre Wahrnehmung von einer entsprechenden Figur/Grund-Differenzierung begleitet. Allerdings wird nun das, was zunächst Figur war, selbst in Figur und Grund zerlegt. Obwohl der Übergang zwischen beiden zunächst wie ein Fall von “horizontaler” Figur/Grund-Dynamik aussieht, handelt es sich um ein wesentlich komplexeres Phänomen, das mit der Frage zusammenhängt, was es denn eigentlich ist, was sich (“horizontal”) in verschiedene Figur/Grund-Paarungen aufspalten lässt. <br />
:<br />
Insbesondere konstruktivistische Wahrnehmungstheorien unterscheiden zwischen dem, was schon in Figur und Grund getrennt ist (“so sehen wir die Welt”), und das, was sich – durch einen Betrachter – in (prinzipiell diverse) Figur/Grund-Differenzierungen aufgliedern lässt, aber selbst noch nicht so aufgespalten ist (“die Welt, die gesehen werden kann”, “das, was (mithilfe von darauf vorgenommenen Figur/Grund-Differenzierungen) wahrgenommen wird”). Neben die eigentliche Figur/Grund-Gliederung tritt damit ein Drittes, das man, einem Gedanken Heiders folgend, das ‘Medium’ der Figur/Grund-Differenzierung nennen kann.<ref>Vgl. Heider «Ding und Medium». Auch einer der Medienbegriffe der Systemtheorie Luhmanns ist an diese Aufteilung angelehnt. Dazu auch ⊳ [[Wahrnehmungsmedien]]. </ref> Charakteristisch für diese “vertikale” Dynamik der Figur/Grund-Differenzierung ist, dass das ''Medium'' für eine Figur/Grund-Unterscheidung selbst das Resultat einer anderen (“tieferen”) Figur/Grund-Differenzierung darstellt. Mit ihr ist insbesondere das Phänomen der Emergenz der dritten Dimension verbunden.<br />
<br />
[[Datei:11.png|thumb|Abbildung 5: Bistabile Grafik «Neckerwürfel»: 3D- versus 2D-Wahrnehmung ]]<br />
Am Beispiel des sogenannten Neckerwürfel kann man sich das klar machen: Der Neckerwürfel gilt als ein typisches Beispiel einer bistabile 3D-Wahrnehmung: Bei der durch die schwarzen Linien bestimmten Figur eines Würfels vor neutralem Hintergrund kann entweder die linke obere oder die rechte untere der beiden im Inneren der Figur zu sehenden Ecken vorne liegen. Beide Wahrnehmungsalternativen schließen einander aus und springen in der Regel spontan ineinander um. Allerdings gibt es eine weitere Sichtweise des Bildes bei 2D-Interpretation – also als flache schwarze Linien auf weißer Fläche, die eine Flächenkachelung bilden. In diesem Fall bildet nicht der Würfel die Figur sondern eine der folgenden Flächen: in der Mitte ein kleines Quadrat, umgeben von zwei einander gegenüberliegenden kleinen Dreiecken (links unten und rechts oben) und vier Trapezen. Man stelle sich die Grafik etwa als Teil eines mit weißen Kacheln und schwarzen Fugen gestalteten Fußbodens vor. Offensichtlich entspricht diese Wahrnehmung der Wahrnehmung des Bildträgers, aus dem die dritte Dimension, in der der Würfel existiert, abgeleitet wird. <br />
:<br />
[[Datei:Dalmatiner.jpg|thumb|Abbildung 6: Verzögerte Figur/Grund-Differenzierung der zweiten Ebene bei erstem Sehen]]<br />
Auch der – für Emergenz-Phänomene charakteristische – Aha-Effekt, der bei der ersten Begegnung mit der Pigmentverteilung in Abbildung 6 in der Regel erst nach einiger Zeit auftritt, entspricht einem Wechsel der Figur/Grund-Zuordnung im vertikalen Sinn: Während zunächst die schwarzen Flecken als mehr oder weniger zufällig auf der Fläche verteilt erscheinen und einzelne davon spontan als Figur vor der umgebenden Fläche hervortreten, organisiert sich die Wahrnehmung im günstigen Fall nach einiger Zeit so, dass insbesondere ein schnüffelnder Dalmatiner als Figur vor einer Straßenszene in der Mitte des Bildes gesehen wird. <br />
:<br />
Wie beim Necker-Würfel ist es auch in diesem Fall schwierig, nach dem Erscheinen der dreidimensionalen szenischen Sichtweise auf die zugrundeliegende Flächensichtweise zurückzukommen. Der Abstieg zu den [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Elementen der Bildsyntax]] erfolgt selten spontan. Genau diese Umkehrung der vertikalen Figur/Grund-Verschiebungen spielt allerdings beim sogenannten Gestalterischen Sehen eine wichtige Rolle, geht es dabei doch darum, vorherrschende Figur/Grund-Differenzierungen aufzuheben, und beispielsweise statt des Neckerwürfels die zweidimensionale Flächenaufteilung des Bildes zu sehen. Auch die [[Bild in reflexiver Verwendung|reflexive Verwendung]] von Bildern (bzw. Szenen) verweist auf die vertikale Dimension, insofern hier die Bildwahrnehmungen als Beispiele für bestimmte Figur/Grund-Differenzierungen oder deren Fehlen verwendet werden: Das Bild der Rubinschen Vase dient in der Regel nicht dazu, visuell zwei Gesichter (oder eine Vase) zu präsentieren, sondern das Phänomen der Bistabilität der Figur/Grund-Differenzierung und damit eine bestimmte Art von Figur/Grund-Dynamiken selbst als Figur zu demonstrieren. <br />
:<br />
Auch die vertikalen Verschiebungen der Figur/Grund-Differenzierungen sind nicht auf die visuellen Sinne beschränkt. Ein auditorisches Beispiel mag der Unterschied zwischen dem Verfolgen einer Melodie und dem Konzentrieren auf die Intonation ihrer Ausführung geben.<br />
<br />
==Auswirkungen==<br />
<br />
===Auswirkungen hinsichtlich Bild und Bild&shy;wahrneh&shy;mung===<br />
<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung ist als allgemeine Eigenheit von Wahrnehmung zwar nicht spezifisch für Bildwahrnehmung, dort aber auch – insbesondere bei darstellenden Bildern – sehr wichtig. Entsprechend hat «Rubins Vase» Einfluss in den Bereichen Kunst und Design gehabt. Figur/Grund-Effekte, die dem [[Kippbild]] von Gesicht und Vase analog sind, wurden etwa von M. C. Escher häufig an ganz zentraler Stelle verwendet.<ref>Vgl. dazu die Galerie der [http://www.mcescher.com/gallery/ M.C. Escher Foundation], insbesondere die Kollektionen «Symmetry» und «Transformation Prints».</ref> Kippbilder im allgemeinen sind allerdings nicht spezifisch auf Rubins Entdeckung zurückzuführen. Viele Designer von Logos setzen Zweideutigkeiten hinsichtlich der Figur/Grund-Differenzierung in ihren Arbeiten ein, um eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erreichen. In der Kunst spricht man übrigens statt von ‘Figur’ und ‘Grund’ oft auch von ‘positivem’ bzw. ‘negativem Raum’ (vgl. <bib id='Tritthart 2013a'></bib>).<ref>Die Gegenüberstellung von positivem und negativem Raum nimmt in der Architektur eine besondere, von der allgemeinen Figur/Grund-Differenzierung etwas abgesetzte Bedeutung an: Positiv ist der von Mauerwerk etc. eingenommene Platz, negativ der umbaute Raum. </ref><br />
:<br />
Was die Konstitution des [[Bildinhalt|Bildinhalts]] gerade von naturalistisch gestalteten Bildern, Photographien oder Projektionen angeht, sind die dabei wirksamen Figur/Grund-Unterscheidungen mehr oder weniger direkt mit der “direkten” visuellen Wahrnehmung der dargestellten Szene vergleichbar. Umgekehrt werden beispielsweise Abschwächungen der Figur-bildenden Eigenschaften einer Umrisslinie in der asiatischen Grafik wie auch der klassischen Moderne im Westen dazu benutzt, die naturalistische Tiefenstaffelung und dreidimensionale Raumwirkung zu unterlaufen. Arnheim erläutert mit Blick auf Strichzeichnungen von Matisse (gegenüber Rembrandt): <br />
:<br />
:''Bei Matisse ist der Begrenzungscharakter der Umrißlinien schwach; sie haben weitgehend die Eigenschaft selbständiger Objektlinien. Die Körper wirken nicht kompakt und lassen leicht erkennen, daß sie nur Teile der leeren Papieroberfläche sind. Die Zeichnung liegt wie ein durchsichtiges Netzwerk aus Linien über dem Hintergrund. Die dreidimensionale Wirkung ist auf ein Mindestmaß reduziert. Dahinter steckt natürlich Absicht. Während die älteren Künstler eine feste Körperlichkeit und klar erkennbare Tiefe hervorheben wollten, ging es den modernen darum, Objekte zu entstofflichen und die Wirkung des Raumes herabzusetzen. Die modernen Zeichnungen sollen leichtgewichtige, offensichtlich von Menschenhand stammende Schöpfungen sein: Früchte der Einbildung und nicht Vortäuschungen einer stofflichen Wirklichkeit. Sie sollen die Fläche betonen, aus der sie entstanden sind.'' (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 220).<br />
:<br />
Generell ermöglichen spezifische [[Stil|Darstellungsstile]], insbesondere über Konturbetonung, Licht-Schatten-Setzung und ähnliche “Techniken”, bei Bildern, als intentional gestalteten Wahrnehmungsangeboten, bestimmte Figur/Grund-Bildungen beim Betrachter zu forcieren und so gezielt Interpretationen zu induzieren. Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der intendierten Kommunikation erhöht werden: Die bewusste Gestaltung der Figur/Grund-Differenzierung wirkt also als kommunikative Strategie. Einen Sonderfall der Bildherstellung stellt in dieser Hinsicht sicher die Erzeugung von multistabilen visuellen Wahrnehmungen dar. <br />
:<br />
Für die Bildwahrnehmung zentral ist zudem die Figur/Grund-Differenzierung zur Wahrnehmung des Bildes insgesamt, nämlich als ein Bildträger vor seinem Hintergrund. Mag die Wahrnehmung des darauf Abgebildeten noch so sehr auf die Figur/Grund-Differenzierungen aufbauen, die die abgebildete Szene selbst ermöglicht, etwa bei einem ''trompe l'œil''; das alleine würde noch kein Bild ausmachen sondern lediglich eine Wahrnehmungstäuschung beschreiben (⊳ [[Dezeptiver und immersiver Modus]] und [[Wahrnehmungsillusion]]). Mithilfe von [[Rahmung, Rahmen|Rahmen/Rahmung]] wird die Bildfläche von der umgebenden Wandfläche abgegrenzt und als Figur hervorgehoben. Entsprechend wird der Rahmen (als besonders betonte Kontur) auch zum Bildträger gerechnet, hinter dem sich die Wand ungesehen fortsetzt. Innerhalb des Bildträgers kann dann auf einer zweiten Stufe von Figur/Grund-Differenzierungen der Rahmen wiederum als Figur gesehen werden vor dem Hintergrund des Bildraumes (bei dreidimensional darstellenden Bildern)<ref>oder allgemeiner der eigentlichen Bildfläche</ref>, der zumeist – beispielsweise im Sinne von Albertis Fenster – als hinter dem Rahmen fortgeführt begriffen wird.<ref>Ausnahmen in reflexiver Verwendung sind mit Bildern gegeben, bei denen Teile des Inhalts auf den Rahmen oder gar über den (scheinbaren) Rahmen hinausgreifen, wie etwa bei Pere Borrell del Casos populärem Werk [https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Escaping_criticism-by_pere_borrel_del_caso.png «Flucht vor der Kritik»].</ref> Erst auf einer dritten Stufe können nun innerhalb des Bildraumes (bzw. der Bildfläche im engeren Sinn) die bildrelevanten Figur/Grund-Differenzierungen gebildet werden, die der Wahrnehmung des eigentlichen Bildinhaltes dienen. Der Rahmen liegt dabei ganz außerhalb des betrachteten Wahrnehmungsraumes, der im Wesentlichen als inhärent unbegrenzt empfunden wird. Bildwahrnehmung beruht also zumindest bei darstellenden Bildern mit ausgeprägtem Rahmen auf einer mindestens doppelten Kaskade von vertikalen Verschiebungen von Figur/Grund-Differenzierungen, durch die die konfligierenden Situierungen von sowohl Bildinhalt wie Wand als gleichzeitig hinter dem Rahmen befindlich konstituiert werden.<br />
:<br />
Auf die Rolle der Figur/Grund-Differenzierungen für das gestalterische Sehen und die reflexive Verwendung von Bildern wurde oben bereits hingewiesen.<br />
<br />
===Kommunikationstheoretische Assoziationen===<br />
<br />
Die Konzeption der Figur/Grund-Differenzierung ist nicht nur in Wahrnehmungstheorien relevant: Auch bei [[Interaktion und Kommunikation|Kommunikation]] und insbesondere dem Gebrauch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche_Zeichen|sprachlicher Zeichen]] läßt sich eine analoge Differenzierung konstatieren. So werden in der Linguistik diejenigen Teile einer Äußerung bzw. eines Satzes als »thematisch« charakterisiert, die dem Adressaten bereits bekannt sind (oder auch: ihm als bekannt gelten), während das für ihn Neue in den als »rhematisch« beurteilten Abschnitten zur Sprache kommt. Das Thema bildet den Hintergrund für die eigentlich wichtige Mitteilung des Rhemas, das ohne diese Verankerung im bereits (gemeinsam) Bekannten nicht verständlich wäre.<ref>Die Thema/Rhema-Aufteilung wurde insbesondere in der Nachfolge von V. Mathesius von der Prager Schule als grundlegende linguistische Differenzierung untersucht; vgl. <bib id='Mathesius 1911a'></bib>.</ref> Genau genommen verbirgt sich bei propositionalen Äußerungen sogar eine doppelte Figur/Grund-Aufteilung: Zum Einen die Differenzierung zwischen dem thematischen [[Kontext]] und dem fokussierten [[Proposition|propositionalen Gehalt]] der Äußerung; und zum Anderen innerhalb der Proposition die zwischen den [[Nomination|Nominationen]], die als bereits bekannter Hintergrund (und Teil des Kontexts) als Anker für die neue Information dienen, welche mit der [[Prädikation]] als Figur auftritt (und als solche noch nicht im gemeinsamen Diskurskontext vor der Äußerung enthalten sein sollte).<ref>Im sprachlichen Fall kann es daher insbesondere vorkommen, dass eine als rhematisch intendierte Information tatsächlich vom Rezipienten bereits gewußt wird und daher für ihn zum thematischen Teil der Äußerung zählt, während ein vom Produzenten als thematisch eingeschätzter Äußerungsteil dem Rezipienten noch nicht bekannt war und für ihn somit zum Rhema wird. Die damit eröffnete Dynamik der kommunikativen Figur/Grund-Differenzierung ist ein wesentliches Charakteristikum sprachlicher Zeichen und demonstriert, dass zumindest bei diesen prinzipiell jede semantische Betrachtung von pragmatischen Aspekten dominiert wird. </ref><br />
:<br />
Im Bereich der Nachrichtentechnik, also in den Ingenieurwissenschaften, spielt schließlich das Verhältnis von »Signal«&#8203; und »Rauschen«&#8203; (auch ‘Untergrund’) eine mit »Figur«&#8203; und »Grund«&#8203; vergleichbare Rolle. Im Unterschied zur üblichen Redeweise von der Figur ''vor'' dem Grund wird hierbei allerdings davon gesprochen, dass es das Signal ist, das vom Rauschen ''über''lagert wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Verwendung von ‘Signal’ und ‘Rauschen’ in dem Bereich Signalentdeckungstheorie der Wahrnehmungspsychologie; <bib id='Velden 1982a'></bib>. </ref><br />
<br />
=== Figur/Grund-Differenzierung und Aufmerksamkeit ===<br />
<br />
Offensichtich kann die Figur/Grund-Differenzierung von Aufmerksamkeit und Erwartung beeinflusst und in gewissen Grenzen gesteuert werden. Die die Figur vom Grund abhebenden Gestaltbildungsprozesse stellen selbst einen spontan wirksamen Aufmerksamkeitsmechanismus dar. Gegenüber Aufmerksamkeitsphänomenen im engeren Sinn tritt bei der Figur/Grund-Differenzierung allerdings ''kein'' Ausblenden des jeweiligen Hintergrundes auf: Wird etwa eine Aufgabe mit hoher Konzentration bearbeitet – oder auch ein Spiel ganz vertieft gespielt –, so wird die jeweilige Umgebung oft völlig “vergessen”, bleibt ganz ausgeblendet und subjektiv verschwunden. <br />
:<br />
Das Wechselspiel zwischen sich spontan bildender Figur-Aufmerksamkeit und erwartungsgesteuerter Konzentration auf bestimmte Reizkonstellationen wird besonders deutlich bei der oben erwähnten umgekehrten vertikalen Dynamik: Es ist schwierig, die gestalterische Sichtweise gegen die spontane dreidimensionale Gestaltbildung durchzusetzen, selbst wenn diese bistabil ist.<br />
:<br />
In der [[Bildbearbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]] wird eine analoge Unterscheidung zwischen sogenannten ''bottom up''-Prozessen und ''top down''-Prozessen gemacht: In ''bottom up''-Prozessen werden sensorische Elemente sozusagen ohne Aufmerksamkeitssteuerung nach Gestaltgesetzen selektiert und zusammengruppiert und zu komplexeren perzeptuellen Einheiten zusammengebunden; bei ''top down''-Verfahren werden die Gruppierungs- und Selektionsschritte von einer vorgegebenen Zielgestalt (auf der gewissermaßen die Aufmerksamkeit ruht) gelenkt. Das Ziel kann dabei durchaus auch ein 3D-Modell sein (zu 3D-Modell ⊳ [[Computergraphik]]) oder sogar einem sortalen Gegenstand entsprechen.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Bildbearbeitung, digitale]]<br />
* [[Bildinhalt]] <br />
* [[Computergraphik]]<br />
* [[Dezeptiver und immersiver Modus]]<br />
* [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Horizont]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Kippbild]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Phänomenologie]]<br />
* [[Prädikation]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Sortale Gegenstände und Individuation]]<br />
* [[Stil]]<br />
* [[Wahrnehmungsillusion]]<br />
* [[Wahrnehmungsmedien]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J.]]<br />
* [[Benutzer:Zsuzsanna Kondor|Kondor. Zsuzsanna]]<br />
<br />
{{GlosTab4}}<br />
''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Figur/Grund-Differenzierung&diff=26544Figur/Grund-Differenzierung2016-09-20T12:17:31Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Die “vertikale” Dynamik */</p>
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<br />
Bei der Gegenüberstellung von »Figur« und »Grund« handelt es sich um ein ganz allgemeines Prinzip der Wahrnehmung, das vor allem anhand der Bildwahrnehmung erkannt und untersucht worden ist und für diese auch besondere Bedeutung hat: In jedem Fall von Wahrnehmung ist das Wahrnehmungsfeld notwendig gegliedert in einen als ‘Figur’ bezeichneten fokussierten Bereich, der als aus dem Hintergrund des restlichen Wahrnehmungsfeldes hervorgetreten wahrgenommen wird.<br />
Diese Gliederung unterscheidet Wahrnehmung von verwandten, aber strukturell einfacheren Begriffen der Einwirkung von Welt auf die Aktivitäten eines Organismus. Beim Reflexbegriff etwa ist noch keine Figur/Grund-Differenzierung des Reizes enthalten: Der einem Reflexbogen zugeordnete Reiz ist entweder vorhanden oder nicht, seine situationale Einbettung in den Kontext für den Reflex nicht von Bedeutung.<ref>Allenfalls Krankheit oder Ermüdung – also dem Aktivitätsträger selbst und nicht dessen Umwelt zugerechnete Eigenschaften – können den Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion verändern. Zur Reflextheorie vgl. <bib id='Gallistel 1980a'></bib>, insbesondere Kap. 1 (vgl. <bib id='Sherrington 1947a'></bib>). </ref> Erst bei den komplexerem Verhalten<ref>Vgl. auch [[Exkurs: Handlungen]]: Handlungen im weiten Sinn.</ref> zugeordneten Wahrnehmungen macht es Sinn, von einem aus dem gesamten “Merkfeld” herausgehobenen Bereich zu sprechen, dessen Wirkung zugleich auch von dem Rest des Merkfeldes abhängt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Figur die visuelle Gestalt eines gesehenen, teilweise verdeckten Gegenstandes ist, eine Stimme in einer polyphonen Musikkomposition, die Geruchskomponente eines Parfums oder der Geschmack eines bestimmten Gewürzes in einem Gericht: Stets existiert diese Figur nur vor einem (oder: eingebettet in einen) zugehörigen Grund.<br />
<br />
<br />
==Verankerung in der Gestalttheorie==<br />
<br />
Um die Fülle der Informationen, die auf ein Lebewesen von seiner Umgebung einströmen, zu organisieren und für sein Verhalten zu nutzen, müssen selektierende und gruppierende Faktoren zusammenwirken. Wichtige Faktoren, die speziell bei den ‘Wahrnehmung’ genannten Phänomenen eine Rolle spielen, wurden in der [[Gestalt]]theorie zusammengestellt. Wahrgenommen werden keine isolierten Elemente – einzelne Empfindungen (wie sie etwa dem Reizungszustand einer einzelnen Sehzelle entsprechen würden) – sondern Gesamtheiten, die prinzipiell etwas sind, was in verschiedene Umgebungen eingebettet auftreten kann: Solche Gesamtheiten erscheinen damit prinzipiell als Gestalten vor einem Hintergrund und fokussieren auf diese Weise die [[Aufmerksamkeit]] auf bestimmte immer wieder vorkommende Konfigurationen.<br />
:<br />
[[Datei:450px-Kanizsa triangle.svg.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 1: Kanizsa-Dreieck]]<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung liefert dabei den Rahmen für die gestaltpsychologischen Gruppierungsregeln: Gestaltgesetze, wie das der Nähe, der Geschlossenheit oder der Kontinuität, zielen darauf ab, Teile des Gesichtsfeldes als ''eine'' Figur vom Rest abzuheben. So wird etwa das grafisch gar nicht vorhandene “weiße Dreieck auf weißem Grund” in Abbildung 1 als eine “gute Gestalt” vor einem weitgehend gleichfarbigen Hintergrund gesehen. <br />
:<br />
Als allgemeines Wahrnehmungsphänomen ist die Figur/Grund-Differenzierung weder speziell auf visuelle Wahrnehmung beschränkt, noch gar auf das Wahrnehmen von Bildern. Allerdings wurde das Phänomen vor allem anhand von speziellen Bildwahrnehmungen entdeckt und untersucht. <br />
<br />
===Entdeckung durch Rubin===<br />
<br />
In die Wissenschaft eingeführt wurde die Figur/Grund-“Illusion” um 1915 durch den dänischen Psychologen Edgar John Rubin (1886–1951) insbesondere am Beispiel der so genannten «Rubinschen Vase» (vgl. Abb. 2). Diese Grafik, bei der die Wahrnehmung zweier einander gegenüberstehenden Gesichter in die Wahrnehmung einer dazwischen stehenden Vase umspringt, spielt in Rubins zweibändigem Werk «Synsoplevede Figurer» (deutsch (1921): «Visuell wahrgenommene Figuren») zum ersten Mal eine wichtige Rolle.<ref>Rubin führte eine Reihe ähnlicher Bilder ein (etwa das schwarz-weiße Malteserkreuz), aber am bekanntesten wurde die «Rubinsche Vase».</ref> Rubins Grafik ist ein Spezialfall der so genannten multistabilen Wahrnehmung.<ref>Man spricht von ‘multistabiler Wahrnehmung’, wenn es zu spontanen Wechseln zwischen mehreren wahrgenommenen Inhalten ohne Änderung der Reizsituation kommt, z.B. wenn wir uns visuell zweideutigen Darstellungen wie der «Rubinsche Vase» oder dem «Necker-Würfel» gegenübersehen. Nicht immer verändern sich dabei die Bereiche, die als Figur bzw. Grund empfunden werden.</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Rubin-1.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 2: Die Grafik «Rubinsche Vase»]]<br />
Der aus Kopenhagen stammende Rubin verbrachte einige Zeit in Göttingen, worauf sich u.a. eine [[Phänomenologie|phänomenologische]] Perspektive in seiner Auffassung von visueller Wahrnehmung zurückführen lässt. Offensichtlicher noch ist allerdings seine Nähe zur [[Gestalt|Gestaltpsychologie]], insofern nämlich die «Rubinsche Vase» einen weiteren Beleg für deren These lieferte, dass das visuell Wahrgenommene nicht mit dem Netzhautbild identisch ist. An der «Rubinschen Vase» lässt sich so das Prinzip der Emergenz deutlich machen, nach dem wir Gegenstände unserer Umgebung als Ganze und auf einmal wahrnehmen. Wahrnehmung sollte demnach als ein produktiver Prozess der Gegenstandskonstitution aufgefasst werden, der das in unserer Erfahrung Erfasste mit Inhalten zur Lage und Beschaffenheit der jeweiligen Gegenstände versorgt, die nicht schon in den reinen Sinnesdaten enthalten sind.<br />
<br />
===Was bedeutet «Figur und Grund»?===<br />
<br />
Anhand der «Rubinschen Vase» lässt sich untersuchen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich Figur und Grund in der Wahrnehmung bilden bzw. wie zwischen verschiedenen Figur/Grund-Differenzierungen hin- und hergesprungen wird. Rubin formulierte 1915 folgenden „fundamentalen Satz“: <br />
:<br />
:''Wenn zwei Felder aneinander grenzen und das eine als Figur und das andere als Grund erlebt wird, kann das unmittelbar anschaulich Erlebte als dadurch gekennzeichnet betrachtet werden, daß von der gemeinsamen Kontur der Felder ein formendes Wirken ausgeht, das sich nur bei dem einen oder in einem höheren Grade bei dem einen Feld als bei dem anderen geltend macht.'' (<bib id='Rubin 1921a'></bib>: S. 36f.) <br />
:<br />
Im Falle bistabiler Wahrnehmung manifestiert sich dieses „formende Wirken“ nach beiden Seiten in gleichem Grade: Die Zuweisung von Figur und Grund ist austauschbar und fluktuiert spontan: In Rubins berühmtem Beispiel sehen wir alternierend zwei Gesichter gegen einen weißen Hintergrund und eine Vase gegen einen schwarzen Hintergrund. Zu einem gegebenen Zeitpunkt nehmen wir dabei immer nur eine der beiden Möglichkeiten wahr. Da das Erregungsmuster der Netzhaut sich dabei nicht verändert hat, kann es nicht als Ursache für den spontanen Wechsel der Zuweisung herangezogen werden.<br />
:<br />
Wie Rubin festgestellt hat, tendieren wir dazu, eine kleinere, geschlossene Form als Figur gegen den Grund der größeren umgebenden Flächeanzusehen.<ref>Weitere Faktoren, die dazu beitragen, bevorzugt eine Seite einer (potentiellen) Konturlinie bzw. einen Bildbereich als Figur erscheinen zu lassen, diskutiert etwa Arnheim (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 219 ff). Vgl. auch [http://scholarpedia.org/article/Figure-ground_perception Scholarpedia: Figure-ground perception]</ref> Der Figur kommt eine ''Dingqualität'' zu, während der Grund als eher schwer zu fassen und zu kategorisieren erscheint. Die Figur sticht heraus, der Grund tritt dagegen zurück. Insbesondere wird die sie trennende Kontur selbst stets der Figur zugerechnet, nicht dem Grund. Neuere psychologische Experimente haben Rubins These hinsichtlich der Kontur empirisch bestätigt (<bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897).<ref><bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897: ''In (a), following a vase-to-faces transition, the standard image was replaced by an embossed-face version of the same stimulus, whereas in (b), subsequent to a faces-to-vase change, an embossed-vase version replaced the standard.'' (vgl. die zugehörige [[Media:Rubin-Embossed.png|Bilddatei]]).</ref><br />
<br />
===Zusammenhang mit visueller Tiefenwahrnehmung===<br />
<br />
[[Datei:vexiAegypterin_m.jpg|thumb|Abbildung 3: «Ägypterin» – Variante der «Rubinschen Vase» mit mehr als zwei Tiefenebenen ]]<br />
Dass die Konturlinie zur Figur gerechnet wird, ihre Grenze markiert, bedeutet auch, dass der Grund als ''hinter'' der Figur weitergehend wahrgenommen wird, obwohl er dort nicht direkt zu sehen ist. Die Konturlinie wirkt als Grenze nicht für ihn. Die in Abbildung 3 gezeigte Variante der Rubinschen Vase – bei der es sich in diesem Fall tatsächlich nicht um eine Vase sondern um einen Kerzenständer handelt – demonstriert diesen Aspekt augenfällig: Denn neben den beiden Figur-Zuordnungen der klassischen Fassung – zwei im Profil einander gegenüberliegende Gesichter bzw. ein Kerzenleuchter – tritt hier als dritte Variante auf: ''ein frontal dargestelltes Gesicht zu beiden Seiten des Kerzenständers, das teilweise hinter diesem verborgen bleibt'' (und selbst vor einem weiteren Hintergrund mit sechseckigem Muster liegt).<br />
:<br />
Arnheim sieht die Figur/Grund-Differenzierung als speziellen Fall des Erzeugens von Tiefenstaffelungen in der visuellen Wahrnehmung, nämlich einer mit genau zwei Ebenen (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 228 ff). Das Beispiel der «Ägypterin» (Abb. 3) macht zudem deutlich, dass der Figurbereich nicht notwendig als jeweils vorderste Darstellungsebene betrachtet wird: Bildet in dem Beispiel das Gesicht den als Figur wahrgenommenen Bildbereich, so steht der Kerzenleuchter zwar davor, ist aber nicht Teil der Figur. Dabei erklärt das Prinzip der ''guten'' (einfachen bzw. bekannten) Gestalt – hier eines frontal gesehenen Gesichts –, wieso die Figur/Grund-Differenzierung eine solche Tiefenstaffelung motiviert.<br />
:<br />
Allerdings ist die allgemeine ''Tiefen''-Staffelung im Gegensatz zur Figur/Grund-Differenzierung nicht ohne weiteres auf andere Sinnesmodalitäten übertragbar: Mag beim Gehörsinn noch eine nach Entfernung gestaffelte Verallgemeinerung der Figur/Grund-Differenzierung Sinn machen, scheinen sich die anderen Sinne eher dagegen zu sperren: als ''Lokalsinne'' liefern sie keine ''Übersicht''. Eine durch ''Verdeckungen'' bedingte Dynamik in der Figur/Grund-Differenzierung muss hier ganz anders gefasst werden. Handlungstheoretisch läßt sich im Übrigen eine Verbindung herstellen zwischen der spezifischen Art der Figur/Grund-Differenzierung in der visuellen Wahrnehmung und der Fähigkeit, den Schärfebereich der Linse im [[Auge]] zu verändern – eine Verhaltensoption, die in den anderen Fernsinnen nicht gegeben ist. Zusammen mit der entsprechenden Augenorientierung (nämlich mehr (näher) oder weniger (ferner) abweichend von der Parallelität der optischen Achsen der Augen), bildet dieser effektorische Anteil des visuellen Wahrnehmungsapparates die Basis für die Kopplung der Figur/Grund-Differenzierung mit der Tiefenwahrnehmung.<ref>Die Akkomodation der Linsen wird meist nicht direkt bewusst gesteuert und ist normalerweise mit der relativen Verdrehung der optischen Achsen beider Augen gegeneinander gekoppelt, so dass die Linsen jeweils ungefähr auf die Distanz eingestellt werden, in der sich die optischen Achsen schneiden.</ref><br />
<br />
==Zwei Arten der Dynamik von Figur/Grund-Differenzierungen==<br />
<br />
Figur/Grund-Differenzierungen sind offensichtlich kein statisches Phänomen: Die die Wahrnehmung konstituierende Einteilung des Wahrgenommenen in Figur und Grund verändert sich mit der Zeit, selbst wenn keine Veränderung der äußeren Welt (der zugrunde liegenden Reizsituation) stattfindet. Diese Dynamik kann einfach der zeitlichen Abfolge entsprechen, in der verschiedene Bereiche des jeweiligen Merkfeldes in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken. Es kann aber auch um eine ganz andere Art der Verschiebung von Grund und Figur gehen, bei der etwas, was zunächst (ganzheitliche) Figur war, nun selbst (verschiedenen) Figur/Grund-Differenzierungen unterworfen werden kann. Dynamiken der ersten Art kann man vereinfachend als ‘horizontal’ bezeichnen, zumal sich der [[Horizont|Betrachtungshorizont]] dabei nicht verändert, die Wahrnehmung also, metaphorisch gesprochen, “in demselben Horizont bleibt”. Bei der zweiten Sorte verändert sich hingegen gerade der Wahrnehmungshorizont, wie bei einer vertikalen Bewegung oder einem Zoomen; daher die metaphorische Kurzbezeichnung ‘vertikale Dynamik’. <br />
<br />
===Die “horizontale” Dynamik===<br />
<br />
[[Datei:Gegenstände.jpg|thumb|Abbildung 4: Bild «Gegenstände» von [http://www.antje-bohnstedt.de/illustrationen/gegenstaende/farbe/ Antje Bohnstedt] ]]<br />
Bistabile Wahrnehmungen wie bei der «Rubinschen Vase», bei denen die Zuweisung von Figur und Grund sich immer wieder spontan umkehrt, stellen tatsächlich nur einen Spezialfall einer allgemeinen Variabilität der Figur/Grund-Bildung dar. Die Veränderung der konkreten Figur/Grund-Differenzierung kann dabei – muss aber nicht, wie die spontanen Wechsel bei multistabilen Wahrnehmungen deutlich werden lassen – durch Aufmerksamkeitsverschiebungen vom Wahrnehmenden beeinflusst werden. Beispielweise wird auch ein Betrachter des Bildes in Abbildung 4 – abhängig von seinen Augenbewegungen – zwischen verschiedenen Figur/Grund-Zuordnungen hin- und herspringen.<ref>Die Beobachtungen, die sich hierbei an der verhältnismäßig zufälligen Zusammenstellung von Gegenständen in einem Bild wie Abbildung 4 machen lassen, sind ohne weiteres auch auf kohärenter strukturierte Bilder (oder allgemeiner Szenen) von Gegenständen zu übertragen, wie beispielweise Stillleben.</ref> Verschiedene Bildbereiche werden jeweils als Figur vor dem restlichen Grund verwendet: Diese Wechsel sind bei [[Sortale Gegenstände und Individuation|sortalen Gegenständen]] besonders deutlich,<ref>Dazu passt, dass sortale Gegenstände zwar als ihre jeweils aktuellen Umgebungen (“Hintergründe”) übersteigende (nämlich persistente) Phänomene begriffen werden, gleichwohl aber auch nie außerhalb eines [[Kontext]]es erscheinen können. </ref> aber keineswegs auf diese beschränkt. Auch wenn beispielsweise die Pinselstriche eines Gemäldes betrachtet werden und die Aufmerksamkeit von einem besonders ausgeführten Pinselstrich zu einem benachbarten Strich wandert, geht das stets mit einer entsprechenden neuen Figur/Grund-Differenzierung des visuellen Wahrnehmungsfeldes einher: Was zuerst Teil des Grundes war, wird zur neuen Figur, und die alte Figur zum Teil des neuen Grundes. <br />
:<br />
Ganz analog ist ein Umschalten der Figur/Grund-Unterscheidung beim Hören die perzeptuelle Basis des Aufmerksamkeitswechsel bei einer polyphonen Komposition auf eine andere Stimme, oder auch auf eine andere Instrumentalgruppe im Gesamtklang eines ausgehaltenen Orchesterakkords; beim Riechen das Hervortreten einer anderen Geruchskomponente eines Parfums, oder beim Schmecken das Bemerken einer weiteren Zutat in einer Sauce.<br />
:<br />
<!-- »Figur« (bzw. auch »Gestalt«) und Objektbegriff... "aktuelle Gestalt" und persistenter Gegenstand --><br />
<br />
===Die “vertikale” Dynamik===<br />
<br />
Betrachten Sie in Abbildung 4 den Federball. Nun betrachten Sie den weißen Fleck, der sich in dem Bildbereich befindet, der die rote Kappe des Federballs darstellt. In beiden Fällen wird Ihre Wahrnehmung von einer entsprechenden Figur/Grund-Differenzierung begleitet. Allerdings wird nun das, was zunächst Figur war, selbst in Figur und Grund zerlegt. Obwohl der Übergang zwischen beiden zunächst wie ein Fall von “horizontaler” Figur/Grund-Dynamik aussieht, handelt es sich um ein wesentlich komplexeres Phänomen, das mit der Frage zusammenhängt, was es denn eigentlich ist, was sich (“horizontal”) in verschiedene Figur/Grund-Paarungen aufspalten lässt. <br />
:<br />
Insbesondere konstruktivistische Wahrnehmungstheorien unterscheiden zwischen dem, was schon in Figur und Grund getrennt ist (“so sehen wir die Welt”), und das, was sich – durch einen Betrachter – in (prinzipiell diverse) Figur/Grund-Differenzierungen aufgliedern lässt, aber selbst noch nicht so aufgespalten ist (“die Welt, die gesehen werden kann”, “das, was (mithilfe von darauf vorgenommenen Figur/Grund-Differenzierungen) wahrgenommen wird”). Neben die eigentliche Figur/Grund-Gliederung tritt damit ein Drittes, das man, einem Gedanken Heiders folgend, das ‘Medium’ der Figur/Grund-Differenzierung nennen kann.<ref>Vgl. Heider «Ding und Medium». Auch einer der Medienbegriffe der Systemtheorie Luhmanns ist an diese Aufteilung angelehnt. Dazu auch ⊳ [[Wahrnehmungsmedien]]. </ref> Charakteristisch für diese “vertikale” Dynamik der Figur/Grund-Differenzierung ist, dass das ''Medium'' für eine Figur/Grund-Unterscheidung selbst das Resultat einer anderen (“tieferen”) Figur/Grund-Differenzierung darstellt. Mit ihr ist insbesondere das Phänomen der Emergenz der dritten Dimension verbunden.<br />
<br />
[[Datei:11.png|thumb|Abbildung 5: Bistabile Grafik «Neckerwürfel»: 3D- versus 2D-Wahrnehmung ]]<br />
Am Beispiel des sogenannten Neckerwürfel kann man sich das klar machen: Der Neckerwürfel gilt als ein typisches Beispiel einer bistabile 3D-Wahrnehmung: Bei der durch die schwarzen Linien bestimmten Figur eines Würfels vor neutralem Hintergrund kann entweder die linke obere oder die rechte untere der beiden im Inneren der Figur zu sehenden Ecken vorne liegen. Beide Wahrnehmungsalternativen schließen einander aus und springen in der Regel spontan ineinander um. Allerdings gibt es eine weitere Sichtweise des Bildes bei 2D-Interpretation – also als flache schwarze Linien auf weißer Fläche, die eine Flächenkachelung bilden. In diesem Fall bildet nicht der Würfel die Figur sondern eine der folgenden Flächen: in der Mitte ein kleines Quadrat, umgeben von zwei einander gegenüberliegenden kleinen Dreiecken (links unten und rechts oben) und vier Trapezen. Man stelle sich die Grafik etwa als Teil eines mit weißen Kacheln und schwarzen Fugen gestalteten Fußbodens vor. Offensichtlich entspricht diese Wahrnehmung der Wahrnehmung des Bildträgers, aus dem die dritte Dimension, in der der Würfel existiert, abgeleitet wird. <br />
:<br />
[[Datei:Dalmatiner.jpg|thumb|Abbildung 6: Verzögerte Figur/Grund-Differenzierung der zweiten Ebene bei erstem Sehen]]<br />
Auch der – für Emergenz-Phänomene charakteristische – Aha-Effekt, der bei der ersten Begegnung mit der Pigmentverteilung in Abbildung 6 in der Regel erst nach einiger Zeit auftritt, entspricht einem Wechsel der Figur/Grund-Zuordnung im vertikalen Sinn: Während zunächst die schwarzen Flecken als mehr oder weniger zufällig auf der Fläche verteilt erscheinen und einzelne davon spontan als Figur vor der umgebenden Fläche hervortreten, organisiert sich die Wahrnehmung im günstigen Fall nach einiger Zeit so, dass insbesondere ein schnüffelnder Dalmatiner als Figur vor einer Straßenszene in der Mitte des Bildes gesehen wird. <br />
:<br />
Wie beim Necker-Würfel ist es auch in diesem Fall schwierig, nach dem Erscheinen der dreidimensionalen szenischen Sichtweise auf die zugrundeliegende Flächensichtweise zurückzukommen. Der Abstieg zu den [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Elementen der Bildsyntax]] erfolgt selten spontan. Genau diese Umkehrung der vertikalen Figur/Grund-Verschiebungen spielt allerdings beim sogenannten Gestalterischen Sehen eine wichtige Rolle, geht es dabei doch darum, vorherrschende Figur/Grund-Differenzierungen aufzuheben, und beispielsweise statt des Neckerwürfels die zweidimensionale Flächenaufteilung des Bildes zu sehen. Auch die [[Bild in reflexiver Verwendung|reflexive Verwendung]] von Bildern (bzw. Szenen) verweist auf die vertikale Dimension, insofern hier die Bildwahrnehmungen als Beispiele für bestimmte Figur/Grund-Differenzierungen oder deren Fehlen verwendet werden: Das Bild der Rubinschen Vase dient in der Regel nicht dazu, visuell zwei Gesichter (oder eine Vase) zu präsentieren, sondern das Phänomen der Bistabilität der Figur/Grund-Differenzierung und damit eine bestimmte Art von Figur/Grund-Dynamiken selbst als Figur zu demonstrieren. <br />
:<br />
Auch die vertikalen Verschiebungen der Figur/Grund-Differenzierungen sind nicht auf die visuellen Sinne beschränkt. Ein auditorisches Beispiel mag der Unterschied zwischen dem Verfolgen einer Melodie und dem Konzentrieren auf die Intonation ihrer Ausführung geben.<br />
<br />
==Auswirkungen==<br />
<br />
===Auswirkungen hinsichtlich Bild und Bild&shy;wahrneh&shy;mung===<br />
<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung ist als allgemeine Eigenheit von Wahrnehmung zwar nicht spezifisch für Bildwahrnehmung, dort aber auch – insbesondere bei darstellenden Bildern – sehr wichtig. Entsprechend hat «Rubins Vase» Einfluss in den Bereichen Kunst und Design gehabt. Figur/Grund-Effekte, die dem [[Kippbild]] von Gesicht und Vase analog sind, wurden etwa von M. C. Escher häufig an ganz zentraler Stelle verwendet.<ref>Vgl. dazu die Galerie der [http://www.mcescher.com/gallery/ M.C. Escher Foundation], insbesondere die Kollektionen «Symmetry» und «Transformation Prints».</ref> Kippbilder im allgemeinen sind allerdings nicht spezifisch auf Rubins Entdeckung zurückzuführen. Viele Designer von Logos setzen Zweideutigkeiten hinsichtlich der Figur/Grund-Differenzierung in ihren Arbeiten ein, um eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erreichen. In der Kunst spricht man übrigens statt von ‘Figur’ und ‘Grund’ oft auch von ‘positivem’ bzw. ‘negativem Raum’ (vgl. <bib id='Tritthart 2013a'></bib>).<ref>Die Gegenüberstellung von positivem und negativem Raum nimmt in der Architektur eine besondere, von der allgemeinen Figur/Grund-Differenzierung etwas abgesetzte Bedeutung an: Positiv ist der von Mauerwerk etc. eingenommene Platz, negativ der umbaute Raum. </ref><br />
:<br />
Was die Konstitution des [[Bildinhalt|Bildinhalts]] gerade von naturalistisch gestalteten Bildern, Photographien oder Projektionen angeht, sind die dabei wirksamen Figur/Grund-Unterscheidungen mehr oder weniger direkt mit der bei “direkter” visueller Wahrnehmung der dargestellten Szene vergleichbar. Umgekehrt werden beispielsweise Abschwächungen der Figur-bildenden Eigenschaften einer Umrißlinie in der asiatischen Grafik wie auch der klassischen Moderen im Westen dazu benutzt, die naturalistische Tiefenstaffelung und dreidimensionale Raumwirkung zu unterlaufen. Arnheim erläutert mit Blick auf Strichzeichnungen von Matisse (gegenüber Rembrandt): <br />
:<br />
:''Bei Matisse ist der Begrenzungscharakter der Umrißlinien schwach; sie haben weitgehend die Eigenschaft selbständiger Objektlinien. Die Körper wirken nicht kompakt und lassen leicht erkennen, daß sie nur Teile der leeren Papieroberfläche sind. Die Zeichnung liegt wie ein durchsichtiges Netzwerk aus Linien über dem Hintergrund. Die dreidimensionale Wirkung ist auf ein Mindestmaß reduziert. Dahinter steckt natürlich Absicht. Während die älteren Künstler eine feste Körperlichkeit und klar erkennbare Tiefe hervorheben wollten, ging es den modernen darum, Objekte zu entstofflichen und die Wirkung des Raumes herabzusetzen. Die modernen Zeichnungen sollen leichtgewichtige, offensichtlich von Menschenhand stammende Schöpfungen sein: Früchte der Einbildung und nicht Vortäuschungen einer stofflichen Wirklichkeit. Sie sollen die Fläche betonen, aus der sie entstanden sind.'' (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 220).<br />
:<br />
Generell ermöglichen spezifische [[Stil|Darstellungsstile]], insbesondere über Konturbetonung, Licht-Schatten-Setzung und ähnliche “Techniken”, bei Bildern, als intentional gestalteten Wahrnehmungsangeboten, bestimmte Figur/Grund-Bildungen beim Betrachter zu forcieren und so gezielt Interpretationen zu induzieren. Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der intendierten Kommunikation erhöht werden: Die bewußte Gestaltung der Figur/Grund-Differenzierung wirkt also als kommunikative Strategie. Einen Sonderfall der Bildherstellung stellt in dieser Hinsicht sicher die Erzeugung von multistabilen visuellen Wahrnehmungen dar. <br />
:<br />
Für die Bildwahrnehmung zentral ist zudem die Figur/Grund-Differenzierung zur Wahrnehmung des Bildes insgesamt, nämlich als ein Bildträger vor seinem Hintergrund. Mag die Wahrnehmung des darauf Abgebildeten noch so sehr auf die Figur/Grund-Differenzierungen aufbauen, die die abgebildete Szene selbst ermöglicht, etwa bei einem ''trompe l'œil''; das alleine würde noch kein Bild ausmachen sondern lediglich eine Wahrnehmungstäuschung beschreiben (⊳ [[Dezeptiver und immersiver Modus]] und [[Wahrnehmungsillusion]]). Mithilfe von [[Rahmung, Rahmen|Rahmen/Rahmung]] wird die Bildfläche von der umgebenden Wandfläche abgegrenzt und als Figur hervorgehoben. Entsprechend wird der Rahmen (als besonders betonte Kontur) auch zum Bildträger gerechnet, hinter dem sich die Wand ungesehen fortsetzt. Innerhalb des Bildträgers kann dann auf einer zweiten Stufe von Figur/Grund-Differenzierungen der Rahmen wiederum als Figur gesehen werden vor dem Hintergrund des Bildraumes (bei dreidimensional darstellenden Bildern)<ref>oder allgemeiner der eigentlichen Bildfläche</ref>, der zumeist – beispielsweise im Sinne von Albertis Fenster – als hinter dem Rahmen fortgeführt begriffen wird.<ref>Ausnahmen in reflexiver Verwendung sind mit Bildern gegeben, bei denen Teile des Inhalts auf den Rahmen oder gar über den (scheinbaren) Rahmen hinausgreifen, wie etwa bei Pere Borrell del Casos populärem Werk [https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Escaping_criticism-by_pere_borrel_del_caso.png «Flucht vor der Kritik»].</ref> Erst auf einer dritten Stufe können nun innerhalb des Bildraumes (bzw. der Bildfläche im engeren Sinn) die bildrelevanten Figur/Grund-Differenzierungen gebildet werden, die der Wahrnehmung des eigentlichen Bildinhaltes dienen. Der Rahmen liegt dabei ganz außerhalb des betrachteten Wahrnehmungsraumes, der im Wesentlichen als inhärent unbegrenzt empfunden wird. Bildwahrnehmung beruht also zumindest bei darstellenden Bildern mit ausgeprägtem Rahmen auf einer mindestens doppelten Kaskade von vertikalen Verschiebungen von Figur/Grund-Differenzierungen, durch die die konfligierenden Situierungen von sowohl Bildinhalt wie Wand als gleichzeitig hinter dem Rahmen befindlich konstituiert werden.<br />
:<br />
Auf die Rolle der Figur/Grund-Differenzierungen für das gestalterische Sehen und die reflexive Verwendung von Bildern wurde oben bereits hingewiesen.<br />
<br />
===Kommunikationstheoretische Assoziationen===<br />
<br />
Die Konzeption der Figur/Grund-Differenzierung ist nicht nur in Wahrnehmungstheorien relevant: Auch bei [[Interaktion und Kommunikation|Kommunikation]] und insbesondere dem Gebrauch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche_Zeichen|sprachlicher Zeichen]] läßt sich eine analoge Differenzierung konstatieren. So werden in der Linguistik diejenigen Teile einer Äußerung bzw. eines Satzes als »thematisch« charakterisiert, die dem Adressaten bereits bekannt sind (oder auch: ihm als bekannt gelten), während das für ihn Neue in den als »rhematisch« beurteilten Abschnitten zur Sprache kommt. Das Thema bildet den Hintergrund für die eigentlich wichtige Mitteilung des Rhemas, das ohne diese Verankerung im bereits (gemeinsam) Bekannten nicht verständlich wäre.<ref>Die Thema/Rhema-Aufteilung wurde insbesondere in der Nachfolge von V. Mathesius von der Prager Schule als grundlegende linguistische Differenzierung untersucht; vgl. <bib id='Mathesius 1911a'></bib>.</ref> Genau genommen verbirgt sich bei propositionalen Äußerungen sogar eine doppelte Figur/Grund-Aufteilung: Zum Einen die Differenzierung zwischen dem thematischen [[Kontext]] und dem fokussierten [[Proposition|propositionalen Gehalt]] der Äußerung; und zum Anderen innerhalb der Proposition die zwischen den [[Nomination|Nominationen]], die als bereits bekannter Hintergrund (und Teil des Kontexts) als Anker für die neue Information dienen, welche mit der [[Prädikation]] als Figur auftritt (und als solche noch nicht im gemeinsamen Diskurskontext vor der Äußerung enthalten sein sollte).<ref>Im sprachlichen Fall kann es daher insbesondere vorkommen, dass eine als rhematisch intendierte Information tatsächlich vom Rezipienten bereits gewußt wird und daher für ihn zum thematischen Teil der Äußerung zählt, während ein vom Produzenten als thematisch eingeschätzter Äußerungsteil dem Rezipienten noch nicht bekannt war und für ihn somit zum Rhema wird. Die damit eröffnete Dynamik der kommunikativen Figur/Grund-Differenzierung ist ein wesentliches Charakteristikum sprachlicher Zeichen und demonstriert, dass zumindest bei diesen prinzipiell jede semantische Betrachtung von pragmatischen Aspekten dominiert wird. </ref><br />
:<br />
Im Bereich der Nachrichtentechnik, also in den Ingenieurwissenschaften, spielt schließlich das Verhältnis von »Signal«&#8203; und »Rauschen«&#8203; (auch ‘Untergrund’) eine mit »Figur«&#8203; und »Grund«&#8203; vergleichbare Rolle. Im Unterschied zur üblichen Redeweise von der Figur ''vor'' dem Grund wird hierbei allerdings davon gesprochen, dass es das Signal ist, das vom Rauschen ''über''lagert wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Verwendung von ‘Signal’ und ‘Rauschen’ in dem Bereich Signalentdeckungstheorie der Wahrnehmungspsychologie; <bib id='Velden 1982a'></bib>. </ref><br />
<br />
=== Figur/Grund-Differenzierung und Aufmerksamkeit ===<br />
<br />
Offensichtich kann die Figur/Grund-Differenzierung von Aufmerksamkeit und Erwartung beeinflusst und in gewissen Grenzen gesteuert werden. Die die Figur vom Grund abhebenden Gestaltbildungsprozesse stellen selbst einen spontan wirksamen Aufmerksamkeitsmechanismus dar. Gegenüber Aufmerksamkeitsphänomenen im engeren Sinn tritt bei der Figur/Grund-Differenzierung allerdings ''kein'' Ausblenden des jeweiligen Hintergrundes auf: Wird etwa eine Aufgabe mit hoher Konzentration bearbeitet – oder auch ein Spiel ganz vertieft gespielt –, so wird die jeweilige Umgebung oft völlig “vergessen”, bleibt ganz ausgeblendet und subjektiv verschwunden. <br />
:<br />
Das Wechselspiel zwischen sich spontan bildender Figur-Aufmerksamkeit und erwartungsgesteuerter Konzentration auf bestimmte Reizkonstellationen wird besonders deutlich bei der oben erwähnten umgekehrten vertikalen Dynamik: Es ist schwierig, die gestalterische Sichtweise gegen die spontane dreidimensionale Gestaltbildung durchzusetzen, selbst wenn diese bistabil ist.<br />
:<br />
In der [[Bildbearbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]] wird eine analoge Unterscheidung zwischen sogenannten ''bottom up''-Prozessen und ''top down''-Prozessen gemacht: In ''bottom up''-Prozessen werden sensorische Elemente sozusagen ohne Aufmerksamkeitssteuerung nach Gestaltgesetzen selektiert und zusammengruppiert und zu komplexeren perzeptuellen Einheiten zusammengebunden; bei ''top down''-Verfahren werden die Gruppierungs- und Selektionsschritte von einer vorgegebenen Zielgestalt (auf der gewissermaßen die Aufmerksamkeit ruht) gelenkt. Das Ziel kann dabei durchaus auch ein 3D-Modell sein (zu 3D-Modell ⊳ [[Computergraphik]]) oder sogar einem sortalen Gegenstand entsprechen.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Bildbearbeitung, digitale]]<br />
* [[Bildinhalt]] <br />
* [[Computergraphik]]<br />
* [[Dezeptiver und immersiver Modus]]<br />
* [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Horizont]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Kippbild]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Phänomenologie]]<br />
* [[Prädikation]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Sortale Gegenstände und Individuation]]<br />
* [[Stil]]<br />
* [[Wahrnehmungsillusion]]<br />
* [[Wahrnehmungsmedien]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J.]]<br />
* [[Benutzer:Zsuzsanna Kondor|Kondor. Zsuzsanna]]<br />
<br />
{{GlosTab4}}<br />
''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Figur/Grund-Differenzierung&diff=26543Figur/Grund-Differenzierung2016-09-20T12:16:15Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Die “vertikale” Dynamik */</p>
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[[Kategorie:Bildwahrnehmung]]<br />
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<br />
Bei der Gegenüberstellung von »Figur« und »Grund« handelt es sich um ein ganz allgemeines Prinzip der Wahrnehmung, das vor allem anhand der Bildwahrnehmung erkannt und untersucht worden ist und für diese auch besondere Bedeutung hat: In jedem Fall von Wahrnehmung ist das Wahrnehmungsfeld notwendig gegliedert in einen als ‘Figur’ bezeichneten fokussierten Bereich, der als aus dem Hintergrund des restlichen Wahrnehmungsfeldes hervorgetreten wahrgenommen wird.<br />
Diese Gliederung unterscheidet Wahrnehmung von verwandten, aber strukturell einfacheren Begriffen der Einwirkung von Welt auf die Aktivitäten eines Organismus. Beim Reflexbegriff etwa ist noch keine Figur/Grund-Differenzierung des Reizes enthalten: Der einem Reflexbogen zugeordnete Reiz ist entweder vorhanden oder nicht, seine situationale Einbettung in den Kontext für den Reflex nicht von Bedeutung.<ref>Allenfalls Krankheit oder Ermüdung – also dem Aktivitätsträger selbst und nicht dessen Umwelt zugerechnete Eigenschaften – können den Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion verändern. Zur Reflextheorie vgl. <bib id='Gallistel 1980a'></bib>, insbesondere Kap. 1 (vgl. <bib id='Sherrington 1947a'></bib>). </ref> Erst bei den komplexerem Verhalten<ref>Vgl. auch [[Exkurs: Handlungen]]: Handlungen im weiten Sinn.</ref> zugeordneten Wahrnehmungen macht es Sinn, von einem aus dem gesamten “Merkfeld” herausgehobenen Bereich zu sprechen, dessen Wirkung zugleich auch von dem Rest des Merkfeldes abhängt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Figur die visuelle Gestalt eines gesehenen, teilweise verdeckten Gegenstandes ist, eine Stimme in einer polyphonen Musikkomposition, die Geruchskomponente eines Parfums oder der Geschmack eines bestimmten Gewürzes in einem Gericht: Stets existiert diese Figur nur vor einem (oder: eingebettet in einen) zugehörigen Grund.<br />
<br />
<br />
==Verankerung in der Gestalttheorie==<br />
<br />
Um die Fülle der Informationen, die auf ein Lebewesen von seiner Umgebung einströmen, zu organisieren und für sein Verhalten zu nutzen, müssen selektierende und gruppierende Faktoren zusammenwirken. Wichtige Faktoren, die speziell bei den ‘Wahrnehmung’ genannten Phänomenen eine Rolle spielen, wurden in der [[Gestalt]]theorie zusammengestellt. Wahrgenommen werden keine isolierten Elemente – einzelne Empfindungen (wie sie etwa dem Reizungszustand einer einzelnen Sehzelle entsprechen würden) – sondern Gesamtheiten, die prinzipiell etwas sind, was in verschiedene Umgebungen eingebettet auftreten kann: Solche Gesamtheiten erscheinen damit prinzipiell als Gestalten vor einem Hintergrund und fokussieren auf diese Weise die [[Aufmerksamkeit]] auf bestimmte immer wieder vorkommende Konfigurationen.<br />
:<br />
[[Datei:450px-Kanizsa triangle.svg.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 1: Kanizsa-Dreieck]]<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung liefert dabei den Rahmen für die gestaltpsychologischen Gruppierungsregeln: Gestaltgesetze, wie das der Nähe, der Geschlossenheit oder der Kontinuität, zielen darauf ab, Teile des Gesichtsfeldes als ''eine'' Figur vom Rest abzuheben. So wird etwa das grafisch gar nicht vorhandene “weiße Dreieck auf weißem Grund” in Abbildung 1 als eine “gute Gestalt” vor einem weitgehend gleichfarbigen Hintergrund gesehen. <br />
:<br />
Als allgemeines Wahrnehmungsphänomen ist die Figur/Grund-Differenzierung weder speziell auf visuelle Wahrnehmung beschränkt, noch gar auf das Wahrnehmen von Bildern. Allerdings wurde das Phänomen vor allem anhand von speziellen Bildwahrnehmungen entdeckt und untersucht. <br />
<br />
===Entdeckung durch Rubin===<br />
<br />
In die Wissenschaft eingeführt wurde die Figur/Grund-“Illusion” um 1915 durch den dänischen Psychologen Edgar John Rubin (1886–1951) insbesondere am Beispiel der so genannten «Rubinschen Vase» (vgl. Abb. 2). Diese Grafik, bei der die Wahrnehmung zweier einander gegenüberstehenden Gesichter in die Wahrnehmung einer dazwischen stehenden Vase umspringt, spielt in Rubins zweibändigem Werk «Synsoplevede Figurer» (deutsch (1921): «Visuell wahrgenommene Figuren») zum ersten Mal eine wichtige Rolle.<ref>Rubin führte eine Reihe ähnlicher Bilder ein (etwa das schwarz-weiße Malteserkreuz), aber am bekanntesten wurde die «Rubinsche Vase».</ref> Rubins Grafik ist ein Spezialfall der so genannten multistabilen Wahrnehmung.<ref>Man spricht von ‘multistabiler Wahrnehmung’, wenn es zu spontanen Wechseln zwischen mehreren wahrgenommenen Inhalten ohne Änderung der Reizsituation kommt, z.B. wenn wir uns visuell zweideutigen Darstellungen wie der «Rubinsche Vase» oder dem «Necker-Würfel» gegenübersehen. Nicht immer verändern sich dabei die Bereiche, die als Figur bzw. Grund empfunden werden.</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Rubin-1.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 2: Die Grafik «Rubinsche Vase»]]<br />
Der aus Kopenhagen stammende Rubin verbrachte einige Zeit in Göttingen, worauf sich u.a. eine [[Phänomenologie|phänomenologische]] Perspektive in seiner Auffassung von visueller Wahrnehmung zurückführen lässt. Offensichtlicher noch ist allerdings seine Nähe zur [[Gestalt|Gestaltpsychologie]], insofern nämlich die «Rubinsche Vase» einen weiteren Beleg für deren These lieferte, dass das visuell Wahrgenommene nicht mit dem Netzhautbild identisch ist. An der «Rubinschen Vase» lässt sich so das Prinzip der Emergenz deutlich machen, nach dem wir Gegenstände unserer Umgebung als Ganze und auf einmal wahrnehmen. Wahrnehmung sollte demnach als ein produktiver Prozess der Gegenstandskonstitution aufgefasst werden, der das in unserer Erfahrung Erfasste mit Inhalten zur Lage und Beschaffenheit der jeweiligen Gegenstände versorgt, die nicht schon in den reinen Sinnesdaten enthalten sind.<br />
<br />
===Was bedeutet «Figur und Grund»?===<br />
<br />
Anhand der «Rubinschen Vase» lässt sich untersuchen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich Figur und Grund in der Wahrnehmung bilden bzw. wie zwischen verschiedenen Figur/Grund-Differenzierungen hin- und hergesprungen wird. Rubin formulierte 1915 folgenden „fundamentalen Satz“: <br />
:<br />
:''Wenn zwei Felder aneinander grenzen und das eine als Figur und das andere als Grund erlebt wird, kann das unmittelbar anschaulich Erlebte als dadurch gekennzeichnet betrachtet werden, daß von der gemeinsamen Kontur der Felder ein formendes Wirken ausgeht, das sich nur bei dem einen oder in einem höheren Grade bei dem einen Feld als bei dem anderen geltend macht.'' (<bib id='Rubin 1921a'></bib>: S. 36f.) <br />
:<br />
Im Falle bistabiler Wahrnehmung manifestiert sich dieses „formende Wirken“ nach beiden Seiten in gleichem Grade: Die Zuweisung von Figur und Grund ist austauschbar und fluktuiert spontan: In Rubins berühmtem Beispiel sehen wir alternierend zwei Gesichter gegen einen weißen Hintergrund und eine Vase gegen einen schwarzen Hintergrund. Zu einem gegebenen Zeitpunkt nehmen wir dabei immer nur eine der beiden Möglichkeiten wahr. Da das Erregungsmuster der Netzhaut sich dabei nicht verändert hat, kann es nicht als Ursache für den spontanen Wechsel der Zuweisung herangezogen werden.<br />
:<br />
Wie Rubin festgestellt hat, tendieren wir dazu, eine kleinere, geschlossene Form als Figur gegen den Grund der größeren umgebenden Flächeanzusehen.<ref>Weitere Faktoren, die dazu beitragen, bevorzugt eine Seite einer (potentiellen) Konturlinie bzw. einen Bildbereich als Figur erscheinen zu lassen, diskutiert etwa Arnheim (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 219 ff). Vgl. auch [http://scholarpedia.org/article/Figure-ground_perception Scholarpedia: Figure-ground perception]</ref> Der Figur kommt eine ''Dingqualität'' zu, während der Grund als eher schwer zu fassen und zu kategorisieren erscheint. Die Figur sticht heraus, der Grund tritt dagegen zurück. Insbesondere wird die sie trennende Kontur selbst stets der Figur zugerechnet, nicht dem Grund. Neuere psychologische Experimente haben Rubins These hinsichtlich der Kontur empirisch bestätigt (<bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897).<ref><bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897: ''In (a), following a vase-to-faces transition, the standard image was replaced by an embossed-face version of the same stimulus, whereas in (b), subsequent to a faces-to-vase change, an embossed-vase version replaced the standard.'' (vgl. die zugehörige [[Media:Rubin-Embossed.png|Bilddatei]]).</ref><br />
<br />
===Zusammenhang mit visueller Tiefenwahrnehmung===<br />
<br />
[[Datei:vexiAegypterin_m.jpg|thumb|Abbildung 3: «Ägypterin» – Variante der «Rubinschen Vase» mit mehr als zwei Tiefenebenen ]]<br />
Dass die Konturlinie zur Figur gerechnet wird, ihre Grenze markiert, bedeutet auch, dass der Grund als ''hinter'' der Figur weitergehend wahrgenommen wird, obwohl er dort nicht direkt zu sehen ist. Die Konturlinie wirkt als Grenze nicht für ihn. Die in Abbildung 3 gezeigte Variante der Rubinschen Vase – bei der es sich in diesem Fall tatsächlich nicht um eine Vase sondern um einen Kerzenständer handelt – demonstriert diesen Aspekt augenfällig: Denn neben den beiden Figur-Zuordnungen der klassischen Fassung – zwei im Profil einander gegenüberliegende Gesichter bzw. ein Kerzenleuchter – tritt hier als dritte Variante auf: ''ein frontal dargestelltes Gesicht zu beiden Seiten des Kerzenständers, das teilweise hinter diesem verborgen bleibt'' (und selbst vor einem weiteren Hintergrund mit sechseckigem Muster liegt).<br />
:<br />
Arnheim sieht die Figur/Grund-Differenzierung als speziellen Fall des Erzeugens von Tiefenstaffelungen in der visuellen Wahrnehmung, nämlich einer mit genau zwei Ebenen (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 228 ff). Das Beispiel der «Ägypterin» (Abb. 3) macht zudem deutlich, dass der Figurbereich nicht notwendig als jeweils vorderste Darstellungsebene betrachtet wird: Bildet in dem Beispiel das Gesicht den als Figur wahrgenommenen Bildbereich, so steht der Kerzenleuchter zwar davor, ist aber nicht Teil der Figur. Dabei erklärt das Prinzip der ''guten'' (einfachen bzw. bekannten) Gestalt – hier eines frontal gesehenen Gesichts –, wieso die Figur/Grund-Differenzierung eine solche Tiefenstaffelung motiviert.<br />
:<br />
Allerdings ist die allgemeine ''Tiefen''-Staffelung im Gegensatz zur Figur/Grund-Differenzierung nicht ohne weiteres auf andere Sinnesmodalitäten übertragbar: Mag beim Gehörsinn noch eine nach Entfernung gestaffelte Verallgemeinerung der Figur/Grund-Differenzierung Sinn machen, scheinen sich die anderen Sinne eher dagegen zu sperren: als ''Lokalsinne'' liefern sie keine ''Übersicht''. Eine durch ''Verdeckungen'' bedingte Dynamik in der Figur/Grund-Differenzierung muss hier ganz anders gefasst werden. Handlungstheoretisch läßt sich im Übrigen eine Verbindung herstellen zwischen der spezifischen Art der Figur/Grund-Differenzierung in der visuellen Wahrnehmung und der Fähigkeit, den Schärfebereich der Linse im [[Auge]] zu verändern – eine Verhaltensoption, die in den anderen Fernsinnen nicht gegeben ist. Zusammen mit der entsprechenden Augenorientierung (nämlich mehr (näher) oder weniger (ferner) abweichend von der Parallelität der optischen Achsen der Augen), bildet dieser effektorische Anteil des visuellen Wahrnehmungsapparates die Basis für die Kopplung der Figur/Grund-Differenzierung mit der Tiefenwahrnehmung.<ref>Die Akkomodation der Linsen wird meist nicht direkt bewusst gesteuert und ist normalerweise mit der relativen Verdrehung der optischen Achsen beider Augen gegeneinander gekoppelt, so dass die Linsen jeweils ungefähr auf die Distanz eingestellt werden, in der sich die optischen Achsen schneiden.</ref><br />
<br />
==Zwei Arten der Dynamik von Figur/Grund-Differenzierungen==<br />
<br />
Figur/Grund-Differenzierungen sind offensichtlich kein statisches Phänomen: Die die Wahrnehmung konstituierende Einteilung des Wahrgenommenen in Figur und Grund verändert sich mit der Zeit, selbst wenn keine Veränderung der äußeren Welt (der zugrunde liegenden Reizsituation) stattfindet. Diese Dynamik kann einfach der zeitlichen Abfolge entsprechen, in der verschiedene Bereiche des jeweiligen Merkfeldes in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken. Es kann aber auch um eine ganz andere Art der Verschiebung von Grund und Figur gehen, bei der etwas, was zunächst (ganzheitliche) Figur war, nun selbst (verschiedenen) Figur/Grund-Differenzierungen unterworfen werden kann. Dynamiken der ersten Art kann man vereinfachend als ‘horizontal’ bezeichnen, zumal sich der [[Horizont|Betrachtungshorizont]] dabei nicht verändert, die Wahrnehmung also, metaphorisch gesprochen, “in demselben Horizont bleibt”. Bei der zweiten Sorte verändert sich hingegen gerade der Wahrnehmungshorizont, wie bei einer vertikalen Bewegung oder einem Zoomen; daher die metaphorische Kurzbezeichnung ‘vertikale Dynamik’. <br />
<br />
===Die “horizontale” Dynamik===<br />
<br />
[[Datei:Gegenstände.jpg|thumb|Abbildung 4: Bild «Gegenstände» von [http://www.antje-bohnstedt.de/illustrationen/gegenstaende/farbe/ Antje Bohnstedt] ]]<br />
Bistabile Wahrnehmungen wie bei der «Rubinschen Vase», bei denen die Zuweisung von Figur und Grund sich immer wieder spontan umkehrt, stellen tatsächlich nur einen Spezialfall einer allgemeinen Variabilität der Figur/Grund-Bildung dar. Die Veränderung der konkreten Figur/Grund-Differenzierung kann dabei – muss aber nicht, wie die spontanen Wechsel bei multistabilen Wahrnehmungen deutlich werden lassen – durch Aufmerksamkeitsverschiebungen vom Wahrnehmenden beeinflusst werden. Beispielweise wird auch ein Betrachter des Bildes in Abbildung 4 – abhängig von seinen Augenbewegungen – zwischen verschiedenen Figur/Grund-Zuordnungen hin- und herspringen.<ref>Die Beobachtungen, die sich hierbei an der verhältnismäßig zufälligen Zusammenstellung von Gegenständen in einem Bild wie Abbildung 4 machen lassen, sind ohne weiteres auch auf kohärenter strukturierte Bilder (oder allgemeiner Szenen) von Gegenständen zu übertragen, wie beispielweise Stillleben.</ref> Verschiedene Bildbereiche werden jeweils als Figur vor dem restlichen Grund verwendet: Diese Wechsel sind bei [[Sortale Gegenstände und Individuation|sortalen Gegenständen]] besonders deutlich,<ref>Dazu passt, dass sortale Gegenstände zwar als ihre jeweils aktuellen Umgebungen (“Hintergründe”) übersteigende (nämlich persistente) Phänomene begriffen werden, gleichwohl aber auch nie außerhalb eines [[Kontext]]es erscheinen können. </ref> aber keineswegs auf diese beschränkt. Auch wenn beispielsweise die Pinselstriche eines Gemäldes betrachtet werden und die Aufmerksamkeit von einem besonders ausgeführten Pinselstrich zu einem benachbarten Strich wandert, geht das stets mit einer entsprechenden neuen Figur/Grund-Differenzierung des visuellen Wahrnehmungsfeldes einher: Was zuerst Teil des Grundes war, wird zur neuen Figur, und die alte Figur zum Teil des neuen Grundes. <br />
:<br />
Ganz analog ist ein Umschalten der Figur/Grund-Unterscheidung beim Hören die perzeptuelle Basis des Aufmerksamkeitswechsel bei einer polyphonen Komposition auf eine andere Stimme, oder auch auf eine andere Instrumentalgruppe im Gesamtklang eines ausgehaltenen Orchesterakkords; beim Riechen das Hervortreten einer anderen Geruchskomponente eines Parfums, oder beim Schmecken das Bemerken einer weiteren Zutat in einer Sauce.<br />
:<br />
<!-- »Figur« (bzw. auch »Gestalt«) und Objektbegriff... "aktuelle Gestalt" und persistenter Gegenstand --><br />
<br />
===Die “vertikale” Dynamik===<br />
<br />
Betrachten Sie in Abbildung 4 den Federball. Nun betrachten Sie den weißen Fleck, der sich in dem Bildbereich befindet, der die rote Kappe des Federballs darstellt. In beiden Fällen wird Ihre Wahrnehmung von einer entsprechenden Figur/Grund-Differenzierung begleitet. Allerdings wird nun das, was zunächst Figur war, selbst in Figur und Grund zerlegt. Obwohl der Übergang zwischen beiden zunächst wie ein Fall von “horizontaler” Figur/Grund-Dynamik aussieht, handelt es sich um ein wesentlich komplexeres Phänomen, das mit der Frage zusammenhängt, was es denn eigentlich ist, was sich (“horizontal”) in verschiedene Figur/Grund-Paarungen aufspalten lässt. <br />
:<br />
Insbesondere konstruktivistische Wahrnehmungstheorien unterscheiden zwischen dem, was schon in Figur und Grund getrennt ist (“so sehen wir die Welt”), und das, was sich – durch einen Betrachter – in (prinzipiell diverse) Figur/Grund-Differenzierungen aufgliedern lässt, aber selbst noch nicht so aufgespalten ist (“die Welt, die gesehen werden kann”, “das, was (mithilfe von darauf vorgenommenen Figur/Grund-Differenzierungen) wahrgenommen wird”). Neben die eigentliche Figur/Grund-Gliederung tritt damit ein Drittes, das man, einem Gedanken Heiders folgend, das ‘Medium’ der Figur/Grund-Differenzierung nennen kann.<ref>Vgl. Heider «Ding und Medium». Auch einer der Medienbegriffe der Systemtheorie Luhmanns ist an diese Aufteilung angelehen. Dazu auch ⊳ [[Wahrnehmungsmedien]]. </ref> Charakteristisch für diese “vertikale” Dynamik der Figur/Grund-Differenzierung ist, dass das ''Medium'' für eine Figur/Grund-Unterscheidung selbst das Resultat einer anderen (“tieferen”) Figur/Grund-Differenzierung darstellt. Mit ihr ist insbesondere das Phänomen der Emergenz der dritten Dimension verbunden.<br />
<br />
[[Datei:11.png|thumb|Abbildung 5: Bistabile Grafik «Neckerwürfel»: 3D- versus 2D-Wahrnehmung ]]<br />
Am Beispiel des sogenannten Neckerwürfel kann man sich das klar machen: Der Neckerwürfel gilt als ein typisches Beispiel einer bistabile 3D-Wahrnehmung: Bei der durch die schwarzen Linien bestimmten Figur eines Würfels vor neutralem Hintergrund kann entweder die linke obere oder die rechte untere der beiden im Inneren der Figur zu sehenden Ecken vorne liegen. Beide Wahrnehmungsalternativen schließen einander aus und springen in der Regel spontan ineinander um. Allerdings gibt es eine weitere Sichtweise des Bildes bei 2D-Interpretation – also als flache schwarze Linien auf weißer Fläche, die eine Flächenkachelung bilden. In diesem Fall bildet nicht der Würfel die Figur sondern eine der folgenden Flächen: in der Mitte ein kleines Quadrat, umgeben von zwei einander gegenüberliegenden kleinen Dreiecken (links unten und rechts oben) und vier Trapezen. Man stelle sich die Grafik etwa als Teil eines mit weißen Kacheln und schwarzen Fugen gestalteten Fußbodens vor. Offensichtlich entspricht diese Wahrnehmung der Wahrnehmung des Bildträgers, aus dem die dritte Dimension, in der der Würfel existiert, abgeleitet wird. <br />
:<br />
[[Datei:Dalmatiner.jpg|thumb|Abbildung 6: Verzögerte Figur/Grund-Differenzierung der zweiten Ebene bei erstem Sehen]]<br />
Auch der – für Emergenz-Phänomene charakteristische – Aha-Effekt, der bei der ersten Begegnung mit der Pigmentverteilung in Abbildung 6 in der Regel erst nach einiger Zeit auftritt, entspricht einem Wechsel der Figur/Grund-Zuordnung im vertikalen Sinn: Während zunächst die schwarzen Flecken als mehr oder weniger zufällig auf der Fläche verteilt erscheinen und einzelne davon spontan als Figur vor der umgebenden Fläche hervortreten, organisiert sich die Wahrnehmung im günstigen Fall nach einiger Zeit so, dass insbesondere ein schnüffelnder Dalmatiner als Figur vor einer Straßenszene in der Mitte des Bildes gesehen wird. <br />
:<br />
Wie beim Necker-Würfel ist es auch in diesem Fall schwierig, nach dem Erscheinen der dreidimensionalen szenischen Sichtweise auf die zugrundeliegende Flächensichtweise zurückzukommen. Der Abstieg zu den [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Elementen der Bildsyntax]] erfolgt selten spontan. Genau diese Umkehrung der vertikalen Figur/Grund-Verschiebungen spielt allerdings beim sogenannten Gestalterischen Sehen eine wichtige Rolle, geht es dabei doch darum, vorherrschende Figur/Grund-Differenzierungen aufzuheben, und beispielsweise statt des Neckerwürfels die zweidimensionale Flächenaufteilung des Bildes zu sehen. Auch die [[Bild in reflexiver Verwendung|reflexive Verwendung]] von Bildern (bzw. Szenen) verweist auf die vertikale Dimension, insofern hier die Bildwahrnehmungen als Beispiele für bestimmte Figur/Grund-Differenzierungen oder deren Fehlen verwendet werden: Das Bild der Rubinschen Vase dient in der Regel nicht dazu, visuell zwei Gesichter (oder eine Vase) zu präsentieren, sondern das Phänomen der Bistabilität der Figur/Grund-Differenzierung und damit eine bestimmte Art von Figur/Grund-Dynamiken selbst als Figur zu demonstrieren. <br />
:<br />
Auch die vertikalen Verschiebungen der Figur/Grund-Differenzierungen sind nicht auf die visuellen Sinne beschränkt. Ein auditorisches Beispiel mag der Unterschied zwischen dem Verfolgen einer Melodie und dem Konzentrieren auf die Intonation ihrer Ausführung geben.<br />
<br />
==Auswirkungen==<br />
<br />
===Auswirkungen hinsichtlich Bild und Bild&shy;wahrneh&shy;mung===<br />
<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung ist als allgemeine Eigenheit von Wahrnehmung zwar nicht spezifisch für Bildwahrnehmung, dort aber auch – insbesondere bei darstellenden Bildern – sehr wichtig. Entsprechend hat «Rubins Vase» Einfluss in den Bereichen Kunst und Design gehabt. Figur/Grund-Effekte, die dem [[Kippbild]] von Gesicht und Vase analog sind, wurden etwa von M. C. Escher häufig an ganz zentraler Stelle verwendet.<ref>Vgl. dazu die Galerie der [http://www.mcescher.com/gallery/ M.C. Escher Foundation], insbesondere die Kollektionen «Symmetry» und «Transformation Prints».</ref> Kippbilder im allgemeinen sind allerdings nicht spezifisch auf Rubins Entdeckung zurückzuführen. Viele Designer von Logos setzen Zweideutigkeiten hinsichtlich der Figur/Grund-Differenzierung in ihren Arbeiten ein, um eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erreichen. In der Kunst spricht man übrigens statt von ‘Figur’ und ‘Grund’ oft auch von ‘positivem’ bzw. ‘negativem Raum’ (vgl. <bib id='Tritthart 2013a'></bib>).<ref>Die Gegenüberstellung von positivem und negativem Raum nimmt in der Architektur eine besondere, von der allgemeinen Figur/Grund-Differenzierung etwas abgesetzte Bedeutung an: Positiv ist der von Mauerwerk etc. eingenommene Platz, negativ der umbaute Raum. </ref><br />
:<br />
Was die Konstitution des [[Bildinhalt|Bildinhalts]] gerade von naturalistisch gestalteten Bildern, Photographien oder Projektionen angeht, sind die dabei wirksamen Figur/Grund-Unterscheidungen mehr oder weniger direkt mit der bei “direkter” visueller Wahrnehmung der dargestellten Szene vergleichbar. Umgekehrt werden beispielsweise Abschwächungen der Figur-bildenden Eigenschaften einer Umrißlinie in der asiatischen Grafik wie auch der klassischen Moderen im Westen dazu benutzt, die naturalistische Tiefenstaffelung und dreidimensionale Raumwirkung zu unterlaufen. Arnheim erläutert mit Blick auf Strichzeichnungen von Matisse (gegenüber Rembrandt): <br />
:<br />
:''Bei Matisse ist der Begrenzungscharakter der Umrißlinien schwach; sie haben weitgehend die Eigenschaft selbständiger Objektlinien. Die Körper wirken nicht kompakt und lassen leicht erkennen, daß sie nur Teile der leeren Papieroberfläche sind. Die Zeichnung liegt wie ein durchsichtiges Netzwerk aus Linien über dem Hintergrund. Die dreidimensionale Wirkung ist auf ein Mindestmaß reduziert. Dahinter steckt natürlich Absicht. Während die älteren Künstler eine feste Körperlichkeit und klar erkennbare Tiefe hervorheben wollten, ging es den modernen darum, Objekte zu entstofflichen und die Wirkung des Raumes herabzusetzen. Die modernen Zeichnungen sollen leichtgewichtige, offensichtlich von Menschenhand stammende Schöpfungen sein: Früchte der Einbildung und nicht Vortäuschungen einer stofflichen Wirklichkeit. Sie sollen die Fläche betonen, aus der sie entstanden sind.'' (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 220).<br />
:<br />
Generell ermöglichen spezifische [[Stil|Darstellungsstile]], insbesondere über Konturbetonung, Licht-Schatten-Setzung und ähnliche “Techniken”, bei Bildern, als intentional gestalteten Wahrnehmungsangeboten, bestimmte Figur/Grund-Bildungen beim Betrachter zu forcieren und so gezielt Interpretationen zu induzieren. Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der intendierten Kommunikation erhöht werden: Die bewußte Gestaltung der Figur/Grund-Differenzierung wirkt also als kommunikative Strategie. Einen Sonderfall der Bildherstellung stellt in dieser Hinsicht sicher die Erzeugung von multistabilen visuellen Wahrnehmungen dar. <br />
:<br />
Für die Bildwahrnehmung zentral ist zudem die Figur/Grund-Differenzierung zur Wahrnehmung des Bildes insgesamt, nämlich als ein Bildträger vor seinem Hintergrund. Mag die Wahrnehmung des darauf Abgebildeten noch so sehr auf die Figur/Grund-Differenzierungen aufbauen, die die abgebildete Szene selbst ermöglicht, etwa bei einem ''trompe l'œil''; das alleine würde noch kein Bild ausmachen sondern lediglich eine Wahrnehmungstäuschung beschreiben (⊳ [[Dezeptiver und immersiver Modus]] und [[Wahrnehmungsillusion]]). Mithilfe von [[Rahmung, Rahmen|Rahmen/Rahmung]] wird die Bildfläche von der umgebenden Wandfläche abgegrenzt und als Figur hervorgehoben. Entsprechend wird der Rahmen (als besonders betonte Kontur) auch zum Bildträger gerechnet, hinter dem sich die Wand ungesehen fortsetzt. Innerhalb des Bildträgers kann dann auf einer zweiten Stufe von Figur/Grund-Differenzierungen der Rahmen wiederum als Figur gesehen werden vor dem Hintergrund des Bildraumes (bei dreidimensional darstellenden Bildern)<ref>oder allgemeiner der eigentlichen Bildfläche</ref>, der zumeist – beispielsweise im Sinne von Albertis Fenster – als hinter dem Rahmen fortgeführt begriffen wird.<ref>Ausnahmen in reflexiver Verwendung sind mit Bildern gegeben, bei denen Teile des Inhalts auf den Rahmen oder gar über den (scheinbaren) Rahmen hinausgreifen, wie etwa bei Pere Borrell del Casos populärem Werk [https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Escaping_criticism-by_pere_borrel_del_caso.png «Flucht vor der Kritik»].</ref> Erst auf einer dritten Stufe können nun innerhalb des Bildraumes (bzw. der Bildfläche im engeren Sinn) die bildrelevanten Figur/Grund-Differenzierungen gebildet werden, die der Wahrnehmung des eigentlichen Bildinhaltes dienen. Der Rahmen liegt dabei ganz außerhalb des betrachteten Wahrnehmungsraumes, der im Wesentlichen als inhärent unbegrenzt empfunden wird. Bildwahrnehmung beruht also zumindest bei darstellenden Bildern mit ausgeprägtem Rahmen auf einer mindestens doppelten Kaskade von vertikalen Verschiebungen von Figur/Grund-Differenzierungen, durch die die konfligierenden Situierungen von sowohl Bildinhalt wie Wand als gleichzeitig hinter dem Rahmen befindlich konstituiert werden.<br />
:<br />
Auf die Rolle der Figur/Grund-Differenzierungen für das gestalterische Sehen und die reflexive Verwendung von Bildern wurde oben bereits hingewiesen.<br />
<br />
===Kommunikationstheoretische Assoziationen===<br />
<br />
Die Konzeption der Figur/Grund-Differenzierung ist nicht nur in Wahrnehmungstheorien relevant: Auch bei [[Interaktion und Kommunikation|Kommunikation]] und insbesondere dem Gebrauch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche_Zeichen|sprachlicher Zeichen]] läßt sich eine analoge Differenzierung konstatieren. So werden in der Linguistik diejenigen Teile einer Äußerung bzw. eines Satzes als »thematisch« charakterisiert, die dem Adressaten bereits bekannt sind (oder auch: ihm als bekannt gelten), während das für ihn Neue in den als »rhematisch« beurteilten Abschnitten zur Sprache kommt. Das Thema bildet den Hintergrund für die eigentlich wichtige Mitteilung des Rhemas, das ohne diese Verankerung im bereits (gemeinsam) Bekannten nicht verständlich wäre.<ref>Die Thema/Rhema-Aufteilung wurde insbesondere in der Nachfolge von V. Mathesius von der Prager Schule als grundlegende linguistische Differenzierung untersucht; vgl. <bib id='Mathesius 1911a'></bib>.</ref> Genau genommen verbirgt sich bei propositionalen Äußerungen sogar eine doppelte Figur/Grund-Aufteilung: Zum Einen die Differenzierung zwischen dem thematischen [[Kontext]] und dem fokussierten [[Proposition|propositionalen Gehalt]] der Äußerung; und zum Anderen innerhalb der Proposition die zwischen den [[Nomination|Nominationen]], die als bereits bekannter Hintergrund (und Teil des Kontexts) als Anker für die neue Information dienen, welche mit der [[Prädikation]] als Figur auftritt (und als solche noch nicht im gemeinsamen Diskurskontext vor der Äußerung enthalten sein sollte).<ref>Im sprachlichen Fall kann es daher insbesondere vorkommen, dass eine als rhematisch intendierte Information tatsächlich vom Rezipienten bereits gewußt wird und daher für ihn zum thematischen Teil der Äußerung zählt, während ein vom Produzenten als thematisch eingeschätzter Äußerungsteil dem Rezipienten noch nicht bekannt war und für ihn somit zum Rhema wird. Die damit eröffnete Dynamik der kommunikativen Figur/Grund-Differenzierung ist ein wesentliches Charakteristikum sprachlicher Zeichen und demonstriert, dass zumindest bei diesen prinzipiell jede semantische Betrachtung von pragmatischen Aspekten dominiert wird. </ref><br />
:<br />
Im Bereich der Nachrichtentechnik, also in den Ingenieurwissenschaften, spielt schließlich das Verhältnis von »Signal«&#8203; und »Rauschen«&#8203; (auch ‘Untergrund’) eine mit »Figur«&#8203; und »Grund«&#8203; vergleichbare Rolle. Im Unterschied zur üblichen Redeweise von der Figur ''vor'' dem Grund wird hierbei allerdings davon gesprochen, dass es das Signal ist, das vom Rauschen ''über''lagert wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Verwendung von ‘Signal’ und ‘Rauschen’ in dem Bereich Signalentdeckungstheorie der Wahrnehmungspsychologie; <bib id='Velden 1982a'></bib>. </ref><br />
<br />
=== Figur/Grund-Differenzierung und Aufmerksamkeit ===<br />
<br />
Offensichtich kann die Figur/Grund-Differenzierung von Aufmerksamkeit und Erwartung beeinflusst und in gewissen Grenzen gesteuert werden. Die die Figur vom Grund abhebenden Gestaltbildungsprozesse stellen selbst einen spontan wirksamen Aufmerksamkeitsmechanismus dar. Gegenüber Aufmerksamkeitsphänomenen im engeren Sinn tritt bei der Figur/Grund-Differenzierung allerdings ''kein'' Ausblenden des jeweiligen Hintergrundes auf: Wird etwa eine Aufgabe mit hoher Konzentration bearbeitet – oder auch ein Spiel ganz vertieft gespielt –, so wird die jeweilige Umgebung oft völlig “vergessen”, bleibt ganz ausgeblendet und subjektiv verschwunden. <br />
:<br />
Das Wechselspiel zwischen sich spontan bildender Figur-Aufmerksamkeit und erwartungsgesteuerter Konzentration auf bestimmte Reizkonstellationen wird besonders deutlich bei der oben erwähnten umgekehrten vertikalen Dynamik: Es ist schwierig, die gestalterische Sichtweise gegen die spontane dreidimensionale Gestaltbildung durchzusetzen, selbst wenn diese bistabil ist.<br />
:<br />
In der [[Bildbearbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]] wird eine analoge Unterscheidung zwischen sogenannten ''bottom up''-Prozessen und ''top down''-Prozessen gemacht: In ''bottom up''-Prozessen werden sensorische Elemente sozusagen ohne Aufmerksamkeitssteuerung nach Gestaltgesetzen selektiert und zusammengruppiert und zu komplexeren perzeptuellen Einheiten zusammengebunden; bei ''top down''-Verfahren werden die Gruppierungs- und Selektionsschritte von einer vorgegebenen Zielgestalt (auf der gewissermaßen die Aufmerksamkeit ruht) gelenkt. Das Ziel kann dabei durchaus auch ein 3D-Modell sein (zu 3D-Modell ⊳ [[Computergraphik]]) oder sogar einem sortalen Gegenstand entsprechen.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Bildbearbeitung, digitale]]<br />
* [[Bildinhalt]] <br />
* [[Computergraphik]]<br />
* [[Dezeptiver und immersiver Modus]]<br />
* [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Horizont]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Kippbild]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Phänomenologie]]<br />
* [[Prädikation]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Sortale Gegenstände und Individuation]]<br />
* [[Stil]]<br />
* [[Wahrnehmungsillusion]]<br />
* [[Wahrnehmungsmedien]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J.]]<br />
* [[Benutzer:Zsuzsanna Kondor|Kondor. Zsuzsanna]]<br />
<br />
{{GlosTab4}}<br />
''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Figur/Grund-Differenzierung&diff=26542Figur/Grund-Differenzierung2016-09-20T12:02:56Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Zwei Arten der Dynamik von Figur/&#8203;Grund-&#8203;Diffe&shy;renzie&shy;rungen */</p>
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildwahrnehmung]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildwahrnehmung]]<br />
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<br />
Bei der Gegenüberstellung von »Figur« und »Grund« handelt es sich um ein ganz allgemeines Prinzip der Wahrnehmung, das vor allem anhand der Bildwahrnehmung erkannt und untersucht worden ist und für diese auch besondere Bedeutung hat: In jedem Fall von Wahrnehmung ist das Wahrnehmungsfeld notwendig gegliedert in einen als ‘Figur’ bezeichneten fokussierten Bereich, der als aus dem Hintergrund des restlichen Wahrnehmungsfeldes hervorgetreten wahrgenommen wird.<br />
Diese Gliederung unterscheidet Wahrnehmung von verwandten, aber strukturell einfacheren Begriffen der Einwirkung von Welt auf die Aktivitäten eines Organismus. Beim Reflexbegriff etwa ist noch keine Figur/Grund-Differenzierung des Reizes enthalten: Der einem Reflexbogen zugeordnete Reiz ist entweder vorhanden oder nicht, seine situationale Einbettung in den Kontext für den Reflex nicht von Bedeutung.<ref>Allenfalls Krankheit oder Ermüdung – also dem Aktivitätsträger selbst und nicht dessen Umwelt zugerechnete Eigenschaften – können den Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion verändern. Zur Reflextheorie vgl. <bib id='Gallistel 1980a'></bib>, insbesondere Kap. 1 (vgl. <bib id='Sherrington 1947a'></bib>). </ref> Erst bei den komplexerem Verhalten<ref>Vgl. auch [[Exkurs: Handlungen]]: Handlungen im weiten Sinn.</ref> zugeordneten Wahrnehmungen macht es Sinn, von einem aus dem gesamten “Merkfeld” herausgehobenen Bereich zu sprechen, dessen Wirkung zugleich auch von dem Rest des Merkfeldes abhängt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Figur die visuelle Gestalt eines gesehenen, teilweise verdeckten Gegenstandes ist, eine Stimme in einer polyphonen Musikkomposition, die Geruchskomponente eines Parfums oder der Geschmack eines bestimmten Gewürzes in einem Gericht: Stets existiert diese Figur nur vor einem (oder: eingebettet in einen) zugehörigen Grund.<br />
<br />
<br />
==Verankerung in der Gestalttheorie==<br />
<br />
Um die Fülle der Informationen, die auf ein Lebewesen von seiner Umgebung einströmen, zu organisieren und für sein Verhalten zu nutzen, müssen selektierende und gruppierende Faktoren zusammenwirken. Wichtige Faktoren, die speziell bei den ‘Wahrnehmung’ genannten Phänomenen eine Rolle spielen, wurden in der [[Gestalt]]theorie zusammengestellt. Wahrgenommen werden keine isolierten Elemente – einzelne Empfindungen (wie sie etwa dem Reizungszustand einer einzelnen Sehzelle entsprechen würden) – sondern Gesamtheiten, die prinzipiell etwas sind, was in verschiedene Umgebungen eingebettet auftreten kann: Solche Gesamtheiten erscheinen damit prinzipiell als Gestalten vor einem Hintergrund und fokussieren auf diese Weise die [[Aufmerksamkeit]] auf bestimmte immer wieder vorkommende Konfigurationen.<br />
:<br />
[[Datei:450px-Kanizsa triangle.svg.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 1: Kanizsa-Dreieck]]<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung liefert dabei den Rahmen für die gestaltpsychologischen Gruppierungsregeln: Gestaltgesetze, wie das der Nähe, der Geschlossenheit oder der Kontinuität, zielen darauf ab, Teile des Gesichtsfeldes als ''eine'' Figur vom Rest abzuheben. So wird etwa das grafisch gar nicht vorhandene “weiße Dreieck auf weißem Grund” in Abbildung 1 als eine “gute Gestalt” vor einem weitgehend gleichfarbigen Hintergrund gesehen. <br />
:<br />
Als allgemeines Wahrnehmungsphänomen ist die Figur/Grund-Differenzierung weder speziell auf visuelle Wahrnehmung beschränkt, noch gar auf das Wahrnehmen von Bildern. Allerdings wurde das Phänomen vor allem anhand von speziellen Bildwahrnehmungen entdeckt und untersucht. <br />
<br />
===Entdeckung durch Rubin===<br />
<br />
In die Wissenschaft eingeführt wurde die Figur/Grund-“Illusion” um 1915 durch den dänischen Psychologen Edgar John Rubin (1886–1951) insbesondere am Beispiel der so genannten «Rubinschen Vase» (vgl. Abb. 2). Diese Grafik, bei der die Wahrnehmung zweier einander gegenüberstehenden Gesichter in die Wahrnehmung einer dazwischen stehenden Vase umspringt, spielt in Rubins zweibändigem Werk «Synsoplevede Figurer» (deutsch (1921): «Visuell wahrgenommene Figuren») zum ersten Mal eine wichtige Rolle.<ref>Rubin führte eine Reihe ähnlicher Bilder ein (etwa das schwarz-weiße Malteserkreuz), aber am bekanntesten wurde die «Rubinsche Vase».</ref> Rubins Grafik ist ein Spezialfall der so genannten multistabilen Wahrnehmung.<ref>Man spricht von ‘multistabiler Wahrnehmung’, wenn es zu spontanen Wechseln zwischen mehreren wahrgenommenen Inhalten ohne Änderung der Reizsituation kommt, z.B. wenn wir uns visuell zweideutigen Darstellungen wie der «Rubinsche Vase» oder dem «Necker-Würfel» gegenübersehen. Nicht immer verändern sich dabei die Bereiche, die als Figur bzw. Grund empfunden werden.</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Rubin-1.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 2: Die Grafik «Rubinsche Vase»]]<br />
Der aus Kopenhagen stammende Rubin verbrachte einige Zeit in Göttingen, worauf sich u.a. eine [[Phänomenologie|phänomenologische]] Perspektive in seiner Auffassung von visueller Wahrnehmung zurückführen lässt. Offensichtlicher noch ist allerdings seine Nähe zur [[Gestalt|Gestaltpsychologie]], insofern nämlich die «Rubinsche Vase» einen weiteren Beleg für deren These lieferte, dass das visuell Wahrgenommene nicht mit dem Netzhautbild identisch ist. An der «Rubinschen Vase» lässt sich so das Prinzip der Emergenz deutlich machen, nach dem wir Gegenstände unserer Umgebung als Ganze und auf einmal wahrnehmen. Wahrnehmung sollte demnach als ein produktiver Prozess der Gegenstandskonstitution aufgefasst werden, der das in unserer Erfahrung Erfasste mit Inhalten zur Lage und Beschaffenheit der jeweiligen Gegenstände versorgt, die nicht schon in den reinen Sinnesdaten enthalten sind.<br />
<br />
===Was bedeutet «Figur und Grund»?===<br />
<br />
Anhand der «Rubinschen Vase» lässt sich untersuchen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich Figur und Grund in der Wahrnehmung bilden bzw. wie zwischen verschiedenen Figur/Grund-Differenzierungen hin- und hergesprungen wird. Rubin formulierte 1915 folgenden „fundamentalen Satz“: <br />
:<br />
:''Wenn zwei Felder aneinander grenzen und das eine als Figur und das andere als Grund erlebt wird, kann das unmittelbar anschaulich Erlebte als dadurch gekennzeichnet betrachtet werden, daß von der gemeinsamen Kontur der Felder ein formendes Wirken ausgeht, das sich nur bei dem einen oder in einem höheren Grade bei dem einen Feld als bei dem anderen geltend macht.'' (<bib id='Rubin 1921a'></bib>: S. 36f.) <br />
:<br />
Im Falle bistabiler Wahrnehmung manifestiert sich dieses „formende Wirken“ nach beiden Seiten in gleichem Grade: Die Zuweisung von Figur und Grund ist austauschbar und fluktuiert spontan: In Rubins berühmtem Beispiel sehen wir alternierend zwei Gesichter gegen einen weißen Hintergrund und eine Vase gegen einen schwarzen Hintergrund. Zu einem gegebenen Zeitpunkt nehmen wir dabei immer nur eine der beiden Möglichkeiten wahr. Da das Erregungsmuster der Netzhaut sich dabei nicht verändert hat, kann es nicht als Ursache für den spontanen Wechsel der Zuweisung herangezogen werden.<br />
:<br />
Wie Rubin festgestellt hat, tendieren wir dazu, eine kleinere, geschlossene Form als Figur gegen den Grund der größeren umgebenden Flächeanzusehen.<ref>Weitere Faktoren, die dazu beitragen, bevorzugt eine Seite einer (potentiellen) Konturlinie bzw. einen Bildbereich als Figur erscheinen zu lassen, diskutiert etwa Arnheim (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 219 ff). Vgl. auch [http://scholarpedia.org/article/Figure-ground_perception Scholarpedia: Figure-ground perception]</ref> Der Figur kommt eine ''Dingqualität'' zu, während der Grund als eher schwer zu fassen und zu kategorisieren erscheint. Die Figur sticht heraus, der Grund tritt dagegen zurück. Insbesondere wird die sie trennende Kontur selbst stets der Figur zugerechnet, nicht dem Grund. Neuere psychologische Experimente haben Rubins These hinsichtlich der Kontur empirisch bestätigt (<bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897).<ref><bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897: ''In (a), following a vase-to-faces transition, the standard image was replaced by an embossed-face version of the same stimulus, whereas in (b), subsequent to a faces-to-vase change, an embossed-vase version replaced the standard.'' (vgl. die zugehörige [[Media:Rubin-Embossed.png|Bilddatei]]).</ref><br />
<br />
===Zusammenhang mit visueller Tiefenwahrnehmung===<br />
<br />
[[Datei:vexiAegypterin_m.jpg|thumb|Abbildung 3: «Ägypterin» – Variante der «Rubinschen Vase» mit mehr als zwei Tiefenebenen ]]<br />
Dass die Konturlinie zur Figur gerechnet wird, ihre Grenze markiert, bedeutet auch, dass der Grund als ''hinter'' der Figur weitergehend wahrgenommen wird, obwohl er dort nicht direkt zu sehen ist. Die Konturlinie wirkt als Grenze nicht für ihn. Die in Abbildung 3 gezeigte Variante der Rubinschen Vase – bei der es sich in diesem Fall tatsächlich nicht um eine Vase sondern um einen Kerzenständer handelt – demonstriert diesen Aspekt augenfällig: Denn neben den beiden Figur-Zuordnungen der klassischen Fassung – zwei im Profil einander gegenüberliegende Gesichter bzw. ein Kerzenleuchter – tritt hier als dritte Variante auf: ''ein frontal dargestelltes Gesicht zu beiden Seiten des Kerzenständers, das teilweise hinter diesem verborgen bleibt'' (und selbst vor einem weiteren Hintergrund mit sechseckigem Muster liegt).<br />
:<br />
Arnheim sieht die Figur/Grund-Differenzierung als speziellen Fall des Erzeugens von Tiefenstaffelungen in der visuellen Wahrnehmung, nämlich einer mit genau zwei Ebenen (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 228 ff). Das Beispiel der «Ägypterin» (Abb. 3) macht zudem deutlich, dass der Figurbereich nicht notwendig als jeweils vorderste Darstellungsebene betrachtet wird: Bildet in dem Beispiel das Gesicht den als Figur wahrgenommenen Bildbereich, so steht der Kerzenleuchter zwar davor, ist aber nicht Teil der Figur. Dabei erklärt das Prinzip der ''guten'' (einfachen bzw. bekannten) Gestalt – hier eines frontal gesehenen Gesichts –, wieso die Figur/Grund-Differenzierung eine solche Tiefenstaffelung motiviert.<br />
:<br />
Allerdings ist die allgemeine ''Tiefen''-Staffelung im Gegensatz zur Figur/Grund-Differenzierung nicht ohne weiteres auf andere Sinnesmodalitäten übertragbar: Mag beim Gehörsinn noch eine nach Entfernung gestaffelte Verallgemeinerung der Figur/Grund-Differenzierung Sinn machen, scheinen sich die anderen Sinne eher dagegen zu sperren: als ''Lokalsinne'' liefern sie keine ''Übersicht''. Eine durch ''Verdeckungen'' bedingte Dynamik in der Figur/Grund-Differenzierung muss hier ganz anders gefasst werden. Handlungstheoretisch läßt sich im Übrigen eine Verbindung herstellen zwischen der spezifischen Art der Figur/Grund-Differenzierung in der visuellen Wahrnehmung und der Fähigkeit, den Schärfebereich der Linse im [[Auge]] zu verändern – eine Verhaltensoption, die in den anderen Fernsinnen nicht gegeben ist. Zusammen mit der entsprechenden Augenorientierung (nämlich mehr (näher) oder weniger (ferner) abweichend von der Parallelität der optischen Achsen der Augen), bildet dieser effektorische Anteil des visuellen Wahrnehmungsapparates die Basis für die Kopplung der Figur/Grund-Differenzierung mit der Tiefenwahrnehmung.<ref>Die Akkomodation der Linsen wird meist nicht direkt bewusst gesteuert und ist normalerweise mit der relativen Verdrehung der optischen Achsen beider Augen gegeneinander gekoppelt, so dass die Linsen jeweils ungefähr auf die Distanz eingestellt werden, in der sich die optischen Achsen schneiden.</ref><br />
<br />
==Zwei Arten der Dynamik von Figur/Grund-Differenzierungen==<br />
<br />
Figur/Grund-Differenzierungen sind offensichtlich kein statisches Phänomen: Die die Wahrnehmung konstituierende Einteilung des Wahrgenommenen in Figur und Grund verändert sich mit der Zeit, selbst wenn keine Veränderung der äußeren Welt (der zugrunde liegenden Reizsituation) stattfindet. Diese Dynamik kann einfach der zeitlichen Abfolge entsprechen, in der verschiedene Bereiche des jeweiligen Merkfeldes in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken. Es kann aber auch um eine ganz andere Art der Verschiebung von Grund und Figur gehen, bei der etwas, was zunächst (ganzheitliche) Figur war, nun selbst (verschiedenen) Figur/Grund-Differenzierungen unterworfen werden kann. Dynamiken der ersten Art kann man vereinfachend als ‘horizontal’ bezeichnen, zumal sich der [[Horizont|Betrachtungshorizont]] dabei nicht verändert, die Wahrnehmung also, metaphorisch gesprochen, “in demselben Horizont bleibt”. Bei der zweiten Sorte verändert sich hingegen gerade der Wahrnehmungshorizont, wie bei einer vertikalen Bewegung oder einem Zoomen; daher die metaphorische Kurzbezeichnung ‘vertikale Dynamik’. <br />
<br />
===Die “horizontale” Dynamik===<br />
<br />
[[Datei:Gegenstände.jpg|thumb|Abbildung 4: Bild «Gegenstände» von [http://www.antje-bohnstedt.de/illustrationen/gegenstaende/farbe/ Antje Bohnstedt] ]]<br />
Bistabile Wahrnehmungen wie bei der «Rubinschen Vase», bei denen die Zuweisung von Figur und Grund sich immer wieder spontan umkehrt, stellen tatsächlich nur einen Spezialfall einer allgemeinen Variabilität der Figur/Grund-Bildung dar. Die Veränderung der konkreten Figur/Grund-Differenzierung kann dabei – muss aber nicht, wie die spontanen Wechsel bei multistabilen Wahrnehmungen deutlich werden lassen – durch Aufmerksamkeitsverschiebungen vom Wahrnehmenden beeinflusst werden. Beispielweise wird auch ein Betrachter des Bildes in Abbildung 4 – abhängig von seinen Augenbewegungen – zwischen verschiedenen Figur/Grund-Zuordnungen hin- und herspringen.<ref>Die Beobachtungen, die sich hierbei an der verhältnismäßig zufälligen Zusammenstellung von Gegenständen in einem Bild wie Abbildung 4 machen lassen, sind ohne weiteres auch auf kohärenter strukturierte Bilder (oder allgemeiner Szenen) von Gegenständen zu übertragen, wie beispielweise Stillleben.</ref> Verschiedene Bildbereiche werden jeweils als Figur vor dem restlichen Grund verwendet: Diese Wechsel sind bei [[Sortale Gegenstände und Individuation|sortalen Gegenständen]] besonders deutlich,<ref>Dazu passt, dass sortale Gegenstände zwar als ihre jeweils aktuellen Umgebungen (“Hintergründe”) übersteigende (nämlich persistente) Phänomene begriffen werden, gleichwohl aber auch nie außerhalb eines [[Kontext]]es erscheinen können. </ref> aber keineswegs auf diese beschränkt. Auch wenn beispielsweise die Pinselstriche eines Gemäldes betrachtet werden und die Aufmerksamkeit von einem besonders ausgeführten Pinselstrich zu einem benachbarten Strich wandert, geht das stets mit einer entsprechenden neuen Figur/Grund-Differenzierung des visuellen Wahrnehmungsfeldes einher: Was zuerst Teil des Grundes war, wird zur neuen Figur, und die alte Figur zum Teil des neuen Grundes. <br />
:<br />
Ganz analog ist ein Umschalten der Figur/Grund-Unterscheidung beim Hören die perzeptuelle Basis des Aufmerksamkeitswechsel bei einer polyphonen Komposition auf eine andere Stimme, oder auch auf eine andere Instrumentalgruppe im Gesamtklang eines ausgehaltenen Orchesterakkords; beim Riechen das Hervortreten einer anderen Geruchskomponente eines Parfums, oder beim Schmecken das Bemerken einer weiteren Zutat in einer Sauce.<br />
:<br />
<!-- »Figur« (bzw. auch »Gestalt«) und Objektbegriff... "aktuelle Gestalt" und persistenter Gegenstand --><br />
<br />
===Die “vertikale” Dynamik===<br />
<br />
Betrachten Sie in Abbildung 4 den Federball. Nun betrachten Sie den weißen Fleck, der sich in dem Bildbereich befindet, der die rote Kappe des Federballs darstellt. In beiden Fällen wird Ihre Wahrnehmung von einer entsprechenden Figur/Grund-Differenzierung begleitet. Allerdings wird nun das, was zunächst Figur war, selbst in Figur und Grund zerlegt. Obwohl der Übergang zwischen beiden zunächst wie ein Fall von “horizontaler” Figur/Grund-Dynamik aussieht, handelt es sich um ein wesentlich komplexeres Phänomen, das mit der Frage zusammenhängt, was es denn eigentlich ist, was sich (“horizontal”) in verschiedene Figur/Grund-Paarungen aufspalten lässt. <br />
:<br />
Insbesondere konstruktivistische Wahrnehmungstheorien unterscheiden zwischen dem, was schon in Figur und Grund getrennt ist (“so sehen wir die Welt”), und das, was sich – durch einen Betrachter – in (prinzipiell diverse) Figur/Grund-Differenzierungen aufgliedern lässt, aber selbst noch nicht so aufgespalten ist (“die Welt, die gesehen werden kann”, “das, was (mithilfe von darauf vorgenommenen Figur/Grund-Differenzierungen) wahrgenommen wird”)). Neben die eigentliche Figur/Grund-Gliederung tritt damit ein Drittes, das man, einem Gedanken Heiders folgend, das ‘Medium’ der Figur/Grund-Differenzierung nennen kann.<ref>Vgl. Heider «Ding und Medium». Auch einer der Medienbegriffe der Systemtheorie Luhmanns ist an diese Aufteilung angelehen. Dazu auch ⊳ [[Wahrnehmungsmedien]]. </ref> Charakteristisch für diese “vertikale” Dynamik der Figur/Grund-Differenzierung ist, dass das ''Medium'' für eine Figur/Grund-Unterscheidung selbst das Resultat einer anderen (“tieferen”) Figur/Grund-Differenzierung darstellt. Mit ihr ist insbesondere das Phänomen der Emergenz der dritten Dimension verbunden.<br />
<br />
[[Datei:11.png|thumb|Abbildung 5: Bistabile Grafik «Necker&shy;würfel»: 3D- versus 2D-&#8203;Wahrneh&shy;mung ]]<br />
Am Beispiel des sogenannten Neckerwürfel kann man sich das klar machen: Der Neckerwürfel gilt als ein typisches Beispiel einer bistabile 3D-Wahrnehmung: Bei der durch die schwarzen Linien bestimmten Figur eines Würfels vor neutralem Hintergrund kann entweder die linke obere oder die rechte untere der beiden im Inneren der Figur zu sehenden Ecken vorne liegen. Beide Wahrnehmungsalternativen schließen einander aus und springen in der Regel spontan ineinander um. Allerdings gibt es eine weitere Sichtweise des Bildes bei 2D-Interpretation – also als flache schwarze Linien auf weißer Fläche, die eine Flächenkachelung bilden. In diesem Fall bildet nicht der Würfel die Figur, sondern eine der folgenden Flächen: in der Mitte ein kleines Quadrat, umgeben von zwei einander gegenüberliegenden kleinen Dreiecken (links unten und rechts oben) und vier Trapezen. Man stelle sich die Grafik etwa als Teil eines mit weißen Kacheln und schwarzen Fugen gestalteten Fußbodens vor. Offensichtlich entspricht diese Wahrnehmung der Wahrnehmung des Bildträgers, aus dem die dritte Dimension, in der der Würfel existiert, abgeleitet wird. <br />
:<br />
[[Datei:Dalmatiner.jpg|thumb|Abbildung 6: Verzögerte Figur/Grund-Differenzierung der zweiten Ebene bei erstem Sehen]]<br />
Auch der – für Emergenz-Phänomene charakteristische – Aha-Effekt, der bei der ersten Begegnung mit der Pigmentverteilung in Abbildung 6 in der Regel erst nach einiger Zeit auftritt, entspricht einem Wechsel der Figur/Grund-Zuordnung im vertikalen Sinn: Während zunächst die schwarzen Flecken als mehr oder weniger zufällig auf der Fläche verteilt erscheinen und einzelne davon spontan als Figur vor der umgebenden Fläche hervortreten, organisiert sich die Wahrnehmung im günstigen Fall nach einiger Zeit so, dass insbesondere ein schnüffelnder Dalmatiner als Figur vor einer Straßenszene in der Mitte des Bildes gesehen wird. <br />
:<br />
Wie beim Necker-Würfel ist es auch in diesem Fall schwierig, nach dem Erscheinen der dreidimensionalen szenischen Sichtweise auf die zugrundeliegende Flächensichtweise zurückzukommen. Der Abstieg zu den [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Elementen der Bildsyntax]] erfolgt selten spontan. Genau diese Umkehrung der vertikalen Figur/Grund-Verschiebungen spielt allerdings beim sogenannten Gestalterischen Sehen eine wichtige Rolle, geht es dabei doch darum, vorherrschende Figur/Grund-Differenzierungen aufzuheben, und beispielsweise statt des Neckerwürfels die zweidimensionale Flächenaufteilung des Bildes zu sehen. Auch die [[Bild in reflexiver Verwendung|reflexive Verwendung]] von Bildern (bzw. Szenen) verweist auf die vertikale Dimension, insofern hier die Bildwahrnehmungen als Beispiele für bestimmte Figur/Grund-Differenzierungen oder deren Fehlen verwendet werden: Das Bild der Rubinschen Vase dient in der Regel nicht dazu, visuell zwei Gesichter (oder eine Vase) zu präsentieren, sondern das Phänomen der Bistabilität der Figur/Grund-Differenzierung und damit eine bestimmte Art von Figur/Grund-Dynamiken selbst als Figur zu demonstrieren. <br />
:<br />
Auch die vertikalen Verschiebungen der Figur/Grund-Differenzierungen sind nicht auf die visuellen Sinne beschränkt. Ein auditorisches Beispiel mag der Unterschied zwischen dem Verfolgen einer Melodie und dem Konzentrieren auf die Intonation ihrer Ausführung geben.<br />
<br />
==Auswirkungen==<br />
<br />
===Auswirkungen hinsichtlich Bild und Bild&shy;wahrneh&shy;mung===<br />
<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung ist als allgemeine Eigenheit von Wahrnehmung zwar nicht spezifisch für Bildwahrnehmung, dort aber auch – insbesondere bei darstellenden Bildern – sehr wichtig. Entsprechend hat «Rubins Vase» Einfluss in den Bereichen Kunst und Design gehabt. Figur/Grund-Effekte, die dem [[Kippbild]] von Gesicht und Vase analog sind, wurden etwa von M. C. Escher häufig an ganz zentraler Stelle verwendet.<ref>Vgl. dazu die Galerie der [http://www.mcescher.com/gallery/ M.C. Escher Foundation], insbesondere die Kollektionen «Symmetry» und «Transformation Prints».</ref> Kippbilder im allgemeinen sind allerdings nicht spezifisch auf Rubins Entdeckung zurückzuführen. Viele Designer von Logos setzen Zweideutigkeiten hinsichtlich der Figur/Grund-Differenzierung in ihren Arbeiten ein, um eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erreichen. In der Kunst spricht man übrigens statt von ‘Figur’ und ‘Grund’ oft auch von ‘positivem’ bzw. ‘negativem Raum’ (vgl. <bib id='Tritthart 2013a'></bib>).<ref>Die Gegenüberstellung von positivem und negativem Raum nimmt in der Architektur eine besondere, von der allgemeinen Figur/Grund-Differenzierung etwas abgesetzte Bedeutung an: Positiv ist der von Mauerwerk etc. eingenommene Platz, negativ der umbaute Raum. </ref><br />
:<br />
Was die Konstitution des [[Bildinhalt|Bildinhalts]] gerade von naturalistisch gestalteten Bildern, Photographien oder Projektionen angeht, sind die dabei wirksamen Figur/Grund-Unterscheidungen mehr oder weniger direkt mit der bei “direkter” visueller Wahrnehmung der dargestellten Szene vergleichbar. Umgekehrt werden beispielsweise Abschwächungen der Figur-bildenden Eigenschaften einer Umrißlinie in der asiatischen Grafik wie auch der klassischen Moderen im Westen dazu benutzt, die naturalistische Tiefenstaffelung und dreidimensionale Raumwirkung zu unterlaufen. Arnheim erläutert mit Blick auf Strichzeichnungen von Matisse (gegenüber Rembrandt): <br />
:<br />
:''Bei Matisse ist der Begrenzungscharakter der Umrißlinien schwach; sie haben weitgehend die Eigenschaft selbständiger Objektlinien. Die Körper wirken nicht kompakt und lassen leicht erkennen, daß sie nur Teile der leeren Papieroberfläche sind. Die Zeichnung liegt wie ein durchsichtiges Netzwerk aus Linien über dem Hintergrund. Die dreidimensionale Wirkung ist auf ein Mindestmaß reduziert. Dahinter steckt natürlich Absicht. Während die älteren Künstler eine feste Körperlichkeit und klar erkennbare Tiefe hervorheben wollten, ging es den modernen darum, Objekte zu entstofflichen und die Wirkung des Raumes herabzusetzen. Die modernen Zeichnungen sollen leichtgewichtige, offensichtlich von Menschenhand stammende Schöpfungen sein: Früchte der Einbildung und nicht Vortäuschungen einer stofflichen Wirklichkeit. Sie sollen die Fläche betonen, aus der sie entstanden sind.'' (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 220).<br />
:<br />
Generell ermöglichen spezifische [[Stil|Darstellungsstile]], insbesondere über Konturbetonung, Licht-Schatten-Setzung und ähnliche “Techniken”, bei Bildern, als intentional gestalteten Wahrnehmungsangeboten, bestimmte Figur/Grund-Bildungen beim Betrachter zu forcieren und so gezielt Interpretationen zu induzieren. Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der intendierten Kommunikation erhöht werden: Die bewußte Gestaltung der Figur/Grund-Differenzierung wirkt also als kommunikative Strategie. Einen Sonderfall der Bildherstellung stellt in dieser Hinsicht sicher die Erzeugung von multistabilen visuellen Wahrnehmungen dar. <br />
:<br />
Für die Bildwahrnehmung zentral ist zudem die Figur/Grund-Differenzierung zur Wahrnehmung des Bildes insgesamt, nämlich als ein Bildträger vor seinem Hintergrund. Mag die Wahrnehmung des darauf Abgebildeten noch so sehr auf die Figur/Grund-Differenzierungen aufbauen, die die abgebildete Szene selbst ermöglicht, etwa bei einem ''trompe l'œil''; das alleine würde noch kein Bild ausmachen sondern lediglich eine Wahrnehmungstäuschung beschreiben (⊳ [[Dezeptiver und immersiver Modus]] und [[Wahrnehmungsillusion]]). Mithilfe von [[Rahmung, Rahmen|Rahmen/Rahmung]] wird die Bildfläche von der umgebenden Wandfläche abgegrenzt und als Figur hervorgehoben. Entsprechend wird der Rahmen (als besonders betonte Kontur) auch zum Bildträger gerechnet, hinter dem sich die Wand ungesehen fortsetzt. Innerhalb des Bildträgers kann dann auf einer zweiten Stufe von Figur/Grund-Differenzierungen der Rahmen wiederum als Figur gesehen werden vor dem Hintergrund des Bildraumes (bei dreidimensional darstellenden Bildern)<ref>oder allgemeiner der eigentlichen Bildfläche</ref>, der zumeist – beispielsweise im Sinne von Albertis Fenster – als hinter dem Rahmen fortgeführt begriffen wird.<ref>Ausnahmen in reflexiver Verwendung sind mit Bildern gegeben, bei denen Teile des Inhalts auf den Rahmen oder gar über den (scheinbaren) Rahmen hinausgreifen, wie etwa bei Pere Borrell del Casos populärem Werk [https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Escaping_criticism-by_pere_borrel_del_caso.png «Flucht vor der Kritik»].</ref> Erst auf einer dritten Stufe können nun innerhalb des Bildraumes (bzw. der Bildfläche im engeren Sinn) die bildrelevanten Figur/Grund-Differenzierungen gebildet werden, die der Wahrnehmung des eigentlichen Bildinhaltes dienen. Der Rahmen liegt dabei ganz außerhalb des betrachteten Wahrnehmungsraumes, der im Wesentlichen als inhärent unbegrenzt empfunden wird. Bildwahrnehmung beruht also zumindest bei darstellenden Bildern mit ausgeprägtem Rahmen auf einer mindestens doppelten Kaskade von vertikalen Verschiebungen von Figur/Grund-Differenzierungen, durch die die konfligierenden Situierungen von sowohl Bildinhalt wie Wand als gleichzeitig hinter dem Rahmen befindlich konstituiert werden.<br />
:<br />
Auf die Rolle der Figur/Grund-Differenzierungen für das gestalterische Sehen und die reflexive Verwendung von Bildern wurde oben bereits hingewiesen.<br />
<br />
===Kommunikationstheoretische Assoziationen===<br />
<br />
Die Konzeption der Figur/Grund-Differenzierung ist nicht nur in Wahrnehmungstheorien relevant: Auch bei [[Interaktion und Kommunikation|Kommunikation]] und insbesondere dem Gebrauch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche_Zeichen|sprachlicher Zeichen]] läßt sich eine analoge Differenzierung konstatieren. So werden in der Linguistik diejenigen Teile einer Äußerung bzw. eines Satzes als »thematisch« charakterisiert, die dem Adressaten bereits bekannt sind (oder auch: ihm als bekannt gelten), während das für ihn Neue in den als »rhematisch« beurteilten Abschnitten zur Sprache kommt. Das Thema bildet den Hintergrund für die eigentlich wichtige Mitteilung des Rhemas, das ohne diese Verankerung im bereits (gemeinsam) Bekannten nicht verständlich wäre.<ref>Die Thema/Rhema-Aufteilung wurde insbesondere in der Nachfolge von V. Mathesius von der Prager Schule als grundlegende linguistische Differenzierung untersucht; vgl. <bib id='Mathesius 1911a'></bib>.</ref> Genau genommen verbirgt sich bei propositionalen Äußerungen sogar eine doppelte Figur/Grund-Aufteilung: Zum Einen die Differenzierung zwischen dem thematischen [[Kontext]] und dem fokussierten [[Proposition|propositionalen Gehalt]] der Äußerung; und zum Anderen innerhalb der Proposition die zwischen den [[Nomination|Nominationen]], die als bereits bekannter Hintergrund (und Teil des Kontexts) als Anker für die neue Information dienen, welche mit der [[Prädikation]] als Figur auftritt (und als solche noch nicht im gemeinsamen Diskurskontext vor der Äußerung enthalten sein sollte).<ref>Im sprachlichen Fall kann es daher insbesondere vorkommen, dass eine als rhematisch intendierte Information tatsächlich vom Rezipienten bereits gewußt wird und daher für ihn zum thematischen Teil der Äußerung zählt, während ein vom Produzenten als thematisch eingeschätzter Äußerungsteil dem Rezipienten noch nicht bekannt war und für ihn somit zum Rhema wird. Die damit eröffnete Dynamik der kommunikativen Figur/Grund-Differenzierung ist ein wesentliches Charakteristikum sprachlicher Zeichen und demonstriert, dass zumindest bei diesen prinzipiell jede semantische Betrachtung von pragmatischen Aspekten dominiert wird. </ref><br />
:<br />
Im Bereich der Nachrichtentechnik, also in den Ingenieurwissenschaften, spielt schließlich das Verhältnis von »Signal«&#8203; und »Rauschen«&#8203; (auch ‘Untergrund’) eine mit »Figur«&#8203; und »Grund«&#8203; vergleichbare Rolle. Im Unterschied zur üblichen Redeweise von der Figur ''vor'' dem Grund wird hierbei allerdings davon gesprochen, dass es das Signal ist, das vom Rauschen ''über''lagert wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Verwendung von ‘Signal’ und ‘Rauschen’ in dem Bereich Signalentdeckungstheorie der Wahrnehmungspsychologie; <bib id='Velden 1982a'></bib>. </ref><br />
<br />
=== Figur/Grund-Differenzierung und Aufmerksamkeit ===<br />
<br />
Offensichtich kann die Figur/Grund-Differenzierung von Aufmerksamkeit und Erwartung beeinflusst und in gewissen Grenzen gesteuert werden. Die die Figur vom Grund abhebenden Gestaltbildungsprozesse stellen selbst einen spontan wirksamen Aufmerksamkeitsmechanismus dar. Gegenüber Aufmerksamkeitsphänomenen im engeren Sinn tritt bei der Figur/Grund-Differenzierung allerdings ''kein'' Ausblenden des jeweiligen Hintergrundes auf: Wird etwa eine Aufgabe mit hoher Konzentration bearbeitet – oder auch ein Spiel ganz vertieft gespielt –, so wird die jeweilige Umgebung oft völlig “vergessen”, bleibt ganz ausgeblendet und subjektiv verschwunden. <br />
:<br />
Das Wechselspiel zwischen sich spontan bildender Figur-Aufmerksamkeit und erwartungsgesteuerter Konzentration auf bestimmte Reizkonstellationen wird besonders deutlich bei der oben erwähnten umgekehrten vertikalen Dynamik: Es ist schwierig, die gestalterische Sichtweise gegen die spontane dreidimensionale Gestaltbildung durchzusetzen, selbst wenn diese bistabil ist.<br />
:<br />
In der [[Bildbearbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]] wird eine analoge Unterscheidung zwischen sogenannten ''bottom up''-Prozessen und ''top down''-Prozessen gemacht: In ''bottom up''-Prozessen werden sensorische Elemente sozusagen ohne Aufmerksamkeitssteuerung nach Gestaltgesetzen selektiert und zusammengruppiert und zu komplexeren perzeptuellen Einheiten zusammengebunden; bei ''top down''-Verfahren werden die Gruppierungs- und Selektionsschritte von einer vorgegebenen Zielgestalt (auf der gewissermaßen die Aufmerksamkeit ruht) gelenkt. Das Ziel kann dabei durchaus auch ein 3D-Modell sein (zu 3D-Modell ⊳ [[Computergraphik]]) oder sogar einem sortalen Gegenstand entsprechen.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Bildbearbeitung, digitale]]<br />
* [[Bildinhalt]] <br />
* [[Computergraphik]]<br />
* [[Dezeptiver und immersiver Modus]]<br />
* [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Horizont]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Kippbild]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Phänomenologie]]<br />
* [[Prädikation]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Sortale Gegenstände und Individuation]]<br />
* [[Stil]]<br />
* [[Wahrnehmungsillusion]]<br />
* [[Wahrnehmungsmedien]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J.]]<br />
* [[Benutzer:Zsuzsanna Kondor|Kondor. Zsuzsanna]]<br />
<br />
{{GlosTab4}}<br />
''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Figur/Grund-Differenzierung&diff=26541Figur/Grund-Differenzierung2016-09-20T11:57:05Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Die “horizontale” Dynamik */</p>
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildwahrnehmung]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildwahrnehmung]]<br />
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<br />
Bei der Gegenüberstellung von »Figur« und »Grund« handelt es sich um ein ganz allgemeines Prinzip der Wahrnehmung, das vor allem anhand der Bildwahrnehmung erkannt und untersucht worden ist und für diese auch besondere Bedeutung hat: In jedem Fall von Wahrnehmung ist das Wahrnehmungsfeld notwendig gegliedert in einen als ‘Figur’ bezeichneten fokussierten Bereich, der als aus dem Hintergrund des restlichen Wahrnehmungsfeldes hervorgetreten wahrgenommen wird.<br />
Diese Gliederung unterscheidet Wahrnehmung von verwandten, aber strukturell einfacheren Begriffen der Einwirkung von Welt auf die Aktivitäten eines Organismus. Beim Reflexbegriff etwa ist noch keine Figur/Grund-Differenzierung des Reizes enthalten: Der einem Reflexbogen zugeordnete Reiz ist entweder vorhanden oder nicht, seine situationale Einbettung in den Kontext für den Reflex nicht von Bedeutung.<ref>Allenfalls Krankheit oder Ermüdung – also dem Aktivitätsträger selbst und nicht dessen Umwelt zugerechnete Eigenschaften – können den Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion verändern. Zur Reflextheorie vgl. <bib id='Gallistel 1980a'></bib>, insbesondere Kap. 1 (vgl. <bib id='Sherrington 1947a'></bib>). </ref> Erst bei den komplexerem Verhalten<ref>Vgl. auch [[Exkurs: Handlungen]]: Handlungen im weiten Sinn.</ref> zugeordneten Wahrnehmungen macht es Sinn, von einem aus dem gesamten “Merkfeld” herausgehobenen Bereich zu sprechen, dessen Wirkung zugleich auch von dem Rest des Merkfeldes abhängt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Figur die visuelle Gestalt eines gesehenen, teilweise verdeckten Gegenstandes ist, eine Stimme in einer polyphonen Musikkomposition, die Geruchskomponente eines Parfums oder der Geschmack eines bestimmten Gewürzes in einem Gericht: Stets existiert diese Figur nur vor einem (oder: eingebettet in einen) zugehörigen Grund.<br />
<br />
<br />
==Verankerung in der Gestalttheorie==<br />
<br />
Um die Fülle der Informationen, die auf ein Lebewesen von seiner Umgebung einströmen, zu organisieren und für sein Verhalten zu nutzen, müssen selektierende und gruppierende Faktoren zusammenwirken. Wichtige Faktoren, die speziell bei den ‘Wahrnehmung’ genannten Phänomenen eine Rolle spielen, wurden in der [[Gestalt]]theorie zusammengestellt. Wahrgenommen werden keine isolierten Elemente – einzelne Empfindungen (wie sie etwa dem Reizungszustand einer einzelnen Sehzelle entsprechen würden) – sondern Gesamtheiten, die prinzipiell etwas sind, was in verschiedene Umgebungen eingebettet auftreten kann: Solche Gesamtheiten erscheinen damit prinzipiell als Gestalten vor einem Hintergrund und fokussieren auf diese Weise die [[Aufmerksamkeit]] auf bestimmte immer wieder vorkommende Konfigurationen.<br />
:<br />
[[Datei:450px-Kanizsa triangle.svg.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 1: Kanizsa-Dreieck]]<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung liefert dabei den Rahmen für die gestaltpsychologischen Gruppierungsregeln: Gestaltgesetze, wie das der Nähe, der Geschlossenheit oder der Kontinuität, zielen darauf ab, Teile des Gesichtsfeldes als ''eine'' Figur vom Rest abzuheben. So wird etwa das grafisch gar nicht vorhandene “weiße Dreieck auf weißem Grund” in Abbildung 1 als eine “gute Gestalt” vor einem weitgehend gleichfarbigen Hintergrund gesehen. <br />
:<br />
Als allgemeines Wahrnehmungsphänomen ist die Figur/Grund-Differenzierung weder speziell auf visuelle Wahrnehmung beschränkt, noch gar auf das Wahrnehmen von Bildern. Allerdings wurde das Phänomen vor allem anhand von speziellen Bildwahrnehmungen entdeckt und untersucht. <br />
<br />
===Entdeckung durch Rubin===<br />
<br />
In die Wissenschaft eingeführt wurde die Figur/Grund-“Illusion” um 1915 durch den dänischen Psychologen Edgar John Rubin (1886–1951) insbesondere am Beispiel der so genannten «Rubinschen Vase» (vgl. Abb. 2). Diese Grafik, bei der die Wahrnehmung zweier einander gegenüberstehenden Gesichter in die Wahrnehmung einer dazwischen stehenden Vase umspringt, spielt in Rubins zweibändigem Werk «Synsoplevede Figurer» (deutsch (1921): «Visuell wahrgenommene Figuren») zum ersten Mal eine wichtige Rolle.<ref>Rubin führte eine Reihe ähnlicher Bilder ein (etwa das schwarz-weiße Malteserkreuz), aber am bekanntesten wurde die «Rubinsche Vase».</ref> Rubins Grafik ist ein Spezialfall der so genannten multistabilen Wahrnehmung.<ref>Man spricht von ‘multistabiler Wahrnehmung’, wenn es zu spontanen Wechseln zwischen mehreren wahrgenommenen Inhalten ohne Änderung der Reizsituation kommt, z.B. wenn wir uns visuell zweideutigen Darstellungen wie der «Rubinsche Vase» oder dem «Necker-Würfel» gegenübersehen. Nicht immer verändern sich dabei die Bereiche, die als Figur bzw. Grund empfunden werden.</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Rubin-1.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 2: Die Grafik «Rubinsche Vase»]]<br />
Der aus Kopenhagen stammende Rubin verbrachte einige Zeit in Göttingen, worauf sich u.a. eine [[Phänomenologie|phänomenologische]] Perspektive in seiner Auffassung von visueller Wahrnehmung zurückführen lässt. Offensichtlicher noch ist allerdings seine Nähe zur [[Gestalt|Gestaltpsychologie]], insofern nämlich die «Rubinsche Vase» einen weiteren Beleg für deren These lieferte, dass das visuell Wahrgenommene nicht mit dem Netzhautbild identisch ist. An der «Rubinschen Vase» lässt sich so das Prinzip der Emergenz deutlich machen, nach dem wir Gegenstände unserer Umgebung als Ganze und auf einmal wahrnehmen. Wahrnehmung sollte demnach als ein produktiver Prozess der Gegenstandskonstitution aufgefasst werden, der das in unserer Erfahrung Erfasste mit Inhalten zur Lage und Beschaffenheit der jeweiligen Gegenstände versorgt, die nicht schon in den reinen Sinnesdaten enthalten sind.<br />
<br />
===Was bedeutet «Figur und Grund»?===<br />
<br />
Anhand der «Rubinschen Vase» lässt sich untersuchen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich Figur und Grund in der Wahrnehmung bilden bzw. wie zwischen verschiedenen Figur/Grund-Differenzierungen hin- und hergesprungen wird. Rubin formulierte 1915 folgenden „fundamentalen Satz“: <br />
:<br />
:''Wenn zwei Felder aneinander grenzen und das eine als Figur und das andere als Grund erlebt wird, kann das unmittelbar anschaulich Erlebte als dadurch gekennzeichnet betrachtet werden, daß von der gemeinsamen Kontur der Felder ein formendes Wirken ausgeht, das sich nur bei dem einen oder in einem höheren Grade bei dem einen Feld als bei dem anderen geltend macht.'' (<bib id='Rubin 1921a'></bib>: S. 36f.) <br />
:<br />
Im Falle bistabiler Wahrnehmung manifestiert sich dieses „formende Wirken“ nach beiden Seiten in gleichem Grade: Die Zuweisung von Figur und Grund ist austauschbar und fluktuiert spontan: In Rubins berühmtem Beispiel sehen wir alternierend zwei Gesichter gegen einen weißen Hintergrund und eine Vase gegen einen schwarzen Hintergrund. Zu einem gegebenen Zeitpunkt nehmen wir dabei immer nur eine der beiden Möglichkeiten wahr. Da das Erregungsmuster der Netzhaut sich dabei nicht verändert hat, kann es nicht als Ursache für den spontanen Wechsel der Zuweisung herangezogen werden.<br />
:<br />
Wie Rubin festgestellt hat, tendieren wir dazu, eine kleinere, geschlossene Form als Figur gegen den Grund der größeren umgebenden Flächeanzusehen.<ref>Weitere Faktoren, die dazu beitragen, bevorzugt eine Seite einer (potentiellen) Konturlinie bzw. einen Bildbereich als Figur erscheinen zu lassen, diskutiert etwa Arnheim (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 219 ff). Vgl. auch [http://scholarpedia.org/article/Figure-ground_perception Scholarpedia: Figure-ground perception]</ref> Der Figur kommt eine ''Dingqualität'' zu, während der Grund als eher schwer zu fassen und zu kategorisieren erscheint. Die Figur sticht heraus, der Grund tritt dagegen zurück. Insbesondere wird die sie trennende Kontur selbst stets der Figur zugerechnet, nicht dem Grund. Neuere psychologische Experimente haben Rubins These hinsichtlich der Kontur empirisch bestätigt (<bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897).<ref><bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897: ''In (a), following a vase-to-faces transition, the standard image was replaced by an embossed-face version of the same stimulus, whereas in (b), subsequent to a faces-to-vase change, an embossed-vase version replaced the standard.'' (vgl. die zugehörige [[Media:Rubin-Embossed.png|Bilddatei]]).</ref><br />
<br />
===Zusammenhang mit visueller Tiefenwahrnehmung===<br />
<br />
[[Datei:vexiAegypterin_m.jpg|thumb|Abbildung 3: «Ägypterin» – Variante der «Rubinschen Vase» mit mehr als zwei Tiefenebenen ]]<br />
Dass die Konturlinie zur Figur gerechnet wird, ihre Grenze markiert, bedeutet auch, dass der Grund als ''hinter'' der Figur weitergehend wahrgenommen wird, obwohl er dort nicht direkt zu sehen ist. Die Konturlinie wirkt als Grenze nicht für ihn. Die in Abbildung 3 gezeigte Variante der Rubinschen Vase – bei der es sich in diesem Fall tatsächlich nicht um eine Vase sondern um einen Kerzenständer handelt – demonstriert diesen Aspekt augenfällig: Denn neben den beiden Figur-Zuordnungen der klassischen Fassung – zwei im Profil einander gegenüberliegende Gesichter bzw. ein Kerzenleuchter – tritt hier als dritte Variante auf: ''ein frontal dargestelltes Gesicht zu beiden Seiten des Kerzenständers, das teilweise hinter diesem verborgen bleibt'' (und selbst vor einem weiteren Hintergrund mit sechseckigem Muster liegt).<br />
:<br />
Arnheim sieht die Figur/Grund-Differenzierung als speziellen Fall des Erzeugens von Tiefenstaffelungen in der visuellen Wahrnehmung, nämlich einer mit genau zwei Ebenen (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 228 ff). Das Beispiel der «Ägypterin» (Abb. 3) macht zudem deutlich, dass der Figurbereich nicht notwendig als jeweils vorderste Darstellungsebene betrachtet wird: Bildet in dem Beispiel das Gesicht den als Figur wahrgenommenen Bildbereich, so steht der Kerzenleuchter zwar davor, ist aber nicht Teil der Figur. Dabei erklärt das Prinzip der ''guten'' (einfachen bzw. bekannten) Gestalt – hier eines frontal gesehenen Gesichts –, wieso die Figur/Grund-Differenzierung eine solche Tiefenstaffelung motiviert.<br />
:<br />
Allerdings ist die allgemeine ''Tiefen''-Staffelung im Gegensatz zur Figur/Grund-Differenzierung nicht ohne weiteres auf andere Sinnesmodalitäten übertragbar: Mag beim Gehörsinn noch eine nach Entfernung gestaffelte Verallgemeinerung der Figur/Grund-Differenzierung Sinn machen, scheinen sich die anderen Sinne eher dagegen zu sperren: als ''Lokalsinne'' liefern sie keine ''Übersicht''. Eine durch ''Verdeckungen'' bedingte Dynamik in der Figur/Grund-Differenzierung muss hier ganz anders gefasst werden. Handlungstheoretisch läßt sich im Übrigen eine Verbindung herstellen zwischen der spezifischen Art der Figur/Grund-Differenzierung in der visuellen Wahrnehmung und der Fähigkeit, den Schärfebereich der Linse im [[Auge]] zu verändern – eine Verhaltensoption, die in den anderen Fernsinnen nicht gegeben ist. Zusammen mit der entsprechenden Augenorientierung (nämlich mehr (näher) oder weniger (ferner) abweichend von der Parallelität der optischen Achsen der Augen), bildet dieser effektorische Anteil des visuellen Wahrnehmungsapparates die Basis für die Kopplung der Figur/Grund-Differenzierung mit der Tiefenwahrnehmung.<ref>Die Akkomodation der Linsen wird meist nicht direkt bewusst gesteuert und ist normalerweise mit der relativen Verdrehung der optischen Achsen beider Augen gegeneinander gekoppelt, so dass die Linsen jeweils ungefähr auf die Distanz eingestellt werden, in der sich die optischen Achsen schneiden.</ref><br />
<br />
==Zwei Arten der Dynamik von Figur/&#8203;Grund-&#8203;Diffe&shy;renzie&shy;rungen==<br />
<br />
Figur/Grund-Differenzierungen sind offensichtlich kein statisches Phänomen: Die die Wahrnehmung konstituierende Einteilung des Wahrgenommenen in Figur und Grund verändert sich mit der Zeit, selbst wenn keine Veränderung der äußeren Welt (der zugrunde liegenden Reizsituation) stattfindet. Diese Dynamik kann zum Einen einfach der zeitlichen Abfolge entsprechen, in der verschiedene Bereiche des jeweiligen Merkfeldes in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken. Es kann aber auch um eine ganz andere Art der Verschiebung von Grund und Figur gehen, bei der etwas, was zunächst (ganzheitliche) Figur war, nun selbst (verschiedenen) Figur/Grund-Differenzierungen unterworfen werden kann. Dynamiken der ersten Art kann man vereinfachend als ‘horizontal’ bezeichnen, zumal sich der [[Horizont|Betrachtungshorizont]] dabei nicht verändert, die Wahrnehmung also, metaphorisch gesprochen, “im selben Horizont bleibt”. Bei der zweiten Sorte verändert sich hingegen gerade der Wahrnehmungshorizont, wie bei einer vertikalen Bewegung oder einem Zoomen; daher die metaphorische Kurzbezeichnung ‘vertikale Dynamik’. <br />
<br />
===Die “horizontale” Dynamik===<br />
<br />
[[Datei:Gegenstände.jpg|thumb|Abbildung 4: Bild «Gegenstände» von [http://www.antje-bohnstedt.de/illustrationen/gegenstaende/farbe/ Antje Bohnstedt] ]]<br />
Bistabile Wahrnehmungen wie bei der «Rubinschen Vase», bei denen die Zuweisung von Figur und Grund sich immer wieder spontan umkehrt, stellen tatsächlich nur einen Speziallfall einer allgemeinen Variabilität der Figur/Grund-Bildung dar. Die Veränderung der konkreten Figur/Grund-Differenzierung kann dabei – muß aber nicht, wie die spontanen Wechsel bei multistabilen Wahrnehmungen deutlich werden lassen – durch Aufmerksamkeitsverschiebungen vom Wahrnehmenden beeinflusst werden. Beispielweise wird auch ein Betrachter des Bildes in Abbildung 4 – abhängig von seinen Augenbewegungen – zwischen verschiedenen Figur/Grund-Zuordnungen hin- und herspringen.<ref>Die Beobachtungen, die sich hierbei an der verhältnismäßig zufälligen Zusammenstellung von Gegenständen in einem Bild wie Abbildung 4 machen lassen, sind ohne weiteres auch auf kohärenter strukturierte Bilder (oder allgemeiner Szenen) von Gegenständen zu übertragen, wie beispielweise Stillleben.</ref> Verschiedene Bildbereiche werden jeweils als Figur vor dem restlichen Grund verwendet: Diese Wechsel sind bei [[Sortale Gegenstände und Individuation|sortalen Gegenständen]] besonders deutlich,<ref>Dazu passt, dass sortale Gegenstände zwar als ihre jeweils aktuellen Umgebungen (“Hintergründe”) übersteigende (nämlich persistente) Phänomene begriffen werden, gleichwohl aber auch nie außerhalb eines [[Kontext]]es erscheinen können. </ref> aber keineswegs auf diese beschränkt. Auch wenn beispielsweise die Pinselstriche eines Gemäldes betrachtet werden und die Aufmerksamkeit von einem besonders ausgeführten Pinselstrich zu einem benachbarten Strich wandert, geht das stets mit einer entsprechenden neuen Figur/Grund-Differenzierung des visuellen Wahrnehmungsfeldes einher: Was zuerst Teil des Grundes war wird zur neuen Figur, und die alte Figur zum Teil des neuen Grundes. <br />
:<br />
Ganz analog ist ein Umschalten der Figur/Grund-Unterscheidung beim Hören die perzeptuelle Basis des Aufmerksamkeitswechsel bei einer polyphonen Komposition auf eine andere Stimme, oder auch auf eine andere Instrumentalgruppe im Gesamtklang eines ausgehaltenen Orchesterakkords; beim Riechen das Hervortreten einer anderen Geruchskomponente eines Parfums, oder beim Schmecken das Bemerken einer weiteren Zutat in einer Sauce.<br />
:<br />
<!-- »Figur« (bzw. auch »Gestalt«) und Objektbegriff... "aktuelle Gestalt" und persistenter Gegenstand --><br />
<br />
===Die “vertikale” Dynamik===<br />
<br />
Betrachten Sie in Abbildung 4 den Federball. Nun betrachten Sie den weißen Fleck, der sich in dem Bildbereich befindet, der die rote Kappe des Federballs darstellt. In beiden Fällen wird Ihre Wahrnehmung von einer entsprechenden Figur/Grund-Differenzierung begleitet. Allerdings wird nun das, was zunächst Figur war, selbst in Figur und Grund zerlegt. Obwohl der Übergang zwischen beiden zunächst wie ein Fall von “horizontaler” Figur/Grund-Dynamik aussieht, handelt es sich um ein wesentlich komplexeres Phänomen, das mit der Frage zusammenhängt, was es denn eigentlich ist, was sich (“horizontal”) in verschiedene Figur/Grund-Paarungen aufspalten lässt. <br />
:<br />
Insbesondere konstruktivistische Wahrnehmungstheorien unterscheiden zwischen dem, was schon in Figur und Grund getrennt ist (“so sehen wir die Welt”), und das, was sich – durch einen Betrachter – in (prinzipiell diverse) Figur/Grund-Differenzierungen aufgliedern lässt, aber selbst noch nicht so aufgespalten ist (“die Welt, die gesehen werden kann”, “das, was (mithilfe von darauf vorgenommenen Figur/Grund-Differenzierungen) wahrgenommen wird”)). Neben die eigentliche Figur/Grund-Gliederung tritt damit ein Drittes, das man, einem Gedanken Heiders folgend, das ‘Medium’ der Figur/Grund-Differenzierung nennen kann.<ref>Vgl. Heider «Ding und Medium». Auch einer der Medienbegriffe der Systemtheorie Luhmanns ist an diese Aufteilung angelehen. Dazu auch ⊳ [[Wahrnehmungsmedien]]. </ref> Charakteristisch für diese “vertikale” Dynamik der Figur/Grund-Differenzierung ist, dass das ''Medium'' für eine Figur/Grund-Unterscheidung selbst das Resultat einer anderen (“tieferen”) Figur/Grund-Differenzierung darstellt. Mit ihr ist insbesondere das Phänomen der Emergenz der dritten Dimension verbunden.<br />
<br />
[[Datei:11.png|thumb|Abbildung 5: Bistabile Grafik «Necker&shy;würfel»: 3D- versus 2D-&#8203;Wahrneh&shy;mung ]]<br />
Am Beispiel des sogenannten Neckerwürfel kann man sich das klar machen: Der Neckerwürfel gilt als ein typisches Beispiel einer bistabile 3D-Wahrnehmung: Bei der durch die schwarzen Linien bestimmten Figur eines Würfels vor neutralem Hintergrund kann entweder die linke obere oder die rechte untere der beiden im Inneren der Figur zu sehenden Ecken vorne liegen. Beide Wahrnehmungsalternativen schließen einander aus und springen in der Regel spontan ineinander um. Allerdings gibt es eine weitere Sichtweise des Bildes bei 2D-Interpretation – also als flache schwarze Linien auf weißer Fläche, die eine Flächenkachelung bilden. In diesem Fall bildet nicht der Würfel die Figur, sondern eine der folgenden Flächen: in der Mitte ein kleines Quadrat, umgeben von zwei einander gegenüberliegenden kleinen Dreiecken (links unten und rechts oben) und vier Trapezen. Man stelle sich die Grafik etwa als Teil eines mit weißen Kacheln und schwarzen Fugen gestalteten Fußbodens vor. Offensichtlich entspricht diese Wahrnehmung der Wahrnehmung des Bildträgers, aus dem die dritte Dimension, in der der Würfel existiert, abgeleitet wird. <br />
:<br />
[[Datei:Dalmatiner.jpg|thumb|Abbildung 6: Verzögerte Figur/Grund-Differenzierung der zweiten Ebene bei erstem Sehen]]<br />
Auch der – für Emergenz-Phänomene charakteristische – Aha-Effekt, der bei der ersten Begegnung mit der Pigmentverteilung in Abbildung 6 in der Regel erst nach einiger Zeit auftritt, entspricht einem Wechsel der Figur/Grund-Zuordnung im vertikalen Sinn: Während zunächst die schwarzen Flecken als mehr oder weniger zufällig auf der Fläche verteilt erscheinen und einzelne davon spontan als Figur vor der umgebenden Fläche hervortreten, organisiert sich die Wahrnehmung im günstigen Fall nach einiger Zeit so, dass insbesondere ein schnüffelnder Dalmatiner als Figur vor einer Straßenszene in der Mitte des Bildes gesehen wird. <br />
:<br />
Wie beim Necker-Würfel ist es auch in diesem Fall schwierig, nach dem Erscheinen der dreidimensionalen szenischen Sichtweise auf die zugrundeliegende Flächensichtweise zurückzukommen. Der Abstieg zu den [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Elementen der Bildsyntax]] erfolgt selten spontan. Genau diese Umkehrung der vertikalen Figur/Grund-Verschiebungen spielt allerdings beim sogenannten Gestalterischen Sehen eine wichtige Rolle, geht es dabei doch darum, vorherrschende Figur/Grund-Differenzierungen aufzuheben, und beispielsweise statt des Neckerwürfels die zweidimensionale Flächenaufteilung des Bildes zu sehen. Auch die [[Bild in reflexiver Verwendung|reflexive Verwendung]] von Bildern (bzw. Szenen) verweist auf die vertikale Dimension, insofern hier die Bildwahrnehmungen als Beispiele für bestimmte Figur/Grund-Differenzierungen oder deren Fehlen verwendet werden: Das Bild der Rubinschen Vase dient in der Regel nicht dazu, visuell zwei Gesichter (oder eine Vase) zu präsentieren, sondern das Phänomen der Bistabilität der Figur/Grund-Differenzierung und damit eine bestimmte Art von Figur/Grund-Dynamiken selbst als Figur zu demonstrieren. <br />
:<br />
Auch die vertikalen Verschiebungen der Figur/Grund-Differenzierungen sind nicht auf die visuellen Sinne beschränkt. Ein auditorisches Beispiel mag der Unterschied zwischen dem Verfolgen einer Melodie und dem Konzentrieren auf die Intonation ihrer Ausführung geben.<br />
<br />
<br />
==Auswirkungen==<br />
<br />
===Auswirkungen hinsichtlich Bild und Bild&shy;wahrneh&shy;mung===<br />
<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung ist als allgemeine Eigenheit von Wahrnehmung zwar nicht spezifisch für Bildwahrnehmung, dort aber auch – insbesondere bei darstellenden Bildern – sehr wichtig. Entsprechend hat «Rubins Vase» Einfluss in den Bereichen Kunst und Design gehabt. Figur/Grund-Effekte, die dem [[Kippbild]] von Gesicht und Vase analog sind, wurden etwa von M. C. Escher häufig an ganz zentraler Stelle verwendet.<ref>Vgl. dazu die Galerie der [http://www.mcescher.com/gallery/ M.C. Escher Foundation], insbesondere die Kollektionen «Symmetry» und «Transformation Prints».</ref> Kippbilder im allgemeinen sind allerdings nicht spezifisch auf Rubins Entdeckung zurückzuführen. Viele Designer von Logos setzen Zweideutigkeiten hinsichtlich der Figur/Grund-Differenzierung in ihren Arbeiten ein, um eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erreichen. In der Kunst spricht man übrigens statt von ‘Figur’ und ‘Grund’ oft auch von ‘positivem’ bzw. ‘negativem Raum’ (vgl. <bib id='Tritthart 2013a'></bib>).<ref>Die Gegenüberstellung von positivem und negativem Raum nimmt in der Architektur eine besondere, von der allgemeinen Figur/Grund-Differenzierung etwas abgesetzte Bedeutung an: Positiv ist der von Mauerwerk etc. eingenommene Platz, negativ der umbaute Raum. </ref><br />
:<br />
Was die Konstitution des [[Bildinhalt|Bildinhalts]] gerade von naturalistisch gestalteten Bildern, Photographien oder Projektionen angeht, sind die dabei wirksamen Figur/Grund-Unterscheidungen mehr oder weniger direkt mit der bei “direkter” visueller Wahrnehmung der dargestellten Szene vergleichbar. Umgekehrt werden beispielsweise Abschwächungen der Figur-bildenden Eigenschaften einer Umrißlinie in der asiatischen Grafik wie auch der klassischen Moderen im Westen dazu benutzt, die naturalistische Tiefenstaffelung und dreidimensionale Raumwirkung zu unterlaufen. Arnheim erläutert mit Blick auf Strichzeichnungen von Matisse (gegenüber Rembrandt): <br />
:<br />
:''Bei Matisse ist der Begrenzungscharakter der Umrißlinien schwach; sie haben weitgehend die Eigenschaft selbständiger Objektlinien. Die Körper wirken nicht kompakt und lassen leicht erkennen, daß sie nur Teile der leeren Papieroberfläche sind. Die Zeichnung liegt wie ein durchsichtiges Netzwerk aus Linien über dem Hintergrund. Die dreidimensionale Wirkung ist auf ein Mindestmaß reduziert. Dahinter steckt natürlich Absicht. Während die älteren Künstler eine feste Körperlichkeit und klar erkennbare Tiefe hervorheben wollten, ging es den modernen darum, Objekte zu entstofflichen und die Wirkung des Raumes herabzusetzen. Die modernen Zeichnungen sollen leichtgewichtige, offensichtlich von Menschenhand stammende Schöpfungen sein: Früchte der Einbildung und nicht Vortäuschungen einer stofflichen Wirklichkeit. Sie sollen die Fläche betonen, aus der sie entstanden sind.'' (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 220).<br />
:<br />
Generell ermöglichen spezifische [[Stil|Darstellungsstile]], insbesondere über Konturbetonung, Licht-Schatten-Setzung und ähnliche “Techniken”, bei Bildern, als intentional gestalteten Wahrnehmungsangeboten, bestimmte Figur/Grund-Bildungen beim Betrachter zu forcieren und so gezielt Interpretationen zu induzieren. Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der intendierten Kommunikation erhöht werden: Die bewußte Gestaltung der Figur/Grund-Differenzierung wirkt also als kommunikative Strategie. Einen Sonderfall der Bildherstellung stellt in dieser Hinsicht sicher die Erzeugung von multistabilen visuellen Wahrnehmungen dar. <br />
:<br />
Für die Bildwahrnehmung zentral ist zudem die Figur/Grund-Differenzierung zur Wahrnehmung des Bildes insgesamt, nämlich als ein Bildträger vor seinem Hintergrund. Mag die Wahrnehmung des darauf Abgebildeten noch so sehr auf die Figur/Grund-Differenzierungen aufbauen, die die abgebildete Szene selbst ermöglicht, etwa bei einem ''trompe l'œil''; das alleine würde noch kein Bild ausmachen sondern lediglich eine Wahrnehmungstäuschung beschreiben (⊳ [[Dezeptiver und immersiver Modus]] und [[Wahrnehmungsillusion]]). Mithilfe von [[Rahmung, Rahmen|Rahmen/Rahmung]] wird die Bildfläche von der umgebenden Wandfläche abgegrenzt und als Figur hervorgehoben. Entsprechend wird der Rahmen (als besonders betonte Kontur) auch zum Bildträger gerechnet, hinter dem sich die Wand ungesehen fortsetzt. Innerhalb des Bildträgers kann dann auf einer zweiten Stufe von Figur/Grund-Differenzierungen der Rahmen wiederum als Figur gesehen werden vor dem Hintergrund des Bildraumes (bei dreidimensional darstellenden Bildern)<ref>oder allgemeiner der eigentlichen Bildfläche</ref>, der zumeist – beispielsweise im Sinne von Albertis Fenster – als hinter dem Rahmen fortgeführt begriffen wird.<ref>Ausnahmen in reflexiver Verwendung sind mit Bildern gegeben, bei denen Teile des Inhalts auf den Rahmen oder gar über den (scheinbaren) Rahmen hinausgreifen, wie etwa bei Pere Borrell del Casos populärem Werk [https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Escaping_criticism-by_pere_borrel_del_caso.png «Flucht vor der Kritik»].</ref> Erst auf einer dritten Stufe können nun innerhalb des Bildraumes (bzw. der Bildfläche im engeren Sinn) die bildrelevanten Figur/Grund-Differenzierungen gebildet werden, die der Wahrnehmung des eigentlichen Bildinhaltes dienen. Der Rahmen liegt dabei ganz außerhalb des betrachteten Wahrnehmungsraumes, der im Wesentlichen als inhärent unbegrenzt empfunden wird. Bildwahrnehmung beruht also zumindest bei darstellenden Bildern mit ausgeprägtem Rahmen auf einer mindestens doppelten Kaskade von vertikalen Verschiebungen von Figur/Grund-Differenzierungen, durch die die konfligierenden Situierungen von sowohl Bildinhalt wie Wand als gleichzeitig hinter dem Rahmen befindlich konstituiert werden.<br />
:<br />
Auf die Rolle der Figur/Grund-Differenzierungen für das gestalterische Sehen und die reflexive Verwendung von Bildern wurde oben bereits hingewiesen.<br />
<br />
===Kommunikationstheoretische Assoziationen===<br />
<br />
Die Konzeption der Figur/Grund-Differenzierung ist nicht nur in Wahrnehmungstheorien relevant: Auch bei [[Interaktion und Kommunikation|Kommunikation]] und insbesondere dem Gebrauch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche_Zeichen|sprachlicher Zeichen]] läßt sich eine analoge Differenzierung konstatieren. So werden in der Linguistik diejenigen Teile einer Äußerung bzw. eines Satzes als »thematisch« charakterisiert, die dem Adressaten bereits bekannt sind (oder auch: ihm als bekannt gelten), während das für ihn Neue in den als »rhematisch« beurteilten Abschnitten zur Sprache kommt. Das Thema bildet den Hintergrund für die eigentlich wichtige Mitteilung des Rhemas, das ohne diese Verankerung im bereits (gemeinsam) Bekannten nicht verständlich wäre.<ref>Die Thema/Rhema-Aufteilung wurde insbesondere in der Nachfolge von V. Mathesius von der Prager Schule als grundlegende linguistische Differenzierung untersucht; vgl. <bib id='Mathesius 1911a'></bib>.</ref> Genau genommen verbirgt sich bei propositionalen Äußerungen sogar eine doppelte Figur/Grund-Aufteilung: Zum Einen die Differenzierung zwischen dem thematischen [[Kontext]] und dem fokussierten [[Proposition|propositionalen Gehalt]] der Äußerung; und zum Anderen innerhalb der Proposition die zwischen den [[Nomination|Nominationen]], die als bereits bekannter Hintergrund (und Teil des Kontexts) als Anker für die neue Information dienen, welche mit der [[Prädikation]] als Figur auftritt (und als solche noch nicht im gemeinsamen Diskurskontext vor der Äußerung enthalten sein sollte).<ref>Im sprachlichen Fall kann es daher insbesondere vorkommen, dass eine als rhematisch intendierte Information tatsächlich vom Rezipienten bereits gewußt wird und daher für ihn zum thematischen Teil der Äußerung zählt, während ein vom Produzenten als thematisch eingeschätzter Äußerungsteil dem Rezipienten noch nicht bekannt war und für ihn somit zum Rhema wird. Die damit eröffnete Dynamik der kommunikativen Figur/Grund-Differenzierung ist ein wesentliches Charakteristikum sprachlicher Zeichen und demonstriert, dass zumindest bei diesen prinzipiell jede semantische Betrachtung von pragmatischen Aspekten dominiert wird. </ref><br />
:<br />
Im Bereich der Nachrichtentechnik, also in den Ingenieurwissenschaften, spielt schließlich das Verhältnis von »Signal«&#8203; und »Rauschen«&#8203; (auch ‘Untergrund’) eine mit »Figur«&#8203; und »Grund«&#8203; vergleichbare Rolle. Im Unterschied zur üblichen Redeweise von der Figur ''vor'' dem Grund wird hierbei allerdings davon gesprochen, dass es das Signal ist, das vom Rauschen ''über''lagert wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Verwendung von ‘Signal’ und ‘Rauschen’ in dem Bereich Signalentdeckungstheorie der Wahrnehmungspsychologie; <bib id='Velden 1982a'></bib>. </ref><br />
<br />
=== Figur/Grund-Differenzierung und Aufmerksamkeit ===<br />
<br />
Offensichtich kann die Figur/Grund-Differenzierung von Aufmerksamkeit und Erwartung beeinflusst und in gewissen Grenzen gesteuert werden. Die die Figur vom Grund abhebenden Gestaltbildungsprozesse stellen selbst einen spontan wirksamen Aufmerksamkeitsmechanismus dar. Gegenüber Aufmerksamkeitsphänomenen im engeren Sinn tritt bei der Figur/Grund-Differenzierung allerdings ''kein'' Ausblenden des jeweiligen Hintergrundes auf: Wird etwa eine Aufgabe mit hoher Konzentration bearbeitet – oder auch ein Spiel ganz vertieft gespielt –, so wird die jeweilige Umgebung oft völlig “vergessen”, bleibt ganz ausgeblendet und subjektiv verschwunden. <br />
:<br />
Das Wechselspiel zwischen sich spontan bildender Figur-Aufmerksamkeit und erwartungsgesteuerter Konzentration auf bestimmte Reizkonstellationen wird besonders deutlich bei der oben erwähnten umgekehrten vertikalen Dynamik: Es ist schwierig, die gestalterische Sichtweise gegen die spontane dreidimensionale Gestaltbildung durchzusetzen, selbst wenn diese bistabil ist.<br />
:<br />
In der [[Bildbearbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]] wird eine analoge Unterscheidung zwischen sogenannten ''bottom up''-Prozessen und ''top down''-Prozessen gemacht: In ''bottom up''-Prozessen werden sensorische Elemente sozusagen ohne Aufmerksamkeitssteuerung nach Gestaltgesetzen selektiert und zusammengruppiert und zu komplexeren perzeptuellen Einheiten zusammengebunden; bei ''top down''-Verfahren werden die Gruppierungs- und Selektionsschritte von einer vorgegebenen Zielgestalt (auf der gewissermaßen die Aufmerksamkeit ruht) gelenkt. Das Ziel kann dabei durchaus auch ein 3D-Modell sein (zu 3D-Modell ⊳ [[Computergraphik]]) oder sogar einem sortalen Gegenstand entsprechen.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Bildbearbeitung, digitale]]<br />
* [[Bildinhalt]] <br />
* [[Computergraphik]]<br />
* [[Dezeptiver und immersiver Modus]]<br />
* [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Horizont]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Kippbild]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Phänomenologie]]<br />
* [[Prädikation]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Sortale Gegenstände und Individuation]]<br />
* [[Stil]]<br />
* [[Wahrnehmungsillusion]]<br />
* [[Wahrnehmungsmedien]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J.]]<br />
* [[Benutzer:Zsuzsanna Kondor|Kondor. Zsuzsanna]]<br />
<br />
{{GlosTab4}}<br />
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* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Figur/Grund-Differenzierung&diff=26540Figur/Grund-Differenzierung2016-09-20T11:55:38Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Zusammenhang mit visueller Tiefenwahrnehmung */</p>
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<div><!-- "This is comment" --><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildwahrnehmung]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildwahrnehmung]]<br />
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<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
<br />
Bei der Gegenüberstellung von »Figur« und »Grund« handelt es sich um ein ganz allgemeines Prinzip der Wahrnehmung, das vor allem anhand der Bildwahrnehmung erkannt und untersucht worden ist und für diese auch besondere Bedeutung hat: In jedem Fall von Wahrnehmung ist das Wahrnehmungsfeld notwendig gegliedert in einen als ‘Figur’ bezeichneten fokussierten Bereich, der als aus dem Hintergrund des restlichen Wahrnehmungsfeldes hervorgetreten wahrgenommen wird.<br />
Diese Gliederung unterscheidet Wahrnehmung von verwandten, aber strukturell einfacheren Begriffen der Einwirkung von Welt auf die Aktivitäten eines Organismus. Beim Reflexbegriff etwa ist noch keine Figur/Grund-Differenzierung des Reizes enthalten: Der einem Reflexbogen zugeordnete Reiz ist entweder vorhanden oder nicht, seine situationale Einbettung in den Kontext für den Reflex nicht von Bedeutung.<ref>Allenfalls Krankheit oder Ermüdung – also dem Aktivitätsträger selbst und nicht dessen Umwelt zugerechnete Eigenschaften – können den Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion verändern. Zur Reflextheorie vgl. <bib id='Gallistel 1980a'></bib>, insbesondere Kap. 1 (vgl. <bib id='Sherrington 1947a'></bib>). </ref> Erst bei den komplexerem Verhalten<ref>Vgl. auch [[Exkurs: Handlungen]]: Handlungen im weiten Sinn.</ref> zugeordneten Wahrnehmungen macht es Sinn, von einem aus dem gesamten “Merkfeld” herausgehobenen Bereich zu sprechen, dessen Wirkung zugleich auch von dem Rest des Merkfeldes abhängt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Figur die visuelle Gestalt eines gesehenen, teilweise verdeckten Gegenstandes ist, eine Stimme in einer polyphonen Musikkomposition, die Geruchskomponente eines Parfums oder der Geschmack eines bestimmten Gewürzes in einem Gericht: Stets existiert diese Figur nur vor einem (oder: eingebettet in einen) zugehörigen Grund.<br />
<br />
<br />
==Verankerung in der Gestalttheorie==<br />
<br />
Um die Fülle der Informationen, die auf ein Lebewesen von seiner Umgebung einströmen, zu organisieren und für sein Verhalten zu nutzen, müssen selektierende und gruppierende Faktoren zusammenwirken. Wichtige Faktoren, die speziell bei den ‘Wahrnehmung’ genannten Phänomenen eine Rolle spielen, wurden in der [[Gestalt]]theorie zusammengestellt. Wahrgenommen werden keine isolierten Elemente – einzelne Empfindungen (wie sie etwa dem Reizungszustand einer einzelnen Sehzelle entsprechen würden) – sondern Gesamtheiten, die prinzipiell etwas sind, was in verschiedene Umgebungen eingebettet auftreten kann: Solche Gesamtheiten erscheinen damit prinzipiell als Gestalten vor einem Hintergrund und fokussieren auf diese Weise die [[Aufmerksamkeit]] auf bestimmte immer wieder vorkommende Konfigurationen.<br />
:<br />
[[Datei:450px-Kanizsa triangle.svg.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 1: Kanizsa-Dreieck]]<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung liefert dabei den Rahmen für die gestaltpsychologischen Gruppierungsregeln: Gestaltgesetze, wie das der Nähe, der Geschlossenheit oder der Kontinuität, zielen darauf ab, Teile des Gesichtsfeldes als ''eine'' Figur vom Rest abzuheben. So wird etwa das grafisch gar nicht vorhandene “weiße Dreieck auf weißem Grund” in Abbildung 1 als eine “gute Gestalt” vor einem weitgehend gleichfarbigen Hintergrund gesehen. <br />
:<br />
Als allgemeines Wahrnehmungsphänomen ist die Figur/Grund-Differenzierung weder speziell auf visuelle Wahrnehmung beschränkt, noch gar auf das Wahrnehmen von Bildern. Allerdings wurde das Phänomen vor allem anhand von speziellen Bildwahrnehmungen entdeckt und untersucht. <br />
<br />
===Entdeckung durch Rubin===<br />
<br />
In die Wissenschaft eingeführt wurde die Figur/Grund-“Illusion” um 1915 durch den dänischen Psychologen Edgar John Rubin (1886–1951) insbesondere am Beispiel der so genannten «Rubinschen Vase» (vgl. Abb. 2). Diese Grafik, bei der die Wahrnehmung zweier einander gegenüberstehenden Gesichter in die Wahrnehmung einer dazwischen stehenden Vase umspringt, spielt in Rubins zweibändigem Werk «Synsoplevede Figurer» (deutsch (1921): «Visuell wahrgenommene Figuren») zum ersten Mal eine wichtige Rolle.<ref>Rubin führte eine Reihe ähnlicher Bilder ein (etwa das schwarz-weiße Malteserkreuz), aber am bekanntesten wurde die «Rubinsche Vase».</ref> Rubins Grafik ist ein Spezialfall der so genannten multistabilen Wahrnehmung.<ref>Man spricht von ‘multistabiler Wahrnehmung’, wenn es zu spontanen Wechseln zwischen mehreren wahrgenommenen Inhalten ohne Änderung der Reizsituation kommt, z.B. wenn wir uns visuell zweideutigen Darstellungen wie der «Rubinsche Vase» oder dem «Necker-Würfel» gegenübersehen. Nicht immer verändern sich dabei die Bereiche, die als Figur bzw. Grund empfunden werden.</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Rubin-1.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 2: Die Grafik «Rubinsche Vase»]]<br />
Der aus Kopenhagen stammende Rubin verbrachte einige Zeit in Göttingen, worauf sich u.a. eine [[Phänomenologie|phänomenologische]] Perspektive in seiner Auffassung von visueller Wahrnehmung zurückführen lässt. Offensichtlicher noch ist allerdings seine Nähe zur [[Gestalt|Gestaltpsychologie]], insofern nämlich die «Rubinsche Vase» einen weiteren Beleg für deren These lieferte, dass das visuell Wahrgenommene nicht mit dem Netzhautbild identisch ist. An der «Rubinschen Vase» lässt sich so das Prinzip der Emergenz deutlich machen, nach dem wir Gegenstände unserer Umgebung als Ganze und auf einmal wahrnehmen. Wahrnehmung sollte demnach als ein produktiver Prozess der Gegenstandskonstitution aufgefasst werden, der das in unserer Erfahrung Erfasste mit Inhalten zur Lage und Beschaffenheit der jeweiligen Gegenstände versorgt, die nicht schon in den reinen Sinnesdaten enthalten sind.<br />
<br />
===Was bedeutet «Figur und Grund»?===<br />
<br />
Anhand der «Rubinschen Vase» lässt sich untersuchen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich Figur und Grund in der Wahrnehmung bilden bzw. wie zwischen verschiedenen Figur/Grund-Differenzierungen hin- und hergesprungen wird. Rubin formulierte 1915 folgenden „fundamentalen Satz“: <br />
:<br />
:''Wenn zwei Felder aneinander grenzen und das eine als Figur und das andere als Grund erlebt wird, kann das unmittelbar anschaulich Erlebte als dadurch gekennzeichnet betrachtet werden, daß von der gemeinsamen Kontur der Felder ein formendes Wirken ausgeht, das sich nur bei dem einen oder in einem höheren Grade bei dem einen Feld als bei dem anderen geltend macht.'' (<bib id='Rubin 1921a'></bib>: S. 36f.) <br />
:<br />
Im Falle bistabiler Wahrnehmung manifestiert sich dieses „formende Wirken“ nach beiden Seiten in gleichem Grade: Die Zuweisung von Figur und Grund ist austauschbar und fluktuiert spontan: In Rubins berühmtem Beispiel sehen wir alternierend zwei Gesichter gegen einen weißen Hintergrund und eine Vase gegen einen schwarzen Hintergrund. Zu einem gegebenen Zeitpunkt nehmen wir dabei immer nur eine der beiden Möglichkeiten wahr. Da das Erregungsmuster der Netzhaut sich dabei nicht verändert hat, kann es nicht als Ursache für den spontanen Wechsel der Zuweisung herangezogen werden.<br />
:<br />
Wie Rubin festgestellt hat, tendieren wir dazu, eine kleinere, geschlossene Form als Figur gegen den Grund der größeren umgebenden Flächeanzusehen.<ref>Weitere Faktoren, die dazu beitragen, bevorzugt eine Seite einer (potentiellen) Konturlinie bzw. einen Bildbereich als Figur erscheinen zu lassen, diskutiert etwa Arnheim (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 219 ff). Vgl. auch [http://scholarpedia.org/article/Figure-ground_perception Scholarpedia: Figure-ground perception]</ref> Der Figur kommt eine ''Dingqualität'' zu, während der Grund als eher schwer zu fassen und zu kategorisieren erscheint. Die Figur sticht heraus, der Grund tritt dagegen zurück. Insbesondere wird die sie trennende Kontur selbst stets der Figur zugerechnet, nicht dem Grund. Neuere psychologische Experimente haben Rubins These hinsichtlich der Kontur empirisch bestätigt (<bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897).<ref><bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897: ''In (a), following a vase-to-faces transition, the standard image was replaced by an embossed-face version of the same stimulus, whereas in (b), subsequent to a faces-to-vase change, an embossed-vase version replaced the standard.'' (vgl. die zugehörige [[Media:Rubin-Embossed.png|Bilddatei]]).</ref><br />
<br />
===Zusammenhang mit visueller Tiefenwahrnehmung===<br />
<br />
[[Datei:vexiAegypterin_m.jpg|thumb|Abbildung 3: «Ägypterin» – Variante der «Rubinschen Vase» mit mehr als zwei Tiefenebenen ]]<br />
Dass die Konturlinie zur Figur gerechnet wird, ihre Grenze markiert, bedeutet auch, dass der Grund als ''hinter'' der Figur weitergehend wahrgenommen wird, obwohl er dort nicht direkt zu sehen ist. Die Konturlinie wirkt als Grenze nicht für ihn. Die in Abbildung 3 gezeigte Variante der Rubinschen Vase – bei der es sich in diesem Fall tatsächlich nicht um eine Vase sondern um einen Kerzenständer handelt – demonstriert diesen Aspekt augenfällig: Denn neben den beiden Figur-Zuordnungen der klassischen Fassung – zwei im Profil einander gegenüberliegende Gesichter bzw. ein Kerzenleuchter – tritt hier als dritte Variante auf: ''ein frontal dargestelltes Gesicht zu beiden Seiten des Kerzenständers, das teilweise hinter diesem verborgen bleibt'' (und selbst vor einem weiteren Hintergrund mit sechseckigem Muster liegt).<br />
:<br />
Arnheim sieht die Figur/Grund-Differenzierung als speziellen Fall des Erzeugens von Tiefenstaffelungen in der visuellen Wahrnehmung, nämlich einer mit genau zwei Ebenen (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 228 ff). Das Beispiel der «Ägypterin» (Abb. 3) macht zudem deutlich, dass der Figurbereich nicht notwendig als jeweils vorderste Darstellungsebene betrachtet wird: Bildet in dem Beispiel das Gesicht den als Figur wahrgenommenen Bildbereich, so steht der Kerzenleuchter zwar davor, ist aber nicht Teil der Figur. Dabei erklärt das Prinzip der ''guten'' (einfachen bzw. bekannten) Gestalt – hier eines frontal gesehenen Gesichts –, wieso die Figur/Grund-Differenzierung eine solche Tiefenstaffelung motiviert.<br />
:<br />
Allerdings ist die allgemeine ''Tiefen''-Staffelung im Gegensatz zur Figur/Grund-Differenzierung nicht ohne weiteres auf andere Sinnesmodalitäten übertragbar: Mag beim Gehörsinn noch eine nach Entfernung gestaffelte Verallgemeinerung der Figur/Grund-Differenzierung Sinn machen, scheinen sich die anderen Sinne eher dagegen zu sperren: als ''Lokalsinne'' liefern sie keine ''Übersicht''. Eine durch ''Verdeckungen'' bedingte Dynamik in der Figur/Grund-Differenzierung muss hier ganz anders gefasst werden. Handlungstheoretisch läßt sich im Übrigen eine Verbindung herstellen zwischen der spezifischen Art der Figur/Grund-Differenzierung in der visuellen Wahrnehmung und der Fähigkeit, den Schärfebereich der Linse im [[Auge]] zu verändern – eine Verhaltensoption, die in den anderen Fernsinnen nicht gegeben ist. Zusammen mit der entsprechenden Augenorientierung (nämlich mehr (näher) oder weniger (ferner) abweichend von der Parallelität der optischen Achsen der Augen), bildet dieser effektorische Anteil des visuellen Wahrnehmungsapparates die Basis für die Kopplung der Figur/Grund-Differenzierung mit der Tiefenwahrnehmung.<ref>Die Akkomodation der Linsen wird meist nicht direkt bewusst gesteuert und ist normalerweise mit der relativen Verdrehung der optischen Achsen beider Augen gegeneinander gekoppelt, so dass die Linsen jeweils ungefähr auf die Distanz eingestellt werden, in der sich die optischen Achsen schneiden.</ref><br />
<br />
==Zwei Arten der Dynamik von Figur/&#8203;Grund-&#8203;Diffe&shy;renzie&shy;rungen==<br />
<br />
Figur/Grund-Differenzierungen sind offensichtlich kein statisches Phänomen: Die die Wahrnehmung konstituierende Einteilung des Wahrgenommenen in Figur und Grund verändert sich mit der Zeit, selbst wenn keine Veränderung der äußeren Welt (der zugrunde liegenden Reizsituation) stattfindet. Diese Dynamik kann zum Einen einfach der zeitlichen Abfolge entsprechen, in der verschiedene Bereiche des jeweiligen Merkfeldes in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken. Es kann aber auch um eine ganz andere Art der Verschiebung von Grund und Figur gehen, bei der etwas, was zunächst (ganzheitliche) Figur war, nun selbst (verschiedenen) Figur/Grund-Differenzierungen unterworfen werden kann. Dynamiken der ersten Art kann man vereinfachend als ‘horizontal’ bezeichnen, zumal sich der [[Horizont|Betrachtungshorizont]] dabei nicht verändert, die Wahrnehmung also, metaphorisch gesprochen, “im selben Horizont bleibt”. Bei der zweiten Sorte verändert sich hingegen gerade der Wahrnehmungshorizont, wie bei einer vertikalen Bewegung oder einem Zoomen; daher die metaphorische Kurzbezeichnung ‘vertikale Dynamik’. <br />
<br />
===Die “horizontale” Dynamik===<br />
<br />
[[Datei:Gegenstände.jpg|thumb|Abbildung 4: Bild «Gegenstände» von [http://www.antje-bohnstedt.de/illustrationen/gegenstaende/farbe/ Antje Bohnstedt] ]]<br />
Bistabile Wahrnehmungen wie bei der «Rubinschen Vase», bei denen die Zuweisung von Figur und Grund sich immer wieder spontan umkehrt, stellen tatsächlich nur einen Speziallfall einer allgemeinen Variabilität der Figur/Grund-Bildung dar. Die Veränderung der konkreten Figur/Grund-Differenzierung kann dabei – muß aber nicht, wie die spontanen Wechsel bei multistabilen Wahrnehmungen deutlich werden lassen – durch Aufmerksamkeitsverschiebungen vom Wahrnehmenden beeinflusst werden. Beispielweise wird auch ein Betrachter des Bildes in Abbildung 4 – abhängig von seinen Augenbewegungen – zwischen verschiedenen Figur/Grund-Zuordnungen hin- und herspringen.<ref>Die Beobachtungen, die sich hierbei an der verhältnismäßig zufälligen Zusammenstellung von Gegenständen in einem Bild wie Abbildung 4 machen lassen, sind ohne weiteres auch auf kohärenter strukturtierte Bilder (oder allgemeiner Szenen) von Gegenständen zu übertragen, wie beispielweise Stilleben.</ref> Verschiedene Bildbereiche werden jeweils als Figur vor dem restlichen Grund verwendet: Diese Wechsel sind bei [[Sortale Gegenstände und Individuation|sortalen Gegenständen]] besonders deutlich,<ref>Dazu passt, dass sortale Gegenstände zwar als ihre jeweils aktuellen Umgebungen (“Hintergründe”) übersteigende (nämlich persistente) Phänomene begriffen werden, gleichwohl aber auch nie außerhalb eines [[Kontext]]es erscheinen können. </ref> aber keineswegs auf diese beschränkt. Auch wenn beispielsweise die Pinselstriche eines Gemäldes betrachtet werden und die Aufmerksamkeit von einem besonders ausgeführten Pinselstrich zu einem benachbarten Strich wandert, geht das stets mit einer entsprechenden neuen Figur/Grund-Differenzierung des visuellen Wahrnehmungsfeldes einher: Was zuerst Teil des Grundes war wird zur neuen Figur, und die alte Figur zum Teil des neuen Grundes. <br />
:<br />
Ganz analog ist ein Umschalten der Figur/Grund-Unterscheidung beim Hören die perzeptuelle Basis des Aufmerksamkeitswechsel bei einer polyphonen Komposition auf eine andere Stimme, oder auch auf eine andere Instrumentalgruppe im Gesamtklang eines ausgehaltenen Orchesterakkords; beim Riechen das Hervortreten einer anderen Geruchskomponente eines Parfums, oder beim Schmecken das Bemerken einer weiteren Zutat in einer Sauce.<br />
:<br />
<!-- »Figur« (bzw. auch »Gestalt«) und Objektbegriff... "aktuelle Gestalt" und persistenter Gegenstand --><br />
<br />
===Die “vertikale” Dynamik===<br />
<br />
Betrachten Sie in Abbildung 4 den Federball. Nun betrachten Sie den weißen Fleck, der sich in dem Bildbereich befindet, der die rote Kappe des Federballs darstellt. In beiden Fällen wird Ihre Wahrnehmung von einer entsprechenden Figur/Grund-Differenzierung begleitet. Allerdings wird nun das, was zunächst Figur war, selbst in Figur und Grund zerlegt. Obwohl der Übergang zwischen beiden zunächst wie ein Fall von “horizontaler” Figur/Grund-Dynamik aussieht, handelt es sich um ein wesentlich komplexeres Phänomen, das mit der Frage zusammenhängt, was es denn eigentlich ist, was sich (“horizontal”) in verschiedene Figur/Grund-Paarungen aufspalten lässt. <br />
:<br />
Insbesondere konstruktivistische Wahrnehmungstheorien unterscheiden zwischen dem, was schon in Figur und Grund getrennt ist (“so sehen wir die Welt”), und das, was sich – durch einen Betrachter – in (prinzipiell diverse) Figur/Grund-Differenzierungen aufgliedern lässt, aber selbst noch nicht so aufgespalten ist (“die Welt, die gesehen werden kann”, “das, was (mithilfe von darauf vorgenommenen Figur/Grund-Differenzierungen) wahrgenommen wird”)). Neben die eigentliche Figur/Grund-Gliederung tritt damit ein Drittes, das man, einem Gedanken Heiders folgend, das ‘Medium’ der Figur/Grund-Differenzierung nennen kann.<ref>Vgl. Heider «Ding und Medium». Auch einer der Medienbegriffe der Systemtheorie Luhmanns ist an diese Aufteilung angelehen. Dazu auch ⊳ [[Wahrnehmungsmedien]]. </ref> Charakteristisch für diese “vertikale” Dynamik der Figur/Grund-Differenzierung ist, dass das ''Medium'' für eine Figur/Grund-Unterscheidung selbst das Resultat einer anderen (“tieferen”) Figur/Grund-Differenzierung darstellt. Mit ihr ist insbesondere das Phänomen der Emergenz der dritten Dimension verbunden.<br />
<br />
[[Datei:11.png|thumb|Abbildung 5: Bistabile Grafik «Necker&shy;würfel»: 3D- versus 2D-&#8203;Wahrneh&shy;mung ]]<br />
Am Beispiel des sogenannten Neckerwürfel kann man sich das klar machen: Der Neckerwürfel gilt als ein typisches Beispiel einer bistabile 3D-Wahrnehmung: Bei der durch die schwarzen Linien bestimmten Figur eines Würfels vor neutralem Hintergrund kann entweder die linke obere oder die rechte untere der beiden im Inneren der Figur zu sehenden Ecken vorne liegen. Beide Wahrnehmungsalternativen schließen einander aus und springen in der Regel spontan ineinander um. Allerdings gibt es eine weitere Sichtweise des Bildes bei 2D-Interpretation – also als flache schwarze Linien auf weißer Fläche, die eine Flächenkachelung bilden. In diesem Fall bildet nicht der Würfel die Figur, sondern eine der folgenden Flächen: in der Mitte ein kleines Quadrat, umgeben von zwei einander gegenüberliegenden kleinen Dreiecken (links unten und rechts oben) und vier Trapezen. Man stelle sich die Grafik etwa als Teil eines mit weißen Kacheln und schwarzen Fugen gestalteten Fußbodens vor. Offensichtlich entspricht diese Wahrnehmung der Wahrnehmung des Bildträgers, aus dem die dritte Dimension, in der der Würfel existiert, abgeleitet wird. <br />
:<br />
[[Datei:Dalmatiner.jpg|thumb|Abbildung 6: Verzögerte Figur/Grund-Differenzierung der zweiten Ebene bei erstem Sehen]]<br />
Auch der – für Emergenz-Phänomene charakteristische – Aha-Effekt, der bei der ersten Begegnung mit der Pigmentverteilung in Abbildung 6 in der Regel erst nach einiger Zeit auftritt, entspricht einem Wechsel der Figur/Grund-Zuordnung im vertikalen Sinn: Während zunächst die schwarzen Flecken als mehr oder weniger zufällig auf der Fläche verteilt erscheinen und einzelne davon spontan als Figur vor der umgebenden Fläche hervortreten, organisiert sich die Wahrnehmung im günstigen Fall nach einiger Zeit so, dass insbesondere ein schnüffelnder Dalmatiner als Figur vor einer Straßenszene in der Mitte des Bildes gesehen wird. <br />
:<br />
Wie beim Necker-Würfel ist es auch in diesem Fall schwierig, nach dem Erscheinen der dreidimensionalen szenischen Sichtweise auf die zugrundeliegende Flächensichtweise zurückzukommen. Der Abstieg zu den [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Elementen der Bildsyntax]] erfolgt selten spontan. Genau diese Umkehrung der vertikalen Figur/Grund-Verschiebungen spielt allerdings beim sogenannten Gestalterischen Sehen eine wichtige Rolle, geht es dabei doch darum, vorherrschende Figur/Grund-Differenzierungen aufzuheben, und beispielsweise statt des Neckerwürfels die zweidimensionale Flächenaufteilung des Bildes zu sehen. Auch die [[Bild in reflexiver Verwendung|reflexive Verwendung]] von Bildern (bzw. Szenen) verweist auf die vertikale Dimension, insofern hier die Bildwahrnehmungen als Beispiele für bestimmte Figur/Grund-Differenzierungen oder deren Fehlen verwendet werden: Das Bild der Rubinschen Vase dient in der Regel nicht dazu, visuell zwei Gesichter (oder eine Vase) zu präsentieren, sondern das Phänomen der Bistabilität der Figur/Grund-Differenzierung und damit eine bestimmte Art von Figur/Grund-Dynamiken selbst als Figur zu demonstrieren. <br />
:<br />
Auch die vertikalen Verschiebungen der Figur/Grund-Differenzierungen sind nicht auf die visuellen Sinne beschränkt. Ein auditorisches Beispiel mag der Unterschied zwischen dem Verfolgen einer Melodie und dem Konzentrieren auf die Intonation ihrer Ausführung geben.<br />
<br />
<br />
==Auswirkungen==<br />
<br />
===Auswirkungen hinsichtlich Bild und Bild&shy;wahrneh&shy;mung===<br />
<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung ist als allgemeine Eigenheit von Wahrnehmung zwar nicht spezifisch für Bildwahrnehmung, dort aber auch – insbesondere bei darstellenden Bildern – sehr wichtig. Entsprechend hat «Rubins Vase» Einfluss in den Bereichen Kunst und Design gehabt. Figur/Grund-Effekte, die dem [[Kippbild]] von Gesicht und Vase analog sind, wurden etwa von M. C. Escher häufig an ganz zentraler Stelle verwendet.<ref>Vgl. dazu die Galerie der [http://www.mcescher.com/gallery/ M.C. Escher Foundation], insbesondere die Kollektionen «Symmetry» und «Transformation Prints».</ref> Kippbilder im allgemeinen sind allerdings nicht spezifisch auf Rubins Entdeckung zurückzuführen. Viele Designer von Logos setzen Zweideutigkeiten hinsichtlich der Figur/Grund-Differenzierung in ihren Arbeiten ein, um eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erreichen. In der Kunst spricht man übrigens statt von ‘Figur’ und ‘Grund’ oft auch von ‘positivem’ bzw. ‘negativem Raum’ (vgl. <bib id='Tritthart 2013a'></bib>).<ref>Die Gegenüberstellung von positivem und negativem Raum nimmt in der Architektur eine besondere, von der allgemeinen Figur/Grund-Differenzierung etwas abgesetzte Bedeutung an: Positiv ist der von Mauerwerk etc. eingenommene Platz, negativ der umbaute Raum. </ref><br />
:<br />
Was die Konstitution des [[Bildinhalt|Bildinhalts]] gerade von naturalistisch gestalteten Bildern, Photographien oder Projektionen angeht, sind die dabei wirksamen Figur/Grund-Unterscheidungen mehr oder weniger direkt mit der bei “direkter” visueller Wahrnehmung der dargestellten Szene vergleichbar. Umgekehrt werden beispielsweise Abschwächungen der Figur-bildenden Eigenschaften einer Umrißlinie in der asiatischen Grafik wie auch der klassischen Moderen im Westen dazu benutzt, die naturalistische Tiefenstaffelung und dreidimensionale Raumwirkung zu unterlaufen. Arnheim erläutert mit Blick auf Strichzeichnungen von Matisse (gegenüber Rembrandt): <br />
:<br />
:''Bei Matisse ist der Begrenzungscharakter der Umrißlinien schwach; sie haben weitgehend die Eigenschaft selbständiger Objektlinien. Die Körper wirken nicht kompakt und lassen leicht erkennen, daß sie nur Teile der leeren Papieroberfläche sind. Die Zeichnung liegt wie ein durchsichtiges Netzwerk aus Linien über dem Hintergrund. Die dreidimensionale Wirkung ist auf ein Mindestmaß reduziert. Dahinter steckt natürlich Absicht. Während die älteren Künstler eine feste Körperlichkeit und klar erkennbare Tiefe hervorheben wollten, ging es den modernen darum, Objekte zu entstofflichen und die Wirkung des Raumes herabzusetzen. Die modernen Zeichnungen sollen leichtgewichtige, offensichtlich von Menschenhand stammende Schöpfungen sein: Früchte der Einbildung und nicht Vortäuschungen einer stofflichen Wirklichkeit. Sie sollen die Fläche betonen, aus der sie entstanden sind.'' (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 220).<br />
:<br />
Generell ermöglichen spezifische [[Stil|Darstellungsstile]], insbesondere über Konturbetonung, Licht-Schatten-Setzung und ähnliche “Techniken”, bei Bildern, als intentional gestalteten Wahrnehmungsangeboten, bestimmte Figur/Grund-Bildungen beim Betrachter zu forcieren und so gezielt Interpretationen zu induzieren. Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der intendierten Kommunikation erhöht werden: Die bewußte Gestaltung der Figur/Grund-Differenzierung wirkt also als kommunikative Strategie. Einen Sonderfall der Bildherstellung stellt in dieser Hinsicht sicher die Erzeugung von multistabilen visuellen Wahrnehmungen dar. <br />
:<br />
Für die Bildwahrnehmung zentral ist zudem die Figur/Grund-Differenzierung zur Wahrnehmung des Bildes insgesamt, nämlich als ein Bildträger vor seinem Hintergrund. Mag die Wahrnehmung des darauf Abgebildeten noch so sehr auf die Figur/Grund-Differenzierungen aufbauen, die die abgebildete Szene selbst ermöglicht, etwa bei einem ''trompe l'œil''; das alleine würde noch kein Bild ausmachen sondern lediglich eine Wahrnehmungstäuschung beschreiben (⊳ [[Dezeptiver und immersiver Modus]] und [[Wahrnehmungsillusion]]). Mithilfe von [[Rahmung, Rahmen|Rahmen/Rahmung]] wird die Bildfläche von der umgebenden Wandfläche abgegrenzt und als Figur hervorgehoben. Entsprechend wird der Rahmen (als besonders betonte Kontur) auch zum Bildträger gerechnet, hinter dem sich die Wand ungesehen fortsetzt. Innerhalb des Bildträgers kann dann auf einer zweiten Stufe von Figur/Grund-Differenzierungen der Rahmen wiederum als Figur gesehen werden vor dem Hintergrund des Bildraumes (bei dreidimensional darstellenden Bildern)<ref>oder allgemeiner der eigentlichen Bildfläche</ref>, der zumeist – beispielsweise im Sinne von Albertis Fenster – als hinter dem Rahmen fortgeführt begriffen wird.<ref>Ausnahmen in reflexiver Verwendung sind mit Bildern gegeben, bei denen Teile des Inhalts auf den Rahmen oder gar über den (scheinbaren) Rahmen hinausgreifen, wie etwa bei Pere Borrell del Casos populärem Werk [https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Escaping_criticism-by_pere_borrel_del_caso.png «Flucht vor der Kritik»].</ref> Erst auf einer dritten Stufe können nun innerhalb des Bildraumes (bzw. der Bildfläche im engeren Sinn) die bildrelevanten Figur/Grund-Differenzierungen gebildet werden, die der Wahrnehmung des eigentlichen Bildinhaltes dienen. Der Rahmen liegt dabei ganz außerhalb des betrachteten Wahrnehmungsraumes, der im Wesentlichen als inhärent unbegrenzt empfunden wird. Bildwahrnehmung beruht also zumindest bei darstellenden Bildern mit ausgeprägtem Rahmen auf einer mindestens doppelten Kaskade von vertikalen Verschiebungen von Figur/Grund-Differenzierungen, durch die die konfligierenden Situierungen von sowohl Bildinhalt wie Wand als gleichzeitig hinter dem Rahmen befindlich konstituiert werden.<br />
:<br />
Auf die Rolle der Figur/Grund-Differenzierungen für das gestalterische Sehen und die reflexive Verwendung von Bildern wurde oben bereits hingewiesen.<br />
<br />
===Kommunikationstheoretische Assoziationen===<br />
<br />
Die Konzeption der Figur/Grund-Differenzierung ist nicht nur in Wahrnehmungstheorien relevant: Auch bei [[Interaktion und Kommunikation|Kommunikation]] und insbesondere dem Gebrauch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche_Zeichen|sprachlicher Zeichen]] läßt sich eine analoge Differenzierung konstatieren. So werden in der Linguistik diejenigen Teile einer Äußerung bzw. eines Satzes als »thematisch« charakterisiert, die dem Adressaten bereits bekannt sind (oder auch: ihm als bekannt gelten), während das für ihn Neue in den als »rhematisch« beurteilten Abschnitten zur Sprache kommt. Das Thema bildet den Hintergrund für die eigentlich wichtige Mitteilung des Rhemas, das ohne diese Verankerung im bereits (gemeinsam) Bekannten nicht verständlich wäre.<ref>Die Thema/Rhema-Aufteilung wurde insbesondere in der Nachfolge von V. Mathesius von der Prager Schule als grundlegende linguistische Differenzierung untersucht; vgl. <bib id='Mathesius 1911a'></bib>.</ref> Genau genommen verbirgt sich bei propositionalen Äußerungen sogar eine doppelte Figur/Grund-Aufteilung: Zum Einen die Differenzierung zwischen dem thematischen [[Kontext]] und dem fokussierten [[Proposition|propositionalen Gehalt]] der Äußerung; und zum Anderen innerhalb der Proposition die zwischen den [[Nomination|Nominationen]], die als bereits bekannter Hintergrund (und Teil des Kontexts) als Anker für die neue Information dienen, welche mit der [[Prädikation]] als Figur auftritt (und als solche noch nicht im gemeinsamen Diskurskontext vor der Äußerung enthalten sein sollte).<ref>Im sprachlichen Fall kann es daher insbesondere vorkommen, dass eine als rhematisch intendierte Information tatsächlich vom Rezipienten bereits gewußt wird und daher für ihn zum thematischen Teil der Äußerung zählt, während ein vom Produzenten als thematisch eingeschätzter Äußerungsteil dem Rezipienten noch nicht bekannt war und für ihn somit zum Rhema wird. Die damit eröffnete Dynamik der kommunikativen Figur/Grund-Differenzierung ist ein wesentliches Charakteristikum sprachlicher Zeichen und demonstriert, dass zumindest bei diesen prinzipiell jede semantische Betrachtung von pragmatischen Aspekten dominiert wird. </ref><br />
:<br />
Im Bereich der Nachrichtentechnik, also in den Ingenieurwissenschaften, spielt schließlich das Verhältnis von »Signal«&#8203; und »Rauschen«&#8203; (auch ‘Untergrund’) eine mit »Figur«&#8203; und »Grund«&#8203; vergleichbare Rolle. Im Unterschied zur üblichen Redeweise von der Figur ''vor'' dem Grund wird hierbei allerdings davon gesprochen, dass es das Signal ist, das vom Rauschen ''über''lagert wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Verwendung von ‘Signal’ und ‘Rauschen’ in dem Bereich Signalentdeckungstheorie der Wahrnehmungspsychologie; <bib id='Velden 1982a'></bib>. </ref><br />
<br />
=== Figur/Grund-Differenzierung und Aufmerksamkeit ===<br />
<br />
Offensichtich kann die Figur/Grund-Differenzierung von Aufmerksamkeit und Erwartung beeinflusst und in gewissen Grenzen gesteuert werden. Die die Figur vom Grund abhebenden Gestaltbildungsprozesse stellen selbst einen spontan wirksamen Aufmerksamkeitsmechanismus dar. Gegenüber Aufmerksamkeitsphänomenen im engeren Sinn tritt bei der Figur/Grund-Differenzierung allerdings ''kein'' Ausblenden des jeweiligen Hintergrundes auf: Wird etwa eine Aufgabe mit hoher Konzentration bearbeitet – oder auch ein Spiel ganz vertieft gespielt –, so wird die jeweilige Umgebung oft völlig “vergessen”, bleibt ganz ausgeblendet und subjektiv verschwunden. <br />
:<br />
Das Wechselspiel zwischen sich spontan bildender Figur-Aufmerksamkeit und erwartungsgesteuerter Konzentration auf bestimmte Reizkonstellationen wird besonders deutlich bei der oben erwähnten umgekehrten vertikalen Dynamik: Es ist schwierig, die gestalterische Sichtweise gegen die spontane dreidimensionale Gestaltbildung durchzusetzen, selbst wenn diese bistabil ist.<br />
:<br />
In der [[Bildbearbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]] wird eine analoge Unterscheidung zwischen sogenannten ''bottom up''-Prozessen und ''top down''-Prozessen gemacht: In ''bottom up''-Prozessen werden sensorische Elemente sozusagen ohne Aufmerksamkeitssteuerung nach Gestaltgesetzen selektiert und zusammengruppiert und zu komplexeren perzeptuellen Einheiten zusammengebunden; bei ''top down''-Verfahren werden die Gruppierungs- und Selektionsschritte von einer vorgegebenen Zielgestalt (auf der gewissermaßen die Aufmerksamkeit ruht) gelenkt. Das Ziel kann dabei durchaus auch ein 3D-Modell sein (zu 3D-Modell ⊳ [[Computergraphik]]) oder sogar einem sortalen Gegenstand entsprechen.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Bildbearbeitung, digitale]]<br />
* [[Bildinhalt]] <br />
* [[Computergraphik]]<br />
* [[Dezeptiver und immersiver Modus]]<br />
* [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Horizont]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Kippbild]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Phänomenologie]]<br />
* [[Prädikation]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Sortale Gegenstände und Individuation]]<br />
* [[Stil]]<br />
* [[Wahrnehmungsillusion]]<br />
* [[Wahrnehmungsmedien]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J.]]<br />
* [[Benutzer:Zsuzsanna Kondor|Kondor. Zsuzsanna]]<br />
<br />
{{GlosTab4}}<br />
''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Figur/Grund-Differenzierung&diff=26539Figur/Grund-Differenzierung2016-09-20T11:54:27Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Zusammenhang mit visueller Tiefenwahrnehmung */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildwahrnehmung]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildwahrnehmung]]<br />
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{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
<br />
Bei der Gegenüberstellung von »Figur« und »Grund« handelt es sich um ein ganz allgemeines Prinzip der Wahrnehmung, das vor allem anhand der Bildwahrnehmung erkannt und untersucht worden ist und für diese auch besondere Bedeutung hat: In jedem Fall von Wahrnehmung ist das Wahrnehmungsfeld notwendig gegliedert in einen als ‘Figur’ bezeichneten fokussierten Bereich, der als aus dem Hintergrund des restlichen Wahrnehmungsfeldes hervorgetreten wahrgenommen wird.<br />
Diese Gliederung unterscheidet Wahrnehmung von verwandten, aber strukturell einfacheren Begriffen der Einwirkung von Welt auf die Aktivitäten eines Organismus. Beim Reflexbegriff etwa ist noch keine Figur/Grund-Differenzierung des Reizes enthalten: Der einem Reflexbogen zugeordnete Reiz ist entweder vorhanden oder nicht, seine situationale Einbettung in den Kontext für den Reflex nicht von Bedeutung.<ref>Allenfalls Krankheit oder Ermüdung – also dem Aktivitätsträger selbst und nicht dessen Umwelt zugerechnete Eigenschaften – können den Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion verändern. Zur Reflextheorie vgl. <bib id='Gallistel 1980a'></bib>, insbesondere Kap. 1 (vgl. <bib id='Sherrington 1947a'></bib>). </ref> Erst bei den komplexerem Verhalten<ref>Vgl. auch [[Exkurs: Handlungen]]: Handlungen im weiten Sinn.</ref> zugeordneten Wahrnehmungen macht es Sinn, von einem aus dem gesamten “Merkfeld” herausgehobenen Bereich zu sprechen, dessen Wirkung zugleich auch von dem Rest des Merkfeldes abhängt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Figur die visuelle Gestalt eines gesehenen, teilweise verdeckten Gegenstandes ist, eine Stimme in einer polyphonen Musikkomposition, die Geruchskomponente eines Parfums oder der Geschmack eines bestimmten Gewürzes in einem Gericht: Stets existiert diese Figur nur vor einem (oder: eingebettet in einen) zugehörigen Grund.<br />
<br />
<br />
==Verankerung in der Gestalttheorie==<br />
<br />
Um die Fülle der Informationen, die auf ein Lebewesen von seiner Umgebung einströmen, zu organisieren und für sein Verhalten zu nutzen, müssen selektierende und gruppierende Faktoren zusammenwirken. Wichtige Faktoren, die speziell bei den ‘Wahrnehmung’ genannten Phänomenen eine Rolle spielen, wurden in der [[Gestalt]]theorie zusammengestellt. Wahrgenommen werden keine isolierten Elemente – einzelne Empfindungen (wie sie etwa dem Reizungszustand einer einzelnen Sehzelle entsprechen würden) – sondern Gesamtheiten, die prinzipiell etwas sind, was in verschiedene Umgebungen eingebettet auftreten kann: Solche Gesamtheiten erscheinen damit prinzipiell als Gestalten vor einem Hintergrund und fokussieren auf diese Weise die [[Aufmerksamkeit]] auf bestimmte immer wieder vorkommende Konfigurationen.<br />
:<br />
[[Datei:450px-Kanizsa triangle.svg.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 1: Kanizsa-Dreieck]]<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung liefert dabei den Rahmen für die gestaltpsychologischen Gruppierungsregeln: Gestaltgesetze, wie das der Nähe, der Geschlossenheit oder der Kontinuität, zielen darauf ab, Teile des Gesichtsfeldes als ''eine'' Figur vom Rest abzuheben. So wird etwa das grafisch gar nicht vorhandene “weiße Dreieck auf weißem Grund” in Abbildung 1 als eine “gute Gestalt” vor einem weitgehend gleichfarbigen Hintergrund gesehen. <br />
:<br />
Als allgemeines Wahrnehmungsphänomen ist die Figur/Grund-Differenzierung weder speziell auf visuelle Wahrnehmung beschränkt, noch gar auf das Wahrnehmen von Bildern. Allerdings wurde das Phänomen vor allem anhand von speziellen Bildwahrnehmungen entdeckt und untersucht. <br />
<br />
===Entdeckung durch Rubin===<br />
<br />
In die Wissenschaft eingeführt wurde die Figur/Grund-“Illusion” um 1915 durch den dänischen Psychologen Edgar John Rubin (1886–1951) insbesondere am Beispiel der so genannten «Rubinschen Vase» (vgl. Abb. 2). Diese Grafik, bei der die Wahrnehmung zweier einander gegenüberstehenden Gesichter in die Wahrnehmung einer dazwischen stehenden Vase umspringt, spielt in Rubins zweibändigem Werk «Synsoplevede Figurer» (deutsch (1921): «Visuell wahrgenommene Figuren») zum ersten Mal eine wichtige Rolle.<ref>Rubin führte eine Reihe ähnlicher Bilder ein (etwa das schwarz-weiße Malteserkreuz), aber am bekanntesten wurde die «Rubinsche Vase».</ref> Rubins Grafik ist ein Spezialfall der so genannten multistabilen Wahrnehmung.<ref>Man spricht von ‘multistabiler Wahrnehmung’, wenn es zu spontanen Wechseln zwischen mehreren wahrgenommenen Inhalten ohne Änderung der Reizsituation kommt, z.B. wenn wir uns visuell zweideutigen Darstellungen wie der «Rubinsche Vase» oder dem «Necker-Würfel» gegenübersehen. Nicht immer verändern sich dabei die Bereiche, die als Figur bzw. Grund empfunden werden.</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Rubin-1.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 2: Die Grafik «Rubinsche Vase»]]<br />
Der aus Kopenhagen stammende Rubin verbrachte einige Zeit in Göttingen, worauf sich u.a. eine [[Phänomenologie|phänomenologische]] Perspektive in seiner Auffassung von visueller Wahrnehmung zurückführen lässt. Offensichtlicher noch ist allerdings seine Nähe zur [[Gestalt|Gestaltpsychologie]], insofern nämlich die «Rubinsche Vase» einen weiteren Beleg für deren These lieferte, dass das visuell Wahrgenommene nicht mit dem Netzhautbild identisch ist. An der «Rubinschen Vase» lässt sich so das Prinzip der Emergenz deutlich machen, nach dem wir Gegenstände unserer Umgebung als Ganze und auf einmal wahrnehmen. Wahrnehmung sollte demnach als ein produktiver Prozess der Gegenstandskonstitution aufgefasst werden, der das in unserer Erfahrung Erfasste mit Inhalten zur Lage und Beschaffenheit der jeweiligen Gegenstände versorgt, die nicht schon in den reinen Sinnesdaten enthalten sind.<br />
<br />
===Was bedeutet «Figur und Grund»?===<br />
<br />
Anhand der «Rubinschen Vase» lässt sich untersuchen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich Figur und Grund in der Wahrnehmung bilden bzw. wie zwischen verschiedenen Figur/Grund-Differenzierungen hin- und hergesprungen wird. Rubin formulierte 1915 folgenden „fundamentalen Satz“: <br />
:<br />
:''Wenn zwei Felder aneinander grenzen und das eine als Figur und das andere als Grund erlebt wird, kann das unmittelbar anschaulich Erlebte als dadurch gekennzeichnet betrachtet werden, daß von der gemeinsamen Kontur der Felder ein formendes Wirken ausgeht, das sich nur bei dem einen oder in einem höheren Grade bei dem einen Feld als bei dem anderen geltend macht.'' (<bib id='Rubin 1921a'></bib>: S. 36f.) <br />
:<br />
Im Falle bistabiler Wahrnehmung manifestiert sich dieses „formende Wirken“ nach beiden Seiten in gleichem Grade: Die Zuweisung von Figur und Grund ist austauschbar und fluktuiert spontan: In Rubins berühmtem Beispiel sehen wir alternierend zwei Gesichter gegen einen weißen Hintergrund und eine Vase gegen einen schwarzen Hintergrund. Zu einem gegebenen Zeitpunkt nehmen wir dabei immer nur eine der beiden Möglichkeiten wahr. Da das Erregungsmuster der Netzhaut sich dabei nicht verändert hat, kann es nicht als Ursache für den spontanen Wechsel der Zuweisung herangezogen werden.<br />
:<br />
Wie Rubin festgestellt hat, tendieren wir dazu, eine kleinere, geschlossene Form als Figur gegen den Grund der größeren umgebenden Flächeanzusehen.<ref>Weitere Faktoren, die dazu beitragen, bevorzugt eine Seite einer (potentiellen) Konturlinie bzw. einen Bildbereich als Figur erscheinen zu lassen, diskutiert etwa Arnheim (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 219 ff). Vgl. auch [http://scholarpedia.org/article/Figure-ground_perception Scholarpedia: Figure-ground perception]</ref> Der Figur kommt eine ''Dingqualität'' zu, während der Grund als eher schwer zu fassen und zu kategorisieren erscheint. Die Figur sticht heraus, der Grund tritt dagegen zurück. Insbesondere wird die sie trennende Kontur selbst stets der Figur zugerechnet, nicht dem Grund. Neuere psychologische Experimente haben Rubins These hinsichtlich der Kontur empirisch bestätigt (<bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897).<ref><bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897: ''In (a), following a vase-to-faces transition, the standard image was replaced by an embossed-face version of the same stimulus, whereas in (b), subsequent to a faces-to-vase change, an embossed-vase version replaced the standard.'' (vgl. die zugehörige [[Media:Rubin-Embossed.png|Bilddatei]]).</ref><br />
<br />
===Zusammenhang mit visueller Tiefenwahrnehmung===<br />
<br />
[[Datei:vexiAegypterin_m.jpg|thumb|Abbildung 3: «Ägypterin» – Variante der «Rubinschen Vase» mit mehr als zwei Tiefenebenen ]]<br />
Dass die Konturlinie zur Figur gerechnet wird, ihre Grenze markiert, bedeutet auch, dass der Grund als ''hinter'' der Figur weitergehend wahrgenommen wird, obwohl er dort nicht direkt zu sehen ist. Die Konturlinie wirkt als Grenze nicht für ihn. Die in Abbildung 3 gezeigte Variante der Rubinschen Vase – bei der es sich in diesem Fall tatsächlich nicht um eine Vase sondern um einen Kerzenständer handelt – demonstriert diesen Aspekt augenfällig: Denn neben den beiden Figur-Zuordnungen der klassischen Fassung – zwei im Profil einander gegenüberliegende Gesichter bzw. ein Kerzenleuchter – tritt hier als dritte Variante auf: ''ein frontal dargestelltes Gesicht zu beiden Seiten des Kerzenständers, das teilweise hinter diesem verborgen bleibt'' (und selbst vor einem weiteren Hintergrund mit sechseckigem Muster liegt).<br />
:<br />
Arnheim sieht die Figur/Grund-Differenzierung als speziellen Fall des Erzeugens von Tiefenstaffelungen in der visuellen Wahrnehmung, nämlich einer mit genau zwei Ebenen (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 228 ff). Das Beispiel der «Ägypterin» (Abb. 3) macht zudem deutlich, dass der Figurbereich nicht notwendig als jeweils vorderste Darstellungsebene betrachtet wird: Bildet in dem Beispiel das Gesicht den als Figur wahrgenommenen Bildbereich, so steht der Kerzenleuchter zwar davor, ist aber nicht Teil der Figur. Dabei erklärt das Prinzip der ''guten'' (einfachen bzw. bekannten) Gestalt – hier eines frontal gesehenen Gesichts –, wieso die Figur/Grund-Differenzierung eine solche Tiefenstaffelung motiviert.<br />
:<br />
Allerdings ist die allgemeine ''Tiefen''-Staffelung im Gegensatz zur Figur/Grund-Differenzierung nicht ohne weiteres auf andere Sinnesmodalitäten übertragbar: Mag beim Gehörsinn noch eine nach Entfernung gestaffelte Verallgemeinerung der Figur/Grund-Differenzierung Sinn machen, scheinen sich die anderen Sinne eher dagegen zu sperren: als ''Lokalsinne'' liefern sie keine ''Übersicht''. Eine durch ''Verdeckungen'' bedingte Dynamik in der Figur/Grund-Differenzierung muss hier ganz anders gefasst werden. Handlungstheoretisch läßt sich im Übrigen eine Verbindung herstellen zwischen der spezifischen Art der Figur/Grund-Differenzierung in der visuellen Wahrnehmung und der Fähigkeit, den Schärfebereich der Linse im [[Auge]] zu verändern – eine Verhaltensoption, die in den anderen Fernsinnen nicht gegeben ist. Zusammen mit der entsprechenden Augenorientierung (nämlich mehr (näher) oder weniger (ferner) abweichend von der Parallelität der optischen Achsen der Augen), bildet dieser effektorische Anteil des visuellen Wahrnehmungsapparates die Basis für die Kopplung der Figur/Grund-Differenzierung mit der Tiefenwahrnehmung.<ref>Die Akkomodation der Linsen wird meist nicht direkt bewußt gesteuert und ist normalerweise mit der relativen Verdrehung der optischen Achsen beider Augen gegeneinander gekoppelt, so dass die Linsen jeweils ungefähr auf die Distanz eingestellt werden, in der sich die optischen Achsen schneiden.</ref><br />
<br />
==Zwei Arten der Dynamik von Figur/&#8203;Grund-&#8203;Diffe&shy;renzie&shy;rungen==<br />
<br />
Figur/Grund-Differenzierungen sind offensichtlich kein statisches Phänomen: Die die Wahrnehmung konstituierende Einteilung des Wahrgenommenen in Figur und Grund verändert sich mit der Zeit, selbst wenn keine Veränderung der äußeren Welt (der zugrunde liegenden Reizsituation) stattfindet. Diese Dynamik kann zum Einen einfach der zeitlichen Abfolge entsprechen, in der verschiedene Bereiche des jeweiligen Merkfeldes in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken. Es kann aber auch um eine ganz andere Art der Verschiebung von Grund und Figur gehen, bei der etwas, was zunächst (ganzheitliche) Figur war, nun selbst (verschiedenen) Figur/Grund-Differenzierungen unterworfen werden kann. Dynamiken der ersten Art kann man vereinfachend als ‘horizontal’ bezeichnen, zumal sich der [[Horizont|Betrachtungshorizont]] dabei nicht verändert, die Wahrnehmung also, metaphorisch gesprochen, “im selben Horizont bleibt”. Bei der zweiten Sorte verändert sich hingegen gerade der Wahrnehmungshorizont, wie bei einer vertikalen Bewegung oder einem Zoomen; daher die metaphorische Kurzbezeichnung ‘vertikale Dynamik’. <br />
<br />
===Die “horizontale” Dynamik===<br />
<br />
[[Datei:Gegenstände.jpg|thumb|Abbildung 4: Bild «Gegenstände» von [http://www.antje-bohnstedt.de/illustrationen/gegenstaende/farbe/ Antje Bohnstedt] ]]<br />
Bistabile Wahrnehmungen wie bei der «Rubinschen Vase», bei denen die Zuweisung von Figur und Grund sich immer wieder spontan umkehrt, stellen tatsächlich nur einen Speziallfall einer allgemeinen Variabilität der Figur/Grund-Bildung dar. Die Veränderung der konkreten Figur/Grund-Differenzierung kann dabei – muß aber nicht, wie die spontanen Wechsel bei multistabilen Wahrnehmungen deutlich werden lassen – durch Aufmerksamkeitsverschiebungen vom Wahrnehmenden beeinflusst werden. Beispielweise wird auch ein Betrachter des Bildes in Abbildung 4 – abhängig von seinen Augenbewegungen – zwischen verschiedenen Figur/Grund-Zuordnungen hin- und herspringen.<ref>Die Beobachtungen, die sich hierbei an der verhältnismäßig zufälligen Zusammenstellung von Gegenständen in einem Bild wie Abbildung 4 machen lassen, sind ohne weiteres auch auf kohärenter strukturtierte Bilder (oder allgemeiner Szenen) von Gegenständen zu übertragen, wie beispielweise Stilleben.</ref> Verschiedene Bildbereiche werden jeweils als Figur vor dem restlichen Grund verwendet: Diese Wechsel sind bei [[Sortale Gegenstände und Individuation|sortalen Gegenständen]] besonders deutlich,<ref>Dazu passt, dass sortale Gegenstände zwar als ihre jeweils aktuellen Umgebungen (“Hintergründe”) übersteigende (nämlich persistente) Phänomene begriffen werden, gleichwohl aber auch nie außerhalb eines [[Kontext]]es erscheinen können. </ref> aber keineswegs auf diese beschränkt. Auch wenn beispielsweise die Pinselstriche eines Gemäldes betrachtet werden und die Aufmerksamkeit von einem besonders ausgeführten Pinselstrich zu einem benachbarten Strich wandert, geht das stets mit einer entsprechenden neuen Figur/Grund-Differenzierung des visuellen Wahrnehmungsfeldes einher: Was zuerst Teil des Grundes war wird zur neuen Figur, und die alte Figur zum Teil des neuen Grundes. <br />
:<br />
Ganz analog ist ein Umschalten der Figur/Grund-Unterscheidung beim Hören die perzeptuelle Basis des Aufmerksamkeitswechsel bei einer polyphonen Komposition auf eine andere Stimme, oder auch auf eine andere Instrumentalgruppe im Gesamtklang eines ausgehaltenen Orchesterakkords; beim Riechen das Hervortreten einer anderen Geruchskomponente eines Parfums, oder beim Schmecken das Bemerken einer weiteren Zutat in einer Sauce.<br />
:<br />
<!-- »Figur« (bzw. auch »Gestalt«) und Objektbegriff... "aktuelle Gestalt" und persistenter Gegenstand --><br />
<br />
===Die “vertikale” Dynamik===<br />
<br />
Betrachten Sie in Abbildung 4 den Federball. Nun betrachten Sie den weißen Fleck, der sich in dem Bildbereich befindet, der die rote Kappe des Federballs darstellt. In beiden Fällen wird Ihre Wahrnehmung von einer entsprechenden Figur/Grund-Differenzierung begleitet. Allerdings wird nun das, was zunächst Figur war, selbst in Figur und Grund zerlegt. Obwohl der Übergang zwischen beiden zunächst wie ein Fall von “horizontaler” Figur/Grund-Dynamik aussieht, handelt es sich um ein wesentlich komplexeres Phänomen, das mit der Frage zusammenhängt, was es denn eigentlich ist, was sich (“horizontal”) in verschiedene Figur/Grund-Paarungen aufspalten lässt. <br />
:<br />
Insbesondere konstruktivistische Wahrnehmungstheorien unterscheiden zwischen dem, was schon in Figur und Grund getrennt ist (“so sehen wir die Welt”), und das, was sich – durch einen Betrachter – in (prinzipiell diverse) Figur/Grund-Differenzierungen aufgliedern lässt, aber selbst noch nicht so aufgespalten ist (“die Welt, die gesehen werden kann”, “das, was (mithilfe von darauf vorgenommenen Figur/Grund-Differenzierungen) wahrgenommen wird”)). Neben die eigentliche Figur/Grund-Gliederung tritt damit ein Drittes, das man, einem Gedanken Heiders folgend, das ‘Medium’ der Figur/Grund-Differenzierung nennen kann.<ref>Vgl. Heider «Ding und Medium». Auch einer der Medienbegriffe der Systemtheorie Luhmanns ist an diese Aufteilung angelehen. Dazu auch ⊳ [[Wahrnehmungsmedien]]. </ref> Charakteristisch für diese “vertikale” Dynamik der Figur/Grund-Differenzierung ist, dass das ''Medium'' für eine Figur/Grund-Unterscheidung selbst das Resultat einer anderen (“tieferen”) Figur/Grund-Differenzierung darstellt. Mit ihr ist insbesondere das Phänomen der Emergenz der dritten Dimension verbunden.<br />
<br />
[[Datei:11.png|thumb|Abbildung 5: Bistabile Grafik «Necker&shy;würfel»: 3D- versus 2D-&#8203;Wahrneh&shy;mung ]]<br />
Am Beispiel des sogenannten Neckerwürfel kann man sich das klar machen: Der Neckerwürfel gilt als ein typisches Beispiel einer bistabile 3D-Wahrnehmung: Bei der durch die schwarzen Linien bestimmten Figur eines Würfels vor neutralem Hintergrund kann entweder die linke obere oder die rechte untere der beiden im Inneren der Figur zu sehenden Ecken vorne liegen. Beide Wahrnehmungsalternativen schließen einander aus und springen in der Regel spontan ineinander um. Allerdings gibt es eine weitere Sichtweise des Bildes bei 2D-Interpretation – also als flache schwarze Linien auf weißer Fläche, die eine Flächenkachelung bilden. In diesem Fall bildet nicht der Würfel die Figur, sondern eine der folgenden Flächen: in der Mitte ein kleines Quadrat, umgeben von zwei einander gegenüberliegenden kleinen Dreiecken (links unten und rechts oben) und vier Trapezen. Man stelle sich die Grafik etwa als Teil eines mit weißen Kacheln und schwarzen Fugen gestalteten Fußbodens vor. Offensichtlich entspricht diese Wahrnehmung der Wahrnehmung des Bildträgers, aus dem die dritte Dimension, in der der Würfel existiert, abgeleitet wird. <br />
:<br />
[[Datei:Dalmatiner.jpg|thumb|Abbildung 6: Verzögerte Figur/Grund-Differenzierung der zweiten Ebene bei erstem Sehen]]<br />
Auch der – für Emergenz-Phänomene charakteristische – Aha-Effekt, der bei der ersten Begegnung mit der Pigmentverteilung in Abbildung 6 in der Regel erst nach einiger Zeit auftritt, entspricht einem Wechsel der Figur/Grund-Zuordnung im vertikalen Sinn: Während zunächst die schwarzen Flecken als mehr oder weniger zufällig auf der Fläche verteilt erscheinen und einzelne davon spontan als Figur vor der umgebenden Fläche hervortreten, organisiert sich die Wahrnehmung im günstigen Fall nach einiger Zeit so, dass insbesondere ein schnüffelnder Dalmatiner als Figur vor einer Straßenszene in der Mitte des Bildes gesehen wird. <br />
:<br />
Wie beim Necker-Würfel ist es auch in diesem Fall schwierig, nach dem Erscheinen der dreidimensionalen szenischen Sichtweise auf die zugrundeliegende Flächensichtweise zurückzukommen. Der Abstieg zu den [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Elementen der Bildsyntax]] erfolgt selten spontan. Genau diese Umkehrung der vertikalen Figur/Grund-Verschiebungen spielt allerdings beim sogenannten Gestalterischen Sehen eine wichtige Rolle, geht es dabei doch darum, vorherrschende Figur/Grund-Differenzierungen aufzuheben, und beispielsweise statt des Neckerwürfels die zweidimensionale Flächenaufteilung des Bildes zu sehen. Auch die [[Bild in reflexiver Verwendung|reflexive Verwendung]] von Bildern (bzw. Szenen) verweist auf die vertikale Dimension, insofern hier die Bildwahrnehmungen als Beispiele für bestimmte Figur/Grund-Differenzierungen oder deren Fehlen verwendet werden: Das Bild der Rubinschen Vase dient in der Regel nicht dazu, visuell zwei Gesichter (oder eine Vase) zu präsentieren, sondern das Phänomen der Bistabilität der Figur/Grund-Differenzierung und damit eine bestimmte Art von Figur/Grund-Dynamiken selbst als Figur zu demonstrieren. <br />
:<br />
Auch die vertikalen Verschiebungen der Figur/Grund-Differenzierungen sind nicht auf die visuellen Sinne beschränkt. Ein auditorisches Beispiel mag der Unterschied zwischen dem Verfolgen einer Melodie und dem Konzentrieren auf die Intonation ihrer Ausführung geben.<br />
<br />
<br />
==Auswirkungen==<br />
<br />
===Auswirkungen hinsichtlich Bild und Bild&shy;wahrneh&shy;mung===<br />
<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung ist als allgemeine Eigenheit von Wahrnehmung zwar nicht spezifisch für Bildwahrnehmung, dort aber auch – insbesondere bei darstellenden Bildern – sehr wichtig. Entsprechend hat «Rubins Vase» Einfluss in den Bereichen Kunst und Design gehabt. Figur/Grund-Effekte, die dem [[Kippbild]] von Gesicht und Vase analog sind, wurden etwa von M. C. Escher häufig an ganz zentraler Stelle verwendet.<ref>Vgl. dazu die Galerie der [http://www.mcescher.com/gallery/ M.C. Escher Foundation], insbesondere die Kollektionen «Symmetry» und «Transformation Prints».</ref> Kippbilder im allgemeinen sind allerdings nicht spezifisch auf Rubins Entdeckung zurückzuführen. Viele Designer von Logos setzen Zweideutigkeiten hinsichtlich der Figur/Grund-Differenzierung in ihren Arbeiten ein, um eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erreichen. In der Kunst spricht man übrigens statt von ‘Figur’ und ‘Grund’ oft auch von ‘positivem’ bzw. ‘negativem Raum’ (vgl. <bib id='Tritthart 2013a'></bib>).<ref>Die Gegenüberstellung von positivem und negativem Raum nimmt in der Architektur eine besondere, von der allgemeinen Figur/Grund-Differenzierung etwas abgesetzte Bedeutung an: Positiv ist der von Mauerwerk etc. eingenommene Platz, negativ der umbaute Raum. </ref><br />
:<br />
Was die Konstitution des [[Bildinhalt|Bildinhalts]] gerade von naturalistisch gestalteten Bildern, Photographien oder Projektionen angeht, sind die dabei wirksamen Figur/Grund-Unterscheidungen mehr oder weniger direkt mit der bei “direkter” visueller Wahrnehmung der dargestellten Szene vergleichbar. Umgekehrt werden beispielsweise Abschwächungen der Figur-bildenden Eigenschaften einer Umrißlinie in der asiatischen Grafik wie auch der klassischen Moderen im Westen dazu benutzt, die naturalistische Tiefenstaffelung und dreidimensionale Raumwirkung zu unterlaufen. Arnheim erläutert mit Blick auf Strichzeichnungen von Matisse (gegenüber Rembrandt): <br />
:<br />
:''Bei Matisse ist der Begrenzungscharakter der Umrißlinien schwach; sie haben weitgehend die Eigenschaft selbständiger Objektlinien. Die Körper wirken nicht kompakt und lassen leicht erkennen, daß sie nur Teile der leeren Papieroberfläche sind. Die Zeichnung liegt wie ein durchsichtiges Netzwerk aus Linien über dem Hintergrund. Die dreidimensionale Wirkung ist auf ein Mindestmaß reduziert. Dahinter steckt natürlich Absicht. Während die älteren Künstler eine feste Körperlichkeit und klar erkennbare Tiefe hervorheben wollten, ging es den modernen darum, Objekte zu entstofflichen und die Wirkung des Raumes herabzusetzen. Die modernen Zeichnungen sollen leichtgewichtige, offensichtlich von Menschenhand stammende Schöpfungen sein: Früchte der Einbildung und nicht Vortäuschungen einer stofflichen Wirklichkeit. Sie sollen die Fläche betonen, aus der sie entstanden sind.'' (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 220).<br />
:<br />
Generell ermöglichen spezifische [[Stil|Darstellungsstile]], insbesondere über Konturbetonung, Licht-Schatten-Setzung und ähnliche “Techniken”, bei Bildern, als intentional gestalteten Wahrnehmungsangeboten, bestimmte Figur/Grund-Bildungen beim Betrachter zu forcieren und so gezielt Interpretationen zu induzieren. Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der intendierten Kommunikation erhöht werden: Die bewußte Gestaltung der Figur/Grund-Differenzierung wirkt also als kommunikative Strategie. Einen Sonderfall der Bildherstellung stellt in dieser Hinsicht sicher die Erzeugung von multistabilen visuellen Wahrnehmungen dar. <br />
:<br />
Für die Bildwahrnehmung zentral ist zudem die Figur/Grund-Differenzierung zur Wahrnehmung des Bildes insgesamt, nämlich als ein Bildträger vor seinem Hintergrund. Mag die Wahrnehmung des darauf Abgebildeten noch so sehr auf die Figur/Grund-Differenzierungen aufbauen, die die abgebildete Szene selbst ermöglicht, etwa bei einem ''trompe l'œil''; das alleine würde noch kein Bild ausmachen sondern lediglich eine Wahrnehmungstäuschung beschreiben (⊳ [[Dezeptiver und immersiver Modus]] und [[Wahrnehmungsillusion]]). Mithilfe von [[Rahmung, Rahmen|Rahmen/Rahmung]] wird die Bildfläche von der umgebenden Wandfläche abgegrenzt und als Figur hervorgehoben. Entsprechend wird der Rahmen (als besonders betonte Kontur) auch zum Bildträger gerechnet, hinter dem sich die Wand ungesehen fortsetzt. Innerhalb des Bildträgers kann dann auf einer zweiten Stufe von Figur/Grund-Differenzierungen der Rahmen wiederum als Figur gesehen werden vor dem Hintergrund des Bildraumes (bei dreidimensional darstellenden Bildern)<ref>oder allgemeiner der eigentlichen Bildfläche</ref>, der zumeist – beispielsweise im Sinne von Albertis Fenster – als hinter dem Rahmen fortgeführt begriffen wird.<ref>Ausnahmen in reflexiver Verwendung sind mit Bildern gegeben, bei denen Teile des Inhalts auf den Rahmen oder gar über den (scheinbaren) Rahmen hinausgreifen, wie etwa bei Pere Borrell del Casos populärem Werk [https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Escaping_criticism-by_pere_borrel_del_caso.png «Flucht vor der Kritik»].</ref> Erst auf einer dritten Stufe können nun innerhalb des Bildraumes (bzw. der Bildfläche im engeren Sinn) die bildrelevanten Figur/Grund-Differenzierungen gebildet werden, die der Wahrnehmung des eigentlichen Bildinhaltes dienen. Der Rahmen liegt dabei ganz außerhalb des betrachteten Wahrnehmungsraumes, der im Wesentlichen als inhärent unbegrenzt empfunden wird. Bildwahrnehmung beruht also zumindest bei darstellenden Bildern mit ausgeprägtem Rahmen auf einer mindestens doppelten Kaskade von vertikalen Verschiebungen von Figur/Grund-Differenzierungen, durch die die konfligierenden Situierungen von sowohl Bildinhalt wie Wand als gleichzeitig hinter dem Rahmen befindlich konstituiert werden.<br />
:<br />
Auf die Rolle der Figur/Grund-Differenzierungen für das gestalterische Sehen und die reflexive Verwendung von Bildern wurde oben bereits hingewiesen.<br />
<br />
===Kommunikationstheoretische Assoziationen===<br />
<br />
Die Konzeption der Figur/Grund-Differenzierung ist nicht nur in Wahrnehmungstheorien relevant: Auch bei [[Interaktion und Kommunikation|Kommunikation]] und insbesondere dem Gebrauch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche_Zeichen|sprachlicher Zeichen]] läßt sich eine analoge Differenzierung konstatieren. So werden in der Linguistik diejenigen Teile einer Äußerung bzw. eines Satzes als »thematisch« charakterisiert, die dem Adressaten bereits bekannt sind (oder auch: ihm als bekannt gelten), während das für ihn Neue in den als »rhematisch« beurteilten Abschnitten zur Sprache kommt. Das Thema bildet den Hintergrund für die eigentlich wichtige Mitteilung des Rhemas, das ohne diese Verankerung im bereits (gemeinsam) Bekannten nicht verständlich wäre.<ref>Die Thema/Rhema-Aufteilung wurde insbesondere in der Nachfolge von V. Mathesius von der Prager Schule als grundlegende linguistische Differenzierung untersucht; vgl. <bib id='Mathesius 1911a'></bib>.</ref> Genau genommen verbirgt sich bei propositionalen Äußerungen sogar eine doppelte Figur/Grund-Aufteilung: Zum Einen die Differenzierung zwischen dem thematischen [[Kontext]] und dem fokussierten [[Proposition|propositionalen Gehalt]] der Äußerung; und zum Anderen innerhalb der Proposition die zwischen den [[Nomination|Nominationen]], die als bereits bekannter Hintergrund (und Teil des Kontexts) als Anker für die neue Information dienen, welche mit der [[Prädikation]] als Figur auftritt (und als solche noch nicht im gemeinsamen Diskurskontext vor der Äußerung enthalten sein sollte).<ref>Im sprachlichen Fall kann es daher insbesondere vorkommen, dass eine als rhematisch intendierte Information tatsächlich vom Rezipienten bereits gewußt wird und daher für ihn zum thematischen Teil der Äußerung zählt, während ein vom Produzenten als thematisch eingeschätzter Äußerungsteil dem Rezipienten noch nicht bekannt war und für ihn somit zum Rhema wird. Die damit eröffnete Dynamik der kommunikativen Figur/Grund-Differenzierung ist ein wesentliches Charakteristikum sprachlicher Zeichen und demonstriert, dass zumindest bei diesen prinzipiell jede semantische Betrachtung von pragmatischen Aspekten dominiert wird. </ref><br />
:<br />
Im Bereich der Nachrichtentechnik, also in den Ingenieurwissenschaften, spielt schließlich das Verhältnis von »Signal«&#8203; und »Rauschen«&#8203; (auch ‘Untergrund’) eine mit »Figur«&#8203; und »Grund«&#8203; vergleichbare Rolle. Im Unterschied zur üblichen Redeweise von der Figur ''vor'' dem Grund wird hierbei allerdings davon gesprochen, dass es das Signal ist, das vom Rauschen ''über''lagert wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Verwendung von ‘Signal’ und ‘Rauschen’ in dem Bereich Signalentdeckungstheorie der Wahrnehmungspsychologie; <bib id='Velden 1982a'></bib>. </ref><br />
<br />
=== Figur/Grund-Differenzierung und Aufmerksamkeit ===<br />
<br />
Offensichtich kann die Figur/Grund-Differenzierung von Aufmerksamkeit und Erwartung beeinflusst und in gewissen Grenzen gesteuert werden. Die die Figur vom Grund abhebenden Gestaltbildungsprozesse stellen selbst einen spontan wirksamen Aufmerksamkeitsmechanismus dar. Gegenüber Aufmerksamkeitsphänomenen im engeren Sinn tritt bei der Figur/Grund-Differenzierung allerdings ''kein'' Ausblenden des jeweiligen Hintergrundes auf: Wird etwa eine Aufgabe mit hoher Konzentration bearbeitet – oder auch ein Spiel ganz vertieft gespielt –, so wird die jeweilige Umgebung oft völlig “vergessen”, bleibt ganz ausgeblendet und subjektiv verschwunden. <br />
:<br />
Das Wechselspiel zwischen sich spontan bildender Figur-Aufmerksamkeit und erwartungsgesteuerter Konzentration auf bestimmte Reizkonstellationen wird besonders deutlich bei der oben erwähnten umgekehrten vertikalen Dynamik: Es ist schwierig, die gestalterische Sichtweise gegen die spontane dreidimensionale Gestaltbildung durchzusetzen, selbst wenn diese bistabil ist.<br />
:<br />
In der [[Bildbearbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]] wird eine analoge Unterscheidung zwischen sogenannten ''bottom up''-Prozessen und ''top down''-Prozessen gemacht: In ''bottom up''-Prozessen werden sensorische Elemente sozusagen ohne Aufmerksamkeitssteuerung nach Gestaltgesetzen selektiert und zusammengruppiert und zu komplexeren perzeptuellen Einheiten zusammengebunden; bei ''top down''-Verfahren werden die Gruppierungs- und Selektionsschritte von einer vorgegebenen Zielgestalt (auf der gewissermaßen die Aufmerksamkeit ruht) gelenkt. Das Ziel kann dabei durchaus auch ein 3D-Modell sein (zu 3D-Modell ⊳ [[Computergraphik]]) oder sogar einem sortalen Gegenstand entsprechen.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Bildbearbeitung, digitale]]<br />
* [[Bildinhalt]] <br />
* [[Computergraphik]]<br />
* [[Dezeptiver und immersiver Modus]]<br />
* [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Horizont]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Kippbild]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Phänomenologie]]<br />
* [[Prädikation]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Sortale Gegenstände und Individuation]]<br />
* [[Stil]]<br />
* [[Wahrnehmungsillusion]]<br />
* [[Wahrnehmungsmedien]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J.]]<br />
* [[Benutzer:Zsuzsanna Kondor|Kondor. Zsuzsanna]]<br />
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{{GlosTab4}}<br />
''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Figur/Grund-Differenzierung&diff=26538Figur/Grund-Differenzierung2016-09-20T11:20:42Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Was bedeutet «Figur und Grund»? */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildwahrnehmung]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildwahrnehmung]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
<br />
Bei der Gegenüberstellung von »Figur« und »Grund« handelt es sich um ein ganz allgemeines Prinzip der Wahrnehmung, das vor allem anhand der Bildwahrnehmung erkannt und untersucht worden ist und für diese auch besondere Bedeutung hat: In jedem Fall von Wahrnehmung ist das Wahrnehmungsfeld notwendig gegliedert in einen als ‘Figur’ bezeichneten fokussierten Bereich, der als aus dem Hintergrund des restlichen Wahrnehmungsfeldes hervorgetreten wahrgenommen wird.<br />
Diese Gliederung unterscheidet Wahrnehmung von verwandten, aber strukturell einfacheren Begriffen der Einwirkung von Welt auf die Aktivitäten eines Organismus. Beim Reflexbegriff etwa ist noch keine Figur/Grund-Differenzierung des Reizes enthalten: Der einem Reflexbogen zugeordnete Reiz ist entweder vorhanden oder nicht, seine situationale Einbettung in den Kontext für den Reflex nicht von Bedeutung.<ref>Allenfalls Krankheit oder Ermüdung – also dem Aktivitätsträger selbst und nicht dessen Umwelt zugerechnete Eigenschaften – können den Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion verändern. Zur Reflextheorie vgl. <bib id='Gallistel 1980a'></bib>, insbesondere Kap. 1 (vgl. <bib id='Sherrington 1947a'></bib>). </ref> Erst bei den komplexerem Verhalten<ref>Vgl. auch [[Exkurs: Handlungen]]: Handlungen im weiten Sinn.</ref> zugeordneten Wahrnehmungen macht es Sinn, von einem aus dem gesamten “Merkfeld” herausgehobenen Bereich zu sprechen, dessen Wirkung zugleich auch von dem Rest des Merkfeldes abhängt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Figur die visuelle Gestalt eines gesehenen, teilweise verdeckten Gegenstandes ist, eine Stimme in einer polyphonen Musikkomposition, die Geruchskomponente eines Parfums oder der Geschmack eines bestimmten Gewürzes in einem Gericht: Stets existiert diese Figur nur vor einem (oder: eingebettet in einen) zugehörigen Grund.<br />
<br />
<br />
==Verankerung in der Gestalttheorie==<br />
<br />
Um die Fülle der Informationen, die auf ein Lebewesen von seiner Umgebung einströmen, zu organisieren und für sein Verhalten zu nutzen, müssen selektierende und gruppierende Faktoren zusammenwirken. Wichtige Faktoren, die speziell bei den ‘Wahrnehmung’ genannten Phänomenen eine Rolle spielen, wurden in der [[Gestalt]]theorie zusammengestellt. Wahrgenommen werden keine isolierten Elemente – einzelne Empfindungen (wie sie etwa dem Reizungszustand einer einzelnen Sehzelle entsprechen würden) – sondern Gesamtheiten, die prinzipiell etwas sind, was in verschiedene Umgebungen eingebettet auftreten kann: Solche Gesamtheiten erscheinen damit prinzipiell als Gestalten vor einem Hintergrund und fokussieren auf diese Weise die [[Aufmerksamkeit]] auf bestimmte immer wieder vorkommende Konfigurationen.<br />
:<br />
[[Datei:450px-Kanizsa triangle.svg.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 1: Kanizsa-Dreieck]]<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung liefert dabei den Rahmen für die gestaltpsychologischen Gruppierungsregeln: Gestaltgesetze, wie das der Nähe, der Geschlossenheit oder der Kontinuität, zielen darauf ab, Teile des Gesichtsfeldes als ''eine'' Figur vom Rest abzuheben. So wird etwa das grafisch gar nicht vorhandene “weiße Dreieck auf weißem Grund” in Abbildung 1 als eine “gute Gestalt” vor einem weitgehend gleichfarbigen Hintergrund gesehen. <br />
:<br />
Als allgemeines Wahrnehmungsphänomen ist die Figur/Grund-Differenzierung weder speziell auf visuelle Wahrnehmung beschränkt, noch gar auf das Wahrnehmen von Bildern. Allerdings wurde das Phänomen vor allem anhand von speziellen Bildwahrnehmungen entdeckt und untersucht. <br />
<br />
===Entdeckung durch Rubin===<br />
<br />
In die Wissenschaft eingeführt wurde die Figur/Grund-“Illusion” um 1915 durch den dänischen Psychologen Edgar John Rubin (1886–1951) insbesondere am Beispiel der so genannten «Rubinschen Vase» (vgl. Abb. 2). Diese Grafik, bei der die Wahrnehmung zweier einander gegenüberstehenden Gesichter in die Wahrnehmung einer dazwischen stehenden Vase umspringt, spielt in Rubins zweibändigem Werk «Synsoplevede Figurer» (deutsch (1921): «Visuell wahrgenommene Figuren») zum ersten Mal eine wichtige Rolle.<ref>Rubin führte eine Reihe ähnlicher Bilder ein (etwa das schwarz-weiße Malteserkreuz), aber am bekanntesten wurde die «Rubinsche Vase».</ref> Rubins Grafik ist ein Spezialfall der so genannten multistabilen Wahrnehmung.<ref>Man spricht von ‘multistabiler Wahrnehmung’, wenn es zu spontanen Wechseln zwischen mehreren wahrgenommenen Inhalten ohne Änderung der Reizsituation kommt, z.B. wenn wir uns visuell zweideutigen Darstellungen wie der «Rubinsche Vase» oder dem «Necker-Würfel» gegenübersehen. Nicht immer verändern sich dabei die Bereiche, die als Figur bzw. Grund empfunden werden.</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Rubin-1.png|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 2: Die Grafik «Rubinsche Vase»]]<br />
Der aus Kopenhagen stammende Rubin verbrachte einige Zeit in Göttingen, worauf sich u.a. eine [[Phänomenologie|phänomenologische]] Perspektive in seiner Auffassung von visueller Wahrnehmung zurückführen lässt. Offensichtlicher noch ist allerdings seine Nähe zur [[Gestalt|Gestaltpsychologie]], insofern nämlich die «Rubinsche Vase» einen weiteren Beleg für deren These lieferte, dass das visuell Wahrgenommene nicht mit dem Netzhautbild identisch ist. An der «Rubinschen Vase» lässt sich so das Prinzip der Emergenz deutlich machen, nach dem wir Gegenstände unserer Umgebung als Ganze und auf einmal wahrnehmen. Wahrnehmung sollte demnach als ein produktiver Prozess der Gegenstandskonstitution aufgefasst werden, der das in unserer Erfahrung Erfasste mit Inhalten zur Lage und Beschaffenheit der jeweiligen Gegenstände versorgt, die nicht schon in den reinen Sinnesdaten enthalten sind.<br />
<br />
===Was bedeutet «Figur und Grund»?===<br />
<br />
Anhand der «Rubinschen Vase» lässt sich untersuchen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich Figur und Grund in der Wahrnehmung bilden bzw. wie zwischen verschiedenen Figur/Grund-Differenzierungen hin- und hergesprungen wird. Rubin formulierte 1915 folgenden „fundamentalen Satz“: <br />
:<br />
:''Wenn zwei Felder aneinander grenzen und das eine als Figur und das andere als Grund erlebt wird, kann das unmittelbar anschaulich Erlebte als dadurch gekennzeichnet betrachtet werden, daß von der gemeinsamen Kontur der Felder ein formendes Wirken ausgeht, das sich nur bei dem einen oder in einem höheren Grade bei dem einen Feld als bei dem anderen geltend macht.'' (<bib id='Rubin 1921a'></bib>: S. 36f.) <br />
:<br />
Im Falle bistabiler Wahrnehmung manifestiert sich dieses „formende Wirken“ nach beiden Seiten in gleichem Grade: Die Zuweisung von Figur und Grund ist austauschbar und fluktuiert spontan: In Rubins berühmtem Beispiel sehen wir alternierend zwei Gesichter gegen einen weißen Hintergrund und eine Vase gegen einen schwarzen Hintergrund. Zu einem gegebenen Zeitpunkt nehmen wir dabei immer nur eine der beiden Möglichkeiten wahr. Da das Erregungsmuster der Netzhaut sich dabei nicht verändert hat, kann es nicht als Ursache für den spontanen Wechsel der Zuweisung herangezogen werden.<br />
:<br />
Wie Rubin festgestellt hat, tendieren wir dazu, eine kleinere, geschlossene Form als Figur gegen den Grund der größeren umgebenden Flächeanzusehen.<ref>Weitere Faktoren, die dazu beitragen, bevorzugt eine Seite einer (potentiellen) Konturlinie bzw. einen Bildbereich als Figur erscheinen zu lassen, diskutiert etwa Arnheim (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 219 ff). Vgl. auch [http://scholarpedia.org/article/Figure-ground_perception Scholarpedia: Figure-ground perception]</ref> Der Figur kommt eine ''Dingqualität'' zu, während der Grund als eher schwer zu fassen und zu kategorisieren erscheint. Die Figur sticht heraus, der Grund tritt dagegen zurück. Insbesondere wird die sie trennende Kontur selbst stets der Figur zugerechnet, nicht dem Grund. Neuere psychologische Experimente haben Rubins These hinsichtlich der Kontur empirisch bestätigt (<bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897).<ref><bib id='Andrews et.al. 2002a'></bib>: S. 897: ''In (a), following a vase-to-faces transition, the standard image was replaced by an embossed-face version of the same stimulus, whereas in (b), subsequent to a faces-to-vase change, an embossed-vase version replaced the standard.'' (vgl. die zugehörige [[Media:Rubin-Embossed.png|Bilddatei]]).</ref><br />
<br />
===Zusammenhang mit visueller Tiefenwahrnehmung===<br />
<br />
[[Datei:vexiAegypterin_m.jpg|thumb|Ab&shy;bil&shy;dung 3: «Ägypterin» – Variante der «Rubinschen Vase» mit mehr als zwei Tiefenebenen ]]<br />
Dass die Konturlinie zur Figur gerechnet wird, ihre Grenze markiert, bedeutet auch, dass der Grund als ''hinter'' der Figur weiter-gehend wahrgenommen wird, obwohl er dort nicht direkt zu sehen ist. Die Konturlinie wirkt als Grenze nicht für ihn. Die in Abbildung 3 gezeigte Variante der Rubinschen Vase – bei der es sich in diesem Fall tatsächlich nicht um eine Vase sondern um einen Kerzenständer handelt – demonstriert diesen Aspekt augenfällig: Denn neben den beiden Figur-Zuordnungen der klassischen Fassung – zwei im Profil einander gegenüberliegende Gesichter bzw. ein Kerzenleuchter – tritt hier als dritte Variante auf: ''ein frontal dargestelltes Gesicht zu beiden Seiten des Kerzenständers, das teilweise hinter diesem verborgen bleibt'' (und selbst vor einem weiteren Hintergund mit sechseckigem Muster liegt).<br />
:<br />
Arnheim sieht die Figur/Grund-Differenzierung als speziellen Fall des Erzeugens von Tiefenstaffelungen in der visuellen Wahrnehmung, nämlich einer mit genau zwei Ebenen (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 228 ff). Das Beispiel der «Ägypterin» (Abb. 3) macht zudem deutlich, dass der Figurbereich nicht notwendig als jeweils vorderste Darstellungsebene betrachtet wird: Bildet in dem Beispiel das Gesicht den als Figur wahrgenommenen Bildbereich, so steht der Kerzenleuchter zwar davor, ist aber nicht Teil der Figur. Dabei erklärt das Prinzip der ''guten'' (einfachen bzw. bekannten) Gestalt – hier eines frontal gesehenen Gesichts –, wieso die Figur/Grund-Differenzierung eine solche Tiefenstaffelung motiviert.<br />
:<br />
Allerdings ist die allgemeine ''Tiefen''-Staffelung im Gegensatz zur Figur/Grund-Differenzierung nicht ohne weiteres auf andere Sinnesmodalitäten übertragbar: Mag beim Gehörsinn noch eine nach Entfernung gestaffelte Verallgemeinerung der Figur/Grund-Differenzierung Sinn machen, scheinen sich die anderen Sinne eher dagegen zu sperren: als ''Lokalsinne'' liefern sie keine ''Übersicht''. Eine durch ''Verdeckungen'' bedingte Dynamik in der Figur/Grund-Differenzierung muss hier ganz anders gefasst werden. Handlungstheoretisch läßt sich im Übrigen eine Verbindung herstellen zwischen der spezifischen Art der Figur/Grund-Differenzierung in der visuellen Wahrnehmung und der Fähigkeit, den Schärfebereich der Linse im [[Auge]] zu verändern – eine Verhaltensoption, die in den anderen Fernsinnen nicht gegeben ist. Zusammen mit der entsprechenden Augenorientierung (nämlich mehr (näher) oder weniger (ferner) abweichend von der Parallelität der optischen Achsen der Augen), bildet dieser effektorische Anteil des visuellen Wahrnehmungsapparates die Basis für die Kopplung der Figur/Grund-Differenzierung mit der Tiefenwahrnehmung.<ref>Die Akkomodation der Linsen wird meist nicht direkt bewußt gesteuert und ist normalerweise mit der relativen Verdrehung der optischen Achsen beider Augen gegeneinander gekoppelt, so dass die Linsen jeweils ungefähr auf die Distanz eingestellt werden, in der sich die optischen Achsen schneiden.</ref><br />
<br />
==Zwei Arten der Dynamik von Figur/&#8203;Grund-&#8203;Diffe&shy;renzie&shy;rungen==<br />
<br />
Figur/Grund-Differenzierungen sind offensichtlich kein statisches Phänomen: Die die Wahrnehmung konstituierende Einteilung des Wahrgenommenen in Figur und Grund verändert sich mit der Zeit, selbst wenn keine Veränderung der äußeren Welt (der zugrunde liegenden Reizsituation) stattfindet. Diese Dynamik kann zum Einen einfach der zeitlichen Abfolge entsprechen, in der verschiedene Bereiche des jeweiligen Merkfeldes in den Vordergrund der Wahrnehmung rücken. Es kann aber auch um eine ganz andere Art der Verschiebung von Grund und Figur gehen, bei der etwas, was zunächst (ganzheitliche) Figur war, nun selbst (verschiedenen) Figur/Grund-Differenzierungen unterworfen werden kann. Dynamiken der ersten Art kann man vereinfachend als ‘horizontal’ bezeichnen, zumal sich der [[Horizont|Betrachtungshorizont]] dabei nicht verändert, die Wahrnehmung also, metaphorisch gesprochen, “im selben Horizont bleibt”. Bei der zweiten Sorte verändert sich hingegen gerade der Wahrnehmungshorizont, wie bei einer vertikalen Bewegung oder einem Zoomen; daher die metaphorische Kurzbezeichnung ‘vertikale Dynamik’. <br />
<br />
===Die “horizontale” Dynamik===<br />
<br />
[[Datei:Gegenstände.jpg|thumb|Abbildung 4: Bild «Gegenstände» von [http://www.antje-bohnstedt.de/illustrationen/gegenstaende/farbe/ Antje Bohnstedt] ]]<br />
Bistabile Wahrnehmungen wie bei der «Rubinschen Vase», bei denen die Zuweisung von Figur und Grund sich immer wieder spontan umkehrt, stellen tatsächlich nur einen Speziallfall einer allgemeinen Variabilität der Figur/Grund-Bildung dar. Die Veränderung der konkreten Figur/Grund-Differenzierung kann dabei – muß aber nicht, wie die spontanen Wechsel bei multistabilen Wahrnehmungen deutlich werden lassen – durch Aufmerksamkeitsverschiebungen vom Wahrnehmenden beeinflusst werden. Beispielweise wird auch ein Betrachter des Bildes in Abbildung 4 – abhängig von seinen Augenbewegungen – zwischen verschiedenen Figur/Grund-Zuordnungen hin- und herspringen.<ref>Die Beobachtungen, die sich hierbei an der verhältnismäßig zufälligen Zusammenstellung von Gegenständen in einem Bild wie Abbildung 4 machen lassen, sind ohne weiteres auch auf kohärenter strukturtierte Bilder (oder allgemeiner Szenen) von Gegenständen zu übertragen, wie beispielweise Stilleben.</ref> Verschiedene Bildbereiche werden jeweils als Figur vor dem restlichen Grund verwendet: Diese Wechsel sind bei [[Sortale Gegenstände und Individuation|sortalen Gegenständen]] besonders deutlich,<ref>Dazu passt, dass sortale Gegenstände zwar als ihre jeweils aktuellen Umgebungen (“Hintergründe”) übersteigende (nämlich persistente) Phänomene begriffen werden, gleichwohl aber auch nie außerhalb eines [[Kontext]]es erscheinen können. </ref> aber keineswegs auf diese beschränkt. Auch wenn beispielsweise die Pinselstriche eines Gemäldes betrachtet werden und die Aufmerksamkeit von einem besonders ausgeführten Pinselstrich zu einem benachbarten Strich wandert, geht das stets mit einer entsprechenden neuen Figur/Grund-Differenzierung des visuellen Wahrnehmungsfeldes einher: Was zuerst Teil des Grundes war wird zur neuen Figur, und die alte Figur zum Teil des neuen Grundes. <br />
:<br />
Ganz analog ist ein Umschalten der Figur/Grund-Unterscheidung beim Hören die perzeptuelle Basis des Aufmerksamkeitswechsel bei einer polyphonen Komposition auf eine andere Stimme, oder auch auf eine andere Instrumentalgruppe im Gesamtklang eines ausgehaltenen Orchesterakkords; beim Riechen das Hervortreten einer anderen Geruchskomponente eines Parfums, oder beim Schmecken das Bemerken einer weiteren Zutat in einer Sauce.<br />
:<br />
<!-- »Figur« (bzw. auch »Gestalt«) und Objektbegriff... "aktuelle Gestalt" und persistenter Gegenstand --><br />
<br />
===Die “vertikale” Dynamik===<br />
<br />
Betrachten Sie in Abbildung 4 den Federball. Nun betrachten Sie den weißen Fleck, der sich in dem Bildbereich befindet, der die rote Kappe des Federballs darstellt. In beiden Fällen wird Ihre Wahrnehmung von einer entsprechenden Figur/Grund-Differenzierung begleitet. Allerdings wird nun das, was zunächst Figur war, selbst in Figur und Grund zerlegt. Obwohl der Übergang zwischen beiden zunächst wie ein Fall von “horizontaler” Figur/Grund-Dynamik aussieht, handelt es sich um ein wesentlich komplexeres Phänomen, das mit der Frage zusammenhängt, was es denn eigentlich ist, was sich (“horizontal”) in verschiedene Figur/Grund-Paarungen aufspalten lässt. <br />
:<br />
Insbesondere konstruktivistische Wahrnehmungstheorien unterscheiden zwischen dem, was schon in Figur und Grund getrennt ist (“so sehen wir die Welt”), und das, was sich – durch einen Betrachter – in (prinzipiell diverse) Figur/Grund-Differenzierungen aufgliedern lässt, aber selbst noch nicht so aufgespalten ist (“die Welt, die gesehen werden kann”, “das, was (mithilfe von darauf vorgenommenen Figur/Grund-Differenzierungen) wahrgenommen wird”)). Neben die eigentliche Figur/Grund-Gliederung tritt damit ein Drittes, das man, einem Gedanken Heiders folgend, das ‘Medium’ der Figur/Grund-Differenzierung nennen kann.<ref>Vgl. Heider «Ding und Medium». Auch einer der Medienbegriffe der Systemtheorie Luhmanns ist an diese Aufteilung angelehen. Dazu auch ⊳ [[Wahrnehmungsmedien]]. </ref> Charakteristisch für diese “vertikale” Dynamik der Figur/Grund-Differenzierung ist, dass das ''Medium'' für eine Figur/Grund-Unterscheidung selbst das Resultat einer anderen (“tieferen”) Figur/Grund-Differenzierung darstellt. Mit ihr ist insbesondere das Phänomen der Emergenz der dritten Dimension verbunden.<br />
<br />
[[Datei:11.png|thumb|Abbildung 5: Bistabile Grafik «Necker&shy;würfel»: 3D- versus 2D-&#8203;Wahrneh&shy;mung ]]<br />
Am Beispiel des sogenannten Neckerwürfel kann man sich das klar machen: Der Neckerwürfel gilt als ein typisches Beispiel einer bistabile 3D-Wahrnehmung: Bei der durch die schwarzen Linien bestimmten Figur eines Würfels vor neutralem Hintergrund kann entweder die linke obere oder die rechte untere der beiden im Inneren der Figur zu sehenden Ecken vorne liegen. Beide Wahrnehmungsalternativen schließen einander aus und springen in der Regel spontan ineinander um. Allerdings gibt es eine weitere Sichtweise des Bildes bei 2D-Interpretation – also als flache schwarze Linien auf weißer Fläche, die eine Flächenkachelung bilden. In diesem Fall bildet nicht der Würfel die Figur, sondern eine der folgenden Flächen: in der Mitte ein kleines Quadrat, umgeben von zwei einander gegenüberliegenden kleinen Dreiecken (links unten und rechts oben) und vier Trapezen. Man stelle sich die Grafik etwa als Teil eines mit weißen Kacheln und schwarzen Fugen gestalteten Fußbodens vor. Offensichtlich entspricht diese Wahrnehmung der Wahrnehmung des Bildträgers, aus dem die dritte Dimension, in der der Würfel existiert, abgeleitet wird. <br />
:<br />
[[Datei:Dalmatiner.jpg|thumb|Abbildung 6: Verzögerte Figur/Grund-Differenzierung der zweiten Ebene bei erstem Sehen]]<br />
Auch der – für Emergenz-Phänomene charakteristische – Aha-Effekt, der bei der ersten Begegnung mit der Pigmentverteilung in Abbildung 6 in der Regel erst nach einiger Zeit auftritt, entspricht einem Wechsel der Figur/Grund-Zuordnung im vertikalen Sinn: Während zunächst die schwarzen Flecken als mehr oder weniger zufällig auf der Fläche verteilt erscheinen und einzelne davon spontan als Figur vor der umgebenden Fläche hervortreten, organisiert sich die Wahrnehmung im günstigen Fall nach einiger Zeit so, dass insbesondere ein schnüffelnder Dalmatiner als Figur vor einer Straßenszene in der Mitte des Bildes gesehen wird. <br />
:<br />
Wie beim Necker-Würfel ist es auch in diesem Fall schwierig, nach dem Erscheinen der dreidimensionalen szenischen Sichtweise auf die zugrundeliegende Flächensichtweise zurückzukommen. Der Abstieg zu den [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Elementen der Bildsyntax]] erfolgt selten spontan. Genau diese Umkehrung der vertikalen Figur/Grund-Verschiebungen spielt allerdings beim sogenannten Gestalterischen Sehen eine wichtige Rolle, geht es dabei doch darum, vorherrschende Figur/Grund-Differenzierungen aufzuheben, und beispielsweise statt des Neckerwürfels die zweidimensionale Flächenaufteilung des Bildes zu sehen. Auch die [[Bild in reflexiver Verwendung|reflexive Verwendung]] von Bildern (bzw. Szenen) verweist auf die vertikale Dimension, insofern hier die Bildwahrnehmungen als Beispiele für bestimmte Figur/Grund-Differenzierungen oder deren Fehlen verwendet werden: Das Bild der Rubinschen Vase dient in der Regel nicht dazu, visuell zwei Gesichter (oder eine Vase) zu präsentieren, sondern das Phänomen der Bistabilität der Figur/Grund-Differenzierung und damit eine bestimmte Art von Figur/Grund-Dynamiken selbst als Figur zu demonstrieren. <br />
:<br />
Auch die vertikalen Verschiebungen der Figur/Grund-Differenzierungen sind nicht auf die visuellen Sinne beschränkt. Ein auditorisches Beispiel mag der Unterschied zwischen dem Verfolgen einer Melodie und dem Konzentrieren auf die Intonation ihrer Ausführung geben.<br />
<br />
<br />
==Auswirkungen==<br />
<br />
===Auswirkungen hinsichtlich Bild und Bild&shy;wahrneh&shy;mung===<br />
<br />
Die Figur/Grund-Differenzierung ist als allgemeine Eigenheit von Wahrnehmung zwar nicht spezifisch für Bildwahrnehmung, dort aber auch – insbesondere bei darstellenden Bildern – sehr wichtig. Entsprechend hat «Rubins Vase» Einfluss in den Bereichen Kunst und Design gehabt. Figur/Grund-Effekte, die dem [[Kippbild]] von Gesicht und Vase analog sind, wurden etwa von M. C. Escher häufig an ganz zentraler Stelle verwendet.<ref>Vgl. dazu die Galerie der [http://www.mcescher.com/gallery/ M.C. Escher Foundation], insbesondere die Kollektionen «Symmetry» und «Transformation Prints».</ref> Kippbilder im allgemeinen sind allerdings nicht spezifisch auf Rubins Entdeckung zurückzuführen. Viele Designer von Logos setzen Zweideutigkeiten hinsichtlich der Figur/Grund-Differenzierung in ihren Arbeiten ein, um eine erhöhte Aufmerksamkeit zu erreichen. In der Kunst spricht man übrigens statt von ‘Figur’ und ‘Grund’ oft auch von ‘positivem’ bzw. ‘negativem Raum’ (vgl. <bib id='Tritthart 2013a'></bib>).<ref>Die Gegenüberstellung von positivem und negativem Raum nimmt in der Architektur eine besondere, von der allgemeinen Figur/Grund-Differenzierung etwas abgesetzte Bedeutung an: Positiv ist der von Mauerwerk etc. eingenommene Platz, negativ der umbaute Raum. </ref><br />
:<br />
Was die Konstitution des [[Bildinhalt|Bildinhalts]] gerade von naturalistisch gestalteten Bildern, Photographien oder Projektionen angeht, sind die dabei wirksamen Figur/Grund-Unterscheidungen mehr oder weniger direkt mit der bei “direkter” visueller Wahrnehmung der dargestellten Szene vergleichbar. Umgekehrt werden beispielsweise Abschwächungen der Figur-bildenden Eigenschaften einer Umrißlinie in der asiatischen Grafik wie auch der klassischen Moderen im Westen dazu benutzt, die naturalistische Tiefenstaffelung und dreidimensionale Raumwirkung zu unterlaufen. Arnheim erläutert mit Blick auf Strichzeichnungen von Matisse (gegenüber Rembrandt): <br />
:<br />
:''Bei Matisse ist der Begrenzungscharakter der Umrißlinien schwach; sie haben weitgehend die Eigenschaft selbständiger Objektlinien. Die Körper wirken nicht kompakt und lassen leicht erkennen, daß sie nur Teile der leeren Papieroberfläche sind. Die Zeichnung liegt wie ein durchsichtiges Netzwerk aus Linien über dem Hintergrund. Die dreidimensionale Wirkung ist auf ein Mindestmaß reduziert. Dahinter steckt natürlich Absicht. Während die älteren Künstler eine feste Körperlichkeit und klar erkennbare Tiefe hervorheben wollten, ging es den modernen darum, Objekte zu entstofflichen und die Wirkung des Raumes herabzusetzen. Die modernen Zeichnungen sollen leichtgewichtige, offensichtlich von Menschenhand stammende Schöpfungen sein: Früchte der Einbildung und nicht Vortäuschungen einer stofflichen Wirklichkeit. Sie sollen die Fläche betonen, aus der sie entstanden sind.'' (<bib id='Arnheim 2000a'></bib>: S. 220).<br />
:<br />
Generell ermöglichen spezifische [[Stil|Darstellungsstile]], insbesondere über Konturbetonung, Licht-Schatten-Setzung und ähnliche “Techniken”, bei Bildern, als intentional gestalteten Wahrnehmungsangeboten, bestimmte Figur/Grund-Bildungen beim Betrachter zu forcieren und so gezielt Interpretationen zu induzieren. Auf diese Weise kann die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der intendierten Kommunikation erhöht werden: Die bewußte Gestaltung der Figur/Grund-Differenzierung wirkt also als kommunikative Strategie. Einen Sonderfall der Bildherstellung stellt in dieser Hinsicht sicher die Erzeugung von multistabilen visuellen Wahrnehmungen dar. <br />
:<br />
Für die Bildwahrnehmung zentral ist zudem die Figur/Grund-Differenzierung zur Wahrnehmung des Bildes insgesamt, nämlich als ein Bildträger vor seinem Hintergrund. Mag die Wahrnehmung des darauf Abgebildeten noch so sehr auf die Figur/Grund-Differenzierungen aufbauen, die die abgebildete Szene selbst ermöglicht, etwa bei einem ''trompe l'œil''; das alleine würde noch kein Bild ausmachen sondern lediglich eine Wahrnehmungstäuschung beschreiben (⊳ [[Dezeptiver und immersiver Modus]] und [[Wahrnehmungsillusion]]). Mithilfe von [[Rahmung, Rahmen|Rahmen/Rahmung]] wird die Bildfläche von der umgebenden Wandfläche abgegrenzt und als Figur hervorgehoben. Entsprechend wird der Rahmen (als besonders betonte Kontur) auch zum Bildträger gerechnet, hinter dem sich die Wand ungesehen fortsetzt. Innerhalb des Bildträgers kann dann auf einer zweiten Stufe von Figur/Grund-Differenzierungen der Rahmen wiederum als Figur gesehen werden vor dem Hintergrund des Bildraumes (bei dreidimensional darstellenden Bildern)<ref>oder allgemeiner der eigentlichen Bildfläche</ref>, der zumeist – beispielsweise im Sinne von Albertis Fenster – als hinter dem Rahmen fortgeführt begriffen wird.<ref>Ausnahmen in reflexiver Verwendung sind mit Bildern gegeben, bei denen Teile des Inhalts auf den Rahmen oder gar über den (scheinbaren) Rahmen hinausgreifen, wie etwa bei Pere Borrell del Casos populärem Werk [https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Escaping_criticism-by_pere_borrel_del_caso.png «Flucht vor der Kritik»].</ref> Erst auf einer dritten Stufe können nun innerhalb des Bildraumes (bzw. der Bildfläche im engeren Sinn) die bildrelevanten Figur/Grund-Differenzierungen gebildet werden, die der Wahrnehmung des eigentlichen Bildinhaltes dienen. Der Rahmen liegt dabei ganz außerhalb des betrachteten Wahrnehmungsraumes, der im Wesentlichen als inhärent unbegrenzt empfunden wird. Bildwahrnehmung beruht also zumindest bei darstellenden Bildern mit ausgeprägtem Rahmen auf einer mindestens doppelten Kaskade von vertikalen Verschiebungen von Figur/Grund-Differenzierungen, durch die die konfligierenden Situierungen von sowohl Bildinhalt wie Wand als gleichzeitig hinter dem Rahmen befindlich konstituiert werden.<br />
:<br />
Auf die Rolle der Figur/Grund-Differenzierungen für das gestalterische Sehen und die reflexive Verwendung von Bildern wurde oben bereits hingewiesen.<br />
<br />
===Kommunikationstheoretische Assoziationen===<br />
<br />
Die Konzeption der Figur/Grund-Differenzierung ist nicht nur in Wahrnehmungstheorien relevant: Auch bei [[Interaktion und Kommunikation|Kommunikation]] und insbesondere dem Gebrauch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche_Zeichen|sprachlicher Zeichen]] läßt sich eine analoge Differenzierung konstatieren. So werden in der Linguistik diejenigen Teile einer Äußerung bzw. eines Satzes als »thematisch« charakterisiert, die dem Adressaten bereits bekannt sind (oder auch: ihm als bekannt gelten), während das für ihn Neue in den als »rhematisch« beurteilten Abschnitten zur Sprache kommt. Das Thema bildet den Hintergrund für die eigentlich wichtige Mitteilung des Rhemas, das ohne diese Verankerung im bereits (gemeinsam) Bekannten nicht verständlich wäre.<ref>Die Thema/Rhema-Aufteilung wurde insbesondere in der Nachfolge von V. Mathesius von der Prager Schule als grundlegende linguistische Differenzierung untersucht; vgl. <bib id='Mathesius 1911a'></bib>.</ref> Genau genommen verbirgt sich bei propositionalen Äußerungen sogar eine doppelte Figur/Grund-Aufteilung: Zum Einen die Differenzierung zwischen dem thematischen [[Kontext]] und dem fokussierten [[Proposition|propositionalen Gehalt]] der Äußerung; und zum Anderen innerhalb der Proposition die zwischen den [[Nomination|Nominationen]], die als bereits bekannter Hintergrund (und Teil des Kontexts) als Anker für die neue Information dienen, welche mit der [[Prädikation]] als Figur auftritt (und als solche noch nicht im gemeinsamen Diskurskontext vor der Äußerung enthalten sein sollte).<ref>Im sprachlichen Fall kann es daher insbesondere vorkommen, dass eine als rhematisch intendierte Information tatsächlich vom Rezipienten bereits gewußt wird und daher für ihn zum thematischen Teil der Äußerung zählt, während ein vom Produzenten als thematisch eingeschätzter Äußerungsteil dem Rezipienten noch nicht bekannt war und für ihn somit zum Rhema wird. Die damit eröffnete Dynamik der kommunikativen Figur/Grund-Differenzierung ist ein wesentliches Charakteristikum sprachlicher Zeichen und demonstriert, dass zumindest bei diesen prinzipiell jede semantische Betrachtung von pragmatischen Aspekten dominiert wird. </ref><br />
:<br />
Im Bereich der Nachrichtentechnik, also in den Ingenieurwissenschaften, spielt schließlich das Verhältnis von »Signal«&#8203; und »Rauschen«&#8203; (auch ‘Untergrund’) eine mit »Figur«&#8203; und »Grund«&#8203; vergleichbare Rolle. Im Unterschied zur üblichen Redeweise von der Figur ''vor'' dem Grund wird hierbei allerdings davon gesprochen, dass es das Signal ist, das vom Rauschen ''über''lagert wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Verwendung von ‘Signal’ und ‘Rauschen’ in dem Bereich Signalentdeckungstheorie der Wahrnehmungspsychologie; <bib id='Velden 1982a'></bib>. </ref><br />
<br />
=== Figur/Grund-Differenzierung und Aufmerksamkeit ===<br />
<br />
Offensichtich kann die Figur/Grund-Differenzierung von Aufmerksamkeit und Erwartung beeinflusst und in gewissen Grenzen gesteuert werden. Die die Figur vom Grund abhebenden Gestaltbildungsprozesse stellen selbst einen spontan wirksamen Aufmerksamkeitsmechanismus dar. Gegenüber Aufmerksamkeitsphänomenen im engeren Sinn tritt bei der Figur/Grund-Differenzierung allerdings ''kein'' Ausblenden des jeweiligen Hintergrundes auf: Wird etwa eine Aufgabe mit hoher Konzentration bearbeitet – oder auch ein Spiel ganz vertieft gespielt –, so wird die jeweilige Umgebung oft völlig “vergessen”, bleibt ganz ausgeblendet und subjektiv verschwunden. <br />
:<br />
Das Wechselspiel zwischen sich spontan bildender Figur-Aufmerksamkeit und erwartungsgesteuerter Konzentration auf bestimmte Reizkonstellationen wird besonders deutlich bei der oben erwähnten umgekehrten vertikalen Dynamik: Es ist schwierig, die gestalterische Sichtweise gegen die spontane dreidimensionale Gestaltbildung durchzusetzen, selbst wenn diese bistabil ist.<br />
:<br />
In der [[Bildbearbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]] wird eine analoge Unterscheidung zwischen sogenannten ''bottom up''-Prozessen und ''top down''-Prozessen gemacht: In ''bottom up''-Prozessen werden sensorische Elemente sozusagen ohne Aufmerksamkeitssteuerung nach Gestaltgesetzen selektiert und zusammengruppiert und zu komplexeren perzeptuellen Einheiten zusammengebunden; bei ''top down''-Verfahren werden die Gruppierungs- und Selektionsschritte von einer vorgegebenen Zielgestalt (auf der gewissermaßen die Aufmerksamkeit ruht) gelenkt. Das Ziel kann dabei durchaus auch ein 3D-Modell sein (zu 3D-Modell ⊳ [[Computergraphik]]) oder sogar einem sortalen Gegenstand entsprechen.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Bildbearbeitung, digitale]]<br />
* [[Bildinhalt]] <br />
* [[Computergraphik]]<br />
* [[Dezeptiver und immersiver Modus]]<br />
* [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Horizont]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Kippbild]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Phänomenologie]]<br />
* [[Prädikation]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Sortale Gegenstände und Individuation]]<br />
* [[Stil]]<br />
* [[Wahrnehmungsillusion]]<br />
* [[Wahrnehmungsmedien]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
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''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J.]]<br />
* [[Benutzer:Zsuzsanna Kondor|Kondor. Zsuzsanna]]<br />
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''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Symbol,_Index,_Ikon&diff=20803Symbol, Index, Ikon2013-12-27T15:01:01Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
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==Einteilung der Zeichen bei Peirce ==<br />
[[Datei:Peirce.jpg|thumb|Abbildung 1: Kleine Übersicht über die dreifache Basis-Dreiteilung der Peirceschen Zeichenbegriffe]]<br />
Charles S. Peirce (1839-&#8203;1914) gilt als einer der Grün&shy;dungs&shy;väter der moder&shy;nen Zei&shy;chen&shy;theorie. Auf ihn geht auch eine diffe&shy;renzier&shy;te Eintei&shy;lung der Zeichen&shy;arten zu&shy;rück (Abb. 1), von der zu&shy;min&shy;dest ein Teil sehr weite Ver&shy;breitung gefun&shy;den hat. Grob skizziert unter&shy;scheidet Peirce drei zeichen&shy;rele&shy;vante Ebe&shy;nen, die unge&shy;fähr mit der Eintei&shy;lung in [[Pragmatik, Semantik, Syntax|Pragma&shy;tik, Seman&shy;tik und Syntax]] über&shy;einstim&shy;men. In jeder dieser Ebenen setzt er eine weite&shy;re Dreitei&shy;lung an. Syntak&shy;tisch diffe&shy;renziert er Zeichen in&#8203; »Sinzei&shy;chen«,&#8203; »Le&shy;gi&shy;zeichen«&#8203; und&#8203; »Quali&shy;zei&shy;chen«,&#8203; während&#8203; »The&shy;ma«,&#8203; »Rhema«&#8203; und&#8203; »Dicent«&#8203; pragma&shy;tische&#8203; (wirkungs&shy;bezo&shy;gene) Zei&shy;chen&shy;unter&shy;kate&shy;gori&shy;en bilden.<ref>Vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>; siehe auch: <bib id='Birk et al. 2014a'></bib>.</ref> <br />
:<br />
Es ist vor allem die semantische Ebene, deren Peircesche Dreiteilung unter Semiotikern und Theoretikern benachbarter Disziplinen, wie Sprach&shy;philo&shy;sophie und Kunstgeschichte, machtvoll nachwirkt und nicht zuletzt in seinem Begriff der Ikonizität für die Bildtheorie große Relevanz aufweist.<ref>Ob sich die Bestimmung der entsprechenden Begriffe tatsächlich im rein semantischen Sinn durchführen lässt, oder nicht vielmehr tatsächlich notwendiger Weise pragmatische Aspekte berücksichtigt werden müssen, hängt letztlich an dem Status, den man der Semantik relativ zur Pragmatik zuschreibt. </ref><br />
<br />
==Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung==<br />
Da sie auf die semantische Ebene fokussiert sind, differenzieren die Peirceschen Zeichenkategorien&#8203; »Index«,&#8203; »Ikon«&#8203; und&#8203; »Symbol«&#8203; die Klasse der [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen]] gemäß dem Charakter der Beziehung, die zwischen dem [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichenträger]] und dem damit Bezeichneten besteht (in Abb. 1 als ‘Objektbezug’ charakterisiert). Diese “Objekt”&shy;beziehung gilt als konstitutiv für die Bedeutung, die dem Zeichenträger zugeschrieben wird.<ref>Offen bleibt an dieser Stelle, ob der “Objektbezug” einen Referenten im engeren (extensionalen) Sinn meint (⊳ [[Bedeutung und Referenz]] und [[Nomination]]) bzw. welches Verhältnis zu einem [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbezug]] im engen ([[Proposition|propositionalen]]) Sinn besteht. Vgl. auch <bib id='Schelske 2000a'></bib>.</ref> Genau genommen handelt es sich bei den drei Kategorien um Idealtypen; in konkreten Fällen wirken die zugehörigen Bedeu&shy;tungsre&shy;latio&shy;nen oft auf komplizierte Weise zusammen (vgl. das [[#Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel|ausführliche Beispiel unten]]).<br />
<br />
===Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten===<br />
<br />
Der Peircesche Ausdruck ‘Ikon’ (Plural: ‘Ikone’),<ref>Seltener, und laut Duden auch nicht ganz korrekt, findet sich auch die anglisierte Form ‘Ikons’ als Plural.</ref> der seine altgriechische Wurzel ([[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'#‘Eikon’|εἰκών]], etwa ‘Abbild’) ganz offensichtlich sowohl mit der mittelalterlich-religiösen [[Ikone]] als auch mit dem englischen Leihwort ‘Icon’ des Informationszeitalters (dazu ⊳ [[Bilderschrift und Piktogramm]]) teilt, mit beidem aber nicht verwechselt werden sollte, bezeichnet solche Zeichen, deren Bedeutungs&shy;beziehung sich einer ''[[Ähnlichkeit|Ähnlichkeitsrelation]]'' zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem verdankt (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 64). Dies trifft unter anderem auf [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]] (Spiegelbild) wie “normale” abbildende Bilder (Phantomskizze),<ref>Da die gezeichnete Person durchaus fiktiv sein kann, deutet das Beispiel&#8203; »Phantombild«&#8203; zugleich an, dass es sich auch um eine nur intentionale Abbildlichkeit handeln kann.</ref> auf “Foleys” (von einem Geräuschespezialisten für Hörspiel, [[Film]] oder Computerspiel erzeugte “Geräuschattrappen”) und synthetische Gerüche (künstliches Erdbeeraroma), sowie im sprachlichen Bereich auf onomatopoetische Wörter (‘Kuckuck’), form-ikonische Ausdrücke (‘T-Träger’) und – in gewisser Weise – auf [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|Metaphern]] (“Sprachbilder”) zu.<br />
:<br />
[[Datei:Aehnlichkeitstheorien1.png|thumb|Abbildung 2: Skizze zu verschiedenen Ähnlich&shy;keitskonzep&shy;tionen: (a) “Selbst&shy;ähnlich&shy;keit” als Exempli&shy;fikation (''genuines Ikon'' bei Peirce: ‹Hirsch exempli&shy;fiziert Geweih&shy;förmig&shy;keit›); (b) onto&shy;logischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (c) episte&shy;mischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (d) handlungs&shy;theore&shy;tischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff]]<br />
Tatsäch&shy;lich liegen bei Peirce ''echte'' (''genu&shy;ine'') Iko&shy;ne nur dann vor, wenn man eine Eigen&shy;schaft eines (als Zeichen&shy;trä&shy;ger) wahrge&shy;nomme&shy;nen Gegen&shy;stands dazu benutzt, sich (oder einen ande&shy;ren) auf eben diese Eigen&shy;schaft aufmerk&shy;sam zu machen – wenn also, in Good&shy;mans Begriff&shy;lichkeit, eine [[Referenz, Denotation, Exemplifikation|Ex&shy;em&shy;pli&shy;fi&shy;ka&shy;ti&shy;on]] vor&shy;liegt.<ref>Genau aus diesem Grund gelten genuine Ikone Peirce auch als die einfachste der in Zeichen vorkommenden Gegenstands&shy;beziehungen: Im Gegensatz zu den beiden anderen Klassen richtet sich der Blick bei genuinen Ikonen nämlich nur auf ''einen'' Gegenstand (der “Eigenschafts&shy;träger”), da Zeichenträger und Bezeichnetes in gewisser Weise zusammenfallen. Diese Identität lässt ihn andererseits aber auch von einem degenerierten Zeichen sprechen.</ref> Zei&shy;chen, bei denen wegen geteil&shy;ter Eigen&shy;schaften ein Gegen&shy;stand auf einen ''ande&shy;ren Gegen&shy;stand'' verweist, bezeich&shy;net Peirce genau&shy;er als ‘Hypo&shy;iko&shy;ne’ (auch ‘dege&shy;nerier&shy;te Iko&shy;ne’ <bib id='Peirce 1998a<br />
'></bib>, §276). Doch hat sich genau diese abge&shy;leite&shy;te Charak&shy;teri&shy;sierung für den in der Semiotik zumeist verwen&shy;deten Begriff&#8203; »Ikon«&#8203; durchge&shy;setzt. Offen bleibt dabei zunächst, welche Konzep&shy;tion eigent&shy;lich von&#8203; »Ähnlich&shy;keit«&#8203; zu verwen&shy;den ist. Geht man von einem “onto&shy;logisch” gefass&shy;ten Ähnlich&shy;keits&shy;begriff aus, so stellt die Ähnlich&shy;keits&shy;bezie&shy;hung eine “an sich” bestehende Rela&shy;tion zwischen zwei Gegen&shy;ständen dar, die nicht von spezi&shy;fischen Wahrneh&shy;mungs- und Er&shy;kenntnis&shy;fähig&shy;keiten eines über Ähnlich&shy;keit Urtei&shy;lenden abhängt. Ein “epis&shy;temisch” gefass&shy;ter Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff würde hinge&shy;gen auf das zurück&shy;greifen, was einem bestimm&shy;ten Betrach&shy;ter<ref>Der Ausdruck ‘Betrachter’ ist hier natürlich recht weit gefasst, da er nicht auf die visuelle Sinnesmodalität eingeschränkt verwendet wird.</ref> als ähnlich ''erscheint''. Nur insofern sich ein Teil der (als objektiv oder subjektiv gefassten) “Eigenschafts&shy;struktur” eines Dings in der Eigenschafts&shy;struktur eines anderen Dings spiegelt, kann dieses als ikonisches Zeichen für jenes verwendet werden – und umgekehrt.<ref>Technisch wird oft von einer partiellen [[Isomorphie]] – einer teilweisen Strukturgleichheit – gesprochen. Da dieser Typ von Ähnlichkeitsbeziehung offensichtlich reflexiv ist, folgt dasselbe für die Ikonizität: Wenn ''X'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''Y'' ist, dann ist auch ''Y'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''X''.</ref> Bei einem “behavioristischen” (genauer: [[Exkurs:Handlungen|handlungstheoretischen]]) Ähnlichkeitsbegriff verschiebt sich der Fokus darauf, dass ein Beobachter beurteilt, ob ein beobachtetes Wesen in seinem Verhalten Anlass zu der Behauptung gibt, etwas als etwas anderem ähnlich erkannt zu haben.<ref>Diese um eine Ebene zurückverlegte Betrachtung erlaubt eine “Symmetrie-Brechung”, denn aus dem Vorliegen solcher Gründe, die ''B'' dafür vorbringt, dass ''W'' ''X'' für ''Y'' ähnlich hält, folgt eben keineswegs, dass ''B'' auch Gründe in ''W''’s Verhalten dafür findet, dass ''W'' ''Y'' für ''X'' ähnlich hält.</ref> Diese Ansätze tragen dem Sachverhalt Rechnung, dass introspektive Begründungen für Ähnlichkeitszuschreibungen alleine nicht ausreichen, um über Ikonizität intersujektiv Einigkeit zu erreichen (vgl. <bib id='Schirra & Sachs-Hombach 2013a'></bib>).<br />
:<br />
Im Prinzip genügt jeweils bereits ''eine einzige'' (objektive bzw. subjektive) Eigenschaft, die – neben beliebig vielen differierenden – von den betrachteten Gegenständen geteilt wird, um die Ikonizität einer Zeichenbeziehung zwischen jenen zu gewährleisten. Je größer die Ähnlichkeit, desto stärker ist die Ikonizität, wenn der eine Gegenstand als Zeichen für den anderen betrachtet wird. Probleme ergeben sich hingegen, wenn ''alle'' Eigenschaften übereinstimmen: Als im engen Sinne&#8203; »ähnlich«&#8203; werden üblicherweise zwei Gegenstände nur dann betrachtet, wenn es mindestens auch eine Eigenschaft gibt, in der sie sich nicht gleichen.<ref>Ob jeder Gegenstand als sich selbst ähnlich verstanden werden sollte, ob der Begriff&#8203; »Ähnlichkeit«&#8203; also als Begriff einer reflexiven zweistelligen Relation angesetzt werden sollte, ist umstritten (vgl. etwa <bib id='Goodman 1970a'></bib>). Weitgehende Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass ein Zeichenträger nur dann Zeichenfunktion erfüllen kann, wenn er nicht mit dem Gegenstand, auf den er verweist, identisch ist (vgl. bereits <bib id='Platon 1922a'></bib>: 432a-c). Allerdings lässt sich der Unterschied zwischen tierischer Gegenstands&shy;wahrnehmung und menschlicher Gegenstands&shy;wahrnehmung (u.a. bei bei handlungstheoretischer Betrachtung) auch darauf zurückführen, dass bei letzterer prinzipiell und daher unabtrennbar eine reflektierende Distanz zum Wahrnehmen tritt: Das menschliche Gegenstands&shy;sehen ist immer ein »sich selbst zu sehen geben« (wobei der dabei in der Erläuterung verwendete Ausdruck ‘Sehen’ auf die tierische, d.h. nicht reflektierte Version bezogen bleibt; ⊳ [[Sehen]]; vgl. auch [[Sortale Gegenstände und Individuation]] und [[Dezeptiver und immersiver Modus]]). In der Folge ist dann die Rede davon, dass Menschen sehen, indem sie sich – sich selbst gegenüber – als Sehende darstellen.</ref><br />
<br />
===Indexikalität und raumzeitliche Zu&shy;sammen&shy;hänge===<br />
<br />
Von einem ‘Index’ (Plural ‘Indizes’) spricht Peirce bei einem Zeichen, dessen Träger aufgrund seines ''raumzeitlichen'' und insbesondere ''kausalen'' Zusammenhangs mit dem Bezeichneten als Zeichen für letzteres verwendet wird (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65): wenn also beispielsweise Rauch das Zeichen für Feuer oder rote Hautflecken das Zeichen für (eine Infektion mit) Masern bilden. Alles was in den entsprechenden Naturwissenschaften von Physik bis Medizin als Auswirkung, Anzeichen oder Symptom für ein Phänomen ''X'' gilt, stellt mithin auch einen Peirceschen Index für ''X'' dar.<ref>Vgl. auch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#cite_note-7|Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem: Anmerkung 8]]. — Da Symptome nicht kriterial (also weder hinreichend noch notwendig) für das, was sie anzeigen (können), sind – Rauch kann auch ohne Feuer auftreten (und Feuer ohne Rauch), so wie rote Hautflecken ohne Maserninfektion (und Maserninfektionen ohne das Ausbilden von roten Hautflecken) möglich sind – kann der Index-Charakter eines Zeichens recht labil sein.</ref> Genau genommen verweist ein indexikalisches Zeichen daher weniger auf einen anderen Gegenstand als vielmehr auf die ''Anwesenheit'' eines anderen Gegenstands in direkter Nähe zum Zeichenträger. Das unterscheidet Indizes deutlich von den beiden anderen Zeichenarten, die eher dazu verwendet werden, Abwesendes zu bezeichnen.<ref>Wie oben erwähnt stellen nur genuine Ikone im Peirceschen Sinn eine Ausnahme davon dar.</ref> Was genau als »Nähe zum Zeichenträger« zu verstehen ist kann dabei allerdings von verschiedenen Faktoren abhängen. Bei einer Spur etwa kann die zeitliche Koinzidenz mehr oder weniger stark in die Vergangenheit ausgedehnt sein: Der die Spur erzeugende Hase beispielsweise mag längst über alle Berge sein, wenn der Jäger sie als indexikalisches Zeichen für den Hasen (oder genauer seine Anwesenheit) nutzt. Kausalketten können zu einer fast beliebig großen räumlichen Ausdehnung der Nähe-Region beitragen. Wesentlich ist für Indexikalität, dass der Bereich, den der Zeichennutzer als (erweitertes) “Hier und Jetzt” betrachtet, neben dem Zeichenträger stets auch das Bezeichnete enthält, so dass man gewissermaßen auch mit dem Finger darauf deuten könnte.<ref>Wegen dieser Besonderheit spielen Indizes in Taufsituationen, wie sie zur Einführung von [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|symbolischen Zeichen]] verwendet werden, eine wichtige Rolle. — Die Bezeichnung ‘Index’ leitet sich vom lateinischen Wort für Zeigefinger ab.</ref><br />
:<br />
Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Indexikalität nicht notwendig von einer natürlichen Beziehung zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem ausgeht: Auch das Ortseingangsschild am Rand einer Stadt steht in direkter, wenn auch absichtlich erzeugter raumzeitlicher Beziehung zu dem Bezeichneten (eben dem Rand jener Stadt). Gleiches gilt für das auf dieser Glossarseite links oben gezeigte Logo (das markiert: ›dies ist eine Seite des Glossars der Bildphilosophie‹), die farblichen Markierungen, die in diesem Glossartext anzeigen, an welchen Stellen durch Mausklick eine andere Seite erreicht werden kann, oder auch generell Pfeile und Zeiger. Nicht alle Indizes sind mithin auch Symptome im engen (physikalisch-kausalen) Sinn, oder, wie es dann auch heißt: ‘''natürliche'' Indizes’. Im Gegensatz zu den natürlichen ist die raumzeitliche Beziehung, die zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem vermittelt, bei den ''künstlichen'' Indizes mit Absicht erzeugt – Intentionalität ersetzt also in diesen Fällen Kausalität.<ref>Die intentionsbasierten Indizes stehen in enger Verbindung zum Begriff des [[Zeigen und Sich-Zeigen|Zeigens]], d.h. der Deixis (›jemand zeigt jemandem etwas‹), während die kausalen Indizes höchstens als einfache Fälle von&#8203; »[[Zeigen und Sich-Zeigen|Sich-Zeigen]]«&#8203; (›etwas zeigt sich‹) begriffen werden können.</ref> Gleichwohl besteht die semantische Pointe auch bei dieser Unterklasse darin, dass allein die raumzeitliche Nähe bereits die Bedeutung des Zeichens bei der Verwendung zu induzieren scheint. <br />
:<br />
Sprachliche Ausdrücke, wie insbesondere ‘hier’ und ‘jetzt’, aber auch ‘ich’, ‘wir’, ‘du’, ‘ihr’ hängen in ihrer jeweiligen Bedeutung ebenfalls stark ab vom [[Kontext]] ihrer Verwendung: Die raumzeitliche Beziehung zu Ort und Zeit ihrer Äußerung bestimmt, welcher Ort mit ‘hier’, welche Person mit ‘du’ gemeint ist. Gleiches gilt natürlich auch für ‘içi’ oder ‘here’, für ‘tu’ oder ‘you’ – um nur zwei andere europäische Sprachen als Beispiele zu bemühen. Neben aller Konventionalität, die diese Art von Ausdrücken eigentlich zu [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|Symbolen]] im Sinne von Peirce werden lässt, bleibt ihnen ein Moment an Indexikalität wesentlich, weshalb man auch von ‘indexikalischen Ausdrücken’ spricht.<br />
:<br />
Einen weiteren Sonderfall indexikalischer Zeichen stellen [[Fotografie|Photographien]] (und die Produkte verwandter technischer Bildgebungsverfahren) dar: Offenkundig beruhen die hier betrachteten Produktionsverfahren für Zeichenträger darauf, dass eine mehr oder weniger lange, aber durchgehende Kette streng kausaler, physikalisch-chemischer Schritte den Zeichenträger automatisch aus dem Bezeichneten (‘Abgebildeten’) ableiten.<ref>Vgl. hierzu auch die Diskussion im Glossarbeitrag&#8203; «[[Digitales Bild#Zu a. (Nicht-)Indexikalität|Digitales Bild]]»&#8203; zu deren (Nicht-)&#8203;Indexikalität.</ref> Obwohl als Bilder eigentlich den [[#Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten|ikonischen]] Zeichen zuzuordnen, schwingt zumindest bei dieser Untermenge auch Indexikalität in ihrem Begriff mit.<ref>Eine analoge Argumentation gilt für “Tonkonserven”: Auch diese beinhalten offensichtlich stets sowohl ikonische als auch indexikalische Momente. </ref><br />
<br />
===Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen===<br />
Ikone gleichen Indizes in einer wichtigen Hinsicht, in der die dritte semantische Zeichenkategorie von Peirce abweicht: Wegen des direkt erkennbaren Zusammenhangs zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem scheint die Bedeutung des Zeichens nicht erst durch einen geeigneten Taufakt etabliert werden zu müssen. Indizes und Ikone funktionieren ohne vorangehende Festlegung einer entsprechenden Bedeutungskonvention. Das gilt für viele der von uns im Alltag verwendeten Zeichengebräuche keineswegs, wie jeder leicht selbst feststellen kann, wenn er eine fremde Sprache erlernen will. Zeichen, deren Bedeutungsbeziehung mithilfe einer Konvention festgelegt werden müssen, nennt Peirce ‘Symbole’ (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65ff.).<ref>Das Wort geht auf das griechiche ‘συμβάλλω’ zurück (symbállō – zusammenfügen).</ref><br />
:<br />
[[Datei:Symbol und Zeichen2.png|thumb|Abbildung 3: Skizze zum Problem um die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’]]<br />
Dieser Wortgebrauch differiert deutlich von einer anderen, vor allem im deutschsprachigen Raum verbreiteten (auch von Saussure benutzten) Kon&shy;ven&shy;tion, die dem ‘Zeichen’ das ‘Symbol’ gegenüberstellt, wobei ‘Symbol’ in diesem Sinn häufig synonym zu ‘Sinnbild’ ge&shy;braucht wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Anmerkungen zu ‘Sinnbild’ im Artikel&#8203; «[[Emblem]]». Eine grobe Übersicht findet sich unter [http://de.wikipedia.org/wiki/Symbol Wikipedia: Symbol]. </ref> Markiert man die unterschiedlichen Wortgebräuche mit den Indizes ‘''D''’ (deutsch) und ‘''P''’ (Peirce), so ergibt sich (Abb. 3):&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; sind gerade keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; eine Unterart von&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind; des weiteren entsprechen&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; weitgehend&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; in etwa den Peirceschen&#8203; »Iko&shy;nen«&#8203; entsprechen, also zwar keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; wohl aber&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind.<ref>Da zudem der wesentliche Unterschied zwischen »Zeichen<sub>''D''</sub>«&#8203; und »Symbolen<sub>''D''</sub>«&#8203; darin besteht, dass die Bedeutungsrelation bei ersteren als rein willkürlich, bei letzteren hingegen als aus dem Symbolisierten natürlich erwachsende Relation verstanden wird, schließen sich beide wechselseitig aus. Die Peirceschen Begriffsumfänge überlappen sich hingegen.</ref> Es empfiehlt sich daher, – besonders in der bildwissenschaftlichen Dikussion – sehr genau darauf zu achten, in welcher Bedeutung die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’ jeweils verwendet werden.<ref>Vor diesem Hintergrund mag jemand, der Bilder als (ikonische)&#8203; »Zeichen<sub>''P''</sub>«&#8203; betrachtet, schnell in ein Wortgefecht über die Zeichenhaftigkeit von Bildern geraten mit jemandem, der Bilder als&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; versteht.</ref><br />
:<br />
Eine konventionelle Bedeutungszuschreibung liegt im Übrigen nicht nur dann vor, wenn eine Regel, auf die man sich im Zweifelsfall berufen kann, ausdrücklich festgelegt wird (Taufakt im weiten Sinn). Es kann sich auch um historisch gewachsene Gewohnheiten oder stillschweigende (implizite) Übereinkünfte handeln, wie sie bei den meisten Zeichen der “natürlichen” Sprachen, etwa den Wörtern und Sätzen des Deutschen, vorliegen. Hier existieren keine vorweisbaren Situationen mit entsprechenden bedeutungs&shy;stiftenden Akten, auf die man beim Verdacht einer falschen Verwendungsweise des symbolischen Zeichens verweisen könnte. Zudem wirken in aller Regel die sozialen Mecha&shy;nismen, die zur Bildung der Tradition beitragen haben, immer weiter, weswegen sich die Tradi&shy;tionen konti&shy;nuierlich “unter der Hand” ändern&#8203; (»Sprachwandel«).&#8203; Im Gegensatz zu den tradierten Bedeutungskonventionen können ausdrück&shy;lich verein&shy;barte Zeichen&shy;bedeu&shy;tungen hingegen nur wieder durch weitere ausdrück&shy;liche Verein&shy;barungen der betroffenen Zeichen&shy;nutzer verändert werden.<ref>Als Alternative bleibt allerdings eine Entwicklung von der explizit vereinbarten Konvention zu einer die ursprüngliche “Taufsituation” vergessenden und im Weiteren als rein tradierte Konvention verstandenen Bedeutungs&shy;relation möglich. </ref><br />
:<br />
Obwohl verwandt sollten die Begriffe&#8203; »Konven&shy;tion«&#8203; und&#8203; »Will&shy;kür&shy;lich&shy;keit«&#8203; (auch&#8203; »Arbi&shy;trari&shy;tät«)&#8203; in diesem Zusam&shy;menhang nicht mitein&shy;ander verwech&shy;selt werden: Auch tradierte Konven&shy;tionen sind in der Regel auf die eine oder andere Weise motiviert und nicht rein willkürlich.<ref>Ein Beispiel für derartige Motivationen ist im [[Exkurs: Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen|Exkurs:Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen]] dargestellt.</ref> Und selbst die an sich frei verfügbaren Assoziationsmöglichkeiten werden bei explizit vereinbarten Konventionen aus guten (etwa mnemotechnischen) Gründen kaum je wirklich ausgeschöpft. Historisch bildete zwar die Frage nach der Willkürlichkeit der Bedeutungsbeziehung in Gestalt der ''phýsei/thései''-Debatte in der griechischen Antike den wesentlichen Ausgangspunkt für die sukzessive Differenzierung möglicher Objektrelationen bis hin zu Peirce (und darüber hinaus). Doch ergab sich im Verlauf dieser begrifflichen Entfaltung, dass es weniger um die Frage nach einer natürlich (sprich: unabhängig von Zeichenverwendern) bestehenden Beziehung zwischen Zeichen(träger) und Bezeichnetem geht, als vielmehr um verschiedene Möglichkeiten, Aspekte eines als Zeichenträger verwendeten Objekts in das komplexe Geschehen von Zeichenhandlungen zu integrieren (vgl. <bib id='Trabant 1996a'></bib>, Abschn. II.4).<ref>In engem Zusammenhang zur “Willkürlichkeit” von Zeichenträgern für die zugehörigen Bedeutungen steht zudem die Diskussion um die Möglichkeit einer Rückwirkung des Zeichenträgers auf das Verständnis dessen, was dieser Ausdruck bedeutet: Unter der Bezeichnung ‘Prinzip der sprachlichen Relativität’ (auch: ‘Sapir-Whorf-Hypothese’; vgl. [http://de.m.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-Hypothese Wikipedia: Sapir-Whorf-Hypothese] wird die Vorstellung diskutiert, dass die “Weltsicht”, das “Weltbild” einer Sprach- (oder allgemeiner: Zeichen-)gemeinschaft entscheidend durch die von ihren Mitgliedern verwendeten Sprachzeichen bestimmt wird; ⊳ [[Weltbild, Lebensform]] & [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]].</ref> <br />
:<br />
Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die [[Perspektive und Projektion|Perspektive]] als einer symbolischen Form<ref>Cassirer bezeichnet mit dem Ausdruck ‘symbolische Form’ „jede Energie des Geistes [...], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“ (<bib id='Cassirer 2009a'></bib>, S. 67). Der Ausdruck ‘Zeichen’ wird dabei offensichtlich im Sinn von ‘Zeichenträger’ verwendet und ‘Symbol’ (als dritte hier erwähnte Bedeutungsvariante dieses Ausdrucks) analog zu ‘Zeichen<sub><small>''P''</small></sub>’ (s.o.).</ref> “sehen” (vgl. <bib id='Panofsky 1924a'></bib>). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende [[Sehen]] genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. <bib id='Cassirer 1930a'></bib>).<br />
<br><br />
<br />
==Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel==<br />
<br />
:''Nach diesen Prämissen sind Bilder häufig als der Prototyp des ikonischen Zeichens interpretiert und gelegentlich sogar mit dem Ikon überhaupt verwechselt worden [...] Es gibt aber Bilder, die in größerem Maße ikonisch, solche, die eher indexikalisch, und andere, die überwiegend symbolisch sind. Das Kriterium des Anteils an ikonischen, indexikalischen und symbolischen Elementen erlaubt es, in der Kulturgeschichte des Bildes drei Prototypen zu bestimmen. Prototyp des ikonischen Bildes ist danach nicht die gegenständliche, sondern vielmehr die nichtgegenständliche, die abstrakte Malerei. Prototyp des indexikalischen Bildes sind ebenso die Photographie wie die gegenständliche Malerei, und Prototyp des symbolischen Bildes ist die [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonologisch]] beziehungsweise [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonographisch]] kodifizierte Malerei.'' (<bib id='Nöth 2009'></bib>, S. 243f.) <br />
:<br />
Aus bildwissenschaftlicher Perspektive spielen Ikonizität (insofern »Bild« und »Ähnlichkeit« zusammenhängen) und Indexikalität (vor allem bei den kausalen Bildgebungsverfahren) die grössere, aber keineswegs die alleinige Rolle. Auch bei Bilverwendungen treten zahlreiche symbolische Aspekte auf. Nöths Zuordnung der ikonischen Prototypikalität mit der [[Semantik ungegenständlicher Bilder|nichtgegenständlichen Malerei]] in obigem Zitat mag zunächst verwundern, ist aber dem Umstand geschuldet, dass er die beiden Pole der Assoziation auf je spezielle Weise interpretiert: Mit solchen Bildträgern würde erstens nämlich nur auf eine Eigenschaft des jeweiligen Bildträgers verwiesen, was zweitens eben genau dem ursprünglichen Peirceschen ''genuinen'' Ikon entspricht. Allerdings sind einerseits andere Interpretationen des Phänomens ungegenständlicher Bilder möglich (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung#Zusammenhänge mit anderen Begriffen|Bild in reflexiver Verwendung, Abschnitt «Zusammenhänge mit anderen Begriffen»]]), und andererseits eine weiter gefasste Verwendungsweise von ‘Ikon’ bildphilosophisch durchaus üblicher. In der Praxis dürften prototypische Fälle von Ikonizität, Indexikalität oder Symbolhaftigkeit in der Tat weder bei Bildern noch auch bei anderen Zeichentypen häufig auftreten. Mischformen dominieren unseren Bild(Zeichen)gebrauch.<br />
:<br />
[[Datei:Hiroshima.jpg|thumb|Abbildung 4: Ein Schatten in Hiroshima — 6. August 1945, 8:15]]<br />
Die Anwendung der drei Aspek&shy;te auf ein konkretes Beispiel mag besser verdeut&shy;lichen, wie vielfäl&shy;tig die seman&shy;tischen Re&shy;la&shy;tio&shy;nen letztendlich für einen einzigen Bildträger zusam&shy;menwir&shy;ken: Abbil&shy;dung 4 gibt das Schwarz-&#8203;Weiß-&#8203;Photo eines unbe&shy;kannten Photo&shy;graphen wieder, das vermut&shy;lich in den letzten Tagen des Jahres 1945 aufge&shy;nommen wurde und im ''Hiro&shy;shima Peace Memo&shy;rial Museum'' aufbe&shy;wahrt wird. Zu sehen sind zwei Stufen einer steiner&shy;nen Treppe, die zum Eingang des Gebäu&shy;des der Sumi&shy;tomo-&#8203;Bank im Zentrum der japa&shy;nischen Stadt Hiro&shy;shima führt, sowie ein kleiner Ausschnitt der Wand des Gebäudes. Auf den Treppen&shy;stufen zeichnen sich schwärzli&shy;che Spuren im perspek&shy;tivisch verzerr&shy;ten Umriß eines menschli&shy;chen Körpers ab. Es wird angenommen, dass sie entstanden sind, als am 6. August 1945 um 8 Uhr 15 eine Atombombe die Stadt zerstörte und Druck, Hitze und Strahlung die verglühenden Überreste einer Person, die zufällig zu diesem Zeitpunkt vor dem Gebäude auf den Stufen stand, in den Stein eingebrannt haben. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit der Beispiel&shy;photographie===<br />
Wegen der längeren, aber durchweg kausalen Kette von optischen, photochemischen und digitaltechnischen Transformationen, die den hier betrachteten Zeichenträger mit der Aufnahmesituation in Hiroshima zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz nach der Bombenexplosion verbinden, hat das damit verwendete Zeichen offensichtlich Index-Charakter. Da zudem eine visuelle Ähnlichkeit zu den tatsächlichen Treppenstufen in Japan besteht, ist auch ein deutlicher ikonischer Anteil gegeben. Symbolhaftigkeit tritt hinzu, weil die Signifikanz dieses Bildes erst klar werden kann, wenn man es in seinen historischen Kontext einordnen kann: Zwar ist – ikonisch – eine Art menschlicher Schatten zu sehen, der – indexikalisch – als Teil einer real in Raum und Zeit existierenden (d.h. mit dem ''Hier und Jetzt'' der Rezeptionssituation kausal verbundenen) Szene verstanden wird, doch dass diese Photographie etwa auch als Zeichen für die schreckliche Gewalt einer Atombombenexplosion über bewohntem Gebiet dienen mag, erschließt sich nur in einem durch Konventionen etablierten Verständnisrahmen.<br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des abgebildeten “Schattens”===<br />
Tatsächlich lassen sich Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeiten in diesem Beispiel (wie übrigens bei fast allen Bildern) auch noch auf einer zweiten Ebene anwenden: Denn auch der “Schatten” selbst wird in der Regel ja zeichenhaft gelesen. Als Symptom der ihn verursachenden Explosion kann er als Index für alle der in der zu ihm führenden Kausalkette enthaltenen Faktoren verwendet werden: Dominant in dieser Hinsicht sind sicherlich die Person, die in jenem verhängnisvollen Augenblick an jener Stelle stand, die Strahlungen, die in jenem Moment den Schatten in den Stein brannten, sowie das Ereignis, das die Strahlung ausgelöst hat: die Explosion von «Little Boy».<ref>Wegen der Transitivität der Kausalbeziehung “verlängert” die Photographie als Index die bereits signifikanten Kausalketten der abgebildeten Szene sozusagen bis zum Betrachter.</ref> Voraussetzung für eine solche indexikalische Zeichenverwendung mit einer dieser Bedeutungen ist die Einbettung des “Schattens” in eine [[Interaktion und Kommunikation|kommunikative Interaktion]] (inklusive Selbstdarstellung des Senders) mit bewusster Kontrolle des kommunikativen Zwecks der Handlung (Reflexivierung inklusive Antizipation des Kommunikationspartners; ⊳ [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]). Diese Bedingung ist auch erfüllt, wenn sich jemand selbst vor Ort mithilfe des “Schattens” auf die entsprechende Ursache aufmerksam macht. <br />
:<br />
Insofern der “Schatten” eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem Menschen hat, kann er zudem als ein ikonisches Zeichen für jenen stehen. Auch hier ist die Einbettung in den komplexen Handlungszusammenhang einer Zeichenverwendung Voraussetzung. Analog zur Verlängerung der indexikalischen Aspekte des Dargestellten durch die Indexikalität der Darstellung “verlängert” die Ikonizität des Bildes die ikonischen Aspekte des im Bild Dargestellten.<ref>Diese Transitivität ist allerdings weniger deutlich ausgeprägt als bei der Kausalität: Wenn ''A'' ähnlich zu ''B'' ist, ''B'' ähnlich zu ''C'' und schließlich ''C'' ähnlich zu ''D'', folgt bekanntlich keineswegs zwingend, dass ''A'' auch ähnlich zu ''D'' ist – mit entsprechenden Konsequenzen für die Ikonizität entsprechender Darstellungsbeziehungen (etwa: die Kopie einer Kopie einer Kopie eines Bildes). </ref><br />
:<br />
Als einem symbolischen Zeichen kann man sich dem “Schatten” schließlich zuwenden, wenn man damit etwa die eigene Aufmerksamkeit oder die eines anderen absichtlich auf den Sachverhalt lenken möchte, dass die Menschheit mit der in Hiroshima erstmals grauenvoll demonstrierten Fähigkeit, Atombomben über bewohnten Städten explodieren zu lassen, eine gefährliche Grenze überschritten hat. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des reflexiv genutzten Photos===<br />
Eine dritte Bedeutungsebene ergibt sich, wenn wir in Betracht ziehen, dass jedes Bild auch dazu benutzt werden kann, als Zeichen für einen Aspekt des Zeichengebrauchs selbst zu dienen (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung|Bild in reflexiver Verwendung]]). Eben dies ist ja unter anderem in diesem Glossarartikel mit dem Zeichenträger aus Abbildung 4 geschehen. Auch auf dieser Ebene können die drei Arten von ''Objektbezügen'' auftreten: <br />
* Ikonizität als Exemplifikation einer konkreten Eigenschaft des aktuellen Zeichenhandlungs''schemas'': Z.B. kann mithilfe des Bildträgers darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Bedeutungen jeder seiner Zeichenverwendungen ikonische, indexikalische und symolische Aspekte umfasst, indem eben diese Eigenschaft am Exempel demonstriert wird.<br />
* Indexikalität als Verweis auf die gerade im Kontext ablaufende Zeichenhandlungs''instanzen'' und ihre Eigenheiten: So kann sich ein Leser dieses Text-Bild-Ensembles etwa mithilfe des Zeichenträgers aus Abbildung 4 darauf aufmerksam machen, dass die Bedeutungen, die er ihm in verschiedenen Instanziierungen der Zeichenhandlung im Verlauf der Lektüre des umgebenden Textes gibt, sich wandeln und etwa mal mehr, mal weniger ikonisch oder indexikalisch bestimmt sind.<br />
* Symbolhaftigkeit, insofern alle abstrakten Eigenschaften des Zeichenhandlungsschemas, auf die mit der reflexiven Verwendung des Bildträgers verwiesen werden kann, wegen ihrer Abstraktheit konventionell (oder traditionell) etabliert worden sind: Dass eine Bildverwendung Begriffe wie&#8203; »syntaktische Dichte«,&#8203; »genuine Ikonizität«&#8203; oder&#8203; »Ästhetisierung eines Sujets«&#8203; exemplifizieren kann hat stets auch eine regelbezogene Komponente. Das gilt insbesondere für Fälle negativer Exemplifikation, bei denen definitionsgemäß keine ikonischen oder indexikalischen Momente auftreten können. <br />
: <br />
— In jedem konkreten Gebrauch des in Abbildung 4 wiedergegebenen Zeichenträgers können auf den erwähnten drei Zeichenebenen die drei von Peirce inspirierten Objektbezüge in jeweils verschiedenen Ausprägungen und variierenden Kombinationen die effektive Kommunikation semantisch prägen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung von einer einzigen »Bedeutung eines Bildträgers« bestenfalls stark verkürzt und stets abhängig von einer – meist nur implizit – als Standard festgelegten Referenzverwendungsweise, zu der ein Begriff von standardisierten Kommunizierenden mit bestimmtem Hintergrundwissen ebenso wie standardisierte Kommunikationsziele gehören (z.B. ikonische, nicht-reflexive Verwendung). Semiose – bei Peirce als fortlaufende Erzeugung weiterer Interpretanten gedacht, genauer: als Folge (mentaler) Zeichen, die die Bedeutung des ersten Zeichens elaborieren – kann offensichtlich auch noch in einem anderen Sinn verstanden werden: als ein sukzessives Ausarbeiten der verschiedenen Möglichkeiten, einen Zeichenträger als Zeichen zu verwenden.<br />
:<br />
Für die Frage nach der [[Identität bildhafter Zeichen]] verschiebt sich der Fokus von einem am physischen Bildträger orientierten Kriterium zu einem an der jeweiligen Verwendungssituation orientierten Kriterium.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]]<br />
* [[Bedeutung und Referenz]]<br />
* [[Bilderschrift und Piktogramm]]<br />
* [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Digitales Bild]]<br />
* [[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'|Griechisch: ‘agalma’, ‘phantasma’, ‘eidolon’, ‘typos’, ‘eikon’]]<br />
* [[Identität bildhafter Zeichen]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]]<br />
* [["natürliche" Bilder]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Perspektive und Projektion]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Referenz, Denotation, Exemplifikation]]<br />
* [[Sehen]]<br />
* [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie]]<br />
* [[Weltbild, Lebensform]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
* [[Zeigen und Sich-Zeigen]]<br />
<br />
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<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J. ]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Symbol,_Index,_Ikon&diff=20801Symbol, Index, Ikon2013-12-27T14:57:35Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
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==Einteilung der Zeichen bei Peirce ==<br />
[[Datei:Peirce.jpg|thumb|Abbildung 1: Kleine Übersicht über die dreifache Basis-Dreiteilung der Peirceschen Zeichenbegriffe]]<br />
Charles S. Peirce (1839-&#8203;1914) gilt als einer der Grün&shy;dungs&shy;väter der moder&shy;nen Zei&shy;chen&shy;theorie. Auf ihn geht auch eine diffe&shy;renzier&shy;te Eintei&shy;lung der Zeichen&shy;arten zu&shy;rück (Abb. 1), von der zu&shy;min&shy;dest ein Teil sehr weite Ver&shy;breitung gefun&shy;den hat. Grob skizziert unter&shy;scheidet Peirce drei zeichen&shy;rele&shy;vante Ebe&shy;nen, die unge&shy;fähr mit der Eintei&shy;lung in [[Pragmatik, Semantik, Syntax|Pragma&shy;tik, Seman&shy;tik und Syntax]] über&shy;einstim&shy;men. In jeder dieser Ebenen setzt er eine weite&shy;re Dreitei&shy;lung an. Syntak&shy;tisch diffe&shy;renziert er Zeichen in&#8203; »Sinzei&shy;chen«,&#8203; »Le&shy;gi&shy;zeichen«&#8203; und&#8203; »Quali&shy;zei&shy;chen«,&#8203; während&#8203; »The&shy;ma«,&#8203; »Rhema«&#8203; und&#8203; »Dicent«&#8203; pragma&shy;tische&#8203; (wirkungs&shy;bezo&shy;gene) Zei&shy;chen&shy;unter&shy;kate&shy;gori&shy;en bilden.<ref>Vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>; siehe auch: <bib id='Birk et al. 2014a'></bib>.</ref> <br />
:<br />
Es ist vor allem die semantische Ebene, deren Peircesche Dreiteilung unter Semiotikern und Theoretikern benachbarter Disziplinen, wie Sprach&shy;philo&shy;sophie und Kunstgeschichte, machtvoll nachwirkt und nicht zuletzt in seinem Begriff der Ikonizität für die Bildtheorie große Relevanz aufweist.<ref>Ob sich die Bestimmung der entsprechenden Begriffe tatsächlich im rein semantischen Sinn durchführen lässt, oder nicht vielmehr tatsächlich notwendiger Weise pragmatische Aspekte berücksichtigt werden müssen, hängt letztlich an dem Status, den man der Semantik relativ zur Pragmatik zuschreibt. </ref><br />
<br />
==Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung==<br />
Da sie auf die semantische Ebene fokussiert sind, differenzieren die Peirceschen Zeichenkategorien&#8203; »Index«,&#8203; »Ikon«&#8203; und&#8203; »Symbol«&#8203; die Klasse der [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen]] gemäß dem Charakter der Beziehung, die zwischen dem [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichenträger]] und dem damit Bezeichneten besteht (in Abb. 1 als ‘Objektbezug’ charakterisiert). Diese “Objekt”&shy;beziehung gilt als konstitutiv für die Bedeutung, die dem Zeichenträger zugeschrieben wird.<ref>Offen bleibt an dieser Stelle, ob der “Objektbezug” einen Referenten im engeren (extensionalen) Sinn meint (⊳ [[Bedeutung und Referenz]] und [[Nomination]]) bzw. welches Verhältnis zu einem [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbezug]] im engen ([[Proposition|propositionalen]]) Sinn besteht. Vgl. auch <bib id='Schelske 2000a'></bib>.</ref> Genau genommen handelt es sich bei den drei Kategorien um Idealtypen; in konkreten Fällen wirken die zugehörigen Bedeu&shy;tungsre&shy;latio&shy;nen oft auf komplizierte Weise zusammen (vgl. das [[#Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel|ausführliche Beispiel unten]]).<br />
<br />
===Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten===<br />
<br />
Der Peircesche Ausdruck ‘Ikon’ (Plural: ‘Ikone’),<ref>Seltener, und laut Duden auch nicht ganz korrekt, findet sich auch die anglisierte Form ‘Ikons’ als Plural.</ref> der seine altgriechische Wurzel ([[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'#‘Eikon’|εἰκών]], etwa ‘Abbild’) ganz offensichtlich sowohl mit der mittelalterlich-religiösen [[Ikone]] als auch mit dem englischen Leihwort ‘Icon’ des Informationszeitalters (dazu ⊳ [[Bilderschrift und Piktogramm]]) teilt, mit beidem aber nicht verwechselt werden sollte, bezeichnet solche Zeichen, deren Bedeutungs&shy;beziehung sich einer ''[[Ähnlichkeit|Ähnlichkeitsrelation]]'' zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem verdankt (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 64). Dies trifft unter anderem auf [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]] (Spiegelbild) wie “normale” abbildende Bilder (Phantomskizze),<ref>Da die gezeichnete Person durchaus fiktiv sein kann, deutet das Beispiel&#8203; »Phantombild«&#8203; zugleich an, dass es sich auch um eine nur intentionale Abbildlichkeit handeln kann.</ref> auf “Foleys” (von einem Geräuschespezialisten für Hörspiel, [[Film]] oder Computerspiel erzeugte “Geräuschattrappen”) und synthetische Gerüche (künstliches Erdbeeraroma), sowie im sprachlichen Bereich auf onomatopoetische Wörter (‘Kuckuck’), form-ikonische Ausdrücke (‘T-Träger’) und – in gewisser Weise – auf [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|Metaphern]] (“Sprachbilder”) zu.<br />
:<br />
[[Datei:Aehnlichkeitstheorien1.png|thumb|Abbildung 2: Skizze zu verschiedenen Ähnlich&shy;keitskonzep&shy;tionen: (a) “Selbst&shy;ähnlich&shy;keit” als Exempli&shy;fikation (''genuines Ikon'' bei Peirce: ‹Hirsch exempli&shy;fiziert Geweih&shy;förmig&shy;keit›); (b) onto&shy;logischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (c) episte&shy;mischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (d) handlungs&shy;theore&shy;tischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff]]<br />
Tatsäch&shy;lich liegen bei Peirce ''echte'' (''genu&shy;ine'') Iko&shy;ne nur dann vor, wenn man eine Eigen&shy;schaft eines (als Zeichen&shy;trä&shy;ger) wahrge&shy;nomme&shy;nen Gegen&shy;stands dazu benutzt, sich (oder einen ande&shy;ren) auf eben diese Eigen&shy;schaft aufmerk&shy;sam zu machen – wenn also, in Good&shy;mans Begriff&shy;lichkeit, eine [[Referenz, Denotation, Exemplifikation|Ex&shy;em&shy;pli&shy;fi&shy;ka&shy;ti&shy;on]] vor&shy;liegt.<ref>Genau aus diesem Grund gelten genuine Ikone Peirce auch als die einfachste der in Zeichen vorkommenden Gegenstands&shy;beziehungen: Im Gegensatz zu den beiden anderen Klassen richtet sich der Blick bei genuinen Ikonen nämlich nur auf ''einen'' Gegenstand (der “Eigenschafts&shy;träger”), da Zeichenträger und Bezeichnetes in gewisser Weise zusammenfallen. Diese Identität lässt ihn andererseits aber auch von einem degenerierten Zeichen sprechen.</ref> Zei&shy;chen, bei denen wegen geteil&shy;ter Eigen&shy;schaften ein Gegen&shy;stand auf einen ''ande&shy;ren Gegen&shy;stand'' verweist, bezeich&shy;net Peirce genau&shy;er als ‘Hypo&shy;iko&shy;ne’ (auch ‘dege&shy;nerier&shy;te Iko&shy;ne’ <bib id='Peirce 1998a<br />
'></bib>, §276). Doch hat sich genau diese abge&shy;leite&shy;te Charak&shy;teri&shy;sierung für den in der Semiotik zumeist verwen&shy;deten Begriff&#8203; »Ikon«&#8203; durchge&shy;setzt. Offen bleibt dabei zunächst, welche Konzep&shy;tion eigent&shy;lich von&#8203; »Ähnlich&shy;keit«&#8203; zu verwen&shy;den ist. Geht man von einem “onto&shy;logisch” gefass&shy;ten Ähnlich&shy;keits&shy;begriff aus, so stellt die Ähnlich&shy;keits&shy;bezie&shy;hung eine “an sich” bestehende Rela&shy;tion zwischen zwei Gegen&shy;ständen dar, die nicht von spezi&shy;fischen Wahrneh&shy;mungs- und Er&shy;kenntnis&shy;fähig&shy;keiten eines über Ähnlich&shy;keit Urtei&shy;lenden abhängt. Ein “epis&shy;temisch” gefass&shy;ter Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff würde hinge&shy;gen auf das zurück&shy;greifen, was einem bestimm&shy;ten Betrach&shy;ter<ref>Der Ausdruck ‘Betrachter’ ist hier natürlich recht weit gefasst, da er nicht auf die visuelle Sinnesmodalität eingeschränkt verwendet wird.</ref> als ähnlich ''erscheint''. Nur insofern sich ein Teil der (als objektiv oder subjektiv gefassten) “Eigenschafts&shy;struktur” eines Dings in der Eigenschafts&shy;struktur eines anderen Dings spiegelt, kann dieses als ikonisches Zeichen für jenes verwendet werden – und umgekehrt.<ref>Technisch wird oft von einer partiellen [[Isomorphie]] – einer teilweisen Strukturgleichheit – gesprochen. Da dieser Typ von Ähnlichkeitsbeziehung offensichtlich reflexiv ist, folgt dasselbe für die Ikonizität: Wenn ''X'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''Y'' ist, dann ist auch ''Y'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''X''.</ref> Bei einem “behavioristischen” (genauer: [[Exkurs:Handlungen|handlungstheoretischen]]) Ähnlichkeitsbegriff verschiebt sich der Fokus darauf, dass ein Beobachter beurteilt, ob ein beobachtetes Wesen in seinem Verhalten Anlass zu der Behauptung gibt, etwas als etwas anderem ähnlich erkannt zu haben.<ref>Diese um eine Ebene zurückverlegte Betrachtung erlaubt eine “Symmetrie-Brechung”, denn aus dem Vorliegen solcher Gründe, die ''B'' dafür vorbringt, dass ''W'' ''X'' für ''Y'' ähnlich hält, folgt eben keineswegs, dass ''B'' auch Gründe in ''W''’s Verhalten dafür findet, dass ''W'' ''Y'' für ''X'' ähnlich hält.</ref> Diese Ansätze tragen dem Sachverhalt Rechnung, dass introspektive Begründungen für Ähnlichkeitszuschreibungen alleine nicht ausreichen, um über Ikonizität intersujektiv Einigkeit zu erreichen (vgl. <bib id='Schirra & Sachs-Hombach 2013a'></bib>).<br />
:<br />
Im Prinzip genügt jeweils bereits ''eine einzige'' (objektive bzw. subjektive) Eigenschaft, die – neben beliebig vielen differierenden – von den betrachteten Gegenständen geteilt wird, um die Ikonizität einer Zeichenbeziehung zwischen jenen zu gewährleisten. Je größer die Ähnlichkeit, desto stärker ist die Ikonizität, wenn der eine Gegenstand als Zeichen für den anderen betrachtet wird. Probleme ergeben sich hingegen, wenn ''alle'' Eigenschaften übereinstimmen: Als im engen Sinne&#8203; »ähnlich«&#8203; werden üblicherweise zwei Gegenstände nur dann betrachtet, wenn es mindestens auch eine Eigenschaft gibt, in der sie sich nicht gleichen.<ref>Ob jeder Gegenstand als sich selbst ähnlich verstanden werden sollte, ob der Begriff&#8203; »Ähnlichkeit«&#8203; also als Begriff einer reflexiven zweistelligen Relation angesetzt werden sollte, ist umstritten (vgl. etwa <bib id='Goodman 1970a'></bib>). Weitgehende Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass ein Zeichenträger nur dann Zeichenfunktion erfüllen kann, wenn er nicht mit dem Gegenstand, auf den er verweist, identisch ist (vgl. bereits <bib id='Platon 1922a'></bib>: 432a-c). Allerdings lässt sich der Unterschied zwischen tierischer Gegenstands&shy;wahrnehmung und menschlicher Gegenstands&shy;wahrnehmung (u.a. bei bei handlungstheoretischer Betrachtung) auch darauf zurückführen, dass bei letzterer prinzipiell und daher unabtrennbar eine reflektierende Distanz zum Wahrnehmen tritt: Das menschliche Gegenstands&shy;sehen ist immer ein »sich selbst zu sehen geben« (wobei der dabei in der Erläuterung verwendete Ausdruck ‘Sehen’ auf die tierische, d.h. nicht reflektierte Version bezogen bleibt; ⊳ [[Sehen]]; vgl. auch [[Sortale Gegenstände und Individuation]] und [[Dezeptiver und immersiver Modus]]). In der Folge ist dann die Rede davon, dass Menschen sehen, indem sie sich – sich selbst gegenüber – als Sehende darstellen.</ref><br />
<br />
===Indexikalität und raumzeitliche Zu&shy;sammen&shy;hänge===<br />
<br />
Von einem ‘Index’ (Plural ‘Indizes’) spricht Peirce bei einem Zeichen, dessen Träger aufgrund seines ''raumzeitlichen'' und insbesondere ''kausalen'' Zusammenhangs mit dem Bezeichneten als Zeichen für letzteres verwendet wird (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65): wenn also beispielsweise Rauch das Zeichen für Feuer oder rote Hautflecken das Zeichen für (eine Infektion mit) Masern bilden. Alles was in den entsprechenden Naturwissenschaften von Physik bis Medizin als Auswirkung, Anzeichen oder Symptom für ein Phänomen ''X'' gilt, stellt mithin auch einen Peirceschen Index für ''X'' dar.<ref>Vgl. auch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#cite_note-7|Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem: Anmerkung 8]]. — Da Symptome nicht kriterial (also weder hinreichend noch notwendig) für das, was sie anzeigen (können), sind – Rauch kann auch ohne Feuer auftreten (und Feuer ohne Rauch), so wie rote Hautflecken ohne Maserninfektion (und Maserninfektionen ohne das Ausbilden von roten Hautflecken) möglich sind – kann der Index-Charakter eines Zeichens recht labil sein.</ref> Genau genommen verweist ein indexikalisches Zeichen daher weniger auf einen anderen Gegenstand als vielmehr auf die ''Anwesenheit'' eines anderen Gegenstands in direkter Nähe zum Zeichenträger. Das unterscheidet Indizes deutlich von den beiden anderen Zeichenarten, die eher dazu verwendet werden, Abwesendes zu bezeichnen.<ref>Wie oben erwähnt stellen nur genuine Ikone im Peirceschen Sinn eine Ausnahme davon dar.</ref> Was genau als »Nähe zum Zeichenträger« zu verstehen ist kann dabei allerdings von verschiedenen Faktoren abhängen. Bei einer Spur etwa kann die zeitliche Koinzidenz mehr oder weniger stark in die Vergangenheit ausgedehnt sein: Der die Spur erzeugende Hase beispielsweise mag längst über alle Berge sein, wenn der Jäger sie als indexikalisches Zeichen für den Hasen (oder genauer seine Anwesenheit) nutzt. Kausalketten können zu einer fast beliebig großen räumlichen Ausdehnung der Nähe-Region beitragen. Wesentlich ist für Indexikalität, dass der Bereich, den der Zeichennutzer als (erweitertes) “Hier und Jetzt” betrachtet, neben dem Zeichenträger stets auch das Bezeichnete enthält, so dass man gewissermaßen auch mit dem Finger darauf deuten könnte.<ref>Wegen dieser Besonderheit spielen Indizes in Taufsituationen, wie sie zur Einführung von [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|symbolischen Zeichen]] verwendet werden, eine wichtige Rolle. — Die Bezeichnung ‘Index’ leitet sich vom lateinischen Wort für Zeigefinger ab.</ref><br />
:<br />
Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Indexikalität nicht notwendig von einer natürlichen Beziehung zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem ausgeht: Auch das Ortseingangsschild am Rand einer Stadt steht in direkter, wenn auch absichtlich erzeugter raumzeitlicher Beziehung zu dem Bezeichneten (eben dem Rand jener Stadt). Gleiches gilt für das auf dieser Glossarseite links oben gezeigte Logo (das markiert: ›dies ist eine Seite des Glossars der Bildphilosophie‹), die farblichen Markierungen, die in diesem Glossartext anzeigen, an welchen Stellen durch Mausklick eine andere Seite erreicht werden kann, oder auch generell Pfeile und Zeiger. Nicht alle Indizes sind mithin auch Symptome im engen (physikalisch-kausalen) Sinn, oder, wie es dann auch heißt: ‘''natürliche'' Indizes’. Im Gegensatz zu den natürlichen ist die raumzeitliche Beziehung, die zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem vermittelt, bei den ''künstlichen'' Indizes mit Absicht erzeugt – Intentionalität ersetzt also in diesen Fällen Kausalität.<ref>Die intentionsbasierten Indizes stehen in enger Verbindung zum Begriff des [[Zeigen und Sich-Zeigen|Zeigens]], d.h. der Deixis (›jemand zeigt jemandem etwas‹), während die kausalen Indizes höchstens als einfache Fälle von&#8203; »[[Zeigen und Sich-Zeigen|Sich-Zeigen]]«&#8203; (›etwas zeigt sich‹) begriffen werden können.</ref> Gleichwohl besteht die semantische Pointe auch bei dieser Unterklasse darin, dass allein die raumzeitliche Nähe bereits die Bedeutung des Zeichens bei der Verwendung zu induzieren scheint. <br />
:<br />
Sprachliche Ausdrücke, wie insbesondere ‘hier’ und ‘jetzt’, aber auch ‘ich’, ‘wir’, ‘du’, ‘ihr’ hängen in ihrer jeweiligen Bedeutung ebenfalls stark ab vom [[Kontext]] ihrer Verwendung: Die raumzeitliche Beziehung zu Ort und Zeit ihrer Äußerung bestimmt, welcher Ort mit ‘hier’, welche Person mit ‘du’ gemeint ist. Gleiches gilt natürlich auch für ‘içi’ oder ‘here’, für ‘tu’ oder ‘you’ – um nur zwei andere europäische Sprachen als Beispiele zu bemühen. Neben aller Konventionalität, die diese Art von Ausdrücken eigentlich zu [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|Symbolen]] im Sinne von Peirce werden lässt, bleibt ihnen ein Moment an Indexikalität wesentlich, weshalb man auch von ‘indexikalischen Ausdrücken’ spricht.<br />
:<br />
Einen weiteren Sonderfall indexikalischer Zeichen stellen [[Fotografie|Photographien]] (und die Produkte verwandter technischer Bildgebungsverfahren) dar: Offenkundig beruhen die hier betrachteten Produktionsverfahren für Zeichenträger darauf, dass eine mehr oder weniger lange, aber durchgehende Kette streng kausaler, physikalisch-chemischer Schritte den Zeichenträger automatisch aus dem Bezeichneten (‘Abgebildeten’) ableiten.<ref>Vgl. hierzu auch die Diskussion im Glossarbeitrag&#8203; «[[Digitales Bild#Zu a. (Nicht-)Indexikalität|Digitales Bild]]»&#8203; zu deren (Nicht-)&#8203;Indexikalität.</ref> Obwohl als Bilder eigentlich den [[#Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten|ikonischen]] Zeichen zuzuordnen, schwingt zumindest bei dieser Untermenge auch Indexikalität in ihrem Begriff mit.<ref>Eine analoge Argumentation gilt für “Tonkonserven”: Auch diese beinhalten offensichtlich stets sowohl ikonische als auch indexikalische Momente. </ref><br />
<br />
===Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen===<br />
Ikone gleichen Indizes in einer wichtigen Hinsicht, in der die dritte semantische Zeichenkategorie von Peirce abweicht: Wegen des direkt erkennbaren Zusammenhangs zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem scheint die Bedeutung des Zeichens nicht erst durch einen geeigneten Taufakt etabliert werden zu müssen. Indizes und Ikone funktionieren ohne vorangehende Festlegung einer entsprechenden Bedeutungskonvention. Das gilt für viele der von uns im Alltag verwendeten Zeichengebräuche keineswegs, wie jeder leicht selbst feststellen kann, wenn er eine fremde Sprache erlernen will. Zeichen, deren Bedeutungsbeziehung mithilfe einer Konvention festgelegt werden müssen, nennt Peirce ‘Symbole’ (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65ff.).<ref>Das Wort geht auf das griechiche ‘συμβάλλω’ zurück (symbállō – zusammenfügen).</ref><br />
:<br />
[[Datei:Symbol und Zeichen2.png|thumb|Abbildung 3: Skizze zum Problem um die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’]]<br />
Dieser Wortgebrauch differiert deutlich von einer anderen, vor allem im deutschsprachigen Raum verbreiteten (auch von Saussure benutzten) Kon&shy;ven&shy;tion, die dem ‘Zeichen’ das ‘Symbol’ gegenüberstellt, wobei ‘Symbol’ in diesem Sinn häufig synonym zu ‘Sinnbild’ ge&shy;braucht wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Anmerkungen zu ‘Sinnbild’ im Artikel&#8203; «[[Emblem]]». Eine grobe Übersicht findet sich unter [http://de.wikipedia.org/wiki/Symbol Wikipedia: Symbol]. </ref> Markiert man die unterschiedlichen Wortgebräuche mit den Indizes ‘''D''’ (deutsch) und ‘''P''’ (Peirce), so ergibt sich (Abb. 3):&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; sind gerade keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; eine Unterart von&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind; des weiteren entsprechen&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; weitgehend&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; in etwa den Peirceschen&#8203; »Iko&shy;nen«&#8203; entsprechen, also zwar keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; wohl aber&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind.<ref>Da zudem der wesentliche Unterschied zwischen »Zeichen<sub>''D''</sub>«&#8203; und »Symbolen<sub>''D''</sub>«&#8203; darin besteht, dass die Bedeutungsrelation bei ersteren als rein willkürlich, bei letzteren hingegen als aus dem Symbolisierten natürlich erwachsende Relation verstanden wird, schließen sich beide wechselseitig aus. Die Peirceschen Begriffsumfänge überlappen sich hingegen.</ref> Es empfiehlt sich daher, – besonders in der bildwissenschaftlichen Dikussion – sehr genau darauf zu achten, in welcher Bedeutung die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’ jeweils verwendet werden.<ref>Vor diesem Hintergrund mag jemand, der Bilder als (ikonische)&#8203; »Zeichen<sub>''P''</sub>«&#8203; betrachtet, schnell in ein Wortgefecht über die Zeichenhaftigkeit von Bildern geraten mit jemandem, der Bilder als&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; versteht.</ref><br />
:<br />
Eine konventionelle Bedeutungszuschreibung liegt im Übrigen nicht nur dann vor, wenn eine Regel, auf die man sich im Zweifelsfall berufen kann, ausdrücklich festgelegt wird (Taufakt im weiten Sinn). Es kann sich auch um historisch gewachsene Gewohnheiten oder stillschweigende (implizite) Übereinkünfte handeln, wie sie bei den meisten Zeichen der “natürlichen” Sprachen, etwa den Wörtern und Sätzen des Deutschen, vorliegen. Hier existieren keine vorweisbaren Situationen mit entsprechenden bedeutungs&shy;stiftenden Akten, auf die man beim Verdacht einer falschen Verwendungsweise des symbolischen Zeichens verweisen könnte. Zudem wirken in aller Regel die sozialen Mecha&shy;nismen, die zur Bildung der Tradition beitragen haben, immer weiter, weswegen sich die Tradi&shy;tionen konti&shy;nuierlich “unter der Hand” ändern&#8203; (»Sprachwandel«).&#8203; Im Gegensatz zu den tradierten Bedeutungskonventionen können ausdrück&shy;lich verein&shy;barte Zeichen&shy;bedeu&shy;tungen hingegen nur wieder durch weitere ausdrück&shy;liche Verein&shy;barungen der betroffenen Zeichen&shy;nutzer verändert werden.<ref>Als Alternative bleibt allerdings eine Entwicklung von der explizit vereinbarten Konvention zu einer die ursprüngliche “Taufsituation” vergessenden und im Weiteren als rein tradierte Konvention verstandenen Bedeutungs&shy;relation möglich. </ref><br />
:<br />
Obwohl verwandt sollten die Begriffe&#8203; »Konven&shy;tion«&#8203; und&#8203; »Will&shy;kür&shy;lich&shy;keit«&#8203; (auch&#8203; »Arbi&shy;trari&shy;tät«)&#8203; in diesem Zusam&shy;menhang nicht mitein&shy;ander verwech&shy;selt werden: Auch tradierte Konven&shy;tionen sind in der Regel auf die eine oder andere Weise motiviert und nicht rein willkürlich.<ref>Ein Beispiel für derartige Motivationen ist im [[Exkurs: Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen|Exkurs:Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen]] dargestellt.</ref> Und selbst die an sich frei verfügbaren Assoziationsmöglichkeiten werden bei explizit vereinbarten Konventionen aus guten (etwa mnemotechnischen) Gründen kaum je wirklich ausgeschöpft. Historisch bildete zwar die Frage nach der Willkürlichkeit der Bedeutungsbeziehung in Gestalt der ''phýsei/thései''-Debatte in der griechischen Antike den wesentlichen Ausgangspunkt für die sukkzessive Differenzierung möglicher Objektrelationen bis hin zu Peirce (und darüber hinaus). Doch ergab sich im Verlauf dieser begrifflichen Entfaltung, dass es weniger um die Frage nach einer natürlich (sprich: unabhängig von Zeichenverwendern) bestehenden Beziehung zwischen Zeichen(träger) und Bezeichnetem geht, als vielmehr um verschiedene Möglichkeiten, Aspekte eines als Zeichenträger verwendeten Objekts in das komplexe Geschehen von Zeichenhandlungen zu integrieren (vgl. <bib id='Trabant 1996a'></bib>, Abschn. II.4).<ref>In engem Zusammenhang zur “Willkürlichkeit” von Zeichenträgern für die zugehörigen Bedeutungen steht zudem die Diskussion um die Möglichkeit einer Rückwirkung des Zeichenträgers auf das Verständnis dessen, was dieser Ausdruck bedeutet: Unter der Bezeichnung ‘Prinzip der sprachlichen Relativität’ (auch: ‘Sapir-Whorf-Hypothese’; vgl. [http://de.m.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-Hypothese Wikipedia: Sapir-Whorf-Hypothese] wird die Vorstellung diskutiert, dass die “Weltsicht”, das “Weltbild” einer Sprach- (oder allgemeiner: Zeichen-)gemeinschaft entscheidend durch die von ihren Mitgliedern verwendeten Sprachzeichen bestimmt wird; ⊳ [[Weltbild, Lebensform]] & [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]].</ref> <br />
:<br />
Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die [[Perspektive und Projektion|Perspektive]] als einer symbolischen Form<ref>Cassirer bezeichnet mit dem Ausdruck ‘symbolische Form’ „jede Energie des Geistes [...], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“ (<bib id='Cassirer 2009a'></bib>, S. 67). Der Ausdruck ‘Zeichen’ wird dabei offensichtlich im Sinn von ‘Zeichenträger’ verwendet und ‘Symbol’ (als dritte hier erwähnte Bedeutungsvariante dieses Ausdrucks) analog zu ‘Zeichen<sub><small>''P''</small></sub>’ (s.o.).</ref> “sehen” (vgl. <bib id='Panofsky 1924a'></bib>). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende [[Sehen]] genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. <bib id='Cassirer 1930a'></bib>).<br />
<br><br />
<br />
==Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel==<br />
<br />
:''Nach diesen Prämissen sind Bilder häufig als der Prototyp des ikonischen Zeichens interpretiert und gelegentlich sogar mit dem Ikon überhaupt verwechselt worden [...] Es gibt aber Bilder, die in größerem Maße ikonisch, solche, die eher indexikalisch, und andere, die überwiegend symbolisch sind. Das Kriterium des Anteils an ikonischen, indexikalischen und symbolischen Elementen erlaubt es, in der Kulturgeschichte des Bildes drei Prototypen zu bestimmen. Prototyp des ikonischen Bildes ist danach nicht die gegenständliche, sondern vielmehr die nichtgegenständliche, die abstrakte Malerei. Prototyp des indexikalischen Bildes sind ebenso die Photographie wie die gegenständliche Malerei, und Prototyp des symbolischen Bildes ist die [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonologisch]] beziehungsweise [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonographisch]] kodifizierte Malerei.'' (<bib id='Nöth 2009'></bib>, S. 243f.) <br />
:<br />
Aus bildwissenschaftlicher Perspektive spielen Ikonizität (insofern »Bild« und »Ähnlichkeit« zusammenhängen) und Indexikalität (vor allem bei den kausalen Bildgebungsverfahren) die grössere, aber keineswegs die alleinige Rolle. Auch bei Bilverwendungen treten zahlreiche symbolische Aspekte auf. Nöths Zuordnung der ikonischen Prototypikalität mit der [[Semantik ungegenständlicher Bilder|nichtgegenständlichen Malerei]] in obigem Zitat mag zunächst verwundern, ist aber dem Umstand geschuldet, dass er die beiden Pole der Assoziation auf je spezielle Weise interpretiert: Mit solchen Bildträgern würde erstens nämlich nur auf eine Eigenschaft des jeweiligen Bildträgers verwiesen, was zweitens eben genau dem ursprünglichen Peirceschen ''genuinen'' Ikon entspricht. Allerdings sind einerseits andere Interpretationen des Phänomens ungegenständlicher Bilder möglich (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung#Zusammenhänge mit anderen Begriffen|Bild in reflexiver Verwendung, Abschnitt «Zusammenhänge mit anderen Begriffen»]]), und andererseits eine weiter gefasste Verwendungsweise von ‘Ikon’ bildphilosophisch durchaus üblicher. In der Praxis dürften prototypische Fälle von Ikonizität, Indexikalität oder Symbolhaftigkeit in der Tat weder bei Bildern noch auch bei anderen Zeichentypen häufig auftreten. Mischformen dominieren unseren Bild(Zeichen)gebrauch.<br />
:<br />
[[Datei:Hiroshima.jpg|thumb|Abbildung 4: Ein Schatten in Hiroshima — 6. August 1945, 8:15]]<br />
Die Anwendung der drei Aspek&shy;te auf ein konkretes Beispiel mag besser verdeut&shy;lichen, wie vielfäl&shy;tig die seman&shy;tischen Re&shy;la&shy;tio&shy;nen letztendlich für einen einzigen Bildträger zusam&shy;menwir&shy;ken: Abbil&shy;dung 4 gibt das Schwarz-&#8203;Weiß-&#8203;Photo eines unbe&shy;kannten Photo&shy;graphen wieder, das vermut&shy;lich in den letzten Tagen des Jahres 1945 aufge&shy;nommen wurde und im ''Hiro&shy;shima Peace Memo&shy;rial Museum'' aufbe&shy;wahrt wird. Zu sehen sind zwei Stufen einer steiner&shy;nen Treppe, die zum Eingang des Gebäu&shy;des der Sumi&shy;tomo-&#8203;Bank im Zentrum der japa&shy;nischen Stadt Hiro&shy;shima führt, sowie ein kleiner Ausschnitt der Wand des Gebäudes. Auf den Treppen&shy;stufen zeichnen sich schwärzli&shy;che Spuren im perspek&shy;tivisch verzerr&shy;ten Umriß eines menschli&shy;chen Körpers ab. Es wird angenommen, dass sie entstanden sind, als am 6. August 1945 um 8 Uhr 15 eine Atombombe die Stadt zerstörte und Druck, Hitze und Strahlung die verglühenden Überreste einer Person, die zufällig zu diesem Zeitpunkt vor dem Gebäude auf den Stufen stand, in den Stein eingebrannt haben. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit der Beispiel&shy;photographie===<br />
Wegen der längeren, aber durchweg kausalen Kette von optischen, photochemischen und digitaltechnischen Transformationen, die den hier betrachteten Zeichenträger mit der Aufnahmesituation in Hiroshima zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz nach der Bombenexplosion verbinden, hat das damit verwendete Zeichen offensichtlich Index-Charakter. Da zudem eine visuelle Ähnlichkeit zu den tatsächlichen Treppenstufen in Japan besteht, ist auch ein deutlicher ikonischer Anteil gegeben. Symbolhaftigkeit tritt hinzu, weil die Signifikanz dieses Bildes erst klar werden kann, wenn man es in seinen historischen Kontext einordnen kann: Zwar ist – ikonisch – eine Art menschlicher Schatten zu sehen, der – indexikalisch – als Teil einer real in Raum und Zeit existierenden (d.h. mit dem ''Hier und Jetzt'' der Rezeptionssituation kausal verbundenen) Szene verstanden wird, doch dass diese Photographie etwa auch als Zeichen für die schreckliche Gewalt einer Atombombenexplosion über bewohntem Gebiet dienen mag, erschließt sich nur in einem durch Konventionen etablierten Verständnisrahmen.<br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des abgebildeten “Schattens”===<br />
Tatsächlich lassen sich Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeiten in diesem Beispiel (wie übrigens bei fast allen Bildern) auch noch auf einer zweiten Ebene anwenden: Denn auch der “Schatten” selbst wird in der Regel ja zeichenhaft gelesen. Als Symptom der ihn verursachenden Explosion kann er als Index für alle der in der zu ihm führenden Kausalkette enthaltenen Faktoren verwendet werden: Dominant in dieser Hinsicht sind sicherlich die Person, die in jenem verhängnisvollen Augenblick an jener Stelle stand, die Strahlungen, die in jenem Moment den Schatten in den Stein brannten, sowie das Ereignis, das die Strahlung ausgelöst hat: die Explosion von «Little Boy».<ref>Wegen der Transitivität der Kausalbeziehung “verlängert” die Photographie als Index die bereits signifikanten Kausalketten der abgebildeten Szene sozusagen bis zum Betrachter.</ref> Voraussetzung für eine solche indexikalische Zeichenverwendung mit einer dieser Bedeutungen ist die Einbettung des “Schattens” in eine [[Interaktion und Kommunikation|kommunikative Interaktion]] (inklusive Selbstdarstellung des Senders) mit bewusster Kontrolle des kommunikativen Zwecks der Handlung (Reflexivierung inklusive Antizipation des Kommunikationspartners; ⊳ [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]). Diese Bedingung ist auch erfüllt, wenn sich jemand selbst vor Ort mithilfe des “Schattens” auf die entsprechende Ursache aufmerksam macht. <br />
:<br />
Insofern der “Schatten” eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem Menschen hat, kann er zudem als ein ikonisches Zeichen für jenen stehen. Auch hier ist die Einbettung in den komplexen Handlungszusammenhang einer Zeichenverwendung Voraussetzung. Analog zur Verlängerung der indexikalischen Aspekte des Dargestellten durch die Indexikalität der Darstellung “verlängert” die Ikonizität des Bildes die ikonischen Aspekte des im Bild Dargestellten.<ref>Diese Transitivität ist allerdings weniger deutlich ausgeprägt als bei der Kausalität: Wenn ''A'' ähnlich zu ''B'' ist, ''B'' ähnlich zu ''C'' und schließlich ''C'' ähnlich zu ''D'', folgt bekanntlich keineswegs zwingend, dass ''A'' auch ähnlich zu ''D'' ist – mit entsprechenden Konsequenzen für die Ikonizität entsprechender Darstellungsbeziehungen (etwa: die Kopie einer Kopie einer Kopie eines Bildes). </ref><br />
:<br />
Als einem symbolischen Zeichen kann man sich dem “Schatten” schließlich zuwenden, wenn man damit etwa die eigene Aufmerksamkeit oder die eines anderen absichtlich auf den Sachverhalt lenken möchte, dass die Menschheit mit der in Hiroshima erstmals grauenvoll demonstrierten Fähigkeit, Atombomben über bewohnten Städten explodieren zu lassen, eine gefährliche Grenze überschritten hat. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des reflexiv genutzten Photos===<br />
Eine dritte Bedeutungsebene ergibt sich, wenn wir in Betracht ziehen, dass jedes Bild auch dazu benutzt werden kann, als Zeichen für einen Aspekt des Zeichengebrauchs selbst zu dienen (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung|Bild in reflexiver Verwendung]]). Eben dies ist ja unter anderem in diesem Glossarartikel mit dem Zeichenträger aus Abbildung 4 geschehen. Auch auf dieser Ebene können die drei Arten von ''Objektbezügen'' auftreten: <br />
* Ikonizität als Exemplifikation einer konkreten Eigenschaft des aktuellen Zeichenhandlungs''schemas'': Z.B. kann mithilfe des Bildträgers darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Bedeutungen jeder seiner Zeichenverwendungen ikonische, indexikalische und symolische Aspekte umfasst, indem eben diese Eigenschaft am Exempel demonstriert wird.<br />
* Indexikalität als Verweis auf die gerade im Kontext ablaufende Zeichenhandlungs''instanzen'' und ihre Eigenheiten: So kann sich ein Leser dieses Text-Bild-Ensembles etwa mithilfe des Zeichenträgers aus Abbildung 4 darauf aufmerksam machen, dass die Bedeutungen, die er ihm in verschiedenen Instanziierungen der Zeichenhandlung im Verlauf der Lektüre des umgebenden Textes gibt, sich wandeln und etwa mal mehr, mal weniger ikonisch oder indexikalisch bestimmt sind.<br />
* Symbolhaftigkeit, insofern alle abstrakten Eigenschaften des Zeichenhandlungsschemas, auf die mit der reflexiven Verwendung des Bildträgers verwiesen werden kann, wegen ihrer Abstraktheit konventionell (oder traditionell) etabliert worden sind: Dass eine Bildverwendung Begriffe wie&#8203; »syntaktische Dichte«,&#8203; »genuine Ikonizität«&#8203; oder&#8203; »Ästhetisierung eines Sujets«&#8203; exemplifizieren kann hat stets auch eine regelbezogene Komponente. Das gilt insbesondere für Fälle negativer Exemplifikation, bei denen definitionsgemäß keine ikonischen oder indexikalischen Momente auftreten können. <br />
: <br />
— In jedem konkreten Gebrauch des in Abbildung 4 wiedergegebenen Zeichenträgers können auf den erwähnten drei Zeichenebenen die drei von Peirce inspirierten Objektbezüge in jeweils verschiedenen Ausprägungen und variierenden Kombinationen die effektive Kommunikation semantisch prägen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung von einer einzigen »Bedeutung eines Bildträgers« bestenfalls stark verkürzt und stets abhängig von einer – meist nur implizit – als Standard festgelegten Referenzverwendungsweise, zu der ein Begriff von standardisierten Kommunizierenden mit bestimmtem Hintergrundwissen ebenso wie standardisierte Kommunikationsziele gehören (z.B. ikonische, nicht-reflexive Verwendung). Semiose – bei Peirce als fortlaufende Erzeugung weiterer Interpretanten gedacht, genauer: als Folge (mentaler) Zeichen, die die Bedeutung des ersten Zeichens elaborieren – kann offensichtlich auch noch in einem anderen Sinn verstanden werden: als ein sukzessives Ausarbeiten der verschiedenen Möglichkeiten, einen Zeichenträger als Zeichen zu verwenden.<br />
:<br />
Für die Frage nach der [[Identität bildhafter Zeichen]] verschiebt sich der Fokus von einem am physischen Bildträger orientierten Kriterium zu einem an der jeweiligen Verwendungssituation orientierten Kriterium.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]]<br />
* [[Bedeutung und Referenz]]<br />
* [[Bilderschrift und Piktogramm]]<br />
* [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Digitales Bild]]<br />
* [[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'|Griechisch: ‘agalma’, ‘phantasma’, ‘eidolon’, ‘typos’, ‘eikon’]]<br />
* [[Identität bildhafter Zeichen]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]]<br />
* [["natürliche" Bilder]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Perspektive und Projektion]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Referenz, Denotation, Exemplifikation]]<br />
* [[Sehen]]<br />
* [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie]]<br />
* [[Weltbild, Lebensform]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
* [[Zeigen und Sich-Zeigen]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J. ]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Symbol,_Index,_Ikon&diff=20799Symbol, Index, Ikon2013-12-27T14:57:05Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einteilung der Zeichen bei Peirce ==<br />
[[Datei:Peirce.jpg|thumb|Abbildung 1: Kleine Übersicht über die dreifache Basis-Dreiteilung der Peirceschen Zeichenbegriffe]]<br />
Charles S. Peirce (1839-&#8203;1914) gilt als einer der Grün&shy;dungs&shy;väter der moder&shy;nen Zei&shy;chen&shy;theorie. Auf ihn geht auch eine diffe&shy;renzier&shy;te Eintei&shy;lung der Zeichen&shy;arten zu&shy;rück (Abb. 1), von der zu&shy;min&shy;dest ein Teil sehr weite Ver&shy;breitung gefun&shy;den hat. Grob skizziert unter&shy;scheidet Peirce drei zeichen&shy;rele&shy;vante Ebe&shy;nen, die unge&shy;fähr mit der Eintei&shy;lung in [[Pragmatik, Semantik, Syntax|Pragma&shy;tik, Seman&shy;tik und Syntax]] über&shy;einstim&shy;men. In jeder dieser Ebenen setzt er eine weite&shy;re Dreitei&shy;lung an. Syntak&shy;tisch diffe&shy;renziert er Zeichen in&#8203; »Sinzei&shy;chen«,&#8203; »Le&shy;gi&shy;zeichen«&#8203; und&#8203; »Quali&shy;zei&shy;chen«,&#8203; während&#8203; »The&shy;ma«,&#8203; »Rhema«&#8203; und&#8203; »Dicent«&#8203; pragma&shy;tische&#8203; (wirkungs&shy;bezo&shy;gene) Zei&shy;chen&shy;unter&shy;kate&shy;gori&shy;en bilden.<ref>Vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>; siehe auch: <bib id='Birk et al. 2014a'></bib>.</ref> <br />
:<br />
Es ist vor allem die semantische Ebene, deren Peircesche Dreiteilung unter Semiotikern und Theoretikern benachbarter Disziplinen, wie Sprach&shy;philo&shy;sophie und Kunstgeschichte, machtvoll nachwirkt und nicht zuletzt in seinem Begriff der Ikonizität für die Bildtheorie große Relevanz aufweist.<ref>Ob sich die Bestimmung der entsprechenden Begriffe tatsächlich im rein semantischen Sinn durchführen lässt, oder nicht vielmehr tatsächlich notwendiger Weise pragmatische Aspekte berücksichtigt werden müssen, hängt letztlich an dem Status, den man der Semantik relativ zur Pragmatik zuschreibt. </ref><br />
<br />
==Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung==<br />
Da sie auf die semantische Ebene fokussiert sind, differenzieren die Peirceschen Zeichenkategorien&#8203; »Index«,&#8203; »Ikon«&#8203; und&#8203; »Symbol«&#8203; die Klasse der [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen]] gemäß dem Charakter der Beziehung, die zwischen dem [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichenträger]] und dem damit Bezeichneten besteht (in Abb. 1 als ‘Objektbezug’ charakterisiert). Diese “Objekt”&shy;beziehung gilt als konstitutiv für die Bedeutung, die dem Zeichenträger zugeschrieben wird.<ref>Offen bleibt an dieser Stelle, ob der “Objektbezug” einen Referenten im engeren (extensionalen) Sinn meint (⊳ [[Bedeutung und Referenz]] und [[Nomination]]) bzw. welches Verhältnis zu einem [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbezug]] im engen ([[Proposition|propositionalen]]) Sinn besteht. Vgl. auch <bib id='Schelske 2000a'></bib>.</ref> Genau genommen handelt es sich bei den drei Kategorien um Idealtypen; in konkreten Fällen wirken die zugehörigen Bedeu&shy;tungsre&shy;latio&shy;nen oft auf komplizierte Weise zusammen (vgl. das [[#Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel|ausführliche Beispiel unten]]).<br />
<br />
===Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten===<br />
<br />
Der Peircesche Ausdruck ‘Ikon’ (Plural: ‘Ikone’),<ref>Seltener, und laut Duden auch nicht ganz korrekt, findet sich auch die anglisierte Form ‘Ikons’ als Plural.</ref> der seine altgriechische Wurzel ([[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'#‘Eikon’|εἰκών]], etwa ‘Abbild’) ganz offensichtlich sowohl mit der mittelalterlich-religiösen [[Ikone]] als auch mit dem englischen Leihwort ‘Icon’ des Informationszeitalters (dazu ⊳ [[Bilderschrift und Piktogramm]]) teilt, mit beidem aber nicht verwechselt werden sollte, bezeichnet solche Zeichen, deren Bedeutungs&shy;beziehung sich einer ''[[Ähnlichkeit|Ähnlichkeitsrelation]]'' zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem verdankt (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 64). Dies trifft unter anderem auf [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]] (Spiegelbild) wie “normale” abbildende Bilder (Phantomskizze),<ref>Da die gezeichnete Person durchaus fiktiv sein kann, deutet das Beispiel&#8203; »Phantombild«&#8203; zugleich an, dass es sich auch um eine nur intentionale Abbildlichkeit handeln kann.</ref> auf “Foleys” (von einem Geräuschespezialisten für Hörspiel, [[Film]] oder Computerspiel erzeugte “Geräuschattrappen”) und synthetische Gerüche (künstliches Erdbeeraroma), sowie im sprachlichen Bereich auf onomatopoetische Wörter (‘Kuckuck’), form-ikonische Ausdrücke (‘T-Träger’) und – in gewisser Weise – auf [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|Metaphern]] (“Sprachbilder”) zu.<br />
:<br />
[[Datei:Aehnlichkeitstheorien1.png|thumb|Abbildung 2: Skizze zu verschiedenen Ähnlich&shy;keitskonzep&shy;tionen: (a) “Selbst&shy;ähnlich&shy;keit” als Exempli&shy;fikation (''genuines Ikon'' bei Peirce: ‹Hirsch exempli&shy;fiziert Geweih&shy;förmig&shy;keit›); (b) onto&shy;logischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (c) episte&shy;mischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (d) handlungs&shy;theore&shy;tischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff]]<br />
Tatsäch&shy;lich liegen bei Peirce ''echte'' (''genu&shy;ine'') Iko&shy;ne nur dann vor, wenn man eine Eigen&shy;schaft eines (als Zeichen&shy;trä&shy;ger) wahrge&shy;nomme&shy;nen Gegen&shy;stands dazu benutzt, sich (oder einen ande&shy;ren) auf eben diese Eigen&shy;schaft aufmerk&shy;sam zu machen – wenn also, in Good&shy;mans Begriff&shy;lichkeit, eine [[Referenz, Denotation, Exemplifikation|Ex&shy;em&shy;pli&shy;fi&shy;ka&shy;ti&shy;on]] vor&shy;liegt.<ref>Genau aus diesem Grund gelten genuine Ikone Peirce auch als die einfachste der in Zeichen vorkommenden Gegenstands&shy;beziehungen: Im Gegensatz zu den beiden anderen Klassen richtet sich der Blick bei genuinen Ikonen nämlich nur auf ''einen'' Gegenstand (der “Eigenschafts&shy;träger”), da Zeichenträger und Bezeichnetes in gewisser Weise zusammenfallen. Diese Identität lässt ihn andererseits aber auch von einem degenerierten Zeichen sprechen.</ref> Zei&shy;chen, bei denen wegen geteil&shy;ter Eigen&shy;schaften ein Gegen&shy;stand auf einen ''ande&shy;ren Gegen&shy;stand'' verweist, bezeich&shy;net Peirce genau&shy;er als ‘Hypo&shy;iko&shy;ne’ (auch ‘dege&shy;nerier&shy;te Iko&shy;ne’ <bib id='Peirce 1998a<br />
'></bib>, §276). Doch hat sich genau diese abge&shy;leite&shy;te Charak&shy;teri&shy;sierung für den in der Semiotik zumeist verwen&shy;deten Begriff&#8203; »Ikon«&#8203; durchge&shy;setzt. Offen bleibt dabei zunächst, welche Konzep&shy;tion eigent&shy;lich von&#8203; »Ähnlich&shy;keit«&#8203; zu verwen&shy;den ist. Geht man von einem “onto&shy;logisch” gefass&shy;ten Ähnlich&shy;keits&shy;begriff aus, so stellt die Ähnlich&shy;keits&shy;bezie&shy;hung eine “an sich” bestehende Rela&shy;tion zwischen zwei Gegen&shy;ständen dar, die nicht von spezi&shy;fischen Wahrneh&shy;mungs- und Er&shy;kenntnis&shy;fähig&shy;keiten eines über Ähnlich&shy;keit Urtei&shy;lenden abhängt. Ein “epis&shy;temisch” gefass&shy;ter Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff würde hinge&shy;gen auf das zurück&shy;greifen, was einem bestimm&shy;ten Betrach&shy;ter<ref>Der Ausdruck ‘Betrachter’ ist hier natürlich recht weit gefasst, da er nicht auf die visuelle Sinnesmodalität eingeschränkt verwendet wird.</ref> als ähnlich ''erscheint''. Nur insofern sich ein Teil der (als objektiv oder subjektiv gefassten) “Eigenschafts&shy;struktur” eines Dings in der Eigenschafts&shy;struktur eines anderen Dings spiegelt, kann dieses als ikonisches Zeichen für jenes verwendet werden – und umgekehrt.<ref>Technisch wird oft von einer partiellen [[Isomorphie]] – einer teilweisen Strukturgleichheit – gesprochen. Da dieser Typ von Ähnlichkeitsbeziehung offensichtlich reflexiv ist, folgt dasselbe für die Ikonizität: Wenn ''X'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''Y'' ist, dann ist auch ''Y'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''X''.</ref> Bei einem “behavioristischen” (genauer: [[Exkurs:Handlungen|handlungstheoretischen]]) Ähnlichkeitsbegriff verschiebt sich der Fokus darauf, dass ein Beobachter beurteilt, ob ein beobachtetes Wesen in seinem Verhalten Anlass zu der Behauptung gibt, etwas als etwas anderem ähnlich erkannt zu haben.<ref>Diese um eine Ebene zurückverlegte Betrachtung erlaubt eine “Symmetrie-Brechung”, denn aus dem Vorliegen solcher Gründe, die ''B'' dafür vorbringt, dass ''W'' ''X'' für ''Y'' ähnlich hält, folgt eben keineswegs, dass ''B'' auch Gründe in ''W''’s Verhalten dafür findet, dass ''W'' ''Y'' für ''X'' ähnlich hält.</ref> Diese Ansätze tragen dem Sachverhalt Rechnung, dass introspektive Begründungen für Ähnlichkeitszuschreibungen alleine nicht ausreichen, um über Ikonizität intersujektiv Einigkeit zu erreichen (vgl. <bib id='Schirra & Sachs-Hombach 2013a'></bib>).<br />
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Im Prinzip genügt jeweils bereits ''eine einzige'' (objektive bzw. subjektive) Eigenschaft, die – neben beliebig vielen differierenden – von den betrachteten Gegenständen geteilt wird, um die Ikonizität einer Zeichenbeziehung zwischen jenen zu gewährleisten. Je größer die Ähnlichkeit, desto stärker ist die Ikonizität, wenn der eine Gegenstand als Zeichen für den anderen betrachtet wird. Probleme ergeben sich hingegen, wenn ''alle'' Eigenschaften übereinstimmen: Als im engen Sinne&#8203; »ähnlich«&#8203; werden üblicherweise zwei Gegenstände nur dann betrachtet, wenn es mindestens auch eine Eigenschaft gibt, in der sie sich nicht gleichen.<ref>Ob jeder Gegenstand als sich selbst ähnlich verstanden werden sollte, ob der Begriff&#8203; »Ähnlichkeit«&#8203; also als Begriff einer reflexiven zweistelligen Relation angesetzt werden sollte, ist umstritten (vgl. etwa <bib id='Goodman 1970a'></bib>). Weitgehende Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass ein Zeichenträger nur dann Zeichenfunktion erfüllen kann, wenn er nicht mit dem Gegenstand, auf den er verweist, identisch ist (vgl. bereits <bib id='Platon 1922a'></bib>: 432a-c). Allerdings lässt sich der Unterschied zwischen tierischer Gegenstands&shy;wahrnehmung und menschlicher Gegenstands&shy;wahrnehmung (u.a. bei bei handlungstheoretischer Betrachtung) auch darauf zurückführen, dass bei letzterer prinzipiell und daher unabtrennbar eine reflektierende Distanz zum Wahrnehmen tritt: Das menschliche Gegenstands&shy;sehen ist immer ein »sich selbst zu sehen geben« (wobei der dabei in der Erläuterung verwendete Ausdruck ‘Sehen’ auf die tierische, d.h. nicht reflektierte Version bezogen bleibt; ⊳ [[Sehen]]; vgl. auch [[Sortale Gegenstände und Individuation]] und [[Dezeptiver und immersiver Modus]]). In der Folge ist dann die Rede davon, dass Menschen sehen, indem sie sich – sich selbst gegenüber – als Sehende darstellen.</ref><br />
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===Indexikalität und raumzeitliche Zu&shy;sammen&shy;hänge===<br />
<br />
Von einem ‘Index’ (Plural ‘Indizes’) spricht Peirce bei einem Zeichen, dessen Träger aufgrund seines ''raumzeitlichen'' und insbesondere ''kausalen'' Zusammenhangs mit dem Bezeichneten als Zeichen für letzteres verwendet wird (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65): wenn also beispielsweise Rauch das Zeichen für Feuer oder rote Hautflecken das Zeichen für (eine Infektion mit) Masern bilden. Alles was in den entsprechenden Naturwissenschaften von Physik bis Medizin als Auswirkung, Anzeichen oder Symptom für ein Phänomen ''X'' gilt, stellt mithin auch einen Peirceschen Index für ''X'' dar.<ref>Vgl. auch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#cite_note-7|Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem: Anmerkung 8]]. — Da Symptome nicht kriterial (also weder hinreichend noch notwendig) für das, was sie anzeigen (können), sind – Rauch kann auch ohne Feuer auftreten (und Feuer ohne Rauch), so wie rote Hautflecken ohne Maserninfektion (und Maserninfektionen ohne das Ausbilden von roten Hautflecken) möglich sind – kann der Index-Charakter eines Zeichens recht labil sein.</ref> Genau genommen verweist ein indexikalisches Zeichen daher weniger auf einen anderen Gegenstand als vielmehr auf die ''Anwesenheit'' eines anderen Gegenstands in direkter Nähe zum Zeichenträger. Das unterscheidet Indizes deutlich von den beiden anderen Zeichenarten, die eher dazu verwendet werden, Abwesendes zu bezeichnen.<ref>Wie oben erwähnt stellen nur genuine Ikone im Peirceschen Sinn eine Ausnahme davon dar.</ref> Was genau als »Nähe zum Zeichenträger« zu verstehen ist kann dabei allerdings von verschiedenen Faktoren abhängen. Bei einer Spur etwa kann die zeitliche Koinzidenz mehr oder weniger stark in die Vergangenheit ausgedehnt sein: Der die Spur erzeugende Hase beispielsweise mag längst über alle Berge sein, wenn der Jäger sie als indexikalisches Zeichen für den Hasen (oder genauer seine Anwesenheit) nutzt. Kausalketten können zu einer fast beliebig großen räumlichen Ausdehnung der Nähe-Region beitragen. Wesentlich ist für Indexikalität, dass der Bereich, den der Zeichennutzer als (erweitertes) “Hier und Jetzt” betrachtet, neben dem Zeichenträger stets auch das Bezeichnete enthält, so dass man gewissermaßen auch mit dem Finger darauf deuten könnte.<ref>Wegen dieser Besonderheit spielen Indizes in Taufsituationen, wie sie zur Einführung von [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|symbolischen Zeichen]] verwendet werden, eine wichtige Rolle. — Die Bezeichnung ‘Index’ leitet sich vom lateinischen Wort für Zeigefinger ab.</ref><br />
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Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Indexikalität nicht notwendig von einer natürlichen Beziehung zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem ausgeht: Auch das Ortseingangsschild am Rand einer Stadt steht in direkter, wenn auch absichtlich erzeugter raumzeitlicher Beziehung zu dem Bezeichneten (eben dem Rand jener Stadt). Gleiches gilt für das auf dieser Glossarseite links oben gezeigte Logo (das markiert: ›dies ist eine Seite des Glossars der Bildphilosophie‹), die farblichen Markierungen, die in diesem Glossartext anzeigen, an welchen Stellen durch Mausklick eine andere Seite erreicht werden kann, oder auch generell Pfeile und Zeiger. Nicht alle Indizes sind mithin auch Symptome im engen (physikalisch-kausalen) Sinn, oder, wie es dann auch heißt: ‘''natürliche'' Indizes’. Im Gegensatz zu den natürlichen ist die raumzeitliche Beziehung, die zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem vermittelt, bei den ''künstlichen'' Indizes mit Absicht erzeugt – Intentionalität ersetzt also in diesen Fällen Kausalität.<ref>Die intentionsbasierten Indizes stehen in enger Verbindung zum Begriff des [[Zeigen und Sich-Zeigen|Zeigens]], d.h. der Deixis (›jemand zeigt jemandem etwas‹), während die kausalen Indizes höchstens als einfache Fälle von&#8203; »[[Zeigen und Sich-Zeigen|Sich-Zeigen]]«&#8203; (›etwas zeigt sich‹) begriffen werden können.</ref> Gleichwohl besteht die semantische Pointe auch bei dieser Unterklasse darin, dass allein die raumzeitliche Nähe bereits die Bedeutung des Zeichens bei der Verwendung zu induzieren scheint. <br />
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Sprachliche Ausdrücke, wie insbesondere ‘hier’ und ‘jetzt’, aber auch ‘ich’, ‘wir’, ‘du’, ‘ihr’ hängen in ihrer jeweiligen Bedeutung ebenfalls stark ab vom [[Kontext]] ihrer Verwendung: Die raumzeitliche Beziehung zu Ort und Zeit ihrer Äußerung bestimmt, welcher Ort mit ‘hier’, welche Person mit ‘du’ gemeint ist. Gleiches gilt natürlich auch für ‘içi’ oder ‘here’, für ‘tu’ oder ‘you’ – um nur zwei andere europäische Sprachen als Beispiele zu bemühen. Neben aller Konventionalität, die diese Art von Ausdrücken eigentlich zu [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|Symbolen]] im Sinne von Peirce werden lässt, bleibt ihnen ein Moment an Indexikalität wesentlich, weshalb man auch von ‘indexikalischen Ausdrücken’ spricht.<br />
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Einen weiteren Sonderfall indexikalischer Zeichen stellen [[Fotografie|Photographien]] (und die Produkte verwandter technischer Bildgebungsverfahren) dar: Offenkundig beruhen die hier betrachteten Produktionsverfahren für Zeichenträger darauf, dass eine mehr oder weniger lange, aber durchgehende Kette streng kausaler, physikalisch-chemischer Schritte den Zeichenträger automatisch aus dem Bezeichneten (‘Abgebildeten’) ableiten.<ref>Vgl. hierzu auch die Diskussion im Glossarbeitrag&#8203; «[[Digitales Bild#Zu a. (Nicht-)Indexikalität|Digitales Bild]]»&#8203; zu deren (Nicht-)&#8203;Indexikalität.</ref> Obwohl als Bilder eigentlich den [[#Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten|ikonischen]] Zeichen zuzuordnen, schwingt zumindest bei dieser Untermenge auch Indexikalität in ihrem Begriff mit.<ref>Eine analoge Argumentation gilt für “Tonkonserven”: Auch diese beinhalten offensichtlich stets sowohl ikonische als auch indexikalische Momente. </ref><br />
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===Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen===<br />
Ikone gleichen Indizes in einer wichtigen Hinsicht, in der die dritte semantische Zeichenkategorie von Peirce abweicht: Wegen des direkt erkennbaren Zusammenhangs zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem scheint die Bedeutung des Zeichens nicht erst durch einen geeigneten Taufakt etabliert werden zu müssen. Indizes und Ikone funktionieren ohne vorangehende Festlegung einer entsprechenden Bedeutungskonvention. Das gilt für viele der von uns im Alltag verwendeten Zeichengebräuche keineswegs, wie jeder leicht selbst feststellen kann, wenn er eine fremde Sprache erlernen will. Zeichen, deren Bedeutungsbeziehung mithilfe einer Konvention festgelegt werden müssen, nennt Peirce ‘Symbole’ (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65ff.).<ref>Das Wort geht auf das griechiche ‘συμβάλλω’ zurück (symbállō – zusammenfügen).</ref><br />
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[[Datei:Symbol und Zeichen2.png|thumb|Abbildung 3: Skizze zum Problem um die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’]]<br />
Dieser Wortgebrauch differiert deutlich von einer anderen, vor allem im deutschsprachigen Raum verbreiteten (auch von Saussure benutzten) Kon&shy;ven&shy;tion, die dem ‘Zeichen’ das ‘Symbol’ gegenüberstellt, wobei ‘Symbol’ in diesem Sinn häufig synonym zu ‘Sinnbild’ ge&shy;braucht wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Anmerkungen zu ‘Sinnbild’ im Artikel&#8203; «[[Emblem]]». Eine grobe Übersicht findet sich unter [http://de.wikipedia.org/wiki/Symbol Wikipedia: Symbol]. </ref> Markiert man die unterschiedlichen Wortgebräuche mit den Indizes ‘''D''’ (deutsch) und ‘''P''’ (Peirce), so ergibt sich (Abb. 3):&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; sind gerade keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; eine Unterart von&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind; des weiteren entsprechen&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; weitgehend&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; in etwa den Peirceschen&#8203; »Iko&shy;nen«&#8203; entsprechen, also zwar keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; wohl aber&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind.<ref>Da zudem der wesentliche Unterschied zwischen »Zeichen<sub>''D''</sub>«&#8203; und »Symbolen<sub>''D''</sub>«&#8203; darin besteht, dass die Bedeutungsrelation bei ersteren als rein willkürlich, bei letzteren hingegen als aus dem Symbolisierten natürlich erwachsende Relation verstanden wird, schließen sich beide wechselseitig aus. Die Peirceschen Begriffsumfänge überlappen sich hingegen.</ref> Es empfiehlt sich daher, – besonders in der bildwissenschaftlichen Dikussion – sehr genau darauf zu achten, in welcher Bedeutung die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’ jeweils verwendet werden.<ref>Vor diesem Hintergrund mag jemand, der Bilder als (ikonische)&#8203; »Zeichen<sub>''P''</sub>«&#8203; betrachtet, schnell in ein Wortgefecht über die Zeichenhaftigkeit von Bildern geraten mit jemandem, der Bilder als&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; versteht.</ref><br />
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Eine konventionelle Bedeutungszuschreibung liegt im Übrigen nicht nur dann vor, wenn eine Regel, auf die man sich im Zweifelsfall berufen kann, ausdrücklich festgelegt wird (Taufakt im weiten Sinn). Es kann sich auch um historisch gewachsene Gewohnheiten oder stillschweigende (implizite) Übereinkünfte handeln, wie sie bei den meisten Zeichen der “natürlichen” Sprachen, etwa den Wörtern und Sätzen des Deutschen, vorliegen. Hier existieren keine vorweisbaren Situationen mit entsprechenden bedeutungs&shy;stiftenden Akten, auf die man beim Verdacht einer falschen Verwendungsweise des symbolischen Zeichens verweisen könnte. Zudem wirken in aller Regel die sozialen Mecha&shy;nismen, die zur Bildung der Tradition beitragen haben, immer weiter, weswegen sich die Tradi&shy;tionen konti&shy;nuierlich “unter der Hand” ändern&#8203; (»Sprachwandel«).&#8203; Im Gegensatz zu den tradierten Bedeutungskonventionen können ausdrück&shy;lich verein&shy;barte Zeichen&shy;bedeu&shy;tungen hingegen nur wieder durch weitere ausdrück&shy;liche Verein&shy;barungen der betroffenen Zeichen&shy;nutzer verändert werden.<ref>Als Alternative bleibt allerdings eine Entwicklung von der explizit vereinbarten Konvention zu einer die ursprüngliche “Taufsituation” vergessenden und im Weiteren als rein tradierte Konvention verstandenen Bedeutungs&shy;relation möglich. </ref><br />
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Obwohl verwandt sollten die Begriffe&#8203; »Konven&shy;tion«&#8203; und&#8203; »Will&shy;kür&shy;lich&shy;keit«&#8203; (auch&#8203; »Arbi&shy;trari&shy;tät«)&#8203; in diesem Zusam&shy;menhang nicht mitein&shy;ander verwech&shy;selt werden: Auch tradierte Konven&shy;tionen sind in der Regel auf die eine oder andere Weise motiviert und nicht rein willkürlich.<ref>Ein Beispiel für derartige Motivationen ist im [[Exkurs: Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen|Exkurs:Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen]] dargestellt.</ref> Und selbst die an sich frei verfügbaren Assoziationsmöglichkeiten werden bei explizit vereinbarten Konventionen aus guten (etwa mnemotechnischen) Gründen kaum je wirklich ausgeschöpft. Historisch bildete zwar die Frage nach der Willkürlichkeit der Bedeutungsbeziehung in Gestalt der ''phýsei/thései''-Debatte in der griechischen Antike den wesentlichen Ausgangspunkt für die sukkzessive Differenzierung möglicher Objektrelationen bis hin zu Peirce (und darüber hinaus). Doch ergab sich im Verlauf dieser begrifflichen Entfaltung, dass es weniger um die Frage nach einer natürlich (sprich: unabhängig von Zeichenverwendern) bestehenden Beziehung zwischen Zeichen(träger) und Bezeichnetem geht, als vielmehr um verschiedene Möglichkeiten, Aspekte eines als Zeichenträger verwendeten Objekts in das komplexe Geschehen von Zeichenhandlungen zu integrieren (vgl. <bib id='Trabant 1996a'></bib>, Abschn. II.4).<ref>In engem Zusammenhang zur “Willkürlichkeit” von Zeichenträgern für die zugehörigen Bedeutungen steht zudem die Diskussion um die Möglichkeit einer Rückwirkung des Zeichenträgers auf das Verständnis dessen, was dieser Ausdruck bedeutet: Unter der Bezeichnung ‘Prinzip der sprachlichen Relativität’ (auch: ‘Sapir-Whorf-Hypothese’; vgl. [http://de.m.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-Hypothese Wikipedia: Sapir-Whorf-Hypothese] wird die Vorstellung diskutiert, dass die “Weltsicht”, das “Weltbild” einer Sprach- (oder allgemeiner: Zeichen-)gemeinschaft entscheidend durch die von ihren Mitgliedern verwendeten Sprachzeichen bestimmt wird; ⊳ [[Weltbild, Lebensform]] & [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]].</ref> <br />
:<br />
Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die [[Perspektive und Projektion|Perspektive]] als einer symbolischen Form<ref>Cassirer bezeichnet mit dem Ausdruck ‘symbolische Form’ „jede Energie des Geistes [...], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“ (<bib id='Cassirer 2009a'></bib>, S. 67). Der Ausdruck ‘Zeichen’ wird dabei offensichtlich im Sinn von ‘Zeichenträger’ verwendet und ‘Symbol’ (als dritte hier erwähnte Bedeutungsvariante dieses Ausdrucks) analog zu ‘Zeichen<sub><small>''P''</small></sub>’ (s.o.).</ref> “sehen” (vgl. <bib id='Panofsky 1924a'></bib>). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende [[Sehen]] genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. <bib id='Cassirer 1930a'></bib>).<br />
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==Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel==<br />
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:''Nach diesen Prämissen sind Bilder häufig als der Prototyp des ikonischen Zeichens interpretiert und gelegentlich sogar mit dem Ikon überhaupt verwechselt worden [...] Es gibt aber Bilder, die in größerem Maße ikonisch, solche, die eher indexikalisch, und andere, die überwiegend symbolisch sind. Das Kriterium des Anteils an ikonischen, indexikalischen und symbolischen Elementen erlaubt es, in der Kulturgeschichte des Bildes drei Prototypen zu bestimmen. Prototyp des ikonischen Bildes ist danach nicht die gegenständliche, sondern vielmehr die nichtgegenständliche, die abstrakte Malerei. Prototyp des indexikalischen Bildes sind ebenso die Photographie wie die gegenständliche Malerei, und Prototyp des symbolischen Bildes ist die [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonologisch]] beziehungsweise [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonographisch]] kodifizierte Malerei.'' (<bib id='Nöth 2009'></bib>, S. 243f.) <br />
:<br />
Aus bildwissenschaftlicher Perspektive spielen Ikonizität (insofern »Bild« und »Ähnlichkeit« zusammenhängen) und Indexikalität (vor allem bei den kausalen Bildgebungsverfahren) die grössere, aber keineswegs die alleinige Rolle. Auch bei Bilverwendungen treten zahlreiche symbolische Aspekte auf. Nöths Zuordnung der ikonischen Prototypikalität mit der [[Semantik ungegenständlicher Bilder|nichtgegenständlichen Malerei]] in obigem Zitat mag zunächst verwundern, ist aber dem Umstand geschuldet, dass er die beiden Pole der Assoziation auf je spezielle Weise interpretiert: Mit solchen Bildträgern würde erstens nämlich nur auf eine Eigenschaft des jeweiligen Bildträgers verwiesen, was zweitens eben genau dem ursprünglichen Peirceschen ''genuinen'' Ikon entspricht. Allerdings sind einerseits andere Interpretationen des Phänomens ungegenständlicher Bilder möglich (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung#Zusammenhänge mit anderen Begriffen|Bild in reflexiver Verwendung, Abschnitt «Zusammenhänge mit anderen Begriffen»]]), und andererseits eine weiter gefasste Verwendungsweise von ‘Ikon’ bildphilosophisch durchaus üblicher. In der Praxis dürften prototypische Fälle von Ikonizität, Indexikalität oder Symbolhaftigkeit in der Tat weder bei Bildern noch auch bei anderen Zeichentypen häufig auftreten. Mischformen dominieren unseren Bild(Zeichen)gebrauch.<br />
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[[Datei:Hiroshima.jpg|thumb|Abbildung 4: Ein Schatten in Hiroshima — 6. August 1945, 8:15]]<br />
Die Anwendung der drei Aspek&shy;te auf ein konkretes Beispiel mag besser verdeut&shy;lichen, wie vielfäl&shy;tig die seman&shy;tischen Re&shy;la&shy;tio&shy;nen letztendlich für einen einzigen Bildträger zusam&shy;menwir&shy;ken: Abbil&shy;dung 4 gibt das Schwarz-&#8203;Weiß-&#8203;Photo eines unbe&shy;kannten Photo&shy;graphen wieder, das vermut&shy;lich in den letzten Tagen des Jahres 1945 aufge&shy;nommen wurde und im ''Hiro&shy;shima Peace Memo&shy;rial Museum'' aufbe&shy;wahrt wird. Zu sehen sind zwei Stufen einer steiner&shy;nen Treppe, die zum Eingang des Gebäu&shy;des der Sumi&shy;tomo-&#8203;Bank im Zentrum der japa&shy;nischen Stadt Hiro&shy;shima führt, sowie ein kleiner Ausschnitt der Wand des Gebäudes. Auf den Treppen&shy;stufen zeichnen sich schwärzli&shy;che Spuren im perspek&shy;tivisch verzerr&shy;ten Umriß eines menschli&shy;chen Körpers ab. Es wird angenommen, dass sie entstanden sind, als am 6. August 1945 um 8 Uhr 15 eine Atombombe die Stadt zerstörte und Druck, Hitze und Strahlung die verglühenden Überreste einer Person, die zufällig zu diesem Zeitpunkt vor dem Gebäude auf den Stufen stand, in den Stein eingebrannt haben. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit der Beispiel&shy;photographie===<br />
Wegen der längeren, aber durchweg kausalen Kette von optischen, photochemischen und digitaltechnischen Transformationen, die den hier betrachteten Zeichenträger mit der Aufnahmesituation in Hiroshima zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz nach der Bombenexplosion verbinden, hat das damit verwendete Zeichen offensichtlich Index-Charakter. Da zudem eine visuelle Ähnlichkeit zu den tatsächlichen Treppenstufen in Japan besteht, ist auch ein deutlicher ikonischer Anteil gegeben. Symbolhaftigkeit tritt hinzu, weil die Signifikanz dieses Bildes erst klar werden kann, wenn man es in seinen historischen Kontext einordnen kann: Zwar ist – ikonisch – eine Art menschlicher Schatten zu sehen, der – indexikalisch – als Teil einer real in Raum und Zeit existierenden (d.h. mit dem ''Hier und Jetzt'' der Rezeptionssituation kausal verbundenen) Szene verstanden wird, doch dass diese Photographie etwa auch als Zeichen für die schreckliche Gewalt einer Atombombenexplosion über bewohntem Gebiet dienen mag, erschließt sich nur in einem durch Konventionen etablierten Verständnisrahmen.<br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des abgebildeten “Schattens”===<br />
Tatsächlich lassen sich Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeiten in diesem Beispiel (wie übrigens bei fast allen Bildern) auch noch auf einer zweiten Ebene anwenden: Denn auch der “Schatten” selbst wird in der Regel ja zeichenhaft gelesen. Als Symptom der ihn verursachenden Explosion kann er als Index für alle der in der zu ihm führenden Kausalkette enthaltenen Faktoren verwendet werden: Dominant in dieser Hinsicht sind sicherlich die Person, die in jenem verhängnisvollen Augenblick an jener Stelle stand, die Strahlungen, die in jenem Moment den Schatten in den Stein brannten, sowie das Ereignis, das die Strahlung ausgelöst hat: die Explosion von «Little Boy».<ref>Wegen der Transitivität der Kausalbeziehung “verlängert” die Photographie als Index die bereits signifikanten Kausalketten der abgebildeten Szene sozusagen bis zum Betrachter.</ref> Voraussetzung für eine solche indexikalische Zeichenverwendung mit einer dieser Bedeutungen ist die Einbettung des “Schattens” in eine [[Interaktion und Kommunikation|kommunikative Interaktion]] (inklusive Selbstdarstellung des Senders) mit bewusster Kontrolle des kommunikativen Zwecks der Handlung (Reflexivierung inklusive Antizipation des Kommunikationspartners; ⊳ [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]). Diese Bedingung ist auch erfüllt, wenn sich jemand selbst vor Ort mithilfe des “Schattens” auf die entsprechende Ursache aufmerksam macht. <br />
:<br />
Insofern der “Schatten” eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem Menschen hat, kann er zudem als ein ikonisches Zeichen für jenen stehen. Auch hier ist die Einbettung in den komplexen Handlungszusammenhang einer Zeichenverwendung Voraussetzung. Analog zur Verlängerung der indexikalischen Aspekte des Dargestellten durch die Indexikalität der Darstellung “verlängert” die Ikonizität des Bildes die ikonischen Aspekte des im Bild Dargestellten.<ref>Diese Transitivität ist allerdings weniger deutlich ausgeprägt als bei der Kausalität: Wenn ''A'' ähnlich zu ''B'' ist, ''B'' ähnlich zu ''C'' und schließlich ''C'' ähnlich zu ''D'', folgt bekanntlich keineswegs zwingend, dass ''A'' auch ähnlich zu ''D'' ist – mit entsprechenden Konsequenzen für die Ikonizität entsprechender Darstellungsbeziehungen (etwa: die Kopie einer Kopie einer Kopie eines Bildes). </ref><br />
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Als einem symbolischen Zeichen kann man sich dem “Schatten” schließlich zuwenden, wenn man damit etwa die eigene Aufmerksamkeit oder die eines anderen absichtlich auf den Sachverhalt lenken möchte, dass die Menschheit mit der in Hiroshima erstmals grauenvoll demonstrierten Fähigkeit, Atombomben über bewohnten Städten explodieren zu lassen, eine gefährliche Grenze überschritten hat. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des reflexiv genutzten Photos===<br />
Eine dritte Bedeutungsebene ergibt sich, wenn wir in Betracht ziehen, dass jedes Bild auch dazu benutzt werden kann, als Zeichen für einen Aspekt des Zeichengebrauchs selbst zu dienen (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung|Bild in reflexiver Verwendung]]). Eben dies ist ja unter anderem in diesem Glossarartikel mit dem Zeichenträger aus Abbildung 4 geschehen. Auch auf dieser Ebene können die drei Arten von ''Objektbezügen'' auftreten: <br />
* Ikonizität als Exemplifikation einer konkreten Eigenschaft des aktuellen Zeichenhandlungs''schemas'': Z.B. kann mithilfe des Bildträgers darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Bedeutungen jeder seiner Zeichenverwendungen ikonische, indexikalische und symolische Aspekte umfasst, indem eben diese Eigenschaft am Exempel demonstriert wird.<br />
* Indexikalität als Verweis auf die gerade im Kontext ablaufende Zeichenhandlungs''instanzen'' und ihre Eigenheiten: So kann sich ein Leser dieses Text-Bild-Ensembles etwa mithilfe des Zeichenträgers aus Abbildung 4 darauf aufmerksam machen, dass die Bedeutungen, die er ihm in verschiedenen Instanziierungen der Zeichenhandlung im Verlauf der Lektüre des umgebenden Textes gibt, sich wandeln und etwa mal mehr, mal weniger ikonisch oder indexikalisch bestimmt sind.<br />
* Symbolhaftigkeit, insofern alle abstrakten Eigenschaften des Zeichenhandlungsschemas, auf die mit der reflexiven Verwendung des Bildträgers verwiesen werden kann, wegen ihrer Abstraktheit konventionell (oder traditionell) etabliert worden sind: Dass eine Bildverwendung Begriffe wie&#8203; »syntaktische Dichte«,&#8203; »genuine Ikonizität«&#8203; oder&#8203; »Ästhetisierung eines Sujets«&#8203; exemplifizieren kann hat stets auch eine regelbezogene Komponente. Das gilt insbesondere für Fälle negativer Exemplifikation, bei denen definitionsgemäß keine ikonischen oder indexikalischen Momente auftreten können. <br />
: <br />
— In jedem konkreten Gebrauch des in Abbildung 4 wiedergegebenen Zeichenträgers können auf den erwähnten drei Zeichenebenen die drei von Peirce inspirierten Objektbezüge in jeweils verschiedenen Ausprägungen und variierenden Kombinationen die effektive Kommunikation semantisch prägen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung von einer einzigen »Bedeutung eines Bildträgers« bestenfalls stark verkürzt und stets abhängig von einer – meist nur implizit – als Standard festgelegten Referenzverwendungsweise, zu der ein Begriff von standardisierten Kommunizierenden mit bestimmtem Hintergrundwissen ebenso wie standardisierte Kommunikationsziele gehören (z.B. ikonische, nicht-reflexive Verwendung). Semiose – bei Peirce als fortlaufende Erzeugung weiterer Interpretanten gedacht, genauer: als Folge (mentaler) Zeichen, die die Bedeutung des ersten Zeichens elaborieren – kann offensichtlich auch noch in einem anderen Sinn verstanden werden: als ein sukzessives Ausarbeiten der verschiedenen Möglichkeiten, einen Zeichenträger als Zeichen zu verwenden.<br />
:<br />
Für die Frage nach der [[Identität bildhafter Zeichen]] verschiebt sich der Fokus von einem am physischen Bildträger orientierten Kriterium zu einem an der jeweiligen Verwendungssituation orientierten Kriterium.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]]<br />
* [[Bedeutung und Referenz]]<br />
* [[Bilderschrift und Piktogramm]]<br />
* [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Digitales Bild]]<br />
* [[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'|Griechisch: ‘agalma’, ‘phantasma’, ‘eidolon’, ‘typos’, ‘eikon’]]<br />
* [[Identität bildhafter Zeichen]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]]<br />
* [["natürliche" Bilder]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Perspektive und Projektion]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Referenz, Denotation, Exemplifikation]]<br />
* [[Sehen]]<br />
* [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie]]<br />
* [[Weltbild, Lebensform]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
* [[Zeigen und Sich-Zeigen]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J. ]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Symbol,_Index,_Ikon&diff=20797Symbol, Index, Ikon2013-12-27T14:50:56Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Indexikalität und raumzeitliche Zu&shy;sammen&shy;hänge */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
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==Einteilung der Zeichen bei Peirce ==<br />
[[Datei:Peirce.jpg|thumb|Abbildung 1: Kleine Übersicht über die dreifache Basis-Dreiteilung der Peirceschen Zeichenbegriffe]]<br />
Charles S. Peirce (1839-&#8203;1914) gilt als einer der Grün&shy;dungs&shy;väter der moder&shy;nen Zei&shy;chen&shy;theorie. Auf ihn geht auch eine diffe&shy;renzier&shy;te Eintei&shy;lung der Zeichen&shy;arten zu&shy;rück (Abb. 1), von der zu&shy;min&shy;dest ein Teil sehr weite Ver&shy;breitung gefun&shy;den hat. Grob skizziert unter&shy;scheidet Peirce drei zeichen&shy;rele&shy;vante Ebe&shy;nen, die unge&shy;fähr mit der Eintei&shy;lung in [[Pragmatik, Semantik, Syntax|Pragma&shy;tik, Seman&shy;tik und Syntax]] über&shy;einstim&shy;men. In jeder dieser Ebenen setzt er eine weite&shy;re Dreitei&shy;lung an. Syntak&shy;tisch diffe&shy;renziert er Zeichen in&#8203; »Sinzei&shy;chen«,&#8203; »Le&shy;gi&shy;zeichen«&#8203; und&#8203; »Quali&shy;zei&shy;chen«,&#8203; während&#8203; »The&shy;ma«,&#8203; »Rhema«&#8203; und&#8203; »Dicent«&#8203; pragma&shy;tische&#8203; (wirkungs&shy;bezo&shy;gene) Zei&shy;chen&shy;unter&shy;kate&shy;gori&shy;en bilden.<ref>Vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>; siehe auch: <bib id='Birk et al. 2014a'></bib>.</ref> <br />
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Es ist vor allem die semantische Ebene, deren Peircesche Dreiteilung unter Semiotikern und Theoretikern benachbarter Disziplinen, wie Sprach&shy;philo&shy;sophie und Kunstgeschichte, machtvoll nachwirkt und nicht zuletzt in seinem Begriff der Ikonizität für die Bildtheorie große Relevanz aufweist.<ref>Ob sich die Bestimmung der entsprechenden Begriffe tatsächlich im rein semantischen Sinn durchführen lässt, oder nicht vielmehr tatsächlich notwendiger Weise pragmatische Aspekte berücksichtigt werden müssen, hängt letztlich an dem Status, den man der Semantik relativ zur Pragmatik zuschreibt. </ref><br />
<br />
==Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung==<br />
Da sie auf die semantische Ebene fokussiert sind, differenzieren die Peirceschen Zeichenkategorien&#8203; »Index«,&#8203; »Ikon«&#8203; und&#8203; »Symbol«&#8203; die Klasse der [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen]] gemäß dem Charakter der Beziehung, die zwischen dem [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichenträger]] und dem damit Bezeichneten besteht (in Abb. 1 als ‘Objektbezug’ charakterisiert). Diese “Objekt”&shy;beziehung gilt als konstitutiv für die Bedeutung, die dem Zeichenträger zugeschrieben wird.<ref>Offen bleibt an dieser Stelle, ob der “Objektbezug” einen Referenten im engeren (extensionalen) Sinn meint (⊳ [[Bedeutung und Referenz]] und [[Nomination]]) bzw. welches Verhältnis zu einem [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbezug]] im engen ([[Proposition|propositionalen]]) Sinn besteht. Vgl. auch <bib id='Schelske 2000a'></bib>.</ref> Genau genommen handelt es sich bei den drei Kategorien um Idealtypen; in konkreten Fällen wirken die zugehörigen Bedeu&shy;tungsre&shy;latio&shy;nen oft auf komplizierte Weise zusammen (vgl. das [[#Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel|ausführliche Beispiel unten]]).<br />
<br />
===Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten===<br />
<br />
Der Peircesche Ausdruck ‘Ikon’ (Plural: ‘Ikone’),<ref>Seltener, und laut Duden auch nicht ganz korrekt, findet sich auch die anglisierte Form ‘Ikons’ als Plural.</ref> der seine altgriechische Wurzel ([[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'#‘Eikon’|εἰκών]], etwa ‘Abbild’) ganz offensichtlich sowohl mit der mittelalterlich-religiösen [[Ikone]] als auch mit dem englischen Leihwort ‘Icon’ des Informationszeitalters (dazu ⊳ [[Bilderschrift und Piktogramm]]) teilt, mit beidem aber nicht verwechselt werden sollte, bezeichnet solche Zeichen, deren Bedeutungs&shy;beziehung sich einer ''[[Ähnlichkeit|Ähnlichkeitsrelation]]'' zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem verdankt (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 64). Dies trifft unter anderem auf [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]] (Spiegelbild) wie “normale” abbildende Bilder (Phantomskizze),<ref>Da die gezeichnete Person durchaus fiktiv sein kann, deutet das Beispiel&#8203; »Phantombild«&#8203; zugleich an, dass es sich auch um eine nur intentionale Abbildlichkeit handeln kann.</ref> auf “Foleys” (von einem Geräuschespezialisten für Hörspiel, [[Film]] oder Computerspiel erzeugte “Geräuschattrappen”) und synthetische Gerüche (künstliches Erdbeeraroma), sowie im sprachlichen Bereich auf onomatopoetische Wörter (‘Kuckuck’), form-ikonische Ausdrücke (‘T-Träger’) und – in gewisser Weise – auf [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|Metaphern]] (“Sprachbilder”) zu.<br />
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[[Datei:Aehnlichkeitstheorien1.png|thumb|Abbildung 2: Skizze zu verschiedenen Ähnlich&shy;keitskonzep&shy;tionen: (a) “Selbst&shy;ähnlich&shy;keit” als Exempli&shy;fikation (''genuines Ikon'' bei Peirce: ‹Hirsch exempli&shy;fiziert Geweih&shy;förmig&shy;keit›); (b) onto&shy;logischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (c) episte&shy;mischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (d) handlungs&shy;theore&shy;tischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff]]<br />
Tatsäch&shy;lich liegen bei Peirce ''echte'' (''genu&shy;ine'') Iko&shy;ne nur dann vor, wenn man eine Eigen&shy;schaft eines (als Zeichen&shy;trä&shy;ger) wahrge&shy;nomme&shy;nen Gegen&shy;stands dazu benutzt, sich (oder einen ande&shy;ren) auf eben diese Eigen&shy;schaft aufmerk&shy;sam zu machen – wenn also, in Good&shy;mans Begriff&shy;lichkeit, eine [[Referenz, Denotation, Exemplifikation|Ex&shy;em&shy;pli&shy;fi&shy;ka&shy;ti&shy;on]] vor&shy;liegt.<ref>Genau aus diesem Grund gelten genuine Ikone Peirce auch als die einfachste der in Zeichen vorkommenden Gegenstands&shy;beziehungen: Im Gegensatz zu den beiden anderen Klassen richtet sich der Blick bei genuinen Ikonen nämlich nur auf ''einen'' Gegenstand (der “Eigenschafts&shy;träger”), da Zeichenträger und Bezeichnetes in gewisser Weise zusammenfallen. Diese Identität lässt ihn andererseits aber auch von einem degenerierten Zeichen sprechen.</ref> Zei&shy;chen, bei denen wegen geteil&shy;ter Eigen&shy;schaften ein Gegen&shy;stand auf einen ''ande&shy;ren Gegen&shy;stand'' verweist, bezeich&shy;net Peirce genau&shy;er als ‘Hypo&shy;iko&shy;ne’ (auch ‘dege&shy;nerier&shy;te Iko&shy;ne’ <bib id='Peirce 1998a<br />
'></bib>, §276). Doch hat sich genau diese abge&shy;leite&shy;te Charak&shy;teri&shy;sierung für den in der Semiotik zumeist verwen&shy;deten Begriff&#8203; »Ikon«&#8203; durchge&shy;setzt. Offen bleibt dabei zunächst, welche Konzep&shy;tion eigent&shy;lich von&#8203; »Ähnlich&shy;keit«&#8203; zu verwen&shy;den ist. Geht man von einem “onto&shy;logisch” gefass&shy;ten Ähnlich&shy;keits&shy;begriff aus, so stellt die Ähnlich&shy;keits&shy;bezie&shy;hung eine “an sich” bestehende Rela&shy;tion zwischen zwei Gegen&shy;ständen dar, die nicht von spezi&shy;fischen Wahrneh&shy;mungs- und Er&shy;kenntnis&shy;fähig&shy;keiten eines über Ähnlich&shy;keit Urtei&shy;lenden abhängt. Ein “epis&shy;temisch” gefass&shy;ter Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff würde hinge&shy;gen auf das zurück&shy;greifen, was einem bestimm&shy;ten Betrach&shy;ter<ref>Der Ausdruck ‘Betrachter’ ist hier natürlich recht weit gefasst, da er nicht auf die visuelle Sinnesmodalität eingeschränkt verwendet wird.</ref> als ähnlich ''erscheint''. Nur insofern sich ein Teil der (als objektiv oder subjektiv gefassten) “Eigenschafts&shy;struktur” eines Dings in der Eigenschafts&shy;struktur eines anderen Dings spiegelt, kann dieses als ikonisches Zeichen für jenes verwendet werden – und umgekehrt.<ref>Technisch wird oft von einer partiellen [[Isomorphie]] – einer teilweisen Strukturgleichheit – gesprochen. Da dieser Typ von Ähnlichkeitsbeziehung offensichtlich reflexiv ist, folgt dasselbe für die Ikonizität: Wenn ''X'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''Y'' ist, dann ist auch ''Y'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''X''.</ref> Bei einem “behavioristischen” (genauer: [[Exkurs:Handlungen|handlungstheoretischen]]) Ähnlichkeitsbegriff verschiebt sich der Fokus darauf, dass ein Beobachter beurteilt, ob ein beobachtetes Wesen in seinem Verhalten Anlass zu der Behauptung gibt, etwas als etwas anderem ähnlich erkannt zu haben.<ref>Diese um eine Ebene zurückverlegte Betrachtung erlaubt eine “Symmetrie-Brechung”, denn aus dem Vorliegen solcher Gründe, die ''B'' dafür vorbringt, dass ''W'' ''X'' für ''Y'' ähnlich hält, folgt eben keineswegs, dass ''B'' auch Gründe in ''W''’s Verhalten dafür findet, dass ''W'' ''Y'' für ''X'' ähnlich hält.</ref> Diese Ansätze tragen dem Sachverhalt Rechnung, dass introspektive Begründungen für Ähnlichkeitszuschreibungen alleine nicht ausreichen, um über Ikonizität intersujektiv Einigkeit zu erreichen (vgl. <bib id='Schirra & Sachs-Hombach 2013a'></bib>).<br />
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Im Prinzip genügt jeweils bereits ''eine einzige'' (objektive bzw. subjektive) Eigenschaft, die – neben beliebig vielen differierenden – von den betrachteten Gegenständen geteilt wird, um die Ikonizität einer Zeichenbeziehung zwischen jenen zu gewährleisten. Je größer die Ähnlichkeit, desto stärker ist die Ikonizität, wenn der eine Gegenstand als Zeichen für den anderen betrachtet wird. Probleme ergeben sich hingegen, wenn ''alle'' Eigenschaften übereinstimmen: Als im engen Sinne&#8203; »ähnlich«&#8203; werden üblicherweise zwei Gegenstände nur dann betrachtet, wenn es mindestens auch eine Eigenschaft gibt, in der sie sich nicht gleichen.<ref>Ob jeder Gegenstand als sich selbst ähnlich verstanden werden sollte, ob der Begriff&#8203; »Ähnlichkeit«&#8203; also als Begriff einer reflexiven zweistelligen Relation angesetzt werden sollte, ist umstritten (vgl. etwa <bib id='Goodman 1970a'></bib>). Weitgehende Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass ein Zeichenträger nur dann Zeichenfunktion erfüllen kann, wenn er nicht mit dem Gegenstand, auf den er verweist, identisch ist (vgl. bereits <bib id='Platon 1922a'></bib>: 432a-c). Allerdings lässt sich der Unterschied zwischen tierischer Gegenstands&shy;wahrnehmung und menschlicher Gegenstands&shy;wahrnehmung (u.a. bei bei handlungstheoretischer Betrachtung) auch darauf zurückführen, dass bei letzterer prinzipiell und daher unabtrennbar eine reflektierende Distanz zum Wahrnehmen tritt: Das menschliche Gegenstands&shy;sehen ist immer ein »sich selbst zu sehen geben« (wobei der dabei in der Erläuterung verwendete Ausdruck ‘Sehen’ auf die tierische, d.h. nicht reflektierte Version bezogen bleibt; ⊳ [[Sehen]]; vgl. auch [[Sortale Gegenstände und Individuation]] und [[Dezeptiver und immersiver Modus]]). In der Folge ist dann die Rede davon, dass Menschen sehen, indem sie sich – sich selbst gegenüber – als Sehende darstellen.</ref><br />
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===Indexikalität und raumzeitliche Zu&shy;sammen&shy;hänge===<br />
<br />
Von einem ‘Index’ (Plural ‘Indizes’) spricht Peirce bei einem Zeichen, dessen Träger aufgrund seines ''raumzeitlichen'' und insbesondere ''kausalen'' Zusammenhangs mit dem Bezeichneten als Zeichen für letzteres verwendet wird (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65): wenn also beispielsweise Rauch das Zeichen für Feuer oder rote Hautflecken das Zeichen für (eine Infektion mit) Masern bilden. Alles was in den entsprechenden Naturwissenschaften von Physik bis Medizin als Auswirkung, Anzeichen oder Symptom für ein Phänomen ''X'' gilt, stellt mithin auch einen Peirceschen Index für ''X'' dar.<ref>Vgl. auch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#cite_note-7|Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem: Anmerkung 8]]. — Da Symptome nicht kriterial (also weder hinreichend noch notwendig) für das, was sie anzeigen (können), sind – Rauch kann auch ohne Feuer auftreten (und Feuer ohne Rauch), so wie rote Hautflecken ohne Maserninfektion (und Maserninfektionen ohne das Ausbilden von roten Hautflecken) möglich sind – kann der Index-Charakter eines Zeichens recht labil sein.</ref> Genau genommen verweist ein indexikalisches Zeichen daher weniger auf einen anderen Gegenstand als vielmehr auf die ''Anwesenheit'' eines anderen Gegenstands in direkter Nähe zum Zeichenträger. Das unterscheidet Indizes deutlich von den beiden anderen Zeichenarten, die eher dazu verwendet werden, Abwesendes zu bezeichnen.<ref>Wie oben erwähnt stellen nur genuine Ikone im Peirceschen Sinn eine Ausnahme davon dar.</ref> Was genau als »Nähe zum Zeichenträger« zu verstehen ist kann dabei allerdings von verschiedenen Faktoren abhängen. Bei einer Spur etwa kann die zeitliche Koinzidenz mehr oder weniger stark in die Vergangenheit ausgedehnt sein: Der die Spur erzeugende Hase beispielsweise mag längst über alle Berge sein, wenn der Jäger sie als indexikalisches Zeichen für den Hasen (oder genauer seine Anwesenheit) nutzt. Kausalketten können zu einer fast beliebig großen räumlichen Ausdehnung der Nähe-Region beitragen. Wesentlich ist für Indexikalität, dass der Bereich, den der Zeichennutzer als (erweitertes) “Hier und Jetzt” betrachtet, neben dem Zeichenträger stets auch das Bezeichnete enthält, so dass man gewissermaßen auch mit dem Finger darauf deuten könnte.<ref>Wegen dieser Besonderheit spielen Indizes in Taufsituationen, wie sie zur Einführung von [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|symbolischen Zeichen]] verwendet werden, eine wichtige Rolle. — Die Bezeichnung ‘Index’ leitet sich vom lateinischen Wort für Zeigefinger ab.</ref><br />
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Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Indexikalität nicht notwendig von einer natürlichen Beziehung zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem ausgeht: Auch das Ortseingangsschild am Rand einer Stadt steht in direkter, wenn auch absichtlich erzeugter raumzeitlicher Beziehung zu dem Bezeichneten (eben dem Rand jener Stadt). Gleiches gilt für das auf dieser Glossarseite links oben gezeigte Logo (das markiert: ›dies ist eine Seite des Glossars der Bildphilosophie‹), die farblichen Markierungen, die in diesem Glossartext anzeigen, an welchen Stellen durch Mausklick eine andere Seite erreicht werden kann, oder auch generell Pfeile und Zeiger. Nicht alle Indizes sind mithin auch Symptome im engen (physikalisch-kausalen) Sinn, oder, wie es dann auch heißt: ‘''natürliche'' Indizes’. Im Gegensatz zu den natürlichen ist die raumzeitliche Beziehung, die zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem vermittelt, bei den ''künstlichen'' Indizes mit Absicht erzeugt – Intentionalität ersetzt also in diesen Fällen Kausalität.<ref>Die intentionsbasierten Indizes stehen in enger Verbindung zum Begriff des [[Zeigen und Sich-Zeigen|Zeigens]], d.h. der Deixis (›jemand zeigt jemandem etwas‹), während die kausalen Indizes höchstens als einfache Fälle von&#8203; »[[Zeigen und Sich-Zeigen|Sich-Zeigen]]«&#8203; (›etwas zeigt sich‹) begriffen werden können.</ref> Gleichwohl besteht die semantische Pointe auch bei dieser Unterklasse darin, dass allein die raumzeitliche Nähe bereits die Bedeutung des Zeichens bei der Verwendung zu induzieren scheint. <br />
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Sprachliche Ausdrücke, wie insbesondere ‘hier’ und ‘jetzt’, aber auch ‘ich’, ‘wir’, ‘du’, ‘ihr’ hängen in ihrer jeweiligen Bedeutung ebenfalls stark ab vom [[Kontext]] ihrer Verwendung: Die raumzeitliche Beziehung zu Ort und Zeit ihrer Äußerung bestimmt, welcher Ort mit ‘hier’, welche Person mit ‘du’ gemeint ist. Gleiches gilt natürlich auch für ‘içi’ oder ‘here’, für ‘tu’ oder ‘you’ – um nur zwei andere europäische Sprachen als Beispiele zu bemühen. Neben aller Konventionalität, die diese Art von Ausdrücken eigentlich zu [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|Symbolen]] im Sinne von Peirce werden lässt, bleibt ihnen ein Moment an Indexikalität wesentlich, weshalb man auch von ‘indexikalischen Ausdrücken’ spricht.<br />
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Einen weiteren Sonderfall indexikalischer Zeichen stellen [[Fotografie|Photographien]] (und die Produkte verwandter technischer Bildgebungsverfahren) dar: Offenkundig beruhen die hier betrachteten Produktionsverfahren für Zeichenträger darauf, dass eine mehr oder weniger lange, aber durchgehende Kette streng kausaler, physikalisch-chemischer Schritte den Zeichenträger automatisch aus dem Bezeichneten (‘Abgebildeten’) ableiten.<ref>Vgl. hierzu auch die Diskussion im Glossarbeitrag&#8203; «[[Digitales Bild#Zu a. (Nicht-)Indexikalität|Digitales Bild]]»&#8203; zu deren (Nicht-)&#8203;Indexikalität.</ref> Obwohl als Bilder eigentlich den [[#Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten|ikonischen]] Zeichen zuzuordnen, schwingt zumindest bei dieser Untermenge auch Indexikalität in ihrem Begriff mit.<ref>Eine analoge Argumentation gilt für “Tonkonserven”: Auch diese beinhalten offensichtlich stets sowohl ikonische als auch indexikalische Momente. </ref><br />
<br />
===Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen===<br />
Ikone gleichen Indizes in einer wichtigen Hinsicht, in der die dritte semantische Zeichenkategorie von Peirce abweicht: Wegen des direkt erkennbaren Zusammenhangs zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem scheint die Bedeutung des Zeichens nicht erst durch einen geeigneten Taufakt etabliert werden zu müssen. Indizes und Ikone funktionieren ohne vorangehende Festlegung einer entsprechenden Bedeutungskonvention. Das gilt für viele der von uns im Alltag verwendeten Zeichengebräuche keineswegs, wie jeder leicht selbst feststellen kann, wenn er eine fremde Sprache erlernen will. Zeichen, deren Bedeutungsbeziehung mithilfe einer Konvention festgelegt werden müssen, nennt Peirce ‘Symbole’ (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65ff.).<ref>Das Wort geht auf das griechiche ‘συμβάλλω’ zurück (symbállō – zusammenfügen).</ref><br />
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[[Datei:Symbol und Zeichen2.png|thumb|Abbildung 3: Skizze zum Problem um die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’]]<br />
Dieser Wortgebrauch differiert deutlich von einer anderen, vor allem im deutschsprachigen Raum verbreiteten (auch von Saussure benutzten) Kon&shy;ven&shy;tion, die dem ‘Zeichen’ das ‘Symbol’ gegenüberstellt, wobei ‘Symbol’ in diesem Sinn häufig synonym zu ‘Sinnbild’ ge&shy;braucht wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Anmerkungen zu ‘Sinnbild’ im Artikel&#8203; «[[Emblem]]». Eine grobe Übersicht findet sich unter [http://de.wikipedia.org/wiki/Symbol Wikipedia: Symbol]. </ref> Markiert man die unterschiedlichen Wortgebräuche mit den Indizes ‘''D''’ (deutsch) und ‘''P''’ (Peirce), so ergibt sich (Abb. 3):&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; sind gerade keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; eine Unterart von&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind; des weiteren entsprechen&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; weitgehend&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; in etwa den Peirceschen&#8203; »Iko&shy;nen«&#8203; entsprechen, also zwar keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; wohl aber&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind.<ref>Da zudem der wesentliche Unterschied zwischen »Zeichen<sub>''D''</sub>«&#8203; und »Symbolen<sub>''D''</sub>«&#8203; darin besteht, dass die Bedeutungsrelation bei ersteren als rein willkürlich, bei letzteren hingegen als aus dem Symbolisierten natürlich erwachsende Relation verstanden wird, schließen sich beide wechselseitig aus. Die Peirceschen Begriffsumfänge überlappen sich hingegen.</ref> Es empfiehlt sich daher, – besonders in der bildwissenschaftlichen Dikussion – sehr genau darauf zu achten, in welcher Bedeutung die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’ jeweils verwendet werden.<ref>Vor diesem Hintergrund mag jemand, der Bilder als (ikonische)&#8203; »Zeichen<sub>''P''</sub>«&#8203; betrachtet, schnell in ein Wortgefecht über die Zeichenhaftigkeit von Bildern geraten mit jemandem, der Bilder als&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; versteht.</ref><br />
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Eine konventionelle Bedeutungszuschreibung liegt im Übrigen nicht nur dann vor, wenn eine Regel, auf die man sich im Zweifelsfall berufen kann, ausdrücklich festgelegt wird (Taufakt im weiten Sinn). Es kann sich auch um historisch gewachsene Gewohnheiten oder stillschweigende (implizite) Übereinkünfte handeln, wie sie bei den meisten Zeichen der “natürlichen” Sprachen, etwa den Wörtern und Sätzen des Deutschen, vorliegen. Hier existieren keine vorweisbaren Situationen mit entsprechenden bedeutungs&shy;stiftenden Akten, auf die man beim Verdacht einer falschen Verwendungsweise des symbolischen Zeichens verweisen könnte. Zudem wirken in aller Regel die sozialen Mecha&shy;nismen, die zur Bildung der Tradition beitragen haben, immer weiter, weswegen sich die Tradi&shy;tionen konti&shy;nuierlich “unter der Hand” ändern&#8203; (»Sprachwandel«).&#8203; Im Gegensatz zu den tradierten Bedeutungskonventionen können ausdrück&shy;lich verein&shy;barte Zeichen&shy;bedeu&shy;tungen hingegen nur wieder durch weitere ausdrück&shy;liche Verein&shy;barungen der betroffenen Zeichen&shy;nutzer verändert werden.<ref>Als Alternative bleibt allerdings eine Entwicklung von der explizit vereinbarten Konvention zu einer die ursprüngliche “Taufsituation” vergessenden und im Weiteren als rein tradierte Konvention verstandenen Bedeutungs&shy;relation möglich. </ref><br />
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Obwohl verwandt sollten die Begriffe&#8203; »Konven&shy;tion«&#8203; und&#8203; »Will&shy;kür&shy;lich&shy;keit«&#8203; (auch&#8203; »Arbi&shy;trari&shy;tät«)&#8203; in diesem Zusam&shy;menhang nicht mitein&shy;ander verwech&shy;selt werden: Auch tradierte Konven&shy;tionen sind in der Regel auf die eine oder andere Weise motiviert und nicht rein willkürlich.<ref>Ein Beispiel für derartige Motivationen ist im [[Exkurs: Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen|Exkurs:Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen]] dargestellt.</ref> Und selbst die an sich frei verfügbaren Assoziationsmöglichkeiten werden bei explizit vereinbarten Konventionen aus guten (etwa mnemotechnischen) Gründen kaum je wirklich ausgeschöpft. Historisch bildete zwar die Frage nach der Willkürlichkeit der Bedeutungsbeziehung in Gestalt der ''phýsei/thései''-Debatte in der griechischen Antike den wesentlichen Ausgangspunkt für die sukkzessive Differenzierung möglicher Objektrelationen bis hin zu Peirce (und darüber hinaus). Doch ergab sich im Verlauf dieser begrifflichen Entfaltung, dass es weniger um die Frage nach einer natürlich (sprich: unabhängig von Zeichenverwendern) bestehenden Beziehung zwischen Zeichen(träger) und Bezeichnetem geht, als vielmehr um verschiedene Möglichkeiten, Aspekte eines als Zeichenträger verwendeten Objekts in das komplexe Geschehen von Zeichenhandlungen zu integrieren (vgl. <bib id='Trabant 1996a'></bib>, Abschn. II.4).<ref>In engem Zusammenhang zur “Willkürlichkeit” von Zeichenträgern für die zugehörigen Bedeutungen steht zudem die Diskussion um die Möglichkeit einer Rückwirkung des Zeichenträgers auf das Verständnis dessen, was dieser Ausdruck bedeutet: Unter der Bezeichnung ‘Prinzip der sprachlichen Relativität’ (auch: ‘Sapir-Whorf-Hypothese’; vgl. [http://de.m.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-Hypothese Wikipedia: Sapir-Whorf-Hypothese] wird die Vorstellung diskutiert, dass die “Weltsicht”, das “Weltbild” einer Sprach- (oder allgemeiner: Zeichen-)gemeinschaft entscheidend durch die von ihren Mitgliedern verwendeten Sprachzeichen bestimmt wird; ⊳ [[Weltbild, Lebensform]] & [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]].</ref> <br />
:<br />
Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die [[Perspektive und Projektion|Perspektive]] als einer symbolischen Form<ref>Cassirer bezeichnet mit dem Ausdruck ‘symbolische Form’ „jede Energie des Geistes [...], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“ (<bib id='Cassirer 2009a'></bib>, S. 67). Der Ausdruck ‘Zeichen’ wird dabei offensichtlich im Sinn von ‘Zeichenträger’ verwendet und ‘Symbol’ (als dritte hier erwähnte Bedeutungsvariante dieses Ausdrucks) analog zu ‘Zeichen<sub><small>''P''</small></sub>’ (s.o.).</ref> “sehen” (vgl. <bib id='Panofsky 1924a'></bib>). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende [[Sehen]] genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. <bib id='Cassirer 1930a'></bib>).<br />
<br />
==Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel==<br />
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:''Nach diesen Prämissen sind Bilder häufig als der Prototyp des ikonischen Zeichens interpretiert und gelegentlich sogar mit dem Ikon überhaupt verwechselt worden [...] Es gibt aber Bilder, die in größerem Maße ikonisch, solche, die eher indexikalisch, und andere, die überwiegend symbolisch sind. Das Kriterium des Anteils an ikonischen, indexikalischen und symbolischen Elementen erlaubt es, in der Kulturgeschichte des Bildes drei Prototypen zu bestimmen. Prototyp des ikonischen Bildes ist danach nicht die gegenständliche, sondern vielmehr die nichtgegenständliche, die abstrakte Malerei. Prototyp des indexikalischen Bildes sind ebenso die Photographie wie die gegenständliche Malerei, und Prototyp des symbolischen Bildes ist die [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonologisch]] beziehungsweise [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonographisch]] kodifizierte Malerei.'' (<bib id='Nöth 2009'></bib>, S. 243f.) <br />
:<br />
Aus bildwissenschaftlicher Perspektive spielen Ikonizität (insofern »Bild« und »Ähnlichkeit« zusammenhängen) und Indexikalität (vor allem bei den kausalen Bildgebungsverfahren) die grössere, aber keineswegs die alleinige Rolle. Auch bei Bilverwendungen treten zahlreiche symbolische Aspekte auf. Nöths Zuordnung der ikonischen Prototypikalität mit der [[Semantik ungegenständlicher Bilder|nichtgegenständlichen Malerei]] in obigem Zitat mag zunächst verwundern, ist aber dem Umstand geschuldet, dass er die beiden Pole der Assoziation auf je spezielle Weise interpretiert: Mit solchen Bildträgern würde erstens nämlich nur auf eine Eigenschaft des jeweiligen Bildträgers verwiesen, was zweitens eben genau dem ursprünglichen Peirceschen ''genuinen'' Ikon entspricht. Allerdings sind einerseits andere Interpretationen des Phänomens ungegenständlicher Bilder möglich (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung#Zusammenhänge mit anderen Begriffen|Bild in reflexiver Verwendung, Abschnitt «Zusammenhänge mit anderen Begriffen»]]), und andererseits eine weiter gefasste Verwendungsweise von ‘Ikon’ bildphilosophisch durchaus üblicher. In der Praxis dürften prototypische Fälle von Ikonizität, Indexikalität oder Symbolhaftigkeit in der Tat weder bei Bildern noch auch bei anderen Zeichentypen häufig auftreten. Mischformen dominieren unseren Bild(Zeichen)gebrauch.<br />
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[[Datei:Hiroshima.jpg|thumb|Abbildung 4: Ein Schatten in Hiroshima — 6. August 1945, 8:15]]<br />
Die Anwendung der drei Aspek&shy;te auf ein konkretes Beispiel mag besser verdeut&shy;lichen, wie vielfäl&shy;tig die seman&shy;tischen Re&shy;la&shy;tio&shy;nen letztendlich für einen einzigen Bildträger zusam&shy;menwir&shy;ken: Abbil&shy;dung 4 gibt das Schwarz-&#8203;Weiß-&#8203;Photo eines unbe&shy;kannten Photo&shy;graphen wieder, das vermut&shy;lich in den letzten Tagen des Jahres 1945 aufge&shy;nommen wurde und im ''Hiro&shy;shima Peace Memo&shy;rial Museum'' aufbe&shy;wahrt wird. Zu sehen sind zwei Stufen einer steiner&shy;nen Treppe, die zum Eingang des Gebäu&shy;des der Sumi&shy;tomo-&#8203;Bank im Zentrum der japa&shy;nischen Stadt Hiro&shy;shima führt, sowie ein kleiner Ausschnitt der Wand des Gebäudes. Auf den Treppen&shy;stufen zeichnen sich schwärzli&shy;che Spuren im perspek&shy;tivisch verzerr&shy;ten Umriß eines menschli&shy;chen Körpers ab. Es wird angenommen, dass sie entstanden sind, als am 6. August 1945 um 8 Uhr 15 eine Atombombe die Stadt zerstörte und Druck, Hitze und Strahlung die verglühenden Überreste einer Person, die zufällig zu diesem Zeitpunkt vor dem Gebäude auf den Stufen stand, in den Stein eingebrannt haben. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit der Beispiel&shy;photographie===<br />
Wegen der längeren, aber durchweg kausalen Kette von optischen, photochemischen und digitaltechnischen Transformationen, die den hier betrachteten Zeichenträger mit der Aufnahmesituation in Hiroshima zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz nach der Bombenexplosion verbinden, hat das damit verwendete Zeichen offensichtlich Index-Charakter. Da zudem eine visuelle Ähnlichkeit zu den tatsächlichen Treppenstufen in Japan besteht, ist auch ein deutlicher ikonischer Anteil gegeben. Symbolhaftigkeit tritt hinzu, weil die Signifikanz dieses Bildes erst klar werden kann, wenn man es in seinen historischen Kontext einordnen kann: Zwar ist – ikonisch – eine Art menschlicher Schatten zu sehen, der – indexikalisch – als Teil einer real in Raum und Zeit existierenden (d.h. mit dem ''Hier und Jetzt'' der Rezeptionssituation kausal verbundenen) Szene verstanden wird, doch dass diese Photographie etwa auch als Zeichen für die schreckliche Gewalt einer Atombombenexplosion über bewohntem Gebiet dienen mag, erschließt sich nur in einem durch Konventionen etablierten Verständnisrahmen.<br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des abgebildeten “Schattens”===<br />
Tatsächlich lassen sich Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeiten in diesem Beispiel (wie übrigens bei fast allen Bildern) auch noch auf einer zweiten Ebene anwenden: Denn auch der “Schatten” selbst wird in der Regel ja zeichenhaft gelesen. Als Symptom der ihn verursachenden Explosion kann er als Index für alle der in der zu ihm führenden Kausalkette enthaltenen Faktoren verwendet werden: Dominant in dieser Hinsicht sind sicherlich die Person, die in jenem verhängnisvollen Augenblick an jener Stelle stand, die Strahlungen, die in jenem Moment den Schatten in den Stein brannten, sowie das Ereignis, das die Strahlung ausgelöst hat: die Explosion von «Little Boy».<ref>Wegen der Transitivität der Kausalbeziehung “verlängert” die Photographie als Index die bereits signifikanten Kausalketten der abgebildeten Szene sozusagen bis zum Betrachter.</ref> Voraussetzung für eine solche indexikalische Zeichenverwendung mit einer dieser Bedeutungen ist die Einbettung des “Schattens” in eine [[Interaktion und Kommunikation|kommunikative Interaktion]] (inklusive Selbstdarstellung des Senders) mit bewusster Kontrolle des kommunikativen Zwecks der Handlung (Reflexivierung inklusive Antizipation des Kommunikationspartners; ⊳ [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]). Diese Bedingung ist auch erfüllt, wenn sich jemand selbst vor Ort mithilfe des “Schattens” auf die entsprechende Ursache aufmerksam macht. <br />
:<br />
Insofern der “Schatten” eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem Menschen hat, kann er zudem als ein ikonisches Zeichen für jenen stehen. Auch hier ist die Einbettung in den komplexen Handlungszusammenhang einer Zeichenverwendung Voraussetzung. Analog zur Verlängerung der indexikalischen Aspekte des Dargestellten durch die Indexikalität der Darstellung “verlängert” die Ikonizität des Bildes die ikonischen Aspekte des im Bild Dargestellten.<ref>Diese Transitivität ist allerdings weniger deutlich ausgeprägt als bei der Kausalität: Wenn ''A'' ähnlich zu ''B'' ist, ''B'' ähnlich zu ''C'' und schließlich ''C'' ähnlich zu ''D'', folgt bekanntlich keineswegs zwingend, dass ''A'' auch ähnlich zu ''D'' ist – mit entsprechenden Konsequenzen für die Ikonizität entsprechender Darstellungsbeziehungen (etwa: die Kopie einer Kopie einer Kopie eines Bildes). </ref><br />
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Als einem symbolischen Zeichen kann man sich dem “Schatten” schließlich zuwenden, wenn man damit etwa die eigene Aufmerksamkeit oder die eines anderen absichtlich auf den Sachverhalt lenken möchte, dass die Menschheit mit der in Hiroshima erstmals grauenvoll demonstrierten Fähigkeit, Atombomben über bewohnten Städten explodieren zu lassen, eine gefährliche Grenze überschritten hat. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des reflexiv genutzten Photos===<br />
Eine dritte Bedeutungsebene ergibt sich, wenn wir in Betracht ziehen, dass jedes Bild auch dazu benutzt werden kann, als Zeichen für einen Aspekt des Zeichengebrauchs selbst zu dienen (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung|Bild in reflexiver Verwendung]]). Eben dies ist ja unter anderem in diesem Glossarartikel mit dem Zeichenträger aus Abbildung 4 geschehen. Auch auf dieser Ebene können die drei Arten von ''Objektbezügen'' auftreten: <br />
* Ikonizität als Exemplifikation einer konkreten Eigenschaft des aktuellen Zeichenhandlungs''schemas'': Z.B. kann mithilfe des Bildträgers darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Bedeutungen jeder seiner Zeichenverwendungen ikonische, indexikalische und symolische Aspekte umfasst, indem eben diese Eigenschaft am Exempel demonstriert wird.<br />
* Indexikalität als Verweis auf die gerade im Kontext ablaufende Zeichenhandlungs''instanzen'' und ihre Eigenheiten: So kann sich ein Leser dieses Text-Bild-Ensembles etwa mithilfe des Zeichenträgers aus Abbildung 4 darauf aufmerksam machen, dass die Bedeutungen, die er ihm in verschiedenen Instanziierungen der Zeichenhandlung im Verlauf der Lektüre des umgebenden Textes gibt, sich wandeln und etwa mal mehr, mal weniger ikonisch oder indexikalisch bestimmt sind.<br />
* Symbolhaftigkeit, insofern alle abstrakten Eigenschaften des Zeichenhandlungsschemas, auf die mit der reflexiven Verwendung des Bildträgers verwiesen werden kann, wegen ihrer Abstraktheit konventionell (oder traditionell) etabliert worden sind: Dass eine Bildverwendung Begriffe wie&#8203; »syntaktische Dichte«,&#8203; »genuine Ikonizität«&#8203; oder&#8203; »Ästhetisierung eines Sujets«&#8203; exemplifizieren kann hat stets auch eine regelbezogene Komponente. Das gilt insbesondere für Fälle negativer Exemplifikation, bei denen definitionsgemäß keine ikonischen oder indexikalischen Momente auftreten können. <br />
: <br />
— In jedem konkreten Gebrauch des in Abbildung 4 wiedergegebenen Zeichenträgers können auf den erwähnten drei Zeichenebenen die drei von Peirce inspirierten Objektbezüge in jeweils verschiedenen Ausprägungen und variierenden Kombinationen die effektive Kommunikation semantisch prägen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung von einer einzigen »Bedeutung eines Bildträgers« bestenfalls stark verkürzt und stets abhängig von einer – meist nur implizit – als Standard festgelegten Referenzverwendungsweise, zu der ein Begriff von standardisierten Kommunizierenden mit bestimmtem Hintergrundwissen ebenso wie standardisierte Kommunikationsziele gehören (z.B. ikonische, nicht-reflexive Verwendung). Semiose – bei Peirce als fortlaufende Erzeugung weiterer Interpretanten gedacht, genauer: als Folge (mentaler) Zeichen, die die Bedeutung des ersten Zeichens elaborieren – kann offensichtlich auch noch in einem anderen Sinn verstanden werden: als ein sukzessives Ausarbeiten der verschiedenen Möglichkeiten, einen Zeichenträger als Zeichen zu verwenden.<br />
:<br />
Für die Frage nach der [[Identität bildhafter Zeichen]] verschiebt sich der Fokus von einem am physischen Bildträger orientierten Kriterium zu einem an der jeweiligen Verwendungssituation orientierten Kriterium.<br />
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{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]]<br />
* [[Bedeutung und Referenz]]<br />
* [[Bilderschrift und Piktogramm]]<br />
* [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Digitales Bild]]<br />
* [[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'|Griechisch: ‘agalma’, ‘phantasma’, ‘eidolon’, ‘typos’, ‘eikon’]]<br />
* [[Identität bildhafter Zeichen]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]]<br />
* [["natürliche" Bilder]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Perspektive und Projektion]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Referenz, Denotation, Exemplifikation]]<br />
* [[Sehen]]<br />
* [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie]]<br />
* [[Weltbild, Lebensform]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
* [[Zeigen und Sich-Zeigen]]<br />
<br />
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{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J. ]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Symbol,_Index,_Ikon&diff=20795Symbol, Index, Ikon2013-12-27T14:39:58Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
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==Einteilung der Zeichen bei Peirce ==<br />
[[Datei:Peirce.jpg|thumb|Abbildung 1: Kleine Übersicht über die dreifache Basis-Dreiteilung der Peirceschen Zeichenbegriffe]]<br />
Charles S. Peirce (1839-&#8203;1914) gilt als einer der Grün&shy;dungs&shy;väter der moder&shy;nen Zei&shy;chen&shy;theorie. Auf ihn geht auch eine diffe&shy;renzier&shy;te Eintei&shy;lung der Zeichen&shy;arten zu&shy;rück (Abb. 1), von der zu&shy;min&shy;dest ein Teil sehr weite Ver&shy;breitung gefun&shy;den hat. Grob skizziert unter&shy;scheidet Peirce drei zeichen&shy;rele&shy;vante Ebe&shy;nen, die unge&shy;fähr mit der Eintei&shy;lung in [[Pragmatik, Semantik, Syntax|Pragma&shy;tik, Seman&shy;tik und Syntax]] über&shy;einstim&shy;men. In jeder dieser Ebenen setzt er eine weite&shy;re Dreitei&shy;lung an. Syntak&shy;tisch diffe&shy;renziert er Zeichen in&#8203; »Sinzei&shy;chen«,&#8203; »Le&shy;gi&shy;zeichen«&#8203; und&#8203; »Quali&shy;zei&shy;chen«,&#8203; während&#8203; »The&shy;ma«,&#8203; »Rhema«&#8203; und&#8203; »Dicent«&#8203; pragma&shy;tische&#8203; (wirkungs&shy;bezo&shy;gene) Zei&shy;chen&shy;unter&shy;kate&shy;gori&shy;en bilden.<ref>Vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>; siehe auch: <bib id='Birk et al. 2014a'></bib>.</ref> <br />
:<br />
Es ist vor allem die semantische Ebene, deren Peircesche Dreiteilung unter Semiotikern und Theoretikern benachbarter Disziplinen, wie Sprach&shy;philo&shy;sophie und Kunstgeschichte, machtvoll nachwirkt und nicht zuletzt in seinem Begriff der Ikonizität für die Bildtheorie große Relevanz aufweist.<ref>Ob sich die Bestimmung der entsprechenden Begriffe tatsächlich im rein semantischen Sinn durchführen lässt, oder nicht vielmehr tatsächlich notwendiger Weise pragmatische Aspekte berücksichtigt werden müssen, hängt letztlich an dem Status, den man der Semantik relativ zur Pragmatik zuschreibt. </ref><br />
<br />
==Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung==<br />
Da sie auf die semantische Ebene fokussiert sind, differenzieren die Peirceschen Zeichenkategorien&#8203; »Index«,&#8203; »Ikon«&#8203; und&#8203; »Symbol«&#8203; die Klasse der [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen]] gemäß dem Charakter der Beziehung, die zwischen dem [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichenträger]] und dem damit Bezeichneten besteht (in Abb. 1 als ‘Objektbezug’ charakterisiert). Diese “Objekt”&shy;beziehung gilt als konstitutiv für die Bedeutung, die dem Zeichenträger zugeschrieben wird.<ref>Offen bleibt an dieser Stelle, ob der “Objektbezug” einen Referenten im engeren (extensionalen) Sinn meint (⊳ [[Bedeutung und Referenz]] und [[Nomination]]) bzw. welches Verhältnis zu einem [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbezug]] im engen ([[Proposition|propositionalen]]) Sinn besteht. Vgl. auch <bib id='Schelske 2000a'></bib>.</ref> Genau genommen handelt es sich bei den drei Kategorien um Idealtypen; in konkreten Fällen wirken die zugehörigen Bedeu&shy;tungsre&shy;latio&shy;nen oft auf komplizierte Weise zusammen (vgl. das [[#Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel|ausführliche Beispiel unten]]).<br />
<br />
===Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten===<br />
<br />
Der Peircesche Ausdruck ‘Ikon’ (Plural: ‘Ikone’),<ref>Seltener, und laut Duden auch nicht ganz korrekt, findet sich auch die anglisierte Form ‘Ikons’ als Plural.</ref> der seine altgriechische Wurzel ([[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'#‘Eikon’|εἰκών]], etwa ‘Abbild’) ganz offensichtlich sowohl mit der mittelalterlich-religiösen [[Ikone]] als auch mit dem englischen Leihwort ‘Icon’ des Informationszeitalters (dazu ⊳ [[Bilderschrift und Piktogramm]]) teilt, mit beidem aber nicht verwechselt werden sollte, bezeichnet solche Zeichen, deren Bedeutungs&shy;beziehung sich einer ''[[Ähnlichkeit|Ähnlichkeitsrelation]]'' zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem verdankt (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 64). Dies trifft unter anderem auf [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]] (Spiegelbild) wie “normale” abbildende Bilder (Phantomskizze),<ref>Da die gezeichnete Person durchaus fiktiv sein kann, deutet das Beispiel&#8203; »Phantombild«&#8203; zugleich an, dass es sich auch um eine nur intentionale Abbildlichkeit handeln kann.</ref> auf “Foleys” (von einem Geräuschespezialisten für Hörspiel, [[Film]] oder Computerspiel erzeugte “Geräuschattrappen”) und synthetische Gerüche (künstliches Erdbeeraroma), sowie im sprachlichen Bereich auf onomatopoetische Wörter (‘Kuckuck’), form-ikonische Ausdrücke (‘T-Träger’) und – in gewisser Weise – auf [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|Metaphern]] (“Sprachbilder”) zu.<br />
:<br />
[[Datei:Aehnlichkeitstheorien1.png|thumb|Abbildung 2: Skizze zu verschiedenen Ähnlich&shy;keitskonzep&shy;tionen: (a) “Selbst&shy;ähnlich&shy;keit” als Exempli&shy;fikation (''genuines Ikon'' bei Peirce: ‹Hirsch exempli&shy;fiziert Geweih&shy;förmig&shy;keit›); (b) onto&shy;logischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (c) episte&shy;mischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (d) handlungs&shy;theore&shy;tischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff]]<br />
Tatsäch&shy;lich liegen bei Peirce ''echte'' (''genu&shy;ine'') Iko&shy;ne nur dann vor, wenn man eine Eigen&shy;schaft eines (als Zeichen&shy;trä&shy;ger) wahrge&shy;nomme&shy;nen Gegen&shy;stands dazu benutzt, sich (oder einen ande&shy;ren) auf eben diese Eigen&shy;schaft aufmerk&shy;sam zu machen – wenn also, in Good&shy;mans Begriff&shy;lichkeit, eine [[Referenz, Denotation, Exemplifikation|Ex&shy;em&shy;pli&shy;fi&shy;ka&shy;ti&shy;on]] vor&shy;liegt.<ref>Genau aus diesem Grund gelten genuine Ikone Peirce auch als die einfachste der in Zeichen vorkommenden Gegenstands&shy;beziehungen: Im Gegensatz zu den beiden anderen Klassen richtet sich der Blick bei genuinen Ikonen nämlich nur auf ''einen'' Gegenstand (der “Eigenschafts&shy;träger”), da Zeichenträger und Bezeichnetes in gewisser Weise zusammenfallen. Diese Identität lässt ihn andererseits aber auch von einem degenerierten Zeichen sprechen.</ref> Zei&shy;chen, bei denen wegen geteil&shy;ter Eigen&shy;schaften ein Gegen&shy;stand auf einen ''ande&shy;ren Gegen&shy;stand'' verweist, bezeich&shy;net Peirce genau&shy;er als ‘Hypo&shy;iko&shy;ne’ (auch ‘dege&shy;nerier&shy;te Iko&shy;ne’ <bib id='Peirce 1998a<br />
'></bib>, §276). Doch hat sich genau diese abge&shy;leite&shy;te Charak&shy;teri&shy;sierung für den in der Semiotik zumeist verwen&shy;deten Begriff&#8203; »Ikon«&#8203; durchge&shy;setzt. Offen bleibt dabei zunächst, welche Konzep&shy;tion eigent&shy;lich von&#8203; »Ähnlich&shy;keit«&#8203; zu verwen&shy;den ist. Geht man von einem “onto&shy;logisch” gefass&shy;ten Ähnlich&shy;keits&shy;begriff aus, so stellt die Ähnlich&shy;keits&shy;bezie&shy;hung eine “an sich” bestehende Rela&shy;tion zwischen zwei Gegen&shy;ständen dar, die nicht von spezi&shy;fischen Wahrneh&shy;mungs- und Er&shy;kenntnis&shy;fähig&shy;keiten eines über Ähnlich&shy;keit Urtei&shy;lenden abhängt. Ein “epis&shy;temisch” gefass&shy;ter Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff würde hinge&shy;gen auf das zurück&shy;greifen, was einem bestimm&shy;ten Betrach&shy;ter<ref>Der Ausdruck ‘Betrachter’ ist hier natürlich recht weit gefasst, da er nicht auf die visuelle Sinnesmodalität eingeschränkt verwendet wird.</ref> als ähnlich ''erscheint''. Nur insofern sich ein Teil der (als objektiv oder subjektiv gefassten) “Eigenschafts&shy;struktur” eines Dings in der Eigenschafts&shy;struktur eines anderen Dings spiegelt, kann dieses als ikonisches Zeichen für jenes verwendet werden – und umgekehrt.<ref>Technisch wird oft von einer partiellen [[Isomorphie]] – einer teilweisen Strukturgleichheit – gesprochen. Da dieser Typ von Ähnlichkeitsbeziehung offensichtlich reflexiv ist, folgt dasselbe für die Ikonizität: Wenn ''X'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''Y'' ist, dann ist auch ''Y'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''X''.</ref> Bei einem “behavioristischen” (genauer: [[Exkurs:Handlungen|handlungstheoretischen]]) Ähnlichkeitsbegriff verschiebt sich der Fokus darauf, dass ein Beobachter beurteilt, ob ein beobachtetes Wesen in seinem Verhalten Anlass zu der Behauptung gibt, etwas als etwas anderem ähnlich erkannt zu haben.<ref>Diese um eine Ebene zurückverlegte Betrachtung erlaubt eine “Symmetrie-Brechung”, denn aus dem Vorliegen solcher Gründe, die ''B'' dafür vorbringt, dass ''W'' ''X'' für ''Y'' ähnlich hält, folgt eben keineswegs, dass ''B'' auch Gründe in ''W''’s Verhalten dafür findet, dass ''W'' ''Y'' für ''X'' ähnlich hält.</ref> Diese Ansätze tragen dem Sachverhalt Rechnung, dass introspektive Begründungen für Ähnlichkeitszuschreibungen alleine nicht ausreichen, um über Ikonizität intersujektiv Einigkeit zu erreichen (vgl. <bib id='Schirra & Sachs-Hombach 2013a'></bib>).<br />
:<br />
Im Prinzip genügt jeweils bereits ''eine einzige'' (objektive bzw. subjektive) Eigenschaft, die – neben beliebig vielen differierenden – von den betrachteten Gegenständen geteilt wird, um die Ikonizität einer Zeichenbeziehung zwischen jenen zu gewährleisten. Je größer die Ähnlichkeit, desto stärker ist die Ikonizität, wenn der eine Gegenstand als Zeichen für den anderen betrachtet wird. Probleme ergeben sich hingegen, wenn ''alle'' Eigenschaften übereinstimmen: Als im engen Sinne&#8203; »ähnlich«&#8203; werden üblicherweise zwei Gegenstände nur dann betrachtet, wenn es mindestens auch eine Eigenschaft gibt, in der sie sich nicht gleichen.<ref>Ob jeder Gegenstand als sich selbst ähnlich verstanden werden sollte, ob der Begriff&#8203; »Ähnlichkeit«&#8203; also als Begriff einer reflexiven zweistelligen Relation angesetzt werden sollte, ist umstritten (vgl. etwa <bib id='Goodman 1970a'></bib>). Weitgehende Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass ein Zeichenträger nur dann Zeichenfunktion erfüllen kann, wenn er nicht mit dem Gegenstand, auf den er verweist, identisch ist (vgl. bereits <bib id='Platon 1922a'></bib>: 432a-c). Allerdings lässt sich der Unterschied zwischen tierischer Gegenstands&shy;wahrnehmung und menschlicher Gegenstands&shy;wahrnehmung (u.a. bei bei handlungstheoretischer Betrachtung) auch darauf zurückführen, dass bei letzterer prinzipiell und daher unabtrennbar eine reflektierende Distanz zum Wahrnehmen tritt: Das menschliche Gegenstands&shy;sehen ist immer ein »sich selbst zu sehen geben« (wobei der dabei in der Erläuterung verwendete Ausdruck ‘Sehen’ auf die tierische, d.h. nicht reflektierte Version bezogen bleibt; ⊳ [[Sehen]]; vgl. auch [[Sortale Gegenstände und Individuation]] und [[Dezeptiver und immersiver Modus]]). In der Folge ist dann die Rede davon, dass Menschen sehen, indem sie sich – sich selbst gegenüber – als Sehende darstellen.</ref><br />
<br />
===Indexikalität und raumzeitliche Zu&shy;sammen&shy;hänge===<br />
<br />
Von einem ‘Index’ (Plural ‘Indizes’) spricht Peirce bei einem Zeichen, dessen Träger aufgrund seines ''raumzeitlichen'' und insbesondere ''kausalen'' Zusammenhangs mit dem Bezeichneten als Zeichen für letzteres verwendet wird (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65): wenn also beispielsweise Rauch das Zeichen für Feuer oder rote Hautflecken das Zeichen für (eine Infektion mit) Masern bilden. Alles was in den entsprechenden Naturwissenschaften von Physik bis Medizin als Auswirkung, Anzeichen oder Symptom für ein Phänomen ''X'' gilt, stellt mithin auch einen Peirceschen Index für ''X'' dar.<ref>Vgl. auch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#cite_note-7|Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem: Anmerkung 8]]. — Da Symptome nicht kriterial (also weder hinreichend noch notwendig) für das, was sie anzeigen (können), sind – Rauch kann auch ohne Feuer auftreten (und Feuer ohne Rauch), so wie rote Hautflecken ohne Maserninfektion (und Maserninfektionen ohne das Ausbilden von roten Hautflecken) möglich sind – kann der Index-Charakter eines Zeichens recht labil sein.</ref> Genau genommen verweist ein indexikalisches Zeichen daher weniger auf einen anderen Gegenstand als vielmehr auf die ''Anwesenheit'' eines anderen Gegenstands in direkter Nähe zum Zeichenträger. Das unterscheidet Indizes deutlich von den beiden anderen Zeichenarten, die eher dazu verwendet werden, Abwesendes zu bezeichnen.<ref>Wie oben erwähnt stellen nur genuine Ikone im Peirceschen Sinn eine Ausnahme davon dar.</ref> Was genau als »Nähe zum Zeichenträger« zu verstehen ist kann dabei allerdings von verschiedenen Faktoren abhängen. Bei einer Spur etwa kann die zeitliche Koinzidenz mehr oder weniger stark in die Vergangenheit ausgedehnt sein: Der die Spur erzeugende Hase beispielsweise mag längst über alle Berge sein, wenn der Jäger sie als indexikalisches Zeichen für den Hasen (oder genauer seine Anwesenheit) nutzt. Kausalketten können zu einer fast beliebig großen räumlichen Ausdehnung der Nähe-Region beitragen. Wesentlich ist für Indexikalität, dass der Bereich, den der Zeichennutzer als (erweitertes) “Hier und Jetzt” betrachtet, neben dem Zeichenträger stets auch das Bezeichnete enthält, so dass man gewissermaßen auch mit dem Finger darauf deuten könnte.<ref>Wegen dieser Besonderheit spielen Indizes in Taufsituationen, wie sie zur Einführung von [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|symbolischen Zeichen]] verwendet werden, eine wichtige Rolle. — Die Bezeichnung ‘Index’ leitet sich vom lateinischen Wort für Zeigefinger ab.</ref><br />
:<br />
Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Indexikalität nicht notwendig von einer natürlichen Beziehung zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem ausgeht: Auch das Ortseingangsschild am Rand einer Stadt steht in direkter, wenn auch absichtlich erzeugter raumzeitlicher Beziehung zu dem Bezeichneten (eben dem Rand jener Stadt). Gleiches gilt für das auf dieser Glossarseite links oben gezeigte Logo (das markiert: ›dies ist eine Seite des Glossars der Bildphilosophie‹), die farblichen Markierungen, die in diesem Glossartext anzeigen, an welchen Stellen durch Mausklick eine andere Seite erreicht werden kann, oder auch generell Pfeile und Zeiger. Nicht alle Indizes sind mithin auch Symptome im engen (physikalisch-kausalen) Sinn, oder, wie es dann auch heißt: ‘''natürliche'' Indizes’. Im Gegensatz zu den natürlichen ist die raumzeitliche Beziehung, die zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem vermittelt, bei den ''künstlichen'' Indizes mit Absicht erzeugt – Intentionalität ersetzt also in diesen Fällen Kausalität.<ref>Die intentionsbasierten Indizes stehen in enger Verbindung zum Begriff des [[Zeigen und Sich-Zeigen|Zeigens]], d.h. der Deixis (›jemand zeigt jemandem etwas‹), während die kausalen Indizes höchstens als einfache Fälle von&#8203; »[[Zeigen und Sich-Zeigen|Sich-Zeigen]]«&#8203; (›etwas zeigt sich‹) begriffen werden können.</ref> Gleichwohl besteht die semantische Pointe auch bei dieser Unterklasse darin, dass allein die raumzeitliche Nähe bereits die Bedeutung des Zeichens bei der Verwendung zu induzieren scheint. <br />
:<br />
Sprachliche Ausdrücke, wie insbesondere ‘hier’ und ‘jetzt’, aber auch ‘ich’, ‘wir’, ‘du’, ‘ihr’ hängen in ihrer jeweiligen Bedeutung ebenfalls stark ab vom [[Kontext]] ihrer Verwendung: Die raumzeitliche Beziehung zu Ort und Zeit ihrer Äußerung bestimmt, welcher Ort mit ‘hier’, welche Person mit ‘du’ gemeint ist. Gleiches gilt natürlich auch für ‘içi’ oder ‘here’, für ‘tu’ oder ‘you’ – um nur zwei andere europäische Sprachen als Beispiele zu bemühen. Neben aller Konventionalität, die diese Art von Ausdrücken eigentlich zu [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|Symbolen]] im Sinne von Peirce werden lässt, bleibt ihnen ein Moment an Indexikalität wesentlich, weshalb man auch von ‘indexikalischen Ausdrücken’ spricht.<br />
:<br />
Einen weiteren Sonderfall indexikalischer Zeichen stellen [[Fotografie|Photographien]] (und die Produkte verwandter technischer Bildgebungsverfahren) dar: Offenkundig beruhen die hier betrachteten Produktionsverfahren für Zeichenträger darauf, dass eine mehr oder weniger lange aber durchgehende Kette streng kausaler, physikalisch-chemischer Schritte den Zeichenträger automatisch aus dem Bezeichneten (‘Abgebildeten’) ableiten.<ref>Vgl. hierzu auch die Diskussion im Glossarbeitrag&#8203; «[[Digitales Bild#Zu a. (Nicht-)Indexikalität|Digitales Bild]]»&#8203; zu deren (Nicht-)&#8203;Indexikalität.</ref> Obwohl als Bilder eigentlich den [[#Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten|ikonischen]] Zeichen zuzuordnen, schwingt zumindest bei dieser Untermenge auch Indexikalität in ihrem Begriff mit.<ref>Eine analoge Argumentation gilt für “Tonkonserven”: Auch diese beinhalten offensichtlich stets sowohl ikonische als auch indexikalische Momente. </ref><br />
<br />
===Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen===<br />
Ikone gleichen Indizes in einer wichtigen Hinsicht, in der die dritte semantische Zeichenkategorie von Peirce abweicht: Wegen des direkt erkennbaren Zusammenhangs zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem scheint die Bedeutung des Zeichens nicht erst durch einen geeigneten Taufakt etabliert werden zu müssen. Indizes und Ikone funktionieren ohne vorangehende Festlegung einer entsprechenden Bedeutungskonvention. Das gilt für viele der von uns im Alltag verwendeten Zeichengebräuche keineswegs, wie jeder leicht selbst feststellen kann, wenn er eine fremde Sprache erlernen will. Zeichen, deren Bedeutungsbeziehung mithilfe einer Konvention festgelegt werden müssen, nennt Peirce ‘Symbole’ (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65ff.).<ref>Das Wort geht auf das griechiche ‘συμβάλλω’ zurück (symbállō – zusammenfügen).</ref><br />
:<br />
[[Datei:Symbol und Zeichen2.png|thumb|Abbildung 3: Skizze zum Problem um die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’]]<br />
Dieser Wortgebrauch differiert deutlich von einer anderen, vor allem im deutschsprachigen Raum verbreiteten (auch von Saussure benutzten) Kon&shy;ven&shy;tion, die dem ‘Zeichen’ das ‘Symbol’ gegenüberstellt, wobei ‘Symbol’ in diesem Sinn häufig synonym zu ‘Sinnbild’ ge&shy;braucht wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Anmerkungen zu ‘Sinnbild’ im Artikel&#8203; «[[Emblem]]». Eine grobe Übersicht findet sich unter [http://de.wikipedia.org/wiki/Symbol Wikipedia: Symbol]. </ref> Markiert man die unterschiedlichen Wortgebräuche mit den Indizes ‘''D''’ (deutsch) und ‘''P''’ (Peirce), so ergibt sich (Abb. 3):&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; sind gerade keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; eine Unterart von&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind; des weiteren entsprechen&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; weitgehend&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; in etwa den Peirceschen&#8203; »Iko&shy;nen«&#8203; entsprechen, also zwar keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; wohl aber&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind.<ref>Da zudem der wesentliche Unterschied zwischen »Zeichen<sub>''D''</sub>«&#8203; und »Symbolen<sub>''D''</sub>«&#8203; darin besteht, dass die Bedeutungsrelation bei ersteren als rein willkürlich, bei letzteren hingegen als aus dem Symbolisierten natürlich erwachsende Relation verstanden wird, schließen sich beide wechselseitig aus. Die Peirceschen Begriffsumfänge überlappen sich hingegen.</ref> Es empfiehlt sich daher, – besonders in der bildwissenschaftlichen Dikussion – sehr genau darauf zu achten, in welcher Bedeutung die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’ jeweils verwendet werden.<ref>Vor diesem Hintergrund mag jemand, der Bilder als (ikonische)&#8203; »Zeichen<sub>''P''</sub>«&#8203; betrachtet, schnell in ein Wortgefecht über die Zeichenhaftigkeit von Bildern geraten mit jemandem, der Bilder als&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; versteht.</ref><br />
:<br />
Eine konventionelle Bedeutungszuschreibung liegt im Übrigen nicht nur dann vor, wenn eine Regel, auf die man sich im Zweifelsfall berufen kann, ausdrücklich festgelegt wird (Taufakt im weiten Sinn). Es kann sich auch um historisch gewachsene Gewohnheiten oder stillschweigende (implizite) Übereinkünfte handeln, wie sie bei den meisten Zeichen der “natürlichen” Sprachen, etwa den Wörtern und Sätzen des Deutschen, vorliegen. Hier existieren keine vorweisbaren Situationen mit entsprechenden bedeutungs&shy;stiftenden Akten, auf die man beim Verdacht einer falschen Verwendungsweise des symbolischen Zeichens verweisen könnte. Zudem wirken in aller Regel die sozialen Mecha&shy;nismen, die zur Bildung der Tradition beitragen haben, immer weiter, weswegen sich die Tradi&shy;tionen konti&shy;nuierlich “unter der Hand” ändern&#8203; (»Sprachwandel«).&#8203; Im Gegensatz zu den tradierten Bedeutungskonventionen können ausdrück&shy;lich verein&shy;barte Zeichen&shy;bedeu&shy;tungen hingegen nur wieder durch weitere ausdrück&shy;liche Verein&shy;barungen der betroffenen Zeichen&shy;nutzer verändert werden.<ref>Als Alternative bleibt allerdings eine Entwicklung von der explizit vereinbarten Konvention zu einer die ursprüngliche “Taufsituation” vergessenden und im Weiteren als rein tradierte Konvention verstandenen Bedeutungs&shy;relation möglich. </ref><br />
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Obwohl verwandt sollten die Begriffe&#8203; »Konven&shy;tion«&#8203; und&#8203; »Will&shy;kür&shy;lich&shy;keit«&#8203; (auch&#8203; »Arbi&shy;trari&shy;tät«)&#8203; in diesem Zusam&shy;menhang nicht mitein&shy;ander verwech&shy;selt werden: Auch tradierte Konven&shy;tionen sind in der Regel auf die eine oder andere Weise motiviert und nicht rein willkürlich.<ref>Ein Beispiel für derartige Motivationen ist im [[Exkurs: Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen|Exkurs:Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen]] dargestellt.</ref> Und selbst die an sich frei verfügbaren Assoziationsmöglichkeiten werden bei explizit vereinbarten Konventionen aus guten (etwa mnemotechnischen) Gründen kaum je wirklich ausgeschöpft. Historisch bildete zwar die Frage nach der Willkürlichkeit der Bedeutungsbeziehung in Gestalt der ''phýsei/thései''-Debatte in der griechischen Antike den wesentlichen Ausgangspunkt für die sukkzessive Differenzierung möglicher Objektrelationen bis hin zu Peirce (und darüber hinaus). Doch ergab sich im Verlauf dieser begrifflichen Entfaltung, dass es weniger um die Frage nach einer natürlich (sprich: unabhängig von Zeichenverwendern) bestehenden Beziehung zwischen Zeichen(träger) und Bezeichnetem geht, als vielmehr um verschiedene Möglichkeiten, Aspekte eines als Zeichenträger verwendeten Objekts in das komplexe Geschehen von Zeichenhandlungen zu integrieren (vgl. <bib id='Trabant 1996a'></bib>, Abschn. II.4).<ref>In engem Zusammenhang zur “Willkürlichkeit” von Zeichenträgern für die zugehörigen Bedeutungen steht zudem die Diskussion um die Möglichkeit einer Rückwirkung des Zeichenträgers auf das Verständnis dessen, was dieser Ausdruck bedeutet: Unter der Bezeichnung ‘Prinzip der sprachlichen Relativität’ (auch: ‘Sapir-Whorf-Hypothese’; vgl. [http://de.m.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-Hypothese Wikipedia: Sapir-Whorf-Hypothese] wird die Vorstellung diskutiert, dass die “Weltsicht”, das “Weltbild” einer Sprach- (oder allgemeiner: Zeichen-)gemeinschaft entscheidend durch die von ihren Mitgliedern verwendeten Sprachzeichen bestimmt wird; ⊳ [[Weltbild, Lebensform]] & [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]].</ref> <br />
:<br />
Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die [[Perspektive und Projektion|Perspektive]] als einer symbolischen Form<ref>Cassirer bezeichnet mit dem Ausdruck ‘symbolische Form’ „jede Energie des Geistes [...], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“ (<bib id='Cassirer 2009a'></bib>, S. 67). Der Ausdruck ‘Zeichen’ wird dabei offensichtlich im Sinn von ‘Zeichenträger’ verwendet und ‘Symbol’ (als dritte hier erwähnte Bedeutungsvariante dieses Ausdrucks) analog zu ‘Zeichen<sub><small>''P''</small></sub>’ (s.o.).</ref> “sehen” (vgl. <bib id='Panofsky 1924a'></bib>). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende [[Sehen]] genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. <bib id='Cassirer 1930a'></bib>).<br />
<br />
==Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel==<br />
<br />
:''Nach diesen Prämissen sind Bilder häufig als der Prototyp des ikonischen Zeichens interpretiert und gelegentlich sogar mit dem Ikon überhaupt verwechselt worden [...] Es gibt aber Bilder, die in größerem Maße ikonisch, solche, die eher indexikalisch, und andere, die überwiegend symbolisch sind. Das Kriterium des Anteils an ikonischen, indexikalischen und symbolischen Elementen erlaubt es, in der Kulturgeschichte des Bildes drei Prototypen zu bestimmen. Prototyp des ikonischen Bildes ist danach nicht die gegenständliche, sondern vielmehr die nichtgegenständliche, die abstrakte Malerei. Prototyp des indexikalischen Bildes sind ebenso die Photographie wie die gegenständliche Malerei, und Prototyp des symbolischen Bildes ist die [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonologisch]] beziehungsweise [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonographisch]] kodifizierte Malerei.'' (<bib id='Nöth 2009'></bib>, S. 243f.) <br />
:<br />
Aus bildwissenschaftlicher Perspektive spielen Ikonizität (insofern »Bild« und »Ähnlichkeit« zusammenhängen) und Indexikalität (vor allem bei den kausalen Bildgebungsverfahren) die grössere, aber keineswegs die alleinige Rolle. Auch bei Bilverwendungen treten zahlreiche symbolische Aspekte auf. Nöths Zuordnung der ikonischen Prototypikalität mit der [[Semantik ungegenständlicher Bilder|nichtgegenständlichen Malerei]] in obigem Zitat mag zunächst verwundern, ist aber dem Umstand geschuldet, dass er die beiden Pole der Assoziation auf je spezielle Weise interpretiert: Mit solchen Bildträgern würde erstens nämlich nur auf eine Eigenschaft des jeweiligen Bildträgers verwiesen, was zweitens eben genau dem ursprünglichen Peirceschen ''genuinen'' Ikon entspricht. Allerdings sind einerseits andere Interpretationen des Phänomens ungegenständlicher Bilder möglich (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung#Zusammenhänge mit anderen Begriffen|Bild in reflexiver Verwendung, Abschnitt «Zusammenhänge mit anderen Begriffen»]]), und andererseits eine weiter gefasste Verwendungsweise von ‘Ikon’ bildphilosophisch durchaus üblicher. In der Praxis dürften prototypische Fälle von Ikonizität, Indexikalität oder Symbolhaftigkeit in der Tat weder bei Bildern noch auch bei anderen Zeichentypen häufig auftreten. Mischformen dominieren unseren Bild(Zeichen)gebrauch.<br />
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[[Datei:Hiroshima.jpg|thumb|Abbildung 4: Ein Schatten in Hiroshima — 6. August 1945, 8:15]]<br />
Die Anwendung der drei Aspek&shy;te auf ein konkretes Beispiel mag besser verdeut&shy;lichen, wie vielfäl&shy;tig die seman&shy;tischen Re&shy;la&shy;tio&shy;nen letztendlich für einen einzigen Bildträger zusam&shy;menwir&shy;ken: Abbil&shy;dung 4 gibt das Schwarz-&#8203;Weiß-&#8203;Photo eines unbe&shy;kannten Photo&shy;graphen wieder, das vermut&shy;lich in den letzten Tagen des Jahres 1945 aufge&shy;nommen wurde und im ''Hiro&shy;shima Peace Memo&shy;rial Museum'' aufbe&shy;wahrt wird. Zu sehen sind zwei Stufen einer steiner&shy;nen Treppe, die zum Eingang des Gebäu&shy;des der Sumi&shy;tomo-&#8203;Bank im Zentrum der japa&shy;nischen Stadt Hiro&shy;shima führt, sowie ein kleiner Ausschnitt der Wand des Gebäudes. Auf den Treppen&shy;stufen zeichnen sich schwärzli&shy;che Spuren im perspek&shy;tivisch verzerr&shy;ten Umriß eines menschli&shy;chen Körpers ab. Es wird angenommen, dass sie entstanden sind, als am 6. August 1945 um 8 Uhr 15 eine Atombombe die Stadt zerstörte und Druck, Hitze und Strahlung die verglühenden Überreste einer Person, die zufällig zu diesem Zeitpunkt vor dem Gebäude auf den Stufen stand, in den Stein eingebrannt haben. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit der Beispiel&shy;photographie===<br />
Wegen der längeren, aber durchweg kausalen Kette von optischen, photochemischen und digitaltechnischen Transformationen, die den hier betrachteten Zeichenträger mit der Aufnahmesituation in Hiroshima zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz nach der Bombenexplosion verbinden, hat das damit verwendete Zeichen offensichtlich Index-Charakter. Da zudem eine visuelle Ähnlichkeit zu den tatsächlichen Treppenstufen in Japan besteht, ist auch ein deutlicher ikonischer Anteil gegeben. Symbolhaftigkeit tritt hinzu, weil die Signifikanz dieses Bildes erst klar werden kann, wenn man es in seinen historischen Kontext einordnen kann: Zwar ist – ikonisch – eine Art menschlicher Schatten zu sehen, der – indexikalisch – als Teil einer real in Raum und Zeit existierenden (d.h. mit dem ''Hier und Jetzt'' der Rezeptionssituation kausal verbundenen) Szene verstanden wird, doch dass diese Photographie etwa auch als Zeichen für die schreckliche Gewalt einer Atombombenexplosion über bewohntem Gebiet dienen mag, erschließt sich nur in einem durch Konventionen etablierten Verständnisrahmen.<br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des abgebildeten “Schattens”===<br />
Tatsächlich lassen sich Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeiten in diesem Beispiel (wie übrigens bei fast allen Bildern) auch noch auf einer zweiten Ebene anwenden: Denn auch der “Schatten” selbst wird in der Regel ja zeichenhaft gelesen. Als Symptom der ihn verursachenden Explosion kann er als Index für alle der in der zu ihm führenden Kausalkette enthaltenen Faktoren verwendet werden: Dominant in dieser Hinsicht sind sicherlich die Person, die in jenem verhängnisvollen Augenblick an jener Stelle stand, die Strahlungen, die in jenem Moment den Schatten in den Stein brannten, sowie das Ereignis, das die Strahlung ausgelöst hat: die Explosion von «Little Boy».<ref>Wegen der Transitivität der Kausalbeziehung “verlängert” die Photographie als Index die bereits signifikanten Kausalketten der abgebildeten Szene sozusagen bis zum Betrachter.</ref> Voraussetzung für eine solche indexikalische Zeichenverwendung mit einer dieser Bedeutungen ist die Einbettung des “Schattens” in eine [[Interaktion und Kommunikation|kommunikative Interaktion]] (inklusive Selbstdarstellung des Senders) mit bewusster Kontrolle des kommunikativen Zwecks der Handlung (Reflexivierung inklusive Antizipation des Kommunikationspartners; ⊳ [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]). Diese Bedingung ist auch erfüllt, wenn sich jemand selbst vor Ort mithilfe des “Schattens” auf die entsprechende Ursache aufmerksam macht. <br />
:<br />
Insofern der “Schatten” eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem Menschen hat, kann er zudem als ein ikonisches Zeichen für jenen stehen. Auch hier ist die Einbettung in den komplexen Handlungszusammenhang einer Zeichenverwendung Voraussetzung. Analog zur Verlängerung der indexikalischen Aspekte des Dargestellten durch die Indexikalität der Darstellung “verlängert” die Ikonizität des Bildes die ikonischen Aspekte des im Bild Dargestellten.<ref>Diese Transitivität ist allerdings weniger deutlich ausgeprägt als bei der Kausalität: Wenn ''A'' ähnlich zu ''B'' ist, ''B'' ähnlich zu ''C'' und schließlich ''C'' ähnlich zu ''D'', folgt bekanntlich keineswegs zwingend, dass ''A'' auch ähnlich zu ''D'' ist – mit entsprechenden Konsequenzen für die Ikonizität entsprechender Darstellungsbeziehungen (etwa: die Kopie einer Kopie einer Kopie eines Bildes). </ref><br />
:<br />
Als einem symbolischen Zeichen kann man sich dem “Schatten” schließlich zuwenden, wenn man damit etwa die eigene Aufmerksamkeit oder die eines anderen absichtlich auf den Sachverhalt lenken möchte, dass die Menschheit mit der in Hiroshima erstmals grauenvoll demonstrierten Fähigkeit, Atombomben über bewohnten Städten explodieren zu lassen, eine gefährliche Grenze überschritten hat. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des reflexiv genutzten Photos===<br />
Eine dritte Bedeutungsebene ergibt sich, wenn wir in Betracht ziehen, dass jedes Bild auch dazu benutzt werden kann, als Zeichen für einen Aspekt des Zeichengebrauchs selbst zu dienen (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung|Bild in reflexiver Verwendung]]). Eben dies ist ja unter anderem in diesem Glossarartikel mit dem Zeichenträger aus Abbildung 4 geschehen. Auch auf dieser Ebene können die drei Arten von ''Objektbezügen'' auftreten: <br />
* Ikonizität als Exemplifikation einer konkreten Eigenschaft des aktuellen Zeichenhandlungs''schemas'': Z.B. kann mithilfe des Bildträgers darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Bedeutungen jeder seiner Zeichenverwendungen ikonische, indexikalische und symolische Aspekte umfasst, indem eben diese Eigenschaft am Exempel demonstriert wird.<br />
* Indexikalität als Verweis auf die gerade im Kontext ablaufende Zeichenhandlungs''instanzen'' und ihre Eigenheiten: So kann sich ein Leser dieses Text-Bild-Ensembles etwa mithilfe des Zeichenträgers aus Abbildung 4 darauf aufmerksam machen, dass die Bedeutungen, die er ihm in verschiedenen Instanziierungen der Zeichenhandlung im Verlauf der Lektüre des umgebenden Textes gibt, sich wandeln und etwa mal mehr, mal weniger ikonisch oder indexikalisch bestimmt sind.<br />
* Symbolhaftigkeit, insofern alle abstrakten Eigenschaften des Zeichenhandlungsschemas, auf die mit der reflexiven Verwendung des Bildträgers verwiesen werden kann, wegen ihrer Abstraktheit konventionell (oder traditionell) etabliert worden sind: Dass eine Bildverwendung Begriffe wie&#8203; »syntaktische Dichte«,&#8203; »genuine Ikonizität«&#8203; oder&#8203; »Ästhetisierung eines Sujets«&#8203; exemplifizieren kann hat stets auch eine regelbezogene Komponente. Das gilt insbesondere für Fälle negativer Exemplifikation, bei denen definitionsgemäß keine ikonischen oder indexikalischen Momente auftreten können. <br />
: <br />
— In jedem konkreten Gebrauch des in Abbildung 4 wiedergegebenen Zeichenträgers können auf den erwähnten drei Zeichenebenen die drei von Peirce inspirierten Objektbezüge in jeweils verschiedenen Ausprägungen und variierenden Kombinationen die effektive Kommunikation semantisch prägen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung von einer einzigen »Bedeutung eines Bildträgers« bestenfalls stark verkürzt und stets abhängig von einer – meist nur implizit – als Standard festgelegten Referenzverwendungsweise, zu der ein Begriff von standardisierten Kommunizierenden mit bestimmtem Hintergrundwissen ebenso wie standardisierte Kommunikationsziele gehören (z.B. ikonische, nicht-reflexive Verwendung). Semiose – bei Peirce als fortlaufende Erzeugung weiterer Interpretanten gedacht, genauer: als Folge (mentaler) Zeichen, die die Bedeutung des ersten Zeichens elaborieren – kann offensichtlich auch noch in einem anderen Sinn verstanden werden: als ein sukzessives Ausarbeiten der verschiedenen Möglichkeiten, einen Zeichenträger als Zeichen zu verwenden.<br />
:<br />
Für die Frage nach der [[Identität bildhafter Zeichen]] verschiebt sich der Fokus von einem am physischen Bildträger orientierten Kriterium zu einem an der jeweiligen Verwendungssituation orientierten Kriterium.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]]<br />
* [[Bedeutung und Referenz]]<br />
* [[Bilderschrift und Piktogramm]]<br />
* [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Digitales Bild]]<br />
* [[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'|Griechisch: ‘agalma’, ‘phantasma’, ‘eidolon’, ‘typos’, ‘eikon’]]<br />
* [[Identität bildhafter Zeichen]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]]<br />
* [["natürliche" Bilder]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Perspektive und Projektion]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Referenz, Denotation, Exemplifikation]]<br />
* [[Sehen]]<br />
* [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie]]<br />
* [[Weltbild, Lebensform]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
* [[Zeigen und Sich-Zeigen]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J. ]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Symbol,_Index,_Ikon&diff=20793Symbol, Index, Ikon2013-12-27T14:36:24Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einteilung der Zeichen bei Peirce ==<br />
[[Datei:Peirce.jpg|thumb|Abbildung 1: Kleine Übersicht über die dreifache Basis-Dreiteilung der Peirceschen Zeichenbegriffe]]<br />
Charles S. Peirce (1839-&#8203;1914) gilt als einer der Grün&shy;dungs&shy;väter der moder&shy;nen Zei&shy;chen&shy;theorie. Auf ihn geht auch eine diffe&shy;renzier&shy;te Eintei&shy;lung der Zeichen&shy;arten zu&shy;rück (Abb. 1), von der zu&shy;min&shy;dest ein Teil sehr weite Ver&shy;breitung gefun&shy;den hat. Grob skizziert unter&shy;scheidet Peirce drei zeichen&shy;rele&shy;vante Ebe&shy;nen, die unge&shy;fähr mit der Eintei&shy;lung in [[Pragmatik, Semantik, Syntax|Pragma&shy;tik, Seman&shy;tik und Syntax]] über&shy;einstim&shy;men. In jeder dieser Ebenen setzt er eine weite&shy;re Dreitei&shy;lung an. Syntak&shy;tisch diffe&shy;renziert er Zeichen in&#8203; »Sinzei&shy;chen«,&#8203; »Le&shy;gi&shy;zeichen«&#8203; und&#8203; »Quali&shy;zei&shy;chen«,&#8203; während&#8203; »The&shy;ma«,&#8203; »Rhema«&#8203; und&#8203; »Dicent«&#8203; pragma&shy;tische&#8203; (wirkungs&shy;bezo&shy;gene) Zei&shy;chen&shy;unter&shy;kate&shy;gori&shy;en bilden.<ref>Vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>; siehe auch: <bib id='Birk et al. 2014a'></bib>.</ref> <br />
:<br />
Es ist vor allem die semantische Ebene, deren Peircesche Dreiteilung unter Semiotikern und Theoretikern benachbarter Disziplinen, wie Sprach&shy;philo&shy;sophie und Kunstgeschichte, machtvoll nachwirkt und nicht zuletzt in seinem Begriff der Ikonizität für die Bildtheorie große Relevanz aufweist.<ref>Ob sich die Bestimmung der entsprechenden Begriffe tatsächlich im rein semantischen Sinn durchführen lässt, oder nicht vielmehr tatsächlich notwendiger Weise pragmatische Aspekte berücksichtigt werden müssen, hängt letztlich an dem Status, den man der Semantik relativ zur Pragmatik zuschreibt. </ref><br />
<br />
==Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung==<br />
Da sie auf die semantische Ebene fokussiert sind, differenzieren die Peirceschen Zeichenkategorien&#8203; »Index«,&#8203; »Ikon«&#8203; und&#8203; »Symbol«&#8203; die Klasse der [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen]] gemäß dem Charakter der Beziehung, die zwischen dem [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichenträger]] und dem damit Bezeichneten besteht (in Abb. 1 als ‘Objektbezug’ charakterisiert). Diese “Objekt”&shy;beziehung gilt als konstitutiv für die Bedeutung, die dem Zeichenträger zugeschrieben wird.<ref>Offen bleibt an dieser Stelle, ob der “Objektbezug” einen Referenten im engeren (extensionalen) Sinn meint (⊳ [[Bedeutung und Referenz]] und [[Nomination]]) bzw. welches Verhältnis zu einem [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbezug]] im engen ([[Proposition|propositionalen]]) Sinn besteht. Vgl. auch <bib id='Schelske 2000a'></bib>.</ref> Genau genommen handelt es sich bei den drei Kategorien um Idealtypen; in konkreten Fällen wirken die zugehörigen Bedeu&shy;tungsre&shy;latio&shy;nen oft auf komplizierte Weise zusammen (vgl. das [[#Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel|ausführliche Beispiel unten]]).<br />
<br />
===Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten===<br />
<br />
Der Peircesche Ausdruck ‘Ikon’ (Plural: ‘Ikone’),<ref>Seltener, und laut Duden auch nicht ganz korrekt, findet sich auch die anglisierte Form ‘Ikons’ als Plural.</ref> der seine altgriechische Wurzel ([[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'#‘Eikon’|εἰκών]], etwa ‘Abbild’) ganz offensichtlich sowohl mit der mittelalterlich-religiösen [[Ikone]] als auch mit dem englischen Leihwort ‘Icon’ des Informationszeitalters (dazu ⊳ [[Bilderschrift und Piktogramm]]) teilt, mit beidem aber nicht verwechselt werden sollte, bezeichnet solche Zeichen, deren Bedeutungs&shy;beziehung sich einer ''[[Ähnlichkeit|Ähnlichkeitsrelation]]'' zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem verdankt (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 64). Dies trifft unter anderem auf [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]] (Spiegelbild) wie “normale” abbildende Bilder (Phantomskizze),<ref>Da die gezeichnete Person durchaus fiktiv sein kann, deutet das Beispiel&#8203; »Phantombild«&#8203; zugleich an, dass es sich auch um eine nur intentionale Abbildlichkeit handeln kann.</ref> auf “Foleys” (von einem Geräuschespezialisten für Hörspiel, [[Film]] oder Computerspiel erzeugte “Geräuschattrappen”) und synthetische Gerüche (künstliches Erdbeeraroma), sowie im sprachlichen Bereich auf onomatopoetische Wörter (‘Kuckuck’), form-ikonische Ausdrücke (‘T-Träger’) und – in gewisser Weise – auf [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|Metaphern]] (“Sprachbilder”) zu.<br />
:<br />
[[Datei:Aehnlichkeitstheorien1.png|thumb|Abbildung 2: Skizze zu verschiedenen Ähnlich&shy;keitskonzep&shy;tionen: (a) “Selbst&shy;ähnlich&shy;keit” als Exempli&shy;fikation (''genuines Ikon'' bei Peirce: ‹Hirsch exempli&shy;fiziert Geweih&shy;förmig&shy;keit›); (b) onto&shy;logischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (c) episte&shy;mischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (d) handlungs&shy;theore&shy;tischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff]]<br />
Tatsäch&shy;lich liegen bei Peirce ''echte'' (''genu&shy;ine'') Iko&shy;ne nur dann vor, wenn man eine Eigen&shy;schaft eines (als Zeichen&shy;trä&shy;ger) wahrge&shy;nomme&shy;nen Gegen&shy;stands dazu benutzt, sich (oder einen ande&shy;ren) auf eben diese Eigen&shy;schaft aufmerk&shy;sam zu machen – wenn also, in Good&shy;mans Begriff&shy;lichkeit, eine [[Referenz, Denotation, Exemplifikation|Ex&shy;em&shy;pli&shy;fi&shy;ka&shy;ti&shy;on]] vor&shy;liegt.<ref>Genau aus diesem Grund gelten genuine Ikone Peirce auch als die einfachste der in Zeichen vorkommenden Gegenstands&shy;beziehungen: Im Gegensatz zu den beiden anderen Klassen richtet sich der Blick bei genuinen Ikonen nämlich nur auf ''einen'' Gegenstand (der “Eigenschafts&shy;träger”), da Zeichenträger und Bezeichnetes in gewisser Weise zusammenfallen. Diese Identität lässt ihn andererseits aber auch von einem degenerierten Zeichen sprechen.</ref> Zei&shy;chen, bei denen wegen geteil&shy;ter Eigen&shy;schaften ein Gegen&shy;stand auf einen ''ande&shy;ren Gegen&shy;stand'' verweist, bezeich&shy;net Peirce genau&shy;er als ‘Hypo&shy;iko&shy;ne’ (auch ‘dege&shy;nerier&shy;te Iko&shy;ne’ <bib id='Peirce 1998a<br />
'></bib>, §276). Doch hat sich genau diese abge&shy;leite&shy;te Charak&shy;teri&shy;sierung für den in der Semiotik zumeist verwen&shy;deten Begiff&#8203; »Ikon«&#8203; durchge&shy;setzt. Offen bleibt dabei zunächst, welche Konzep&shy;tion eigent&shy;lich von&#8203; »Ähnlich&shy;keit«&#8203; zu verwen&shy;den ist. Geht man von einem “onto&shy;logisch” gefass&shy;ten Ähnlich&shy;keits&shy;begriff aus, so stellt die Ähnlich&shy;keits&shy;bezie&shy;hung eine “an sich” bestehende Rela&shy;tion zwischen zwei Gegen&shy;ständen dar, die nicht von spezi&shy;fischen Wahrneh&shy;mungs- und Er&shy;kenntnis&shy;fähig&shy;keiten eines über Ähnlich&shy;keit Urtei&shy;lenden abhängt. Ein “epis&shy;temisch” gefass&shy;ter Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff würde hinge&shy;gen auf das zurück&shy;greifen, was einem bestimm&shy;ten Betrach&shy;ter<ref>Der Ausdruck ‘Betrachter’ ist hier natürlich recht weit gefasst, da er nicht auf die visuelle Sinnesmodalität eingeschränkt verwendet wird.</ref> als ähnlich ''erscheint''. Nur insofern sich ein Teil der (als objektiv oder subjektiv gefassten) “Eigenschafts&shy;struktur” eines Dings in der Eigenschafts&shy;struktur eines anderen Dings spiegelt, kann dieses als ikonisches Zeichen für jenes verwendet werden – und umgekehrt.<ref>Technisch wird oft von einer partiellen [[Isomorphie]] – einer teilweisen Strukturgleichheit – gesprochen. Da dieser Typ von Ähnlichkeitsbeziehung offensichtlich reflexiv ist, folgt dasselbe für die Ikonizität: Wenn ''X'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''Y'' ist, dann ist auch ''Y'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''X''.</ref> Bei einem “behavioristischen” (genauer: [[Exkurs:Handlungen|handlungstheoretischen]]) Ähnlichkeitsbegriff verschiebt sich der Fokus darauf, dass ein Beobachter beurteilt, ob ein beobachtetes Wesen in seinem Verhalten Anlass zu der Behauptung gibt, etwas als etwas anderem ähnlich erkannt zu haben.<ref>Diese um eine Ebene zurückverlegte Betrachtung erlaubt eine “Symmetrie-Brechung”, denn aus dem Vorliegen solcher Gründe, die ''B'' dafür vorbringt, dass ''W'' ''X'' für ''Y'' ähnlich hält, folgt eben keineswegs, dass ''B'' auch Gründe in ''W''’s Verhalten dafür findet, dass ''W'' ''Y'' für ''X'' ähnlich hält.</ref> Diese Ansätze tragen dem Sachverhalt Rechnung, dass introspektive Begründungen für Ähnlichkeitszuschreibungen alleine nicht ausreichen, um über Ikonizität intersujektiv Einigkeit zu erreichen (vgl. <bib id='Schirra & Sachs-Hombach 2013a'></bib>).<br />
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Im Prinzip genügt jeweils bereits ''eine einzige'' (objektive bzw. subjektive) Eigenschaft, die – neben beliebig vielen differierenden – von den betrachteten Gegenständen geteilt wird, um die Ikonizität einer Zeichenbeziehung zwischen jenen zu gewährleisten. Je größer die Ähnlichkeit, desto stärker ist die Ikonizität, wenn der eine Gegenstand als Zeichen für den anderen betrachtet wird. Probleme ergeben sich hingegen, wenn ''alle'' Eigenschaften übereinstimmen: Als im engen Sinne&#8203; »ähnlich«&#8203; werden üblicherweise zwei Gegenstände nur dann betrachtet, wenn es mindestens auch eine Eigenschaft gibt, in der sie sich nicht gleichen.<ref>Ob jeder Gegenstand als sich selbst ähnlich verstanden werden sollte, ob der Begriff&#8203; »Ähnlichkeit«&#8203; also als Begriff einer reflexiven zweistelligen Relation angesetzt werden sollte, ist umstritten (vgl. etwa <bib id='Goodman 1970a'></bib>). Weitgehende Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass ein Zeichenträger nur dann Zeichenfunktion erfüllen kann, wenn er nicht mit dem Gegenstand, auf den er verweist, identisch ist (vgl. bereits <bib id='Platon 1922a'></bib>: 432a-c). Allerdings lässt sich der Unterschied zwischen tierischer Gegenstands&shy;wahrnehmung und menschlicher Gegenstands&shy;wahrnehmung (u.a. bei bei handlungstheoretischer Betrachtung) auch darauf zurückführen, dass bei letzterer prinzipiell und daher unabtrennbar eine reflektierende Distanz zum Wahrnehmen tritt: Das menschliche Gegenstands&shy;sehen ist immer ein »sich selbst zu sehen geben« (wobei der dabei in der Erläuterung verwendete Ausdruck ‘Sehen’ auf die tierische, d.h. nicht reflektierte Version bezogen bleibt; ⊳ [[Sehen]]; vgl. auch [[Sortale Gegenstände und Individuation]] und [[Dezeptiver und immersiver Modus]]). In der Folge ist dann die Rede davon, dass Menschen sehen, indem sie sich – sich selbst gegenüber – als Sehende darstellen.</ref> <br />
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===Indexikalität und raumzeitliche Zu&shy;sammen&shy;hänge===<br />
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Von einem ‘Index’ (Plural ‘Indizes’) spricht Peirce bei einem Zeichen, dessen Träger aufgrund seines ''raumzeitlichen'' und insbesondere ''kausalen'' Zusammenhangs mit dem Bezeichneten als Zeichen für letzteres verwendet wird (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65): wenn also beispielsweise Rauch das Zeichen für Feuer oder rote Hautflecken das Zeichen für (eine Infektion mit) Masern bilden. Alles was in den entsprechenden Naturwissenschaften von Physik bis Medizin als Auswirkung, Anzeichen oder Symptom für ein Phänomen ''X'' gilt, stellt mithin auch einen Peirceschen Index für ''X'' dar.<ref>Vgl. auch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#cite_note-7|Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem: Anmerkung 8]]. — Da Symptome nicht kriterial (also weder hinreichend noch notwendig) für das, was sie anzeigen (können), sind – Rauch kann auch ohne Feuer auftreten (und Feuer ohne Rauch), so wie rote Hautflecken ohne Maserninfektion (und Maserninfektionen ohne das Ausbilden von roten Hautflecken) möglich sind – kann der Index-Charakter eines Zeichens recht labil sein.</ref> Genau genommen verweist ein indexikalisches Zeichen daher weniger auf einen anderen Gegenstand als vielmehr auf die ''Anwesenheit'' eines anderen Gegenstands in direkter Nähe zum Zeichenträger. Das unterscheidet Indizes deutlich von den beiden anderen Zeichenarten, die eher dazu verwendet werden, Abwesendes zu bezeichnen.<ref>Wie oben erwähnt stellen nur genuine Ikone im Peirceschen Sinn eine Ausnahme davon dar.</ref> Was genau als »Nähe zum Zeichenträger« zu verstehen ist kann dabei allerdings von verschiedenen Faktoren abhängen. Bei einer Spur etwa kann die zeitliche Koinzidenz mehr oder weniger stark in die Vergangenheit ausgedehnt sein: Der die Spur erzeugende Hase beispielsweise mag längst über alle Berge sein, wenn der Jäger sie als indexikalisches Zeichen für den Hasen (oder genauer seine Anwesenheit) nutzt. Kausalketten können zu einer fast beliebig großen räumlichen Ausdehnung der Nähe-Region beitragen. Wesentlich ist für Indexikalität, dass der Bereich, den der Zeichennutzer als (erweitertes) “Hier und Jetzt” betrachtet, neben dem Zeichenträger stets auch das Bezeichnete enthält, so dass man gewissermaßen auch mit dem Finger darauf deuten könnte.<ref>Wegen dieser Besonderheit spielen Indizes in Taufsituationen, wie sie zur Einführung von [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|symbolischen Zeichen]] verwendet werden, eine wichtige Rolle. — Die Bezeichnung ‘Index’ leitet sich vom lateinischen Wort für Zeigefinger ab.</ref><br />
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Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Indexikalität nicht notwendig von einer natürlichen Beziehung zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem ausgeht: Auch das Ortseingangsschild am Rand einer Stadt steht in direkter, wenn auch absichtlich erzeugter raumzeitlicher Beziehung zu dem Bezeichneten (eben dem Rand jener Stadt). Gleiches gilt für das auf dieser Glossarseite links oben gezeigte Logo (das markiert: ›dies ist eine Seite des Glossars der Bildphilosophie‹), die farblichen Markierungen, die in diesem Glossartext anzeigen, an welchen Stellen durch Mausklick eine andere Seite erreicht werden kann, oder auch generell Pfeile und Zeiger. Nicht alle Indizes sind mithin auch Symptome im engen (physikalisch-kausalen) Sinn, oder, wie es dann auch heißt: ‘''natürliche'' Indizes’. Im Gegensatz zu den natürlichen ist die raumzeitliche Beziehung, die zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem vermittelt, bei den ''künstlichen'' Indizes mit Absicht erzeugt – Intentionalität ersetzt also in diesen Fällen Kausalität.<ref>Die intentionsbasierten Indizes stehen in enger Verbindung zum Begriff des [[Zeigen und Sich-Zeigen|Zeigens]], d.h. der Deixis (›jemand zeigt jemandem etwas‹), während die kausalen Indizes höchstens als einfache Fälle von&#8203; »[[Zeigen und Sich-Zeigen|Sich-Zeigen]]«&#8203; (›etwas zeigt sich‹) begriffen werden können.</ref> Gleichwohl besteht die semantische Pointe auch bei dieser Unterklasse darin, dass allein die raumzeitliche Nähe bereits die Bedeutung des Zeichens bei der Verwendung zu induzieren scheint. <br />
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Sprachliche Ausdrücke, wie insbesondere ‘hier’ und ‘jetzt’, aber auch ‘ich’, ‘wir’, ‘du’, ‘ihr’ hängen in ihrer jeweiligen Bedeutung ebenfalls stark ab vom [[Kontext]] ihrer Verwendung: Die raumzeitliche Beziehung zu Ort und Zeit ihrer Äußerung bestimmt, welcher Ort mit ‘hier’, welche Person mit ‘du’ gemeint ist. Gleiches gilt natürlich auch für ‘içi’ oder ‘here’, für ‘tu’ oder ‘you’ – um nur zwei andere europäische Sprachen als Beispiele zu bemühen. Neben aller Konventionalität, die diese Art von Ausdrücken eigentlich zu [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|Symbolen]] im Sinne von Peirce werden lässt, bleibt ihnen ein Moment an Indexikalität wesentlich, weshalb man auch von ‘indexikalischen Ausdrücken’ spricht.<br />
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Einen weiteren Sonderfall indexikalischer Zeichen stellen [[Fotografie|Photographien]] (und die Produkte verwandter technischer Bildgebungsverfahren) dar: Offenkundig beruhen die hier betrachteten Produktionsverfahren für Zeichenträger darauf, dass eine mehr oder weniger lange aber durchgehende Kette streng kausaler, physikalisch-chemischer Schritte den Zeichenträger automatisch aus dem Bezeichneten (‘Abgebildeten’) ableiten.<ref>Vgl. hierzu auch die Diskussion im Glossarbeitrag&#8203; «[[Digitales Bild#Zu a. (Nicht-)Indexikalität|Digitales Bild]]»&#8203; zu deren (Nicht-)&#8203;Indexikalität.</ref> Obwohl als Bilder eigentlich den [[#Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten|ikonischen]] Zeichen zuzuordnen, schwingt zumindest bei dieser Untermenge auch Indexikalität in ihrem Begriff mit.<ref>Eine analoge Argumentation gilt für “Tonkonserven”: Auch diese beinhalten offensichtlich stets sowohl ikonische als auch indexikalische Momente. </ref><br />
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===Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen===<br />
Ikone gleichen Indizes in einer wichtigen Hinsicht, in der die dritte semantische Zeichenkategorie von Peirce abweicht: Wegen des direkt erkennbaren Zusammenhangs zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem scheint die Bedeutung des Zeichens nicht erst durch einen geeigneten Taufakt etabliert werden zu müssen. Indizes und Ikone funktionieren ohne vorangehende Festlegung einer entsprechenden Bedeutungskonvention. Das gilt für viele der von uns im Alltag verwendeten Zeichengebräuche keineswegs, wie jeder leicht selbst feststellen kann, wenn er eine fremde Sprache erlernen will. Zeichen, deren Bedeutungsbeziehung mithilfe einer Konvention festgelegt werden müssen, nennt Peirce ‘Symbole’ (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65ff.).<ref>Das Wort geht auf das griechiche ‘συμβάλλω’ zurück (symbállō – zusammenfügen).</ref><br />
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[[Datei:Symbol und Zeichen2.png|thumb|Abbildung 3: Skizze zum Problem um die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’]]<br />
Dieser Wortgebrauch differiert deutlich von einer anderen, vor allem im deutschsprachigen Raum verbreiteten (auch von Saussure benutzten) Kon&shy;ven&shy;tion, die dem ‘Zeichen’ das ‘Symbol’ gegenüberstellt, wobei ‘Symbol’ in diesem Sinn häufig synonym zu ‘Sinnbild’ ge&shy;braucht wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Anmerkungen zu ‘Sinnbild’ im Artikel&#8203; «[[Emblem]]». Eine grobe Übersicht findet sich unter [http://de.wikipedia.org/wiki/Symbol Wikipedia: Symbol]. </ref> Markiert man die unterschiedlichen Wortgebräuche mit den Indizes ‘''D''’ (deutsch) und ‘''P''’ (Peirce), so ergibt sich (Abb. 3):&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; sind gerade keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; eine Unterart von&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind; des weiteren entsprechen&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; weitgehend&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; in etwa den Peirceschen&#8203; »Iko&shy;nen«&#8203; entsprechen, also zwar keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; wohl aber&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind.<ref>Da zudem der wesentliche Unterschied zwischen »Zeichen<sub>''D''</sub>«&#8203; und »Symbolen<sub>''D''</sub>«&#8203; darin besteht, dass die Bedeutungsrelation bei ersteren als rein willkürlich, bei letzteren hingegen als aus dem Symbolisierten natürlich erwachsende Relation verstanden wird, schließen sich beide wechselseitig aus. Die Peirceschen Begriffsumfänge überlappen sich hingegen.</ref> Es empfiehlt sich daher, – besonders in der bildwissenschaftlichen Dikussion – sehr genau darauf zu achten, in welcher Bedeutung die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’ jeweils verwendet werden.<ref>Vor diesem Hintergrund mag jemand, der Bilder als (ikonische)&#8203; »Zeichen<sub>''P''</sub>«&#8203; betrachtet, schnell in ein Wortgefecht über die Zeichenhaftigkeit von Bildern geraten mit jemandem, der Bilder als&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; versteht.</ref><br />
:<br />
Eine konventionelle Bedeutungszuschreibung liegt im Übrigen nicht nur dann vor, wenn eine Regel, auf die man sich im Zweifelsfall berufen kann, ausdrücklich festgelegt wird (Taufakt im weiten Sinn). Es kann sich auch um historisch gewachsene Gewohnheiten oder stillschweigende (implizite) Übereinkünfte handeln, wie sie bei den meisten Zeichen der “natürlichen” Sprachen, etwa den Wörtern und Sätzen des Deutschen, vorliegen. Hier existieren keine vorweisbaren Situationen mit entsprechenden bedeutungs&shy;stiftenden Akten, auf die man beim Verdacht einer falschen Verwendungsweise des symbolischen Zeichens verweisen könnte. Zudem wirken in aller Regel die sozialen Mecha&shy;nismen, die zur Bildung der Tradition beitragen haben, immer weiter, weswegen sich die Tradi&shy;tionen konti&shy;nuierlich “unter der Hand” ändern&#8203; (»Sprachwandel«).&#8203; Im Gegensatz zu den tradierten Bedeutungskonventionen können ausdrück&shy;lich verein&shy;barte Zeichen&shy;bedeu&shy;tungen hingegen nur wieder durch weitere ausdrück&shy;liche Verein&shy;barungen der betroffenen Zeichen&shy;nutzer verändert werden.<ref>Als Alternative bleibt allerdings eine Entwicklung von der explizit vereinbarten Konvention zu einer die ursprüngliche “Taufsituation” vergessenden und im Weiteren als rein tradierte Konvention verstandenen Bedeutungs&shy;relation möglich. </ref><br />
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Obwohl verwandt sollten die Begriffe&#8203; »Konven&shy;tion«&#8203; und&#8203; »Will&shy;kür&shy;lich&shy;keit«&#8203; (auch&#8203; »Arbi&shy;trari&shy;tät«)&#8203; in diesem Zusam&shy;menhang nicht mitein&shy;ander verwech&shy;selt werden: Auch tradierte Konven&shy;tionen sind in der Regel auf die eine oder andere Weise motiviert und nicht rein willkürlich.<ref>Ein Beispiel für derartige Motivationen ist im [[Exkurs: Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen|Exkurs:Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen]] dargestellt.</ref> Und selbst die an sich frei verfügbaren Assoziationsmöglichkeiten werden bei explizit vereinbarten Konventionen aus guten (etwa mnemotechnischen) Gründen kaum je wirklich ausgeschöpft. Historisch bildete zwar die Frage nach der Willkürlichkeit der Bedeutungsbeziehung in Gestalt der ''phýsei/thései''-Debatte in der griechischen Antike den wesentlichen Ausgangspunkt für die sukkzessive Differenzierung möglicher Objektrelationen bis hin zu Peirce (und darüber hinaus). Doch ergab sich im Verlauf dieser begrifflichen Entfaltung, dass es weniger um die Frage nach einer natürlich (sprich: unabhängig von Zeichenverwendern) bestehenden Beziehung zwischen Zeichen(träger) und Bezeichnetem geht, als vielmehr um verschiedene Möglichkeiten, Aspekte eines als Zeichenträger verwendeten Objekts in das komplexe Geschehen von Zeichenhandlungen zu integrieren (vgl. <bib id='Trabant 1996a'></bib>, Abschn. II.4).<ref>In engem Zusammenhang zur “Willkürlichkeit” von Zeichenträgern für die zugehörigen Bedeutungen steht zudem die Diskussion um die Möglichkeit einer Rückwirkung des Zeichenträgers auf das Verständnis dessen, was dieser Ausdruck bedeutet: Unter der Bezeichnung ‘Prinzip der sprachlichen Relativität’ (auch: ‘Sapir-Whorf-Hypothese’; vgl. [http://de.m.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-Hypothese Wikipedia: Sapir-Whorf-Hypothese] wird die Vorstellung diskutiert, dass die “Weltsicht”, das “Weltbild” einer Sprach- (oder allgemeiner: Zeichen-)gemeinschaft entscheidend durch die von ihren Mitgliedern verwendeten Sprachzeichen bestimmt wird; ⊳ [[Weltbild, Lebensform]] & [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]].</ref> <br />
:<br />
Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die [[Perspektive und Projektion|Perspektive]] als einer symbolischen Form<ref>Cassirer bezeichnet mit dem Ausdruck ‘symbolische Form’ „jede Energie des Geistes [...], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“ (<bib id='Cassirer 2009a'></bib>, S. 67). Der Ausdruck ‘Zeichen’ wird dabei offensichtlich im Sinn von ‘Zeichenträger’ verwendet und ‘Symbol’ (als dritte hier erwähnte Bedeutungsvariante dieses Ausdrucks) analog zu ‘Zeichen<sub><small>''P''</small></sub>’ (s.o.).</ref> “sehen” (vgl. <bib id='Panofsky 1924a'></bib>). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende [[Sehen]] genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. <bib id='Cassirer 1930a'></bib>).<br />
<br />
==Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel==<br />
<br />
:''Nach diesen Prämissen sind Bilder häufig als der Prototyp des ikonischen Zeichens interpretiert und gelegentlich sogar mit dem Ikon überhaupt verwechselt worden [...] Es gibt aber Bilder, die in größerem Maße ikonisch, solche, die eher indexikalisch, und andere, die überwiegend symbolisch sind. Das Kriterium des Anteils an ikonischen, indexikalischen und symbolischen Elementen erlaubt es, in der Kulturgeschichte des Bildes drei Prototypen zu bestimmen. Prototyp des ikonischen Bildes ist danach nicht die gegenständliche, sondern vielmehr die nichtgegenständliche, die abstrakte Malerei. Prototyp des indexikalischen Bildes sind ebenso die Photographie wie die gegenständliche Malerei, und Prototyp des symbolischen Bildes ist die [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonologisch]] beziehungsweise [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonographisch]] kodifizierte Malerei.'' (<bib id='Nöth 2009'></bib>, S. 243f.) <br />
:<br />
Aus bildwissenschaftlicher Perspektive spielen Ikonizität (insofern »Bild« und »Ähnlichkeit« zusammenhängen) und Indexikalität (vor allem bei den kausalen Bildgebungsverfahren) die grössere, aber keineswegs die alleinige Rolle. Auch bei Bilverwendungen treten zahlreiche symbolische Aspekte auf. Nöths Zuordnung der ikonischen Prototypikalität mit der [[Semantik ungegenständlicher Bilder|nichtgegenständlichen Malerei]] in obigem Zitat mag zunächst verwundern, ist aber dem Umstand geschuldet, dass er die beiden Pole der Assoziation auf je spezielle Weise interpretiert: Mit solchen Bildträgern würde erstens nämlich nur auf eine Eigenschaft des jeweiligen Bildträgers verwiesen, was zweitens eben genau dem ursprünglichen Peirceschen ''genuinen'' Ikon entspricht. Allerdings sind einerseits andere Interpretationen des Phänomens ungegenständlicher Bilder möglich (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung#Zusammenhänge mit anderen Begriffen|Bild in reflexiver Verwendung, Abschnitt «Zusammenhänge mit anderen Begriffen»]]), und andererseits eine weiter gefasste Verwendungsweise von ‘Ikon’ bildphilosophisch durchaus üblicher. In der Praxis dürften prototypische Fälle von Ikonizität, Indexikalität oder Symbolhaftigkeit in der Tat weder bei Bildern noch auch bei anderen Zeichentypen häufig auftreten. Mischformen dominieren unseren Bild(Zeichen)gebrauch.<br />
:<br />
[[Datei:Hiroshima.jpg|thumb|Abbildung 4: Ein Schatten in Hiroshima — 6. August 1945, 8:15]]<br />
Die Anwendung der drei Aspek&shy;te auf ein konkretes Beispiel mag besser verdeut&shy;lichen, wie vielfäl&shy;tig die seman&shy;tischen Re&shy;la&shy;tio&shy;nen letztendlich für einen einzigen Bildträger zusam&shy;menwir&shy;ken: Abbil&shy;dung 4 gibt das Schwarz-&#8203;Weiß-&#8203;Photo eines unbe&shy;kannten Photo&shy;graphen wieder, das vermut&shy;lich in den letzten Tagen des Jahres 1945 aufge&shy;nommen wurde und im ''Hiro&shy;shima Peace Memo&shy;rial Museum'' aufbe&shy;wahrt wird. Zu sehen sind zwei Stufen einer steiner&shy;nen Treppe, die zum Eingang des Gebäu&shy;des der Sumi&shy;tomo-&#8203;Bank im Zentrum der japa&shy;nischen Stadt Hiro&shy;shima führt, sowie ein kleiner Ausschnitt der Wand des Gebäudes. Auf den Treppen&shy;stufen zeichnen sich schwärzli&shy;che Spuren im perspek&shy;tivisch verzerr&shy;ten Umriß eines menschli&shy;chen Körpers ab. Es wird angenommen, dass sie entstanden sind, als am 6. August 1945 um 8 Uhr 15 eine Atombombe die Stadt zerstörte und Druck, Hitze und Strahlung die verglühenden Überreste einer Person, die zufällig zu diesem Zeitpunkt vor dem Gebäude auf den Stufen stand, in den Stein eingebrannt haben. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit der Beispiel&shy;photographie===<br />
Wegen der längeren, aber durchweg kausalen Kette von optischen, photochemischen und digitaltechnischen Transformationen, die den hier betrachteten Zeichenträger mit der Aufnahmesituation in Hiroshima zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz nach der Bombenexplosion verbinden, hat das damit verwendete Zeichen offensichtlich Index-Charakter. Da zudem eine visuelle Ähnlichkeit zu den tatsächlichen Treppenstufen in Japan besteht, ist auch ein deutlicher ikonischer Anteil gegeben. Symbolhaftigkeit tritt hinzu, weil die Signifikanz dieses Bildes erst klar werden kann, wenn man es in seinen historischen Kontext einordnen kann: Zwar ist – ikonisch – eine Art menschlicher Schatten zu sehen, der – indexikalisch – als Teil einer real in Raum und Zeit existierenden (d.h. mit dem ''Hier und Jetzt'' der Rezeptionssituation kausal verbundenen) Szene verstanden wird, doch dass diese Photographie etwa auch als Zeichen für die schreckliche Gewalt einer Atombombenexplosion über bewohntem Gebiet dienen mag, erschließt sich nur in einem durch Konventionen etablierten Verständnisrahmen.<br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des abgebildeten “Schattens”===<br />
Tatsächlich lassen sich Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeiten in diesem Beispiel (wie übrigens bei fast allen Bildern) auch noch auf einer zweiten Ebene anwenden: Denn auch der “Schatten” selbst wird in der Regel ja zeichenhaft gelesen. Als Symptom der ihn verursachenden Explosion kann er als Index für alle der in der zu ihm führenden Kausalkette enthaltenen Faktoren verwendet werden: Dominant in dieser Hinsicht sind sicherlich die Person, die in jenem verhängnisvollen Augenblick an jener Stelle stand, die Strahlungen, die in jenem Moment den Schatten in den Stein brannten, sowie das Ereignis, das die Strahlung ausgelöst hat: die Explosion von «Little Boy».<ref>Wegen der Transitivität der Kausalbeziehung “verlängert” die Photographie als Index die bereits signifikanten Kausalketten der abgebildeten Szene sozusagen bis zum Betrachter.</ref> Voraussetzung für eine solche indexikalische Zeichenverwendung mit einer dieser Bedeutungen ist die Einbettung des “Schattens” in eine [[Interaktion und Kommunikation|kommunikative Interaktion]] (inklusive Selbstdarstellung des Senders) mit bewusster Kontrolle des kommunikativen Zwecks der Handlung (Reflexivierung inklusive Antizipation des Kommunikationspartners; ⊳ [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]). Diese Bedingung ist auch erfüllt, wenn sich jemand selbst vor Ort mithilfe des “Schattens” auf die entsprechende Ursache aufmerksam macht. <br />
:<br />
Insofern der “Schatten” eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem Menschen hat, kann er zudem als ein ikonisches Zeichen für jenen stehen. Auch hier ist die Einbettung in den komplexen Handlungszusammenhang einer Zeichenverwendung Voraussetzung. Analog zur Verlängerung der indexikalischen Aspekte des Dargestellten durch die Indexikalität der Darstellung “verlängert” die Ikonizität des Bildes die ikonischen Aspekte des im Bild Dargestellten.<ref>Diese Transitivität ist allerdings weniger deutlich ausgeprägt als bei der Kausalität: Wenn ''A'' ähnlich zu ''B'' ist, ''B'' ähnlich zu ''C'' und schließlich ''C'' ähnlich zu ''D'', folgt bekanntlich keineswegs zwingend, dass ''A'' auch ähnlich zu ''D'' ist – mit entsprechenden Konsequenzen für die Ikonizität entsprechender Darstellungsbeziehungen (etwa: die Kopie einer Kopie einer Kopie eines Bildes). </ref><br />
:<br />
Als einem symbolischen Zeichen kann man sich dem “Schatten” schließlich zuwenden, wenn man damit etwa die eigene Aufmerksamkeit oder die eines anderen absichtlich auf den Sachverhalt lenken möchte, dass die Menschheit mit der in Hiroshima erstmals grauenvoll demonstrierten Fähigkeit, Atombomben über bewohnten Städten explodieren zu lassen, eine gefährliche Grenze überschritten hat. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des reflexiv genutzten Photos===<br />
Eine dritte Bedeutungsebene ergibt sich, wenn wir in Betracht ziehen, dass jedes Bild auch dazu benutzt werden kann, als Zeichen für einen Aspekt des Zeichengebrauchs selbst zu dienen (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung|Bild in reflexiver Verwendung]]). Eben dies ist ja unter anderem in diesem Glossarartikel mit dem Zeichenträger aus Abbildung 4 geschehen. Auch auf dieser Ebene können die drei Arten von ''Objektbezügen'' auftreten: <br />
* Ikonizität als Exemplifikation einer konkreten Eigenschaft des aktuellen Zeichenhandlungs''schemas'': Z.B. kann mithilfe des Bildträgers darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Bedeutungen jeder seiner Zeichenverwendungen ikonische, indexikalische und symolische Aspekte umfasst, indem eben diese Eigenschaft am Exempel demonstriert wird.<br />
* Indexikalität als Verweis auf die gerade im Kontext ablaufende Zeichenhandlungs''instanzen'' und ihre Eigenheiten: So kann sich ein Leser dieses Text-Bild-Ensembles etwa mithilfe des Zeichenträgers aus Abbildung 4 darauf aufmerksam machen, dass die Bedeutungen, die er ihm in verschiedenen Instanziierungen der Zeichenhandlung im Verlauf der Lektüre des umgebenden Textes gibt, sich wandeln und etwa mal mehr, mal weniger ikonisch oder indexikalisch bestimmt sind.<br />
* Symbolhaftigkeit, insofern alle abstrakten Eigenschaften des Zeichenhandlungsschemas, auf die mit der reflexiven Verwendung des Bildträgers verwiesen werden kann, wegen ihrer Abstraktheit konventionell (oder traditionell) etabliert worden sind: Dass eine Bildverwendung Begriffe wie&#8203; »syntaktische Dichte«,&#8203; »genuine Ikonizität«&#8203; oder&#8203; »Ästhetisierung eines Sujets«&#8203; exemplifizieren kann hat stets auch eine regelbezogene Komponente. Das gilt insbesondere für Fälle negativer Exemplifikation, bei denen definitionsgemäß keine ikonischen oder indexikalischen Momente auftreten können. <br />
: <br />
— In jedem konkreten Gebrauch des in Abbildung 4 wiedergegebenen Zeichenträgers können auf den erwähnten drei Zeichenebenen die drei von Peirce inspirierten Objektbezüge in jeweils verschiedenen Ausprägungen und variierenden Kombinationen die effektive Kommunikation semantisch prägen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung von einer einzigen »Bedeutung eines Bildträgers« bestenfalls stark verkürzt und stets abhängig von einer – meist nur implizit – als Standard festgelegten Referenzverwendungsweise, zu der ein Begriff von standardisierten Kommunizierenden mit bestimmtem Hintergrundwissen ebenso wie standardisierte Kommunikationsziele gehören (z.B. ikonische, nicht-reflexive Verwendung). Semiose – bei Peirce als fortlaufende Erzeugung weiterer Interpretanten gedacht, genauer: als Folge (mentaler) Zeichen, die die Bedeutung des ersten Zeichens elaborieren – kann offensichtlich auch noch in einem anderen Sinn verstanden werden: als ein sukzessives Ausarbeiten der verschiedenen Möglichkeiten, einen Zeichenträger als Zeichen zu verwenden.<br />
:<br />
Für die Frage nach der [[Identität bildhafter Zeichen]] verschiebt sich der Fokus von einem am physischen Bildträger orientierten Kriterium zu einem an der jeweiligen Verwendungssituation orientierten Kriterium.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]]<br />
* [[Bedeutung und Referenz]]<br />
* [[Bilderschrift und Piktogramm]]<br />
* [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Digitales Bild]]<br />
* [[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'|Griechisch: ‘agalma’, ‘phantasma’, ‘eidolon’, ‘typos’, ‘eikon’]]<br />
* [[Identität bildhafter Zeichen]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]]<br />
* [["natürliche" Bilder]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Perspektive und Projektion]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Referenz, Denotation, Exemplifikation]]<br />
* [[Sehen]]<br />
* [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie]]<br />
* [[Weltbild, Lebensform]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
* [[Zeigen und Sich-Zeigen]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J. ]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Symbol,_Index,_Ikon&diff=20791Symbol, Index, Ikon2013-12-27T14:32:10Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Einteilung der Zeichen bei Peirce */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
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==Einteilung der Zeichen bei Peirce ==<br />
[[Datei:Peirce.jpg|thumb|Abbildung 1: Kleine Übersicht über die dreifache Basis-Dreiteilung der Peirceschen Zeichenbegriffe]]<br />
Charles S. Peirce (1839-&#8203;1914) gilt als einer der Grün&shy;dungs&shy;väter der moder&shy;nen Zei&shy;chen&shy;theorie. Auf ihn geht auch eine diffe&shy;renzier&shy;te Eintei&shy;lung der Zeichen&shy;arten zu&shy;rück (Abb. 1), von der zu&shy;min&shy;dest ein Teil sehr weite Ver&shy;breitung gefun&shy;den hat. Grob skizziert unter&shy;scheidet Peirce drei zeichen&shy;rele&shy;vante Ebe&shy;nen, die unge&shy;fähr mit der Eintei&shy;lung in [[Pragmatik, Semantik, Syntax|Pragma&shy;tik, Seman&shy;tik und Syntax]] über&shy;einstim&shy;men. In jeder dieser Ebenen setzt er eine weite&shy;re Dreitei&shy;lung an. Syntak&shy;tisch diffe&shy;renziert er Zeichen in&#8203; »Sinzei&shy;chen«,&#8203; »Le&shy;gi&shy;zeichen«&#8203; und&#8203; »Quali&shy;zei&shy;chen«,&#8203; während&#8203; »The&shy;ma«,&#8203; »Rhema«&#8203; und&#8203; »Dicent«&#8203; pragma&shy;tische&#8203; (wirkungs&shy;bezo&shy;gene) Zei&shy;chen&shy;unter&shy;kate&shy;gori&shy;en bilden.<ref>Vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>; siehe auch: <bib id='Birk et al. 2014a'></bib>.</ref> <br />
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Es ist vor allem die semantische Ebene, deren Peircesche Dreiteilung unter Semiotikern und Theoretikern benachbarter Disziplinen, wie Sprach&shy;philo&shy;sophie und Kunstgeschichte, machtvoll nachwirkt und nicht zuletzt in seinem Begriff der Ikonizität für die Bildtheorie große Relevanz aufweist.<ref>Ob sich die Bestimmung der entsprechenden Begriffe tatsächlich im rein semantischen Sinn durchführen lässt, oder nicht vielmehr tatsächlich notwendiger Weise pragmatische Aspekte berücksichtigt werden müssen, hängt letztlich an dem Status, den man der Semantik relativ zur Pragmatik zuschreibt. </ref><br />
<br />
==Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung==<br />
Da sie auf die semantische Ebene fokussiert sind, differenzieren die Peirceschen Zeichenkategorien&#8203; »Index«,&#8203; »Ikon«&#8203; und&#8203; »Symbol«&#8203; die Klasse der [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen]] gemäß dem Charakter der Beziehung, die zwischen dem [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichenträger]] und dem damit Bezeichneten besteht (in Abb. 1 als ‘Objektbezug’ charakterisiert). Diese “Objekt”&shy;beziehung gilt als konstitutiv für die Bedeutung, die dem Zeichenträger zugeschrieben wird.<ref>Offen bleibt an dieser Stelle, ob der “Objektbezug” einen Referenten im engeren (extensionalen) Sinn meint (⊳ [[Bedeutung und Referenz]] und [[Nomination]]) bzw. welches Verhältnis zu einem [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbezug]] im engen ([[Proposition|propositionalen]]) Sinn besteht. Vgl. auch <bib id='Schelske 2000a'></bib>.</ref> Genau genommen handelt es sich bei den drei Kategorien um Idealtypen; in konkreten Fällen wirken die zugehörigen Bedeu&shy;tungsre&shy;latio&shy;nen oft auf komplizierte Weise zusammen (vgl. das [[#Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel|ausführliche Beispiel unten]]).<br />
<br />
===Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten===<br />
<br />
Der Peircesche Ausdruck ‘Ikon’ (Plural: ‘Ikone’),<ref>Seltener, und laut Duden auch nicht ganz korrekt, findet sich auch die anglisierte Form ‘Ikons’ als Plural.</ref> der seine altgriechische Wurzel ([[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'#‘Eikon’|εἰκών]], etwa ‘Abbild’) ganz offensichtlich sowohl mit der mittelalterlich-religiösen [[Ikone]] als auch mit dem englischen Leihwort ‘Icon’ des Informationszeitalters (dazu ⊳ [[Bilderschrift und Piktogramm]]) teilt, mit beidem aber nicht verwechselt werden sollte, bezeichnet solche Zeichen, deren Bedeutungs&shy;beziehung sich einer ''[[Ähnlichkeit|Ähnlichkeitsrelation]]'' zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem verdankt (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 64). Dies trifft unter anderem auf [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]] (Spiegelbild) wie “normale” abbildende Bilder (Phantomskizze),<ref>Da die gezeichnete Person durchaus fiktiv sein kann, deutet das Beispiel&#8203; »Phantombild«&#8203; zugleich an, dass es sich auch um eine nur intentionale Abbildlichkeit handeln kann.</ref> auf “Foleys” (von einem Geräuschespezialisten für Hörspiel, [[Film]] oder Computerspiel erzeugte “Geräuschattrappen”) und synthetische Gerüche (künstliches Erbeeraroma), sowie im sprachlichen Bereich auf onomatopoetische Wörter (‘Kuckuck’), form-ikonische Ausdrücke (‘T-Träger’) und – in gewisser Weise – auf [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|Metaphern]] (“Sprachbilder”) zu.<br />
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[[Datei:Aehnlichkeitstheorien1.png|thumb|Abbildung 2: Skizze zu verschiedenen Ähnlich&shy;keitskonzep&shy;tionen: (a) “Selbst&shy;ähnlich&shy;keit” als Exempli&shy;fikation (''genuines Ikon'' bei Peirce: ‹Hirsch exempli&shy;fiziert Geweih&shy;förmig&shy;keit›); (b) onto&shy;logischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (c) episte&shy;mischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (d) handlungs&shy;theore&shy;tischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff]]<br />
Tatsäch&shy;lich liegen bei Peirce ''echte'' (''genu&shy;ine'') Iko&shy;ne nur dann vor, wenn man eine Eigen&shy;schaft eines (als Zeichen&shy;trä&shy;ger) wahrge&shy;nomme&shy;nen Gegen&shy;stands dazu benutzt, sich (oder einen ande&shy;ren) auf eben diese Eigen&shy;schaft aufmerk&shy;sam zu machen – wenn also, in Good&shy;mans Begriff&shy;lichkeit, eine [[Referenz, Denotation, Exemplifikation|Ex&shy;em&shy;pli&shy;fi&shy;ka&shy;ti&shy;on]] vor&shy;liegt.<ref>Genau aus diesem Grund gelten genuine Ikone Peirce auch als die einfachste der in Zeichen vorkommenden Gegenstands&shy;beziehungen: Im Gegensatz zu den beiden anderen Klassen richtet sich der Blick bei genuinen Ikonen nämlich nur auf ''einen'' Gegenstand (der “Eigenschafts&shy;träger”), da Zeichenträger und Bezeichnetes in gewisser Weise zusammenfallen. Diese Identität lässt ihn andererseits aber auch von einem degenerierten Zeichen sprechen.</ref> Zei&shy;chen, bei denen wegen geteil&shy;ter Eigen&shy;schaften ein Gegen&shy;stand auf einen ''ande&shy;ren Gegen&shy;stand'' verweist, bezeich&shy;net Peirce genau&shy;er als ‘Hypo&shy;iko&shy;ne’ (auch ‘dege&shy;nerier&shy;te Iko&shy;ne’ <bib id='Peirce 1998a<br />
'></bib>, §276). Doch hat sich genau diese abge&shy;leite&shy;te Charak&shy;teri&shy;sierung für den in der Semiotik zumeist verwen&shy;deten Begiff&#8203; »Ikon«&#8203; durchge&shy;setzt. Offen bleibt dabei zunächst, welche Konzep&shy;tion eigent&shy;lich von&#8203; »Ähnlich&shy;keit«&#8203; zu verwen&shy;den ist. Geht man von einem “onto&shy;logisch” gefass&shy;ten Ähnlich&shy;keits&shy;begriff aus, so stellt die Ähnlich&shy;keits&shy;bezie&shy;hung eine “an sich” bestehende Rela&shy;tion zwischen zwei Gegen&shy;ständen dar, die nicht von spezi&shy;fischen Wahrneh&shy;mungs- und Er&shy;kenntnis&shy;fähig&shy;keiten eines über Ähnlich&shy;keit Urtei&shy;lenden abhängt. Ein “epis&shy;temisch” gefass&shy;ter Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff würde hinge&shy;gen auf das zurück&shy;greifen, was einem bestimm&shy;ten Betrach&shy;ter<ref>Der Ausdruck ‘Betrachter’ ist hier natürlich recht weit gefasst, da er nicht auf die visuelle Sinnesmodalität eingeschränkt verwendet wird.</ref> als ähnlich ''erscheint''. Nur insofern sich ein Teil der (als objektiv oder subjektiv gefassten) “Eigenschafts&shy;struktur” eines Dings in der Eigenschafts&shy;struktur eines anderen Dings spiegelt, kann dieses als ikonisches Zeichen für jenes verwendet werden – und umgekehrt.<ref>Technisch wird oft von einer partiellen [[Isomorphie]] – einer teilweisen Strukturgleichheit – gesprochen. Da dieser Typ von Ähnlichkeitsbeziehung offensichtlich reflexiv ist, folgt dasselbe für die Ikonizität: Wenn ''X'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''Y'' ist, dann ist auch ''Y'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''X''.</ref> Bei einem “behavioristischen” (genauer: [[Exkurs:Handlungen|handlungstheoretischen]]) Ähnlichkeitsbegriff verschiebt sich der Fokus darauf, dass ein Beobachter beurteilt, ob ein beobachtetes Wesen in seinem Verhalten Anlass zu der Behauptung gibt, etwas als etwas anderem ähnlich erkannt zu haben.<ref>Diese um eine Ebene zurückverlegte Betrachtung erlaubt eine “Symmetrie-Brechung”, denn aus dem Vorliegen solcher Gründe, die ''B'' dafür vorbringt, dass ''W'' ''X'' für ''Y'' ähnlich hält, folgt eben keineswegs, dass ''B'' auch Gründe in ''W''’s Verhalten dafür findet, dass ''W'' ''Y'' für ''X'' ähnlich hält.</ref> Diese Ansätze tragen dem Sachverhalt Rechnung, dass introspektive Begründungen für Ähnlichkeitszuschreibungen alleine nicht ausreichen, um über Ikonizität intersujektiv Einigkeit zu erreichen (vgl. <bib id='Schirra & Sachs-Hombach 2013a'></bib>).<br />
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Im Prinzip genügt jeweils bereits ''eine einzige'' (objektive bzw. subjektive) Eigenschaft, die – neben beliebig vielen differierenden – von den betrachteten Gegenständen geteilt wird, um die Ikonizität einer Zeichenbeziehung zwischen jenen zu gewährleisten. Je größer die Ähnlichkeit, desto stärker ist die Ikonizität, wenn der eine Gegenstand als Zeichen für den anderen betrachtet wird. Probleme ergeben sich hingegen, wenn ''alle'' Eigenschaften übereinstimmen: Als im engen Sinne&#8203; »ähnlich«&#8203; werden üblicherweise zwei Gegenstände nur dann betrachtet, wenn es mindestens auch eine Eigenschaft gibt, in der sie sich nicht gleichen.<ref>Ob jeder Gegenstand als sich selbst ähnlich verstanden werden sollte, ob der Begriff&#8203; »Ähnlichkeit«&#8203; also als Begriff einer reflexiven zweistelligen Relation angesetzt werden sollte, ist umstritten (vgl. etwa <bib id='Goodman 1970a'></bib>). Weitgehende Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass ein Zeichenträger nur dann Zeichenfunktion erfüllen kann, wenn er nicht mit dem Gegenstand, auf den er verweist, identisch ist (vgl. bereits <bib id='Platon 1922a'></bib>: 432a-c). Allerdings lässt sich der Unterschied zwischen tierischer Gegenstands&shy;wahrnehmung und menschlicher Gegenstands&shy;wahrnehmung (u.a. bei bei handlungstheoretischer Betrachtung) auch darauf zurückführen, dass bei letzterer prinzipiell und daher unabtrennbar eine reflektierende Distanz zum Wahrnehmen tritt: Das menschliche Gegenstands&shy;sehen ist immer ein »sich selbst zu sehen geben« (wobei der dabei in der Erläuterung verwendete Ausdruck ‘Sehen’ auf die tierische, d.h. nicht reflektierte Version bezogen bleibt; ⊳ [[Sehen]]; vgl. auch [[Sortale Gegenstände und Individuation]] und [[Dezeptiver und immersiver Modus]]). In der Folge ist dann die Rede davon, dass Menschen sehen, indem sie sich – sich selbst gegenüber – als Sehende darstellen.</ref> <br />
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===Indexikalität und raumzeitliche Zu&shy;sammen&shy;hänge===<br />
<br />
Von einem ‘Index’ (Plural ‘Indizes’) spricht Peirce bei einem Zeichen, dessen Träger aufgrund seines ''raumzeitlichen'' und insbesondere ''kausalen'' Zusammenhangs mit dem Bezeichneten als Zeichen für letzteres verwendet wird (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65): wenn also beispielsweise Rauch das Zeichen für Feuer oder rote Hautflecken das Zeichen für (eine Infektion mit) Masern bilden. Alles was in den entsprechenden Naturwissenschaften von Physik bis Medizin als Auswirkung, Anzeichen oder Symptom für ein Phänomen ''X'' gilt, stellt mithin auch einen Peirceschen Index für ''X'' dar.<ref>Vgl. auch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#cite_note-7|Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem: Anmerkung 8]]. — Da Symptome nicht kriterial (also weder hinreichend noch notwendig) für das, was sie anzeigen (können), sind – Rauch kann auch ohne Feuer auftreten (und Feuer ohne Rauch), so wie rote Hautflecken ohne Maserninfektion (und Maserninfektionen ohne das Ausbilden von roten Hautflecken) möglich sind – kann der Index-Charakter eines Zeichens recht labil sein.</ref> Genau genommen verweist ein indexikalisches Zeichen daher weniger auf einen anderen Gegenstand als vielmehr auf die ''Anwesenheit'' eines anderen Gegenstands in direkter Nähe zum Zeichenträger. Das unterscheidet Indizes deutlich von den beiden anderen Zeichenarten, die eher dazu verwendet werden, Abwesendes zu bezeichnen.<ref>Wie oben erwähnt stellen nur genuine Ikone im Peirceschen Sinn eine Ausnahme davon dar.</ref> Was genau als »Nähe zum Zeichenträger« zu verstehen ist kann dabei allerdings von verschiedenen Faktoren abhängen. Bei einer Spur etwa kann die zeitliche Koinzidenz mehr oder weniger stark in die Vergangenheit ausgedehnt sein: Der die Spur erzeugende Hase beispielsweise mag längst über alle Berge sein, wenn der Jäger sie als indexikalisches Zeichen für den Hasen (oder genauer seine Anwesenheit) nutzt. Kausalketten können zu einer fast beliebig großen räumlichen Ausdehnung der Nähe-Region beitragen. Wesentlich ist für Indexikalität, dass der Bereich, den der Zeichennutzer als (erweitertes) “Hier und Jetzt” betrachtet, neben dem Zeichenträger stets auch das Bezeichnete enthält, so dass man gewissermaßen auch mit dem Finger darauf deuten könnte.<ref>Wegen dieser Besonderheit spielen Indizes in Taufsituationen, wie sie zur Einführung von [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|symbolischen Zeichen]] verwendet werden, eine wichtige Rolle. — Die Bezeichnung ‘Index’ leitet sich vom lateinischen Wort für Zeigefinger ab.</ref><br />
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Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Indexikalität nicht notwendig von einer natürlichen Beziehung zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem ausgeht: Auch das Ortseingangsschild am Rand einer Stadt steht in direkter, wenn auch absichtlich erzeugter raumzeitlicher Beziehung zu dem Bezeichneten (eben dem Rand jener Stadt). Gleiches gilt für das auf dieser Glossarseite links oben gezeigte Logo (das markiert: ›dies ist eine Seite des Glossars der Bildphilosophie‹), die farblichen Markierungen, die in diesem Glossartext anzeigen, an welchen Stellen durch Mausklick eine andere Seite erreicht werden kann, oder auch generell Pfeile und Zeiger. Nicht alle Indizes sind mithin auch Symptome im engen (physikalisch-kausalen) Sinn, oder, wie es dann auch heißt: ‘''natürliche'' Indizes’. Im Gegensatz zu den natürlichen ist die raumzeitliche Beziehung, die zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem vermittelt, bei den ''künstlichen'' Indizes mit Absicht erzeugt – Intentionalität ersetzt also in diesen Fällen Kausalität.<ref>Die intentionsbasierten Indizes stehen in enger Verbindung zum Begriff des [[Zeigen und Sich-Zeigen|Zeigens]], d.h. der Deixis (›jemand zeigt jemandem etwas‹), während die kausalen Indizes höchstens als einfache Fälle von&#8203; »[[Zeigen und Sich-Zeigen|Sich-Zeigen]]«&#8203; (›etwas zeigt sich‹) begriffen werden können.</ref> Gleichwohl besteht die semantische Pointe auch bei dieser Unterklasse darin, dass allein die raumzeitliche Nähe bereits die Bedeutung des Zeichens bei der Verwendung zu induzieren scheint. <br />
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Sprachliche Ausdrücke, wie insbesondere ‘hier’ und ‘jetzt’, aber auch ‘ich’, ‘wir’, ‘du’, ‘ihr’ hängen in ihrer jeweiligen Bedeutung ebenfalls stark ab vom [[Kontext]] ihrer Verwendung: Die raumzeitliche Beziehung zu Ort und Zeit ihrer Äußerung bestimmt, welcher Ort mit ‘hier’, welche Person mit ‘du’ gemeint ist. Gleiches gilt natürlich auch für ‘içi’ oder ‘here’, für ‘tu’ oder ‘you’ – um nur zwei andere europäische Sprachen als Beispiele zu bemühen. Neben aller Konventionalität, die diese Art von Ausdrücken eigentlich zu [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|Symbolen]] im Sinne von Peirce werden lässt, bleibt ihnen ein Moment an Indexikalität wesentlich, weshalb man auch von ‘indexikalischen Ausdrücken’ spricht.<br />
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Einen weiteren Sonderfall indexikalischer Zeichen stellen [[Fotografie|Photographien]] (und die Produkte verwandter technischer Bildgebungsverfahren) dar: Offenkundig beruhen die hier betrachteten Produktionsverfahren für Zeichenträger darauf, dass eine mehr oder weniger lange aber durchgehende Kette streng kausaler, physikalisch-chemischer Schritte den Zeichenträger automatisch aus dem Bezeichneten (‘Abgebildeten’) ableiten.<ref>Vgl. hierzu auch die Diskussion im Glossarbeitrag&#8203; «[[Digitales Bild#Zu a. (Nicht-)Indexikalität|Digitales Bild]]»&#8203; zu deren (Nicht-)&#8203;Indexikalität.</ref> Obwohl als Bilder eigentlich den [[#Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten|ikonischen]] Zeichen zuzuordnen, schwingt zumindest bei dieser Untermenge auch Indexikalität in ihrem Begriff mit.<ref>Eine analoge Argumentation gilt für “Tonkonserven”: Auch diese beinhalten offensichtlich stets sowohl ikonische als auch indexikalische Momente. </ref><br />
<br />
===Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen===<br />
Ikone gleichen Indizes in einer wichtigen Hinsicht, in der die dritte semantische Zeichenkategorie von Peirce abweicht: Wegen des direkt erkennbaren Zusammenhangs zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem scheint die Bedeutung des Zeichens nicht erst durch einen geeigneten Taufakt etabliert werden zu müssen. Indizes und Ikone funktionieren ohne vorangehende Festlegung einer entsprechenden Bedeutungskonvention. Das gilt für viele der von uns im Alltag verwendeten Zeichengebräuche keineswegs, wie jeder leicht selbst feststellen kann, wenn er eine fremde Sprache erlernen will. Zeichen, deren Bedeutungsbeziehung mithilfe einer Konvention festgelegt werden müssen, nennt Peirce ‘Symbole’ (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65ff.).<ref>Das Wort geht auf das griechiche ‘συμβάλλω’ zurück (symbállō – zusammenfügen).</ref><br />
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[[Datei:Symbol und Zeichen2.png|thumb|Abbildung 3: Skizze zum Problem um die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’]]<br />
Dieser Wortgebrauch differiert deutlich von einer anderen, vor allem im deutschsprachigen Raum verbreiteten (auch von Saussure benutzten) Kon&shy;ven&shy;tion, die dem ‘Zeichen’ das ‘Symbol’ gegenüberstellt, wobei ‘Symbol’ in diesem Sinn häufig synonym zu ‘Sinnbild’ ge&shy;braucht wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Anmerkungen zu ‘Sinnbild’ im Artikel&#8203; «[[Emblem]]». Eine grobe Übersicht findet sich unter [http://de.wikipedia.org/wiki/Symbol Wikipedia: Symbol]. </ref> Markiert man die unterschiedlichen Wortgebräuche mit den Indizes ‘''D''’ (deutsch) und ‘''P''’ (Peirce), so ergibt sich (Abb. 3):&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; sind gerade keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; eine Unterart von&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind; des weiteren entsprechen&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; weitgehend&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; in etwa den Peirceschen&#8203; »Iko&shy;nen«&#8203; entsprechen, also zwar keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; wohl aber&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind.<ref>Da zudem der wesentliche Unterschied zwischen »Zeichen<sub>''D''</sub>«&#8203; und »Symbolen<sub>''D''</sub>«&#8203; darin besteht, dass die Bedeutungsrelation bei ersteren als rein willkürlich, bei letzteren hingegen als aus dem Symbolisierten natürlich erwachsende Relation verstanden wird, schließen sich beide wechselseitig aus. Die Peirceschen Begriffsumfänge überlappen sich hingegen.</ref> Es empfiehlt sich daher, – besonders in der bildwissenschaftlichen Dikussion – sehr genau darauf zu achten, in welcher Bedeutung die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’ jeweils verwendet werden.<ref>Vor diesem Hintergrund mag jemand, der Bilder als (ikonische)&#8203; »Zeichen<sub>''P''</sub>«&#8203; betrachtet, schnell in ein Wortgefecht über die Zeichenhaftigkeit von Bildern geraten mit jemandem, der Bilder als&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; versteht.</ref><br />
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Eine konventionelle Bedeutungszuschreibung liegt im Übrigen nicht nur dann vor, wenn eine Regel, auf die man sich im Zweifelsfall berufen kann, ausdrücklich festgelegt wird (Taufakt im weiten Sinn). Es kann sich auch um historisch gewachsene Gewohnheiten oder stillschweigende (implizite) Übereinkünfte handeln, wie sie bei den meisten Zeichen der “natürlichen” Sprachen, etwa den Wörtern und Sätzen des Deutschen, vorliegen. Hier existieren keine vorweisbaren Situationen mit entsprechenden bedeutungs&shy;stiftenden Akten, auf die man beim Verdacht einer falschen Verwendungsweise des symbolischen Zeichens verweisen könnte. Zudem wirken in aller Regel die sozialen Mecha&shy;nismen, die zur Bildung der Tradition beitragen haben, immer weiter, weswegen sich die Tradi&shy;tionen konti&shy;nuierlich “unter der Hand” ändern&#8203; (»Sprachwandel«).&#8203; Im Gegensatz zu den tradierten Bedeutungskonventionen können ausdrück&shy;lich verein&shy;barte Zeichen&shy;bedeu&shy;tungen hingegen nur wieder durch weitere ausdrück&shy;liche Verein&shy;barungen der betroffenen Zeichen&shy;nutzer verändert werden.<ref>Als Alternative bleibt allerdings eine Entwicklung von der explizit vereinbarten Konvention zu einer die ursprüngliche “Taufsituation” vergessenden und im Weiteren als rein tradierte Konvention verstandenen Bedeutungs&shy;relation möglich. </ref><br />
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Obwohl verwandt sollten die Begriffe&#8203; »Konven&shy;tion«&#8203; und&#8203; »Will&shy;kür&shy;lich&shy;keit«&#8203; (auch&#8203; »Arbi&shy;trari&shy;tät«)&#8203; in diesem Zusam&shy;menhang nicht mitein&shy;ander verwech&shy;selt werden: Auch tradierte Konven&shy;tionen sind in der Regel auf die eine oder andere Weise motiviert und nicht rein willkürlich.<ref>Ein Beispiel für derartige Motivationen ist im [[Exkurs: Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen|Exkurs:Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen]] dargestellt.</ref> Und selbst die an sich frei verfügbaren Assoziationsmöglichkeiten werden bei explizit vereinbarten Konventionen aus guten (etwa mnemotechnischen) Gründen kaum je wirklich ausgeschöpft. Historisch bildete zwar die Frage nach der Willkürlichkeit der Bedeutungsbeziehung in Gestalt der ''phýsei/thései''-Debatte in der griechischen Antike den wesentlichen Ausgangspunkt für die sukkzessive Differenzierung möglicher Objektrelationen bis hin zu Peirce (und darüber hinaus). Doch ergab sich im Verlauf dieser begrifflichen Entfaltung, dass es weniger um die Frage nach einer natürlich (sprich: unabhängig von Zeichenverwendern) bestehenden Beziehung zwischen Zeichen(träger) und Bezeichnetem geht, als vielmehr um verschiedene Möglichkeiten, Aspekte eines als Zeichenträger verwendeten Objekts in das komplexe Geschehen von Zeichenhandlungen zu integrieren (vgl. <bib id='Trabant 1996a'></bib>, Abschn. II.4).<ref>In engem Zusammenhang zur “Willkürlichkeit” von Zeichenträgern für die zugehörigen Bedeutungen steht zudem die Diskussion um die Möglichkeit einer Rückwirkung des Zeichenträgers auf das Verständnis dessen, was dieser Ausdruck bedeutet: Unter der Bezeichnung ‘Prinzip der sprachlichen Relativität’ (auch: ‘Sapir-Whorf-Hypothese’; vgl. [http://de.m.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-Hypothese Wikipedia: Sapir-Whorf-Hypothese] wird die Vorstellung diskutiert, dass die “Weltsicht”, das “Weltbild” einer Sprach- (oder allgemeiner: Zeichen-)gemeinschaft entscheidend durch die von ihren Mitgliedern verwendeten Sprachzeichen bestimmt wird; ⊳ [[Weltbild, Lebensform]] & [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]].</ref> <br />
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Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die [[Perspektive und Projektion|Perspektive]] als einer symbolischen Form<ref>Cassirer bezeichnet mit dem Ausdruck ‘symbolische Form’ „jede Energie des Geistes [...], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“ (<bib id='Cassirer 2009a'></bib>, S. 67). Der Ausdruck ‘Zeichen’ wird dabei offensichtlich im Sinn von ‘Zeichenträger’ verwendet und ‘Symbol’ (als dritte hier erwähnte Bedeutungsvariante dieses Ausdrucks) analog zu ‘Zeichen<sub><small>''P''</small></sub>’ (s.o.).</ref> “sehen” (vgl. <bib id='Panofsky 1924a'></bib>). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende [[Sehen]] genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. <bib id='Cassirer 1930a'></bib>).<br />
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==Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel==<br />
<br />
:''Nach diesen Prämissen sind Bilder häufig als der Prototyp des ikonischen Zeichens interpretiert und gelegentlich sogar mit dem Ikon überhaupt verwechselt worden [...] Es gibt aber Bilder, die in größerem Maße ikonisch, solche, die eher indexikalisch, und andere, die überwiegend symbolisch sind. Das Kriterium des Anteils an ikonischen, indexikalischen und symbolischen Elementen erlaubt es, in der Kulturgeschichte des Bildes drei Prototypen zu bestimmen. Prototyp des ikonischen Bildes ist danach nicht die gegenständliche, sondern vielmehr die nichtgegenständliche, die abstrakte Malerei. Prototyp des indexikalischen Bildes sind ebenso die Photographie wie die gegenständliche Malerei, und Prototyp des symbolischen Bildes ist die [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonologisch]] beziehungsweise [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonographisch]] kodifizierte Malerei.'' (<bib id='Nöth 2009'></bib>, S. 243f.) <br />
:<br />
Aus bildwissenschaftlicher Perspektive spielen Ikonizität (insofern »Bild« und »Ähnlichkeit« zusammenhängen) und Indexikalität (vor allem bei den kausalen Bildgebungsverfahren) die grössere, aber keineswegs die alleinige Rolle. Auch bei Bilverwendungen treten zahlreiche symbolische Aspekte auf. Nöths Zuordnung der ikonischen Prototypikalität mit der [[Semantik ungegenständlicher Bilder|nichtgegenständlichen Malerei]] in obigem Zitat mag zunächst verwundern, ist aber dem Umstand geschuldet, dass er die beiden Pole der Assoziation auf je spezielle Weise interpretiert: Mit solchen Bildträgern würde erstens nämlich nur auf eine Eigenschaft des jeweiligen Bildträgers verwiesen, was zweitens eben genau dem ursprünglichen Peirceschen ''genuinen'' Ikon entspricht. Allerdings sind einerseits andere Interpretationen des Phänomens ungegenständlicher Bilder möglich (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung#Zusammenhänge mit anderen Begriffen|Bild in reflexiver Verwendung, Abschnitt «Zusammenhänge mit anderen Begriffen»]]), und andererseits eine weiter gefasste Verwendungsweise von ‘Ikon’ bildphilosophisch durchaus üblicher. In der Praxis dürften prototypische Fälle von Ikonizität, Indexikalität oder Symbolhaftigkeit in der Tat weder bei Bildern noch auch bei anderen Zeichentypen häufig auftreten. Mischformen dominieren unseren Bild(Zeichen)gebrauch.<br />
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[[Datei:Hiroshima.jpg|thumb|Abbildung 4: Ein Schatten in Hiroshima — 6. August 1945, 8:15]]<br />
Die Anwendung der drei Aspek&shy;te auf ein konkretes Beispiel mag besser verdeut&shy;lichen, wie vielfäl&shy;tig die seman&shy;tischen Re&shy;la&shy;tio&shy;nen letztendlich für einen einzigen Bildträger zusam&shy;menwir&shy;ken: Abbil&shy;dung 4 gibt das Schwarz-&#8203;Weiß-&#8203;Photo eines unbe&shy;kannten Photo&shy;graphen wieder, das vermut&shy;lich in den letzten Tagen des Jahres 1945 aufge&shy;nommen wurde und im ''Hiro&shy;shima Peace Memo&shy;rial Museum'' aufbe&shy;wahrt wird. Zu sehen sind zwei Stufen einer steiner&shy;nen Treppe, die zum Eingang des Gebäu&shy;des der Sumi&shy;tomo-&#8203;Bank im Zentrum der japa&shy;nischen Stadt Hiro&shy;shima führt, sowie ein kleiner Ausschnitt der Wand des Gebäudes. Auf den Treppen&shy;stufen zeichnen sich schwärzli&shy;che Spuren im perspek&shy;tivisch verzerr&shy;ten Umriß eines menschli&shy;chen Körpers ab. Es wird angenommen, dass sie entstanden sind, als am 6. August 1945 um 8 Uhr 15 eine Atombombe die Stadt zerstörte und Druck, Hitze und Strahlung die verglühenden Überreste einer Person, die zufällig zu diesem Zeitpunkt vor dem Gebäude auf den Stufen stand, in den Stein eingebrannt haben. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit der Beispiel&shy;photographie===<br />
Wegen der längeren, aber durchweg kausalen Kette von optischen, photochemischen und digitaltechnischen Transformationen, die den hier betrachteten Zeichenträger mit der Aufnahmesituation in Hiroshima zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz nach der Bombenexplosion verbinden, hat das damit verwendete Zeichen offensichtlich Index-Charakter. Da zudem eine visuelle Ähnlichkeit zu den tatsächlichen Treppenstufen in Japan besteht, ist auch ein deutlicher ikonischer Anteil gegeben. Symbolhaftigkeit tritt hinzu, weil die Signifikanz dieses Bildes erst klar werden kann, wenn man es in seinen historischen Kontext einordnen kann: Zwar ist – ikonisch – eine Art menschlicher Schatten zu sehen, der – indexikalisch – als Teil einer real in Raum und Zeit existierenden (d.h. mit dem ''Hier und Jetzt'' der Rezeptionssituation kausal verbundenen) Szene verstanden wird, doch dass diese Photographie etwa auch als Zeichen für die schreckliche Gewalt einer Atombombenexplosion über bewohntem Gebiet dienen mag, erschließt sich nur in einem durch Konventionen etablierten Verständnisrahmen.<br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des abgebildeten “Schattens”===<br />
Tatsächlich lassen sich Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeiten in diesem Beispiel (wie übrigens bei fast allen Bildern) auch noch auf einer zweiten Ebene anwenden: Denn auch der “Schatten” selbst wird in der Regel ja zeichenhaft gelesen. Als Symptom der ihn verursachenden Explosion kann er als Index für alle der in der zu ihm führenden Kausalkette enthaltenen Faktoren verwendet werden: Dominant in dieser Hinsicht sind sicherlich die Person, die in jenem verhängnisvollen Augenblick an jener Stelle stand, die Strahlungen, die in jenem Moment den Schatten in den Stein brannten, sowie das Ereignis, das die Strahlung ausgelöst hat: die Explosion von «Little Boy».<ref>Wegen der Transitivität der Kausalbeziehung “verlängert” die Photographie als Index die bereits signifikanten Kausalketten der abgebildeten Szene sozusagen bis zum Betrachter.</ref> Voraussetzung für eine solche indexikalische Zeichenverwendung mit einer dieser Bedeutungen ist die Einbettung des “Schattens” in eine [[Interaktion und Kommunikation|kommunikative Interaktion]] (inklusive Selbstdarstellung des Senders) mit bewusster Kontrolle des kommunikativen Zwecks der Handlung (Reflexivierung inklusive Antizipation des Kommunikationspartners; ⊳ [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]). Diese Bedingung ist auch erfüllt, wenn sich jemand selbst vor Ort mithilfe des “Schattens” auf die entsprechende Ursache aufmerksam macht. <br />
:<br />
Insofern der “Schatten” eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem Menschen hat, kann er zudem als ein ikonisches Zeichen für jenen stehen. Auch hier ist die Einbettung in den komplexen Handlungszusammenhang einer Zeichenverwendung Voraussetzung. Analog zur Verlängerung der indexikalischen Aspekte des Dargestellten durch die Indexikalität der Darstellung “verlängert” die Ikonizität des Bildes die ikonischen Aspekte des im Bild Dargestellten.<ref>Diese Transitivität ist allerdings weniger deutlich ausgeprägt als bei der Kausalität: Wenn ''A'' ähnlich zu ''B'' ist, ''B'' ähnlich zu ''C'' und schließlich ''C'' ähnlich zu ''D'', folgt bekanntlich keineswegs zwingend, dass ''A'' auch ähnlich zu ''D'' ist – mit entsprechenden Konsequenzen für die Ikonizität entsprechender Darstellungsbeziehungen (etwa: die Kopie einer Kopie einer Kopie eines Bildes). </ref><br />
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Als einem symbolischen Zeichen kann man sich dem “Schatten” schließlich zuwenden, wenn man damit etwa die eigene Aufmerksamkeit oder die eines anderen absichtlich auf den Sachverhalt lenken möchte, dass die Menschheit mit der in Hiroshima erstmals grauenvoll demonstrierten Fähigkeit, Atombomben über bewohnten Städten explodieren zu lassen, eine gefährliche Grenze überschritten hat. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des reflexiv genutzten Photos===<br />
Eine dritte Bedeutungsebene ergibt sich, wenn wir in Betracht ziehen, dass jedes Bild auch dazu benutzt werden kann, als Zeichen für einen Aspekt des Zeichengebrauchs selbst zu dienen (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung|Bild in reflexiver Verwendung]]). Eben dies ist ja unter anderem in diesem Glossarartikel mit dem Zeichenträger aus Abbildung 4 geschehen. Auch auf dieser Ebene können die drei Arten von ''Objektbezügen'' auftreten: <br />
* Ikonizität als Exemplifikation einer konkreten Eigenschaft des aktuellen Zeichenhandlungs''schemas'': Z.B. kann mithilfe des Bildträgers darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Bedeutungen jeder seiner Zeichenverwendungen ikonische, indexikalische und symolische Aspekte umfasst, indem eben diese Eigenschaft am Exempel demonstriert wird.<br />
* Indexikalität als Verweis auf die gerade im Kontext ablaufende Zeichenhandlungs''instanzen'' und ihre Eigenheiten: So kann sich ein Leser dieses Text-Bild-Ensembles etwa mithilfe des Zeichenträgers aus Abbildung 4 darauf aufmerksam machen, dass die Bedeutungen, die er ihm in verschiedenen Instanziierungen der Zeichenhandlung im Verlauf der Lektüre des umgebenden Textes gibt, sich wandeln und etwa mal mehr, mal weniger ikonisch oder indexikalisch bestimmt sind.<br />
* Symbolhaftigkeit, insofern alle abstrakten Eigenschaften des Zeichenhandlungsschemas, auf die mit der reflexiven Verwendung des Bildträgers verwiesen werden kann, wegen ihrer Abstraktheit konventionell (oder traditionell) etabliert worden sind: Dass eine Bildverwendung Begriffe wie&#8203; »syntaktische Dichte«,&#8203; »genuine Ikonizität«&#8203; oder&#8203; »Ästhetisierung eines Sujets«&#8203; exemplifizieren kann hat stets auch eine regelbezogene Komponente. Das gilt insbesondere für Fälle negativer Exemplifikation, bei denen definitionsgemäß keine ikonischen oder indexikalischen Momente auftreten können. <br />
: <br />
— In jedem konkreten Gebrauch des in Abbildung 4 wiedergegebenen Zeichenträgers können auf den erwähnten drei Zeichenebenen die drei von Peirce inspirierten Objektbezüge in jeweils verschiedenen Ausprägungen und variierenden Kombinationen die effektive Kommunikation semantisch prägen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung von einer einzigen »Bedeutung eines Bildträgers« bestenfalls stark verkürzt und stets abhängig von einer – meist nur implizit – als Standard festgelegten Referenzverwendungsweise, zu der ein Begriff von standardisierten Kommunizierenden mit bestimmtem Hintergrundwissen ebenso wie standardisierte Kommunikationsziele gehören (z.B. ikonische, nicht-reflexive Verwendung). Semiose – bei Peirce als fortlaufende Erzeugung weiterer Interpretanten gedacht, genauer: als Folge (mentaler) Zeichen, die die Bedeutung des ersten Zeichens elaborieren – kann offensichtlich auch noch in einem anderen Sinn verstanden werden: als ein sukzessives Ausarbeiten der verschiedenen Möglichkeiten, einen Zeichenträger als Zeichen zu verwenden.<br />
:<br />
Für die Frage nach der [[Identität bildhafter Zeichen]] verschiebt sich der Fokus von einem am physischen Bildträger orientierten Kriterium zu einem an der jeweiligen Verwendungssituation orientierten Kriterium.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]]<br />
* [[Bedeutung und Referenz]]<br />
* [[Bilderschrift und Piktogramm]]<br />
* [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Digitales Bild]]<br />
* [[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'|Griechisch: ‘agalma’, ‘phantasma’, ‘eidolon’, ‘typos’, ‘eikon’]]<br />
* [[Identität bildhafter Zeichen]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]]<br />
* [["natürliche" Bilder]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Perspektive und Projektion]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Referenz, Denotation, Exemplifikation]]<br />
* [[Sehen]]<br />
* [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie]]<br />
* [[Weltbild, Lebensform]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
* [[Zeigen und Sich-Zeigen]]<br />
<br />
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{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J. ]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Symbol,_Index,_Ikon&diff=20781Symbol, Index, Ikon2013-12-27T14:05:19Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
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==Einteilung der Zeichen bei Peirce ==<br />
[[Datei:Peirce.jpg|thumb|Abbildung 1: Kleine Übersicht über die dreifache Basis-Dreiteilung der Peirceschen Zeichenbegriffe]]<br />
Charles S. Peirce (1839-&#8203;1914) gilt als einer der Grün&shy;dungs&shy;väter der moder&shy;nen Zei&shy;chen&shy;theorie. Auf ihn geht auch eine diffe&shy;renzier&shy;te Eintei&shy;lung der Zeichen&shy;arten zu&shy;rück (Abb. 1), von der zu&shy;min&shy;dest ein Teil sehr weite Ver&shy;breitung gefun&shy;den hat. Grob skizziert unter&shy;scheidet Peirce drei zeichen&shy;rele&shy;vante Ebe&shy;nen, die unge&shy;fähr mit der Eintei&shy;lung in [[Pragmatik, Semantik, Syntax|Pragma&shy;tik, Seman&shy;tik und Syntax]] über&shy;einstim&shy;men. In jeder dieser Ebenen setzt er eine weite&shy;re Dreitei&shy;lung an. Syntak&shy;tisch diffe&shy;renziert er Zeichen in&#8203; »Sinzei&shy;chen«,&#8203; »Le&shy;gi&shy;zeichen«&#8203; und&#8203; »Quali&shy;zei&shy;chen«,&#8203; während&#8203; »The&shy;ma«,&#8203; »Rhema«&#8203; und&#8203; »Dicent«&#8203; pragma&shy;tische&#8203; (wirkungs&shy;bezo&shy;gene) Zei&shy;chen&shy;unter&shy;kate&shy;gori&shy;en bilden.<ref>Vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>; siehe auch: <bib id='Birk et al. 2014a'></bib>.</ref> <br />
:<br />
Es ist allerdings die semantische Ebene, deren Peircesche Dreiteilung unter Semiotikern und Theoretikern benachbarter Disziplinen, wie Sprach&shy;philo&shy;sophie und Kunstgeschichte, machtvoll nachwirkt und nicht zuletzt in seinem Begriff der Ikonizität für die Bildtheorie große Relevanz aufweist.<ref>Ob sich die Bestimmung der entsprechenden Begriffe tatsächlich im rein semantischen Sinn durchführen lässt, oder nicht vielmehr tatsächlich notwendiger Weise pragmatische Aspekte berücksichtigt werden müssen, hängt letztlich an dem Status, den man der Semantik relativ zur Pragmatik zuschreibt. </ref> <br />
<br />
<br />
==Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung==<br />
Da sie auf die semantische Ebene fokussiert sind, differenzieren die Peirceschen Zeichenkategorien&#8203; »Index«,&#8203; »Ikon«&#8203; und&#8203; »Symbol«&#8203; die Klasse der [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen]] gemäß dem Charakter der Beziehung, die zwischen dem [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichenträger]] und dem damit Bezeichneten besteht (in Abb. 1 als ‘Objektbezug’ charakterisiert). Diese “Objekt”&shy;beziehung gilt als konstitutiv für die Bedeutung, die dem Zeichenträger zugeschrieben wird.<ref>Offen bleibt an dieser Stelle, ob der “Objektbezug” einen Referenten im engeren (extensionalen) Sinn meint (⊳ [[Bedeutung und Referenz]] und [[Nomination]]) bzw. welches Verhältnis zu einem [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbezug]] im engen ([[Proposition|propositionalen]]) Sinn besteht. Vgl. auch <bib id='Schelske 2000a'></bib>.</ref> Genau genommen handelt es sich bei den drei Kategorien um Idealtypen; in konkreten Fällen wirken die zugehörigen Bedeu&shy;tungsre&shy;latio&shy;nen oft auf komplizierte Weise zusammen (vgl. das [[#Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel|ausführliche Beispiel unten]]).<br />
<br />
===Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten===<br />
<br />
Der Peircesche Ausdruck ‘Ikon’ (Plural: ‘Ikone’),<ref>Seltener, und laut Duden auch nicht ganz korrekt, findet sich auch die anglisierte Form ‘Ikons’ als Plural.</ref> der seine altgriechische Wurzel ([[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'#‘Eikon’|εἰκών]], etwa ‘Abbild’) ganz offensichtlich sowohl mit der mittelalterlich-religiösen [[Ikone]] als auch mit dem englischen Leihwort ‘Icon’ des Informationszeitalters (dazu ⊳ [[Bilderschrift und Piktogramm]]) teilt, mit beidem aber nicht verwechselt werden sollte, bezeichnet solche Zeichen, deren Bedeutungs&shy;beziehung sich einer ''[[Ähnlichkeit|Ähnlichkeitsrelation]]'' zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem verdankt (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 64). Dies trifft unter anderem auf [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]] (Spiegelbild) wie “normale” abbildende Bilder (Phantomskizze),<ref>Da die gezeichnete Person durchaus fiktiv sein kann, deutet das Beispiel&#8203; »Phantombild«&#8203; zugleich an, dass es sich auch um eine nur intentionale Abbildlichkeit handeln kann.</ref> auf “Foleys” (von einem Geräuschespezialisten für Hörspiel, [[Film]] oder Computerspiel erzeugte “Geräuschattrappen”) und synthetische Gerüche (künstliches Erbeeraroma), sowie im sprachlichen Bereich auf onomatopoetische Wörter (‘Kuckuck’), form-ikonische Ausdrücke (‘T-Träger’) und – in gewisser Weise – auf [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|Metaphern]] (“Sprachbilder”) zu.<br />
:<br />
[[Datei:Aehnlichkeitstheorien1.png|thumb|Abbildung 2: Skizze zu verschiedenen Ähnlich&shy;keitskonzep&shy;tionen: (a) “Selbst&shy;ähnlich&shy;keit” als Exempli&shy;fikation (''genuines Ikon'' bei Peirce: ‹Hirsch exempli&shy;fiziert Geweih&shy;förmig&shy;keit›); (b) onto&shy;logischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (c) episte&shy;mischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (d) handlungs&shy;theore&shy;tischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff]]<br />
Tatsäch&shy;lich liegen bei Peirce ''echte'' (''genu&shy;ine'') Iko&shy;ne nur dann vor, wenn man eine Eigen&shy;schaft eines (als Zeichen&shy;trä&shy;ger) wahrge&shy;nomme&shy;nen Gegen&shy;stands dazu benutzt, sich (oder einen ande&shy;ren) auf eben diese Eigen&shy;schaft aufmerk&shy;sam zu machen – wenn also, in Good&shy;mans Begriff&shy;lichkeit, eine [[Referenz, Denotation, Exemplifikation|Ex&shy;em&shy;pli&shy;fi&shy;ka&shy;ti&shy;on]] vor&shy;liegt.<ref>Genau aus diesem Grund gelten genuine Ikone Peirce auch als die einfachste der in Zeichen vorkommenden Gegenstands&shy;beziehungen: Im Gegensatz zu den beiden anderen Klassen richtet sich der Blick bei genuinen Ikonen nämlich nur auf ''einen'' Gegenstand (der “Eigenschafts&shy;träger”), da Zeichenträger und Bezeichnetes in gewisser Weise zusammenfallen. Diese Identität lässt ihn andererseits aber auch von einem degenerierten Zeichen sprechen.</ref> Zei&shy;chen, bei denen wegen geteil&shy;ter Eigen&shy;schaften ein Gegen&shy;stand auf einen ''ande&shy;ren Gegen&shy;stand'' verweist, bezeich&shy;net Peirce genau&shy;er als ‘Hypo&shy;iko&shy;ne’ (auch ‘dege&shy;nerier&shy;te Iko&shy;ne’ <bib id='Peirce 1998a<br />
'></bib>, §276). Doch hat sich genau diese abge&shy;leite&shy;te Charak&shy;teri&shy;sierung für den in der Semiotik zumeist verwen&shy;deten Begiff&#8203; »Ikon«&#8203; durchge&shy;setzt. Offen bleibt dabei zunächst, welche Konzep&shy;tion eigent&shy;lich von&#8203; »Ähnlich&shy;keit«&#8203; zu verwen&shy;den ist. Geht man von einem “onto&shy;logisch” gefass&shy;ten Ähnlich&shy;keits&shy;begriff aus, so stellt die Ähnlich&shy;keits&shy;bezie&shy;hung eine “an sich” bestehende Rela&shy;tion zwischen zwei Gegen&shy;ständen dar, die nicht von spezi&shy;fischen Wahrneh&shy;mungs- und Er&shy;kenntnis&shy;fähig&shy;keiten eines über Ähnlich&shy;keit Urtei&shy;lenden abhängt. Ein “epis&shy;temisch” gefass&shy;ter Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff würde hinge&shy;gen auf das zurück&shy;greifen, was einem bestimm&shy;ten Betrach&shy;ter<ref>Der Ausdruck ‘Betrachter’ ist hier natürlich recht weit gefasst, da er nicht auf die visuelle Sinnesmodalität eingeschränkt verwendet wird.</ref> als ähnlich ''erscheint''. Nur insofern sich ein Teil der (als objektiv oder subjektiv gefassten) “Eigenschafts&shy;struktur” eines Dings in der Eigenschafts&shy;struktur eines anderen Dings spiegelt, kann dieses als ikonisches Zeichen für jenes verwendet werden – und umgekehrt.<ref>Technisch wird oft von einer partiellen [[Isomorphie]] – einer teilweisen Strukturgleichheit – gesprochen. Da dieser Typ von Ähnlichkeitsbeziehung offensichtlich reflexiv ist, folgt dasselbe für die Ikonizität: Wenn ''X'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''Y'' ist, dann ist auch ''Y'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''X''.</ref> Bei einem “behavioristischen” (genauer: [[Exkurs:Handlungen|handlungstheoretischen]]) Ähnlichkeitsbegriff verschiebt sich der Fokus darauf, dass ein Beobachter beurteilt, ob ein beobachtetes Wesen in seinem Verhalten Anlass zu der Behauptung gibt, etwas als etwas anderem ähnlich erkannt zu haben.<ref>Diese um eine Ebene zurückverlegte Betrachtung erlaubt eine “Symmetrie-Brechung”, denn aus dem Vorliegen solcher Gründe, die ''B'' dafür vorbringt, dass ''W'' ''X'' für ''Y'' ähnlich hält, folgt eben keineswegs, dass ''B'' auch Gründe in ''W''’s Verhalten dafür findet, dass ''W'' ''Y'' für ''X'' ähnlich hält.</ref> Diese Ansätze tragen dem Sachverhalt Rechnung, dass introspektive Begründungen für Ähnlichkeitszuschreibungen alleine nicht ausreichen, um über Ikonizität intersujektiv Einigkeit zu erreichen (vgl. <bib id='Schirra & Sachs-Hombach 2013a'></bib>).<br />
:<br />
Im Prinzip genügt jeweils bereits ''eine einzige'' (objektive bzw. subjektive) Eigenschaft, die – neben beliebig vielen differierenden – von den betrachteten Gegenständen geteilt wird, um die Ikonizität einer Zeichenbeziehung zwischen jenen zu gewährleisten. Je größer die Ähnlichkeit, desto stärker ist die Ikonizität, wenn der eine Gegenstand als Zeichen für den anderen betrachtet wird. Probleme ergeben sich hingegen, wenn ''alle'' Eigenschaften übereinstimmen: Als im engen Sinne&#8203; »ähnlich«&#8203; werden üblicherweise zwei Gegenstände nur dann betrachtet, wenn es mindestens auch eine Eigenschaft gibt, in der sie sich nicht gleichen.<ref>Ob jeder Gegenstand als sich selbst ähnlich verstanden werden sollte, ob der Begriff&#8203; »Ähnlichkeit«&#8203; also als Begriff einer reflexiven zweistelligen Relation angesetzt werden sollte, ist umstritten (vgl. etwa <bib id='Goodman 1970a'></bib>). Weitgehende Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass ein Zeichenträger nur dann Zeichenfunktion erfüllen kann, wenn er nicht mit dem Gegenstand, auf den er verweist, identisch ist (vgl. bereits <bib id='Platon 1922a'></bib>: 432a-c). Allerdings lässt sich der Unterschied zwischen tierischer Gegenstands&shy;wahrnehmung und menschlicher Gegenstands&shy;wahrnehmung (u.a. bei bei handlungstheoretischer Betrachtung) auch darauf zurückführen, dass bei letzterer prinzipiell und daher unabtrennbar eine reflektierende Distanz zum Wahrnehmen tritt: Das menschliche Gegenstands&shy;sehen ist immer ein »sich selbst zu sehen geben« (wobei der dabei in der Erläuterung verwendete Ausdruck ‘Sehen’ auf die tierische, d.h. nicht reflektierte Version bezogen bleibt; ⊳ [[Sehen]]; vgl. auch [[Sortale Gegenstände und Individuation]] und [[Dezeptiver und immersiver Modus]]). In der Folge ist dann die Rede davon, dass Menschen sehen, indem sie sich – sich selbst gegenüber – als Sehende darstellen.</ref> <br />
<br />
===Indexikalität und raumzeitliche Zu&shy;sammen&shy;hänge===<br />
<br />
Von einem ‘Index’ (Plural ‘Indizes’) spricht Peirce bei einem Zeichen, dessen Träger aufgrund seines ''raumzeitlichen'' und insbesondere ''kausalen'' Zusammenhangs mit dem Bezeichneten als Zeichen für letzteres verwendet wird (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65): wenn also beispielsweise Rauch das Zeichen für Feuer oder rote Hautflecken das Zeichen für (eine Infektion mit) Masern bilden. Alles was in den entsprechenden Naturwissenschaften von Physik bis Medizin als Auswirkung, Anzeichen oder Symptom für ein Phänomen ''X'' gilt, stellt mithin auch einen Peirceschen Index für ''X'' dar.<ref>Vgl. auch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#cite_note-7|Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem: Anmerkung 8]]. — Da Symptome nicht kriterial (also weder hinreichend noch notwendig) für das, was sie anzeigen (können), sind – Rauch kann auch ohne Feuer auftreten (und Feuer ohne Rauch), so wie rote Hautflecken ohne Maserninfektion (und Maserninfektionen ohne das Ausbilden von roten Hautflecken) möglich sind – kann der Index-Charakter eines Zeichens recht labil sein.</ref> Genau genommen verweist ein indexikalisches Zeichen daher weniger auf einen anderen Gegenstand als vielmehr auf die ''Anwesenheit'' eines anderen Gegenstands in direkter Nähe zum Zeichenträger. Das unterscheidet Indizes deutlich von den beiden anderen Zeichenarten, die eher dazu verwendet werden, Abwesendes zu bezeichnen.<ref>Wie oben erwähnt stellen nur genuine Ikone im Peirceschen Sinn eine Ausnahme davon dar.</ref> Was genau als »Nähe zum Zeichenträger« zu verstehen ist kann dabei allerdings von verschiedenen Faktoren abhängen. Bei einer Spur etwa kann die zeitliche Koinzidenz mehr oder weniger stark in die Vergangenheit ausgedehnt sein: Der die Spur erzeugende Hase beispielsweise mag längst über alle Berge sein, wenn der Jäger sie als indexikalisches Zeichen für den Hasen (oder genauer seine Anwesenheit) nutzt. Kausalketten können zu einer fast beliebig großen räumlichen Ausdehnung der Nähe-Region beitragen. Wesentlich ist für Indexikalität, dass der Bereich, den der Zeichennutzer als (erweitertes) “Hier und Jetzt” betrachtet, neben dem Zeichenträger stets auch das Bezeichnete enthält, so dass man gewissermaßen auch mit dem Finger darauf deuten könnte.<ref>Wegen dieser Besonderheit spielen Indizes in Taufsituationen, wie sie zur Einführung von [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|symbolischen Zeichen]] verwendet werden, eine wichtige Rolle. — Die Bezeichnung ‘Index’ leitet sich vom lateinischen Wort für Zeigefinger ab.</ref><br />
:<br />
Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Indexikalität nicht notwendig von einer natürlichen Beziehung zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem ausgeht: Auch das Ortseingangsschild am Rand einer Stadt steht in direkter, wenn auch absichtlich erzeugter raumzeitlicher Beziehung zu dem Bezeichneten (eben dem Rand jener Stadt). Gleiches gilt für das auf dieser Glossarseite links oben gezeigte Logo (das markiert: ›dies ist eine Seite des Glossars der Bildphilosophie‹), die farblichen Markierungen, die in diesem Glossartext anzeigen, an welchen Stellen durch Mausklick eine andere Seite erreicht werden kann, oder auch generell Pfeile und Zeiger. Nicht alle Indizes sind mithin auch Symptome im engen (physikalisch-kausalen) Sinn, oder, wie es dann auch heißt: ‘''natürliche'' Indizes’. Im Gegensatz zu den natürlichen ist die raumzeitliche Beziehung, die zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem vermittelt, bei den ''künstlichen'' Indizes mit Absicht erzeugt – Intentionalität ersetzt also in diesen Fällen Kausalität.<ref>Die intentionsbasierten Indizes stehen in enger Verbindung zum Begriff des [[Zeigen und Sich-Zeigen|Zeigens]], d.h. der Deixis (›jemand zeigt jemandem etwas‹), während die kausalen Indizes höchstens als einfache Fälle von&#8203; »[[Zeigen und Sich-Zeigen|Sich-Zeigen]]«&#8203; (›etwas zeigt sich‹) begriffen werden können.</ref> Gleichwohl besteht die semantische Pointe auch bei dieser Unterklasse darin, dass allein die raumzeitliche Nähe bereits die Bedeutung des Zeichens bei der Verwendung zu induzieren scheint. <br />
:<br />
Sprachliche Ausdrücke, wie insbesondere ‘hier’ und ‘jetzt’, aber auch ‘ich’, ‘wir’, ‘du’, ‘ihr’ hängen in ihrer jeweiligen Bedeutung ebenfalls stark ab vom [[Kontext]] ihrer Verwendung: Die raumzeitliche Beziehung zu Ort und Zeit ihrer Äußerung bestimmt, welcher Ort mit ‘hier’, welche Person mit ‘du’ gemeint ist. Gleiches gilt natürlich auch für ‘içi’ oder ‘here’, für ‘tu’ oder ‘you’ – um nur zwei andere europäische Sprachen als Beispiele zu bemühen. Neben aller Konventionalität, die diese Art von Ausdrücken eigentlich zu [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|Symbolen]] im Sinne von Peirce werden lässt, bleibt ihnen ein Moment an Indexikalität wesentlich, weshalb man auch von ‘indexikalischen Ausdrücken’ spricht.<br />
:<br />
Einen weiteren Sonderfall indexikalischer Zeichen stellen [[Fotografie|Photographien]] (und die Produkte verwandter technischer Bildgebungsverfahren) dar: Offenkundig beruhen die hier betrachteten Produktionsverfahren für Zeichenträger darauf, dass eine mehr oder weniger lange aber durchgehende Kette streng kausaler, physikalisch-chemischer Schritte den Zeichenträger automatisch aus dem Bezeichneten (‘Abgebildeten’) ableiten.<ref>Vgl. hierzu auch die Diskussion im Glossarbeitrag&#8203; «[[Digitales Bild#Zu a. (Nicht-)Indexikalität|Digitales Bild]]»&#8203; zu deren (Nicht-)&#8203;Indexikalität.</ref> Obwohl als Bilder eigentlich den [[#Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten|ikonischen]] Zeichen zuzuordnen, schwingt zumindest bei dieser Untermenge auch Indexikalität in ihrem Begriff mit.<ref>Eine analoge Argumentation gilt für “Tonkonserven”: Auch diese beinhalten offensichtlich stets sowohl ikonische als auch indexikalische Momente. </ref><br />
<br />
===Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen===<br />
Ikone gleichen Indizes in einer wichtigen Hinsicht, in der die dritte semantische Zeichenkategorie von Peirce abweicht: Wegen des direkt erkennbaren Zusammenhangs zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem scheint die Bedeutung des Zeichens nicht erst durch einen geeigneten Taufakt etabliert werden zu müssen. Indizes und Ikone funktionieren ohne vorangehende Festlegung einer entsprechenden Bedeutungskonvention. Das gilt für viele der von uns im Alltag verwendeten Zeichengebräuche keineswegs, wie jeder leicht selbst feststellen kann, wenn er eine fremde Sprache erlernen will. Zeichen, deren Bedeutungsbeziehung mithilfe einer Konvention festgelegt werden müssen, nennt Peirce ‘Symbole’ (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65ff.).<ref>Das Wort geht auf das griechiche ‘συμβάλλω’ zurück (symbállō – zusammenfügen).</ref><br />
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[[Datei:Symbol und Zeichen2.png|thumb|Abbildung 3: Skizze zum Problem um die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’]]<br />
Dieser Wortgebrauch differiert deutlich von einer anderen, vor allem im deutschsprachigen Raum verbreiteten (auch von Saussure benutzten) Kon&shy;ven&shy;tion, die dem ‘Zeichen’ das ‘Symbol’ gegenüberstellt, wobei ‘Symbol’ in diesem Sinn häufig synonym zu ‘Sinnbild’ ge&shy;braucht wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Anmerkungen zu ‘Sinnbild’ im Artikel&#8203; «[[Emblem]]». Eine grobe Übersicht findet sich unter [http://de.wikipedia.org/wiki/Symbol Wikipedia: Symbol]. </ref> Markiert man die unterschiedlichen Wortgebräuche mit den Indizes ‘''D''’ (deutsch) und ‘''P''’ (Peirce), so ergibt sich (Abb. 3):&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; sind gerade keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; eine Unterart von&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind; des weiteren entsprechen&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; weitgehend&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; in etwa den Peirceschen&#8203; »Iko&shy;nen«&#8203; entsprechen, also zwar keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; wohl aber&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind.<ref>Da zudem der wesentliche Unterschied zwischen »Zeichen<sub>''D''</sub>«&#8203; und »Symbolen<sub>''D''</sub>«&#8203; darin besteht, dass die Bedeutungsrelation bei ersteren als rein willkürlich, bei letzteren hingegen als aus dem Symbolisierten natürlich erwachsende Relation verstanden wird, schließen sich beide wechselseitig aus. Die Peirceschen Begriffsumfänge überlappen sich hingegen.</ref> Es empfiehlt sich daher, – besonders in der bildwissenschaftlichen Dikussion – sehr genau darauf zu achten, in welcher Bedeutung die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’ jeweils verwendet werden.<ref>Vor diesem Hintergrund mag jemand, der Bilder als (ikonische)&#8203; »Zeichen<sub>''P''</sub>«&#8203; betrachtet, schnell in ein Wortgefecht über die Zeichenhaftigkeit von Bildern geraten mit jemandem, der Bilder als&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; versteht.</ref><br />
:<br />
Eine konventionelle Bedeutungszuschreibung liegt im Übrigen nicht nur dann vor, wenn eine Regel, auf die man sich im Zweifelsfall berufen kann, ausdrücklich festgelegt wird (Taufakt im weiten Sinn). Es kann sich auch um historisch gewachsene Gewohnheiten oder stillschweigende (implizite) Übereinkünfte handeln, wie sie bei den meisten Zeichen der “natürlichen” Sprachen, etwa den Wörtern und Sätzen des Deutschen, vorliegen. Hier existieren keine vorweisbaren Situationen mit entsprechenden bedeutungs&shy;stiftenden Akten, auf die man beim Verdacht einer falschen Verwendungsweise des symbolischen Zeichens verweisen könnte. Zudem wirken in aller Regel die sozialen Mecha&shy;nismen, die zur Bildung der Tradition beitragen haben, immer weiter, weswegen sich die Tradi&shy;tionen konti&shy;nuierlich “unter der Hand” ändern&#8203; (»Sprachwandel«).&#8203; Im Gegensatz zu den tradierten Bedeutungskonventionen können ausdrück&shy;lich verein&shy;barte Zeichen&shy;bedeu&shy;tungen hingegen nur wieder durch weitere ausdrück&shy;liche Verein&shy;barungen der betroffenen Zeichen&shy;nutzer verändert werden.<ref>Als Alternative bleibt allerdings eine Entwicklung von der explizit vereinbarten Konvention zu einer die ursprüngliche “Taufsituation” vergessenden und im Weiteren als rein tradierte Konvention verstandenen Bedeutungs&shy;relation möglich. </ref><br />
:<br />
Obwohl verwandt sollten die Begriffe&#8203; »Konven&shy;tion«&#8203; und&#8203; »Will&shy;kür&shy;lich&shy;keit«&#8203; (auch&#8203; »Arbi&shy;trari&shy;tät«)&#8203; in diesem Zusam&shy;menhang nicht mitein&shy;ander verwech&shy;selt werden: Auch tradierte Konven&shy;tionen sind in der Regel auf die eine oder andere Weise motiviert und nicht rein willkürlich.<ref>Ein Beispiel für derartige Motivationen ist im [[Exkurs: Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen|Exkurs:Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen]] dargestellt.</ref> Und selbst die an sich frei verfügbaren Assoziationsmöglichkeiten werden bei explizit vereinbarten Konventionen aus guten (etwa mnemotechnischen) Gründen kaum je wirklich ausgeschöpft. Historisch bildete zwar die Frage nach der Willkürlichkeit der Bedeutungsbeziehung in Gestalt der ''phýsei/thései''-Debatte in der griechischen Antike den wesentlichen Ausgangspunkt für die sukkzessive Differenzierung möglicher Objektrelationen bis hin zu Peirce (und darüber hinaus). Doch ergab sich im Verlauf dieser begrifflichen Entfaltung, dass es weniger um die Frage nach einer natürlich (sprich: unabhängig von Zeichenverwendern) bestehenden Beziehung zwischen Zeichen(träger) und Bezeichnetem geht, als vielmehr um verschiedene Möglichkeiten, Aspekte eines als Zeichenträger verwendeten Objekts in das komplexe Geschehen von Zeichenhandlungen zu integrieren (vgl. <bib id='Trabant 1996a'></bib>, Abschn. II.4).<ref>In engem Zusammenhang zur “Willkürlichkeit” von Zeichenträgern für die zugehörigen Bedeutungen steht zudem die Diskussion um die Möglichkeit einer Rückwirkung des Zeichenträgers auf das Verständnis dessen, was dieser Ausdruck bedeutet: Unter der Bezeichnung ‘Prinzip der sprachlichen Relativität’ (auch: ‘Sapir-Whorf-Hypothese’; vgl. [http://de.m.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-Hypothese Wikipedia: Sapir-Whorf-Hypothese] wird die Vorstellung diskutiert, dass die “Weltsicht”, das “Weltbild” einer Sprach- (oder allgemeiner: Zeichen-)gemeinschaft entscheidend durch die von ihren Mitgliedern verwendeten Sprachzeichen bestimmt wird; ⊳ [[Weltbild, Lebensform]] & [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]].</ref> <br />
:<br />
Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die [[Perspektive und Projektion|Perspektive]] als einer symbolischen Form<ref>Cassirer bezeichnet mit dem Ausdruck ‘symbolische Form’ „jede Energie des Geistes [...], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“ (<bib id='Cassirer 2009a'></bib>, S. 67). Der Ausdruck ‘Zeichen’ wird dabei offensichtlich im Sinn von ‘Zeichenträger’ verwendet und ‘Symbol’ (als dritte hier erwähnte Bedeutungsvariante dieses Ausdrucks) analog zu ‘Zeichen<sub><small>''P''</small></sub>’ (s.o.).</ref> “sehen” (vgl. <bib id='Panofsky 1924a'></bib>). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende [[Sehen]] genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. <bib id='Cassirer 1930a'></bib>).<br />
<br />
==Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel==<br />
<br />
:''Nach diesen Prämissen sind Bilder häufig als der Prototyp des ikonischen Zeichens interpretiert und gelegentlich sogar mit dem Ikon überhaupt verwechselt worden [...] Es gibt aber Bilder, die in größerem Maße ikonisch, solche, die eher indexikalisch, und andere, die überwiegend symbolisch sind. Das Kriterium des Anteils an ikonischen, indexikalischen und symbolischen Elementen erlaubt es, in der Kulturgeschichte des Bildes drei Prototypen zu bestimmen. Prototyp des ikonischen Bildes ist danach nicht die gegenständliche, sondern vielmehr die nichtgegenständliche, die abstrakte Malerei. Prototyp des indexikalischen Bildes sind ebenso die Photographie wie die gegenständliche Malerei, und Prototyp des symbolischen Bildes ist die [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonologisch]] beziehungsweise [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonographisch]] kodifizierte Malerei.'' (<bib id='Nöth 2009'></bib>, S. 243f.) <br />
:<br />
Aus bildwissenschaftlicher Perspektive spielen Ikonizität (insofern »Bild« und »Ähnlichkeit« zusammenhängen) und Indexikalität (vor allem bei den kausalen Bildgebungsverfahren) die grössere, aber keineswegs die alleinige Rolle. Auch bei Bilverwendungen treten zahlreiche symbolische Aspekte auf. Nöths Zuordnung der ikonischen Prototypikalität mit der [[Semantik ungegenständlicher Bilder|nichtgegenständlichen Malerei]] in obigem Zitat mag zunächst verwundern, ist aber dem Umstand geschuldet, dass er die beiden Pole der Assoziation auf je spezielle Weise interpretiert: Mit solchen Bildträgern würde erstens nämlich nur auf eine Eigenschaft des jeweiligen Bildträgers verwiesen, was zweitens eben genau dem ursprünglichen Peirceschen ''genuinen'' Ikon entspricht. Allerdings sind einerseits andere Interpretationen des Phänomens ungegenständlicher Bilder möglich (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung#Zusammenhänge mit anderen Begriffen|Bild in reflexiver Verwendung, Abschnitt «Zusammenhänge mit anderen Begriffen»]]), und andererseits eine weiter gefasste Verwendungsweise von ‘Ikon’ bildphilosophisch durchaus üblicher. In der Praxis dürften prototypische Fälle von Ikonizität, Indexikalität oder Symbolhaftigkeit in der Tat weder bei Bildern noch auch bei anderen Zeichentypen häufig auftreten. Mischformen dominieren unseren Bild(Zeichen)gebrauch.<br />
:<br />
[[Datei:Hiroshima.jpg|thumb|Abbildung 4: Ein Schatten in Hiroshima — 6. August 1945, 8:15]]<br />
Die Anwendung der drei Aspek&shy;te auf ein konkretes Beispiel mag besser verdeut&shy;lichen, wie vielfäl&shy;tig die seman&shy;tischen Re&shy;la&shy;tio&shy;nen letztendlich für einen einzigen Bildträger zusam&shy;menwir&shy;ken: Abbil&shy;dung 4 gibt das Schwarz-&#8203;Weiß-&#8203;Photo eines unbe&shy;kannten Photo&shy;graphen wieder, das vermut&shy;lich in den letzten Tagen des Jahres 1945 aufge&shy;nommen wurde und im ''Hiro&shy;shima Peace Memo&shy;rial Museum'' aufbe&shy;wahrt wird. Zu sehen sind zwei Stufen einer steiner&shy;nen Treppe, die zum Eingang des Gebäu&shy;des der Sumi&shy;tomo-&#8203;Bank im Zentrum der japa&shy;nischen Stadt Hiro&shy;shima führt, sowie ein kleiner Ausschnitt der Wand des Gebäudes. Auf den Treppen&shy;stufen zeichnen sich schwärzli&shy;che Spuren im perspek&shy;tivisch verzerr&shy;ten Umriß eines menschli&shy;chen Körpers ab. Es wird angenommen, dass sie entstanden sind, als am 6. August 1945 um 8 Uhr 15 eine Atombombe die Stadt zerstörte und Druck, Hitze und Strahlung die verglühenden Überreste einer Person, die zufällig zu diesem Zeitpunkt vor dem Gebäude auf den Stufen stand, in den Stein eingebrannt haben. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit der Beispiel&shy;photographie===<br />
Wegen der längeren, aber durchweg kausalen Kette von optischen, photochemischen und digitaltechnischen Transformationen, die den hier betrachteten Zeichenträger mit der Aufnahmesituation in Hiroshima zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz nach der Bombenexplosion verbinden, hat das damit verwendete Zeichen offensichtlich Index-Charakter. Da zudem eine visuelle Ähnlichkeit zu den tatsächlichen Treppenstufen in Japan besteht, ist auch ein deutlicher ikonischer Anteil gegeben. Symbolhaftigkeit tritt hinzu, weil die Signifikanz dieses Bildes erst klar werden kann, wenn man es in seinen historischen Kontext einordnen kann: Zwar ist – ikonisch – eine Art menschlicher Schatten zu sehen, der – indexikalisch – als Teil einer real in Raum und Zeit existierenden (d.h. mit dem ''Hier und Jetzt'' der Rezeptionssituation kausal verbundenen) Szene verstanden wird, doch dass diese Photographie etwa auch als Zeichen für die schreckliche Gewalt einer Atombombenexplosion über bewohntem Gebiet dienen mag, erschließt sich nur in einem durch Konventionen etablierten Verständnisrahmen.<br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des abgebildeten “Schattens”===<br />
Tatsächlich lassen sich Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeiten in diesem Beispiel (wie übrigens bei fast allen Bildern) auch noch auf einer zweiten Ebene anwenden: Denn auch der “Schatten” selbst wird in der Regel ja zeichenhaft gelesen. Als Symptom der ihn verursachenden Explosion kann er als Index für alle der in der zu ihm führenden Kausalkette enthaltenen Faktoren verwendet werden: Dominant in dieser Hinsicht sind sicherlich die Person, die in jenem verhängnisvollen Augenblick an jener Stelle stand, die Strahlungen, die in jenem Moment den Schatten in den Stein brannten, sowie das Ereignis, das die Strahlung ausgelöst hat: die Explosion von «Little Boy».<ref>Wegen der Transitivität der Kausalbeziehung “verlängert” die Photographie als Index die bereits signifikanten Kausalketten der abgebildeten Szene sozusagen bis zum Betrachter.</ref> Voraussetzung für eine solche indexikalische Zeichenverwendung mit einer dieser Bedeutungen ist die Einbettung des “Schattens” in eine [[Interaktion und Kommunikation|kommunikative Interaktion]] (inklusive Selbstdarstellung des Senders) mit bewusster Kontrolle des kommunikativen Zwecks der Handlung (Reflexivierung inklusive Antizipation des Kommunikationspartners; ⊳ [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]). Diese Bedingung ist auch erfüllt, wenn sich jemand selbst vor Ort mithilfe des “Schattens” auf die entsprechende Ursache aufmerksam macht. <br />
:<br />
Insofern der “Schatten” eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem Menschen hat, kann er zudem als ein ikonisches Zeichen für jenen stehen. Auch hier ist die Einbettung in den komplexen Handlungszusammenhang einer Zeichenverwendung Voraussetzung. Analog zur Verlängerung der indexikalischen Aspekte des Dargestellten durch die Indexikalität der Darstellung “verlängert” die Ikonizität des Bildes die ikonischen Aspekte des im Bild Dargestellten.<ref>Diese Transitivität ist allerdings weniger deutlich ausgeprägt als bei der Kausalität: Wenn ''A'' ähnlich zu ''B'' ist, ''B'' ähnlich zu ''C'' und schließlich ''C'' ähnlich zu ''D'', folgt bekanntlich keineswegs zwingend, dass ''A'' auch ähnlich zu ''D'' ist – mit entsprechenden Konsequenzen für die Ikonizität entsprechender Darstellungsbeziehungen (etwa: die Kopie einer Kopie einer Kopie eines Bildes). </ref><br />
:<br />
Als einem symbolischen Zeichen kann man sich dem “Schatten” schließlich zuwenden, wenn man damit etwa die eigene Aufmerksamkeit oder die eines anderen absichtlich auf den Sachverhalt lenken möchte, dass die Menschheit mit der in Hiroshima erstmals grauenvoll demonstrierten Fähigkeit, Atombomben über bewohnten Städten explodieren zu lassen, eine gefährliche Grenze überschritten hat. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des reflexiv genutzten Photos===<br />
Eine dritte Bedeutungsebene ergibt sich, wenn wir in Betracht ziehen, dass jedes Bild auch dazu benutzt werden kann, als Zeichen für einen Aspekt des Zeichengebrauchs selbst zu dienen (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung|Bild in reflexiver Verwendung]]). Eben dies ist ja unter anderem in diesem Glossarartikel mit dem Zeichenträger aus Abbildung 4 geschehen. Auch auf dieser Ebene können die drei Arten von ''Objektbezügen'' auftreten: <br />
* Ikonizität als Exemplifikation einer konkreten Eigenschaft des aktuellen Zeichenhandlungs''schemas'': Z.B. kann mithilfe des Bildträgers darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Bedeutungen jeder seiner Zeichenverwendungen ikonische, indexikalische und symolische Aspekte umfasst, indem eben diese Eigenschaft am Exempel demonstriert wird.<br />
* Indexikalität als Verweis auf die gerade im Kontext ablaufende Zeichenhandlungs''instanzen'' und ihre Eigenheiten: So kann sich ein Leser dieses Text-Bild-Ensembles etwa mithilfe des Zeichenträgers aus Abbildung 4 darauf aufmerksam machen, dass die Bedeutungen, die er ihm in verschiedenen Instanziierungen der Zeichenhandlung im Verlauf der Lektüre des umgebenden Textes gibt, sich wandeln und etwa mal mehr, mal weniger ikonisch oder indexikalisch bestimmt sind.<br />
* Symbolhaftigkeit, insofern alle abstrakten Eigenschaften des Zeichenhandlungsschemas, auf die mit der reflexiven Verwendung des Bildträgers verwiesen werden kann, wegen ihrer Abstraktheit konventionell (oder traditionell) etabliert worden sind: Dass eine Bildverwendung Begriffe wie&#8203; »syntaktische Dichte«,&#8203; »genuine Ikonizität«&#8203; oder&#8203; »Ästhetisierung eines Sujets«&#8203; exemplifizieren kann hat stets auch eine regelbezogene Komponente. Das gilt insbesondere für Fälle negativer Exemplifikation, bei denen definitionsgemäß keine ikonischen oder indexikalischen Momente auftreten können. <br />
: <br />
— In jedem konkreten Gebrauch des in Abbildung 4 wiedergegebenen Zeichenträgers können auf den erwähnten drei Zeichenebenen die drei von Peirce inspirierten Objektbezüge in jeweils verschiedenen Ausprägungen und variierenden Kombinationen die effektive Kommunikation semantisch prägen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung von einer einzigen »Bedeutung eines Bildträgers« bestenfalls stark verkürzt und stets abhängig von einer – meist nur implizit – als Standard festgelegten Referenzverwendungsweise, zu der ein Begriff von standardisierten Kommunizierenden mit bestimmtem Hintergrundwissen ebenso wie standardisierte Kommunikationsziele gehören (z.B. ikonische, nicht-reflexive Verwendung). Semiose – bei Peirce als fortlaufende Erzeugung weiterer Interpretanten gedacht, genauer: als Folge (mentaler) Zeichen, die die Bedeutung des ersten Zeichens elaborieren – kann offensichtlich auch noch in einem anderen Sinn verstanden werden: als ein sukzessives Ausarbeiten der verschiedenen Möglichkeiten, einen Zeichenträger als Zeichen zu verwenden.<br />
:<br />
Für die Frage nach der [[Identität bildhafter Zeichen]] verschiebt sich der Fokus von einem am physischen Bildträger orientierten Kriterium zu einem an der jeweiligen Verwendungssituation orientierten Kriterium.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]]<br />
* [[Bedeutung und Referenz]]<br />
* [[Bilderschrift und Piktogramm]]<br />
* [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Digitales Bild]]<br />
* [[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'|Griechisch: ‘agalma’, ‘phantasma’, ‘eidolon’, ‘typos’, ‘eikon’]]<br />
* [[Identität bildhafter Zeichen]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]]<br />
* [["natürliche" Bilder]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Perspektive und Projektion]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Referenz, Denotation, Exemplifikation]]<br />
* [[Sehen]]<br />
* [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie]]<br />
* [[Weltbild, Lebensform]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
* [[Zeigen und Sich-Zeigen]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J. ]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Symbol,_Index,_Ikon&diff=20777Symbol, Index, Ikon2013-12-27T14:00:58Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einteilung der Zeichen bei Peirce ==<br />
[[Datei:Peirce.jpg|thumb|Abbildung 1: Kleine Übersicht über die dreifache Basis-Dreiteilung der Peirceschen Zeichenbegriffe]]<br />
Charles S. Peirce (1839-&#8203;1914) gilt als einer der Grün&shy;dungs&shy;väter der moder&shy;nen Zei&shy;chen&shy;theorie. Auf ihn geht auch eine diffe&shy;renzier&shy;te Eintei&shy;lung der Zeichen&shy;arten zu&shy;rück (Abb. 1), von der zu&shy;min&shy;dest ein Teil sehr weite Ver&shy;breitung gefun&shy;den hat. Grob skizziert unter&shy;scheidet Peirce drei zeichen&shy;rele&shy;vante Ebe&shy;nen, die unge&shy;fähr mit der Eintei&shy;lung in [[Pragmatik, Semantik, Syntax|Pragma&shy;tik, Seman&shy;tik und Syntax]] über&shy;einstim&shy;men. In jeder dieser Ebenen setzt er eine weite&shy;re Dreitei&shy;lung an. Syntak&shy;tisch diffe&shy;renziert er Zeichen in&#8203; »Sinzei&shy;chen«,&#8203; »Le&shy;gi&shy;zeichen«&#8203; und&#8203; »Quali&shy;zei&shy;chen«,&#8203; während&#8203; »The&shy;ma«,&#8203; »Rhema«&#8203; und&#8203; »Dicent«&#8203; pragma&shy;tische&#8203; (wirkungs&shy;bezo&shy;gene) Zei&shy;chen&shy;unter&shy;kate&shy;gori&shy;en bilden.<ref>Vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>; siehe auch: <bib id='Birk et al. 2014a'></bib>.</ref> <br />
:<br />
Es ist allerdings die semantische Ebene, deren Peircesche Dreiteilung unter Semiotikern und Theoretikern benachbarter Disziplinen, wie Sprach&shy;philo&shy;sophie und Kunstgeschichte, machtvoll nachwirkt und nicht zuletzt in seinem Begriff der Ikonizität für die Bildtheorie große Relevanz aufweist.<ref>Ob sich die Bestimmung der entsprechenden Begriffe tatsächlich im rein semantischen Sinn durchführen lässt, oder nicht vielmehr tatsächlich notwendiger Weise pragmatische Aspekte berücksichtigt werden müssen, hängt letztlich an dem Status, den man der Semantik relativ zur Pragmatik zuschreibt. </ref> <br />
<br />
<br />
==Semantische Dreiteilung: Eigenheiten der Bedeu&shy;tungsbe&shy;ziehung==<br />
Da sie auf die semantische Ebene fokussiert sind, differenzieren die Peirceschen Zeichenkategorien&#8203; »Index«,&#8203; »Ikon«&#8203; und&#8203; »Symbol«&#8203; die Klasse der [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen]] gemäß dem Charakter der Beziehung, die zwischen dem [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichenträger]] und dem damit Bezeichneten besteht (in Abb. 1 als ‘Objektbezug’ charakterisiert). Diese “Objekt”&shy;beziehung gilt als konstitutiv für die Bedeutung, die dem Zeichenträger zugeschrieben wird.<ref>Offen bleibt an dieser Stelle, ob der “Objektbezug” einen Referenten im engeren (extensionalen) Sinn meint (⊳ [[Bedeutung und Referenz]] und [[Nomination]]) bzw. welches Verhältnis zu einem [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|Sachbezug]] im engen ([[Proposition|propositionalen]]) Sinn besteht. Vgl. auch <bib id='Schelske 2000a'></bib>.</ref> Genau genommen handelt es sich bei den drei Kategorien um Idealtypen; in konkreten Fällen wirken die zugehörigen Bedeu&shy;tungsre&shy;latio&shy;nen oft auf komplizierte Weise zusammen (vgl. das [[#Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel|ausführliche Beispiel unten]]).<br />
<br />
===Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten===<br />
<br />
Der Peircesche Ausdruck ‘Ikon’ (Plural: ‘Ikone’),<ref>Seltener, und laut Duden auch nicht ganz korrekt, findet sich auch die anglisierte Form ‘Ikons’ als Plural.</ref> der seine altgriechische Wurzel ([[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'#‘Eikon’|εἰκών]], etwa ‘Abbild’) ganz offensichtlich sowohl mit der mittelalterlich-religiösen [[Ikone]] als auch mit dem englischen Leihwort ‘Icon’ des Informationszeitalters (dazu ⊳ [[Bilderschrift und Piktogramm]]) teilt, mit beidem aber nicht verwechselt werden sollte, bezeichnet solche Zeichen, deren Bedeutungs&shy;beziehung sich einer ''[[Ähnlichkeit|Ähnlichkeitsrelation]]'' zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem verdankt (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 64). Dies trifft unter anderem auf [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]] (Spiegelbild) wie “normale” abbildende Bilder (Phantomskizze),<ref>Da die gezeichnete Person durchaus fiktiv sein kann, deutet das Beispiel&#8203; »Phantombild«&#8203; zugleich an, dass es sich auch um eine nur intentionale Abbildlichkeit handeln kann.</ref> auf “Foleys” (von einem Geräuschespezialisten für Hörspiel, [[Film]] oder Computerspiel erzeugte “Geräuschattrappen”) und synthetische Gerüche (künstliches Erbeeraroma), sowie im sprachlichen Bereich auf onomatopoetische Wörter (‘Kuckuck’), form-ikonische Ausdrücke (‘T-Träger’) und – in gewisser Weise – auf [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie|Metaphern]] (“Sprachbilder”) zu.<br />
:<br />
[[Datei:Aehnlichkeitstheorien1.png|thumb|Abbildung 2: Skizze zu verschiedenen Ähnlich&shy;keitskonzep&shy;tionen: (a) “Selbst&shy;ähnlich&shy;keit” als Exempli&shy;fikation (''genuines Ikon'' bei Peirce: ‹Hirsch exempli&shy;fiziert Geweih&shy;förmig&shy;keit›); (b) onto&shy;logischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (c) episte&shy;mischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff; (d) handlungs&shy;theore&shy;tischer Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff]]<br />
Tatsäch&shy;lich liegen bei Peirce ''echte'' (''genu&shy;ine'') Iko&shy;ne nur dann vor, wenn man eine Eigen&shy;schaft eines (als Zeichen&shy;trä&shy;ger) wahrge&shy;nomme&shy;nen Gegen&shy;stands dazu benutzt, sich (oder einen ande&shy;ren) auf eben diese Eigen&shy;schaft aufmerk&shy;sam zu machen – wenn also, in Good&shy;mans Begriff&shy;lichkeit, eine [[Referenz, Denotation, Exemplifikation|Ex&shy;em&shy;pli&shy;fi&shy;ka&shy;ti&shy;on]] vor&shy;liegt.<ref>Genau aus diesem Grund gelten genuine Ikone Peirce auch als die einfachste der in Zeichen vorkommenden Gegenstands&shy;beziehungen: Im Gegensatz zu den beiden anderen Klassen richtet sich der Blick bei genuinen Ikonen nämlich nur auf ''einen'' Gegenstand (der “Eigenschafts&shy;träger”), da Zeichenträger und Bezeichnetes in gewisser Weise zusammenfallen. Diese Identität lässt ihn andererseits aber auch von einem degenerierten Zeichen sprechen.</ref> Zei&shy;chen, bei denen wegen geteil&shy;ter Eigen&shy;schaften ein Gegen&shy;stand auf einen ''ande&shy;ren Gegen&shy;stand'' verweist, bezeich&shy;net Peirce genau&shy;er als ‘Hypo&shy;iko&shy;ne’ (auch ‘dege&shy;nerier&shy;te Iko&shy;ne’ <bib id='Peirce 1998a<br />
'></bib>, §276). Doch hat sich genau diese abge&shy;leite&shy;te Charak&shy;teri&shy;sierung für den in der Semiotik zumeist verwen&shy;deten Begiff&#8203; »Ikon«&#8203; durchge&shy;setzt. Offen bleibt dabei zunächst, welche Konzep&shy;tion eigent&shy;lich von&#8203; »Ähnlich&shy;keit«&#8203; zu verwen&shy;den ist. Geht man von einem “onto&shy;logisch” gefass&shy;ten Ähnlich&shy;keits&shy;begriff aus, so stellt die Ähnlich&shy;keits&shy;bezie&shy;hung eine “an sich” bestehende Rela&shy;tion zwischen zwei Gegen&shy;ständen dar, die nicht von spezi&shy;fischen Wahrneh&shy;mungs- und Er&shy;kenntnis&shy;fähig&shy;keiten eines über Ähnlich&shy;keit Urtei&shy;lenden abhängt. Ein “epis&shy;temisch” gefass&shy;ter Ähnlich&shy;keitsbe&shy;griff würde hinge&shy;gen auf das zurück&shy;greifen, was einem bestimm&shy;ten Betrach&shy;ter<ref>Der Ausdruck ‘Betrachter’ ist hier natürlich recht weit gefasst, da er nicht auf die visuelle Sinnesmodalität eingeschränkt verwendet wird.</ref> als ähnlich ''erscheint''. Nur insofern sich ein Teil der (als objektiv oder subjektiv gefassten) “Eigenschafts&shy;struktur” eines Dings in der Eigenschafts&shy;struktur eines anderen Dings spiegelt, kann dieses als ikonisches Zeichen für jenes verwendet werden – und umgekehrt.<ref>Technisch wird oft von einer partiellen [[Isomorphie]] – einer teilweisen Strukturgleichheit – gesprochen. Da dieser Typ von Ähnlichkeitsbeziehung offensichtlich reflexiv ist, folgt dasselbe für die Ikonizität: Wenn ''X'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''Y'' ist, dann ist auch ''Y'' ähnlich zu bzw. ikonisches Zeichen für ''X''.</ref> Bei einem “behavioristischen” (genauer: [[Exkurs:Handlungen|handlungstheoretischen]]) Ähnlichkeitsbegriff verschiebt sich der Fokus darauf, dass ein Beobachter beurteilt, ob ein beobachtetes Wesen in seinem Verhalten Anlass zu der Behauptung gibt, etwas als etwas anderem ähnlich erkannt zu haben.<ref>Diese um eine Ebene zurückverlegte Betrachtung erlaubt eine “Symmetrie-Brechung”, denn aus dem Vorliegen solcher Gründe für ''B'' dafür, dass ''W'' ''X'' für ''Y'' ähnlich hält, folgt eben keineswegs, dass ''B'' auch Gründe in ''W''’s Verhalten dafür findet, dass ''W'' ''Y'' für ''X'' ähnlich hält.</ref> Diese Ansätze tragen dem Sachverhalt Rechnung, dass introspektive Begründungen für Ähnlichkeitszuschreibungen alleine nicht ausreichen, um über Ikonizität intersujektiv Einigkeit zu erreichen (vgl. <bib id='Schirra & Sachs-Hombach 2013a'></bib>).<br />
:<br />
Im Prinzip genügt jeweils bereits ''eine einzige'' (objektive bzw. subjektive) Eigenschaft, die – neben beliebig vielen differierenden – von den betrachteten Gegenständen geteilt wird, um die Ikonizität einer Zeichenbeziehung zwischen jenen zu gewährleisten. Je größer die Ähnlichkeit, desto stärker ist die Ikonizität, wenn der eine Gegenstand als Zeichen für den anderen betrachtet wird. Probleme ergeben sich hingegen, wenn ''alle'' Eigenschaften übereinstimmen: Als im engen Sinne&#8203; »ähnlich«&#8203; werden üblicherweise zwei Gegenstände nur dann betrachtet, wenn es mindestens auch eine Eigenschaft gibt, in der sie sich nicht gleichen.<ref>Ob jeder Gegenstand als sich selbst ähnlich verstanden werden sollte, ob der Begriff&#8203; »Ähnlichkeit«&#8203; also als Begriff einer reflexiven zweistelligen Relation angesetzt werden sollte, ist umstritten (vgl. etwa <bib id='Goodman 1970a'></bib>). Weitgehende Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass ein Zeichenträger nur dann Zeichenfunktion erfüllen kann, wenn er nicht mit dem Gegenstand, auf den er verweist, identisch ist (vgl. bereits <bib id='Platon 1922a'></bib>: 432a-c). Allerdings lässt sich der Unterschied zwischen tierischer Gegenstands&shy;wahrnehmung und menschlicher Gegenstands&shy;wahrnehmung (u.a. bei bei handlungstheoretischer Betrachtung) auch darauf zurückführen, dass bei letzterer prinzipiell und daher unabtrennbar eine reflektierende Distanz zum Wahrnehmen tritt: Das menschliche Gegenstands&shy;sehen ist immer ein »sich selbst zu sehen geben« (wobei der dabei in der Erläuterung verwendete Ausdruck ‘Sehen’ auf die tierische, d.h. nicht reflektierte Version bezogen bleibt; ⊳ [[Sehen]]; vgl. auch [[Sortale Gegenstände und Individuation]] und [[Dezeptiver und immersiver Modus]]). In der Folge ist dann die Rede davon, dass Menschen sehen, indem sie sich – sich selbst gegenüber – als Sehende darstellen.</ref> <br />
<br />
===Indexikalität und raumzeitliche Zu&shy;sammen&shy;hänge===<br />
<br />
Von einem ‘Index’ (Plural ‘Indizes’) spricht Peirce bei einem Zeichen, dessen Träger aufgrund seines ''raumzeitlichen'' und insbesondere ''kausalen'' Zusammenhangs mit dem Bezeichneten als Zeichen für letzteres verwendet wird (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65): wenn also beispielsweise Rauch das Zeichen für Feuer oder rote Hautflecken das Zeichen für (eine Infektion mit) Masern bilden. Alles was in den entsprechenden Naturwissenschaften von Physik bis Medizin als Auswirkung, Anzeichen oder Symptom für ein Phänomen ''X'' gilt, stellt mithin auch einen Peirceschen Index für ''X'' dar.<ref>Vgl. auch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#cite_note-7|Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem: Anmerkung 8]]. — Da Symptome nicht kriterial (also weder hinreichend noch notwendig) für das, was sie anzeigen (können), sind – Rauch kann auch ohne Feuer auftreten (und Feuer ohne Rauch), so wie rote Hautflecken ohne Maserninfektion (und Maserninfektionen ohne das Ausbilden von roten Hautflecken) möglich sind – kann der Index-Charakter eines Zeichens recht labil sein.</ref> Genau genommen verweist ein indexikalisches Zeichen daher weniger auf einen anderen Gegenstand als vielmehr auf die ''Anwesenheit'' eines anderen Gegenstands in direkter Nähe zum Zeichenträger. Das unterscheidet Indizes deutlich von den beiden anderen Zeichenarten, die eher dazu verwendet werden, Abwesendes zu bezeichnen.<ref>Wie oben erwähnt stellen nur genuine Ikone im Peirceschen Sinn eine Ausnahme davon dar.</ref> Was genau als »Nähe zum Zeichenträger« zu verstehen ist kann dabei allerdings von verschiedenen Faktoren abhängen. Bei einer Spur etwa kann die zeitliche Koinzidenz mehr oder weniger stark in die Vergangenheit ausgedehnt sein: Der die Spur erzeugende Hase beispielsweise mag längst über alle Berge sein, wenn der Jäger sie als indexikalisches Zeichen für den Hasen (oder genauer seine Anwesenheit) nutzt. Kausalketten können zu einer fast beliebig großen räumlichen Ausdehnung der Nähe-Region beitragen. Wesentlich ist für Indexikalität, dass der Bereich, den der Zeichennutzer als (erweitertes) “Hier und Jetzt” betrachtet, neben dem Zeichenträger stets auch das Bezeichnete enthält, so dass man gewissermaßen auch mit dem Finger darauf deuten könnte.<ref>Wegen dieser Besonderheit spielen Indizes in Taufsituationen, wie sie zur Einführung von [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|symbolischen Zeichen]] verwendet werden, eine wichtige Rolle. — Die Bezeichnung ‘Index’ leitet sich vom lateinischen Wort für Zeigefinger ab.</ref><br />
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Zu beachten ist allerdings, dass die Definition der Indexikalität nicht notwendig von einer natürlichen Beziehung zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem ausgeht: Auch das Ortseingangsschild am Rand einer Stadt steht in direkter, wenn auch absichtlich erzeugter raumzeitlicher Beziehung zu dem Bezeichneten (eben dem Rand jener Stadt). Gleiches gilt für das auf dieser Glossarseite links oben gezeigte Logo (das markiert: ›dies ist eine Seite des Glossars der Bildphilosophie‹), die farblichen Markierungen, die in diesem Glossartext anzeigen, an welchen Stellen durch Mausklick eine andere Seite erreicht werden kann, oder auch generell Pfeile und Zeiger. Nicht alle Indizes sind mithin auch Symptome im engen (physikalisch-kausalen) Sinn, oder, wie es dann auch heißt: ‘''natürliche'' Indizes’. Im Gegensatz zu den natürlichen ist die raumzeitliche Beziehung, die zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem vermittelt, bei den ''künstlichen'' Indizes mit Absicht erzeugt – Intentionalität ersetzt also in diesen Fällen Kausalität.<ref>Die intentionsbasierten Indizes stehen in enger Verbindung zum Begriff des [[Zeigen und Sich-Zeigen|Zeigens]], d.h. der Deixis (›jemand zeigt jemandem etwas‹), während die kausalen Indizes höchstens als einfache Fälle von&#8203; »[[Zeigen und Sich-Zeigen|Sich-Zeigen]]«&#8203; (›etwas zeigt sich‹) begriffen werden können.</ref> Gleichwohl besteht die semantische Pointe auch bei dieser Unterklasse darin, dass allein die raumzeitliche Nähe bereits die Bedeutung des Zeichens bei der Verwendung zu induzieren scheint. <br />
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Sprachliche Ausdrücke, wie insbesondere ‘hier’ und ‘jetzt’, aber auch ‘ich’, ‘wir’, ‘du’, ‘ihr’ hängen in ihrer jeweiligen Bedeutung ebenfalls stark ab vom [[Kontext]] ihrer Verwendung: Die raumzeitliche Beziehung zu Ort und Zeit ihrer Äußerung bestimmt, welcher Ort mit ‘hier’, welche Person mit ‘du’ gemeint ist. Gleiches gilt natürlich auch für ‘içi’ oder ‘here’, für ‘tu’ oder ‘you’ – um nur zwei andere europäische Sprachen als Beispiele zu bemühen. Neben aller Konventionalität, die diese Art von Ausdrücken eigentlich zu [[#Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen|Symbolen]] im Sinne von Peirce werden lässt, bleibt ihnen ein Moment an Indexikalität wesentlich, weshalb man auch von ‘indexikalischen Ausdrücken’ spricht.<br />
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Einen weiteren Sonderfall indexikalischer Zeichen stellen [[Fotografie|Photographien]] (und die Produkte verwandter technischer Bildgebungsverfahren) dar: Offenkundig beruhen die hier betrachteten Produktionsverfahren für Zeichenträger darauf, dass eine mehr oder weniger lange aber durchgehende Kette streng kausaler, physikalisch-chemischer Schritte den Zeichenträger automatisch aus dem Bezeichneten (‘Abgebildeten’) ableiten.<ref>Vgl. hierzu auch die Diskussion im Glossarbeitrag&#8203; «[[Digitales Bild#Zu a. (Nicht-)Indexikalität|Digitales Bild]]»&#8203; zu deren (Nicht-)&#8203;Indexikalität.</ref> Obwohl als Bilder eigentlich den [[#Ikonizität und Ähnlich&shy;keiten|ikonischen]] Zeichen zuzuordnen, schwingt zumindest bei dieser Untermenge auch Indexikalität in ihrem Begriff mit.<ref>Eine analoge Argumentation gilt für “Tonkonserven”: Auch diese beinhalten offensichtlich stets sowohl ikonische als auch indexikalische Momente. </ref><br />
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===Symbolhaftigkeit und Bedeu&shy;tungs&shy;konven&shy;tionen===<br />
Ikone gleichen Indizes in einer wichtigen Hinsicht, in der die dritte semantische Zeichenkategorie von Peirce abweicht: Wegen des direkt erkennbaren Zusammenhangs zwischen Zeichenträger und Bezeichnetem scheint die Bedeutung des Zeichens nicht erst durch einen geeigneten Taufakt etabliert werden zu müssen. Indizes und Ikone funktionieren ohne vorangehende Festlegung einer entsprechenden Bedeutungskonvention. Das gilt für viele der von uns im Alltag verwendeten Zeichengebräuche keineswegs, wie jeder leicht selbst feststellen kann, wenn er eine fremde Sprache erlernen will. Zeichen, deren Bedeutungsbeziehung mithilfe einer Konvention festgelegt werden müssen, nennt Peirce ‘Symbole’ (vgl. <bib id='Peirce 1983a'></bib>: S. 65ff.).<ref>Das Wort geht auf das griechiche ‘συμβάλλω’ zurück (symbállō – zusammenfügen).</ref><br />
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[[Datei:Symbol und Zeichen2.png|thumb|Abbildung 3: Skizze zum Problem um die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’]]<br />
Dieser Wortgebrauch differiert deutlich von einer anderen, vor allem im deutschsprachigen Raum verbreiteten (auch von Saussure benutzten) Kon&shy;ven&shy;tion, die dem ‘Zeichen’ das ‘Symbol’ gegenüberstellt, wobei ‘Symbol’ in diesem Sinn häufig synonym zu ‘Sinnbild’ ge&shy;braucht wird.<ref>Vgl. hierzu auch die Anmerkungen zu ‘Sinnbild’ im Artikel&#8203; «[[Emblem]]». Eine grobe Übersicht findet sich unter [http://de.wikipedia.org/wiki/Symbol Wikipedia: Symbol]. </ref> Markiert man die unterschiedlichen Wortgebräuche mit den Indizes ‘''D''’ (deutsch) und ‘''P''’ (Peirce), so ergibt sich (Abb. 3):&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; sind gerade keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; eine Unterart von&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind; des weiteren entsprechen&#8203; »Symbole<sub>''P''</sub>«&#8203; weitgehend&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''D''</sub>«,&#8203; während&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; in etwa den Peirceschen&#8203; »Iko&shy;nen«&#8203; entsprechen, also zwar keine&#8203; »Zeichen<sub>''D''</sub>«,&#8203; wohl aber&#8203; »Zei&shy;chen<sub>''P''</sub>«&#8203; sind.<ref>Da zudem der wesentliche Unterschied zwischen »Zeichen<sub>''D''</sub>«&#8203; und »Symbolen<sub>''D''</sub>«&#8203; darin besteht, dass die Bedeutungsrelation bei ersteren als rein willkürlich, bei letzteren hingegen als aus dem Symbolisierten natürlich erwachsende Relation verstanden wird, schließen sich beide wechselseitig aus. Die Peirceschen Begriffsumfänge überlappen sich hingegen.</ref> Es empfiehlt sich daher, – besonders in der bildwissenschaftlichen Dikussion – sehr genau darauf zu achten, in welcher Bedeutung die Ausdrücke ‘Zeichen’ und ‘Symbol’ jeweils verwendet werden.<ref>Vor diesem Hintergrund mag jemand, der Bilder als (ikonische)&#8203; »Zeichen<sub>''P''</sub>«&#8203; betrachtet, schnell in ein Wortgefecht über die Zeichenhaftigkeit von Bildern geraten mit jemandem, der Bilder als&#8203; »Symbole<sub>''D''</sub>«&#8203; versteht.</ref><br />
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Eine konventionelle Bedeutungszuschreibung liegt im Übrigen nicht nur dann vor, wenn eine Regel, auf die man sich im Zweifelsfall berufen kann, ausdrücklich festgelegt wird (Taufakt im weiten Sinn). Es kann sich auch um historisch gewachsene Gewohnheiten oder stillschweigende (implizite) Übereinkünfte handeln, wie sie bei den meisten Zeichen der “natürlichen” Sprachen, etwa den Wörtern und Sätzen des Deutschen, vorliegen. Hier existieren keine vorweisbaren Situationen mit entsprechenden bedeutungs&shy;stiftenden Akten, auf die man beim Verdacht einer falschen Verwendungsweise des symbolischen Zeichens verweisen könnte. Zudem wirken in aller Regel die sozialen Mecha&shy;nismen, die zur Bildung der Tradition beitragen haben, immer weiter, weswegen sich die Tradi&shy;tionen konti&shy;nuierlich “unter der Hand” ändern&#8203; (»Sprachwandel«).&#8203; Im Gegensatz zu den tradierten Bedeutungskonventionen können ausdrück&shy;lich verein&shy;barte Zeichen&shy;bedeu&shy;tungen hingegen nur wieder durch weitere ausdrück&shy;liche Verein&shy;barungen der betroffenen Zeichen&shy;nutzer verändert werden.<ref>Als Alternative bleibt allerdings eine Entwicklung von der explizit vereinbarten Konvention zu einer die ursprüngliche “Taufsituation” vergessenden und im Weiteren als rein tradierte Konvention verstandenen Bedeutungs&shy;relation möglich. </ref><br />
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Obwohl verwandt sollten die Begriffe&#8203; »Konven&shy;tion«&#8203; und&#8203; »Will&shy;kür&shy;lich&shy;keit«&#8203; (auch&#8203; »Arbi&shy;trari&shy;tät«)&#8203; in diesem Zusam&shy;menhang nicht mitein&shy;ander verwech&shy;selt werden: Auch tradierte Konven&shy;tionen sind in der Regel auf die eine oder andere Weise motiviert und nicht rein willkürlich.<ref>Ein Beispiel für derartige Motivationen ist im [[Exkurs: Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen|Exkurs:Beispiel für motivierte Zeichenkonventionen]] dargestellt.</ref> Und selbst die an sich frei verfügbaren Assoziationsmöglichkeiten werden bei explizit vereinbarten Konventionen aus guten (etwa mnemotechnischen) Gründen kaum je wirklich ausgeschöpft. Historisch bildete zwar die Frage nach der Willkürlichkeit der Bedeutungsbeziehung in Gestalt der ''phýsei/thései''-Debatte in der griechischen Antike den wesentlichen Ausgangspunkt für die sukkzessive Differenzierung möglicher Objektrelationen bis hin zu Peirce (und darüber hinaus). Doch ergab sich im Verlauf dieser begrifflichen Entfaltung, dass es weniger um die Frage nach einer natürlich (sprich: unabhängig von Zeichenverwendern) bestehenden Beziehung zwischen Zeichen(träger) und Bezeichnetem geht, als vielmehr um verschiedene Möglichkeiten, Aspekte eines als Zeichenträger verwendeten Objekts in das komplexe Geschehen von Zeichenhandlungen zu integrieren (vgl. <bib id='Trabant 1996a'></bib>, Abschn. II.4).<ref>In engem Zusammenhang zur “Willkürlichkeit” von Zeichenträgern für die zugehörigen Bedeutungen steht zudem die Diskussion um die Möglichkeit einer Rückwirkung des Zeichenträgers auf das Verständnis dessen, was dieser Ausdruck bedeutet: Unter der Bezeichnung ‘Prinzip der sprachlichen Relativität’ (auch: ‘Sapir-Whorf-Hypothese’; vgl. [http://de.m.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-Hypothese Wikipedia: Sapir-Whorf-Hypothese] wird die Vorstellung diskutiert, dass die “Weltsicht”, das “Weltbild” einer Sprach- (oder allgemeiner: Zeichen-)gemeinschaft entscheidend durch die von ihren Mitgliedern verwendeten Sprachzeichen bestimmt wird; ⊳ [[Weltbild, Lebensform]] & [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]].</ref> <br />
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Ein Beispiel für diesen Zusammenhang kann man in der Diskussion um die [[Perspektive und Projektion|Perspektive]] als einer symbolischen Form<ref>Cassirer bezeichnet mit dem Ausdruck ‘symbolische Form’ „jede Energie des Geistes [...], durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“ (<bib id='Cassirer 2009a'></bib>, S. 67). Der Ausdruck ‘Zeichen’ wird dabei offensichtlich im Sinn von ‘Zeichenträger’ verwendet und ‘Symbol’ (als dritte hier erwähnte Bedeutungsvariante dieses Ausdrucks) analog zu ‘Zeichen<sub><small>''P''</small></sub>’ (s.o.).</ref> “sehen” (vgl. <bib id='Panofsky 1924a'></bib>). Zwar scheinen zentralperspektivische Konstruktionen in einer quasi kausalen Ableitung besonders natürlich wirkende Bildzeichen zu erzeugen. Doch um diese Zeichen geht es nun gar nicht. Vielmehr ist die Konstruktion selbst – als Zeichen für das jene Natürlichkeit allererst begründende [[Sehen]] genommen – nur eine (historisch gewachsene) Möglichkeit unter vielen anderen; eine Möglichkeit, die, da sie ein einäugiges, simultanes Sehen mit starrem Blick unterstellt, trotz aller ikonischer Anteile (d.h. bestehenden Ähnlichkeiten zur Bedeutung dieses Zeichens, dem zweiäugigen, sakkadischen Sehen mit beweglichen Augen) auch stark von tradiert-konventionellen Faktoren abhängt: der Konvention nämlich, dass eben auf genau diese Weise das Sehen darzustellen sei (vgl. <bib id='Cassirer 1930a'></bib>).<br />
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==Zur Anwendung auf Bilder: Ein (kom&shy;ple&shy;xes) Beispiel==<br />
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:''Nach diesen Prämissen sind Bilder häufig als der Prototyp des ikonischen Zeichens interpretiert und gelegentlich sogar mit dem Ikon überhaupt verwechselt worden [...] Es gibt aber Bilder, die in größerem Maße ikonisch, solche, die eher indexikalisch, und andere, die überwiegend symbolisch sind. Das Kriterium des Anteils an ikonischen, indexikalischen und symbolischen Elementen erlaubt es, in der Kulturgeschichte des Bildes drei Prototypen zu bestimmen. Prototyp des ikonischen Bildes ist danach nicht die gegenständliche, sondern vielmehr die nichtgegenständliche, die abstrakte Malerei. Prototyp des indexikalischen Bildes sind ebenso die Photographie wie die gegenständliche Malerei, und Prototyp des symbolischen Bildes ist die [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonologisch]] beziehungsweise [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|ikonographisch]] kodifizierte Malerei.'' (<bib id='Nöth 2009'></bib>, S. 243f.) <br />
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Aus bildwissenschaftlicher Perspektive spielen Ikonizität (insofern »Bild« und »Ähnlichkeit« zusammenhängen) und Indexikalität (vor allem bei den kausalen Bildgebungsverfahren) die grössere, aber keineswegs die alleinige Rolle. Auch bei Bilverwendungen treten zahlreiche symbolische Aspekte auf. Nöths Zuordnung der ikonischen Prototypikalität mit der [[Semantik ungegenständlicher Bilder|nichtgegenständlichen Malerei]] in obigem Zitat mag zunächst verwundern, ist aber dem Umstand geschuldet, dass er die beiden Pole der Assoziation auf je spezielle Weise interpretiert: Mit solchen Bildträgern würde erstens nämlich nur auf eine Eigenschaft des jeweiligen Bildträgers verwiesen, was zweitens eben genau dem ursprünglichen Peirceschen ''genuinen'' Ikon entspricht. Allerdings sind einerseits andere Interpretationen des Phänomens ungegenständlicher Bilder möglich (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung#Zusammenhänge mit anderen Begriffen|Bild in reflexiver Verwendung, Abschnitt «Zusammenhänge mit anderen Begriffen»]]), und andererseits eine weiter gefasste Verwendungsweise von ‘Ikon’ bildphilosophisch durchaus üblicher. In der Praxis dürften prototypische Fälle von Ikonizität, Indexikalität oder Symbolhaftigkeit in der Tat weder bei Bildern noch auch bei anderen Zeichentypen häufig auftreten. Mischformen dominieren unseren Bild(Zeichen)gebrauch.<br />
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[[Datei:Hiroshima.jpg|thumb|Abbildung 4: Ein Schatten in Hiroshima — 6. August 1945, 8:15]]<br />
Die Anwendung der drei Aspek&shy;te auf ein konkretes Beispiel mag besser verdeut&shy;lichen, wie vielfäl&shy;tig die seman&shy;tischen Re&shy;la&shy;tio&shy;nen letztendlich für einen einzigen Bildträger zusam&shy;menwir&shy;ken: Abbil&shy;dung 4 gibt das Schwarz-&#8203;Weiß-&#8203;Photo eines unbe&shy;kannten Photo&shy;graphen wieder, das vermut&shy;lich in den letzten Tagen des Jahres 1945 aufge&shy;nommen wurde und im ''Hiro&shy;shima Peace Memo&shy;rial Museum'' aufbe&shy;wahrt wird. Zu sehen sind zwei Stufen einer steiner&shy;nen Treppe, die zum Eingang des Gebäu&shy;des der Sumi&shy;tomo-&#8203;Bank im Zentrum der japa&shy;nischen Stadt Hiro&shy;shima führt, sowie ein kleiner Ausschnitt der Wand des Gebäudes. Auf den Treppen&shy;stufen zeichnen sich schwärzli&shy;che Spuren im perspek&shy;tivisch verzerr&shy;ten Umriß eines menschli&shy;chen Körpers ab. Es wird angenommen, dass sie entstanden sind, als am 6. August 1945 um 8 Uhr 15 eine Atombombe die Stadt zerstörte und Druck, Hitze und Strahlung die verglühenden Überreste einer Person, die zufällig zu diesem Zeitpunkt vor dem Gebäude auf den Stufen stand, in den Stein eingebrannt haben. <br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit der Beispiel&shy;photographie===<br />
Wegen der längeren, aber durchweg kausalen Kette von optischen, photochemischen und digitaltechnischen Transformationen, die den hier betrachteten Zeichenträger mit der Aufnahmesituation in Hiroshima zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz nach der Bombenexplosion verbinden, hat das damit verwendete Zeichen offensichtlich Index-Charakter. Da zudem eine visuelle Ähnlichkeit zu den tatsächlichen Treppenstufen in Japan besteht, ist auch ein deutlicher ikonischer Anteil gegeben. Symbolhaftigkeit tritt hinzu, weil die Signifikanz dieses Bildes erst klar werden kann, wenn man es in seinen historischen Kontext einordnen kann: Zwar ist – ikonisch – eine Art menschlicher Schatten zu sehen, der – indexikalisch – als Teil einer real in Raum und Zeit existierenden (d.h. mit dem ''Hier und Jetzt'' der Rezeptionssituation kausal verbundenen) Szene verstanden wird, doch dass diese Photographie etwa auch als Zeichen für die schreckliche Gewalt einer Atombombenexplosion über bewohntem Gebiet dienen mag, erschließt sich nur in einem durch Konventionen etablierten Verständnisrahmen.<br />
<br />
===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des abgebildeten “Schattens”===<br />
Tatsächlich lassen sich Ikonizität, Indexikalität und Symbolhaftigkeiten in diesem Beispiel (wie übrigens bei fast allen Bildern) auch noch auf einer zweiten Ebene anwenden: Denn auch der “Schatten” selbst wird in der Regel ja zeichenhaft gelesen. Als Symptom der ihn verursachenden Explosion kann er als Index für alle der in der zu ihm führenden Kausalkette enthaltenen Faktoren verwendet werden: Dominant in dieser Hinsicht sind sicherlich die Person, die in jenem verhängnisvollen Augenblick an jener Stelle stand, die Strahlungen, die in jenem Moment den Schatten in den Stein brannten, sowie das Ereignis, das die Strahlung ausgelöst hat: die Explosion von «Little Boy».<ref>Wegen der Transitivität der Kausalbeziehung “verlängert” die Photographie als Index die bereits signifikanten Kausalketten der abgebildeten Szene sozusagen bis zum Betrachter.</ref> Voraussetzung für eine solche indexikalische Zeichenverwendung mit einer dieser Bedeutungen ist die Einbettung des “Schattens” in eine [[Interaktion und Kommunikation|kommunikative Interaktion]] (inklusive Selbstdarstellung des Senders) mit bewusster Kontrolle des kommunikativen Zwecks der Handlung (Reflexivierung inklusive Antizipation des Kommunikationspartners; ⊳ [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]). Diese Bedingung ist auch erfüllt, wenn sich jemand selbst vor Ort mithilfe des “Schattens” auf die entsprechende Ursache aufmerksam macht. <br />
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Insofern der “Schatten” eine gewisse Ähnlichkeit mit jenem Menschen hat, kann er zudem als ein ikonisches Zeichen für jenen stehen. Auch hier ist die Einbettung in den komplexen Handlungszusammenhang einer Zeichenverwendung Voraussetzung. Analog zur Verlängerung der indexikalischen Aspekte des Dargestellten durch die Indexikalität der Darstellung “verlängert” die Ikonizität des Bildes die ikonischen Aspekte des im Bild Dargestellten.<ref>Diese Transitivität ist allerdings weniger deutlich ausgeprägt als bei der Kausalität: Wenn ''A'' ähnlich zu ''B'' ist, ''B'' ähnlich zu ''C'' und schließlich ''C'' ähnlich zu ''D'', folgt bekanntlich keineswegs zwingend, dass ''A'' auch ähnlich zu ''D'' ist – mit entsprechenden Konsequenzen für die Ikonizität entsprechender Darstellungsbeziehungen (etwa: die Kopie einer Kopie einer Kopie eines Bildes). </ref><br />
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Als einem symbolischen Zeichen kann man sich dem “Schatten” schließlich zuwenden, wenn man damit etwa die eigene Aufmerksamkeit oder die eines anderen absichtlich auf den Sachverhalt lenken möchte, dass die Menschheit mit der in Hiroshima erstmals grauenvoll demonstrierten Fähigkeit, Atombomben über bewohnten Städten explodieren zu lassen, eine gefährliche Grenze überschritten hat. <br />
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===Ikonizität, Indexikalität und Symbol&shy;haftigkeit des reflexiv genutzten Photos===<br />
Eine dritte Bedeutungsebene ergibt sich, wenn wir in Betracht ziehen, dass jedes Bild auch dazu benutzt werden kann, als Zeichen für einen Aspekt des Zeichengebrauchs selbst zu dienen (⊳ [[Bild in reflexiver Verwendung|Bild in reflexiver Verwendung]]). Eben dies ist ja unter anderem in diesem Glossarartikel mit dem Zeichenträger aus Abbildung 4 geschehen. Auch auf dieser Ebene können die drei Arten von ''Objektbezügen'' auftreten: <br />
* Ikonizität als Exemplifikation einer konkreten Eigenschaft des aktuellen Zeichenhandlungs''schemas'': Z.B. kann mithilfe des Bildträgers darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Bedeutungen jeder seiner Zeichenverwendungen ikonische, indexikalische und symolische Aspekte umfasst, indem eben diese Eigenschaft am Exempel demonstriert wird.<br />
* Indexikalität als Verweis auf die gerade im Kontext ablaufende Zeichenhandlungs''instanzen'' und ihre Eigenheiten: So kann sich ein Leser dieses Text-Bild-Ensembles etwa mithilfe des Zeichenträgers aus Abbildung 4 darauf aufmerksam machen, dass die Bedeutungen, die er ihm in verschiedenen Instanziierungen der Zeichenhandlung im Verlauf der Lektüre des umgebenden Textes gibt, sich wandeln und etwa mal mehr, mal weniger ikonisch oder indexikalisch bestimmt sind.<br />
* Symbolhaftigkeit, insofern alle abstrakten Eigenschaften des Zeichenhandlungsschemas, auf die mit der reflexiven Verwendung des Bildträgers verwiesen werden kann, wegen ihrer Abstraktheit konventionell (oder traditionell) etabliert worden sind: Dass eine Bildverwendung Begriffe wie&#8203; »syntaktische Dichte«,&#8203; »genuine Ikonizität«&#8203; oder&#8203; »Ästhetisierung eines Sujets«&#8203; exemplifizieren kann hat stets auch eine regelbezogene Komponente. Das gilt insbesondere für Fälle negativer Exemplifikation, bei denen definitionsgemäß keine ikonischen oder indexikalischen Momente auftreten können. <br />
: <br />
— In jedem konkreten Gebrauch des in Abbildung 4 wiedergegebenen Zeichenträgers können auf den erwähnten drei Zeichenebenen die drei von Peirce inspirierten Objektbezüge in jeweils verschiedenen Ausprägungen und variierenden Kombinationen die effektive Kommunikation semantisch prägen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung von einer einzigen »Bedeutung eines Bildträgers« bestenfalls stark verkürzt und stets abhängig von einer – meist nur implizit – als Standard festgelegten Referenzverwendungsweise, zu der ein Begriff von standardisierten Kommunizierenden mit bestimmtem Hintergrundwissen ebenso wie standardisierte Kommunikationsziele gehören (z.B. ikonische, nicht-reflexive Verwendung). Semiose – bei Peirce als fortlaufende Erzeugung weiterer Interpretanten gedacht, genauer: als Folge (mentaler) Zeichen, die die Bedeutung des ersten Zeichens elaborieren – kann offensichtlich auch noch in einem anderen Sinn verstanden werden: als ein sukzessives Ausarbeiten der verschiedenen Möglichkeiten, einen Zeichenträger als Zeichen zu verwenden.<br />
:<br />
Für die Frage nach der [[Identität bildhafter Zeichen]] verschiebt sich der Fokus von einem am physischen Bildträger orientierten Kriterium zu einem an der jeweiligen Verwendungssituation orientierten Kriterium.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]]<br />
* [[Bedeutung und Referenz]]<br />
* [[Bilderschrift und Piktogramm]]<br />
* [[Bildrezeption als Kommunikationsprozess]]<br />
* [[Bild in reflexiver Verwendung]]<br />
* [[Digitales Bild]]<br />
* [[Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'|Griechisch: ‘agalma’, ‘phantasma’, ‘eidolon’, ‘typos’, ‘eikon’]]<br />
* [[Identität bildhafter Zeichen]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Linguistic turn, pictorial turn, medial turn]]<br />
* [["natürliche" Bilder]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Perspektive und Projektion]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Referenz, Denotation, Exemplifikation]]<br />
* [[Sehen]]<br />
* [[Sprachliche Metaphern und allgemeine Metaphorologie]]<br />
* [[Weltbild, Lebensform]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
* [[Zeigen und Sich-Zeigen]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J. ]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Griechisch:_%27agalma%27,_%27phantasma%27,_%27eidolon%27,_%27typos%27,_%27eikon%27&diff=19883Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'2013-12-04T10:10:57Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* ‘Eikon’ */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildtermini anderer Sprachen]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildtermini anderer Sprachen]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
<br />
Das Altgriechische hält eine große Bandbreite von Möglichkeiten bereit, über Bilder zu reden. Ohne einen direkten Bildausdruck zu verwenden, ist es im Rahmen der älteren, [[Bildmagie|magischen]] Bildauffassung möglich, mit dem Namen der im Götterbild manifestierten Gottheit auch das Götterbild selbst anzusprechen; im Rahmen dieses so genannten „Eigennamen-Typus“ kann ‘Aphrodite’ die Göttin und ineins damit auch ihre Statue bezeichnen (vgl. <bib id='Daut 1975a'></bib>: S. 14). Die Bildausdrücke des Griechischen wiederum sind teils noch als Lehnwörter in den heutigen Sprachen präsent. Sie bieten ein Bedeutungsspektrum, das von der Bezeichnung einer einzelnen Bildart bis hin zur Bezeichnung einer Relation im allgemeinen Sinne reichen kann.<br />
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Vor der ausführlicheren Auseinandersetzung mit den einschlägigen Ausdrücken seien einige der nicht ganz so wichtigen wenigstens erwähnt. Der erste hier zu nennende Ausdruck bezeichnet eine bestimmte Bildart. Unter ''pinax'' (πίναξ), eigentlich dem Ausdruck für ›Brett‹, versteht man eine (bemalte) Tafel aus Holz, Ton oder Metall. Von ihm leitet sich die Bezeichnung »Pinakothek« für Gemäldegalerien oder -museen ab. Einen allgemeineren Charakter besitzt hingegen ''homoioma'' (ὁμοίωμα), das auf dem griechischen Ausdruck für ›gleich‹ und ›[[Ähnlichkeit|ähnlich]]‹ beruht. Ebenfalls ›Bild‹ und ›Abbild‹ im allgemeinen Sinne bedeutet ''mimema'' (μίμημα), das sich von [[Mimesis|''mimesis'']] (μίμησις), dem Wort für das (ursprünglich vor allem schauspielerische) Nachahmen ableitet.<ref>Vgl. ausführlicher <bib id='Havelock 1963a'></bib>: S. 57-60.</ref><br />
<br />
==‘Agalma’==<br />
<br />
Der Ausdruck ‘''Agalma''’ (ἄγαλμα) leitet sich vom Verb für ›preisen‹ und ›verherrlichen‹ ab. Unter diesem Ausdruck hm ist zunächst der kostbare Schmuck oder die kostbare Votivgabe für die Götter verstanden worden; dann aber wird es in Konkurrenz zum „Eigennamen-Typus“ zu der (vom Namen der Gottheit unabhängigen) Bezeichnung für das plastische Götterbild selbst (vgl. <bib id='Bloesch 1943a'></bib>: S. 15, 24ff.). In dieser Bezeichnung liegt bereits eine Problematisierung der magischen Bildauffassung, Artefakt und Gottheit beginnen gewissermaßen auseinanderzutreten. Anstelle der magischen Bildauffassung, für die der Bildreferent im Bild anwesend ist, bricht sich hier eine [[Repräsentation|repräsentationalistische]] Auffassung Bahn, für die das Bild auf seinen Referenten verweist.<ref>Für diese Gegenüberstellung von kultisch-magischer und repräsentationalistischer Auffassung vgl. <bib id='Sachs-Hombach 2003c'></bib>.</ref> Ganz in diesem Sinne kritisiert Heraklit, bei dem sich erstmals die neue Verwendung des Ausdrucks findet, auch seine Zeitgenossen: „Und sie beten auch zu den Götterbildern [ἄγαλμασι] da, wie wenn einer mit Gebäuden eine Unterhaltung pflegen wollte“ (zit. nach <bib id='Diels & Kranz 1968a'></bib>: Bd. 1, S. 151). – In der Gegenwart findet der Ausdruck Verwendung, um eine Spielart des Fetischismus zu bezeichnen; unter ‘Agalmatophilie’ versteht man das sexuelle Interesse an Statuen (und auch Puppen), die nackte Personen darstellen (vgl. <bib id='Bossi 2012a'></bib>).<br />
<br />
==‘Phantasma’==<br />
<br />
Wie ''phantasia''‘’ (φαντασία) (vgl. auch ⊳ [[Einbildungskraft]]) leitet sich ‘''phantasma''’ (φάντασμα) vom griechischen Verb für ›sich zeigen‹, ›erscheinen‹ ab. Zu den Hauptbedeutungen von ‘''phantasma''’ zählen ›Erscheinung‹, ›Gespenst‹, ›(Trug-)Bild‹ und ›Vorstellung(sbild)‹.<ref>Zur erkenntnistheoretischen Debatte darüber, inwiefern es sich bei ''phantasma'' um ein mentales ''Bild'' oder doch um eine andere Art von Vorstellung handelt, vgl. <bib id='Sheppard 1991a'></bib>.</ref> Platon vergleicht die Tätigkeit der'' phantasia'', der das ''phantasma'' erzeugenden Instanz, mit der Tätigkeit eines inneren Malers, der Bilder in die Seele malt («Philebos» 39b), und Aristoteles mit der eines Mnemotechnikers, der sich Bilder vor das innere Auge stellt («De Anima» 427b). Die Rede vom ''phantasma'' ist nicht immer, aber oft negativ konnotiert. In der Aristotelischen Erkenntnistheorie wird diese Konnotation methodisch gewendet: ''phantasma'', das Vorstellungsbild, gilt hier als das, was im Gegensatz zur Wahrnehmung falsch sein ''kann'' - aber nicht falsch sein ''muss'' (vgl. «De Anima» 428a). Nach der Übernahme ins Lateinische spielt ''phantasma'' im Zusammenhang mit der Lehre von den ''species'' in der mittelalterlichen Erkenntnistheorie eine Rolle (vgl. ⊳ [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago']]). In der Moderne kennen insbesondere die Psychologie und [[Psychoanalytische Theorien des Bildes|Psychoanalyse]] das [[Phantasma|Phantasma]], und auch die Psychoanalyse bietet eine methodische Wendung der negativen Konnotation: Sie fasst das Phantasma nicht als simple (Erinnerungs-)Täuschung, sondern betont dessen Schutzfunktion (vgl. <bib id='Evans 2002a'></bib>: S. 228-231).<br />
<br />
==‘Eidolon’==<br />
<br />
‘''Eidolon''’ (εἴδωλον) leitet sich als Diminutiv von dem Substantiv ''eidos''‘’ (εἶδος) ab, das ›Aussehen‹, ›Gestalt‹ und ›Form meint. Wie die Auflistung zentraler Bedeutungen zeigt, führt es oft, aber nicht immer ein pejoratives Moment mit sich: ''Eidolon'' steht für Bild, Abbild, Gestalt, aber auch für Gespenst, Trug- und Götzenbild. Das pejorative Moment lässt sich bis in die archaische Auffassung von der Seele als ''eidolon'' zurückverfolgen, die etwa Homer als „kraftloses Abbild, Schattenbild des Leibes“ beschreibt (vgl. <bib id='Willms 1935a'></bib>: S. 31). Eine neutrale, wenn nicht sogar positive Rolle kommt ''eidolon'' in der Erkenntnistheorie und Wahrnehmungslehre der griechischen Atomisten zu. Sie fassen ''eidolon'' als Häutchen oder Bildchen, das sich von den Dingen löst und damit [[Spiegel|Spiegelungen]] auf glatten Flächen, visuelle Wahrnehmung beim Kontakt mit den Augen sowie Träume im Schlafenden auslösen kann (vgl. <bib id='Roloff 1972a'></bib>: S. 330). Die einflussreiche Terminologie Platons zeigt, wie ambivalent der Ausdruck gebraucht werden kann. Platon verwendet ‘''eidolon''’ sowohl pejorativ, um Gemälde (und Dichtungen) gegenüber der Realität der Dinge abzuwerten (vgl. «Politeia» 601b, 605c), wie auch als neutralen Oberbegriff, unter den er sowohl das wahrheitsgetreue Abbild (''eikon'') als auch das wahrheitswidrige Trugbild (''phantasma'') gleichermaßen subsumiert (vgl. «Sophistes» 235b-236c). In der Folgezeit wird ‘''eidolon''’ zu ‘''idola''’ latinisiert und bleibt bis in die Gegenwart in Bildungen wie ‘Idol’ oder [[Idolatrie und Ikonoklasmus|‘Idolatrie’]] erhalten.<br />
<br />
==‘Typos’==<br />
<br />
‘''Typos''’ (τύπος) leitet sich von den Verben für Schlagen und Prägen ab, und die dort implizierte Dialektik von Erstem und Zweitem, Bewirkendem und Bewirktem findet sich in der Spannweite der Bedeutung auf vielfache Weise wieder.<ref>Vgl. zum Folgenden <bib id='Strenge 1998a'></bib>: S. 1587.</ref> Auf der konkreten Ebene, im handwerklich-künstlerischen Bereich, bedeutet ‘''typos''’ sowohl ›prägende Form‹ (Hohlform, Skizze) als auch ›Geprägtes‹ (Relief, Statue, Gravur) und ›Abdruck‹ (etwa eines Siegelrings oder Münzstempels). Teilweise gelockert oder sogar gelöst wird der Bezug zur Dreidimensionalität bei den tendenziell abstrakteren Bedeutungen wie ›Umriss‹, ›Gestalt‹, ›Form‹ und ›Art‹. Die genannte Dialektik ist auch insofern deutlich erkennbar, als ‘''typos''’ in nachklassischer Zeit, dabei oft zu ‘''archetypos''’ (ἀρχέτυπος) oder ‘''prototypos''’ (πρωτό-τυπος) vereindeutigt, sowohl ein Wort für das Muster oder Vorbild als auch ein Wort für das Abbild, dann oft ‘''ektypos''’ (ἔκτυπος), ist. Im Lauf der Zeit kann sich ''typos'' sehr weit von der handgreiflichen und -werklichen Wurzel entfernen und wird beispielsweise in ethischen, erkenntnistheoretischen, metaphysischen und theologischen Zusammenhängen verwendet. ''Typos'' ist ein moralisches Vorbild; Platon und Aristoteles vergleichen die erinnerte Wahrnehmung mit dem Abdruck (also ''typos'') im Wachs; der Neuplatonismus Philons von Alexandrien begreift die sinnliche Welt als ''typos'', Abbild eines Urbildes (nämlich der intelligiblen Welt); und auch der Adam des «Alten Testaments» gilt in einer an Paulus anschließenden Bibelhermeneutik als ''typos'', und zwar weil er das Neue Testament und insbesondere das Kommen Christi ankündigen soll. Dass der Bezug auf das Prägen keineswegs verschwinden muss, lässt sich noch anhand einer jüngeren Bedeutungsnuance belegen; für das 16. Jh. handelt es sich bei dem – mittlerweile latinisierten – ''typus'' u.a. um eine reliefartiges Bild in einer Gipswand (vgl. <bib id='Schlenstedt & George 2005a'></bib>: S. 191f.). Noch in der heutigen Alltags- und Fachsprache lassen sich viele Ableitungen von ‘''typos''’ nachweisen. Sie finden sich beispielsweise im Vokabular, das sich im Anschluss an die (Druck-)Typen von Buchdruck und Schreibmaschine entwickelt hat (»Typographie«, »typewriter« usw.), oder in der Semiotik, die nach Peirce zwischen der Form (»type«) und ihrer Instantiierung (»token«) unterscheidet und damit die oben angesprochene Dialektik abermals variiert (vgl. <bib id='Peirce 1906a'></bib>: S. 423f.).<br />
<br />
==‘Eikon’==<br />
<br />
‘''Eikon''’ (εἰκών) ist der vielseitigste und am weitesten verbreitete Bildausdruck des Griechischen. Zurückführen lässt er sich auf eine sprachliche Wurzel, die ›zutreffen‹, ›gleichkommen‹ und ›sich gehören‹ bedeutet (vgl. hier und im Folgenden <bib id='Willms 1935a'></bib>: S. 1f.). Aufgrund dieser Herkunft zeichnen sich die Verwendungsweisen von ‘''eikon''’ bei allem Facettenreichtum dadurch aus, dass sie einen Hinweis auf Abbildlichkeit mit sich führen; in der Regel ist ''eikon'' ein Abgeleitetes, ein Zweites, das auf ein Erstes verweist. Das trifft sowohl auf ''eikon physei'' (εἰκών φύσει) zu, das natürliche Bild wie der Schatten und das Spiegelbild, wie auch auf ''eikon techne'' (εἰκών τέχνη), das künstliche Bild, das von Bildhauer, Maler oder Handwerker hergestellt wird. Eine Präzisierung erfährt ''eikon'' (als künstliches Bild) in der Philosophie Platons, die nicht allein die Übereinstimmung des ''eikon'' mit dem von ihm abgebildeten Original betont, sondern auch die wesentliche Differenz zu ihm. Ein ''eikon'' wird niemals mit dem von ihm abgebildeten Original völlig übereinstimmen, so dass es auch niemals zu einem zweiten Exemplar der Gattung des Originals werden kann: Ein ''eikon'' der Person Kratylos ist nicht ein zweiter Kratylos (vgl. dazu Platon: «Kratylos» 432b-d). <br />
<br />
Die Herkunft des Ausdrucks macht sich noch in zwei weiteren Hinsichten bemerkbar. Einerseits harmoniert ''eikon'' gut mit jenen zeitgenössischen Theorien und Auffassungen, die Kunst in erster Linie als Mimesis, als Nachahmung, begreifen; und andererseits wird ''eikon'' nicht nur im handwerklichen Kontext, sondern auch bei übertragener Bedeutung oft mit ''paradeigma'' (παράδειγμα) in Beziehung gesetzt, also einem Modell oder Muster, an dem es sich orientiert. Außer ›künstliches‹ und ›natürliches Bild‹ kann ‘''eikon''’ im psychologischen oder erkenntnistheoretischen Kontext ›Vorstellungsbild‹ bedeuten, in alltäglichen Vollzügen ›Sohn des Vaters‹ meinen oder in der (antiken) Metaphysik das Verhältnis der sinnlichen Welt zur geistigen beschreiben. Dementsprechend wird ‘''eikon''’ im christlich religiösen Kontext dann auch verwendet, um wie in der «Septuaginta» die Gottesebenbildlichkeit des Menschen (nach Gen 1,26f.) auszudrücken.<ref>Die Bedeutung von ‘''eikon''’ beginnt seit dem späteren Platonismus insofern zu schillern, als zwar der Hinweis auf die Abbildlichkeit gewahrt bleibt, aber ‘''eikon''’ nun auch selbst als ein Erstes und vorhergehendes Muster verstanden und daher synonym mit ‘''paradeigma''’ gebraucht werden kann. Eine Parallele dazu findet sich später im deutschen ‘Urbild’; vgl. <bib id='Asmuth 1994a'></bib>: S. 12.</ref> ''Eikon'' wird in der Folgezeit nicht nur zu ''icon'' latinisiert, sondern findet sich auch in einer Fülle von Lehnwörtern in anderen Sprachen wieder – wie beispielsweise im deutschen [[Ikone|‘Ikone’]], mit dem das Kult- und Andachtsbild bezeichnet wird, oder in den Bezeichnungen für kunstwissenschaftliche Verfahren wie [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|‘Ikonografie’, ‘Ikonologie’, ‘Ikonik’]]. Auch findet es Eingang in die semiotische Zeichentypologie, in der das [[Symbol, Index, Ikon|Ikon]] als der Zeichentyp gilt, der über Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten definiert wird.<br />
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{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]] <br />
* [[Bildmagie]]<br />
* [[Einbildungskraft]]<br />
* [[Idolatrie und Ikonoklasmus]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago']]<br />
* [[Mimesis]]<br />
* [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]]<br />
* [[Phantasma]]<br />
* [[Psychoanalytische Theorien des Bildes]]<br />
* [[Repräsentation]] <br />
* [[Simulation, Simulakrum]]<br />
* [[Skulptur]]<br />
* [[Spiegel]]<br />
* [[Symbol, Index, Ikon]]<br />
* [[Traumbild]]<br />
* [[Vorstellungsbilder]]<br />
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<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Dimitri Liebsch|Liebsch, Dimitri]]<br />
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{{GlosTab4}}<br />
''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Griechisch:_%27agalma%27,_%27phantasma%27,_%27eidolon%27,_%27typos%27,_%27eikon%27&diff=19881Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'2013-12-04T10:09:14Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* ‘Typos’ */</p>
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<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildtermini anderer Sprachen]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildtermini anderer Sprachen]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
<br />
Das Altgriechische hält eine große Bandbreite von Möglichkeiten bereit, über Bilder zu reden. Ohne einen direkten Bildausdruck zu verwenden, ist es im Rahmen der älteren, [[Bildmagie|magischen]] Bildauffassung möglich, mit dem Namen der im Götterbild manifestierten Gottheit auch das Götterbild selbst anzusprechen; im Rahmen dieses so genannten „Eigennamen-Typus“ kann ‘Aphrodite’ die Göttin und ineins damit auch ihre Statue bezeichnen (vgl. <bib id='Daut 1975a'></bib>: S. 14). Die Bildausdrücke des Griechischen wiederum sind teils noch als Lehnwörter in den heutigen Sprachen präsent. Sie bieten ein Bedeutungsspektrum, das von der Bezeichnung einer einzelnen Bildart bis hin zur Bezeichnung einer Relation im allgemeinen Sinne reichen kann.<br />
:<br />
Vor der ausführlicheren Auseinandersetzung mit den einschlägigen Ausdrücken seien einige der nicht ganz so wichtigen wenigstens erwähnt. Der erste hier zu nennende Ausdruck bezeichnet eine bestimmte Bildart. Unter ''pinax'' (πίναξ), eigentlich dem Ausdruck für ›Brett‹, versteht man eine (bemalte) Tafel aus Holz, Ton oder Metall. Von ihm leitet sich die Bezeichnung »Pinakothek« für Gemäldegalerien oder -museen ab. Einen allgemeineren Charakter besitzt hingegen ''homoioma'' (ὁμοίωμα), das auf dem griechischen Ausdruck für ›gleich‹ und ›[[Ähnlichkeit|ähnlich]]‹ beruht. Ebenfalls ›Bild‹ und ›Abbild‹ im allgemeinen Sinne bedeutet ''mimema'' (μίμημα), das sich von [[Mimesis|''mimesis'']] (μίμησις), dem Wort für das (ursprünglich vor allem schauspielerische) Nachahmen ableitet.<ref>Vgl. ausführlicher <bib id='Havelock 1963a'></bib>: S. 57-60.</ref><br />
<br />
==‘Agalma’==<br />
<br />
Der Ausdruck ‘''Agalma''’ (ἄγαλμα) leitet sich vom Verb für ›preisen‹ und ›verherrlichen‹ ab. Unter diesem Ausdruck hm ist zunächst der kostbare Schmuck oder die kostbare Votivgabe für die Götter verstanden worden; dann aber wird es in Konkurrenz zum „Eigennamen-Typus“ zu der (vom Namen der Gottheit unabhängigen) Bezeichnung für das plastische Götterbild selbst (vgl. <bib id='Bloesch 1943a'></bib>: S. 15, 24ff.). In dieser Bezeichnung liegt bereits eine Problematisierung der magischen Bildauffassung, Artefakt und Gottheit beginnen gewissermaßen auseinanderzutreten. Anstelle der magischen Bildauffassung, für die der Bildreferent im Bild anwesend ist, bricht sich hier eine [[Repräsentation|repräsentationalistische]] Auffassung Bahn, für die das Bild auf seinen Referenten verweist.<ref>Für diese Gegenüberstellung von kultisch-magischer und repräsentationalistischer Auffassung vgl. <bib id='Sachs-Hombach 2003c'></bib>.</ref> Ganz in diesem Sinne kritisiert Heraklit, bei dem sich erstmals die neue Verwendung des Ausdrucks findet, auch seine Zeitgenossen: „Und sie beten auch zu den Götterbildern [ἄγαλμασι] da, wie wenn einer mit Gebäuden eine Unterhaltung pflegen wollte“ (zit. nach <bib id='Diels & Kranz 1968a'></bib>: Bd. 1, S. 151). – In der Gegenwart findet der Ausdruck Verwendung, um eine Spielart des Fetischismus zu bezeichnen; unter ‘Agalmatophilie’ versteht man das sexuelle Interesse an Statuen (und auch Puppen), die nackte Personen darstellen (vgl. <bib id='Bossi 2012a'></bib>).<br />
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==‘Phantasma’==<br />
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Wie ''phantasia''‘’ (φαντασία) (vgl. auch ⊳ [[Einbildungskraft]]) leitet sich ‘''phantasma''’ (φάντασμα) vom griechischen Verb für ›sich zeigen‹, ›erscheinen‹ ab. Zu den Hauptbedeutungen von ‘''phantasma''’ zählen ›Erscheinung‹, ›Gespenst‹, ›(Trug-)Bild‹ und ›Vorstellung(sbild)‹.<ref>Zur erkenntnistheoretischen Debatte darüber, inwiefern es sich bei ''phantasma'' um ein mentales ''Bild'' oder doch um eine andere Art von Vorstellung handelt, vgl. <bib id='Sheppard 1991a'></bib>.</ref> Platon vergleicht die Tätigkeit der'' phantasia'', der das ''phantasma'' erzeugenden Instanz, mit der Tätigkeit eines inneren Malers, der Bilder in die Seele malt («Philebos» 39b), und Aristoteles mit der eines Mnemotechnikers, der sich Bilder vor das innere Auge stellt («De Anima» 427b). Die Rede vom ''phantasma'' ist nicht immer, aber oft negativ konnotiert. In der Aristotelischen Erkenntnistheorie wird diese Konnotation methodisch gewendet: ''phantasma'', das Vorstellungsbild, gilt hier als das, was im Gegensatz zur Wahrnehmung falsch sein ''kann'' - aber nicht falsch sein ''muss'' (vgl. «De Anima» 428a). Nach der Übernahme ins Lateinische spielt ''phantasma'' im Zusammenhang mit der Lehre von den ''species'' in der mittelalterlichen Erkenntnistheorie eine Rolle (vgl. ⊳ [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago']]). In der Moderne kennen insbesondere die Psychologie und [[Psychoanalytische Theorien des Bildes|Psychoanalyse]] das [[Phantasma|Phantasma]], und auch die Psychoanalyse bietet eine methodische Wendung der negativen Konnotation: Sie fasst das Phantasma nicht als simple (Erinnerungs-)Täuschung, sondern betont dessen Schutzfunktion (vgl. <bib id='Evans 2002a'></bib>: S. 228-231).<br />
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==‘Eidolon’==<br />
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‘''Eidolon''’ (εἴδωλον) leitet sich als Diminutiv von dem Substantiv ''eidos''‘’ (εἶδος) ab, das ›Aussehen‹, ›Gestalt‹ und ›Form meint. Wie die Auflistung zentraler Bedeutungen zeigt, führt es oft, aber nicht immer ein pejoratives Moment mit sich: ''Eidolon'' steht für Bild, Abbild, Gestalt, aber auch für Gespenst, Trug- und Götzenbild. Das pejorative Moment lässt sich bis in die archaische Auffassung von der Seele als ''eidolon'' zurückverfolgen, die etwa Homer als „kraftloses Abbild, Schattenbild des Leibes“ beschreibt (vgl. <bib id='Willms 1935a'></bib>: S. 31). Eine neutrale, wenn nicht sogar positive Rolle kommt ''eidolon'' in der Erkenntnistheorie und Wahrnehmungslehre der griechischen Atomisten zu. Sie fassen ''eidolon'' als Häutchen oder Bildchen, das sich von den Dingen löst und damit [[Spiegel|Spiegelungen]] auf glatten Flächen, visuelle Wahrnehmung beim Kontakt mit den Augen sowie Träume im Schlafenden auslösen kann (vgl. <bib id='Roloff 1972a'></bib>: S. 330). Die einflussreiche Terminologie Platons zeigt, wie ambivalent der Ausdruck gebraucht werden kann. Platon verwendet ‘''eidolon''’ sowohl pejorativ, um Gemälde (und Dichtungen) gegenüber der Realität der Dinge abzuwerten (vgl. «Politeia» 601b, 605c), wie auch als neutralen Oberbegriff, unter den er sowohl das wahrheitsgetreue Abbild (''eikon'') als auch das wahrheitswidrige Trugbild (''phantasma'') gleichermaßen subsumiert (vgl. «Sophistes» 235b-236c). In der Folgezeit wird ‘''eidolon''’ zu ‘''idola''’ latinisiert und bleibt bis in die Gegenwart in Bildungen wie ‘Idol’ oder [[Idolatrie und Ikonoklasmus|‘Idolatrie’]] erhalten.<br />
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==‘Typos’==<br />
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‘''Typos''’ (τύπος) leitet sich von den Verben für Schlagen und Prägen ab, und die dort implizierte Dialektik von Erstem und Zweitem, Bewirkendem und Bewirktem findet sich in der Spannweite der Bedeutung auf vielfache Weise wieder.<ref>Vgl. zum Folgenden <bib id='Strenge 1998a'></bib>: S. 1587.</ref> Auf der konkreten Ebene, im handwerklich-künstlerischen Bereich, bedeutet ‘''typos''’ sowohl ›prägende Form‹ (Hohlform, Skizze) als auch ›Geprägtes‹ (Relief, Statue, Gravur) und ›Abdruck‹ (etwa eines Siegelrings oder Münzstempels). Teilweise gelockert oder sogar gelöst wird der Bezug zur Dreidimensionalität bei den tendenziell abstrakteren Bedeutungen wie ›Umriss‹, ›Gestalt‹, ›Form‹ und ›Art‹. Die genannte Dialektik ist auch insofern deutlich erkennbar, als ‘''typos''’ in nachklassischer Zeit, dabei oft zu ‘''archetypos''’ (ἀρχέτυπος) oder ‘''prototypos''’ (πρωτό-τυπος) vereindeutigt, sowohl ein Wort für das Muster oder Vorbild als auch ein Wort für das Abbild, dann oft ‘''ektypos''’ (ἔκτυπος), ist. Im Lauf der Zeit kann sich ''typos'' sehr weit von der handgreiflichen und -werklichen Wurzel entfernen und wird beispielsweise in ethischen, erkenntnistheoretischen, metaphysischen und theologischen Zusammenhängen verwendet. ''Typos'' ist ein moralisches Vorbild; Platon und Aristoteles vergleichen die erinnerte Wahrnehmung mit dem Abdruck (also ''typos'') im Wachs; der Neuplatonismus Philons von Alexandrien begreift die sinnliche Welt als ''typos'', Abbild eines Urbildes (nämlich der intelligiblen Welt); und auch der Adam des «Alten Testaments» gilt in einer an Paulus anschließenden Bibelhermeneutik als ''typos'', und zwar weil er das Neue Testament und insbesondere das Kommen Christi ankündigen soll. Dass der Bezug auf das Prägen keineswegs verschwinden muss, lässt sich noch anhand einer jüngeren Bedeutungsnuance belegen; für das 16. Jh. handelt es sich bei dem – mittlerweile latinisierten – ''typus'' u.a. um eine reliefartiges Bild in einer Gipswand (vgl. <bib id='Schlenstedt & George 2005a'></bib>: S. 191f.). Noch in der heutigen Alltags- und Fachsprache lassen sich viele Ableitungen von ‘''typos''’ nachweisen. Sie finden sich beispielsweise im Vokabular, das sich im Anschluss an die (Druck-)Typen von Buchdruck und Schreibmaschine entwickelt hat (»Typographie«, »typewriter« usw.), oder in der Semiotik, die nach Peirce zwischen der Form (»type«) und ihrer Instantiierung (»token«) unterscheidet und damit die oben angesprochene Dialektik abermals variiert (vgl. <bib id='Peirce 1906a'></bib>: S. 423f.).<br />
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==‘Eikon’==<br />
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‘''Eikon''’ (εἰκών) ist der vielseitigste und am weitesten verbreitete Bildausdruck des Griechischen. Zurückführen lässt er sich auf eine sprachliche Wurzel, die ›zutreffen‹, ›gleichkommen‹ und ›sich gehören‹ bedeutet (vgl. hier und im Folgenden <bib id='Willms 1935a'></bib>: S. 1f.). Aufgrund dieser Herkunft zeichnen sich die Verwendungsweisen von ‘''eikon''’ bei allem Facettenreichtum dadurch aus, dass sie einen Hinweis auf Abbildlichkeit mit sich führen; in der Regel ist ''eikon'' ein Abgeleitetes, ein Zweites, das auf ein Erstes verweist. Das trifft sowohl auf ''eikon physei'' (εἰκών φύσει) zu, das natürliche Bild wie der Schatten und das Spiegelbild, wie auch auf ''eikon techne'' (εἰκών τέχνη), das künstliche Bild, das von Bildhauer, Maler oder Handwerker hergestellt wird. Eine Präzisierung erfährt ''eikon'' (als künstliches Bild) in der Philosophie Platons, die nicht allein die Übereinstimmung des ''eikon'' mit dem von ihm abgebildeten Original betont, sondern auch die wesentliche Differenz zu ihm. Ein ''eikon'' wird niemals mit dem von ihm abgebildeten Original völlig übereinstimmen, so dass es auch niemals zu einem zweiten Exemplar der Gattung des Originals werden kann: Ein ''eikon'' der Person Kratylos ist nicht ein zweiter Kratylos (vgl. dazu Platon: «Kratylos» 432b-d). Die Herkunft des Ausdrucks macht sich noch in zwei weiteren Hinsichten bemerkbar. Einerseits harmoniert ''eikon'' gut mit jenen zeitgenössischen Theorien und Auffassungen, die Kunst in erster Linie als Mimesis, als Nachahmung, begreifen; und andererseits wird ''eikon'' nicht nur im handwerklichen Kontext, sondern auch bei übertragener Bedeutung oft mit ''paradeigma'' (παράδειγμα) in Beziehung gesetzt, also einem Modell oder Muster, an dem es sich orientiert. Außer ›künstliches‹ und ›natürliches Bild‹ kann ‘''eikon''’ im psychologischen oder erkenntnistheoretischen Kontext ›Vorstellungsbild‹ bedeuten, in alltäglichen Vollzügen ›Sohn des Vaters‹ meinen oder in der (antiken) Metaphysik das Verhältnis der sinnlichen Welt zur geistigen beschreiben. Dementsprechend wird ‘''eikon''’ im christlich religiösen Kontext dann auch verwendet, um wie in der «Septuaginta» die Gottesebenbildlichkeit des Menschen (nach Gen 1,26f.) auszudrücken.<ref>Die Bedeutung von ‘''eikon''’ beginnt seit dem späteren Platonismus insofern zu schillern, als zwar der Hinweis auf die Abbildlichkeit gewahrt bleibt, aber ‘''eikon''’ nun auch selbst als ein Erstes und vorhergehendes Muster verstanden und daher synonym mit ‘''paradeigma''’ gebraucht werden kann. Eine Parallele dazu findet sich später im deutschen ‘Urbild’; vgl. <bib id='Asmuth 1994a'></bib>: S. 12.</ref> ''Eikon'' wird in der Folgezeit nicht nur zu ''icon'' latinisiert, sondern findet sich auch in einer Fülle von Lehnwörtern in anderen Sprachen wieder – wie beispielsweise im deutschen [[Ikone|‘Ikone’]], mit dem das Kult- und Andachtsbild bezeichnet wird, oder in den Bezeichnungen für kunstwissenschaftliche Verfahren wie [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|‘Ikonografie’, ‘Ikonologie’, ‘Ikonik’]]. Auch findet es Eingang in die semiotische Zeichentypologie, in der das [[Symbol, Index, Ikon|Ikon]] als der Zeichentyp gilt, der über Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten definiert wird.<br />
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{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]] <br />
* [[Bildmagie]]<br />
* [[Einbildungskraft]]<br />
* [[Idolatrie und Ikonoklasmus]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago']]<br />
* [[Mimesis]]<br />
* [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]]<br />
* [[Phantasma]]<br />
* [[Psychoanalytische Theorien des Bildes]]<br />
* [[Repräsentation]] <br />
* [[Simulation, Simulakrum]]<br />
* [[Skulptur]]<br />
* [[Spiegel]]<br />
* [[Symbol, Index, Ikon]]<br />
* [[Traumbild]]<br />
* [[Vorstellungsbilder]]<br />
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''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Dimitri Liebsch|Liebsch, Dimitri]]<br />
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{{GlosTab4}}<br />
''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Griechisch:_%27agalma%27,_%27phantasma%27,_%27eidolon%27,_%27typos%27,_%27eikon%27&diff=19879Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'2013-12-04T10:05:28Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* ‘Eidolon’ */</p>
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildtermini anderer Sprachen]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildtermini anderer Sprachen]]<br />
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Das Altgriechische hält eine große Bandbreite von Möglichkeiten bereit, über Bilder zu reden. Ohne einen direkten Bildausdruck zu verwenden, ist es im Rahmen der älteren, [[Bildmagie|magischen]] Bildauffassung möglich, mit dem Namen der im Götterbild manifestierten Gottheit auch das Götterbild selbst anzusprechen; im Rahmen dieses so genannten „Eigennamen-Typus“ kann ‘Aphrodite’ die Göttin und ineins damit auch ihre Statue bezeichnen (vgl. <bib id='Daut 1975a'></bib>: S. 14). Die Bildausdrücke des Griechischen wiederum sind teils noch als Lehnwörter in den heutigen Sprachen präsent. Sie bieten ein Bedeutungsspektrum, das von der Bezeichnung einer einzelnen Bildart bis hin zur Bezeichnung einer Relation im allgemeinen Sinne reichen kann.<br />
:<br />
Vor der ausführlicheren Auseinandersetzung mit den einschlägigen Ausdrücken seien einige der nicht ganz so wichtigen wenigstens erwähnt. Der erste hier zu nennende Ausdruck bezeichnet eine bestimmte Bildart. Unter ''pinax'' (πίναξ), eigentlich dem Ausdruck für ›Brett‹, versteht man eine (bemalte) Tafel aus Holz, Ton oder Metall. Von ihm leitet sich die Bezeichnung »Pinakothek« für Gemäldegalerien oder -museen ab. Einen allgemeineren Charakter besitzt hingegen ''homoioma'' (ὁμοίωμα), das auf dem griechischen Ausdruck für ›gleich‹ und ›[[Ähnlichkeit|ähnlich]]‹ beruht. Ebenfalls ›Bild‹ und ›Abbild‹ im allgemeinen Sinne bedeutet ''mimema'' (μίμημα), das sich von [[Mimesis|''mimesis'']] (μίμησις), dem Wort für das (ursprünglich vor allem schauspielerische) Nachahmen ableitet.<ref>Vgl. ausführlicher <bib id='Havelock 1963a'></bib>: S. 57-60.</ref><br />
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==‘Agalma’==<br />
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Der Ausdruck ‘''Agalma''’ (ἄγαλμα) leitet sich vom Verb für ›preisen‹ und ›verherrlichen‹ ab. Unter diesem Ausdruck hm ist zunächst der kostbare Schmuck oder die kostbare Votivgabe für die Götter verstanden worden; dann aber wird es in Konkurrenz zum „Eigennamen-Typus“ zu der (vom Namen der Gottheit unabhängigen) Bezeichnung für das plastische Götterbild selbst (vgl. <bib id='Bloesch 1943a'></bib>: S. 15, 24ff.). In dieser Bezeichnung liegt bereits eine Problematisierung der magischen Bildauffassung, Artefakt und Gottheit beginnen gewissermaßen auseinanderzutreten. Anstelle der magischen Bildauffassung, für die der Bildreferent im Bild anwesend ist, bricht sich hier eine [[Repräsentation|repräsentationalistische]] Auffassung Bahn, für die das Bild auf seinen Referenten verweist.<ref>Für diese Gegenüberstellung von kultisch-magischer und repräsentationalistischer Auffassung vgl. <bib id='Sachs-Hombach 2003c'></bib>.</ref> Ganz in diesem Sinne kritisiert Heraklit, bei dem sich erstmals die neue Verwendung des Ausdrucks findet, auch seine Zeitgenossen: „Und sie beten auch zu den Götterbildern [ἄγαλμασι] da, wie wenn einer mit Gebäuden eine Unterhaltung pflegen wollte“ (zit. nach <bib id='Diels & Kranz 1968a'></bib>: Bd. 1, S. 151). – In der Gegenwart findet der Ausdruck Verwendung, um eine Spielart des Fetischismus zu bezeichnen; unter ‘Agalmatophilie’ versteht man das sexuelle Interesse an Statuen (und auch Puppen), die nackte Personen darstellen (vgl. <bib id='Bossi 2012a'></bib>).<br />
<br />
==‘Phantasma’==<br />
<br />
Wie ''phantasia''‘’ (φαντασία) (vgl. auch ⊳ [[Einbildungskraft]]) leitet sich ‘''phantasma''’ (φάντασμα) vom griechischen Verb für ›sich zeigen‹, ›erscheinen‹ ab. Zu den Hauptbedeutungen von ‘''phantasma''’ zählen ›Erscheinung‹, ›Gespenst‹, ›(Trug-)Bild‹ und ›Vorstellung(sbild)‹.<ref>Zur erkenntnistheoretischen Debatte darüber, inwiefern es sich bei ''phantasma'' um ein mentales ''Bild'' oder doch um eine andere Art von Vorstellung handelt, vgl. <bib id='Sheppard 1991a'></bib>.</ref> Platon vergleicht die Tätigkeit der'' phantasia'', der das ''phantasma'' erzeugenden Instanz, mit der Tätigkeit eines inneren Malers, der Bilder in die Seele malt («Philebos» 39b), und Aristoteles mit der eines Mnemotechnikers, der sich Bilder vor das innere Auge stellt («De Anima» 427b). Die Rede vom ''phantasma'' ist nicht immer, aber oft negativ konnotiert. In der Aristotelischen Erkenntnistheorie wird diese Konnotation methodisch gewendet: ''phantasma'', das Vorstellungsbild, gilt hier als das, was im Gegensatz zur Wahrnehmung falsch sein ''kann'' - aber nicht falsch sein ''muss'' (vgl. «De Anima» 428a). Nach der Übernahme ins Lateinische spielt ''phantasma'' im Zusammenhang mit der Lehre von den ''species'' in der mittelalterlichen Erkenntnistheorie eine Rolle (vgl. ⊳ [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago']]). In der Moderne kennen insbesondere die Psychologie und [[Psychoanalytische Theorien des Bildes|Psychoanalyse]] das [[Phantasma|Phantasma]], und auch die Psychoanalyse bietet eine methodische Wendung der negativen Konnotation: Sie fasst das Phantasma nicht als simple (Erinnerungs-)Täuschung, sondern betont dessen Schutzfunktion (vgl. <bib id='Evans 2002a'></bib>: S. 228-231).<br />
<br />
==‘Eidolon’==<br />
<br />
‘''Eidolon''’ (εἴδωλον) leitet sich als Diminutiv von dem Substantiv ''eidos''‘’ (εἶδος) ab, das ›Aussehen‹, ›Gestalt‹ und ›Form meint. Wie die Auflistung zentraler Bedeutungen zeigt, führt es oft, aber nicht immer ein pejoratives Moment mit sich: ''Eidolon'' steht für Bild, Abbild, Gestalt, aber auch für Gespenst, Trug- und Götzenbild. Das pejorative Moment lässt sich bis in die archaische Auffassung von der Seele als ''eidolon'' zurückverfolgen, die etwa Homer als „kraftloses Abbild, Schattenbild des Leibes“ beschreibt (vgl. <bib id='Willms 1935a'></bib>: S. 31). Eine neutrale, wenn nicht sogar positive Rolle kommt ''eidolon'' in der Erkenntnistheorie und Wahrnehmungslehre der griechischen Atomisten zu. Sie fassen ''eidolon'' als Häutchen oder Bildchen, das sich von den Dingen löst und damit [[Spiegel|Spiegelungen]] auf glatten Flächen, visuelle Wahrnehmung beim Kontakt mit den Augen sowie Träume im Schlafenden auslösen kann (vgl. <bib id='Roloff 1972a'></bib>: S. 330). Die einflussreiche Terminologie Platons zeigt, wie ambivalent der Ausdruck gebraucht werden kann. Platon verwendet ‘''eidolon''’ sowohl pejorativ, um Gemälde (und Dichtungen) gegenüber der Realität der Dinge abzuwerten (vgl. «Politeia» 601b, 605c), wie auch als neutralen Oberbegriff, unter den er sowohl das wahrheitsgetreue Abbild (''eikon'') als auch das wahrheitswidrige Trugbild (''phantasma'') gleichermaßen subsumiert (vgl. «Sophistes» 235b-236c). In der Folgezeit wird ‘''eidolon''’ zu ‘''idola''’ latinisiert und bleibt bis in die Gegenwart in Bildungen wie ‘Idol’ oder [[Idolatrie und Ikonoklasmus|‘Idolatrie’]] erhalten.<br />
<br />
==‘Typos’==<br />
<br />
‘''Typos''’ (τύπος) leitet sich von den Verben für Schlagen und Prägen ab, und die dort implizierte Dialektik von Erstem und Zweitem, Bewirkendem und Bewirktem findet sich in der Spannweite der Bedeutung auf vielfache Weise wieder.<ref>Vgl. zum Folgenden <bib id='Strenge 1998a'></bib>: S. 1587.</ref> Auf der konkreten Ebene, im handwerklich-künstlerischen Bereich, bedeutet ‘''typos''’ sowohl ›prägende Form‹ (Hohlform, Skizze) als auch ›Geprägtes‹ (Relief, Statue, Gravur) und ›Abdruck‹ (etwa eines Siegelrings oder Münzstempels). Teilweise gelockert oder sogar gelöst wird der Bezug zur Dreidimensionalität bei den tendenziell abstrakteren Bedeutungen wie ›Umriß‹, ›Gestalt‹, ›Form‹ und ›Art‹. Die genannte Dialektik ist auch insofern deutlich erkennbar, als ‘''typos''’ in nachklassischer Zeit, dabei oft zu ‘''archetypos''’ (ἀρχέτυπος) oder ‘''prototypos''’ (πρωτό-τυπος) vereindeutigt, sowohl ein Wort für das Muster oder Vorbild als auch ein Wort für das Abbild, dann oft ‘''ektypos''’ (ἔκτυπος) ist. Im Lauf der Zeit kann sich ''typos'' sehr weit von der handgreiflichen und -werklichen Wurzel entfernen und wird beispielsweise in ethischen, erkenntnistheoretischen, metaphysischen und theologischen Zusammenhängen verwendet. ''Typos'' ist ein moralisches Vorbild; Platon und Aristoteles vergleichen die erinnerte Wahrnehmung mit dem Abdruck (also ''typos'') im Wachs; der Neuplatonismus Philons von Alexandrien begreift die sinnliche Welt als ''typos'', Abbild eines Urbildes (nämlich der intelligiblen Welt); und auch der Adam des «Alten Testaments» gilt in einer an Paulus anschließenden Bibelhermeneutik als ''typos'', und zwar weil er das Neue Testament und insbesondere das Kommen Christi ankündigen soll. Dass der Bezug auf das Prägen keineswegs verschwinden muss, lässt sich noch anhand einer jüngeren Bedeutungsnuance belegen; für das 16. Jh. handelt es sich bei dem – mittlerweile latinisierten – ''typus'' u.a. um eine reliefartiges Bild in einer Gipswand (vgl. <bib id='Schlenstedt & George 2005a'></bib>: S. 191f.). Noch in der heutigen Alltags- und Fachsprache lassen sich viele Ableitungen von ‘''typos''’ nachweisen. Sie finden sich beispielsweise im Vokabular, das sich im Anschluss an die (Druck-)Typen von Buchdruck und Schreibmaschine entwickelt hat (»Typographie«, »typewriter« usw.), oder in der Semiotik, die nach Peirce zwischen der Form (»type«) und ihrer Instantiierung (»token«) unterscheidet und damit die oben angesprochene Dialektik abermals variiert (vgl. <bib id='Peirce 1906a'></bib>: S. 423f.).<br />
<br />
==‘Eikon’==<br />
<br />
‘''Eikon''’ (εἰκών) ist der vielseitigste und am weitesten verbreitete Bildausdruck des Griechischen. Zurückführen lässt er sich auf eine sprachliche Wurzel, die ›zutreffen‹, ›gleichkommen‹ und ›sich gehören‹ bedeutet (vgl. hier und im Folgenden <bib id='Willms 1935a'></bib>: S. 1f.). Aufgrund dieser Herkunft zeichnen sich die Verwendungsweisen von ‘''eikon''’ bei allem Facettenreichtum dadurch aus, dass sie einen Hinweis auf Abbildlichkeit mit sich führen; in der Regel ist ''eikon'' ein Abgeleitetes, ein Zweites, das auf ein Erstes verweist. Das trifft sowohl auf ''eikon physei'' (εἰκών φύσει) zu, das natürliche Bild wie der Schatten und das Spiegelbild, wie auch auf ''eikon techne'' (εἰκών τέχνη), das künstliche Bild, das von Bildhauer, Maler oder Handwerker hergestellt wird. Eine Präzisierung erfährt ''eikon'' (als künstliches Bild) in der Philosophie Platons, die nicht allein die Übereinstimmung des ''eikon'' mit dem von ihm abgebildeten Original betont, sondern auch die wesentliche Differenz zu ihm. Ein ''eikon'' wird niemals mit dem von ihm abgebildeten Original völlig übereinstimmen, so dass es auch niemals zu einem zweiten Exemplar der Gattung des Originals werden kann: Ein ''eikon'' der Person Kratylos ist nicht ein zweiter Kratylos (vgl. dazu Platon: «Kratylos» 432b-d). Die Herkunft des Ausdrucks macht sich noch in zwei weiteren Hinsichten bemerkbar. Einerseits harmoniert ''eikon'' gut mit jenen zeitgenössischen Theorien und Auffassungen, die Kunst in erster Linie als Mimesis, als Nachahmung, begreifen; und andererseits wird ''eikon'' nicht nur im handwerklichen Kontext, sondern auch bei übertragener Bedeutung oft mit ''paradeigma'' (παράδειγμα) in Beziehung gesetzt, also einem Modell oder Muster, an dem es sich orientiert. Außer ›künstliches‹ und ›natürliches Bild‹ kann ‘''eikon''’ im psychologischen oder erkenntnistheoretischen Kontext ›Vorstellungsbild‹ bedeuten, in alltäglichen Vollzügen ›Sohn des Vaters‹ meinen oder in der (antiken) Metaphysik das Verhältnis der sinnlichen Welt zur geistigen beschreiben. Dementsprechend wird ‘''eikon''’ im christlich religiösen Kontext dann auch verwendet, um wie in der «Septuaginta» die Gottesebenbildlichkeit des Menschen (nach Gen 1,26f.) auszudrücken.<ref>Die Bedeutung von ‘''eikon''’ beginnt seit dem späteren Platonismus insofern zu schillern, als zwar der Hinweis auf die Abbildlichkeit gewahrt bleibt, aber ‘''eikon''’ nun auch selbst als ein Erstes und vorhergehendes Muster verstanden und daher synonym mit ‘''paradeigma''’ gebraucht werden kann. Eine Parallele dazu findet sich später im deutschen ‘Urbild’; vgl. <bib id='Asmuth 1994a'></bib>: S. 12.</ref> ''Eikon'' wird in der Folgezeit nicht nur zu ''icon'' latinisiert, sondern findet sich auch in einer Fülle von Lehnwörtern in anderen Sprachen wieder – wie beispielsweise im deutschen [[Ikone|‘Ikone’]], mit dem das Kult- und Andachtsbild bezeichnet wird, oder in den Bezeichnungen für kunstwissenschaftliche Verfahren wie [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|‘Ikonografie’, ‘Ikonologie’, ‘Ikonik’]]. Auch findet es Eingang in die semiotische Zeichentypologie, in der das [[Symbol, Index, Ikon|Ikon]] als der Zeichentyp gilt, der über Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten definiert wird.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]] <br />
* [[Bildmagie]]<br />
* [[Einbildungskraft]]<br />
* [[Idolatrie und Ikonoklasmus]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago']]<br />
* [[Mimesis]]<br />
* [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]]<br />
* [[Phantasma]]<br />
* [[Psychoanalytische Theorien des Bildes]]<br />
* [[Repräsentation]] <br />
* [[Simulation, Simulakrum]]<br />
* [[Skulptur]]<br />
* [[Spiegel]]<br />
* [[Symbol, Index, Ikon]]<br />
* [[Traumbild]]<br />
* [[Vorstellungsbilder]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Dimitri Liebsch|Liebsch, Dimitri]]<br />
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{{GlosTab4}}<br />
''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Griechisch:_%27agalma%27,_%27phantasma%27,_%27eidolon%27,_%27typos%27,_%27eikon%27&diff=19877Griechisch: 'agalma', 'phantasma', 'eidolon', 'typos', 'eikon'2013-12-04T09:56:30Z<p>Klaus Sachs-Hombach: </p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildtermini anderer Sprachen]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildtermini anderer Sprachen]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
<br />
Das Altgriechische hält eine große Bandbreite von Möglichkeiten bereit, über Bilder zu reden. Ohne einen direkten Bildausdruck zu verwenden, ist es im Rahmen der älteren, [[Bildmagie|magischen]] Bildauffassung möglich, mit dem Namen der im Götterbild manifestierten Gottheit auch das Götterbild selbst anzusprechen; im Rahmen dieses so genannten „Eigennamen-Typus“ kann ‘Aphrodite’ die Göttin und ineins damit auch ihre Statue bezeichnen (vgl. <bib id='Daut 1975a'></bib>: S. 14). Die Bildausdrücke des Griechischen wiederum sind teils noch als Lehnwörter in den heutigen Sprachen präsent. Sie bieten ein Bedeutungsspektrum, das von der Bezeichnung einer einzelnen Bildart bis hin zur Bezeichnung einer Relation im allgemeinen Sinne reichen kann.<br />
:<br />
Vor der ausführlicheren Auseinandersetzung mit den einschlägigen Ausdrücken seien einige der nicht ganz so wichtigen wenigstens erwähnt. Der erste hier zu nennende Ausdruck bezeichnet eine bestimmte Bildart. Unter ''pinax'' (πίναξ), eigentlich dem Ausdruck für ›Brett‹, versteht man eine (bemalte) Tafel aus Holz, Ton oder Metall. Von ihm leitet sich die Bezeichnung »Pinakothek« für Gemäldegalerien oder -museen ab. Einen allgemeineren Charakter besitzt hingegen ''homoioma'' (ὁμοίωμα), das auf dem griechischen Ausdruck für ›gleich‹ und ›[[Ähnlichkeit|ähnlich]]‹ beruht. Ebenfalls ›Bild‹ und ›Abbild‹ im allgemeinen Sinne bedeutet ''mimema'' (μίμημα), das sich von [[Mimesis|''mimesis'']] (μίμησις), dem Wort für das (ursprünglich vor allem schauspielerische) Nachahmen ableitet.<ref>Vgl. ausführlicher <bib id='Havelock 1963a'></bib>: S. 57-60.</ref><br />
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==‘Agalma’==<br />
<br />
Der Ausdruck ‘''Agalma''’ (ἄγαλμα) leitet sich vom Verb für ›preisen‹ und ›verherrlichen‹ ab. Unter diesem Ausdruck hm ist zunächst der kostbare Schmuck oder die kostbare Votivgabe für die Götter verstanden worden; dann aber wird es in Konkurrenz zum „Eigennamen-Typus“ zu der (vom Namen der Gottheit unabhängigen) Bezeichnung für das plastische Götterbild selbst (vgl. <bib id='Bloesch 1943a'></bib>: S. 15, 24ff.). In dieser Bezeichnung liegt bereits eine Problematisierung der magischen Bildauffassung, Artefakt und Gottheit beginnen gewissermaßen auseinanderzutreten. Anstelle der magischen Bildauffassung, für die der Bildreferent im Bild anwesend ist, bricht sich hier eine [[Repräsentation|repräsentationalistische]] Auffassung Bahn, für die das Bild auf seinen Referenten verweist.<ref>Für diese Gegenüberstellung von kultisch-magischer und repräsentationalistischer Auffassung vgl. <bib id='Sachs-Hombach 2003c'></bib>.</ref> Ganz in diesem Sinne kritisiert Heraklit, bei dem sich erstmals die neue Verwendung des Ausdrucks findet, auch seine Zeitgenossen: „Und sie beten auch zu den Götterbildern [ἄγαλμασι] da, wie wenn einer mit Gebäuden eine Unterhaltung pflegen wollte“ (zit. nach <bib id='Diels & Kranz 1968a'></bib>: Bd. 1, S. 151). – In der Gegenwart findet der Ausdruck Verwendung, um eine Spielart des Fetischismus zu bezeichnen; unter ‘Agalmatophilie’ versteht man das sexuelle Interesse an Statuen (und auch Puppen), die nackte Personen darstellen (vgl. <bib id='Bossi 2012a'></bib>).<br />
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==‘Phantasma’==<br />
<br />
Wie ''phantasia''‘’ (φαντασία) (vgl. auch ⊳ [[Einbildungskraft]]) leitet sich ‘''phantasma''’ (φάντασμα) vom griechischen Verb für ›sich zeigen‹, ›erscheinen‹ ab. Zu den Hauptbedeutungen von ‘''phantasma''’ zählen ›Erscheinung‹, ›Gespenst‹, ›(Trug-)Bild‹ und ›Vorstellung(sbild)‹.<ref>Zur erkenntnistheoretischen Debatte darüber, inwiefern es sich bei ''phantasma'' um ein mentales ''Bild'' oder doch um eine andere Art von Vorstellung handelt, vgl. <bib id='Sheppard 1991a'></bib>.</ref> Platon vergleicht die Tätigkeit der'' phantasia'', der das ''phantasma'' erzeugenden Instanz, mit der Tätigkeit eines inneren Malers, der Bilder in die Seele malt («Philebos» 39b), und Aristoteles mit der eines Mnemotechnikers, der sich Bilder vor das innere Auge stellt («De Anima» 427b). Die Rede vom ''phantasma'' ist nicht immer, aber oft negativ konnotiert. In der Aristotelischen Erkenntnistheorie wird diese Konnotation methodisch gewendet: ''phantasma'', das Vorstellungsbild, gilt hier als das, was im Gegensatz zur Wahrnehmung falsch sein ''kann'' - aber nicht falsch sein ''muss'' (vgl. «De Anima» 428a). Nach der Übernahme ins Lateinische spielt ''phantasma'' im Zusammenhang mit der Lehre von den ''species'' in der mittelalterlichen Erkenntnistheorie eine Rolle (vgl. ⊳ [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago']]). In der Moderne kennen insbesondere die Psychologie und [[Psychoanalytische Theorien des Bildes|Psychoanalyse]] das [[Phantasma|Phantasma]], und auch die Psychoanalyse bietet eine methodische Wendung der negativen Konnotation: Sie fasst das Phantasma nicht als simple (Erinnerungs-)Täuschung, sondern betont dessen Schutzfunktion (vgl. <bib id='Evans 2002a'></bib>: S. 228-231).<br />
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==‘Eidolon’==<br />
<br />
‘''Eidolon''’ (εἴδωλον) leitet sich als Diminutiv von dem Substantiv ''eidos''‘’ (εἶδος) ab, das ›Aussehen‹, ›Gestalt‹ und ›Form meint. Wie die Auflistung zentraler Bedeutungen zeigt, führt es oft, aber nicht immer ein pejoratives Moment mit sich: ''Eidolon'' steht für Bild, Abbild, Gestalt, aber auch für Gespenst, Trug- und Götzenbild. Das pejorative Moment lässt sich bis in die archaische Auffassung von der Seele als ''eidolon'' zurückverfolgen, die etwa Homer als „kraftloses Abbild, Schattenbild des Leibes“ beschreibt (vgl. <bib id='Willms 1935a'></bib>: S. 31). Eine neutrale, wenn nicht sogar positive Rolle kommt ''eidolon'' in der Erkenntnistheorie und Wahrnehmunglehre der griechischen Atomisten zu. Sie fassen ''eidolon'' als Häutchen oder Bildchen, das sich von den Dingen löst und damit [[Spiegel|Spiegelungen]] auf glatten Flächen, visuelle Wahrnehmung beim Kontakt mit den Augen sowie Träume im Schlafenden auslösen kann (vgl. <bib id='Roloff 1972a'></bib>: S. 330). Die einflussreiche Terminologie Platons zeigt, wie ambivalent der Ausdruck gebraucht werden kann. Platon verwendet ‘''eidolon''’ sowohl pejorativ, um Gemälde (und Dichtungen) gegenüber der Realität der Dinge abzuwerten (vgl. «Politeia» 601b, 605c), wie auch als neutralen Oberbegriff, unter den er sowohl das wahrheitsgetreue Abbild (''eikon'') als auch das wahrheitswidrige Trugbild (''phantasma'') gleichermaßen subsumiert (vgl. «Sophistes» 235b-236c). In der Folgezeit wird ‘''eidolon''’ zu ‘''idola''’ latinisiert und bleibt bis in die Gegenwart in Bildungen wie ‘Idol’ oder [[Idolatrie und Ikonoklasmus|‘Idolatrie’]] erhalten.<br />
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==‘Typos’==<br />
<br />
‘''Typos''’ (τύπος) leitet sich von den Verben für Schlagen und Prägen ab, und die dort implizierte Dialektik von Erstem und Zweitem, Bewirkendem und Bewirktem findet sich in der Spannweite der Bedeutung auf vielfache Weise wieder.<ref>Vgl. zum Folgenden <bib id='Strenge 1998a'></bib>: S. 1587.</ref> Auf der konkreten Ebene, im handwerklich-künstlerischen Bereich, bedeutet ‘''typos''’ sowohl ›prägende Form‹ (Hohlform, Skizze) als auch ›Geprägtes‹ (Relief, Statue, Gravur) und ›Abdruck‹ (etwa eines Siegelrings oder Münzstempels). Teilweise gelockert oder sogar gelöst wird der Bezug zur Dreidimensionalität bei den tendenziell abstrakteren Bedeutungen wie ›Umriß‹, ›Gestalt‹, ›Form‹ und ›Art‹. Die genannte Dialektik ist auch insofern deutlich erkennbar, als ‘''typos''’ in nachklassischer Zeit, dabei oft zu ‘''archetypos''’ (ἀρχέτυπος) oder ‘''prototypos''’ (πρωτό-τυπος) vereindeutigt, sowohl ein Wort für das Muster oder Vorbild als auch ein Wort für das Abbild, dann oft ‘''ektypos''’ (ἔκτυπος) ist. Im Lauf der Zeit kann sich ''typos'' sehr weit von der handgreiflichen und -werklichen Wurzel entfernen und wird beispielsweise in ethischen, erkenntnistheoretischen, metaphysischen und theologischen Zusammenhängen verwendet. ''Typos'' ist ein moralisches Vorbild; Platon und Aristoteles vergleichen die erinnerte Wahrnehmung mit dem Abdruck (also ''typos'') im Wachs; der Neuplatonismus Philons von Alexandrien begreift die sinnliche Welt als ''typos'', Abbild eines Urbildes (nämlich der intelligiblen Welt); und auch der Adam des «Alten Testaments» gilt in einer an Paulus anschließenden Bibelhermeneutik als ''typos'', und zwar weil er das Neue Testament und insbesondere das Kommen Christi ankündigen soll. Dass der Bezug auf das Prägen keineswegs verschwinden muss, lässt sich noch anhand einer jüngeren Bedeutungsnuance belegen; für das 16. Jh. handelt es sich bei dem – mittlerweile latinisierten – ''typus'' u.a. um eine reliefartiges Bild in einer Gipswand (vgl. <bib id='Schlenstedt & George 2005a'></bib>: S. 191f.). Noch in der heutigen Alltags- und Fachsprache lassen sich viele Ableitungen von ‘''typos''’ nachweisen. Sie finden sich beispielsweise im Vokabular, das sich im Anschluss an die (Druck-)Typen von Buchdruck und Schreibmaschine entwickelt hat (»Typographie«, »typewriter« usw.), oder in der Semiotik, die nach Peirce zwischen der Form (»type«) und ihrer Instantiierung (»token«) unterscheidet und damit die oben angesprochene Dialektik abermals variiert (vgl. <bib id='Peirce 1906a'></bib>: S. 423f.).<br />
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==‘Eikon’==<br />
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‘''Eikon''’ (εἰκών) ist der vielseitigste und am weitesten verbreitete Bildausdruck des Griechischen. Zurückführen lässt er sich auf eine sprachliche Wurzel, die ›zutreffen‹, ›gleichkommen‹ und ›sich gehören‹ bedeutet (vgl. hier und im Folgenden <bib id='Willms 1935a'></bib>: S. 1f.). Aufgrund dieser Herkunft zeichnen sich die Verwendungsweisen von ‘''eikon''’ bei allem Facettenreichtum dadurch aus, dass sie einen Hinweis auf Abbildlichkeit mit sich führen; in der Regel ist ''eikon'' ein Abgeleitetes, ein Zweites, das auf ein Erstes verweist. Das trifft sowohl auf ''eikon physei'' (εἰκών φύσει) zu, das natürliche Bild wie der Schatten und das Spiegelbild, wie auch auf ''eikon techne'' (εἰκών τέχνη), das künstliche Bild, das von Bildhauer, Maler oder Handwerker hergestellt wird. Eine Präzisierung erfährt ''eikon'' (als künstliches Bild) in der Philosophie Platons, die nicht allein die Übereinstimmung des ''eikon'' mit dem von ihm abgebildeten Original betont, sondern auch die wesentliche Differenz zu ihm. Ein ''eikon'' wird niemals mit dem von ihm abgebildeten Original völlig übereinstimmen, so dass es auch niemals zu einem zweiten Exemplar der Gattung des Originals werden kann: Ein ''eikon'' der Person Kratylos ist nicht ein zweiter Kratylos (vgl. dazu Platon: «Kratylos» 432b-d). Die Herkunft des Ausdrucks macht sich noch in zwei weiteren Hinsichten bemerkbar. Einerseits harmoniert ''eikon'' gut mit jenen zeitgenössischen Theorien und Auffassungen, die Kunst in erster Linie als Mimesis, als Nachahmung, begreifen; und andererseits wird ''eikon'' nicht nur im handwerklichen Kontext, sondern auch bei übertragener Bedeutung oft mit ''paradeigma'' (παράδειγμα) in Beziehung gesetzt, also einem Modell oder Muster, an dem es sich orientiert. Außer ›künstliches‹ und ›natürliches Bild‹ kann ‘''eikon''’ im psychologischen oder erkenntnistheoretischen Kontext ›Vorstellungsbild‹ bedeuten, in alltäglichen Vollzügen ›Sohn des Vaters‹ meinen oder in der (antiken) Metaphysik das Verhältnis der sinnlichen Welt zur geistigen beschreiben. Dementsprechend wird ‘''eikon''’ im christlich religiösen Kontext dann auch verwendet, um wie in der «Septuaginta» die Gottesebenbildlichkeit des Menschen (nach Gen 1,26f.) auszudrücken.<ref>Die Bedeutung von ‘''eikon''’ beginnt seit dem späteren Platonismus insofern zu schillern, als zwar der Hinweis auf die Abbildlichkeit gewahrt bleibt, aber ‘''eikon''’ nun auch selbst als ein Erstes und vorhergehendes Muster verstanden und daher synonym mit ‘''paradeigma''’ gebraucht werden kann. Eine Parallele dazu findet sich später im deutschen ‘Urbild’; vgl. <bib id='Asmuth 1994a'></bib>: S. 12.</ref> ''Eikon'' wird in der Folgezeit nicht nur zu ''icon'' latinisiert, sondern findet sich auch in einer Fülle von Lehnwörtern in anderen Sprachen wieder – wie beispielsweise im deutschen [[Ikone|‘Ikone’]], mit dem das Kult- und Andachtsbild bezeichnet wird, oder in den Bezeichnungen für kunstwissenschaftliche Verfahren wie [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik|‘Ikonografie’, ‘Ikonologie’, ‘Ikonik’]]. Auch findet es Eingang in die semiotische Zeichentypologie, in der das [[Symbol, Index, Ikon|Ikon]] als der Zeichentyp gilt, der über Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten definiert wird.<br />
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{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Ähnlichkeit]] <br />
* [[Bildmagie]]<br />
* [[Einbildungskraft]]<br />
* [[Idolatrie und Ikonoklasmus]]<br />
* [[Ikone]]<br />
* [[Ikonografie, Ikonologie, Ikonik]]<br />
* [[Lateinisch: 'effigies', 'species', 'simulacrum', 'imago']]<br />
* [[Mimesis]]<br />
* [["natürliche" Bilder|“natürliche” Bilder]]<br />
* [[Phantasma]]<br />
* [[Psychoanalytische Theorien des Bildes]]<br />
* [[Repräsentation]] <br />
* [[Simulation, Simulakrum]]<br />
* [[Skulptur]]<br />
* [[Spiegel]]<br />
* [[Symbol, Index, Ikon]]<br />
* [[Traumbild]]<br />
* [[Vorstellungsbilder]]<br />
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''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Dimitri Liebsch|Liebsch, Dimitri]]<br />
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{{GlosTab4}}<br />
''Lektorat:'' <br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Wahrnehmungstheorien:_%C3%9Cbersicht&diff=19559Wahrnehmungstheorien: Übersicht2013-11-29T12:46:36Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Thematische Aufteilung */</p>
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[[Kategorie:Bild und Wahrnehmung]]<br />
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<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Kein Bild ohne Wahrnehmung==<br />
Trotz ihrer unterscheidlichen Ansätze sind sich [[phänomenologische Bildtheorien|phäno&shy;meno&shy;logi&shy;sche Bild&shy;theorien]] und [[Bildsemiotik|semio&shy;tische Bild&shy;theorien]] darü&shy;ber einig, dass Bilder wesent&shy;lich etwas sind, was ''wahrge&shy;nommen'' wird. Für erste&shy;re ist die Wahrnehm&shy;barkeit sogar das zentra&shy;le Moment der Bildhaf&shy;tigkeit. Aber auch [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen]] müssen wahrge&shy;nommen werden, um als Zeichen fungie&shy;ren zu können. Das gilt auf jeden Fall unter der Annah&shy;me, dass Zeichen [[Interaktion und Kommunikation|kommu&shy;nika&shy;tive]] Enti&shy;täten sind, das heißt: Gegen&shy;stände, mit denen jemand etwas zu verste&shy;hen geben will. Denn würden die in kommu&shy;nika&shy;tiver Absicht präsen&shy;tierten Gegen&shy;stände nicht wahrge&shy;nommen werden, würde eine Kommu&shy;nika&shy;tion nicht stattfin&shy;den (können). Für Zeichen im Allge&shy;meinen und für Bilder im Beson&shy;deren lässt sich daher voraus&shy;setzen, dass es zum einen notwen&shy;dig ''etwas'' gibt, das wahrge&shy;nommen werden kann, also einen Zeichen- bzw. Bildträger, und dass es zum ande&shy;ren ''jeman&shy;den'' gibt, der den thema&shy;tischen Zeichen&shy;träger auch tatsäch&shy;lich wahrnimmt. Die [[Materialität|Mate&shy;riali&shy;tät]] des Zeichen&shy;trägers und die Sensi&shy;bili&shy;tät des Zeichen&shy;verwen&shy;ders sind die beiden ele&shy;menta&shy;ren Voraus&shy;setzun&shy;gen, aus denen sich in entspre&shy;chender Zuwen&shy;dung und unter geeig&shy;neten Umstän&shy;den kommu&shy;nika&shy;tive Situ&shy;ati&shy;onen (oder gar Verstän&shy;digung) ent&shy;wickeln. <br />
:<br />
Die Verschränkung von medialer Materialität und perzep&shy;tueller Sensi&shy;bili&shy;tät ist in beson&shy;derer Weise für Bilder bedeut&shy;sam, weil wir Bilder nicht nur als ein zu deco&shy;dieren&shy;des Mate&shy;rial verwen&shy;den, sondern übli&shy;cherwei&shy;se – semio&shy;tisch gespro&shy;chen – mit der Moti&shy;viertheit der [[Darstellung|Darstel&shy;lung]] rechnen und daher im Bild bzw. in der Gestal&shy;tung des mate&shy;riellen Bildträ&shy;gers Anhalts&shy;punkte für die Ermitt&shy;lung der kommu&shy;nika&shy;tiven Gehal&shy;te anneh&shy;men bzw. suchen. Im Unter&shy;schied hierzu bietet ein schriftli&shy;cher Text (von den ergän&shy;zenden bildli&shy;chen Aspek&shy;ten wie Layout, [[Typographie|Typo&shy;graphie]] etc. abge&shy;sehen) in der Regel keine [[Pragmatik, Semantik, Syntax|seman&shy;tischen]] Hinwei&shy;se auf mate&shy;rieller Ebe&shy;ne. Zwar können wir auch durch eine erneu&shy;te Lektü&shy;re zu einem besse&shy;ren Verständ&shy;nis eines Textes gelan&shy;gen, aber dies hat eher mit den Aspek&shy;ten des herme&shy;neuti&shy;schen Zirkels oder auch einfach nur mit der Leistungs&shy;fähig&shy;keit des Gedächt&shy;nis zu tun, während wir bei der erneu&shy;ten Betrach&shy;tung eines Bildes unter Umstän&shy;den Eigen&shy;schaften und Zusam&shy;menhän&shy;ge erken&shy;nen, die wir bislang noch nicht hatten wahrneh&shy;men können. Entspre&shy;chend ist die [[Ekphrasis|Beschrei&shy;bung eines Bildes]] ganz prinzi&shy;piell kein vollwer&shy;tiger Ersatz des Bildes, da wir davon ausge&shy;hen müssen, dass uns zu einen späte&shy;ren Zeitpunkt und / oder in einen verän&shy;derten [[Kontext]] ganz ande&shy;re Eigen&shy;schaften und Zusam&shy;menhän&shy;ge auffal&shy;len werden. <br />
<br />
<br />
==Thematische Aufteilung==<br />
Für das Verständnis von Bildern ist nach dem Gesag&shy;ten und in auffäl&shy;liger Über&shy;einkunft der meisten Bildfor&shy;scher ein Bezug zur Wahrneh&shy;mungstheorie essen&shy;tiell. Etwas anders formu&shy;liert: Wir verste&shy;hen die Funktions- und Wirkungsweise von Bilder nur in dem Maße, in dem wir die hierbei betei&shy;ligten Wahrne&shy;hmungspro&shy;zesse zuvor bereits verstanden haben. In den verschie&shy;denen Unter&shy;punkten werden entspre&shy;chend in exem&shy;plari&shy;scher Weise wichti&shy;ge Aspek&shy;te des Wahr&shy;nehmungs&shy;vorgan&shy;ges und der unter&shy;schiedli&shy;chen Wahrneh&shy;mungstheo&shy;rien behan&shy;delt. Auf der Ebene des Wahrneh&shy;mungsvor&shy;gangs liegen etwa die Einträ&shy;ge zu «[[Auge]]» und «[[Sehen]]», in denen die Voraus&shy;setzun&shy;gen und Diffe&shy;renzie&shy;rungen der betei&shy;ligten Instan&shy;zen und Prozes&shy;se erläu&shy;tert werden. Lemma&shy;ta wie «[[Bildwahrnehmung vs. Objektwahrnehmung|Bildwahr&shy;nehmung vs. Objekt&shy;wahrneh&shy;mung]]» oder «[[Farbwahrnehmung|Farbwahr&shy;nehmung]]» beschrei&shy;ben die Beson&shy;derhei&shy;ten, die sich mit unter&shy;schiedli&shy;chen Wahrneh&shy;mungsfor&shy;men oder Wahrneh&shy;mungsin&shy;halten einstel&shy;len. Schlagwor&shy;te wie «[[Phänomenologie des Bildes|Phäno&shy;meno&shy;logie des Bildes]]» gehen schließlich auf die Beson&shy;derheiten der (visu&shy;ellen) Erfah&shy;rung ein, wenn Bildträger wahrge&shy;nommen werden. <br />
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{{GlossarBoxSub}}<br />
=====Unterpunkte=====<br />
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<!--Hier die entsprechende Textpassage einfügen--><br />
<!-- Zeilen sollten diese Form haben (XYZ jeweils ersetzen): * [[XYZ]] --><br />
* [[Ästhesiologie]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Auge -]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Bildobjekt / Bildträger -]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Bildwahrnehmung vs. Objektwahrnehmung -]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Chock / taktile Wahrnehmung -]] <br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Erfahrung / Unmittelbarkeit -]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Farbwahrnehmung -]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Gegenstand der visuellen Wahrnehmung -]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Horizont -]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Körper -]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Nachbild -]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Phänomenologie des Bildes -]]<br />
* [[Sehen]]<br />
* [[Wahrnehmungsillusion]]<br />
<br />
</div><br />
<br />
{{GlosTab3-O}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Klaus Sachs-hombach |Klaus Sachs-Hombach ]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildmorphologie&diff=18919Bildmorphologie2013-11-21T11:44:59Z<p>Klaus Sachs-Hombach: </p>
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<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildsyntax]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildsyntax]]<br />
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<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einordnung der Bildmorphologie==<br />
Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allgemeinen nicht mit einer spezifischen, von ‘[[Bildgrammatik]]’ oder ‘[[Komposition|Bildkomposition]]’ verschiedenen Bedeutung gebraucht. Angesprochen wird mit all diesen Termini eine analytische Betrachtung des [[Bildobjekt / Bildträger|Bildträgers]] als zusammengesetzt aus für die Bildfunktion relevanten, im wesentlichen durch visuell wahrnehmbare Eigenschaften bestimmten Teilen, die auch in anderen Bildträgern, die sich durch die Zusammenstellung der Teile unterscheiden, Verwendung finden können. Es ist die Zusammenstellung der Teile zu einem Ganzen, die zusammen mit anderen ([[Pragmatik, Semantik, Syntax|nicht-syntaktischen]]) Faktoren die [[Identitätskriterien für Bildträger|(Typ-) Identität des Bildträgers]] und damit letztlich auch die möglichen Verwendungen des Bildträgers als Bild determiniert.<br />
:<br />
Allerdings legt es die Unterscheidung von im engeren Sinne grammatischen gegenüber morphologischen Aspekten bei der Betrachtung von Sprache (⊳ [[Morphologie und Syntax]]) nahe, den Ausdruck ‘Bildmorphologie’ mit einem spezifischeren Sinn aufzuladen und ihn so von der Bildgrammatik (die eben damit zu einer ''Bildgrammatik im engeren Sinn'' wird) abzuheben. Die Bildgrammatik im engeren Sinn versucht vor allem syntaktische Kompositionalität bei Bildern im Sinne der formalen (Chomsky-) Grammatiken nachzuweisen, die die Unterscheidung von »Satz« und »Wort« voraussetzen<ref>Das bedeutet: Die [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen dieser Zeichensysteme]] werden als aus [[Interaktion und Kommunikation|kommunikativ]] wirkenden Einheiten zusammengesetzt verstanden, denen zumindest zum Teil selbst wiederum Zeichencharakter zukommt. Eine Komposition aus kommunikativen Elementen, die nicht bereits selber Zeichen sind, wird dabei nicht berücksichtigt.</ref> und durch ein begrenztes Set von Ersetzungsregeln über einer endlichen Menge von Satzkonstituenten als Zwischenstufen („nonterminale Symbole“, etwa ‘Nominalphrase’) aus endlichen vielen Wörtern (im ''mentalen Lexikon'') auf eindeutige Weise unendlich viele Sätze abzuleiten oder zu analysieren gestatten (<bib id='Chomsky 1957a'></bib>; <bib id='Sachs-Hombach 1999a'></bib>). Dagegen ist eine Bildmorphologie im hier verwendeten Sinn an einer syntaktischen Bildkompositionalität anderer Art interessiert: Können Bildträger mithilfe allgemeiner Gruppierungsregeln – etwa analog zu den wesentlich “weicheren”, im geometrischen Kontinuum wirkenden [[Gestalt]]gesetzen – als aus “piktorialen Primitiven” bestehend beschrieben werden, die nicht bereits als Zeichen (Wörter) gelten und aus einer möglicherweise unbegrenzten Grundmenge stammen, wobei auch die Bedingung der Eindeutigkeit der Ableitung abgeschwächt sein könnte? In Analogie zu den Wortbildungsregeln bei extrem [[Morphologie und Syntax#Isolierende, polysynthetische, fusionierende und agglutinierende Sprachsysteme|polysynthetisch-fusionierenden]] Sprachen, ohne dabei aber schon vorauszusetzen, dass eine Anwendung der Unterscheidung zwischen »Satz« und »Wort« auf bildhafte Zeichensysteme sinnvoll sei, müsste eine solche Bildmorphologie der charakteristischen Eigenschaft der [[Syntaktische Dichte|syntaktischen Dichte]] von bildlichen Zeichensystemen gerecht werden.<br />
: <br />
Lässt sich eine solche morphologische Bildkompositionalität einführen, so sind Bilder, obschon ebenfalls komplexe Zeichensysteme, sehr deutlich von Sprachzeichensystemen unterschieden (⊳ [[Ikonische Differenz]]). Ihnen fehlt die Aufgliederung der einzelnen [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche Zeichen|Gesamtzeichenhandlungen]] in partiell unabhängige, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder ungesättigte, d.h. immer Ergänzungen bedürfender Teil''zeichen''handlungen – eben den Wörtern. Insbesondere bleibt dabei offen, ob die Verwendung isolierter syntaktischer Elemente bildhafter Zeichensysteme immer selbst bereits ungesättigte ''Zeichen''handlungen sind.<br />
:<br />
Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als Bildträger'' relevanten physischen Eigenschaften vor allem in der visuell wahrnehmbaren geometrischen Anordnung von Farbflächen finden. In diesem Sinn können die syntaktischen Elemente, in die bei einer [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Betrachtung der Bildsyntax]] der Bildträger zerlegt wird, als piktoriale morphologische Elemente betrachtet werden. Diese sind über ihren Eigenwert hinaus weder notwendiger Weise mit einer bestimmten Bedeutung – einem bestimmten Abbildungswert – aufgeladen, noch kommt ihnen unbedingt eine genau definierte pragmatische Funktion – ein festgelegter Darstellungswert – zu.<br />
<br />
==Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme==<br />
<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb|Abbildung 1: Als Beispiel: Gloria Temarre Petyarre: «Arnkerrthe(Berg-Teufel-Eidechse)-Traum»]]<br />
Kurz gefasst bilden also genau die Entitäten, in die der Bildträger – oder genauer: der durch [[Rahmung, Rahmen|Rahmung]] ausgezeichnete Teil seiner Oberfläche – in der visuellen Wahrnehmung eingeteilt erscheint, das morphologische Repertoire bei Bildern. Psychologisch wird diese Einteilung durch die Gestaltgesetze bestimmt: Sie determinieren, welche Raumstellen als zusammenhängend gesehen werden, und zwar nicht nur im Sinne eines in sich ungeteilten, gleichfarbigen und zusammenhängenden Gebiets, sondern auch im Sinne von Gruppierungen höherer Ordnung, etwa ''Folgen'' von gleichfarbigen Strichen. Dies führt beispielsweise in Abbildung 1 dazu, dass neben den roten, braunen, schwarzen, gelben und weißen Elementargebieten auch die Gruppen von gelb- bzw. weiß-gefassten, dunkel gefüllten Bögen und Balken als zusammengehörige visuelle Gestalten wahrgenommen werden. <br />
:<br />
In ihrem einflussreichen Buch zur Bildsyntax (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>) führt Fernande Saint-Martin als morphologische Basiseinheit die so genannten ‘Coloreme’ ein: <br />
:[A coloreme] ''corresponds to that aggregate of visual variables perceived in the visual representation by the way of an ocular fixation, or focus of the gaze. … A coloreme is defined […] as the zone of the visual linguistic field correlated to a centration of the eye. It is constituted by a mass of energetic matter presenting a given set of visual variables.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 5).<ref>Vgl. hierzu auch den Eintrag ''Kolorem'' im [http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2125 «Lexikon der Filmbegriffe»].</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Kolorem.jpg|thumb|Abbildung 2: Visualisierung eines Colorems nach Saint-Martin (schematische Darstellung): Das das Colorem bestimmende kreisförmige foveale Zentrierungsgebiet ist herausgehoben und vergrößert, der Rest hingegen etwas abgedunkelt dargestellt]]<br />
Saint-Martins Verständnis der Coloreme konzentriert sich offensichtlich auf momentane psychophysische Aspekte: Zu jedem Zeitpunkt kann jeweils nur eine okulare Fixation erfolgen und folglich nur ein Colorem wahrgenommen werden (vgl. Abb. 2). Allerdings soll auf dieser Basis eine „colorematische (oder coloremische) Analyse“ aufbauen, die<br />
<br />
:''describes the transformations which a coloreme undergoes by its interrelations with the other coloremes of its immediate entourage through macular centrations. The analyses proceeds thus at a first regrouping of coloremes through the topological relations which establish the first perceptual construction and structure the energetic exchanges between coloremes.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 194). <br />
<br />
In ihrer Dynamik und direkter Abhängigkeit von den psychophysischen Eigenheiten eines wahrnehmenden Individuums sind Coloreme vor allem theoretische Entitäten. Praktisch schlägt Saint-Martin vor, die Bildfläche in ein regelmäßiges 5*5-Raster aufzuteilen, das als Basis für eine angenäherte Beschreibung der möglichen oder wahrscheinlichen Coloreme dient: Jedes Raster ist wiederum in ein 5*5-Subraster aufgeteilt, das die Gliederung in foveale Zentren und makulare Randbereiche aufgreift (ibid.: S. 197ff). <br />
:<br />
Um nicht zu stark an die recht spezifische Konzeption Saint-Martins gebunden zu sein, empfiehlt es sich allgemeiner, die – letztlich auf einen hypothetischen Normalbetrachter bezogenen – visuellen Gestalten im bildsyntaktischen Zusammenhang zunächst eher strukturalistisch zu betrachten und in Analogie zu dem linguistischen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixeme’ zu bezeichnen. Dabei kann in erster Näherung auch von der Dynamik abgesehen werden, die bei Saint-Martin die morphologische Beschreibung eines Bildträgers erschwert.<ref>In neurophysiologischer Perspektive verschiebt sich dabei der Fokus vom Auge zu den so genannten neuralen Karten des visuellen Kortex oder besser der logischen Struktur der dort enkodierten visuellen Muster.</ref> <br />
<br />
<br />
===Pixem-Attribute===<br />
<br />
Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigenschaften der syntakto-morphologischen Elemente bildhafter Zeichen, die häufig auf folgende Weise interpretiert werden (vgl. z.B. <bib id='Dölling 1999a'></bib>): ''Plastische'' Eigenschaften gehören zum [[Material]] des Bildträgers, während andere Eigenschaften ''im Auge des Betrachters'' liegen und von eher visueller also wahrnehmungsabhängiger Art sind. Die geometrischen Formen und ihre topologischen Relationen werden als typische Beispiele für den letzteren Eigenschaftstyp gegeben, während [[Farbwahrnehmung|Farben]] und [[Textur]]en als Beispiele für Eigenschaften des Materials selbst betrachtet werden. Coloreme sind stets Kombinationen von plastischen und visuell-perzeptiven Eigenschaften.<br />
:<br />
Tatsächlich kann auch der allgemeinere Begriff des Pixems logisch analysiert werden in eine rein [[Raum und Geometrie|geometrische ''Basisstruktur'']] einerseits und ein Begriffsfeld von diese Strukturen sichtbar machenden [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie|''Markerdimensionen'']] andererseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehmbar. Erst die Segmentation in zusammengehörige – nämlich gleich markierte – ''Gebiete'' ergibt eine Strukturierung in die räumlichen Elemente eines Ganzen.<ref>Auf den ersten Blick mag dieser Analyse sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit einer grammatischen Struktur im engeren Sinn eignen, wobei der geometrische Kalkül gewissermaßen als Grammatik fungiert und die Regeln zur Ableitung non-terminaler “Satz”-Tiefenstrukturen bereitstellt, während die möglichen Ausprägungen der Markerdimensionen das piktoriale “Lexikon” – die terminalen Symbole – zufügen, die die bildliche Oberflächenstruktur ergibt.</ref> <br />
:<br />
Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geometrie (d.h. Räumlichkeit) und Farbe nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) abhängig von der Differenzierung zwischen Eigenschaften, die zum Material des Bildträgers gehören – und daher als objektive Eigenschaften zu betrachten wären – und Eigenschaften, die vom Betrachter konstruiert werden – und folglich als subjektive Eigenschaften zu bewerten wären.<ref>Es erscheint schon merkwürdig, dass ausgerechnet »Farbe« – gemeinhin als Paradebeispiel für eine ''sekundäre'' Qualität angeführt – bei Saint-Martin zu den objektiven Materialeigenschaften gehört und nicht dem Wahrnehmungsapparat zugeschlagen wird.</ref> Vielmehr können Bildphilosophen über Farben und die Beziehungen zwischen ihnen einerseits und über räumliche Entitäten und die geometrischen oder topologischen Beziehungen zwischen ihnen andererseits diskutieren, ohne dabei die beiden Argumentationen miteinander vermischen zu müssen. Sie können als unabhängig voneinander betrachtet und als von – jedenfalls auf den ersten Blick – autonomen Begriffsfeldern geregelt behandelt werden.<ref>Eben aus diesem Grund ist eine von Farbtheorien unabhängige Geometrie möglich. Zwar kommen in Farbtheorien oft geometrische Begriffe vor (»Farbraum«, »Farbdistanz«, »Farbkörper«), doch sind diese raummetaphorisch gemein und beziehen sich gerade nicht auf die geometrischen Eigenschaften farbiger Gegenstände.</ref> Argumentationen über Pixeme müssen hingegen die Logik der Farben und die Logik des Raums miteinander kombinieren, d.h. in einer begrifflichen Synthese vereinigen. <br />
:<br />
Grundlegende Eigenschaften von Pixemen sind mithin genau die Attribute, die beliebige gefärbte Entitäten der zweidimensionalen Geometrie aufweisen, sowie die Relationen, die sie untereinander einnehmen können. Neben den charakteristischen Eigenschaften geometrischer Entitäten – insbesondere topologische, metrische und direktionale Relationen zwischen ihren Teilen (''Form'') und zu anderen Gebieten (''Lage'') – und den etwa durch Farbton, Helligkeit und Sättigung näher bestimmten Farbmarkierungen im engeren Sinn<ref>Zu beach&shy;ten ist aller&shy;dings, dass die Dimen&shy;sionen »Farb&shy;ton«, »Hellig&shy;keit« und »Sätti&shy;gung« zur Charak&shy;teri&shy;sierung eines pikto&shy;rialen Marker&shy;werts nicht abso&shy;lut gesehen werden können, sondern in starker Weise von ihrer Umge&shy;bung abhängen: sowohl Beleuchtung (objektiv) als auch die Farben der umgebenden Pixeme (subjektiv) beeinflussen die Wahrnehmung von Farbe.</ref> können auch homogene Farbverläufe oder spezielle Farbvariationen – Texturen – als Attribute höherer Ordnung relevant sein. Zudem treten Wechselwirklungen auf, die sich aus der räumlichen Anordnung verschiedener Farben zueinander ergeben, vor allem Kontrast-Effekte.<br />
<br />
<br />
===Kombinationen von Pixemen, Maximalpixem===<br />
<br />
Da die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine morphologische Analyse von Bildern irrelevant ist, können auch Zusammensetzungen aus mehreren Pixemen ohne weiteres wieder als Pixeme betrachtet werden: Die Morphologie von Bildern besteht damit aus Teil-Ganzes-Ordnungen von Pixemen, die sich zwischen dem Bildganzen – als Maximalpixem – und den als minimal betrachteten Gebieten mit jeweils nur einer einzigen homogenen Markerbelegung in meist mehreren Stufen aufspannen. <br />
:<br />
Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Markerbelegung im oben erwähnten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-pikturale Substruktur. So bilden beispielsweise in Abbildung 1 die mittig angeordneten bandförmigen, braun gefüllt und gelb umrandeten Pixeme ein säulenartiges komplexes Pixem höherer Ordnung. Seine geometrische Basisstruktur wird nicht einfach durch Farb- oder Texturwerte, sondern gerade durch die es konstituierenden Pixeme niederer Ordnung markiert.<br />
:<br />
Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morphologischen Struktur einem Bildträger gleichen, sind sie noch nicht ohne weiteres als Bildträger zu verwenden. Das liegt insbesondere an zwei zusammenhängenden Faktoren:<br />
* a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden Pixeme jeweils ''[[Figur/Grund-Differenzierung|Figuren]]'': der Hintergrund, vor dem sie als solche unausweichlich betrachtet werden, gehört entsprechend nicht zu ihnen. Im oben erwähnten Beispiel sind die die gelb-braunen Bänder umschließenden roten Bereiche nicht eingeschlossen. Obwohl durch die Pixem-Segmentierung prinzipiell in eine Vielfalt von Figur-Grund-Paaren zerlegbar, gilt doch für den Bildträger, dass er insgesamt nur in ''einer'' Hinsicht Figur ist, nämlich vor dem Rahmen. Das gilt unter allen beteiligten Pixemen nur für das Maximalpixem und hat dort eine besondere Wirkung.<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts|Abbildung 3: Pixem-Ausschnitt als Bild]]<br />
* b) Die ''[[Rahmung, Rahmen|Rahmung]]'' des Maximalpixems setzt letzteres nämlich in den Verwendungszusammenhang, der diese Figur als Ganze zu einer Zeichenmarke in einer Zeichenhandlung macht, d.h.: zu einem Bildträger. Natürlich ist es prinzipiell durchaus möglich, diese ''Rahmungshandlung'' auch bei jedem der Pixeme niederer Ordnung zu vollziehen, sie also als separierte Bildträger (und damit als andere Bilder) zu betrachten. Doch bleiben bei einem solchen Vorgehen die pragmatischen und semantischen Bezüge nicht erhalten:<ref>Eine Ausnahme zu dieser Regel dürften diejenigen Pixeme bilden, die abbildungswertlich als Bild im Bild interpretiert werden. Deren pragmatische und semantische Relationen sind dann allerdings in die Szene des [[Theorien des Bildraums|Bildraumes]] verschoben.</ref> Schnitte man eines der gelb-umrandeten, braun gefüllten Bänder aus dem Mittelteil von Abb. 1 aus und montierte es alleine auf den Hintergrund einer neutral gefärbten Fläche (oder auch freischwebend im Raum), so kann man das Resultat durchaus als ein Bild mit etwas ungewöhnlich gewölbtem Rand (also eine Rahmung ohne expliziten Rahmen) begreifen (Abb. 3). Verwendungszusammenhänge und Bedeutungszuschreibungen dieses Bildes hängen indes bestenfalls sehr locker mit denen von Abbildung 1 zusammen. <br />
<br />
<br />
===Pixem-bildende Operationen===<br />
<br />
Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elementaren Pixem-Attribute zurück. Begründet in den psychophysiologischen Wahrnehmungsmechanismen, laufen sie in der Regel unbewusst ab. Dabei sind besonders zwei gegenläufige Aspekte wichtig: ''Kontrastverstärkung'' und ''Gestaltbildung''.<br />
:<br />
Die Konstitution von Pixemen bei der Betrachtung eines Bildträgers ist – als Variante der Segmentierung beim [[Sehen]] ganz allgemein – stark kontextsensitiv: So führen lokal wirksame kontrastverstärkende Komponenten des Wahrnehmungsapparates zu Grenzen zwischen als einheitlich wahrgenommenen Gebieten. Bemerkbar werden diese Operationen vor allem dann, wenn sie zu Täuschungen, d.h. zu zusätzlichen Pixemen (bzw. allgemeiner: Wahrnehmungssegmenten<ref>Der Hinweis auf den möglichen Unterschied zwischen visueller Wahrnehmung ganz allgemein und [[Bildwahrnehmung]] im Besonderen ist im Zusammenhang mit “optischen” Täuschungen (⊳ [[Wahrnehmungsillusion]]) durchaus erwähnenswert, finden doch die psychologischen Tests etwa zur Kontrasttäuschung wie auch die Experimente zur Gestaltbildung in der Regel mithilfe von Bildmaterial statt, während die Schlußfolgerungen daraus sich auf die visuelle Wahrnehmung ganz unabhängig von Bildern beziehen sollen. </ref>) führen, etwa bei der Kontrasttäuschung.<ref>Ein gut präsentiertes Beispiel der Kontrasttäuschung findet sich auf der folgenden Seite: [http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/optische-taeuschung-rauten-helligkeit.php Kontrasttäuschung bei sehtestbilder.de].</ref><br />
:<br />
Die Mechanismen der Kontrastverstärkung unterstützen andererseits das Zusammenfassen homogener Gebiete durch [[Gestalt|Gestaltbildung]] im Sinne der Gestaltgesetze. Deren unbewusstes Wirken bestimmt die wahrgenommenen Teil-Ganzes-Hierarchien der zusammengesetzten Pixeme. Das Wechselspiel von Grenzziehung durch Kontrastverstärkung und Integration gemäß der Gestaltgesetze führt letztlich zur Konstitution einer bildmorphologischen (Normal-)Struktur zwischen Maximalpixem und elementaren Gebieten, die allerdings bei der alltäglichen Bildwahrnehmung bereits beim Aufbau sehr stark von semantischen und pragmatischen Randbedingungen determiniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestaltungslehrbücher stets besonders hervor, dass “das Auge” in der ''gestalterischen Sehweise'' geschult werden müsse, die gerade von solchen Einflüssen absieht und letztlich einen rein eigenwertlichen Zugang zur Bildmorphologie erreichen will (etwa <bib id='Klee 1956a'></bib>).<br />
<br />
<br />
==Anwendungen==<br />
[[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb|Abbildung 4: Ergebnis einer automatischen Segmentierung: Texturbasierte Pixembildung. Rechts sind die gefundenen Pixeme farblich markiert dargestellt.]]<br />
Das algorithmische Nachbilden pixem-bildender Operationen führt zur Möglichkeit bildmorphologischer Analysen in der Computervisualistik und bildet einen zentralen Bestandteil der [[Bildverarbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]]: Auf informatische Kodierungen ([[Notation|Notationen]]) von Bildträgern können entsprechende ''Segmentierungsverfahren'' programmiert werden, die (in der entsprechenden Literatur oft als ‘Objekte’ bezeichnete) Pixeme zu bestimmen erlauben (Abb. 4). Hierbei werden vor allem die Gestaltgesetze der Nähe, Ähnlichkeit und Guten Kontinuität über den Farb- und Texturmarkern operationalisiert. <br />
:<br />
Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwissenschaft auf diese Weise ein Set von technischen Standardwerkzeugen zur morphologischen Bildanalyse bereitzustellen. Dies ist insbesondere sinnvoll, insofern die Pixem-Komposition des Bildträgers, wie oben erwähnt, auf einen theoretisch vorausgesetzten ''Normalbetrachter'' bezogen werden muss. Zu bedenken bleibt dabei allerdings, dass die menschliche Wahrnehmung von Bildern, wie u.a. von Saint Martin beschrieben, neben den möglichen individuellen Abweichungen vom Normalbetrachter auch ''dynamische'' Aspekte umfasst, die durch eine solche rein strukturelle Analyse ebenfalls ausgeblendet bleiben.<br />
:<br />
Auf begrifflicher Ebene erlaubt die Synthese der bildlichen Morphosyntax aus geometrischem Basiskalkül und dem Begriffsfeld der farblichen Markerwerte schließlich, eine lang gehegte Vermutung zu widerlegen: dass nämlich der Begriff der syntaktischen (Nicht-)Wohlgeformtheit auf Bilder überhaupt nicht anzuwenden wäre (vgl. <bib id='Plümacher 1999a'></bib>). Da durch Beschädigungen des Bildträgers die geometrische Basisstruktur des Maximalpixems gestört werden kann, ist der Begriff eines [[syntaktisch unkorrekte Bilder|syntaktisch unkorrekten Bildes]] sehr wohl sinnvoll.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Bildgrammatik]]<br />
* [[Bildwahrnehmung]]<br />
* [[Bildverarbeitung, digitale]] <br />
* [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie]]<br />
* [[Farbwahrnehmung]]<br />
* [[Ikonische Differenz]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Identitätskriterien für Bildträger]]<br />
* [[Komposition]]<br />
* [[Morphologie und Syntax]]<br />
* [[Notation]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Raum und Geometrie]]<br />
* [[Sehen]] <br />
* [[Syntaktisch unkorrekte Bilder]]<br />
* [[Theorien des Bildraums]]<br />
* [[Textur]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, J.R.J.]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildmorphologie&diff=18917Bildmorphologie2013-11-21T11:41:26Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Pixem-bildende Operationen */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildsyntax]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildsyntax]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einordnung der Bildmorphologie==<br />
Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allgemeinen nicht mit einer spezifischen, von ‘[[Bildgrammatik]]’ oder ‘[[Komposition|Bildkomposition]]’ verschiedenen Bedeutung gebraucht. Angesprochen wird mit all diesen Termini eine analytische Betrachtung des [[Bildobjekt / Bildträger|Bildträgers]] als zusammengesetzt aus für die Bildfunktion relevanten, im wesentlichen durch visuell wahrnehmbare Eigenschaften bestimmten Teilen, die auch in anderen Bildträgern, die sich durch die Zusammenstellung der Teile unterscheiden, Verwendung finden können. Es ist die Zusammenstellung der Teile zu einem Ganzen, die zusammen mit anderen ([[Pragmatik, Semantik, Syntax|nicht-syntaktischen]]) Faktoren die [[Identitätskriterien für Bildträger|(Typ-) Identität des Bildträgers]] und damit letztlich auch die möglichen Verwendungen des Bildträgers als Bild determiniert.<br />
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Allerdings legt es die Unterscheidung von im engeren Sinne grammatischen gegenüber morphologischen Aspekten bei der Betrachtung von Sprache (⊳ [[Morphologie und Syntax]]) nahe, den Ausdruck ‘Bildmorphologie’ mit einem spezifischeren Sinn aufzuladen und ihn so von der Bildgrammatik (die eben damit zu einer ''Bildgrammatik im engeren Sinn'' wird) abzuheben. Die Bildgrammatik im engeren Sinn versucht vor allem syntaktische Kompositionalität bei Bildern im Sinne der formalen (Chomsky-) Grammatiken nachzuweisen, die die Unterscheidung von »Satz« und »Wort« voraussetzen<ref>Das bedeutet: Die [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen dieser Zeichensysteme]] werden als aus [[Interaktion und Kommunikation|kommunikativ]] wirkenden Einheiten zusammengesetzt verstanden, denen zumindest zum Teil selbst wiederum Zeichencharakter zukommt. Eine Komposition aus kommunikativen Elementen, die nicht bereits selber Zeichen sind, wird dabei nicht berücksichtigt.</ref> und durch ein begrenztes Set von Ersetzungsregeln über einer endlichen Menge von Satzkonstituenten als Zwischenstufen („nonterminale Symbole“, etwa ‘Nominalphrase’) aus endlichen vielen Wörtern (im ''mentalen Lexikon'') auf eindeutige Weise unendlich viele Sätze abzuleiten oder zu analysieren gestatten (<bib id='Chomsky 1957a'></bib>; <bib id='Sachs-Hombach 1999a'></bib>). Dagegen ist eine Bildmorphologie im hier verwendeten Sinn an einer syntaktischen Bildkompositionalität anderer Art interessiert: Können Bildträger mithilfe allgemeiner Gruppierungsregeln – etwa analog zu den wesentlich “weicheren”, im geometrischen Kontinuum wirkenden [[Gestalt]]gesetzen – als aus “piktorialen Primitiven” bestehend beschrieben werden, die nicht bereits als Zeichen (Wörter) gelten und aus einer möglicherweise unbegrenzten Grundmenge stammen, wobei auch die Bedingung der Eindeutigkeit der Ableitung abgeschwächt sein könnte? In Analogie zu den Wortbildungsregeln bei extrem [[Morphologie und Syntax#Isolierende, polysynthetische, fusionierende und agglutinierende Sprachsysteme|polysynthetisch-fusionierenden]] Sprachen, ohne dabei aber schon vorauszusetzen, dass eine Anwendung der Unterscheidung zwischen »Satz« und »Wort« auf bildhafte Zeichensysteme sinnvoll sei, müsste eine solche Bildmorphologie der charakteristischen Eigenschaft der [[Syntaktische Dichte|syntaktischen Dichte]] von bildlichen Zeichensystemen gerecht werden.<br />
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Lässt sich eine solche morphologische Bildkompositionalität einführen, so sind Bilder, obschon ebenfalls komplexe Zeichensysteme, sehr deutlich von Sprachzeichensystemen unterschieden (⊳ [[Ikonische Differenz]]). Ihnen fehlt die Aufgliederung der einzelnen [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche Zeichen|Gesamtzeichenhandlungen]] in partiell unabhängige, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder ungesättigte, d.h. immer Ergänzungen bedürfender Teil''zeichen''handlungen – eben den Wörtern. Insbesondere bleibt dabei offen, ob die Verwendung isolierter syntaktischer Elemente bildhafter Zeichensysteme immer selbst bereits ungesättigte ''Zeichen''handlungen sind.<br />
:<br />
Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als Bildträger'' relevanten physischen Eigenschaften vor allem in der visuell wahrnehmbaren geometrischen Anordnung von Farbflächen finden. In diesem Sinn können die syntaktischen Elemente, in die bei einer [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Betrachtung der Bildsyntax]] der Bildträger zerlegt wird, als piktoriale morphologische Elemente betrachtet werden. Diese sind über ihren Eigenwert hinaus weder notwendiger Weise mit einer bestimmten Bedeutung – einem bestimmten Abbildungswert – aufgeladen, noch kommt ihnen unbedingt eine genau definierte pragmatische Funktion – ein festgelegter Darstellungswert – zu.<br />
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==Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme==<br />
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[[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb|Abbildung 1: Als Beispiel: Gloria Temarre Petyarre: «Arnkerrthe(Berg-Teufel-Eidechse)-Traum»]]<br />
Kurz gefasst bilden also genau die Entitäten, in die der Bildträger – oder genauer: der durch [[Rahmung, Rahmen|Rahmung]] ausgezeichnete Teil seiner Oberfläche – in der visuellen Wahrnehmung eingeteilt erscheint, das morphologische Repertoire bei Bildern. Psychologisch wird diese Einteilung durch die Gestaltgesetze bestimmt: Sie determinieren, welche Raumstellen als zusammenhängend gesehen werden, und zwar nicht nur im Sinne eines in sich ungeteilten, gleichfarbigen und zusammenhängenden Gebiets, sondern auch im Sinne von Gruppierungen höherer Ordnung, etwa ''Folgen'' von gleichfarbigen Strichen. Dies führt beispielsweise in Abbildung 1 dazu, dass neben den roten, braunen, schwarzen, gelben und weißen Elementargebieten auch die Gruppen von gelb- bzw. weiß-gefassten, dunkel gefüllten Bögen und Balken als zusammengehörige visuelle Gestalten wahrgenommen werden. <br />
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In ihrem einflussreichen Buch zur Bildsyntax (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>) führt Fernande Saint-Martin als morphologische Basiseinheit die so genannten ‘Coloreme’ ein: <br />
:[A coloreme] ''corresponds to that aggregate of visual variables perceived in the visual representation by the way of an ocular fixation, or focus of the gaze. … A coloreme is defined […] as the zone of the visual linguistic field correlated to a centration of the eye. It is constituted by a mass of energetic matter presenting a given set of visual variables.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 5).<ref>Vgl. hierzu auch den Eintrag ''Kolorem'' im [http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2125 «Lexikon der Filmbegriffe»].</ref> <br />
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[[Datei:Kolorem.jpg|thumb|Abbildung 2: Visualisierung eines Colorems nach Saint-Martin (schematische Darstellung): Das das Colorem bestimmende kreisförmige foveale Zentrierungsgebiet ist herausgehoben und vergrößert, der Rest hingegen etwas abgedunkelt dargestellt]]<br />
Saint-Martins Verständnis der Coloreme konzentriert sich offensichtlich auf momentane psychophysische Aspekte: Zu jedem Zeitpunkt kann jeweils nur eine okulare Fixation erfolgen und folglich nur ein Colorem wahrgenommen werden (vgl. Abb. 2). Allerdings soll auf dieser Basis eine „colorematische (oder coloremische) Analyse“ aufbauen, die<br />
<br />
:''describes the transformations which a coloreme undergoes by its interrelations with the other coloremes of its immediate entourage through macular centrations. The analyses proceeds thus at a first regrouping of coloremes through the topological relations which establish the first perceptual construction and structure the energetic exchanges between coloremes.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 194). <br />
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In ihrer Dynamik und direkter Abhängigkeit von den psychophysischen Eigenheiten eines wahrnehmenden Individuums sind Coloreme vor allem theoretische Entitäten. Praktisch schlägt Saint-Martin vor, die Bildfläche in ein regelmäßiges 5*5-Raster aufzuteilen, das als Basis für eine angenäherte Beschreibung der möglichen oder wahrscheinlichen Coloreme dient: Jedes Raster ist wiederum in ein 5*5-Subraster aufgeteilt, das die Gliederung in foveale Zentren und makulare Randbereiche aufgreift (ibid.: S. 197ff). <br />
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Um nicht zu stark an die recht spezifische Konzeption Saint-Martins gebunden zu sein, empfiehlt es sich allgemeiner, die – letztlich auf einen hypothetischen Normalbetrachter bezogenen – visuellen Gestalten im bildsyntaktischen Zusammenhang zunächst eher strukturalistisch zu betrachten und in Analogie zu dem linguistischen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixeme’ zu bezeichnen. Dabei kann in erster Näherung auch von der Dynamik abgesehen werden, die bei Saint-Martin die morphologische Beschreibung eines Bildträgers erschwert.<ref>In neurophysiologischer Perspektive verschiebt sich dabei der Fokus vom Auge zu den so genannten neuralen Karten des visuellen Kortex oder besser der logischen Struktur der dort enkodierten visuellen Muster.</ref> <br />
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===Pixem-Attribute===<br />
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Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigenschaften der syntakto-morphologischen Elemente bildhafter Zeichen, die häufig auf folgende Weise interpretiert werden (vgl. z.B. <bib id='Dölling 1999a'></bib>): ''Plastische'' Eigenschaften gehören zum [[Material]] des Bildträgers, während andere Eigenschaften ''im Auge des Betrachters'' liegen und von eher visueller also wahrnehmungsabhängiger Art sind. Die geometrischen Formen und ihre topologischen Relationen werden als typische Beispiele für den letzteren Eigenschaftstyp gegeben, während [[Farbwahrnehmung|Farben]] und [[Textur]]en als Beispiele für Eigenschaften des Materials selbst betrachtet werden. Coloreme sind stets Kombinationen von plastischen und visuell-perzeptiven Eigenschaften.<br />
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Tatsächlich kann auch der allgemeinere Begriff des Pixems logisch analysiert werden in eine rein [[Raum und Geometrie|geometrische ''Basisstruktur'']] einerseits und ein Begriffsfeld von diese Strukturen sichtbar machenden [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie|''Markerdimensionen'']] andererseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehmbar. Erst die Segmentation in zusammengehörige – nämlich gleich markierte – ''Gebiete'' ergibt eine Strukturierung in die räumlichen Elemente eines Ganzen.<ref>Auf den ersten Blick mag dieser Analyse sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit einer grammatischen Struktur im engeren Sinn eignen, wobei der geometrische Kalkül gewissermaßen als Grammatik fungiert und die Regeln zur Ableitung non-terminaler “Satz”-Tiefenstrukturen bereitstellt, während die möglichen Ausprägungen der Markerdimensionen das piktoriale “Lexikon” – die terminalen Symbole – zufügen, die die bildliche Oberflächenstruktur ergibt.</ref> <br />
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Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geometrie (d.h. Räumlichkeit) und Farbe nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) abhängig von der Differenzierung zwischen Eigenschaften, die zum Material des Bildträgers gehören – und daher als objektive Eigenschaften zu betrachten wären – und Eigenschaften, die vom Betrachter konstruiert werden – und folglich als subjektive Eigenschaften zu bewerten wären.<ref>Es erscheint schon merkwürdig, dass ausgerechnet »Farbe« – gemeinhin als Paradebeispiel für eine ''sekundäre'' Qualität angeführt – bei Saint-Martin zu den objektiven Materialeigenschaften gehört und nicht dem Wahrnehmungsapparat zugeschlagen wird.</ref> Vielmehr können Bildphilosophen über Farben und die Beziehungen zwischen ihnen einerseits und über räumliche Entitäten und die geometrischen oder topologischen Beziehungen zwischen ihnen andererseits diskutieren, ohne dabei die beiden Argumentationen miteinander vermischen zu müssen. Sie können als unabhängig voneinander betrachtet und als von – jedenfalls auf den ersten Blick – autonomen Begriffsfeldern geregelt behandelt werden.<ref>Eben aus diesem Grund ist eine von Farbtheorien unabhängige Geometrie möglich. Zwar kommen in Farbtheorien oft geometrische Begriffe vor (»Farbraum«, »Farbdistanz«, »Farbkörper«), doch sind diese raummetaphorisch gemein und beziehen sich gerade nicht auf die geometrischen Eigenschaften farbiger Gegenstände.</ref> Argumentationen über Pixeme müssen hingegen die Logik der Farben und die Logik des Raums miteinander kombinieren, d.h. in einer begrifflichen Synthese vereinigen. <br />
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Grundlegende Eigenschaften von Pixemen sind mithin genau die Attribute, die beliebige gefärbte Entitäten der zweidimensionalen Geometrie aufweisen, sowie die Relationen, die sie untereinander einnehmen können. Neben den charakteristischen Eigenschaften geometrischer Entitäten – insbesondere topologische, metrische und direktionale Relationen zwischen ihren Teilen (''Form'') und zu anderen Gebieten (''Lage'') – und den etwa durch Farbton, Helligkeit und Sättigung näher bestimmten Farbmarkierungen im engeren Sinn<ref>Zu beach&shy;ten ist aller&shy;dings, dass die Dimen&shy;sionen »Farb&shy;ton«, »Hellig&shy;keit« und »Sätti&shy;gung« zur Charak&shy;teri&shy;sierung eines pikto&shy;rialen Marker&shy;werts nicht abso&shy;lut gesehen werden können, sondern in starker Weise von ihrer Umge&shy;bung abhängen: sowohl Beleuchtung (objektiv) als auch die Farben der umgebenden Pixeme (subjektiv) beeinflussen die Wahrnehmung von Farbe.</ref> können auch homogene Farbverläufe oder spezielle Farbvariationen – Texturen – als Attribute höherer Ordnung relevant sein. Zudem treten Wechselwirklungen auf, die sich aus der räumlichen Anordnung verschiedener Farben zueinander ergeben, vor allem Kontrast-Effekte.<br />
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===Kombinationen von Pixemen, Maximalpixem===<br />
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Da die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine morphologische Analyse von Bildern irrelevant ist, können auch Zusammensetzungen aus mehreren Pixemen ohne weiteres wieder als Pixeme betrachtet werden: Die Morphologie von Bildern besteht damit aus Teil-Ganzes-Ordnungen von Pixemen, die sich zwischen dem Bildganzen – als Maximalpixem – und den als minimal betrachteten Gebieten mit jeweils nur einer einzigen homogenen Markerbelegung in meist mehreren Stufen aufspannen. <br />
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Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Markerbelegung im oben erwähnten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-pikturale Substruktur. So bilden beispielsweise in Abbildung 1 die mittig angeordneten bandförmigen, braun gefüllt und gelb umrandeten Pixeme ein säulenartiges komplexes Pixem höherer Ordnung. Seine geometrische Basisstruktur wird nicht einfach durch Farb- oder Texturwerte, sondern gerade durch die es konstituierenden Pixeme niederer Ordnung markiert.<br />
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Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morphologischen Struktur einem Bildträger gleichen, sind sie noch nicht ohne weiteres als Bildträger zu verwenden. Das liegt insbesondere an zwei zusammenhängenden Faktoren:<br />
* a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden Pixeme jeweils ''[[Figur/Grund-Differenzierung|Figuren]]'': der Hintergrund, vor dem sie als solche unausweichlich betrachtet werden, gehört entsprechend nicht zu ihnen. Im oben erwähnten Beispiel sind die die gelb-braunen Bänder umschließenden roten Bereiche nicht eingeschlossen. Obwohl durch die Pixem-Segmentierung prinzipiell in eine Vielfalt von Figur-Grund-Paaren zerlegbar, gilt doch für den Bildträger, dass er insgesamt nur in ''einer'' Hinsicht Figur ist, nämlich vor dem Rahmen. Das gilt unter allen beteiligten Pixemen nur für das Maximalpixem und hat dort eine besondere Wirkung.<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts|Abbildung 3: Pixem-Ausschnitt als Bild]]<br />
* b) Die ''[[Rahmung, Rahmen|Rahmung]]'' des Maximalpixems setzt letzteres nämlich in den Verwendungszusammenhang, der diese Figur als Ganze zu einer Zeichenmarke in einer Zeichenhandlung macht, d.h.: zu einem Bildträger. Natürlich ist es prinzipiell durchaus möglich, diese ''Rahmungshandlung'' auch bei jedem der Pixeme niederer Ordnung zu vollziehen, sie also als separierte Bildträger (und damit als andere Bilder) zu betrachten. Doch bleiben bei einem solchen Vorgehen die pragmatischen und semantischen Bezüge nicht erhalten:<ref>Eine Ausnahme zu dieser Regel dürften diejenigen Pixeme bilden, die abbildungswertlich als Bild im Bild interpretiert werden. Deren pragmatische und semantische Relationen sind dann allerdings in die Szene des [[Theorien des Bildraums|Bildraumes]] verschoben.</ref> Schnitte man eines der gelb-umrandeten, braun gefüllten Bänder aus dem Mittelteil von Abb. 1 aus und montierte es alleine auf den Hintergrund einer neutral gefärbten Fläche (oder auch freischwebend im Raum), so kann man das Resultat durchaus als ein Bild mit etwas ungewöhnlich gewölbtem Rand (also eine Rahmung ohne expliziten Rahmen) begreifen (Abb. 3). Verwendungszusammenhänge und Bedeutungszuschreibungen dieses Bildes hängen indes bestenfalls sehr locker mit denen von Abbildung 1 zusammen. <br />
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===Pixem-bildende Operationen===<br />
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Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elementaren Pixem-Attribute zurück. Begründet in den psychophysiologischen Wahrnehmungsmechanismen, laufen sie in der Regel unbewusst ab. Dabei sind besonders zwei gegenläufige Aspekte wichtig: ''Kontrastverstärkung'' und ''Gestaltbildung''.<br />
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Die Konstitution von Pixemen bei der Betrachtung eines Bildträgers ist – als Variante der Segmentierung beim [[Sehen]] ganz allgemein – stark kontextsensitiv: So führen lokal wirksame kontrastverstärkende Komponenten des Wahrnehmungsapparates zu Grenzen zwischen als einheitlich wahrgenommenen Gebieten. Bemerkbar werden diese Operationen vor allem dann, wenn sie zu Täuschungen, d.h. zu zusätzlichen Pixemen (bzw. allgemeiner: Wahrnehmungssegmenten<ref>Der Hinweis auf den möglichen Unterschied zwischen visueller Wahrnehmung ganz allgemein und [[Bildwahrnehmung]] im Besonderen ist im Zusammenhang mit “optischen” Täuschungen (⊳ [[Wahrnehmungsillusion]]) durchaus erwähnenswert, finden doch die psychologischen Tests etwa zur Kontrasttäuschung wie auch die Experimente zur Gestaltbildung in der Regel mithilfe von Bildmaterial statt, während die Schlußfolgerungen daraus sich auf die visuelle Wahrnehmung ganz unabhängig von Bildern beziehen sollen. </ref>) führen, etwa bei der Kontrasttäuschung.<ref>Ein gut präsentiertes Beispiel der Kontrasttäuschung findet sich auf der folgenden Seite: [http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/optische-taeuschung-rauten-helligkeit.php Kontrasttäuschung bei sehtestbilder.de].</ref><br />
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Die Mechanismen der Kontrastverstärkung unterstützen andererseits das Zusammenfassen homogener Gebiete durch [[Gestalt|Gestaltbildung]] im Sinne der Gestaltgesetze. Deren unbewusstes Wirken bestimmt die wahrgenommenen Teil-Ganzes-Hierarchien der zusammengesetzen Pixeme. Das Wechselspiel von Grenzziehung durch Kontrastverstärkung und Integration gemäß der Gestaltgesetze führt letztlich zur Konstitution einer bildmorphologischen (Normal-)Struktur zwischen Maximalpixem und elementaren Gebieten, die allerdings bei der alltäglichen Bildwahrnehmung bereits beim Aufbau sehr stark von semantischen und pragmatischen Randbedingungen determiniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestaltungslehrbücher stets besonders hervor, dass “das Auge” in der ''gestalterischen Sehweise'' geschult werden müsse, die gerade von solchen Einflüssen absieht und letztlich einen rein eigenwertlichen Zugang zur Bildmorphologie erreichen will (etwa <bib id='Klee 1956a'></bib>).<br />
<br />
==Anwendungen==<br />
[[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb|Abbildung 4: Ergebnis einer automatischen Segmentierung: Texturbasierte Pixembildung. Rechts sind die gefundenen Pixeme farblich markiert dargestellt.]]<br />
Das algorithmische Nachbilden pixem-bildender Operationen führt zur Möglichkeit bildmorphologischer Analysen in der Computervisualistik und bildt einen zentralen Bestandteil der [[Bildverarbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]]: Auf informatische Kodierungen ([[Notation|Notationen]]) von Bildträgern können entsprechende ''Segmentierungsverfahren'' programmiert werden, die (in der entsprechenden Literatur oft als ‘Objekte’ bezeichnete) Pixeme zu bestimmen erlauben (Abb. 4). Hierbei werden vor allem die Gestaltgesetze der Nähe, Ähnlichkeit und Guten Kontinuität über den Farb- und Texturmarkern operationalisiert. <br />
:<br />
Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwissenschaft auf diese Weise ein Set von technischen Standardwerkzeugen zur morphologischen Bildanalyse bereitzustellen. Dies ist insbesondere sinnvoll, insofern die Pixem-Komposition des Bildträgers, wie oben erwähnt, auf einen theoretisch vorausgesetzten ''Normalbetrachter'' bezogen werden muss. Zu bedenken bleibt dabei allerdings, dass die menschliche Wahrnehmung von Bildern, wie u.a. von Saint Martin beschrieben, neben den möglichen individuellen Abweichungen vom Normalbetrachter auch ''dynamische'' Aspekte umfasst, die durch eine solche rein strukturelle Analyse ebenfalls ausgeblendet bleiben.<br />
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Auf begrifflicher Ebene erlaubt die Synthese der bildlichen Morphosyntax aus geometrischem Basiskalkül und dem Begriffsfeld der farblichen Markerwerte schließlich, eine lange gehegte Vermutung zu widerlegen: dass nämlich der Begriff der syntaktischen (Nicht-)Wohlgeformtheit auf Bilder überhaupt nicht anzuwenden wäre (vgl. <bib id='Plümacher 1999a'></bib>). Da durch Beschädigungen des Bildträgers die geometrische Basisstruktur des Maximalpixems gestört werden kann, ist der Begriff eines [[syntaktisch unkorrekte Bilder|syntaktisch unkorrekten Bildes]] sehr wohl sinnvoll.<br />
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{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Bildgrammatik]]<br />
* [[Bildwahrnehmung]]<br />
* [[Bildverarbeitung, digitale]] <br />
* [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie]]<br />
* [[Farbwahrnehmung]]<br />
* [[Ikonische Differenz]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Identitätskriterien für Bildträger]]<br />
* [[Komposition]]<br />
* [[Morphologie und Syntax]]<br />
* [[Notation]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Raum und Geometrie]]<br />
* [[Sehen]] <br />
* [[Syntaktisch unkorrekte Bilder]]<br />
* [[Theorien des Bildraums]]<br />
* [[Textur]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, J.R.J.]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildmorphologie&diff=18915Bildmorphologie2013-11-21T11:38:16Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildsyntax]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildsyntax]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einordnung der Bildmorphologie==<br />
Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allgemeinen nicht mit einer spezifischen, von ‘[[Bildgrammatik]]’ oder ‘[[Komposition|Bildkomposition]]’ verschiedenen Bedeutung gebraucht. Angesprochen wird mit all diesen Termini eine analytische Betrachtung des [[Bildobjekt / Bildträger|Bildträgers]] als zusammengesetzt aus für die Bildfunktion relevanten, im wesentlichen durch visuell wahrnehmbare Eigenschaften bestimmten Teilen, die auch in anderen Bildträgern, die sich durch die Zusammenstellung der Teile unterscheiden, Verwendung finden können. Es ist die Zusammenstellung der Teile zu einem Ganzen, die zusammen mit anderen ([[Pragmatik, Semantik, Syntax|nicht-syntaktischen]]) Faktoren die [[Identitätskriterien für Bildträger|(Typ-) Identität des Bildträgers]] und damit letztlich auch die möglichen Verwendungen des Bildträgers als Bild determiniert.<br />
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Allerdings legt es die Unterscheidung von im engeren Sinne grammatischen gegenüber morphologischen Aspekten bei der Betrachtung von Sprache (⊳ [[Morphologie und Syntax]]) nahe, den Ausdruck ‘Bildmorphologie’ mit einem spezifischeren Sinn aufzuladen und ihn so von der Bildgrammatik (die eben damit zu einer ''Bildgrammatik im engeren Sinn'' wird) abzuheben. Die Bildgrammatik im engeren Sinn versucht vor allem syntaktische Kompositionalität bei Bildern im Sinne der formalen (Chomsky-) Grammatiken nachzuweisen, die die Unterscheidung von »Satz« und »Wort« voraussetzen<ref>Das bedeutet: Die [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen dieser Zeichensysteme]] werden als aus [[Interaktion und Kommunikation|kommunikativ]] wirkenden Einheiten zusammengesetzt verstanden, denen zumindest zum Teil selbst wiederum Zeichencharakter zukommt. Eine Komposition aus kommunikativen Elementen, die nicht bereits selber Zeichen sind, wird dabei nicht berücksichtigt.</ref> und durch ein begrenztes Set von Ersetzungsregeln über einer endlichen Menge von Satzkonstituenten als Zwischenstufen („nonterminale Symbole“, etwa ‘Nominalphrase’) aus endlichen vielen Wörtern (im ''mentalen Lexikon'') auf eindeutige Weise unendlich viele Sätze abzuleiten oder zu analysieren gestatten (<bib id='Chomsky 1957a'></bib>; <bib id='Sachs-Hombach 1999a'></bib>). Dagegen ist eine Bildmorphologie im hier verwendeten Sinn an einer syntaktischen Bildkompositionalität anderer Art interessiert: Können Bildträger mithilfe allgemeiner Gruppierungsregeln – etwa analog zu den wesentlich “weicheren”, im geometrischen Kontinuum wirkenden [[Gestalt]]gesetzen – als aus “piktorialen Primitiven” bestehend beschrieben werden, die nicht bereits als Zeichen (Wörter) gelten und aus einer möglicherweise unbegrenzten Grundmenge stammen, wobei auch die Bedingung der Eindeutigkeit der Ableitung abgeschwächt sein könnte? In Analogie zu den Wortbildungsregeln bei extrem [[Morphologie und Syntax#Isolierende, polysynthetische, fusionierende und agglutinierende Sprachsysteme|polysynthetisch-fusionierenden]] Sprachen, ohne dabei aber schon vorauszusetzen, dass eine Anwendung der Unterscheidung zwischen »Satz« und »Wort« auf bildhafte Zeichensysteme sinnvoll sei, müsste eine solche Bildmorphologie der charakteristischen Eigenschaft der [[Syntaktische Dichte|syntaktischen Dichte]] von bildlichen Zeichensystemen gerecht werden.<br />
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Lässt sich eine solche morphologische Bildkompositionalität einführen, so sind Bilder, obschon ebenfalls komplexe Zeichensysteme, sehr deutlich von Sprachzeichensystemen unterschieden (⊳ [[Ikonische Differenz]]). Ihnen fehlt die Aufgliederung der einzelnen [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche Zeichen|Gesamtzeichenhandlungen]] in partiell unabhängige, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder ungesättigte, d.h. immer Ergänzungen bedürfender Teil''zeichen''handlungen – eben den Wörtern. Insbesondere bleibt dabei offen, ob die Verwendung isolierter syntaktischer Elemente bildhafter Zeichensysteme immer selbst bereits ungesättigte ''Zeichen''handlungen sind.<br />
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Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als Bildträger'' relevanten physischen Eigenschaften vor allem in der visuell wahrnehmbaren geometrischen Anordnung von Farbflächen finden. In diesem Sinn können die syntaktischen Elemente, in die bei einer [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Betrachtung der Bildsyntax]] der Bildträger zerlegt wird, als piktoriale morphologische Elemente betrachtet werden. Diese sind über ihren Eigenwert hinaus weder notwendiger Weise mit einer bestimmten Bedeutung – einem bestimmten Abbildungswert – aufgeladen, noch kommt ihnen unbedingt eine genau definierte pragmatische Funktion – ein festgelegter Darstellungswert – zu.<br />
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==Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme==<br />
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[[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb|Abbildung 1: Als Beispiel: Gloria Temarre Petyarre: «Arnkerrthe(Berg-Teufel-Eidechse)-Traum»]]<br />
Kurz gefasst bilden also genau die Entitäten, in die der Bildträger – oder genauer: der durch [[Rahmung, Rahmen|Rahmung]] ausgezeichnete Teil seiner Oberfläche – in der visuellen Wahrnehmung eingeteilt erscheint, das morphologische Repertoire bei Bildern. Psychologisch wird diese Einteilung durch die Gestaltgesetze bestimmt: Sie determinieren, welche Raumstellen als zusammenhängend gesehen werden, und zwar nicht nur im Sinne eines in sich ungeteilten, gleichfarbigen und zusammenhängenden Gebiets, sondern auch im Sinne von Gruppierungen höherer Ordnung, etwa ''Folgen'' von gleichfarbigen Strichen. Dies führt beispielsweise in Abbildung 1 dazu, dass neben den roten, braunen, schwarzen, gelben und weißen Elementargebieten auch die Gruppen von gelb- bzw. weiß-gefassten, dunkel gefüllten Bögen und Balken als zusammengehörige visuelle Gestalten wahrgenommen werden. <br />
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In ihrem einflussreichen Buch zur Bildsyntax (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>) führt Fernande Saint-Martin als morphologische Basiseinheit die so genannten ‘Coloreme’ ein: <br />
:[A coloreme] ''corresponds to that aggregate of visual variables perceived in the visual representation by the way of an ocular fixation, or focus of the gaze. … A coloreme is defined […] as the zone of the visual linguistic field correlated to a centration of the eye. It is constituted by a mass of energetic matter presenting a given set of visual variables.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 5).<ref>Vgl. hierzu auch den Eintrag ''Kolorem'' im [http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2125 «Lexikon der Filmbegriffe»].</ref> <br />
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[[Datei:Kolorem.jpg|thumb|Abbildung 2: Visualisierung eines Colorems nach Saint-Martin (schematische Darstellung): Das das Colorem bestimmende kreisförmige foveale Zentrierungsgebiet ist herausgehoben und vergrößert, der Rest hingegen etwas abgedunkelt dargestellt]]<br />
Saint-Martins Verständnis der Coloreme konzentriert sich offensichtlich auf momentane psychophysische Aspekte: Zu jedem Zeitpunkt kann jeweils nur eine okulare Fixation erfolgen und folglich nur ein Colorem wahrgenommen werden (vgl. Abb. 2). Allerdings soll auf dieser Basis eine „colorematische (oder coloremische) Analyse“ aufbauen, die<br />
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:''describes the transformations which a coloreme undergoes by its interrelations with the other coloremes of its immediate entourage through macular centrations. The analyses proceeds thus at a first regrouping of coloremes through the topological relations which establish the first perceptual construction and structure the energetic exchanges between coloremes.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 194). <br />
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In ihrer Dynamik und direkter Abhängigkeit von den psychophysischen Eigenheiten eines wahrnehmenden Individuums sind Coloreme vor allem theoretische Entitäten. Praktisch schlägt Saint-Martin vor, die Bildfläche in ein regelmäßiges 5*5-Raster aufzuteilen, das als Basis für eine angenäherte Beschreibung der möglichen oder wahrscheinlichen Coloreme dient: Jedes Raster ist wiederum in ein 5*5-Subraster aufgeteilt, das die Gliederung in foveale Zentren und makulare Randbereiche aufgreift (ibid.: S. 197ff). <br />
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Um nicht zu stark an die recht spezifische Konzeption Saint-Martins gebunden zu sein, empfiehlt es sich allgemeiner, die – letztlich auf einen hypothetischen Normalbetrachter bezogenen – visuellen Gestalten im bildsyntaktischen Zusammenhang zunächst eher strukturalistisch zu betrachten und in Analogie zu dem linguistischen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixeme’ zu bezeichnen. Dabei kann in erster Näherung auch von der Dynamik abgesehen werden, die bei Saint-Martin die morphologische Beschreibung eines Bildträgers erschwert.<ref>In neurophysiologischer Perspektive verschiebt sich dabei der Fokus vom Auge zu den so genannten neuralen Karten des visuellen Kortex oder besser der logischen Struktur der dort enkodierten visuellen Muster.</ref> <br />
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===Pixem-Attribute===<br />
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Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigenschaften der syntakto-morphologischen Elemente bildhafter Zeichen, die häufig auf folgende Weise interpretiert werden (vgl. z.B. <bib id='Dölling 1999a'></bib>): ''Plastische'' Eigenschaften gehören zum [[Material]] des Bildträgers, während andere Eigenschaften ''im Auge des Betrachters'' liegen und von eher visueller also wahrnehmungsabhängiger Art sind. Die geometrischen Formen und ihre topologischen Relationen werden als typische Beispiele für den letzteren Eigenschaftstyp gegeben, während [[Farbwahrnehmung|Farben]] und [[Textur]]en als Beispiele für Eigenschaften des Materials selbst betrachtet werden. Coloreme sind stets Kombinationen von plastischen und visuell-perzeptiven Eigenschaften.<br />
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Tatsächlich kann auch der allgemeinere Begriff des Pixems logisch analysiert werden in eine rein [[Raum und Geometrie|geometrische ''Basisstruktur'']] einerseits und ein Begriffsfeld von diese Strukturen sichtbar machenden [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie|''Markerdimensionen'']] andererseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehmbar. Erst die Segmentation in zusammengehörige – nämlich gleich markierte – ''Gebiete'' ergibt eine Strukturierung in die räumlichen Elemente eines Ganzen.<ref>Auf den ersten Blick mag dieser Analyse sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit einer grammatischen Struktur im engeren Sinn eignen, wobei der geometrische Kalkül gewissermaßen als Grammatik fungiert und die Regeln zur Ableitung non-terminaler “Satz”-Tiefenstrukturen bereitstellt, während die möglichen Ausprägungen der Markerdimensionen das piktoriale “Lexikon” – die terminalen Symbole – zufügen, die die bildliche Oberflächenstruktur ergibt.</ref> <br />
:<br />
Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geometrie (d.h. Räumlichkeit) und Farbe nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) abhängig von der Differenzierung zwischen Eigenschaften, die zum Material des Bildträgers gehören – und daher als objektive Eigenschaften zu betrachten wären – und Eigenschaften, die vom Betrachter konstruiert werden – und folglich als subjektive Eigenschaften zu bewerten wären.<ref>Es erscheint schon merkwürdig, dass ausgerechnet »Farbe« – gemeinhin als Paradebeispiel für eine ''sekundäre'' Qualität angeführt – bei Saint-Martin zu den objektiven Materialeigenschaften gehört und nicht dem Wahrnehmungsapparat zugeschlagen wird.</ref> Vielmehr können Bildphilosophen über Farben und die Beziehungen zwischen ihnen einerseits und über räumliche Entitäten und die geometrischen oder topologischen Beziehungen zwischen ihnen andererseits diskutieren, ohne dabei die beiden Argumentationen miteinander vermischen zu müssen. Sie können als unabhängig voneinander betrachtet und als von – jedenfalls auf den ersten Blick – autonomen Begriffsfeldern geregelt behandelt werden.<ref>Eben aus diesem Grund ist eine von Farbtheorien unabhängige Geometrie möglich. Zwar kommen in Farbtheorien oft geometrische Begriffe vor (»Farbraum«, »Farbdistanz«, »Farbkörper«), doch sind diese raummetaphorisch gemein und beziehen sich gerade nicht auf die geometrischen Eigenschaften farbiger Gegenstände.</ref> Argumentationen über Pixeme müssen hingegen die Logik der Farben und die Logik des Raums miteinander kombinieren, d.h. in einer begrifflichen Synthese vereinigen. <br />
:<br />
Grundlegende Eigenschaften von Pixemen sind mithin genau die Attribute, die beliebige gefärbte Entitäten der zweidimensionalen Geometrie aufweisen, sowie die Relationen, die sie untereinander einnehmen können. Neben den charakteristischen Eigenschaften geometrischer Entitäten – insbesondere topologische, metrische und direktionale Relationen zwischen ihren Teilen (''Form'') und zu anderen Gebieten (''Lage'') – und den etwa durch Farbton, Helligkeit und Sättigung näher bestimmten Farbmarkierungen im engeren Sinn<ref>Zu beach&shy;ten ist aller&shy;dings, dass die Dimen&shy;sionen »Farb&shy;ton«, »Hellig&shy;keit« und »Sätti&shy;gung« zur Charak&shy;teri&shy;sierung eines pikto&shy;rialen Marker&shy;werts nicht abso&shy;lut gesehen werden können, sondern in starker Weise von ihrer Umge&shy;bung abhängen: sowohl Beleuchtung (objektiv) als auch die Farben der umgebenden Pixeme (subjektiv) beeinflussen die Wahrnehmung von Farbe.</ref> können auch homogene Farbverläufe oder spezielle Farbvariationen – Texturen – als Attribute höherer Ordnung relevant sein. Zudem treten Wechselwirklungen auf, die sich aus der räumlichen Anordnung verschiedener Farben zueinander ergeben, vor allem Kontrast-Effekte.<br />
<br />
<br />
===Kombinationen von Pixemen, Maximalpixem===<br />
<br />
Da die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine morphologische Analyse von Bildern irrelevant ist, können auch Zusammensetzungen aus mehreren Pixemen ohne weiteres wieder als Pixeme betrachtet werden: Die Morphologie von Bildern besteht damit aus Teil-Ganzes-Ordnungen von Pixemen, die sich zwischen dem Bildganzen – als Maximalpixem – und den als minimal betrachteten Gebieten mit jeweils nur einer einzigen homogenen Markerbelegung in meist mehreren Stufen aufspannen. <br />
:<br />
Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Markerbelegung im oben erwähnten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-pikturale Substruktur. So bilden beispielsweise in Abbildung 1 die mittig angeordneten bandförmigen, braun gefüllt und gelb umrandeten Pixeme ein säulenartiges komplexes Pixem höherer Ordnung. Seine geometrische Basisstruktur wird nicht einfach durch Farb- oder Texturwerte, sondern gerade durch die es konstituierenden Pixeme niederer Ordnung markiert.<br />
:<br />
Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morphologischen Struktur einem Bildträger gleichen, sind sie noch nicht ohne weiteres als Bildträger zu verwenden. Das liegt insbesondere an zwei zusammenhängenden Faktoren:<br />
* a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden Pixeme jeweils ''[[Figur/Grund-Differenzierung|Figuren]]'': der Hintergrund, vor dem sie als solche unausweichlich betrachtet werden, gehört entsprechend nicht zu ihnen. Im oben erwähnten Beispiel sind die die gelb-braunen Bänder umschließenden roten Bereiche nicht eingeschlossen. Obwohl durch die Pixem-Segmentierung prinzipiell in eine Vielfalt von Figur-Grund-Paaren zerlegbar, gilt doch für den Bildträger, dass er insgesamt nur in ''einer'' Hinsicht Figur ist, nämlich vor dem Rahmen. Das gilt unter allen beteiligten Pixemen nur für das Maximalpixem und hat dort eine besondere Wirkung.<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts|Abbildung 3: Pixem-Ausschnitt als Bild]]<br />
* b) Die ''[[Rahmung, Rahmen|Rahmung]]'' des Maximalpixems setzt letzteres nämlich in den Verwendungszusammenhang, der diese Figur als Ganze zu einer Zeichenmarke in einer Zeichenhandlung macht, d.h.: zu einem Bildträger. Natürlich ist es prinzipiell durchaus möglich, diese ''Rahmungshandlung'' auch bei jedem der Pixeme niederer Ordnung zu vollziehen, sie also als separierte Bildträger (und damit als andere Bilder) zu betrachten. Doch bleiben bei einem solchen Vorgehen die pragmatischen und semantischen Bezüge nicht erhalten:<ref>Eine Ausnahme zu dieser Regel dürften diejenigen Pixeme bilden, die abbildungswertlich als Bild im Bild interpretiert werden. Deren pragmatische und semantische Relationen sind dann allerdings in die Szene des [[Theorien des Bildraums|Bildraumes]] verschoben.</ref> Schnitte man eines der gelb-umrandeten, braun gefüllten Bänder aus dem Mittelteil von Abb. 1 aus und montierte es alleine auf den Hintergrund einer neutral gefärbten Fläche (oder auch freischwebend im Raum), so kann man das Resultat durchaus als ein Bild mit etwas ungewöhnlich gewölbtem Rand (also eine Rahmung ohne expliziten Rahmen) begreifen (Abb. 3). Verwendungszusammenhänge und Bedeutungszuschreibungen dieses Bildes hängen indes bestenfalls sehr locker mit denen von Abbildung 1 zusammen. <br />
<br />
<br />
===Pixem-bildende Operationen===<br />
<br />
Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elementaren Pixem-Attribute zurück. Begründet in den psychophysiologischen Wahrnehmungsmechanismen, laufen sie in der Regel unbewußt ab. Dabei sind besonders zwei gegenläufige Aspekte wichtig: ''Kontrastverstärkung'' und ''Gestaltbildung''.<br />
:<br />
Die Konstitution von Pixemen bei der Betrachtung eines Bildträgers ist – als Variante der Segmentierung beim [[Sehen]] ganz allgemein – stark kontextsensitiv: So führen lokal wirksame kontrastverstärkende Komponenten des Wahrnehmungsapparates zu Grenzen zwischen als einheitlich wahrgenommenen Gebieten. Bemerkbar werden diese Operationen vor allem dann, wenn sie zu Täuschungen, d.h. zu zusätzlichen Pixemen (bzw. allgemeiner: Wahrnehmungssegmenten<ref>Der Hinweis auf den möglichen Unterschied zwischen visueller Wahrnehmung ganz allgemein und [[Bildwahrnehmung]] im Besonderen ist im Zusammenhang mit “optischen” Täuschungen (⊳ [[Wahrnehmungsillusion]]) durchaus erwähnenswert, finden doch die psychologischen Tests etwa zur Kontrasttäuschung wie auch die Experimente zur Gestaltbildung in der Regel mithilfe von Bildmaterial statt, während die Schlußfolgerungen daraus sich auf die visuelle Wahrnehmung ganz unabhängig von Bildern beziehen sollen. </ref>) führen, etwa bei der Kontrasttäuschung.<ref>Ein gut präsentiertes Beispiel der Kontrasttäuschung findet sich auf der folgenden Seite: [http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/optische-taeuschung-rauten-helligkeit.php Kontrasttäuschung bei sehtestbilder.de].</ref><br />
:<br />
Die Mechanismen der Kontrastverstärkung unterstützen andererseits das Zusammenfassen homogener Gebiete durch [[Gestalt|Gestaltbildung]] im Sinne der Gestaltgesetze. Deren unbewußtes Wirken bestimmt die wahrgenommenen Teil-Ganzes-Hierarchien der zusammengesetzen Pixeme. Das Wechselspiel von Grenzziehung durch Kontrastverstärkung und Integration gemäß der Gestaltgesetze führt letztlich zur Konstitution einer bildmorphologischen (Normal-)Struktur zwischen Maximalpixem und elementaren Gebieten, die allerdings bei der alltäglichen Bildwahrnehmung bereits beim Aufbau sehr stark von semantischen und pragmatischen Randbedingungen determiniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestaltungslehrbücher stets besonders hervor, dass “das Auge” in der ''gestalterischen Sehweise'' geschult werden müsse, die gerade von solchen Einflüssen absieht und letztlich einen rein eigenwertlichen Zugang zur Bildmorphologie erreichen will (etwa <bib id='Klee 1956a'></bib>).<br />
<br />
==Anwendungen==<br />
[[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb|Abbildung 4: Ergebnis einer automatischen Segmentierung: Texturbasierte Pixembildung. Rechts sind die gefundenen Pixeme farblich markiert dargestellt.]]<br />
Das algorithmische Nachbilden pixem-bildender Operationen führt zur Möglichkeit bildmorphologischer Analysen in der Computervisualistik und bildt einen zentralen Bestandteil der [[Bildverarbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]]: Auf informatische Kodierungen ([[Notation|Notationen]]) von Bildträgern können entsprechende ''Segmentierungsverfahren'' programmiert werden, die (in der entsprechenden Literatur oft als ‘Objekte’ bezeichnete) Pixeme zu bestimmen erlauben (Abb. 4). Hierbei werden vor allem die Gestaltgesetze der Nähe, Ähnlichkeit und Guten Kontinuität über den Farb- und Texturmarkern operationalisiert. <br />
:<br />
Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwissenschaft auf diese Weise ein Set von technischen Standardwerkzeugen zur morphologischen Bildanalyse bereitzustellen. Dies ist insbesondere sinnvoll, insofern die Pixem-Komposition des Bildträgers, wie oben erwähnt, auf einen theoretisch vorausgesetzten ''Normalbetrachter'' bezogen werden muss. Zu bedenken bleibt dabei allerdings, dass die menschliche Wahrnehmung von Bildern, wie u.a. von Saint Martin beschrieben, neben den möglichen individuellen Abweichungen vom Normalbetrachter auch ''dynamische'' Aspekte umfasst, die durch eine solche rein strukturelle Analyse ebenfalls ausgeblendet bleiben.<br />
:<br />
Auf begrifflicher Ebene erlaubt die Synthese der bildlichen Morphosyntax aus geometrischem Basiskalkül und dem Begriffsfeld der farblichen Markerwerte schließlich, eine lange gehegte Vermutung zu widerlegen: dass nämlich der Begriff der syntaktischen (Nicht-)Wohlgeformtheit auf Bilder überhaupt nicht anzuwenden wäre (vgl. <bib id='Plümacher 1999a'></bib>). Da durch Beschädigungen des Bildträgers die geometrische Basisstruktur des Maximalpixems gestört werden kann, ist der Begriff eines [[syntaktisch unkorrekte Bilder|syntaktisch unkorrekten Bildes]] sehr wohl sinnvoll.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Bildgrammatik]]<br />
* [[Bildwahrnehmung]]<br />
* [[Bildverarbeitung, digitale]] <br />
* [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie]]<br />
* [[Farbwahrnehmung]]<br />
* [[Ikonische Differenz]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Identitätskriterien für Bildträger]]<br />
* [[Komposition]]<br />
* [[Morphologie und Syntax]]<br />
* [[Notation]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Raum und Geometrie]]<br />
* [[Sehen]] <br />
* [[Syntaktisch unkorrekte Bilder]]<br />
* [[Theorien des Bildraums]]<br />
* [[Textur]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, J.R.J.]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildmorphologie&diff=18913Bildmorphologie2013-11-21T11:37:14Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildsyntax]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildsyntax]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einordnung der Bildmorphologie==<br />
Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allgemeinen nicht mit einer spezifischen, von ‘[[Bildgrammatik]]’ oder ‘[[Komposition|Bildkomposition]]’ verschiedenen Bedeutung gebraucht. Angesprochen wird mit all diesen Termini eine analytische Betrachtung des [[Bildobjekt / Bildträger|Bildträgers]] als zusammengesetzt aus für die Bildfunktion relevanten, im wesentlichen durch visuell wahrnehmbare Eigenschaften bestimmten Teilen, die auch in anderen Bildträgern, die sich durch die Zusammenstellung der Teile unterscheiden, Verwendung finden können. Es ist die Zusammenstellung der Teile zu einem Ganzen, die zusammen mit anderen ([[Pragmatik, Semantik, Syntax|nicht-syntaktischen]]) Faktoren die [[Identitätskriterien für Bildträger|(Typ-) Identität des Bildträgers]] und damit letztlich auch die möglichen Verwendungen des Bildträgers als Bild determiniert.<br />
:<br />
Allerdings legt es die Unterscheidung von im engeren Sinne grammatischen gegenüber morphologischen Aspekten bei der Betrachtung von Sprache (⊳ [[Morphologie und Syntax]]) nahe, den Ausdruck ‘Bildmorphologie’ mit einem spezifischeren Sinn aufzuladen und ihn so von der Bildgrammatik (die eben damit zu einer ''Bildgrammatik im engeren Sinn'' wird) abzuheben. Die Bildgrammatik im engeren Sinn versucht vor allem syntaktische Kompositionalität bei Bildern im Sinne der formalen (Chomsky-) Grammatiken nachzuweisen, die die Unterscheidung von »Satz« und »Wort« voraussetzen<ref>Das bedeutet: Die [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen dieser Zeichensysteme]] werden als aus [[Interaktion und Kommunikation|kommunikativ]] wirkenden Einheiten zusammengesetzt verstanden, denen zumindest zum Teil selbst wiederum Zeichencharakter zukommt. Eine Komposition aus kommunikativen Elementen, die nicht bereits selber Zeichen sind, wird dabei nicht berücksichtigt.</ref> und durch ein begrenztes Set von Ersetzungsregeln über einer endlichen Menge von Satzkonstituenten als Zwischenstufen („nonterminale Symbole“, etwa ‘Nominalphrase’) aus endlichen vielen Wörtern (im ''mentalen Lexikon'') auf eindeutige Weise unendlich viele Sätze abzuleiten oder zu analysieren gestatten (<bib id='Chomsky 1957a'></bib>; <bib id='Sachs-Hombach 1999a'></bib>). Dagegen ist eine Bildmorphologie im hier verwendeten Sinn an einer syntaktischen Bildkompositionalität anderer Art interessiert: Können Bildträger mithilfe allgemeiner Gruppierungsregeln – etwa analog zu den wesentlich “weicheren”, im geometrischen Kontinuum wirkenden [[Gestalt]]gesetzen – als aus “piktorialen Primitiven” bestehend beschrieben werden, die nicht bereits als Zeichen (Wörter) gelten und aus einer möglicherweise unbegrenzten Grundmenge stammen, wobei auch die Bedingung der Eindeutigkeit der Ableitung abgeschwächt sein könnte? In Analogie zu den Wortbildungsregeln bei extrem [[Morphologie und Syntax#Isolierende, polysynthetische, fusionierende und agglutinierende Sprachsysteme|polysynthetisch-fusionierenden]] Sprachen, ohne dabei aber schon vorauszusetzen, dass eine Anwendung der Unterscheidung zwischen »Satz« und »Wort« auf bildhafte Zeichensysteme sinnvoll sei, müsste eine solche Bildmorphologie der charakteristischen Eigenschaft der [[Syntaktische Dichte|syntaktischen Dichte]] von bildlichen Zeichensystemen gerecht werden.<br />
: <br />
Lässt sich eine solche morphologische Bildkompositionalität einführen, so sind Bilder, obschon ebenfalls komplexe Zeichensysteme, sehr deutlich von Sprachzeichensystemen unterschieden (⊳ [[Ikonische Differenz]]). Ihnen fehlt die Aufgliederung der einzelnen [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche Zeichen|Gesamtzeichenhandlungen]] in partiell unabhängige, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder ungesättigte, d.h. immer Ergänzungen bedürfender Teil''zeichen''handlungen – eben den Wörtern. Insbesondere bleibt dabei offen, ob die Verwendung isolierter syntaktischer Elemente bildhafter Zeichensysteme immer selbst bereits ungesättigte ''Zeichen''handlungen sind.<br />
:<br />
Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als Bildträger'' relevanten physischen Eigenschaften vor allem in der visuell wahrnehmbaren geometrischen Anordnung von Farbflächen finden. In diesem Sinn können die syntaktischen Elemente, in die bei einer [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Betrachtung der Bildsyntax]] der Bildträger zerlegt wird, als piktoriale morphologische Elemente betrachtet werden. Diese sind über ihren Eigenwert hinaus weder notwendiger Weise mit einer bestimmten Bedeutung – einem bestimmten Abbildungswert – aufgeladen, noch kommt ihnen unbedingt eine genau definierte pragmatische Funktion – ein festgelegter Darstellungswert – zu.<br />
<br />
==Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme==<br />
<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb|Abbildung 1: Als Beispiel: Gloria Temarre Petyarre: «Arnkerrthe(Berg-Teufel-Eidechse)-Traum»]]<br />
Kurz gefasst bilden also genau die Entitäten, in die der Bildträger – oder genauer: der durch [[Rahmung, Rahmen|Rahmung]] ausgezeichnete Teil seiner Oberfläche – in der visuellen Wahrnehmung eingeteilt erscheint, das morphologische Repertoire bei Bildern. Psychologisch wird diese Einteilung durch die Gestaltgesetze bestimmt: Sie determinieren, welche Raumstellen als zusammenhängend gesehen werden, und zwar nicht nur im Sinne eines in sich ungeteilten, gleichfarbigen und zusammenhängenden Gebiets, sondern auch im Sinne von Gruppierungen höherer Ordnung, etwa ''Folgen'' von gleichfarbigen Strichen. Dies führt beispielsweise in Abbildung 1 dazu, dass neben den roten, braunen, schwarzen, gelben und weißen Elementargebieten auch die Gruppen von gelb- bzw. weiß-gefassten, dunkel gefüllten Bögen und Balken als zusammengehörige visuelle Gestalten wahrgenommen werden. <br />
:<br />
In ihrem einflussreichen Buch zur Bildsyntax (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>) führt Fernande Saint-Martin als morphologische Basiseinheit die so genannten ‘Coloreme’ ein: <br />
:[A coloreme] ''corresponds to that aggregate of visual variables perceived in the visual representation by the way of an ocular fixation, or focus of the gaze. … A coloreme is defined […] as the zone of the visual linguistic field correlated to a centration of the eye. It is constituted by a mass of energetic matter presenting a given set of visual variables.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 5).<ref>Vgl. hierzu auch den Eintrag ''Kolorem'' im [http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2125 «Lexikon der Filmbegriffe»].</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Kolorem.jpg|thumb|Abbildung 2: Visualisierung eines Colorems nach Saint-Martin (schematische Darstellung): Das das Colorem bestimmende kreisförmige foveale Zentrierungsgebiet ist herausgehoben und vergrößert, der Rest hingegen etwas abgedunkelt dargestellt]]<br />
Saint-Martins Verständnis der Coloreme konzentriert sich offensichtlich auf momentane psychophysische Aspekte: Zu jedem Zeitpunkt kann jeweils nur eine okulare Fixation erfolgen und folglich nur ein Colorem wahrgenommen werden (vgl. Abb. 2). Allerdings soll auf dieser Basis eine „colorematische (oder coloremische) Analyse“ aufbauen, die<br />
<br />
:''describes the transformations which a coloreme undergoes by its interrelations with the other coloremes of its immediate entourage through macular centrations. The analyses proceeds thus at a first regrouping of coloremes through the topological relations which establish the first perceptual construction and structure the energetic exchanges between coloremes.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 194). <br />
<br />
In ihrer Dynamik und direkter Abhängigkeit von den psychophysischen Eigenheiten eines wahrnehmenden Individuums sind Coloreme vor allem theoretische Entitäten. Praktisch schlägt Saint-Martin vor, die Bildfläche in ein regelmäßiges 5*5-Raster aufzuteilen, das als Basis für eine angenäherte Beschreibung der möglichen oder wahrscheinlichen Coloreme dient: Jedes Raster ist wiederum in ein 5*5-Subraster aufgeteilt, das die Gliederung in foveale Zentren und makulare Randbereiche aufgreift (ibid.: S. 197ff). <br />
:<br />
Um nicht zu stark an die recht spezifische Konzeption Saint-Martins gebunden zu sein, empfiehlt es sich allgemeiner, die – letztlich auf einen hypothetischen Normalbetrachter bezogenen – visuellen Gestalten im bildsyntaktischen Zusammenhang zunächst eher strukturalistisch zu betrachten und in Analogie zu dem linguistischen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixeme’ zu bezeichnen. Dabei kann in erster Näherung auch von der Dynamik abgesehen werden, die bei Saint-Martin die morphologische Beschreibung eines Bildträgers erschwert.<ref>In neurophysiologischer Perspektive verschiebt sich dabei der Fokus vom Auge zu den so genannten neuralen Karten des visuellen Kortex oder besser der logischen Struktur der dort enkodierten visuellen Muster.</ref><br />
<br />
<br />
===Pixem-Attribute===<br />
<br />
Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigenschaften der syntakto-morphologischen Elemente bildhafter Zeichen, die häufig auf folgende Weise interpretiert werden (vgl. z.B. <bib id='Dölling 1999a'></bib>): ''Plastische'' Eigenschaften gehören zum [[Material]] des Bildträgers, während andere Eigenschaften ''im Auge des Betrachters'' liegen und von eher visueller also wahrnehmungsabhängiger Art sind. Die geometrischen Formen und ihre topologischen Relationen werden als typische Beispiele für den letzteren Eigenschaftstyp gegeben, während [[Farbwahrnehmung|Farben]] und [[Textur]]en als Beispiele für Eigenschaften des Materials selbst betrachtet werden. Coloreme sind stets Kombinationen von plastischen und visuell-perzeptiven Eigenschaften.<br />
:<br />
Tatsächlich kann auch der allgemeinere Begriff des Pixems logisch analysiert werden in eine rein [[Raum und Geometrie|geometrische ''Basisstruktur'']] einerseits und ein Begriffsfeld von diese Strukturen sichtbar machenden [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie|''Markerdimensionen'']] andererseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehmbar. Erst die Segmentation in zusammengehörige – nämlich gleich markierte – ''Gebiete'' ergibt eine Strukturierung in die räumlichen Elemente eines Ganzen.<ref>Auf den ersten Blick mag dieser Analyse sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit einer grammatischen Struktur im engeren Sinn eignen, wobei der geometrische Kalkül gewissermaßen als Grammatik fungiert und die Regeln zur Ableitung non-terminaler “Satz”-Tiefenstrukturen bereitstellt, während die möglichen Ausprägungen der Markerdimensionen das piktoriale “Lexikon” – die terminalen Symbole – zufügen, die die bildliche Oberflächenstruktur ergibt.</ref> <br />
:<br />
Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geometrie (d.h. Räumlichkeit) und Farbe nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) abhängig von der Differenzierung zwischen Eigenschaften, die zum Material des Bildträgers gehören – und daher als objektive Eigenschaften zu betrachten wären – und Eigenschaften, die vom Betrachter konstruiert werden – und folglich als subjektive Eigenschaften zu bewerten wären.<ref>Es erscheint schon merkwürdig, dass ausgerechnet »Farbe« – gemeinhin als Paradebeispiel für eine ''sekundäre'' Qualität angeführt – bei Saint-Martin zu den objektiven Materialeigenschaften gehört und nicht dem Wahrnehmungsapparat zugeschlagen wird.</ref> Vielmehr können Bildphilosophen über Farben und die Beziehungen zwischen ihnen einerseits und über räumliche Entitäten und die geometrischen oder topologischen Beziehungen zwischen ihnen andererseits diskutieren, ohne dabei die beiden Argumentationen miteinander vermischen zu müssen. Sie können als unabhängig voneinander betrachtet und als von – jedenfalls auf den ersten Blick – autonomen Begriffsfeldern geregelt behandelt werden.<ref>Eben aus diesem Grund ist eine von Farbtheorien unabhängige Geometrie möglich. Zwar kommen in Farbtheorien oft geometrische Begriffe vor (»Farbraum«, »Farbdistanz«, »Farbkörper«), doch sind diese raummetaphorisch gemein und beziehen sich gerade nicht auf die geometrischen Eigenschaften farbiger Gegenstände.</ref> Argumentationen über Pixeme müssen hingegen die Logik der Farben und die Logik des Raums miteinander kombinieren, d.h. in einer begrifflichen Synthese vereinigen. <br />
:<br />
Grundlegende Eigenschaften von Pixemen sind mithin genau die Attribute, die beliebige gefärbte Entitäten der zweidimensionalen Geometrie aufweisen, sowie die Relationen, die sie untereinander einnehmen können. Neben den charakteristischen Eigenschaften geometrischer Entitäten – insbesondere topologische, metrische und direktionale Relationen zwischen ihren Teilen (''Form'') und zu anderen Gebieten (''Lage'') – und den etwa durch Farbton, Helligkeit und Sättigung näher bestimmten Farbmarkierungen im engeren Sinn<ref>Zu beach&shy;ten ist aller&shy;dings, dass die Dimen&shy;sionen »Farb&shy;ton«, »Hellig&shy;keit« und »Sätti&shy;gung« zur Charak&shy;teri&shy;sierung eines pikto&shy;rialen Marker&shy;werts nicht abso&shy;lut gesehen werden können, sondern in starker Weise von ihrer Umge&shy;bung abhängen: sowohl Beleuchtung (objektiv) als auch die Farben der umgebenden Pixeme (subjektiv) beeinflussen die Wahrnehmung von Farbe.</ref> können auch homogene Farbverläufe oder spezielle Farbvariationen – Texturen – als Attribute höherer Ordnung relevant sein. Zudem treten Wechselwirklungen auf, die sich aus der räumlichen Anordnung verschiedener Farben zueinander ergeben, vor allem Kontrast-Effekte.<br />
<br />
===Kombinationen von Pixemen, Maximalpixem===<br />
<br />
Da die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine morphologische Analyse von Bildern irrelevant ist, können auch Zusammensetzungen aus mehreren Pixemen ohne weiteres wieder als Pixeme betrachtet werden: Die Morphologie von Bildern besteht damit aus Teil-Ganzes-Ordnungen von Pixemen, die sich zwischen dem Bildganzen – als Maximalpixem – und den als minimal betrachteten Gebieten mit jeweils nur einer einzigen homogenen Markerbelegung in meist mehreren Stufen aufspannen. <br />
:<br />
Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Markerbelegung im oben erwähnten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-pikturale Substruktur. So bilden beispielsweise in Abbildung 1 die mittig angeordneten bandförmigen, braun gefüllt und gelb umrandeten Pixeme ein säulenartiges komplexes Pixem höherer Ordnung. Seine geometrische Basisstruktur wird nicht einfach durch Farb- oder Texturwerte, sondern gerade durch die es konstituierenden Pixeme niederer Ordnung markiert.<br />
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Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morphologischen Struktur einem Bildträger gleichen, sind sie noch nicht ohne weiteres als Bildträger zu verwenden. Das liegt insbesondere an zwei zusammenhängenden Faktoren:<br />
* a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden Pixeme jeweils ''[[Figur/Grund-Differenzierung|Figuren]]'': der Hintergrund, vor dem sie als solche unausweichlich betrachtet werden, gehört entsprechend nicht zu ihnen. Im oben erwähnten Beispiel sind die die gelb-braunen Bänder umschließenden roten Bereiche nicht eingeschlossen. Obwohl durch die Pixem-Segmentierung prinzipiell in eine Vielfalt von Figur-Grund-Paaren zerlegbar, gilt doch für den Bildträger, dass er insgesamt nur in ''einer'' Hinsicht Figur ist, nämlich vor dem Rahmen. Das gilt unter allen beteiligten Pixemen nur für das Maximalpixem und hat dort eine besondere Wirkung.<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts|Abbildung 3: Pixem-Ausschnitt als Bild]]<br />
* b) Die ''[[Rahmung, Rahmen|Rahmung]]'' des Maximalpixems setzt letzteres nämlich in den Verwendungszusammenhang, der diese Figur als Ganze zu einer Zeichenmarke in einer Zeichenhandlung macht, d.h.: zu einem Bildträger. Natürlich ist es prinzipiell durchaus möglich, diese ''Rahmungshandlung'' auch bei jedem der Pixeme niederer Ordnung zu vollziehen, sie also als separierte Bildträger (und damit als andere Bilder) zu betrachten. Doch bleiben bei einem solchen Vorgehen die pragmatischen und semantischen Bezüge nicht erhalten:<ref>Eine Ausnahme zu dieser Regel dürften diejenigen Pixeme bilden, die abbildungswertlich als Bild im Bild interpretiert werden. Deren pragmatische und semantische Relationen sind dann allerdings in die Szene des [[Theorien des Bildraums|Bildraumes]] verschoben.</ref> Schnitte man eines der gelb-umrandeten, braun gefüllten Bänder aus dem Mittelteil von Abb. 1 aus und montierte es alleine auf den Hintergrund einer neutral gefärbten Fläche (oder auch freischwebend im Raum), so kann man das Resultat durchaus als ein Bild mit etwas ungewöhnlich gewölbtem Rand (also eine Rahmung ohne expliziten Rahmen) begreifen (Abb. 3). Verwendungszusammenhänge und Bedeutungszuschreibungen dieses Bildes hängen indes bestenfalls sehr locker mit denen von Abbildung 1 zusammen. <br />
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===Pixem-bildende Operationen===<br />
<br />
Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elementaren Pixem-Attribute zurück. Begründet in den psychophysiologischen Wahrnehmungsmechanismen, laufen sie in der Regel unbewußt ab. Dabei sind besonders zwei gegenläufige Aspekte wichtig: ''Kontrastverstärkung'' und ''Gestaltbildung''.<br />
:<br />
Die Konstitution von Pixemen bei der Betrachtung eines Bildträgers ist – als Variante der Segmentierung beim [[Sehen]] ganz allgemein – stark kontextsensitiv: So führen lokal wirksame kontrastverstärkende Komponenten des Wahrnehmungsapparates zu Grenzen zwischen als einheitlich wahrgenommenen Gebieten. Bemerkbar werden diese Operationen vor allem dann, wenn sie zu Täuschungen, d.h. zu zusätzlichen Pixemen (bzw. allgemeiner: Wahrnehmungssegmenten<ref>Der Hinweis auf den möglichen Unterschied zwischen visueller Wahrnehmung ganz allgemein und [[Bildwahrnehmung]] im Besonderen ist im Zusammenhang mit “optischen” Täuschungen (⊳ [[Wahrnehmungsillusion]]) durchaus erwähnenswert, finden doch die psychologischen Tests etwa zur Kontrasttäuschung wie auch die Experimente zur Gestaltbildung in der Regel mithilfe von Bildmaterial statt, während die Schlußfolgerungen daraus sich auf die visuelle Wahrnehmung ganz unabhängig von Bildern beziehen sollen. </ref>) führen, etwa bei der Kontrasttäuschung.<ref>Ein gut präsentiertes Beispiel der Kontrasttäuschung findet sich auf der folgenden Seite: [http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/optische-taeuschung-rauten-helligkeit.php Kontrasttäuschung bei sehtestbilder.de].</ref><br />
:<br />
Die Mechanismen der Kontrastverstärkung unterstützen andererseits das Zusammenfassen homogener Gebiete durch [[Gestalt|Gestaltbildung]] im Sinne der Gestaltgesetze. Deren unbewußtes Wirken bestimmt die wahrgenommenen Teil-Ganzes-Hierarchien der zusammengesetzen Pixeme. Das Wechselspiel von Grenzziehung durch Kontrastverstärkung und Integration gemäß der Gestaltgesetze führt letztlich zur Konstitution einer bildmorphologischen (Normal-)Struktur zwischen Maximalpixem und elementaren Gebieten, die allerdings bei der alltäglichen Bildwahrnehmung bereits beim Aufbau sehr stark von semantischen und pragmatischen Randbedingungen determiniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestaltungslehrbücher stets besonders hervor, dass “das Auge” in der ''gestalterischen Sehweise'' geschult werden müsse, die gerade von solchen Einflüssen absieht und letztlich einen rein eigenwertlichen Zugang zur Bildmorphologie erreichen will (etwa <bib id='Klee 1956a'></bib>).<br />
<br />
==Anwendungen==<br />
[[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb|Abbildung 4: Ergebnis einer automatischen Segmentierung: Texturbasierte Pixembildung. Rechts sind die gefundenen Pixeme farblich markiert dargestellt.]]<br />
Das algorithmische Nachbilden pixem-bildender Operationen führt zur Möglichkeit bildmorphologischer Analysen in der Computervisualistik und bildt einen zentralen Bestandteil der [[Bildverarbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]]: Auf informatische Kodierungen ([[Notation|Notationen]]) von Bildträgern können entsprechende ''Segmentierungsverfahren'' programmiert werden, die (in der entsprechenden Literatur oft als ‘Objekte’ bezeichnete) Pixeme zu bestimmen erlauben (Abb. 4). Hierbei werden vor allem die Gestaltgesetze der Nähe, Ähnlichkeit und Guten Kontinuität über den Farb- und Texturmarkern operationalisiert. <br />
:<br />
Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwissenschaft auf diese Weise ein Set von technischen Standardwerkzeugen zur morphologischen Bildanalyse bereitzustellen. Dies ist insbesondere sinnvoll, insofern die Pixem-Komposition des Bildträgers, wie oben erwähnt, auf einen theoretisch vorausgesetzten ''Normalbetrachter'' bezogen werden muss. Zu bedenken bleibt dabei allerdings, dass die menschliche Wahrnehmung von Bildern, wie u.a. von Saint Martin beschrieben, neben den möglichen individuellen Abweichungen vom Normalbetrachter auch ''dynamische'' Aspekte umfasst, die durch eine solche rein strukturelle Analyse ebenfalls ausgeblendet bleiben.<br />
:<br />
Auf begrifflicher Ebene erlaubt die Synthese der bildlichen Morphosyntax aus geometrischem Basiskalkül und dem Begriffsfeld der farblichen Markerwerte schließlich, eine lange gehegte Vermutung zu widerlegen: dass nämlich der Begriff der syntaktischen (Nicht-)Wohlgeformtheit auf Bilder überhaupt nicht anzuwenden wäre (vgl. <bib id='Plümacher 1999a'></bib>). Da durch Beschädigungen des Bildträgers die geometrische Basisstruktur des Maximalpixems gestört werden kann, ist der Begriff eines [[syntaktisch unkorrekte Bilder|syntaktisch unkorrekten Bildes]] sehr wohl sinnvoll.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Bildgrammatik]]<br />
* [[Bildwahrnehmung]]<br />
* [[Bildverarbeitung, digitale]] <br />
* [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie]]<br />
* [[Farbwahrnehmung]]<br />
* [[Ikonische Differenz]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Identitätskriterien für Bildträger]]<br />
* [[Komposition]]<br />
* [[Morphologie und Syntax]]<br />
* [[Notation]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Raum und Geometrie]]<br />
* [[Sehen]] <br />
* [[Syntaktisch unkorrekte Bilder]]<br />
* [[Theorien des Bildraums]]<br />
* [[Textur]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
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<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
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''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, J.R.J.]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildmorphologie&diff=18881Bildmorphologie2013-11-21T10:19:06Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Einordnung der Bildmorphologie */</p>
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildsyntax]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildsyntax]]<br />
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==Einordnung der Bildmorphologie==<br />
Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allgemeinen nicht mit einer spezifischen, von ‘[[Bildgrammatik]]’ oder ‘[[Komposition|Bildkomposition]]’ verschiedenen Bedeutung gebraucht. Angesprochen wird mit all diesen Termini eine analytische Betrachtung des [[Bildobjekt / Bildträger|Bildträgers]] als zusammengesetzt aus für die Bildfunktion relevanten, im wesentlichen durch visuell wahrnehmbare Eigenschaften bestimmten Teilen, die auch in anderen Bildträgern, die sich durch die Zusammenstellung der Teile unterscheiden, Verwendung finden können. Es ist die Zusammenstellung der Teile zu einem Ganzen, die zusammen mit anderen ([[Pragmatik, Semantik, Syntax|nicht-syntaktischen]]) Faktoren die [[Identitätskriterien für Bildträger|(Typ-) Identität des Bildträgers]] und damit letztlich auch die möglichen Verwendungen des Bildträgers als Bild determiniert.<br />
:<br />
Allerdings legt es die Unterscheidung von im engeren Sinne grammatischen gegenüber morphologischen Aspekten bei der Betrachtung von Sprache (⊳ [[Morphologie und Syntax]]) nahe, den Ausdruck ‘Bildmorphologie’ mit einem spezifischeren Sinn aufzuladen und ihn so von der Bildgrammatik (die eben damit zu einer ''Bildgrammatik im engeren Sinn'' wird) abzuheben. Die Bildgrammatik im engeren Sinn versucht vor allem syntaktische Kompositionalität bei Bildern im Sinne der formalen (Chomsky-) Grammatiken nachzuweisen, die die Unterscheidung von »Satz« und »Wort« voraussetzen<ref>Das bedeutet: Die [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen dieser Zeichensysteme]] werden als aus [[Interaktion und Kommunikation|kommunikativ]] wirkenden Einheiten zusammengesetzt verstanden, denen zumindest zum Teil selbst wiederum Zeichencharakter zukommt. Eine Komposition aus kommunikativen Elementen, die nicht bereits selber Zeichen sind, wird dabei nicht berücksichtigt.</ref> und durch ein begrenztes Set von Ersetzungsregeln über einer endlichen Menge von Satzkonstituenten als Zwischenstufen („nonterminale Symbole“, etwa ‘Nominalphrase’) aus endlichen vielen Wörtern (im ''mentalen Lexikon'') auf eindeutige Weise unendlich viele Sätze abzuleiten oder zu analysieren gestatten (<bib id='Chomsky 1957a'></bib>; <bib id='Sachs-Hombach 1999a'></bib>). Dagegen ist eine Bildmorphologie im hier verwendeten Sinn an einer syntaktischen Bildkompositionalität anderer Art interessiert: Können Bildträger mithilfe allgemeiner Gruppierungsregeln – etwa analog zu den wesentlich “weicheren”, im geometrischen Kontinuum wirkenden [[Gestalt]]gesetzen – als aus “piktorialen Primitiven” bestehend beschrieben werden, die nicht bereits als Zeichen (Wörter) gelten und aus einer möglicherweise unbegrenzten Grundmenge stammen, wobei auch die Bedingung der Eindeutigkeit der Ableitung abgeschwächt sein könnte? In Analogie zu den Wortbildungsregeln bei extrem [[Morphologie und Syntax#Isolierende, polysynthetische, fusionierende und agglutinierende Sprachsysteme|polysynthetisch-fusionierenden]] Sprachen, ohne dabei aber schon vorauszusetzen, dass eine Anwendung der Unterscheidung zwischen »Satz« und »Wort« auf bildhafte Zeichensysteme sinnvoll sei, müsste eine solche Bildmorphologie der charakteristischen Eigenschaft der [[Syntaktische Dichte|syntaktischen Dichte]] von bildlichen Zeichensystemen gerecht werden.<br />
: <br />
Lässt sich eine solche morphologische Bildkompositionalität einführen, so sind Bilder, obschon ebenfalls komplexe Zeichensysteme, sehr deutlich von Sprachzeichensystemen unterschieden (⊳ [[Ikonische Differenz]]). Ihnen fehlt die Aufgliederung der einzelnen [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche Zeichen|Gesamtzeichenhandlungen]] in partiell unabhängige, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder ungesättigte, d.h. immer Ergänzungen bedürfender Teil''zeichen''handlungen – eben den Wörtern. Insbesondere bleibt dabei offen, ob die Verwendung isolierter syntaktischer Elemente bildhafter Zeichensysteme immer selbst bereits ungesättigte ''Zeichen''handlungen sind.<br />
:<br />
Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als Bildträger'' relevanten physischen Eigenschaften vor allem in der visuell wahrnehmbaren geometrischen Anordnung von Farbflächen finden. In diesem Sinn können die syntaktischen Elemente, in die bei einer [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Betrachtung der Bildsyntax]] der Bildträger zerlegt wird, als piktoriale morphologische Elemente betrachtet werden. Diese sind über ihren Eigenwert hinaus weder notwendiger Weise mit einer bestimmten Bedeutung – einem bestimmten Abbildungswert – aufgeladen, noch kommt ihnen unbedingt eine genau definierte pragmatische Funktion – ein festgelegter Darstellungswert – zu.<br />
<br />
==Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme==<br />
<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb|Abbildung 1: Als Beispiel: Gloria Temarre Petyarre: «Arnkerrthe(Berg-Teufel-Eidechse)-Traum»]]<br />
Kurz gefasst bilden also genau die Entitäten, in die der Bildträger – oder genauer: der durch [[Rahmung, Rahmen|Rahmung]] ausgezeichnete Teil seiner Oberfläche – in der visuellen Wahrnehmung eingeteilt erscheint, das morphologische Repertoire bei Bildern. Psychologisch wird diese Einteilung durch die Gestaltgesetze bestimmt: Sie determinieren, welche Raumstellen als zusammenhängend gesehen werden, und zwar nicht nur im Sinne eines in sich ungeteilten, gleichfarbigen und zusammenhängenden Gebiets, sondern auch im Sinne von Gruppierungen höherer Ordnung, etwa ''Folgen'' von gleichfarbigen Strichen. Dies führt beispielsweise in Abbildung 1 dazu, dass neben den roten, braunen, schwarzen, gelben und weißen Elementargebieten auch die Gruppen von gelb- bzw. weiß-gefassten, dunkel gefüllten Bögen und Balken als zusammengehörige visuelle Gestalten wahrgenommen werden. <br />
:<br />
In ihrem einflussreichen Buch zur Bildsyntax (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>) führt Fernande Saint-Martin als morphologische Basiseinheit die so genannten ‘Coloreme’ ein: <br />
:[A coloreme] ''corresponds to that aggregate of visual variables perceived in the visual representation by the way of an ocular fixation, or focus of the gaze. … A coloreme is defined […] as the zone of the visual linguistic field correlated to a centration of the eye. It is constituted by a mass of energetic matter presenting a given set of visual variables.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 5).<ref>Vgl. hierzu auch den Eintrag ''Kolorem'' im [http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2125 «Lexikon der Filmbegriffe»].</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Kolorem.jpg|thumb|Abbildung 2: Visualisierung eines Colorems nach Saint-Martin (schematische Darstellung): Das das Colorem bestimmende kreisförmige foveale Zentrierungsgebiet ist herausgehoben und vergrößert, der Rest hingegen etwas abgedunkelt dargestellt]]<br />
Saint-Martins Verständnis der Coloreme konzentriert sich offensichtlich auf momentane psychophysische Aspekte: Zu jedem Zeitpunkt kann jeweils nur eine okulare Fixation erfolgen und folglich nur ein Colorem wahrgenommen werden (vgl. Abb. 2). Allerdings soll auf dieser Basis eine „colorematische (oder coloremische) Analyse“ aufbauen, die<br />
<br />
:''describes the transformations which a coloreme undergoes by its interrelations with the other coloremes of its immediate entourage through macular centrations. The analyses proceeds thus at a first regrouping of coloremes through the topological relations which establish the first perceptual construction and structure the energetic exchanges between coloremes.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 194). <br />
<br />
In ihrer Dynamik und direkter Abhängigkeit von den psychophysischen Eigenheiten eines wahrnehmenden Individuums sind Coloreme vor allem theoretische Entitäten. Praktisch schlägt Saint-Martin vor, die Bildfläche in ein regelmäßiges 5*5-Raster aufzuteilen, das als Basis für eine angenäherte Beschreibung der möglichen oder wahrscheinlichen Coloreme dient: Jedes Raster ist wiederum in ein 5*5-Subraster aufgeteilt, das die Gliederung in foveale Zentren und makulare Randbereiche aufgreift (ibid.: S. 197ff). <br />
:<br />
Um nicht zu stark an die recht spezifische Konzeption Saint-Martins gebunden zu sein, empfiehlt es sich allgemeiner, die – letztlich auf einen hypothetischen Normalbetrachter bezogenen – visuellen Gestalten im bildsyntaktischen Zusammenhang zunächst eher strukturalistisch zu betrachten und in Analogie zu dem linguistischen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixeme’ zu bezeichnen. Dabei kann in erster Näherung auch von der Dynamik abgesehen werden, die bei Saint-Martin die morphologische Beschreibung eines Bildträgers erschwert.<ref>In neurophysiologischer Perspektive verschiebt sich dabei der Fokus vom Auge zu den so genannten neuralen Karten des visuellen Kortex oder besser der logischen Struktur der dort enkodierten visuellen Muster.</ref><br />
<br />
<br />
===Pixem-Attribute===<br />
<br />
Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigenschaften der syntakto-morphologischen Elemente bildhafter Zeichen, die häufig auf folgende Weise interpretiert werden (vgl. z.B. <bib id='Dölling 1999a'></bib>): ''Plastische'' Eigenschaften gehören zum [[Material]] des Bildträgers, während andere Eigenschaften ''im Auge des Betrachters'' liegen und von eher visueller also wahrnehmungsabhängiger Art sind. Die geometrischen Formen und ihre topologischen Relationen werden als typische Beispiele für den letzteren Eigenschaftstyp gegeben, während [[Farbwahrnehmung|Farben]] und [[Textur]]en als Beispiele für Eigenschaften des Materials selbst betrachtet werden. Coloreme sind stets Kombinationen von plastischen und visuell-perzeptiven Eigenschaften.<br />
:<br />
Tatsächlich kann auch der allgemeinere Begriff des Pixems logisch analysiert werden in eine rein [[Raum und Geometrie|geometrische ''Basisstruktur'']] einerseits und ein Begriffsfeld von diese Strukturen sichtbar machenden [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie|''Markerdimensionen'']] andererseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehmbar. Erst die Segmentation in zusammengehörige – nämlich gleich markierte – ''Gebiete'' ergibt eine Strukturierung in die räumlichen Elemente eines Ganzen.<ref>Auf den ersten Blick mag dieser Analyse sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit einer grammatischen Struktur im engeren Sinn eignen, wobei der geometrische Kalkül gewissermaßen als Grammatik fungiert und die Regeln zur Ableitung non-terminaler “Satz”-Tiefenstrukturen bereitstellt, während die möglichen Ausprägungen der Markerdimensionen das piktoriale “Lexikon” – die terminalen Symbole – zufügen, die die bildliche Oberflächenstruktur ergibt.</ref> <br />
:<br />
Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geometrie (d.h. Räumlichkeit) und Farbe nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) abhängig von der Differenzierung zwischen Eigenschaften, die zum Material des Bildträgers gehören – und daher als objektive Eigenschaften zu betrachten wären – und Eigenschaften, die vom Betrachter konstruiert werden – und folglich als subjektive Eigenschaften zu bewerten wären.<ref>Es erscheint schon merkwürdig, dass ausgerechnet »Farbe« – gemeinhin als Paradebeispiel für eine ''sekundäre'' Qualität angeführt – bei Saint-Martin zu den objektiven Materialeigenschaften gehört und nicht dem Wahrnehmungsapparat zugeschlagen wird.</ref> Vielmehr können Bildphilosophen über Farben und die Beziehungen zwischen ihnen einerseits und über räumliche Entitäten und die geometrischen oder topologischen Beziehungen zwischen ihnen andererseits diskutieren, ohne dabei die beiden Argumentationen miteinander vermischen zu müssen. Sie können als unabhängig voneinander betrachtet und als von – jedenfalls auf den ersten Blick – autonomen Begriffsfeldern geregelt behandelt werden.<ref>Eben aus diesem Grund ist eine von Farbtheorien unabhängige Geometrie möglich. Zwar kommen in Farbtheorien oft geometrische Begriffe vor (»Farbraum«, »Farbdistanz«, »Farbkörper«), doch sind diese raummetaphorisch gemein und beziehen sich gerade nicht auf die geometrischen Eigenschaften farbiger Gegenstände.</ref> Argumentationen über Pixeme müssen hingegen die Logik der Farben und die Logik des Raums miteinander kombinieren, d.h. in einer begrifflichen Synthese vereinigen. <br />
:<br />
Grundlegende Eigenschaften von Pixemen sind mithin genau die Attribute, die beliebige gefärbte Entitäten der zweidimensionalen Geometrie aufweisen, sowie die Relationen, die sie untereinander einnehmen können. Neben den charakteristischen Eigenschaften geometrischer Entitäten – insbesondere topologische, metrische und direktionale Relationen zwischen ihren Teilen (''Form'') und zu anderen Gebieten (''Lage'') – und den etwa durch Farbton, Helligkeit und Sättigung näher bestimmten Farbmarkierungen im engeren Sinn<ref>Zu beach&shy;ten ist aller&shy;dings, dass die Dimen&shy;sionen »Farb&shy;ton«, »Hellig&shy;keit« und »Sätti&shy;gung« zur Charak&shy;teri&shy;sierung eines pikto&shy;rialen Marker&shy;werts nicht abso&shy;lut gesehen werden können, sondern in starker Weise von ihrer Umge&shy;bung abhängen: sowohl Beleuchtung (objektiv) als auch die Farben der umgebenden Pixeme (subjektiv) beeinflussen die Wahrnehmung von Farbe.</ref> können auch homogene Farbverläufe oder spezielle Farbvariationen – Texturen – als Attribute höherer Ordnung relevant sein. Zudem treten Wechselwirklungen auf, die sich aus der räumlichen Anordnung verschiedener Farben zueinander ergeben, vor allem Kontrast-Effekte.<br />
<br />
===Kombinationen von Pixemen, Maximalpixem===<br />
<br />
Da die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine morphologische Analyse von Bildern irrelevant ist, können auch Zusammensetzungen aus mehreren Pixemen ohne weiteres wieder als Pixeme betrachtet werden: Die Morphologie von Bildern besteht damit aus Teil-Ganzes-Ordnungen von Pixemen, die sich zwischen dem Bildganzen – als Maximalpixem – und den als minimal betrachteten Gebieten mit jeweils nur einer einzigen homogenen Markerbelegung in meist mehreren Stufen aufspannen. <br />
:<br />
Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Markerbelegung im oben erwähnten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-pikturale Substruktur. So bilden beispielsweise in Abbildung 1 die mittig angeordneten bandförmigen, braun gefüllt und gelb umrandeten Pixeme ein säulenartiges komplexes Pixem höherer Ordnung. Seine geometrische Basisstruktur wird nicht einfach durch Farb- oder Texturwerte, sondern gerade durch die es konstituierenden Pixeme niederer Ordnung markiert.<br />
:<br />
Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morphologischen Struktur einem Bildträger gleichen, sind sie noch nicht ohne weiteres als Bildträger zu verwenden. Das liegt insbesondere an zwei zusammenhängenden Faktoren:<br />
* a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden Pixeme jeweils ''[[Figur/Grund-Differenzierung|Figuren]]'': der Hintergrund, vor dem sie als solche unausweichlich betrachtet werden, gehört entsprechend nicht zu ihnen. Im oben erwähnten Beispiel sind die die gelb-braunen Bänder umschließenden roten Bereiche nicht eingeschlossen. Obwohl durch die Pixem-Segmentierung prinzipiell in eine Vielfalt von Figur-Grund-Paaren zerlegbar, gilt doch für den Bildträger, dass er insgesamt nur in ''einer'' Hinsicht Figur ist, nämlich vor dem Rahmen. Das gilt unter allen beteiligten Pixemen nur für das Maximalpixem und hat dort eine besondere Wirkung.<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts|Abbildung 3: Pixem-Ausschnitt als Bild]]<br />
* b) Die ''[[Rahmung, Rahmen|Rahmung]]'' des Maximalpixems setzt letzteres nämlich in den Verwendungszusammenhang, der diese Figur als Ganze zu einer Zeichenmarke in einer Zeichenhandlung macht, d.h.: zu einem Bildträger. Natürlich ist es prinzipiell durchaus möglich, diese ''Rahmungshandlung'' auch bei jedem der Pixeme niederer Ordnung zu vollziehen, sie also als separierte Bildträger (und damit als andere Bilder) zu betrachten. Doch bleiben bei einem solchen Vorgehen die pragmatischen und semantischen Bezüge nicht erhalten:<ref>Eine Ausnahme zu dieser Regel dürften diejenigen Pixeme bilden, die abbildungswertlich als Bild im Bild interpretiert werden. Deren pragmatische und semantische Relationen sind dann allerdings in die Szene des [[Theorien des Bildraums|Bildraumes]] verschoben.</ref> Schnitte man eines der gelb-umrandeten, braun gefüllten Bänder aus dem Mittelteil von Abb. 1 aus und montierte es alleine auf den Hintergrund einer neutral gefärbten Fläche (oder auch freischwebend im Raum), so kann man das Resultat durchaus als ein Bild mit etwas ungewöhnlich gewölbtem Rand (also eine Rahmung ohne expliziten Rahmen) begreifen (Abb. 3). Verwendungszusammenhänge und Bedeutungszuschreibungen dieses Bildes hängen indes bestenfalls sehr locker mit denen von Abbildung 1 zusammen. <br />
<br />
===Pixem-bildende Operationen===<br />
<br />
Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elementaren Pixem-Attribute zurück. Begründet in den psychophysiologischen Wahrnehmungsmechanismen, laufen sie in der Regel unbewußt ab. Dabei sind besonders zwei gegenläufige Aspekte wichtig: ''Kontrastverstärkung'' und ''Gestaltbildung''.<br />
:<br />
Die Konstitution von Pixemen bei der Betrachtung eines Bildträgers ist – als Variante der Segmentierung beim [[Sehen]] ganz allgemein – stark kontextsensitiv: So führen lokal wirksame kontrastverstärkende Komponenten des Wahrnehmungsapparates zu Grenzen zwischen als einheitlich wahrgenommenen Gebieten. Bemerkbar werden diese Operationen vor allem dann, wenn sie zu Täuschungen, d.h. zu zusätzlichen Pixemen (bzw. allgemeiner: Wahrnehmungssegmenten<ref>Der Hinweis auf den möglichen Unterschied zwischen visueller Wahrnehmung ganz allgemein und [[Bildwahrnehmung]] im Besonderen ist im Zusammenhang mit “optischen” Täuschungen (⊳ [[Wahrnehmungsillusion]]) durchaus erwähnenswert, finden doch die psychologischen Tests etwa zur Kontrasttäuschung wie auch die Experimente zur Gestaltbildung in der Regel mithilfe von Bildmaterial statt, während die Schlußfolgerungen daraus sich auf die visuelle Wahrnehmung ganz unabhängig von Bildern beziehen sollen. </ref>) führen, etwa bei der Kontrasttäuschung.<ref>Ein gut präsentiertes Beispiel der Kontrasttäuschung findet sich auf der folgenden Seite: [http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/optische-taeuschung-rauten-helligkeit.php Kontrasttäuschung bei sehtestbilder.de].</ref><br />
:<br />
Die Mechanismen der Kontrastverstärkung unterstützen andererseits das Zusammenfassen homogener Gebiete durch [[Gestalt|Gestaltbildung]] im Sinne der Gestaltgesetze. Deren unbewußtes Wirken bestimmt die wahrgenommenen Teil-Ganzes-Hierarchien der zusammengesetzen Pixeme. Das Wechselspiel von Grenzziehung durch Kontrastverstärkung und Integration gemäß der Gestaltgesetze führt letztlich zur Konstitution einer bildmorphologischen (Normal-)Struktur zwischen Maximalpixem und elementaren Gebieten, die allerdings bei der alltäglichen Bildwahrnehmung bereits beim Aufbau sehr stark von semantischen und pragmatischen Randbedingungen determiniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestaltungslehrbücher stets besonders hervor, dass “das Auge” in der ''gestalterischen Sehweise'' geschult werden müsse, die gerade von solchen Einflüssen absieht und letztlich einen rein eigenwertlichen Zugang zur Bildmorphologie erreichen will (etwa <bib id='Klee 1956a'></bib>).<br />
<br />
==Anwendungen==<br />
[[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb|Abbildung 4: Ergebnis einer automatischen Segmentierung: Texturbasierte Pixembildung. Rechts sind die gefundenen Pixeme farblich markiert dargestellt.]]<br />
Das algorithmische Nachbilden pixem-bildender Operationen führt zur Möglichkeit bildmorphologischer Analysen in der Computervisualistik und bildt einen zentralen Bestandteil der [[Bildverarbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]]: Auf informatische Kodierungen ([[Notation|Notationen]]) von Bildträgern können entsprechende ''Segmentierungsverfahren'' programmiert werden, die (in der entsprechenden Literatur oft als ‘Objekte’ bezeichnete) Pixeme zu bestimmen erlauben (Abb. 4). Hierbei werden vor allem die Gestaltgesetze der Nähe, Ähnlichkeit und Guten Kontinuität über den Farb- und Texturmarkern operationalisiert. <br />
:<br />
Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwissenschaft auf diese Weise ein Set von technischen Standardwerkzeugen zur morphologischen Bildanalyse bereitzustellen. Dies ist insbesondere sinnvoll, insofern die Pixem-Komposition des Bildträgers, wie oben erwähnt, auf einen theoretisch vorausgesetzten ''Normalbetrachter'' bezogen werden muss. Zu bedenken bleibt dabei allerdings, dass die menschliche Wahrnehmung von Bildern, wie u.a. von Saint Martin beschrieben, neben den möglichen individuellen Abweichungen vom Normalbetrachter auch ''dynamische'' Aspekte umfasst, die durch eine solche rein strukturelle Analyse ebenfalls ausgeblendet bleiben.<br />
:<br />
Auf begrifflicher Ebene erlaubt die Synthese der bildlichen Morphosyntax aus geometrischem Basiskalkül und dem Begriffsfeld der farblichen Markerwerte schließlich, eine lange gehegte Vermutung zu widerlegen: dass nämlich der Begriff der syntaktischen (Nicht-)Wohlgeformtheit auf Bilder überhaupt nicht anzuwenden wäre (vgl. <bib id='Plümacher 1999a'></bib>). Da durch Beschädigungen des Bildträgers die geometrische Basisstruktur des Maximalpixems gestört werden kann, ist der Begriff eines [[syntaktisch unkorrekte Bilder|syntaktisch unkorrekten Bildes]] sehr wohl sinnvoll.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Bildgrammatik]]<br />
* [[Bildwahrnehmung]]<br />
* [[Bildverarbeitung, digitale]] <br />
* [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie]]<br />
* [[Farbwahrnehmung]]<br />
* [[Ikonische Differenz]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Identitätskriterien für Bildträger]]<br />
* [[Komposition]]<br />
* [[Morphologie und Syntax]]<br />
* [[Notation]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Raum und Geometrie]]<br />
* [[Sehen]] <br />
* [[Syntaktisch unkorrekte Bilder]]<br />
* [[Theorien des Bildraums]]<br />
* [[Textur]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
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<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, J.R.J.]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildmorphologie&diff=18319Bildmorphologie2013-11-14T16:42:50Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme */</p>
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<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildsyntax]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildsyntax]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einordnung der Bildmorphologie==<br />
Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allgemeinen nicht mit einer spezifischen, von ‘[[Bildgrammatik]]’ oder ‘[[Komposition|Bildkomposition]]’ verschiedenen Bedeutung gebraucht. Angesprochen wird mit all diesen Termini eine analytische Betrachtung des [[Bildobjekt / Bildträger|Bildträgers]] als zusammengesetzt aus für die Bildfunktion relevanten, im wesentlichen durch visuell wahrnehmbare Eigenschaften bestimmten Teilen, die auch in anderen Bildträgern, die sich durch die Zusammenstellung der Teile unterscheiden, Verwendung finden können. Es ist die Zusammenstellung der Teile zu einem Ganzen, die zusammen mit anderen ([[Pragmatik, Semantik, Syntax|nicht-syntaktischen]]) Faktoren die [[Identitätskriterien für Bildträger|(Typ-) Identität des Bildträgers]] und damit letztlich auch die möglichen Verwendungen des Bildträgers als Bild determiniert.<br />
:<br />
Allerdings legt es die Unterscheidung von im engeren Sinne grammatischen gegenüber morphologischen Aspekten bei der Betrachtung von Sprache (⊳ [[Morphologie und Syntax]]) nahe, den Ausdruck ‘Bildmorphologie’ mit einem spezifischeren Sinn aufzuladen und ihn so von der Bildgrammatik (die eben damit zu einer ''Bildgrammatik im engeren Sinn'' wird) abzuheben. Die Bildgrammatik im engeren Sinn versucht vor allem syntaktische Kompositionalität bei Bildern im Sinne der formalen (Chomsky-) Grammatiken nachzuweisen, die die Unterscheidung von »Satz« und »Wort« voraussetzen<ref>Das bedeutet: Die [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen dieser Zeichensysteme]] werden als aus [[Interaktion und Kommunikation|kommunikativ]] wirkenden Einheiten zusammengesetzt verstanden, denen zumindest zum Teil selbst wiederum Zeichencharakter zukommt. Eine Komposition aus kommunikativen Elementen, die nicht bereits selber Zeichen sind, wird dabei nicht berücksichtigt.</ref> und durch ein begrenztes Set von Ersetzungsregeln über einer endlichen Menge von Satzkonstituenten als Zwischenstufen („nonterminale Symbole“, etwa ‘Nominalphrase’) aus endlichen vielen Wörtern (im ''mentalen Lexikon'') auf eindeutige Weise unendlich viele Sätze abzuleiten oder zu analysieren gestatten (<bib id='Chomsky 1957a'></bib>). Dagegen ist eine Bildmorphologie im hier verwendeten Sinn an einer syntaktischen Bildkompositionalität anderer Art interessiert: Können Bildträger mithilfe allgemeiner Gruppierungsregeln – etwa analog zu den wesentlich “weicheren”, im geometrischen Kontinuum wirkenden [[Gestalt]]gesetzen – als aus “piktorialen Primitiven” bestehend beschrieben werden, die nicht bereits als Zeichen (Wörter) begriffen werden und aus einer möglicherweise unbegrenzten Grundmenge stammen, wobei auch die Bedingung der Eindeutigkeit der Ableitung abgeschwächt sein könnte? In Analogie zu den Wortbildungsregeln bei extrem [[Morphologie und Syntax#Isolierende, polysynthetische, fusionierende und agglutinierende Sprachsysteme|polysynthetisch-fusionierenden]] Sprachen, ohne dabei aber schon vorauszusetzen, dass eine Anwendung der Unterscheidung zwischen »Satz« und »Wort« auf bildhafte Zeichensysteme sinnvoll sei, müsste eine solche Bildmorphologie der charakteristischen Eigenschaft der [[Syntaktische Dichte|syntaktischen Dichte]] von bildlichen Zeichensystemen gerecht werden.<br />
: <br />
Besitzen Bilder syntaktische Dichte, so sind sie, obschon ebenfalls komplexe Zeichensysteme, sehr deutlich von Sprachzeichensystemen unterschieden (⊳ [[Ikonische Differenz]]). Ihnen fehlt die Aufgliederung der einzelnen [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche Zeichen|Gesamtzeichenhandlungen]] in partiell unabhängige, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder ungesättigte, d.h. immer Ergänzungen bedürfender Teil''zeichen''handlungen – eben den Wörtern. Insbesondere bleibt dabei offen, ob die Verwendung isolierter syntaktischer Elemente bildhafter Zeichensysteme immer selbst bereits ungesättigte ''Zeichen''handlungen sind.<br />
:<br />
Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als Bildträger'' relevanten physischen Eigenschaften vor allem in der visuell wahrnehmbaren geometrischen Anordnung von Farbflächen finden. In diesem Sinn können die syntaktischen Elemente, in die bei einer [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Betrachtung der Bildsyntax]] der Bildträger zerlegt wird, als piktoriale morphologische Elemente betrachtet werden. Diese sind über ihren Eigenwert hinaus weder notwendiger Weise mit einer bestimmten Bedeutung – einem bestimmten Abbildungswert – aufgeladen, noch kommt ihnen unbedingt eine genau definierte pragmatische Funktion – ein festgelegter Darstellungswert – zu.<br />
<br />
==Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme==<br />
<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb|Abbildung 1: Als Beispiel: Gloria Temarre Petyarre: «Arnkerrthe(Berg-Teufel-Eidechse)-Traum»]]<br />
Kurz gefasst bilden also genau die Entitäten, in die der Bildträger – oder genauer: der durch [[Rahmung, Rahmen|Rahmung]] ausgezeichnete Teil seiner Oberfläche – in der visuellen Wahrnehmung eingeteilt erscheint, das morphologische Repertoire bei Bildern. Psychologisch wird diese Einteilung durch die Gestaltgesetze bestimmt: Sie determinieren, welche Raumstellen als zusammenhängend gesehen werden, und zwar nicht nur im Sinne eines in sich ungeteilten, gleichfarbigen und zusammenhängenden Gebiets, sondern auch im Sinne von Gruppierungen höherer Ordnung, etwa ''Folgen'' von gleichfarbigen Strichen. Dies führt beispielsweise in Abbildung 1 dazu, dass neben den roten, braunen, schwarzen, gelben und weißen Elementargebieten auch die Gruppen von gelb- bzw. weiß-gefassten, dunkel gefüllten Bögen und Balken als zusammengehörige visuelle Gestalten wahrgenommen werden. <br />
:<br />
In ihrem einflussreichen Buch zur Bildsyntax (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>) führt Fernande Saint-Martin als morphologische Basiseinheit die so genannten ‘Coloreme’ ein: <br />
:[A coloreme] ''corresponds to that aggregate of visual variables perceived in the visual representation by the way of an ocular fixation, or focus of the gaze. … A coloreme is defined […] as the zone of the visual linguistic field correlated to a centration of the eye. It is constituted by a mass of energetic matter presenting a given set of visual variables.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 5).<ref>Vgl. hierzu auch den Eintrag ''Kolorem'' im [http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2125 «Lexikon der Filmbegriffe»].</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Kolorem.jpg|thumb|Abbildung 2: Visualisierung eines Colorems nach Saint-Martin (schematische Darstellung): Das das Colorem bestimmende kreisförmige foveale Zentrierungsgebiet ist herausgehoben und vergrößert, der Rest hingegen etwas abgedunkelt dargestellt]]<br />
Saint-Martins Verständnis der Coloreme konzentriert sich offensichtlich auf momentane psychophysische Aspekte: Zu jedem Zeitpunkt kann jeweils nur eine okulare Fixation erfolgen und folglich nur ein Colorem wahrgenommen werden (vgl. Abb. 2). Allerdings soll auf dieser Basis eine „colorematische (oder coloremische) Analyse“ aufbauen, die<br />
<br />
:''describes the transformations which a coloreme undergoes by its interrelations with the other coloremes of its immediate entourage through macular centrations. The analyses proceeds thus at a first regrouping of coloremes through the topological relations which establish the first perceptual construction and structure the energetic exchanges between coloremes.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 194). <br />
<br />
In ihrer Dynamik und direkter Abhängigkeit von den psychophysischen Eigenheiten eines wahrnehmenden Individuums sind Coloreme vor allem theoretische Entitäten. Praktisch schlägt Saint-Martin vor, die Bildfläche in ein regelmäßiges 5*5-Raster aufzuteilen, das als Basis für eine angenäherte Beschreibung der möglichen oder wahrscheinlichen Coloreme dient: Jedes Raster ist wiederum in ein 5*5-Subraster aufgeteilt, das die Gliederung in foveale Zentren und makulare Randbereiche aufgreift (ibid.: S. 197ff). <br />
:<br />
Um nicht zu stark an die recht spezifische Konzeption Saint-Martins gebunden zu sein, empfiehlt es sich allgemeiner, die – letztlich auf einen hypothetischen Normalbetrachter bezogenen – visuellen Gestalten im bildsyntaktischen Zusammenhang zunächst eher strukturalistisch zu betrachten und in Analogie zu dem linguistischen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixeme’ zu bezeichnen. Dabei kann in erster Näherung auch von der Dynamik abgesehen werden, die bei Saint-Martin die morphologische Beschreibung eines Bildträgers erschwert.<ref>In neurophysiologischer Perspektive verschiebt sich dabei der Fokus vom Auge zu den so genannten neuralen Karten des visuellen Kortex oder besser der logischen Struktur der dort enkodierten visuellen Muster.</ref><br />
<br />
<br />
===Pixem-Attribute===<br />
<br />
Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigenschaften der syntakto-morphologischen Elemente bildhafter Zeichen, die häufig auf folgende Weise interpretiert werden (vgl. z.B. <bib id='Dölling 1999a'></bib>): ''Plastische'' Eigenschaften gehören zum [[Material]] des Bildträgers, während andere Eigenschaften ''im Auge des Betrachters'' liegen und von eher visueller also wahrnehmungsabhängiger Art sind. Die geometrischen Formen und ihre topologischen Relationen werden als typische Beispiele für den letzteren Eigenschaftstyp gegeben, während [[Farbwahrnehmung|Farben]] und [[Textur]]en als Beispiele für Eigenschaften des Materials selbst betrachtet werden. Coloreme sind stets Kombinationen von plastischen und visuell-perzeptiven Eigenschaften.<br />
:<br />
Tatsächlich kann auch der allgemeinere Begriff des Pixems logisch analysiert werden in eine rein [[Raum und Geometrie|geometrische ''Basisstruktur'']] einerseits und ein Begriffsfeld von diese Strukturen sichtbar machenden [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie|''Markerdimensionen'']] andererseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehmbar. Erst die Segmentation in zusammengehörige – nämlich gleich markierte – ''Gebiete'' ergibt eine Strukturierung in die räumlichen Elemente eines Ganzen.<ref>Auf den ersten Blick mag dieser Analyse sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit einer grammatischen Struktur im engeren Sinn eignen, wobei der geometrische Kalkül gewissermaßen als Grammatik fungiert und die Regeln zur Ableitung non-terminaler “Satz”-Tiefenstrukturen bereitstellt, während die möglichen Ausprägungen der Markerdimensionen das piktoriale “Lexikon” – die terminalen Symbole – zufügen, die die bildliche Oberflächenstruktur ergibt.</ref> <br />
:<br />
Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geometrie (d.h. Räumlichkeit) und Farbe nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) abhängig von der Differenzierung zwischen Eigenschaften, die zum Material des Bildträgers gehören – und daher als objektive Eigenschaften zu betrachten wären – und Eigenschaften, die vom Betrachter konstruiert werden – und folglich als subjektive Eigenschaften zu bewerten wären.<ref>Es erscheint schon merkwürdig, dass ausgerechnet »Farbe« – gemeinhin als Paradebeispiel für eine ''sekundäre'' Qualität angeführt – bei Saint-Martin zu den objektiven Materialeigenschaften gehört und nicht dem Wahrnehmungsapparat zugeschlagen wird.</ref> Vielmehr können Bildphilosophen über Farben und die Beziehungen zwischen ihnen einerseits und über räumliche Entitäten und die geometrischen oder topologischen Beziehungen zwischen ihnen andererseits diskutieren, ohne dabei die beiden Argumentationen miteinander vermischen zu müssen. Sie können als unabhängig voneinander betrachtet und als von – jedenfalls auf den ersten Blick – autonomen Begriffsfeldern geregelt behandelt werden.<ref>Eben aus diesem Grund ist eine von Farbtheorien unabhängige Geometrie möglich. Zwar kommen in Farbtheorien oft geometrische Begriffe vor (»Farbraum«, »Farbdistanz«, »Farbkörper«), doch sind diese raummetaphorisch gemein und beziehen sich gerade nicht auf die geometrischen Eigenschaften farbiger Gegenstände.</ref> Argumentationen über Pixeme müssen hingegen die Logik der Farben und die Logik des Raums miteinander kombinieren, d.h. in einer begrifflichen Synthese vereinigen. <br />
:<br />
Grundlegende Eigenschaften von Pixemen sind mithin genau die Attribute, die beliebige gefärbte Entitäten der zweidimensionalen Geometrie aufweisen, sowie die Relationen, die sie untereinander einnehmen können. Neben den charakteristischen Eigenschaften geometrischer Entitäten – insbesondere topologische, metrische und direktionale Relationen zwischen ihren Teilen (''Form'') und zu anderen Gebieten (''Lage'') – und den etwa durch Farbton, Helligkeit und Sättigung näher bestimmten Farbmarkierungen im engeren Sinn<ref>Zu beach&shy;ten ist aller&shy;dings, dass die Dimen&shy;sionen »Farb&shy;ton«, »Hellig&shy;keit« und »Sätti&shy;gung« zur Charak&shy;teri&shy;sierung eines pikto&shy;rialen Marker&shy;werts nicht abso&shy;lut gesehen werden können, sondern in starker Weise von ihrer Umge&shy;bung abhängen: sowohl Beleuchtung (objektiv) als auch die Farben der umgebenden Pixeme (subjektiv) beeinflussen die Wahrnehmung von Farbe.</ref> können auch homogene Farbverläufe oder spezielle Farbvariationen – Texturen – als Attribute höherer Ordnung relevant sein. Zudem treten Wechselwirklungen auf, die sich aus der räumlichen Anordnung verschiedener Farben zueinander ergeben, vor allem Kontrast-Effekte.<br />
<br />
===Kombinationen von Pixemen, Maximalpixem===<br />
<br />
Da die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine morphologische Analyse von Bildern irrelevant ist, können auch Zusammensetzungen aus mehreren Pixemen ohne weiteres wieder als Pixeme betrachtet werden: Die Morphologie von Bildern besteht damit aus Teil-Ganzes-Ordnungen von Pixemen, die sich zwischen dem Bildganzen – als Maximalpixem – und den als minimal betrachteten Gebieten mit jeweils nur einer einzigen homogenen Markerbelegung in meist mehreren Stufen aufspannen. <br />
:<br />
Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Markerbelegung im oben erwähnten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-pikturale Substruktur. So bilden beispielsweise in Abbildung 1 die mittig angeordneten bandförmigen, braun gefüllt und gelb umrandeten Pixeme ein säulenartiges komplexes Pixem höherer Ordnung. Seine geometrische Basisstruktur wird nicht einfach durch Farb- oder Texturwerte, sondern gerade durch die es konstituierenden Pixeme niederer Ordnung markiert.<br />
:<br />
Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morphologischen Struktur einem Bildträger gleichen, sind sie noch nicht ohne weiteres als Bildträger zu verwenden. Das liegt insbesondere an zwei zusammenhängenden Faktoren:<br />
* a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden Pixeme jeweils ''[[Figur/Grund-Differenzierung|Figuren]]'': der Hintergrund, vor dem sie als solche unausweichlich betrachtet werden, gehört entsprechend nicht zu ihnen. Im oben erwähnten Beispiel sind die die gelb-braunen Bänder umschließenden roten Bereiche nicht eingeschlossen. Obwohl durch die Pixem-Segmentierung prinzipiell in eine Vielfalt von Figur-Grund-Paaren zerlegbar, gilt doch für den Bildträger, dass er insgesamt nur in ''einer'' Hinsicht Figur ist, nämlich vor dem Rahmen. Das gilt unter allen beteiligten Pixemen nur für das Maximalpixem und hat dort eine besondere Wirkung.<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts|Abbildung 3: Pixem-Ausschnitt als Bild]]<br />
* b) Die ''[[Rahmung, Rahmen|Rahmung]]'' des Maximalpixems setzt letzteres nämlich in den Verwendungszusammenhang, der diese Figur als Ganze zu einer Zeichenmarke in einer Zeichenhandlung macht, d.h.: zu einem Bildträger. Natürlich ist es prinzipiell durchaus möglich, diese ''Rahmungshandlung'' auch bei jedem der Pixeme niederer Ordnung zu vollziehen, sie also als separierte Bildträger (und damit als andere Bilder) zu betrachten. Doch bleiben bei einem solchen Vorgehen die pragmatischen und semantischen Bezüge nicht erhalten:<ref>Eine Ausnahme zu dieser Regel dürften diejenigen Pixeme bilden, die abbildungswertlich als Bild im Bild interpretiert werden. Deren pragmatische und semantische Relationen sind dann allerdings in die Szene des [[Theorien des Bildraums|Bildraumes]] verschoben.</ref> Schnitte man eines der gelb-umrandeten, braun gefüllten Bänder aus dem Mittelteil von Abb. 1 aus und montierte es alleine auf den Hintergrund einer neutral gefärbten Fläche (oder auch freischwebend im Raum), so kann man das Resultat durchaus als ein Bild mit etwas ungewöhnlich gewölbtem Rand (also eine Rahmung ohne expliziten Rahmen) begreifen (Abb. 3). Verwendungszusammenhänge und Bedeutungszuschreibungen dieses Bildes hängen indes bestenfalls sehr locker mit denen von Abbildung 1 zusammen. <br />
<br />
===Pixem-bildende Operationen===<br />
<br />
Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elementaren Pixem-Attribute zurück. Begründet in den psychophysiologischen Wahrnehmungsmechanismen, laufen sie in der Regel unbewußt ab. Dabei sind besonders zwei gegenläufige Aspekte wichtig: ''Kontrastverstärkung'' und ''Gestaltbildung''.<br />
:<br />
Die Konstitution von Pixemen bei der Betrachtung eines Bildträgers ist – als Variante der Segmentierung beim [[Sehen]] ganz allgemein – stark kontextsensitiv: So führen lokal wirksame kontrastverstärkende Komponenten des Wahrnehmungsapparates zu Grenzen zwischen als einheitlich wahrgenommenen Gebieten. Bemerkbar werden diese Operationen vor allem dann, wenn sie zu Täuschungen, d.h. zu zusätzlichen Pixemen (bzw. allgemeiner: Wahrnehmungssegmenten<ref>Der Hinweis auf den möglichen Unterschied zwischen visueller Wahrnehmung ganz allgemein und [[Bildwahrnehmung]] im Besonderen ist im Zusammenhang mit “optischen” Täuschungen (⊳ [[Wahrnehmungsillusion]]) durchaus erwähnenswert, finden doch die psychologischen Tests etwa zur Kontrasttäuschung wie auch die Experimente zur Gestaltbildung in der Regel mithilfe von Bildmaterial statt, während die Schlußfolgerungen daraus sich auf die visuelle Wahrnehmung ganz unabhängig von Bildern beziehen sollen. </ref>) führen, etwa bei der Kontrasttäuschung.<ref>Ein gut präsentiertes Beispiel der Kontrasttäuschung findet sich auf der folgenden Seite: [http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/optische-taeuschung-rauten-helligkeit.php Kontrasttäuschung bei sehtestbilder.de].</ref><br />
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Die Mechanismen der Kontrastverstärkung unterstützen andererseits das Zusammenfassen homogener Gebiete durch [[Gestalt|Gestaltbildung]] im Sinne der Gestaltgesetze. Deren unbewußtes Wirken bestimmt die wahrgenommenen Teil-Ganzes-Hierarchien der zusammengesetzen Pixeme. Das Wechselspiel von Grenzziehung durch Kontrastverstärkung und Integration gemäß der Gestaltgesetze führt letztlich zur Konstitution einer bildmorphologischen (Normal-)Struktur zwischen Maximalpixem und elementaren Gebieten, die allerdings bei der alltäglichen Bildwahrnehmung bereits beim Aufbau sehr stark von semantischen und pragmatischen Randbedingungen determiniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestaltungslehrbücher stets besonders hervor, dass “das Auge” in der ''gestalterischen Sehweise'' geschult werden müsse, die gerade von solchen Einflüssen absieht und letztlich einen rein eigenwertlichen Zugang zur Bildmorphologie erreichen will (etwa <bib id='Klee 1956a'></bib>).<br />
<br />
==Anwendungen==<br />
[[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb|Abbildung 4: Ergebnis einer automatischen Segmentierung: Texturbasierte Pixembildung. Rechts sind die gefundenen Pixeme farblich markiert dargestellt.]]<br />
Das algorithmische Nachbilden pixem-bildender Operationen führt zur Möglichkeit bildmorphologischer Analysen in der Computervisualistik und bildt einen zentralen Bestandteil der [[Bildverarbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]]: Auf informatische Kodierungen ([[Notation|Notationen]]) von Bildträgern können entsprechende ''Segmentierungsverfahren'' programmiert werden, die (in der entsprechenden Literatur oft als ‘Objekte’ bezeichnete) Pixeme zu bestimmen erlauben (Abb. 4). Hierbei werden vor allem die Gestaltgesetze der Nähe, Ähnlichkeit und Guten Kontinuität über den Farb- und Texturmarkern operationalisiert. <br />
:<br />
Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwissenschaft auf diese Weise ein Set von technischen Standardwerkzeugen zur morphologischen Bildanalyse bereitzustellen. Dies ist insbesondere sinnvoll, insofern die Pixem-Komposition des Bildträgers, wie oben erwähnt, auf einen theoretisch vorausgesetzten ''Normalbetrachter'' bezogen werden muss. Zu bedenken bleibt dabei allerdings, dass die menschliche Wahrnehmung von Bildern, wie u.a. von Saint Martin beschrieben, neben den möglichen individuellen Abweichungen vom Normalbetrachter auch ''dynamische'' Aspekte umfasst, die durch eine solche rein strukturelle Analyse ebenfalls ausgeblendet bleiben.<br />
:<br />
Auf begrifflicher Ebene erlaubt die Synthese der bildlichen Morphosyntax aus geometrischem Basiskalkül und dem Begriffsfeld der farblichen Markerwerte schließlich, eine lange gehegte Vermutung zu widerlegen: dass nämlich der Begriff der syntaktischen (Nicht-)Wohlgeformtheit auf Bilder überhaupt nicht anzuwenden wäre (vgl. <bib id='Plümacher 1999a'></bib>). Da durch Beschädigungen des Bildträgers die geometrische Basisstruktur des Maximalpixems gestört werden kann, ist der Begriff eines [[syntaktisch unkorrekte Bilder|syntaktisch unkorrekten Bildes]] sehr wohl sinnvoll.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Bildgrammatik]]<br />
* [[Bildwahrnehmung]]<br />
* [[Bildverarbeitung, digitale]] <br />
* [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie]]<br />
* [[Farbwahrnehmung]]<br />
* [[Ikonische Differenz]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Identitätskriterien für Bildträger]]<br />
* [[Komposition]]<br />
* [[Morphologie und Syntax]]<br />
* [[Notation]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Raum und Geometrie]]<br />
* [[Sehen]] <br />
* [[Syntaktisch unkorrekte Bilder]]<br />
* [[Theorien des Bildraums]]<br />
* [[Textur]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, J.R.J.]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildmorphologie&diff=18317Bildmorphologie2013-11-14T16:41:12Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildsyntax]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildsyntax]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einordnung der Bildmorphologie==<br />
Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allgemeinen nicht mit einer spezifischen, von ‘[[Bildgrammatik]]’ oder ‘[[Komposition|Bildkomposition]]’ verschiedenen Bedeutung gebraucht. Angesprochen wird mit all diesen Termini eine analytische Betrachtung des [[Bildobjekt / Bildträger|Bildträgers]] als zusammengesetzt aus für die Bildfunktion relevanten, im wesentlichen durch visuell wahrnehmbare Eigenschaften bestimmten Teilen, die auch in anderen Bildträgern, die sich durch die Zusammenstellung der Teile unterscheiden, Verwendung finden können. Es ist die Zusammenstellung der Teile zu einem Ganzen, die zusammen mit anderen ([[Pragmatik, Semantik, Syntax|nicht-syntaktischen]]) Faktoren die [[Identitätskriterien für Bildträger|(Typ-) Identität des Bildträgers]] und damit letztlich auch die möglichen Verwendungen des Bildträgers als Bild determiniert.<br />
:<br />
Allerdings legt es die Unterscheidung von im engeren Sinne grammatischen gegenüber morphologischen Aspekten bei der Betrachtung von Sprache (⊳ [[Morphologie und Syntax]]) nahe, den Ausdruck ‘Bildmorphologie’ mit einem spezifischeren Sinn aufzuladen und ihn so von der Bildgrammatik (die eben damit zu einer ''Bildgrammatik im engeren Sinn'' wird) abzuheben. Die Bildgrammatik im engeren Sinn versucht vor allem syntaktische Kompositionalität bei Bildern im Sinne der formalen (Chomsky-) Grammatiken nachzuweisen, die die Unterscheidung von »Satz« und »Wort« voraussetzen<ref>Das bedeutet: Die [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen dieser Zeichensysteme]] werden als aus [[Interaktion und Kommunikation|kommunikativ]] wirkenden Einheiten zusammengesetzt verstanden, denen zumindest zum Teil selbst wiederum Zeichencharakter zukommt. Eine Komposition aus kommunikativen Elementen, die nicht bereits selber Zeichen sind, wird dabei nicht berücksichtigt.</ref> und durch ein begrenztes Set von Ersetzungsregeln über einer endlichen Menge von Satzkonstituenten als Zwischenstufen („nonterminale Symbole“, etwa ‘Nominalphrase’) aus endlichen vielen Wörtern (im ''mentalen Lexikon'') auf eindeutige Weise unendlich viele Sätze abzuleiten oder zu analysieren gestatten (<bib id='Chomsky 1957a'></bib>). Dagegen ist eine Bildmorphologie im hier verwendeten Sinn an einer syntaktischen Bildkompositionalität anderer Art interessiert: Können Bildträger mithilfe allgemeiner Gruppierungsregeln – etwa analog zu den wesentlich “weicheren”, im geometrischen Kontinuum wirkenden [[Gestalt]]gesetzen – als aus “piktorialen Primitiven” bestehend beschrieben werden, die nicht bereits als Zeichen (Wörter) begriffen werden und aus einer möglicherweise unbegrenzten Grundmenge stammen, wobei auch die Bedingung der Eindeutigkeit der Ableitung abgeschwächt sein könnte? In Analogie zu den Wortbildungsregeln bei extrem [[Morphologie und Syntax#Isolierende, polysynthetische, fusionierende und agglutinierende Sprachsysteme|polysynthetisch-fusionierenden]] Sprachen, ohne dabei aber schon vorauszusetzen, dass eine Anwendung der Unterscheidung zwischen »Satz« und »Wort« auf bildhafte Zeichensysteme sinnvoll sei, müsste eine solche Bildmorphologie der charakteristischen Eigenschaft der [[Syntaktische Dichte|syntaktischen Dichte]] von bildlichen Zeichensystemen gerecht werden.<br />
: <br />
Besitzen Bilder syntaktische Dichte, so sind sie, obschon ebenfalls komplexe Zeichensysteme, sehr deutlich von Sprachzeichensystemen unterschieden (⊳ [[Ikonische Differenz]]). Ihnen fehlt die Aufgliederung der einzelnen [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche Zeichen|Gesamtzeichenhandlungen]] in partiell unabhängige, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder ungesättigte, d.h. immer Ergänzungen bedürfender Teil''zeichen''handlungen – eben den Wörtern. Insbesondere bleibt dabei offen, ob die Verwendung isolierter syntaktischer Elemente bildhafter Zeichensysteme immer selbst bereits ungesättigte ''Zeichen''handlungen sind.<br />
:<br />
Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als Bildträger'' relevanten physischen Eigenschaften vor allem in der visuell wahrnehmbaren geometrischen Anordnung von Farbflächen finden. In diesem Sinn können die syntaktischen Elemente, in die bei einer [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Betrachtung der Bildsyntax]] der Bildträger zerlegt wird, als piktoriale morphologische Elemente betrachtet werden. Diese sind über ihren Eigenwert hinaus weder notwendiger Weise mit einer bestimmten Bedeutung – einem bestimmten Abbildungswert – aufgeladen, noch kommt ihnen unbedingt eine genau definierte pragmatische Funktion – ein festgelegter Darstellungswert – zu.<br />
<br />
==Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme==<br />
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[[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb|Abbildung 1: Als Beispiel: Gloria Temarre Petyarre: «Arnkerrthe(Berg-Teufel-Eidechse)-Traum»]]<br />
Kurz gefasst bilden also genau die Entitäten, in die der Bildträger – oder genauer: der durch [[Rahmung, Rahmen|Rahmung]] ausgezeichnete Teil seiner Oberfläche – in der visuellen Wahrnehmung eingeteilt erscheint, das morphologische Repertoire bei Bildern. Psychologisch wird diese Einteilung durch die Gestaltgesetze bestimmt: Sie determinieren, welche Raumstellen als zusammenhängend gesehen werden, und zwar nicht nur im Sinne eines in sich ungeteilten, gleichfarbigen und zusammenhängenden Gebiets, sondern auch im Sinne von Gruppierungen höherer Ordnung, etwa ''Folgen'' von gleichfarbigen Strichen. Dies führt beispielsweise in Abbildung 1 dazu, dass neben den roten, braunen, schwarzen, gelben und weißen Elementargebieten auch die Gruppen von gelb- bzw. weiß-gefassten, dunkel gefüllten Bögen und Balken als zusammengehörige visuelle Gestalten wahrgenommen werden. <br />
:<br />
In ihrem einflussreichen Buch zur Bildsyntax (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>) führt Fernande Saint-Martin als morphologische Basiseinheit die so genannten ‘Coloreme’ ein: <br />
:[A coloreme] ''corresponds to that aggregate of visual variables perceived in the visual representation by the way of an ocular fixation, or focus of the gaze. … A coloreme is defined […] as the zone of the visual linguistic field correlated to a centration of the eye. It is constituted by a mass of energetic matter presenting a given set of visual variables.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 5).<ref>Vgl. hierzu auch den Eintrag ''Kolorem'' im [http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2125 «Lexikon der Filmbegriffe»].</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Kolorem.jpg|thumb|Abbildung 2: Visualisierung eines Colorems nach Saint-Martin (schematische Darstellung): Das das Colorem bestimmende kreisförmige foveale Zentrierungsgebiet ist herausgehoben und vergrößert, der Rest hingegen etwas abgedunkelt dargestellt]]<br />
Saint-Martins Verständnis der Coloreme konzentriert sich offensichtlich auf momentane psychophysische Aspekte: Zu jedem Zeitpunkt kann jeweils nur eine okulare Fixation erfolgen und folglich nur ein Colorem wahrgenommen werden (vgl. Abb. 2). Allerdings soll auf dieser Basis eine „colorematische (oder coloremische) Analyse“ aufbauen, die<br />
<br />
:''describes the transformations which a coloreme undergoes by its interrelations with the other coloremes of its immediate entourage through macular centrations. The analyses proceeds thus at a first regrouping of coloremes through the topological relations which establish the first perceptual construction and structure the energetic exchanges between coloremes.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 194). <br />
<br />
In ihrer Dynamik und direkter Abhängigkeit von den psychophysischen Eigenheiten eines wahrnehmenden Individuums sind Coloreme vor allem theoretische Entitäten. Praktisch schlägt Saint-Martin vor, die Bildfläche in ein regelmäßiges 5*5-Raster aufzuteilen, das als Basis für eine angenäherte Beschreibung der möglichen oder wahrscheinlichen Coloreme dient: Jedes Raster ist wiederum in ein 5*5-Subraster aufgeteilt, das die Gliederung in foveale Zentren und makulare Randbereiche aufgreift (ibid.: S. 197ff). <br />
:<br />
Um nicht zu stark an die recht spezifische Konzeption Saint-Martins gebunden zu sein, empfiehlt es sich allgemeiner, die – letztlich auf einen hypothetischen Normalbetrachter bezogenen – visuellen Gestalten im bildsyntaktischen Zusammenhang zunächst eher strukturalistisch zu betrachten und in Analogie zu dem linguistischen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixeme’ zu bezeichnen. Dabei kann in erster Näherung auch von der Dynamik abgesehen werden, die bei Saint-Martin die morphologische Beschreibung eines Bildträgers erschwert.<ref>In neurophysiologischer Perspektive verschiebt sich dabei der Fokus vom Auge zu den sogenannten neuralen Karten des visuellen Kortex oder besser der logischen Struktur der dort enkodierten visuellen Muster.</ref><br />
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===Pixem-Attribute===<br />
<br />
Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigenschaften der syntakto-morphologischen Elemente bildhafter Zeichen, die häufig auf folgende Weise interpretiert werden (vgl. z.B. <bib id='Dölling 1999a'></bib>): ''Plastische'' Eigenschaften gehören zum [[Material]] des Bildträgers, während andere Eigenschaften ''im Auge des Betrachters'' liegen und von eher visueller also wahrnehmungsabhängiger Art sind. Die geometrischen Formen und ihre topologischen Relationen werden als typische Beispiele für den letzteren Eigenschaftstyp gegeben, während [[Farbwahrnehmung|Farben]] und [[Textur]]en als Beispiele für Eigenschaften des Materials selbst betrachtet werden. Coloreme sind stets Kombinationen von plastischen und visuell-perzeptiven Eigenschaften.<br />
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Tatsächlich kann auch der allgemeinere Begriff des Pixems logisch analysiert werden in eine rein [[Raum und Geometrie|geometrische ''Basisstruktur'']] einerseits und ein Begriffsfeld von diese Strukturen sichtbar machenden [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie|''Markerdimensionen'']] andererseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehmbar. Erst die Segmentation in zusammengehörige – nämlich gleich markierte – ''Gebiete'' ergibt eine Strukturierung in die räumlichen Elemente eines Ganzen.<ref>Auf den ersten Blick mag dieser Analyse sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit einer grammatischen Struktur im engeren Sinn eignen, wobei der geometrische Kalkül gewissermaßen als Grammatik fungiert und die Regeln zur Ableitung non-terminaler “Satz”-Tiefenstrukturen bereitstellt, während die möglichen Ausprägungen der Markerdimensionen das piktoriale “Lexikon” – die terminalen Symbole – zufügen, die die bildliche Oberflächenstruktur ergibt.</ref> <br />
:<br />
Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geometrie (d.h. Räumlichkeit) und Farbe nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) abhängig von der Differenzierung zwischen Eigenschaften, die zum Material des Bildträgers gehören – und daher als objektive Eigenschaften zu betrachten wären – und Eigenschaften, die vom Betrachter konstruiert werden – und folglich als subjektive Eigenschaften zu bewerten wären.<ref>Es erscheint schon merkwürdig, dass ausgerechnet »Farbe« – gemeinhin als Paradebeispiel für eine ''sekundäre'' Qualität angeführt – bei Saint-Martin zu den objektiven Materialeigenschaften gehört und nicht dem Wahrnehmungsapparat zugeschlagen wird.</ref> Vielmehr können Bildphilosophen über Farben und die Beziehungen zwischen ihnen einerseits und über räumliche Entitäten und die geometrischen oder topologischen Beziehungen zwischen ihnen andererseits diskutieren, ohne dabei die beiden Argumentationen miteinander vermischen zu müssen. Sie können als unabhängig voneinander betrachtet und als von – jedenfalls auf den ersten Blick – autonomen Begriffsfeldern geregelt behandelt werden.<ref>Eben aus diesem Grund ist eine von Farbtheorien unabhängige Geometrie möglich. Zwar kommen in Farbtheorien oft geometrische Begriffe vor (»Farbraum«, »Farbdistanz«, »Farbkörper«), doch sind diese raummetaphorisch gemein und beziehen sich gerade nicht auf die geometrischen Eigenschaften farbiger Gegenstände.</ref> Argumentationen über Pixeme müssen hingegen die Logik der Farben und die Logik des Raums miteinander kombinieren, d.h. in einer begrifflichen Synthese vereinigen. <br />
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Grundlegende Eigenschaften von Pixemen sind mithin genau die Attribute, die beliebige gefärbte Entitäten der zweidimensionalen Geometrie aufweisen, sowie die Relationen, die sie untereinander einnehmen können. Neben den charakteristischen Eigenschaften geometrischer Entitäten – insbesondere topologische, metrische und direktionale Relationen zwischen ihren Teilen (''Form'') und zu anderen Gebieten (''Lage'') – und den etwa durch Farbton, Helligkeit und Sättigung näher bestimmten Farbmarkierungen im engeren Sinn<ref>Zu beach&shy;ten ist aller&shy;dings, dass die Dimen&shy;sionen »Farb&shy;ton«, »Hellig&shy;keit« und »Sätti&shy;gung« zur Charak&shy;teri&shy;sierung eines pikto&shy;rialen Marker&shy;werts nicht abso&shy;lut gesehen werden können, sondern in starker Weise von ihrer Umge&shy;bung abhängen: sowohl Beleuchtung (objektiv) als auch die Farben der umgebenden Pixeme (subjektiv) beeinflussen die Wahrnehmung von Farbe.</ref> können auch homogene Farbverläufe oder spezielle Farbvariationen – Texturen – als Attribute höherer Ordnung relevant sein. Zudem treten Wechselwirklungen auf, die sich aus der räumlichen Anordnung verschiedener Farben zueinander ergeben, vor allem Kontrast-Effekte.<br />
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===Kombinationen von Pixemen, Maximalpixem===<br />
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Da die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine morphologische Analyse von Bildern irrelevant ist, können auch Zusammensetzungen aus mehreren Pixemen ohne weiteres wieder als Pixeme betrachtet werden: Die Morphologie von Bildern besteht damit aus Teil-Ganzes-Ordnungen von Pixemen, die sich zwischen dem Bildganzen – als Maximalpixem – und den als minimal betrachteten Gebieten mit jeweils nur einer einzigen homogenen Markerbelegung in meist mehreren Stufen aufspannen. <br />
:<br />
Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Markerbelegung im oben erwähnten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-pikturale Substruktur. So bilden beispielsweise in Abbildung 1 die mittig angeordneten bandförmigen, braun gefüllt und gelb umrandeten Pixeme ein säulenartiges komplexes Pixem höherer Ordnung. Seine geometrische Basisstruktur wird nicht einfach durch Farb- oder Texturwerte, sondern gerade durch die es konstituierenden Pixeme niederer Ordnung markiert.<br />
:<br />
Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morphologischen Struktur einem Bildträger gleichen, sind sie noch nicht ohne weiteres als Bildträger zu verwenden. Das liegt insbesondere an zwei zusammenhängenden Faktoren:<br />
* a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden Pixeme jeweils ''[[Figur/Grund-Differenzierung|Figuren]]'': der Hintergrund, vor dem sie als solche unausweichlich betrachtet werden, gehört entsprechend nicht zu ihnen. Im oben erwähnten Beispiel sind die die gelb-braunen Bänder umschließenden roten Bereiche nicht eingeschlossen. Obwohl durch die Pixem-Segmentierung prinzipiell in eine Vielfalt von Figur-Grund-Paaren zerlegbar, gilt doch für den Bildträger, dass er insgesamt nur in ''einer'' Hinsicht Figur ist, nämlich vor dem Rahmen. Das gilt unter allen beteiligten Pixemen nur für das Maximalpixem und hat dort eine besondere Wirkung.<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts|Abbildung 3: Pixem-Ausschnitt als Bild]]<br />
* b) Die ''[[Rahmung, Rahmen|Rahmung]]'' des Maximalpixems setzt letzteres nämlich in den Verwendungszusammenhang, der diese Figur als Ganze zu einer Zeichenmarke in einer Zeichenhandlung macht, d.h.: zu einem Bildträger. Natürlich ist es prinzipiell durchaus möglich, diese ''Rahmungshandlung'' auch bei jedem der Pixeme niederer Ordnung zu vollziehen, sie also als separierte Bildträger (und damit als andere Bilder) zu betrachten. Doch bleiben bei einem solchen Vorgehen die pragmatischen und semantischen Bezüge nicht erhalten:<ref>Eine Ausnahme zu dieser Regel dürften diejenigen Pixeme bilden, die abbildungswertlich als Bild im Bild interpretiert werden. Deren pragmatische und semantische Relationen sind dann allerdings in die Szene des [[Theorien des Bildraums|Bildraumes]] verschoben.</ref> Schnitte man eines der gelb-umrandeten, braun gefüllten Bänder aus dem Mittelteil von Abb. 1 aus und montierte es alleine auf den Hintergrund einer neutral gefärbten Fläche (oder auch freischwebend im Raum), so kann man das Resultat durchaus als ein Bild mit etwas ungewöhnlich gewölbtem Rand (also eine Rahmung ohne expliziten Rahmen) begreifen (Abb. 3). Verwendungszusammenhänge und Bedeutungszuschreibungen dieses Bildes hängen indes bestenfalls sehr locker mit denen von Abbildung 1 zusammen. <br />
<br />
===Pixem-bildende Operationen===<br />
<br />
Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elementaren Pixem-Attribute zurück. Begründet in den psychophysiologischen Wahrnehmungsmechanismen, laufen sie in der Regel unbewußt ab. Dabei sind besonders zwei gegenläufige Aspekte wichtig: ''Kontrastverstärkung'' und ''Gestaltbildung''.<br />
:<br />
Die Konstitution von Pixemen bei der Betrachtung eines Bildträgers ist – als Variante der Segmentierung beim [[Sehen]] ganz allgemein – stark kontextsensitiv: So führen lokal wirksame kontrastverstärkende Komponenten des Wahrnehmungsapparates zu Grenzen zwischen als einheitlich wahrgenommenen Gebieten. Bemerkbar werden diese Operationen vor allem dann, wenn sie zu Täuschungen, d.h. zu zusätzlichen Pixemen (bzw. allgemeiner: Wahrnehmungssegmenten<ref>Der Hinweis auf den möglichen Unterschied zwischen visueller Wahrnehmung ganz allgemein und [[Bildwahrnehmung]] im Besonderen ist im Zusammenhang mit “optischen” Täuschungen (⊳ [[Wahrnehmungsillusion]]) durchaus erwähnenswert, finden doch die psychologischen Tests etwa zur Kontrasttäuschung wie auch die Experimente zur Gestaltbildung in der Regel mithilfe von Bildmaterial statt, während die Schlußfolgerungen daraus sich auf die visuelle Wahrnehmung ganz unabhängig von Bildern beziehen sollen. </ref>) führen, etwa bei der Kontrasttäuschung.<ref>Ein gut präsentiertes Beispiel der Kontrasttäuschung findet sich auf der folgenden Seite: [http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/optische-taeuschung-rauten-helligkeit.php Kontrasttäuschung bei sehtestbilder.de].</ref><br />
:<br />
Die Mechanismen der Kontrastverstärkung unterstützen andererseits das Zusammenfassen homogener Gebiete durch [[Gestalt|Gestaltbildung]] im Sinne der Gestaltgesetze. Deren unbewußtes Wirken bestimmt die wahrgenommenen Teil-Ganzes-Hierarchien der zusammengesetzen Pixeme. Das Wechselspiel von Grenzziehung durch Kontrastverstärkung und Integration gemäß der Gestaltgesetze führt letztlich zur Konstitution einer bildmorphologischen (Normal-)Struktur zwischen Maximalpixem und elementaren Gebieten, die allerdings bei der alltäglichen Bildwahrnehmung bereits beim Aufbau sehr stark von semantischen und pragmatischen Randbedingungen determiniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestaltungslehrbücher stets besonders hervor, dass “das Auge” in der ''gestalterischen Sehweise'' geschult werden müsse, die gerade von solchen Einflüssen absieht und letztlich einen rein eigenwertlichen Zugang zur Bildmorphologie erreichen will (etwa <bib id='Klee 1956a'></bib>).<br />
<br />
==Anwendungen==<br />
[[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb|Abbildung 4: Ergebnis einer automatischen Segmentierung: Texturbasierte Pixembildung. Rechts sind die gefundenen Pixeme farblich markiert dargestellt.]]<br />
Das algorithmische Nachbilden pixem-bildender Operationen führt zur Möglichkeit bildmorphologischer Analysen in der Computervisualistik und bildt einen zentralen Bestandteil der [[Bildverarbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]]: Auf informatische Kodierungen ([[Notation|Notationen]]) von Bildträgern können entsprechende ''Segmentierungsverfahren'' programmiert werden, die (in der entsprechenden Literatur oft als ‘Objekte’ bezeichnete) Pixeme zu bestimmen erlauben (Abb. 4). Hierbei werden vor allem die Gestaltgesetze der Nähe, Ähnlichkeit und Guten Kontinuität über den Farb- und Texturmarkern operationalisiert. <br />
:<br />
Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwissenschaft auf diese Weise ein Set von technischen Standardwerkzeugen zur morphologischen Bildanalyse bereitzustellen. Dies ist insbesondere sinnvoll, insofern die Pixem-Komposition des Bildträgers, wie oben erwähnt, auf einen theoretisch vorausgesetzten ''Normalbetrachter'' bezogen werden muss. Zu bedenken bleibt dabei allerdings, dass die menschliche Wahrnehmung von Bildern, wie u.a. von Saint Martin beschrieben, neben den möglichen individuellen Abweichungen vom Normalbetrachter auch ''dynamische'' Aspekte umfasst, die durch eine solche rein strukturelle Analyse ebenfalls ausgeblendet bleiben.<br />
:<br />
Auf begrifflicher Ebene erlaubt die Synthese der bildlichen Morphosyntax aus geometrischem Basiskalkül und dem Begriffsfeld der farblichen Markerwerte schließlich, eine lange gehegte Vermutung zu widerlegen: dass nämlich der Begriff der syntaktischen (Nicht-)Wohlgeformtheit auf Bilder überhaupt nicht anzuwenden wäre (vgl. <bib id='Plümacher 1999a'></bib>). Da durch Beschädigungen des Bildträgers die geometrische Basisstruktur des Maximalpixems gestört werden kann, ist der Begriff eines [[syntaktisch unkorrekte Bilder|syntaktisch unkorrekten Bildes]] sehr wohl sinnvoll.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Bildgrammatik]]<br />
* [[Bildwahrnehmung]]<br />
* [[Bildverarbeitung, digitale]] <br />
* [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie]]<br />
* [[Farbwahrnehmung]]<br />
* [[Ikonische Differenz]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Identitätskriterien für Bildträger]]<br />
* [[Komposition]]<br />
* [[Morphologie und Syntax]]<br />
* [[Notation]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Raum und Geometrie]]<br />
* [[Sehen]] <br />
* [[Syntaktisch unkorrekte Bilder]]<br />
* [[Theorien des Bildraums]]<br />
* [[Textur]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
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<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
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''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, J.R.J.]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildmorphologie&diff=18315Bildmorphologie2013-11-14T16:38:58Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme */</p>
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildsyntax]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildsyntax]]<br />
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{{GlossarBoxMain}}<br />
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<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einordnung der Bildmorphologie==<br />
Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allgemeinen nicht mit einer spezifischen, von ‘[[Bildgrammatik]]’ oder ‘[[Komposition|Bildkomposition]]’ verschiedenen Bedeutung gebraucht. Angesprochen wird mit all diesen Termini eine analytische Betrachtung des [[Bildobjekt / Bildträger|Bildträgers]] als zusammengesetzt aus für die Bildfunktion relevanten, im wesentlichen durch visuell wahrnehmbare Eigenschaften bestimmten Teilen, die auch in anderen Bildträgern, die sich durch die Zusammenstellung der Teile unterscheiden, Verwendung finden können. Es ist die Zusammenstellung der Teile zu einem Ganzen, die zusammen mit anderen ([[Pragmatik, Semantik, Syntax|nicht-syntaktischen]]) Faktoren die [[Identitätskriterien für Bildträger|(Typ-) Identität des Bildträgers]] und damit letztlich auch die möglichen Verwendungen des Bildträgers als Bild determiniert.<br />
:<br />
Allerdings legt es die Unterscheidung von im engeren Sinne grammatischen gegenüber morphologischen Aspekten bei der Betrachtung von Sprache (⊳ [[Morphologie und Syntax]]) nahe, den Ausdruck ‘Bildmorphologie’ mit einem spezifischeren Sinn aufzuladen und ihn so von der Bildgrammatik (die eben damit zu einer ''Bildgrammatik im engeren Sinn'' wird) abzuheben. Die Bildgrammatik im engeren Sinn versucht vor allem syntaktische Kompositionalität bei Bildern im Sinne der formalen (Chomsky-) Grammatiken nachzuweisen, die die Unterscheidung von »Satz« und »Wort« voraussetzen<ref>Das bedeutet: Die [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen dieser Zeichensysteme]] werden als aus [[Interaktion und Kommunikation|kommunikativ]] wirkenden Einheiten zusammengesetzt verstanden, denen zumindest zum Teil selbst wiederum Zeichencharakter zukommt. Eine Komposition aus kommunikativen Elementen, die nicht bereits selber Zeichen sind, wird dabei nicht berücksichtigt.</ref> und durch ein begrenztes Set von Ersetzungsregeln über einer endlichen Menge von Satzkonstituenten als Zwischenstufen („nonterminale Symbole“, etwa ‘Nominalphrase’) aus endlichen vielen Wörtern (im ''mentalen Lexikon'') auf eindeutige Weise unendlich viele Sätze abzuleiten oder zu analysieren gestatten (<bib id='Chomsky 1957a'></bib>). Dagegen ist eine Bildmorphologie im hier verwendeten Sinn an einer syntaktischen Bildkompositionalität anderer Art interessiert: Können Bildträger mithilfe allgemeiner Gruppierungsregeln – etwa analog zu den wesentlich “weicheren”, im geometrischen Kontinuum wirkenden [[Gestalt]]gesetzen – als aus “piktorialen Primitiven” bestehend beschrieben werden, die nicht bereits als Zeichen (Wörter) begriffen werden und aus einer möglicherweise unbegrenzten Grundmenge stammen, wobei auch die Bedingung der Eindeutigkeit der Ableitung abgeschwächt sein könnte? In Analogie zu den Wortbildungsregeln bei extrem [[Morphologie und Syntax#Isolierende, polysynthetische, fusionierende und agglutinierende Sprachsysteme|polysynthetisch-fusionierenden]] Sprachen, ohne dabei aber schon vorauszusetzen, dass eine Anwendung der Unterscheidung zwischen »Satz« und »Wort« auf bildhafte Zeichensysteme sinnvoll sei, müsste eine solche Bildmorphologie der charakteristischen Eigenschaft der [[Syntaktische Dichte|syntaktischen Dichte]] von bildlichen Zeichensystemen gerecht werden.<br />
: <br />
Besitzen Bilder syntaktische Dichte, so sind sie, obschon ebenfalls komplexe Zeichensysteme, sehr deutlich von Sprachzeichensystemen unterschieden (⊳ [[Ikonische Differenz]]). Ihnen fehlt die Aufgliederung der einzelnen [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche Zeichen|Gesamtzeichenhandlungen]] in partiell unabhängige, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder ungesättigte, d.h. immer Ergänzungen bedürfender Teil''zeichen''handlungen – eben den Wörtern. Insbesondere bleibt dabei offen, ob die Verwendung isolierter syntaktischer Elemente bildhafter Zeichensysteme immer selbst bereits ungesättigte ''Zeichen''handlungen sind.<br />
:<br />
Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als Bildträger'' relevanten physischen Eigenschaften vor allem in der visuell wahrnehmbaren geometrischen Anordnung von Farbflächen finden. In diesem Sinn können die syntaktischen Elemente, in die bei einer [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Betrachtung der Bildsyntax]] der Bildträger zerlegt wird, als piktoriale morphologische Elemente betrachtet werden. Diese sind über ihren Eigenwert hinaus weder notwendiger Weise mit einer bestimmten Bedeutung – einem bestimmten Abbildungswert – aufgeladen, noch kommt ihnen unbedingt eine genau definierte pragmatische Funktion – ein festgelegter Darstellungswert – zu.<br />
<br />
==Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme==<br />
<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb|Abbildung 1: Als Beispiel: Gloria Temarre Petyarre: «Arnkerrthe(Berg-Teufel-Eidechse)-Traum»]]<br />
Kurz gefasst bilden also genau die Entitäten, in die der Bildträger – oder genauer: der durch [[Rahmung, Rahmen|Rahmung]] ausgezeichnete Teil seiner Oberfläche – in der visuellen Wahrnehmung eingeteilt erscheint, das morphologische Repertoire bei Bildern. Psychologisch wird diese Einteilung durch die Gestaltgesetze bestimmt: Sie determinieren, welche Raumstellen als zusammenhängend gesehen werden, und zwar nicht nur im Sinne eines in sich ungeteilten, gleichfarbigen und zusammenhängenden Gebiets, sondern auch im Sinne von Gruppierungen höherer Ordnung, etwa ''Folgen'' von gleichfarbigen Strichen. Dies führt beispielsweise in Abbildung 1 dazu, dass neben den roten, braunen, schwarzen, gelben und weißen Elementargebieten auch die Gruppen von gelb- bzw. weiß-gefassten, dunkel gefüllten Bögen und Balken als zusammengehörige visuelle Gestalten wahrgenommen werden. <br />
:<br />
In ihrem einflussreichen Buch zur Bildsyntax (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>) führt Fernande Saint-Martin als morphologische Basiseinheit die so genannten ‘Coloreme’ ein: <br />
:[A coloreme] ''corresponds to that aggregate of visual variables perceived in the visual representation by the way of an ocular fixation, or focus of the gaze. … A coloreme is defined […] as the zone of the visual linguistic field correlated to a centration of the eye. It is constituted by a mass of energetic matter presenting a given set of visual variables.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 5).<ref>Vgl. hierzu auch den Eintrag ''Kolorem'' im [http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2125 «Lexikon der Filmbegriffe»].</ref> <br />
:<br />
[[Datei:Kolorem.jpg|thumb|Abbildung 2: Visualisierung eines Colorems nach Saint-Martin (schematische Darstellung): Das das Colorem bestimmende kreisförmige foveale Zentrierungsgebiet ist herausgehoben und vergrößert, der Rest hingegen etwas abgedunkelt dargestellt]]<br />
Saint-Martins Verständnis der Coloreme konzentriert sich offensichtlich auf momentane psychophysische Aspekte: Zu jedem Zeitpunkt kann jeweils nur eine okulare Fixation erfolgen und folglich nur ein Colorem wahrgenomen werden (vgl. Abb. 2). Allerdings soll auf dieser Basis eine „colorematische (oder coloremische) Analyse“ aufbauen, die<br />
<br />
:''describes the transformations which a coloreme undergoes by its interrelations with the other coloremes of its immediate entourage through macular centrations. The analyses proceeds thus at a first regrouping of coloremes through the topological relations which establish the first perceptual construction and structure the energetic exchanges between coloremes.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 194). <br />
<br />
In ihrer Dynamik und direkter Abhängigkeit von den psychophysischen Eigenheiten eines wahrnehmenden Individuums sind Coloreme vor allem theoretische Entitäten. Praktisch schlägt Saint-Martin vor, die Bildfläche in ein regelmäßiges 5*5-Raster aufzuteilen, das als Basis für eine angenäherte Beschreibung der möglichen oder wahrscheinlichen Coloreme dient: Jedes Raster ist wiederum in ein 5*5-Subraster aufgeteilt, das die Gliederung in foveale Zentren und makulare Randbereiche aufgreift (ibid.: S. 197ff). <br />
:<br />
Um nicht zu stark an die recht spezifische Konzeption Saint-Martins gebunden zu sein, empfiehlt es sich allgemeiner, die – letztlich auf einen hypothetischen Normalbetrachter bezogenen – visuellen Gestalten im bildsyntaktischen Zusammenhang zunächst eher strukturalistisch zu betrachten und in Analogie zu dem linguistischen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixeme’ zu bezeichnen. Dabei kann in erster Näherung auch von der Dynamik abgesehen werden, die bei Saint-Martin die morphologische Beschreibung eines Bildträgers erschwert.<ref>In neurophysiologischer Perspektive verschiebt sich dabei der Fokus vom Auge zu den sogenannten neuralen Karten des visuellen Kortex oder besser der logischen Struktur der dort enkodierten visuellen Muster.</ref><br />
<br />
<br />
===Pixem-Attribute===<br />
<br />
Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigenschaften der syntakto-morphologischen Elemente bildhafter Zeichen, die häufig auf folgende Weise interpretiert werden (vgl. z.B. <bib id='Dölling 1999a'></bib>): ''Plastische'' Eigenschaften gehören zum [[Material]] des Bildträgers, während andere Eigenschaften ''im Auge des Betrachters'' liegen und von eher visueller also wahrnehmungsabhängiger Art sind. Die geometrischen Formen und ihre topologischen Relationen werden als typische Beispiele für den letzteren Eigenschaftstyp gegeben, während [[Farbwahrnehmung|Farben]] und [[Textur]]en als Beispiele für Eigenschaften des Materials selbst betrachtet werden. Coloreme sind stets Kombinationen von plastischen und visuell-perzeptiven Eigenschaften.<br />
:<br />
Tatsächlich kann auch der allgemeinere Begriff des Pixems logisch analysiert werden in eine rein [[Raum und Geometrie|geometrische ''Basisstruktur'']] einerseits und ein Begriffsfeld von diese Strukturen sichtbar machenden [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie|''Markerdimensionen'']] andererseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehmbar. Erst die Segmentation in zusammengehörige – nämlich gleich markierte – ''Gebiete'' ergibt eine Strukturierung in die räumlichen Elemente eines Ganzen.<ref>Auf den ersten Blick mag dieser Analyse sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit einer grammatischen Struktur im engeren Sinn eignen, wobei der geometrische Kalkül gewissermaßen als Grammatik fungiert und die Regeln zur Ableitung non-terminaler “Satz”-Tiefenstrukturen bereitstellt, während die möglichen Ausprägungen der Markerdimensionen das piktoriale “Lexikon” – die terminalen Symbole – zufügen, die die bildliche Oberflächenstruktur ergibt.</ref> <br />
:<br />
Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geometrie (d.h. Räumlichkeit) und Farbe nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) abhängig von der Differenzierung zwischen Eigenschaften, die zum Material des Bildträgers gehören – und daher als objektive Eigenschaften zu betrachten wären – und Eigenschaften, die vom Betrachter konstruiert werden – und folglich als subjektive Eigenschaften zu bewerten wären.<ref>Es erscheint schon merkwürdig, dass ausgerechnet »Farbe« – gemeinhin als Paradebeispiel für eine ''sekundäre'' Qualität angeführt – bei Saint-Martin zu den objektiven Materialeigenschaften gehört und nicht dem Wahrnehmungsapparat zugeschlagen wird.</ref> Vielmehr können Bildphilosophen über Farben und die Beziehungen zwischen ihnen einerseits und über räumliche Entitäten und die geometrischen oder topologischen Beziehungen zwischen ihnen andererseits diskutieren, ohne dabei die beiden Argumentationen miteinander vermischen zu müssen. Sie können als unabhängig voneinander betrachtet und als von – jedenfalls auf den ersten Blick – autonomen Begriffsfeldern geregelt behandelt werden.<ref>Eben aus diesem Grund ist eine von Farbtheorien unabhängige Geometrie möglich. Zwar kommen in Farbtheorien oft geometrische Begriffe vor (»Farbraum«, »Farbdistanz«, »Farbkörper«), doch sind diese raummetaphorisch gemein und beziehen sich gerade nicht auf die geometrischen Eigenschaften farbiger Gegenstände.</ref> Argumentationen über Pixeme müssen hingegen die Logik der Farben und die Logik des Raums miteinander kombinieren, d.h. in einer begrifflichen Synthese vereinigen. <br />
:<br />
Grundlegende Eigenschaften von Pixemen sind mithin genau die Attribute, die beliebige gefärbte Entitäten der zweidimensionalen Geometrie aufweisen, sowie die Relationen, die sie untereinander einnehmen können. Neben den charakteristischen Eigenschaften geometrischer Entitäten – insbesondere topologische, metrische und direktionale Relationen zwischen ihren Teilen (''Form'') und zu anderen Gebieten (''Lage'') – und den etwa durch Farbton, Helligkeit und Sättigung näher bestimmten Farbmarkierungen im engeren Sinn<ref>Zu beach&shy;ten ist aller&shy;dings, dass die Dimen&shy;sionen »Farb&shy;ton«, »Hellig&shy;keit« und »Sätti&shy;gung« zur Charak&shy;teri&shy;sierung eines pikto&shy;rialen Marker&shy;werts nicht abso&shy;lut gesehen werden können, sondern in starker Weise von ihrer Umge&shy;bung abhängen: sowohl Beleuchtung (objektiv) als auch die Farben der umgebenden Pixeme (subjektiv) beeinflussen die Wahrnehmung von Farbe.</ref> können auch homogene Farbverläufe oder spezielle Farbvariationen – Texturen – als Attribute höherer Ordnung relevant sein. Zudem treten Wechselwirklungen auf, die sich aus der räumlichen Anordnung verschiedener Farben zueinander ergeben, vor allem Kontrast-Effekte.<br />
<br />
===Kombinationen von Pixemen, Maximalpixem===<br />
<br />
Da die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine morphologische Analyse von Bildern irrelevant ist, können auch Zusammensetzungen aus mehreren Pixemen ohne weiteres wieder als Pixeme betrachtet werden: Die Morphologie von Bildern besteht damit aus Teil-Ganzes-Ordnungen von Pixemen, die sich zwischen dem Bildganzen – als Maximalpixem – und den als minimal betrachteten Gebieten mit jeweils nur einer einzigen homogenen Markerbelegung in meist mehreren Stufen aufspannen. <br />
:<br />
Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Markerbelegung im oben erwähnten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-pikturale Substruktur. So bilden beispielsweise in Abbildung 1 die mittig angeordneten bandförmigen, braun gefüllt und gelb umrandeten Pixeme ein säulenartiges komplexes Pixem höherer Ordnung. Seine geometrische Basisstruktur wird nicht einfach durch Farb- oder Texturwerte, sondern gerade durch die es konstituierenden Pixeme niederer Ordnung markiert.<br />
:<br />
Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morphologischen Struktur einem Bildträger gleichen, sind sie noch nicht ohne weiteres als Bildträger zu verwenden. Das liegt insbesondere an zwei zusammenhängenden Faktoren:<br />
* a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden Pixeme jeweils ''[[Figur/Grund-Differenzierung|Figuren]]'': der Hintergrund, vor dem sie als solche unausweichlich betrachtet werden, gehört entsprechend nicht zu ihnen. Im oben erwähnten Beispiel sind die die gelb-braunen Bänder umschließenden roten Bereiche nicht eingeschlossen. Obwohl durch die Pixem-Segmentierung prinzipiell in eine Vielfalt von Figur-Grund-Paaren zerlegbar, gilt doch für den Bildträger, dass er insgesamt nur in ''einer'' Hinsicht Figur ist, nämlich vor dem Rahmen. Das gilt unter allen beteiligten Pixemen nur für das Maximalpixem und hat dort eine besondere Wirkung.<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts|Abbildung 3: Pixem-Ausschnitt als Bild]]<br />
* b) Die ''[[Rahmung, Rahmen|Rahmung]]'' des Maximalpixems setzt letzteres nämlich in den Verwendungszusammenhang, der diese Figur als Ganze zu einer Zeichenmarke in einer Zeichenhandlung macht, d.h.: zu einem Bildträger. Natürlich ist es prinzipiell durchaus möglich, diese ''Rahmungshandlung'' auch bei jedem der Pixeme niederer Ordnung zu vollziehen, sie also als separierte Bildträger (und damit als andere Bilder) zu betrachten. Doch bleiben bei einem solchen Vorgehen die pragmatischen und semantischen Bezüge nicht erhalten:<ref>Eine Ausnahme zu dieser Regel dürften diejenigen Pixeme bilden, die abbildungswertlich als Bild im Bild interpretiert werden. Deren pragmatische und semantische Relationen sind dann allerdings in die Szene des [[Theorien des Bildraums|Bildraumes]] verschoben.</ref> Schnitte man eines der gelb-umrandeten, braun gefüllten Bänder aus dem Mittelteil von Abb. 1 aus und montierte es alleine auf den Hintergrund einer neutral gefärbten Fläche (oder auch freischwebend im Raum), so kann man das Resultat durchaus als ein Bild mit etwas ungewöhnlich gewölbtem Rand (also eine Rahmung ohne expliziten Rahmen) begreifen (Abb. 3). Verwendungszusammenhänge und Bedeutungszuschreibungen dieses Bildes hängen indes bestenfalls sehr locker mit denen von Abbildung 1 zusammen. <br />
<br />
===Pixem-bildende Operationen===<br />
<br />
Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elementaren Pixem-Attribute zurück. Begründet in den psychophysiologischen Wahrnehmungsmechanismen, laufen sie in der Regel unbewußt ab. Dabei sind besonders zwei gegenläufige Aspekte wichtig: ''Kontrastverstärkung'' und ''Gestaltbildung''.<br />
:<br />
Die Konstitution von Pixemen bei der Betrachtung eines Bildträgers ist – als Variante der Segmentierung beim [[Sehen]] ganz allgemein – stark kontextsensitiv: So führen lokal wirksame kontrastverstärkende Komponenten des Wahrnehmungsapparates zu Grenzen zwischen als einheitlich wahrgenommenen Gebieten. Bemerkbar werden diese Operationen vor allem dann, wenn sie zu Täuschungen, d.h. zu zusätzlichen Pixemen (bzw. allgemeiner: Wahrnehmungssegmenten<ref>Der Hinweis auf den möglichen Unterschied zwischen visueller Wahrnehmung ganz allgemein und [[Bildwahrnehmung]] im Besonderen ist im Zusammenhang mit “optischen” Täuschungen (⊳ [[Wahrnehmungsillusion]]) durchaus erwähnenswert, finden doch die psychologischen Tests etwa zur Kontrasttäuschung wie auch die Experimente zur Gestaltbildung in der Regel mithilfe von Bildmaterial statt, während die Schlußfolgerungen daraus sich auf die visuelle Wahrnehmung ganz unabhängig von Bildern beziehen sollen. </ref>) führen, etwa bei der Kontrasttäuschung.<ref>Ein gut präsentiertes Beispiel der Kontrasttäuschung findet sich auf der folgenden Seite: [http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/optische-taeuschung-rauten-helligkeit.php Kontrasttäuschung bei sehtestbilder.de].</ref><br />
:<br />
Die Mechanismen der Kontrastverstärkung unterstützen andererseits das Zusammenfassen homogener Gebiete durch [[Gestalt|Gestaltbildung]] im Sinne der Gestaltgesetze. Deren unbewußtes Wirken bestimmt die wahrgenommenen Teil-Ganzes-Hierarchien der zusammengesetzen Pixeme. Das Wechselspiel von Grenzziehung durch Kontrastverstärkung und Integration gemäß der Gestaltgesetze führt letztlich zur Konstitution einer bildmorphologischen (Normal-)Struktur zwischen Maximalpixem und elementaren Gebieten, die allerdings bei der alltäglichen Bildwahrnehmung bereits beim Aufbau sehr stark von semantischen und pragmatischen Randbedingungen determiniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestaltungslehrbücher stets besonders hervor, dass “das Auge” in der ''gestalterischen Sehweise'' geschult werden müsse, die gerade von solchen Einflüssen absieht und letztlich einen rein eigenwertlichen Zugang zur Bildmorphologie erreichen will (etwa <bib id='Klee 1956a'></bib>).<br />
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==Anwendungen==<br />
[[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb|Abbildung 4: Ergebnis einer automatischen Segmentierung: Texturbasierte Pixembildung. Rechts sind die gefundenen Pixeme farblich markiert dargestellt.]]<br />
Das algorithmische Nachbilden pixem-bildender Operationen führt zur Möglichkeit bildmorphologischer Analysen in der Computervisualistik und bildt einen zentralen Bestandteil der [[Bildverarbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]]: Auf informatische Kodierungen ([[Notation|Notationen]]) von Bildträgern können entsprechende ''Segmentierungsverfahren'' programmiert werden, die (in der entsprechenden Literatur oft als ‘Objekte’ bezeichnete) Pixeme zu bestimmen erlauben (Abb. 4). Hierbei werden vor allem die Gestaltgesetze der Nähe, Ähnlichkeit und Guten Kontinuität über den Farb- und Texturmarkern operationalisiert. <br />
:<br />
Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwissenschaft auf diese Weise ein Set von technischen Standardwerkzeugen zur morphologischen Bildanalyse bereitzustellen. Dies ist insbesondere sinnvoll, insofern die Pixem-Komposition des Bildträgers, wie oben erwähnt, auf einen theoretisch vorausgesetzten ''Normalbetrachter'' bezogen werden muss. Zu bedenken bleibt dabei allerdings, dass die menschliche Wahrnehmung von Bildern, wie u.a. von Saint Martin beschrieben, neben den möglichen individuellen Abweichungen vom Normalbetrachter auch ''dynamische'' Aspekte umfasst, die durch eine solche rein strukturelle Analyse ebenfalls ausgeblendet bleiben.<br />
:<br />
Auf begrifflicher Ebene erlaubt die Synthese der bildlichen Morphosyntax aus geometrischem Basiskalkül und dem Begriffsfeld der farblichen Markerwerte schließlich, eine lange gehegte Vermutung zu widerlegen: dass nämlich der Begriff der syntaktischen (Nicht-)Wohlgeformtheit auf Bilder überhaupt nicht anzuwenden wäre (vgl. <bib id='Plümacher 1999a'></bib>). Da durch Beschädigungen des Bildträgers die geometrische Basisstruktur des Maximalpixems gestört werden kann, ist der Begriff eines [[syntaktisch unkorrekte Bilder|syntaktisch unkorrekten Bildes]] sehr wohl sinnvoll.<br />
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{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Bildgrammatik]]<br />
* [[Bildwahrnehmung]]<br />
* [[Bildverarbeitung, digitale]] <br />
* [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie]]<br />
* [[Farbwahrnehmung]]<br />
* [[Ikonische Differenz]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Identitätskriterien für Bildträger]]<br />
* [[Komposition]]<br />
* [[Morphologie und Syntax]]<br />
* [[Notation]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Raum und Geometrie]]<br />
* [[Sehen]] <br />
* [[Syntaktisch unkorrekte Bilder]]<br />
* [[Theorien des Bildraums]]<br />
* [[Textur]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, J.R.J.]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildmorphologie&diff=18313Bildmorphologie2013-11-14T16:33:58Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Einordnung der Bildmorphologie */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildsyntax]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildsyntax]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einordnung der Bildmorphologie==<br />
Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allgemeinen nicht mit einer spezifischen, von ‘[[Bildgrammatik]]’ oder ‘[[Komposition|Bildkomposition]]’ verschiedenen Bedeutung gebraucht. Angesprochen wird mit all diesen Termini eine analytische Betrachtung des [[Bildobjekt / Bildträger|Bildträgers]] als zusammengesetzt aus für die Bildfunktion relevanten, im wesentlichen durch visuell wahrnehmbare Eigenschaften bestimmten Teilen, die auch in anderen Bildträgern, die sich durch die Zusammenstellung der Teile unterscheiden, Verwendung finden können. Es ist die Zusammenstellung der Teile zu einem Ganzen, die zusammen mit anderen ([[Pragmatik, Semantik, Syntax|nicht-syntaktischen]]) Faktoren die [[Identitätskriterien für Bildträger|(Typ-) Identität des Bildträgers]] und damit letztlich auch die möglichen Verwendungen des Bildträgers als Bild determiniert.<br />
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Allerdings legt es die Unterscheidung von im engeren Sinne grammatischen gegenüber morphologischen Aspekten bei der Betrachtung von Sprache (⊳ [[Morphologie und Syntax]]) nahe, den Ausdruck ‘Bildmorphologie’ mit einem spezifischeren Sinn aufzuladen und ihn so von der Bildgrammatik (die eben damit zu einer ''Bildgrammatik im engeren Sinn'' wird) abzuheben. Die Bildgrammatik im engeren Sinn versucht vor allem syntaktische Kompositionalität bei Bildern im Sinne der formalen (Chomsky-) Grammatiken nachzuweisen, die die Unterscheidung von »Satz« und »Wort« voraussetzen<ref>Das bedeutet: Die [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen dieser Zeichensysteme]] werden als aus [[Interaktion und Kommunikation|kommunikativ]] wirkenden Einheiten zusammengesetzt verstanden, denen zumindest zum Teil selbst wiederum Zeichencharakter zukommt. Eine Komposition aus kommunikativen Elementen, die nicht bereits selber Zeichen sind, wird dabei nicht berücksichtigt.</ref> und durch ein begrenztes Set von Ersetzungsregeln über einer endlichen Menge von Satzkonstituenten als Zwischenstufen („nonterminale Symbole“, etwa ‘Nominalphrase’) aus endlichen vielen Wörtern (im ''mentalen Lexikon'') auf eindeutige Weise unendlich viele Sätze abzuleiten oder zu analysieren gestatten (<bib id='Chomsky 1957a'></bib>). Dagegen ist eine Bildmorphologie im hier verwendeten Sinn an einer syntaktischen Bildkompositionalität anderer Art interessiert: Können Bildträger mithilfe allgemeiner Gruppierungsregeln – etwa analog zu den wesentlich “weicheren”, im geometrischen Kontinuum wirkenden [[Gestalt]]gesetzen – als aus “piktorialen Primitiven” bestehend beschrieben werden, die nicht bereits als Zeichen (Wörter) begriffen werden und aus einer möglicherweise unbegrenzten Grundmenge stammen, wobei auch die Bedingung der Eindeutigkeit der Ableitung abgeschwächt sein könnte? In Analogie zu den Wortbildungsregeln bei extrem [[Morphologie und Syntax#Isolierende, polysynthetische, fusionierende und agglutinierende Sprachsysteme|polysynthetisch-fusionierenden]] Sprachen, ohne dabei aber schon vorauszusetzen, dass eine Anwendung der Unterscheidung zwischen »Satz« und »Wort« auf bildhafte Zeichensysteme sinnvoll sei, müsste eine solche Bildmorphologie der charakteristischen Eigenschaft der [[Syntaktische Dichte|syntaktischen Dichte]] von bildlichen Zeichensystemen gerecht werden.<br />
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Besitzen Bilder syntaktische Dichte, so sind sie, obschon ebenfalls komplexe Zeichensysteme, sehr deutlich von Sprachzeichensystemen unterschieden (⊳ [[Ikonische Differenz]]). Ihnen fehlt die Aufgliederung der einzelnen [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche Zeichen|Gesamtzeichenhandlungen]] in partiell unabhängige, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder ungesättigte, d.h. immer Ergänzungen bedürfender Teil''zeichen''handlungen – eben den Wörtern. Insbesondere bleibt dabei offen, ob die Verwendung isolierter syntaktischer Elemente bildhafter Zeichensysteme immer selbst bereits ungesättigte ''Zeichen''handlungen sind.<br />
:<br />
Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als Bildträger'' relevanten physischen Eigenschaften vor allem in der visuell wahrnehmbaren geometrischen Anordnung von Farbflächen finden. In diesem Sinn können die syntaktischen Elemente, in die bei einer [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Betrachtung der Bildsyntax]] der Bildträger zerlegt wird, als piktoriale morphologische Elemente betrachtet werden. Diese sind über ihren Eigenwert hinaus weder notwendiger Weise mit einer bestimmten Bedeutung – einem bestimmten Abbildungswert – aufgeladen, noch kommt ihnen unbedingt eine genau definierte pragmatische Funktion – ein festgelegter Darstellungswert – zu.<br />
<br />
==Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme==<br />
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[[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb|Abbildung 1: Als Beispiel: Gloria Temarre Petyarre: «Arnkerrthe(Berg-Teufel-Eidechse)-Traum»]]<br />
Kurz gefasst bilden also genau die Entitäten, in die der Bildträger – oder genauer: der durch [[Rahmung, Rahmen|Rahmung]] ausgezeichnete Teil seiner Oberfläche – in der visuellen Wahrnehmung eingeteilt erscheint, das morphologische Repertoire bei Bildern. Psychologisch wird diese Einteilung durch die Gestaltgesetze bestimmt: Sie determinieren, welche Raumstellen als zusammenhängend gesehen werden, und zwar nicht nur im Sinne eines in sich ungeteilten, gleichfarbigen und zusammenhängenden Gebiets, sondern auch im Sinne von Gruppierungen höherer Ordnung, etwa ''Folgen'' von gleichfarbigen Strichen. Dies führt beispielsweise in Abbildung 1 dazu, dass neben den roten, braunen, schwarzen, gelben und weißen Elementargebieten auch die Gruppen von gelb- bzw. weiß-gefassten, dunkel gefüllten Bögen und Balken als zusammengehörige visuelle Gestalten wahrgenommen werden. <br />
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In ihrem einflußreichen Buch zur Bildsyntax (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>) führt Fernande Saint-Martin als morphologische Basiseinheit die sogenannten ‘Coloreme’ ein: <br />
:[A coloreme] ''corresponds to that aggregate of visual variables perceived in the visual representation by the way of an ocular fixation, or focus of the gaze. … A coloreme is defined […] as the zone of the visual linguistic field correlated to a centration of the eye. It is constituted by a mass of energetic matter presenting a given set of visual variables.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 5).<ref>Vgl. hierzu auch den Eintrag ''Kolorem'' im [http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2125 «Lexikon der Filmbegriffe»].</ref> <br />
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[[Datei:Kolorem.jpg|thumb|Abbildung 2: Visualisierung eines Colorems nach Saint-Martin (schematische Darstellung): Das das Colorem bestimmende kreisförmige foveale Zentrierungsgebiet ist herausgehoben und vergrößert, der Rest hingegen etwas abgedunkelt dargestellt]]<br />
Saint-Martins Verständnis der Coloreme konzentriert sich offensichtlich auf momentane psychophysische Aspekte: Zu jedem Zeitpunkt kann jeweils nur eine okulare Fixation erfolgen und folglich nur ein Colorem wahrgenomen werden (vgl. Abb. 2). Allerdings soll auf dieser Basis eine „colorematische (oder coloremische) Analyse“ aufbauen, die<br />
<br />
:''describes the transformations which a coloreme undergoes by its interrelations with the other coloremes of its immediate entourage through macular centrations. The analyses proceeds thus at a first regrouping of coloremes through the topological relations which establish the first perceptual construction and structure the energetic exchanges between coloremes.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 194). <br />
<br />
In ihrer Dynamik und direkter Abhängigkeit von den psychophysischen Eigenheiten eines wahrnehmenden Individuums sind Coloreme vor allem theoretische Entitäten. Praktisch schlägt Saint-Martin vor, die Bildfläche in ein regelmäßiges 5*5-Raster aufzuteilen, das als Basis für eine angenäherte Beschreibung der möglichen oder wahrscheinlichen Coloreme dient: Jedes Raster ist wiederum in ein 5*5-Subraster aufgeteilt, das die Gliederung in foveale Zentren und makulare Randbereiche aufgreift (ibid.: S. 197ff). <br />
:<br />
Um nicht zu stark an die recht spezifische Konzeption Saint-Martins gebunden zu sein, empfiehlt es sich allgemeiner, die – letztlich auf einen hypothetischen Normalbetrachter bezogenen – visuellen Gestalten im bildsyntaktischen Zusammenhang zunächst eher strukturalistisch zu betrachten und in Analogie zu dem linguistischen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixeme’ zu bezeichnen. Dabei kann in erster Näherung auch von der Dynamik abgesehen werden, die bei Saint-Martin die morphologische Beschreibung eines Bildträgers erschwert.<ref>In neurophysiologischer Perspektive verschiebt sich dabei der Fokus vom Auge zu den sogenannten neuralen Karten des visuellen Kortex oder besser der logischen Struktur der dort enkodierten visuellen Muster.</ref><br />
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<br />
===Pixem-Attribute===<br />
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Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigenschaften der syntakto-morphologischen Elemente bildhafter Zeichen, die häufig auf folgende Weise interpretiert werden (vgl. z.B. <bib id='Dölling 1999a'></bib>): ''Plastische'' Eigenschaften gehören zum [[Material]] des Bildträgers, während andere Eigenschaften ''im Auge des Betrachters'' liegen und von eher visueller also wahrnehmungsabhängiger Art sind. Die geometrischen Formen und ihre topologischen Relationen werden als typische Beispiele für den letzteren Eigenschaftstyp gegeben, während [[Farbwahrnehmung|Farben]] und [[Textur]]en als Beispiele für Eigenschaften des Materials selbst betrachtet werden. Coloreme sind stets Kombinationen von plastischen und visuell-perzeptiven Eigenschaften.<br />
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Tatsächlich kann auch der allgemeinere Begriff des Pixems logisch analysiert werden in eine rein [[Raum und Geometrie|geometrische ''Basisstruktur'']] einerseits und ein Begriffsfeld von diese Strukturen sichtbar machenden [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie|''Markerdimensionen'']] andererseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehmbar. Erst die Segmentation in zusammengehörige – nämlich gleich markierte – ''Gebiete'' ergibt eine Strukturierung in die räumlichen Elemente eines Ganzen.<ref>Auf den ersten Blick mag dieser Analyse sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit einer grammatischen Struktur im engeren Sinn eignen, wobei der geometrische Kalkül gewissermaßen als Grammatik fungiert und die Regeln zur Ableitung non-terminaler “Satz”-Tiefenstrukturen bereitstellt, während die möglichen Ausprägungen der Markerdimensionen das piktoriale “Lexikon” – die terminalen Symbole – zufügen, die die bildliche Oberflächenstruktur ergibt.</ref> <br />
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Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geometrie (d.h. Räumlichkeit) und Farbe nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) abhängig von der Differenzierung zwischen Eigenschaften, die zum Material des Bildträgers gehören – und daher als objektive Eigenschaften zu betrachten wären – und Eigenschaften, die vom Betrachter konstruiert werden – und folglich als subjektive Eigenschaften zu bewerten wären.<ref>Es erscheint schon merkwürdig, dass ausgerechnet »Farbe« – gemeinhin als Paradebeispiel für eine ''sekundäre'' Qualität angeführt – bei Saint-Martin zu den objektiven Materialeigenschaften gehört und nicht dem Wahrnehmungsapparat zugeschlagen wird.</ref> Vielmehr können Bildphilosophen über Farben und die Beziehungen zwischen ihnen einerseits und über räumliche Entitäten und die geometrischen oder topologischen Beziehungen zwischen ihnen andererseits diskutieren, ohne dabei die beiden Argumentationen miteinander vermischen zu müssen. Sie können als unabhängig voneinander betrachtet und als von – jedenfalls auf den ersten Blick – autonomen Begriffsfeldern geregelt behandelt werden.<ref>Eben aus diesem Grund ist eine von Farbtheorien unabhängige Geometrie möglich. Zwar kommen in Farbtheorien oft geometrische Begriffe vor (»Farbraum«, »Farbdistanz«, »Farbkörper«), doch sind diese raummetaphorisch gemein und beziehen sich gerade nicht auf die geometrischen Eigenschaften farbiger Gegenstände.</ref> Argumentationen über Pixeme müssen hingegen die Logik der Farben und die Logik des Raums miteinander kombinieren, d.h. in einer begrifflichen Synthese vereinigen. <br />
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Grundlegende Eigenschaften von Pixemen sind mithin genau die Attribute, die beliebige gefärbte Entitäten der zweidimensionalen Geometrie aufweisen, sowie die Relationen, die sie untereinander einnehmen können. Neben den charakteristischen Eigenschaften geometrischer Entitäten – insbesondere topologische, metrische und direktionale Relationen zwischen ihren Teilen (''Form'') und zu anderen Gebieten (''Lage'') – und den etwa durch Farbton, Helligkeit und Sättigung näher bestimmten Farbmarkierungen im engeren Sinn<ref>Zu beach&shy;ten ist aller&shy;dings, dass die Dimen&shy;sionen »Farb&shy;ton«, »Hellig&shy;keit« und »Sätti&shy;gung« zur Charak&shy;teri&shy;sierung eines pikto&shy;rialen Marker&shy;werts nicht abso&shy;lut gesehen werden können, sondern in starker Weise von ihrer Umge&shy;bung abhängen: sowohl Beleuchtung (objektiv) als auch die Farben der umgebenden Pixeme (subjektiv) beeinflussen die Wahrnehmung von Farbe.</ref> können auch homogene Farbverläufe oder spezielle Farbvariationen – Texturen – als Attribute höherer Ordnung relevant sein. Zudem treten Wechselwirklungen auf, die sich aus der räumlichen Anordnung verschiedener Farben zueinander ergeben, vor allem Kontrast-Effekte.<br />
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===Kombinationen von Pixemen, Maximalpixem===<br />
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Da die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine morphologische Analyse von Bildern irrelevant ist, können auch Zusammensetzungen aus mehreren Pixemen ohne weiteres wieder als Pixeme betrachtet werden: Die Morphologie von Bildern besteht damit aus Teil-Ganzes-Ordnungen von Pixemen, die sich zwischen dem Bildganzen – als Maximalpixem – und den als minimal betrachteten Gebieten mit jeweils nur einer einzigen homogenen Markerbelegung in meist mehreren Stufen aufspannen. <br />
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Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Markerbelegung im oben erwähnten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-pikturale Substruktur. So bilden beispielsweise in Abbildung 1 die mittig angeordneten bandförmigen, braun gefüllt und gelb umrandeten Pixeme ein säulenartiges komplexes Pixem höherer Ordnung. Seine geometrische Basisstruktur wird nicht einfach durch Farb- oder Texturwerte, sondern gerade durch die es konstituierenden Pixeme niederer Ordnung markiert.<br />
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Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morphologischen Struktur einem Bildträger gleichen, sind sie noch nicht ohne weiteres als Bildträger zu verwenden. Das liegt insbesondere an zwei zusammenhängenden Faktoren:<br />
* a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden Pixeme jeweils ''[[Figur/Grund-Differenzierung|Figuren]]'': der Hintergrund, vor dem sie als solche unausweichlich betrachtet werden, gehört entsprechend nicht zu ihnen. Im oben erwähnten Beispiel sind die die gelb-braunen Bänder umschließenden roten Bereiche nicht eingeschlossen. Obwohl durch die Pixem-Segmentierung prinzipiell in eine Vielfalt von Figur-Grund-Paaren zerlegbar, gilt doch für den Bildträger, dass er insgesamt nur in ''einer'' Hinsicht Figur ist, nämlich vor dem Rahmen. Das gilt unter allen beteiligten Pixemen nur für das Maximalpixem und hat dort eine besondere Wirkung.<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts|Abbildung 3: Pixem-Ausschnitt als Bild]]<br />
* b) Die ''[[Rahmung, Rahmen|Rahmung]]'' des Maximalpixems setzt letzteres nämlich in den Verwendungszusammenhang, der diese Figur als Ganze zu einer Zeichenmarke in einer Zeichenhandlung macht, d.h.: zu einem Bildträger. Natürlich ist es prinzipiell durchaus möglich, diese ''Rahmungshandlung'' auch bei jedem der Pixeme niederer Ordnung zu vollziehen, sie also als separierte Bildträger (und damit als andere Bilder) zu betrachten. Doch bleiben bei einem solchen Vorgehen die pragmatischen und semantischen Bezüge nicht erhalten:<ref>Eine Ausnahme zu dieser Regel dürften diejenigen Pixeme bilden, die abbildungswertlich als Bild im Bild interpretiert werden. Deren pragmatische und semantische Relationen sind dann allerdings in die Szene des [[Theorien des Bildraums|Bildraumes]] verschoben.</ref> Schnitte man eines der gelb-umrandeten, braun gefüllten Bänder aus dem Mittelteil von Abb. 1 aus und montierte es alleine auf den Hintergrund einer neutral gefärbten Fläche (oder auch freischwebend im Raum), so kann man das Resultat durchaus als ein Bild mit etwas ungewöhnlich gewölbtem Rand (also eine Rahmung ohne expliziten Rahmen) begreifen (Abb. 3). Verwendungszusammenhänge und Bedeutungszuschreibungen dieses Bildes hängen indes bestenfalls sehr locker mit denen von Abbildung 1 zusammen. <br />
<br />
===Pixem-bildende Operationen===<br />
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Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elementaren Pixem-Attribute zurück. Begründet in den psychophysiologischen Wahrnehmungsmechanismen, laufen sie in der Regel unbewußt ab. Dabei sind besonders zwei gegenläufige Aspekte wichtig: ''Kontrastverstärkung'' und ''Gestaltbildung''.<br />
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Die Konstitution von Pixemen bei der Betrachtung eines Bildträgers ist – als Variante der Segmentierung beim [[Sehen]] ganz allgemein – stark kontextsensitiv: So führen lokal wirksame kontrastverstärkende Komponenten des Wahrnehmungsapparates zu Grenzen zwischen als einheitlich wahrgenommenen Gebieten. Bemerkbar werden diese Operationen vor allem dann, wenn sie zu Täuschungen, d.h. zu zusätzlichen Pixemen (bzw. allgemeiner: Wahrnehmungssegmenten<ref>Der Hinweis auf den möglichen Unterschied zwischen visueller Wahrnehmung ganz allgemein und [[Bildwahrnehmung]] im Besonderen ist im Zusammenhang mit “optischen” Täuschungen (⊳ [[Wahrnehmungsillusion]]) durchaus erwähnenswert, finden doch die psychologischen Tests etwa zur Kontrasttäuschung wie auch die Experimente zur Gestaltbildung in der Regel mithilfe von Bildmaterial statt, während die Schlußfolgerungen daraus sich auf die visuelle Wahrnehmung ganz unabhängig von Bildern beziehen sollen. </ref>) führen, etwa bei der Kontrasttäuschung.<ref>Ein gut präsentiertes Beispiel der Kontrasttäuschung findet sich auf der folgenden Seite: [http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/optische-taeuschung-rauten-helligkeit.php Kontrasttäuschung bei sehtestbilder.de].</ref><br />
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Die Mechanismen der Kontrastverstärkung unterstützen andererseits das Zusammenfassen homogener Gebiete durch [[Gestalt|Gestaltbildung]] im Sinne der Gestaltgesetze. Deren unbewußtes Wirken bestimmt die wahrgenommenen Teil-Ganzes-Hierarchien der zusammengesetzen Pixeme. Das Wechselspiel von Grenzziehung durch Kontrastverstärkung und Integration gemäß der Gestaltgesetze führt letztlich zur Konstitution einer bildmorphologischen (Normal-)Struktur zwischen Maximalpixem und elementaren Gebieten, die allerdings bei der alltäglichen Bildwahrnehmung bereits beim Aufbau sehr stark von semantischen und pragmatischen Randbedingungen determiniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestaltungslehrbücher stets besonders hervor, dass “das Auge” in der ''gestalterischen Sehweise'' geschult werden müsse, die gerade von solchen Einflüssen absieht und letztlich einen rein eigenwertlichen Zugang zur Bildmorphologie erreichen will (etwa <bib id='Klee 1956a'></bib>). <br />
<br />
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==Anwendungen==<br />
[[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb|Abbildung 4: Ergebnis einer automatischen Segmentierung: Texturbasierte Pixembildung. Rechts sind die gefundenen Pixeme farblich markiert dargestellt.]]<br />
Das algorithmische Nachbilden pixem-bildender Operationen führt zur Möglichkeit bildmorphologischer Analysen in der Computervisualistik und bildt einen zentralen Bestandteil der [[Bildverarbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]]: Auf informatische Kodierungen ([[Notation|Notationen]]) von Bildträgern können entsprechende ''Segmentierungsverfahren'' programmiert werden, die (in der entsprechenden Literatur oft als ‘Objekte’ bezeichnete) Pixeme zu bestimmen erlauben (Abb. 4). Hierbei werden vor allem die Gestaltgesetze der Nähe, Ähnlichkeit und Guten Kontinuität über den Farb- und Texturmarkern operationalisiert. <br />
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Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwissenschaft auf diese Weise ein Set von technischen Standardwerkzeugen zur morphologischen Bildanalyse bereitzustellen. Dies ist insbesondere sinnvoll, insofern die Pixem-Komposition des Bildträgers, wie oben erwähnt, auf einen theoretisch vorausgesetzten ''Normalbetrachter'' bezogen werden muss. Zu bedenken bleibt dabei allerdings, dass die menschliche Wahrnehmung von Bildern, wie u.a. von Saint Martin beschrieben, neben den möglichen individuellen Abweichungen vom Normalbetrachter auch ''dynamische'' Aspekte umfasst, die durch eine solche rein strukturelle Analyse ebenfalls ausgeblendet bleiben.<br />
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Auf begrifflicher Ebene erlaubt die Synthese der bildlichen Morphosyntax aus geometrischem Basiskalkül und dem Begriffsfeld der farblichen Markerwerte schließlich, eine lange gehegte Vermutung zu widerlegen: dass nämlich der Begriff der syntaktischen (Nicht-)Wohlgeformtheit auf Bilder überhaupt nicht anzuwenden wäre (vgl. <bib id='Plümacher 1999a'></bib>). Da durch Beschädigungen des Bildträgers die geometrische Basisstruktur des Maximalpixems gestört werden kann, ist der Begriff eines [[syntaktisch unkorrekte Bilder|syntaktisch unkorrekten Bildes]] sehr wohl sinnvoll.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Bildgrammatik]]<br />
* [[Bildwahrnehmung]]<br />
* [[Bildverarbeitung, digitale]] <br />
* [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie]]<br />
* [[Farbwahrnehmung]]<br />
* [[Ikonische Differenz]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Identitätskriterien für Bildträger]]<br />
* [[Komposition]]<br />
* [[Morphologie und Syntax]]<br />
* [[Notation]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Raum und Geometrie]]<br />
* [[Sehen]] <br />
* [[Syntaktisch unkorrekte Bilder]]<br />
* [[Theorien des Bildraums]]<br />
* [[Textur]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, J.R.J.]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildmorphologie&diff=18311Bildmorphologie2013-11-14T16:32:25Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Einordnung der Bildmorphologie */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bildsyntax]]<br />
Unterpunkt zu: [[Bildsyntax]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt--><br />
==Einordnung der Bildmorphologie==<br />
Der Ausdruck ‘Bildmorphologie’ wird im allgemeinen nicht mit einer spezifischen, von ‘[[Bildgrammatik]]’ oder ‘[[Komposition|Bildkomposition]]’ verschiedenen Bedeutung gebraucht. Angesprochen wird mit all diesen Termini eine analytische Betrachtung des [[Bildobjekt / Bildträger|Bildträgers]] als zusammengesetzt aus für die Bildfunktion relevanten, im wesentlichen durch visuell wahrnehmbare Eigenschaften bestimmten Teilen, die auch in anderen Bildträgern, die sich durch die Zusammenstellung der Teile unterscheiden, Verwendung finden können. Es ist die Zusammenstellung der Teile zu einem Ganzen, die zusammen mit anderen ([[Pragmatik, Semantik, Syntax|nicht-syntaktischen]]) Faktoren die [[Identitätskriterien für Bildträger|(Typ-) Identität des Bildträgers]] und damit letztlich auch die möglichen Verwendungen des Bildträgers als Bild determiniert.<br />
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Allerdings legt es die Unterscheidung von im engeren Sinne grammatischen gegenüber morphologischen Aspekten bei der Betrachtung von Sprache (⊳ [[Morphologie und Syntax]]) nahe, den Ausdruck ‘Bildmorphologie’ mit einem spezifischeren Sinn aufzuladen und ihn so von der Bildgrammatik (die eben damit zu einer ''Bildgrammatik im engeren Sinn'' wird) abzuheben. Die Bildgrammatik im engeren Sinn versucht vor allem syntaktische Kompositionalität bei Bildern im Sinne der formalen (Chomsky-) Grammatiken nachzuweisen, die die Unterscheidung von »Satz« und »Wort« voraussetzen<ref>Das bedeutet: Die [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen dieser Zeichensysteme]] werden als aus [[Interaktion und Kommunikation|kommunikativ]] wirkenden Einheiten zusammengesetzt verstanden, denen zumindest zum Teil selbst wiederum Zeichencharakter zukommt. Eine Komposition aus kommunikativen Elementen, die nicht bereits selber Zeichen sind, wird dabei nicht berücksichtigt.</ref> und durch ein begrenztes Set von Ersetzungsregeln über einer endlichen Menge von Satzkonstituenten als Zwischenstufen („nonterminale Symbole“, etwa ‘Nominalphrase’) aus endlichen vielen Wörtern (im ''mentalen Lexikon'') auf eindeutige Weise unendlich viele Sätze abzuleiten oder zu analysieren gestatten (<bib id='Chomsky 1957a'></bib>). Dagegen ist eine Bildmorphologie im hier verwendeten Sinn an einer syntaktischen Bildkompositionalität anderer Art interessiert: Können Bildträger mithilfe allgemeiner Gruppierungsregeln – etwa analog zu den wesentlich “weicheren”, im geometrischen Kontinuum wirkenden [[Gestalt]]gesetzen – als aus “piktorialen Primitiven” bestehend beschrieben werden, die nicht bereits als Zeichen (Wörter) begriffen werden und aus einer möglicherweise unbegrenzten Grundmenge stammen, wobei auch die Bedingung der Eindeutigkeit der Ableitung abgeschwächt sein könnte? In Analogie zu den Wortbildungsregeln bei extrem [[Morphologie und Syntax#Isolierende, polysynthetische, fusionierende und agglutinierende Sprachsysteme|polysynthetisch-fusionierenden]] Sprachen, ohne dabei aber schon vorauszusetzen, dass eine Anwendung der Unterscheidung zwischen »Satz« und »Wort« auf bildhafte Zeichensysteme sinnvoll sei, müsste eine solche Bildmorphologie der charakteristischen Eigenschaft der [[Syntaktische Dichte|syntaktischen Dichte]] von bildlichen Zeichensystemen gerecht werden.<br />
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Besitzen Bilder eine solche Kompositionalität, so sind sie, obschon ebenfalls komplexe Zeichensysteme, sehr deutlich von Sprachzeichensystemen unterschieden (⊳ [[Ikonische Differenz]]). Ihnen fehlt die Aufgliederung der einzelnen [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem#Sprachliche Zeichen|Gesamtzeichenhandlungen]] in partiell unabhängige, wenn auch im Sinne Freges mehr oder minder ungesättigte, d.h. immer Ergänzungen bedürfender Teil''zeichen''handlungen – eben den Wörtern. Insbesondere bleibt dabei offen, ob die Verwendung isolierter syntaktischer Elemente bildhafter Zeichensysteme immer selbst bereits ungesättigte ''Zeichen''handlungen sind.<br />
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Sicherlich lassen sich die für ein Objekt in seiner Funktion ''als Bildträger'' relevanten physischen Eigenschaften vor allem in der visuell wahrnehmbaren geometrischen Anordnung von Farbflächen finden. In diesem Sinn können die syntaktischen Elemente, in die bei einer [[Eigenwerte, Abbildungswerte und Darstellungswerte syntaktischer Einheiten|eigenwertlichen Betrachtung der Bildsyntax]] der Bildträger zerlegt wird, als piktoriale morphologische Elemente betrachtet werden. Diese sind über ihren Eigenwert hinaus weder notwendiger Weise mit einer bestimmten Bedeutung – einem bestimmten Abbildungswert – aufgeladen, noch kommt ihnen unbedingt eine genau definierte pragmatische Funktion – ein festgelegter Darstellungswert – zu.<br />
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==Visuelle Gestalten, Coloreme und Pixeme==<br />
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[[Datei:Arnkerrthe-Traum (Gloria Temarre Petyarre).jpg|thumb|Abbildung 1: Als Beispiel: Gloria Temarre Petyarre: «Arnkerrthe(Berg-Teufel-Eidechse)-Traum»]]<br />
Kurz gefasst bilden also genau die Entitäten, in die der Bildträger – oder genauer: der durch [[Rahmung, Rahmen|Rahmung]] ausgezeichnete Teil seiner Oberfläche – in der visuellen Wahrnehmung eingeteilt erscheint, das morphologische Repertoire bei Bildern. Psychologisch wird diese Einteilung durch die Gestaltgesetze bestimmt: Sie determinieren, welche Raumstellen als zusammenhängend gesehen werden, und zwar nicht nur im Sinne eines in sich ungeteilten, gleichfarbigen und zusammenhängenden Gebiets, sondern auch im Sinne von Gruppierungen höherer Ordnung, etwa ''Folgen'' von gleichfarbigen Strichen. Dies führt beispielsweise in Abbildung 1 dazu, dass neben den roten, braunen, schwarzen, gelben und weißen Elementargebieten auch die Gruppen von gelb- bzw. weiß-gefassten, dunkel gefüllten Bögen und Balken als zusammengehörige visuelle Gestalten wahrgenommen werden. <br />
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In ihrem einflußreichen Buch zur Bildsyntax (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>) führt Fernande Saint-Martin als morphologische Basiseinheit die sogenannten ‘Coloreme’ ein: <br />
:[A coloreme] ''corresponds to that aggregate of visual variables perceived in the visual representation by the way of an ocular fixation, or focus of the gaze. … A coloreme is defined […] as the zone of the visual linguistic field correlated to a centration of the eye. It is constituted by a mass of energetic matter presenting a given set of visual variables.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 5).<ref>Vgl. hierzu auch den Eintrag ''Kolorem'' im [http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=2125 «Lexikon der Filmbegriffe»].</ref> <br />
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[[Datei:Kolorem.jpg|thumb|Abbildung 2: Visualisierung eines Colorems nach Saint-Martin (schematische Darstellung): Das das Colorem bestimmende kreisförmige foveale Zentrierungsgebiet ist herausgehoben und vergrößert, der Rest hingegen etwas abgedunkelt dargestellt]]<br />
Saint-Martins Verständnis der Coloreme konzentriert sich offensichtlich auf momentane psychophysische Aspekte: Zu jedem Zeitpunkt kann jeweils nur eine okulare Fixation erfolgen und folglich nur ein Colorem wahrgenomen werden (vgl. Abb. 2). Allerdings soll auf dieser Basis eine „colorematische (oder coloremische) Analyse“ aufbauen, die<br />
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:''describes the transformations which a coloreme undergoes by its interrelations with the other coloremes of its immediate entourage through macular centrations. The analyses proceeds thus at a first regrouping of coloremes through the topological relations which establish the first perceptual construction and structure the energetic exchanges between coloremes.'' (<bib id='Saint-Martin 1990a'></bib>: S. 194). <br />
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In ihrer Dynamik und direkter Abhängigkeit von den psychophysischen Eigenheiten eines wahrnehmenden Individuums sind Coloreme vor allem theoretische Entitäten. Praktisch schlägt Saint-Martin vor, die Bildfläche in ein regelmäßiges 5*5-Raster aufzuteilen, das als Basis für eine angenäherte Beschreibung der möglichen oder wahrscheinlichen Coloreme dient: Jedes Raster ist wiederum in ein 5*5-Subraster aufgeteilt, das die Gliederung in foveale Zentren und makulare Randbereiche aufgreift (ibid.: S. 197ff). <br />
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Um nicht zu stark an die recht spezifische Konzeption Saint-Martins gebunden zu sein, empfiehlt es sich allgemeiner, die – letztlich auf einen hypothetischen Normalbetrachter bezogenen – visuellen Gestalten im bildsyntaktischen Zusammenhang zunächst eher strukturalistisch zu betrachten und in Analogie zu dem linguistischen Ausdruck ‘Morphem’ als ‘Pixeme’ zu bezeichnen. Dabei kann in erster Näherung auch von der Dynamik abgesehen werden, die bei Saint-Martin die morphologische Beschreibung eines Bildträgers erschwert.<ref>In neurophysiologischer Perspektive verschiebt sich dabei der Fokus vom Auge zu den sogenannten neuralen Karten des visuellen Kortex oder besser der logischen Struktur der dort enkodierten visuellen Muster.</ref><br />
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===Pixem-Attribute===<br />
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Saint-Martin unterscheidet zwei Arten von Eigenschaften der syntakto-morphologischen Elemente bildhafter Zeichen, die häufig auf folgende Weise interpretiert werden (vgl. z.B. <bib id='Dölling 1999a'></bib>): ''Plastische'' Eigenschaften gehören zum [[Material]] des Bildträgers, während andere Eigenschaften ''im Auge des Betrachters'' liegen und von eher visueller also wahrnehmungsabhängiger Art sind. Die geometrischen Formen und ihre topologischen Relationen werden als typische Beispiele für den letzteren Eigenschaftstyp gegeben, während [[Farbwahrnehmung|Farben]] und [[Textur]]en als Beispiele für Eigenschaften des Materials selbst betrachtet werden. Coloreme sind stets Kombinationen von plastischen und visuell-perzeptiven Eigenschaften.<br />
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Tatsächlich kann auch der allgemeinere Begriff des Pixems logisch analysiert werden in eine rein [[Raum und Geometrie|geometrische ''Basisstruktur'']] einerseits und ein Begriffsfeld von diese Strukturen sichtbar machenden [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie|''Markerdimensionen'']] andererseits, denn Raum als solcher wäre ja nicht wahrnehmbar. Erst die Segmentation in zusammengehörige – nämlich gleich markierte – ''Gebiete'' ergibt eine Strukturierung in die räumlichen Elemente eines Ganzen.<ref>Auf den ersten Blick mag dieser Analyse sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit einer grammatischen Struktur im engeren Sinn eignen, wobei der geometrische Kalkül gewissermaßen als Grammatik fungiert und die Regeln zur Ableitung non-terminaler “Satz”-Tiefenstrukturen bereitstellt, während die möglichen Ausprägungen der Markerdimensionen das piktoriale “Lexikon” – die terminalen Symbole – zufügen, die die bildliche Oberflächenstruktur ergibt.</ref> <br />
:<br />
Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Geometrie (d.h. Räumlichkeit) und Farbe nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) abhängig von der Differenzierung zwischen Eigenschaften, die zum Material des Bildträgers gehören – und daher als objektive Eigenschaften zu betrachten wären – und Eigenschaften, die vom Betrachter konstruiert werden – und folglich als subjektive Eigenschaften zu bewerten wären.<ref>Es erscheint schon merkwürdig, dass ausgerechnet »Farbe« – gemeinhin als Paradebeispiel für eine ''sekundäre'' Qualität angeführt – bei Saint-Martin zu den objektiven Materialeigenschaften gehört und nicht dem Wahrnehmungsapparat zugeschlagen wird.</ref> Vielmehr können Bildphilosophen über Farben und die Beziehungen zwischen ihnen einerseits und über räumliche Entitäten und die geometrischen oder topologischen Beziehungen zwischen ihnen andererseits diskutieren, ohne dabei die beiden Argumentationen miteinander vermischen zu müssen. Sie können als unabhängig voneinander betrachtet und als von – jedenfalls auf den ersten Blick – autonomen Begriffsfeldern geregelt behandelt werden.<ref>Eben aus diesem Grund ist eine von Farbtheorien unabhängige Geometrie möglich. Zwar kommen in Farbtheorien oft geometrische Begriffe vor (»Farbraum«, »Farbdistanz«, »Farbkörper«), doch sind diese raummetaphorisch gemein und beziehen sich gerade nicht auf die geometrischen Eigenschaften farbiger Gegenstände.</ref> Argumentationen über Pixeme müssen hingegen die Logik der Farben und die Logik des Raums miteinander kombinieren, d.h. in einer begrifflichen Synthese vereinigen. <br />
:<br />
Grundlegende Eigenschaften von Pixemen sind mithin genau die Attribute, die beliebige gefärbte Entitäten der zweidimensionalen Geometrie aufweisen, sowie die Relationen, die sie untereinander einnehmen können. Neben den charakteristischen Eigenschaften geometrischer Entitäten – insbesondere topologische, metrische und direktionale Relationen zwischen ihren Teilen (''Form'') und zu anderen Gebieten (''Lage'') – und den etwa durch Farbton, Helligkeit und Sättigung näher bestimmten Farbmarkierungen im engeren Sinn<ref>Zu beach&shy;ten ist aller&shy;dings, dass die Dimen&shy;sionen »Farb&shy;ton«, »Hellig&shy;keit« und »Sätti&shy;gung« zur Charak&shy;teri&shy;sierung eines pikto&shy;rialen Marker&shy;werts nicht abso&shy;lut gesehen werden können, sondern in starker Weise von ihrer Umge&shy;bung abhängen: sowohl Beleuchtung (objektiv) als auch die Farben der umgebenden Pixeme (subjektiv) beeinflussen die Wahrnehmung von Farbe.</ref> können auch homogene Farbverläufe oder spezielle Farbvariationen – Texturen – als Attribute höherer Ordnung relevant sein. Zudem treten Wechselwirklungen auf, die sich aus der räumlichen Anordnung verschiedener Farben zueinander ergeben, vor allem Kontrast-Effekte.<br />
<br />
===Kombinationen von Pixemen, Maximalpixem===<br />
<br />
Da die Unterteilung in »Wort« und »Satz« für eine morphologische Analyse von Bildern irrelevant ist, können auch Zusammensetzungen aus mehreren Pixemen ohne weiteres wieder als Pixeme betrachtet werden: Die Morphologie von Bildern besteht damit aus Teil-Ganzes-Ordnungen von Pixemen, die sich zwischen dem Bildganzen – als Maximalpixem – und den als minimal betrachteten Gebieten mit jeweils nur einer einzigen homogenen Markerbelegung in meist mehreren Stufen aufspannen. <br />
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Pixemen höherer Ordnung kommt mithin nicht nur eine Markerbelegung im oben erwähnten Sinn zu. Sie haben vielmehr eine quasi-pikturale Substruktur. So bilden beispielsweise in Abbildung 1 die mittig angeordneten bandförmigen, braun gefüllt und gelb umrandeten Pixeme ein säulenartiges komplexes Pixem höherer Ordnung. Seine geometrische Basisstruktur wird nicht einfach durch Farb- oder Texturwerte, sondern gerade durch die es konstituierenden Pixeme niederer Ordnung markiert.<br />
:<br />
Obwohl die Pixeme “mittlerer” Ordnung in ihrer morphologischen Struktur einem Bildträger gleichen, sind sie noch nicht ohne weiteres als Bildträger zu verwenden. Das liegt insbesondere an zwei zusammenhängenden Faktoren:<br />
* a) Gestalttheoretisch gesprochen bilden Pixeme jeweils ''[[Figur/Grund-Differenzierung|Figuren]]'': der Hintergrund, vor dem sie als solche unausweichlich betrachtet werden, gehört entsprechend nicht zu ihnen. Im oben erwähnten Beispiel sind die die gelb-braunen Bänder umschließenden roten Bereiche nicht eingeschlossen. Obwohl durch die Pixem-Segmentierung prinzipiell in eine Vielfalt von Figur-Grund-Paaren zerlegbar, gilt doch für den Bildträger, dass er insgesamt nur in ''einer'' Hinsicht Figur ist, nämlich vor dem Rahmen. Das gilt unter allen beteiligten Pixemen nur für das Maximalpixem und hat dort eine besondere Wirkung.<br />
[[Datei:Arnkerrthe-Ausschnitt1.gif|frameless|rechts|Abbildung 3: Pixem-Ausschnitt als Bild]]<br />
* b) Die ''[[Rahmung, Rahmen|Rahmung]]'' des Maximalpixems setzt letzteres nämlich in den Verwendungszusammenhang, der diese Figur als Ganze zu einer Zeichenmarke in einer Zeichenhandlung macht, d.h.: zu einem Bildträger. Natürlich ist es prinzipiell durchaus möglich, diese ''Rahmungshandlung'' auch bei jedem der Pixeme niederer Ordnung zu vollziehen, sie also als separierte Bildträger (und damit als andere Bilder) zu betrachten. Doch bleiben bei einem solchen Vorgehen die pragmatischen und semantischen Bezüge nicht erhalten:<ref>Eine Ausnahme zu dieser Regel dürften diejenigen Pixeme bilden, die abbildungswertlich als Bild im Bild interpretiert werden. Deren pragmatische und semantische Relationen sind dann allerdings in die Szene des [[Theorien des Bildraums|Bildraumes]] verschoben.</ref> Schnitte man eines der gelb-umrandeten, braun gefüllten Bänder aus dem Mittelteil von Abb. 1 aus und montierte es alleine auf den Hintergrund einer neutral gefärbten Fläche (oder auch freischwebend im Raum), so kann man das Resultat durchaus als ein Bild mit etwas ungewöhnlich gewölbtem Rand (also eine Rahmung ohne expliziten Rahmen) begreifen (Abb. 3). Verwendungszusammenhänge und Bedeutungszuschreibungen dieses Bildes hängen indes bestenfalls sehr locker mit denen von Abbildung 1 zusammen. <br />
<br />
===Pixem-bildende Operationen===<br />
<br />
Die Pixem-bildenden Operationen gehen letztlich auf die elementaren Pixem-Attribute zurück. Begründet in den psychophysiologischen Wahrnehmungsmechanismen, laufen sie in der Regel unbewußt ab. Dabei sind besonders zwei gegenläufige Aspekte wichtig: ''Kontrastverstärkung'' und ''Gestaltbildung''.<br />
:<br />
Die Konstitution von Pixemen bei der Betrachtung eines Bildträgers ist – als Variante der Segmentierung beim [[Sehen]] ganz allgemein – stark kontextsensitiv: So führen lokal wirksame kontrastverstärkende Komponenten des Wahrnehmungsapparates zu Grenzen zwischen als einheitlich wahrgenommenen Gebieten. Bemerkbar werden diese Operationen vor allem dann, wenn sie zu Täuschungen, d.h. zu zusätzlichen Pixemen (bzw. allgemeiner: Wahrnehmungssegmenten<ref>Der Hinweis auf den möglichen Unterschied zwischen visueller Wahrnehmung ganz allgemein und [[Bildwahrnehmung]] im Besonderen ist im Zusammenhang mit “optischen” Täuschungen (⊳ [[Wahrnehmungsillusion]]) durchaus erwähnenswert, finden doch die psychologischen Tests etwa zur Kontrasttäuschung wie auch die Experimente zur Gestaltbildung in der Regel mithilfe von Bildmaterial statt, während die Schlußfolgerungen daraus sich auf die visuelle Wahrnehmung ganz unabhängig von Bildern beziehen sollen. </ref>) führen, etwa bei der Kontrasttäuschung.<ref>Ein gut präsentiertes Beispiel der Kontrasttäuschung findet sich auf der folgenden Seite: [http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/optische-taeuschung-rauten-helligkeit.php Kontrasttäuschung bei sehtestbilder.de].</ref><br />
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Die Mechanismen der Kontrastverstärkung unterstützen andererseits das Zusammenfassen homogener Gebiete durch [[Gestalt|Gestaltbildung]] im Sinne der Gestaltgesetze. Deren unbewußtes Wirken bestimmt die wahrgenommenen Teil-Ganzes-Hierarchien der zusammengesetzen Pixeme. Das Wechselspiel von Grenzziehung durch Kontrastverstärkung und Integration gemäß der Gestaltgesetze führt letztlich zur Konstitution einer bildmorphologischen (Normal-)Struktur zwischen Maximalpixem und elementaren Gebieten, die allerdings bei der alltäglichen Bildwahrnehmung bereits beim Aufbau sehr stark von semantischen und pragmatischen Randbedingungen determiniert wird. Eben aus diesem Grund heben etwa Gestaltungslehrbücher stets besonders hervor, dass “das Auge” in der ''gestalterischen Sehweise'' geschult werden müsse, die gerade von solchen Einflüssen absieht und letztlich einen rein eigenwertlichen Zugang zur Bildmorphologie erreichen will (etwa <bib id='Klee 1956a'></bib>). <br />
<br />
<br />
==Anwendungen==<br />
[[Datei:BrodatzTexturErkennung.jpg|thumb|Abbildung 4: Ergebnis einer automatischen Segmentierung: Texturbasierte Pixembildung. Rechts sind die gefundenen Pixeme farblich markiert dargestellt.]]<br />
Das algorithmische Nachbilden pixem-bildender Operationen führt zur Möglichkeit bildmorphologischer Analysen in der Computervisualistik und bildt einen zentralen Bestandteil der [[Bildverarbeitung, digitale|digitalen Bildverarbeitung]]: Auf informatische Kodierungen ([[Notation|Notationen]]) von Bildträgern können entsprechende ''Segmentierungsverfahren'' programmiert werden, die (in der entsprechenden Literatur oft als ‘Objekte’ bezeichnete) Pixeme zu bestimmen erlauben (Abb. 4). Hierbei werden vor allem die Gestaltgesetze der Nähe, Ähnlichkeit und Guten Kontinuität über den Farb- und Texturmarkern operationalisiert. <br />
:<br />
Auf lange Sicht mag es möglich sein, der Bildwissenschaft auf diese Weise ein Set von technischen Standardwerkzeugen zur morphologischen Bildanalyse bereitzustellen. Dies ist insbesondere sinnvoll, insofern die Pixem-Komposition des Bildträgers, wie oben erwähnt, auf einen theoretisch vorausgesetzten ''Normalbetrachter'' bezogen werden muss. Zu bedenken bleibt dabei allerdings, dass die menschliche Wahrnehmung von Bildern, wie u.a. von Saint Martin beschrieben, neben den möglichen individuellen Abweichungen vom Normalbetrachter auch ''dynamische'' Aspekte umfasst, die durch eine solche rein strukturelle Analyse ebenfalls ausgeblendet bleiben.<br />
:<br />
Auf begrifflicher Ebene erlaubt die Synthese der bildlichen Morphosyntax aus geometrischem Basiskalkül und dem Begriffsfeld der farblichen Markerwerte schließlich, eine lange gehegte Vermutung zu widerlegen: dass nämlich der Begriff der syntaktischen (Nicht-)Wohlgeformtheit auf Bilder überhaupt nicht anzuwenden wäre (vgl. <bib id='Plümacher 1999a'></bib>). Da durch Beschädigungen des Bildträgers die geometrische Basisstruktur des Maximalpixems gestört werden kann, ist der Begriff eines [[syntaktisch unkorrekte Bilder|syntaktisch unkorrekten Bildes]] sehr wohl sinnvoll.<br />
<br />
{{GlossarSiehe}}<br />
* [[Bildgrammatik]]<br />
* [[Bildwahrnehmung]]<br />
* [[Bildverarbeitung, digitale]] <br />
* [[Farbe als bildsyntaktische Kategorie]]<br />
* [[Farbwahrnehmung]]<br />
* [[Ikonische Differenz]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Gestalt]]<br />
* [[Identitätskriterien für Bildträger]]<br />
* [[Komposition]]<br />
* [[Morphologie und Syntax]]<br />
* [[Notation]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Rahmung, Rahmen]]<br />
* [[Raum und Geometrie]]<br />
* [[Sehen]] <br />
* [[Syntaktisch unkorrekte Bilder]]<br />
* [[Theorien des Bildraums]]<br />
* [[Textur]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender "id" in der Bibliography-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "bearbeiten" Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, J.R.J.]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Notation&diff=17735Notation2013-11-07T10:04:15Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
<!--Ende header--><br />
<br />
<!--In der folgenden Zeile bitte die (Wiki)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--In der folgenden Zeile bitte die (Glossar)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--beides sollte in der Regel der gleiche Text sein--><br />
<br />
<!--Den folgenden Abschnitt bitte nicht ändern--><br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
=====Notation und die primäre Funktion einer Partitur=====<br />
<br />
Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusammenhang mit der Frage nach den Identitätskriterien für Kunstwerke entwickelt. Eine Notation ist ein [[Zeichensystem]], das ein syntaktisches oder semantisches Kriterium dafür ermöglicht, welche Gegenstände oder Ereignisse Einzelfälle eines bestimmten Werks sind. Ein solches Kriterium ist dann notwendig, wenn Werke mehrere Einzelfälle zulassen, deren Identität nicht durch ihre Entstehungsgeschichte bestimmt ist. Da dies in paradigmatischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Notation für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Literatur und ausführlicher den bildenden Künsten zuwende. Die resultierenden Identitätskriterien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerkstatus gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.<br />
<br />
Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufgeführt werden; und ob eine Aufführung ein Einzelfall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufgeführt hat. Zudem können sich verschiedene Aufführungen eines Werks beträchtlich unterscheiden. Die Partitur legt fest, in welchen Hinsichten sie übereinstimmen müssen. Genau diejenigen Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, sind Einzelfälle desselben Werks. Die Partitur liefert damit ein semantisches Kriterium der Werkidentität. Ihre primäre Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 128f.) in der definitiven Identifikation eines Werks von Aufführung zu Aufführung.<ref> Natürlich erfüllt nicht alles, was wir ‘Partitur’ nennen, diese Funktion; zudem haben Partituren weitere Funktionen wie das Transponieren, das Verstehen und das Komponieren zu erleichtern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Aufführungen des Werks eindeutig festlegen; sie muss als Klasse von Inskriptionen auch selbst durch eine Aufführung eindeutig festgelegt werden, wenn das Notationssystem gegeben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Partituridentität in jeder Folge von Schritten erhalten, von denen jeder entweder von einer Aufführung zu einer Partiturinskription oder von dieser zu einer Aufführung oder zu einer weiteren Inskription der Partitur führt. <br />
<br />
<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas 61a'>Jonas 1961</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Link "Sammlung" in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
<br />
=====Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn=====<br />
<br />
Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfüllen, wenn das Zeichensystem, in dem sie verfasst ist, bestimmten syntaktischen und semantischen Anforderungen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 130–154; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 97–104; <bib id='Elgin 1992'>Elgin 1992</bib>). Eine Notation muss syntaktisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Inskriptionen solche derselben Partitur sind. Ein Zeichensystem besteht aus einem Zeichenschema, das mit einem Bereich korreliert ist. Das Zeichenschema, das Charakteren und ihre Marken enthält, ist syntaktisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charakter gehört. Die syntaktische Disjunktheit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charakter gehören, ohne syntaktische Auswirkungen durcheinander ersetzbar sind. Ein Zeichenschema ist syntaktisch differenziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzulegen, zu welchem Charakter des Schemas sie gehört. Die syntaktische Differenziertheit stellt sicher, dass wir entscheiden können, ob zwei Marken zum selben Charakter gehören. Ein Zeichenschema ist dagegen [[syntaktische Dichte|syntaktisch dicht]], wenn es unendlich viele Charaktere vorsieht, die so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntaktische Dichte verunmöglicht es, den Charakter zu identifizieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gibt, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
Ein Charakter ist mehrdeutig, wenn eine seiner Inskriptionen mehr als eine Erfüllungsklasse hat oder nicht alle seiner Inskriptionen dieselbe Erfüllungsklasse haben. Wäre eine Partitur mehrdeutig, würde sie von Aufführungen unterschiedlicher Werke erfüllt. Damit die Partitur ihre primäre Funktion erfüllen kann, muss die Notation frei von Mehrdeutigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, Einzelfälle desselben Werks sind. Eine Notation muss zudem semantisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Aufführungen dieselbe Partitur erfüllen und damit Einzelfälle desselben Werks sind. Ein Zeichensystem ist semantisch disjunkt, wenn sich seine Erfüllungsklassen nicht überschneiden. Die semantische Disjunktheit stellt sicher, dass keine Aufführung nicht-koextensive Partituren erfüllt und ein Einzelfall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Aufführung verschiedene koextensive Partituren erfüllt und das System also redundant ist. Redundanzen gefährden zwar nicht die Werk-, aber die Partituridentität, da nicht alle Partituren eines Werks Einzelfälle desselben Charakters sind. Sie können ausgeschlossen werden, wenn man für die semantische Disjunktivität fordert, dass keine zwei Charaktere einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben. Die Erfüllungsklassen eines Zeichensystems sind semantisch differenziert, wenn es für jeden Charakter des Systems möglich ist festzulegen, welche Gegenstände ihn erfüllen. Die semantische Differenziertheit stellt sicher, dass wir für jede Aufführung entscheiden können, welche Partitur sie erfüllt. Ein Zeichensystem ist semantisch dicht, wenn die Erfüllungsklassen so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Partituren Charaktere in dichten Systemen, wäre es unmöglich, die Partitur einer Aufführung zu identifizieren, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gäbe, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
Ein Zeichenschema, das die syntaktischen Anforderungen erfüllt, ist ein Notationsschema im formalen Sinn; ein Notationssystem im formalen Sinn erfüllt auch die semantischen Anforderungen und ist also syntaktisch und semantisch disjunkt und differenziert sowie frei von Mehrdeutigkeit.<ref> Eine praktikable Notation hat zudem technische Anforderungen zu erfüllen, die nichts mit der primären theoretischen Funktion zu tun haben, wie überschaubar kleine oder endliche Menge atomarer Charaktere, Deutlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Handhabbarkeit, graphische Eingängigkeit, mnemotechnische Effizienz und bequeme Duplizierbarkeit (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 154).</ref> Eine Notation im substantiellen Sinn ist ein Notationssystem im formalen Sinn, das ein Kriterium der Werkidentität liefert, welches zwei Bedingungen erfüllt. Es muss erstens die Identität von Werken unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte festlegen und zweitens hinreichend mit unserer bestehenden Praxis der Identifikation von Werken übereinstimmen (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 195f.). Die unqualifizierten Ausdrücke ‘Notation’ und ‘Notationssystem’ verwende ich im Folgenden für Notationen im substantiellen Sinn.<br />
<br><br />
<br />
=====Musik, Literatur, bildende Künste=====<br />
<br />
Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Partitur in der musikalischen Standardnotation als Charakter in einem Notationssystem zu rekonstruieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 117f.; 179–187). Die Standardnotation erfüllt die syntaktischen und semantischen Anforderungen, wenn man von Redundanzen absieht, Instrumentspezifikationen als Teil der Notation und sprachliche Ergänzungen wie Tempoangaben als bloße Empfehlungen dafür interpretiert, wie ein Werk aufzuführen ist. Sie ermöglicht ein semantisches Kriterium der Werkidentität und ein syntaktisches Kriterium der Partituridentität: Eine Aufführung ist genau dann ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn sie die Partitur des Werks erfüllt; und zwei Inskriptionen sind genau dann solche derselben Partitur, wenn sie gleich buchstabiert, d.h. aus denselben Elementen in derselben Anordnung zusammengesetzt sind. Das Kriterium der Partiturerfüllung legt die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinreichend mit unserer Praxis der Identifikation von Werken überein, die in Standardnotation kodifiziert sind. Dagegen wurde erstens eingewendet, dass nach ihm eine Aufführung mit einer einzigen falschen Note kein Einzelfall des fraglichen Werks ist, was unserer bestehenden Klassifikationspraxis widerspreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991'>Hernadi 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 186f.; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag übersehe die historisch und kontextuell gebundene Natur musikalischer Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levinson 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999'>Predelli 1999</bib>). Nach diesem grundsätzlicheren Einwand stimmt das Kriterium gerade deshalb nicht mit unserer Klassifikationspraxis überein, weil es die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte festlegt.<br />
:<br />
Ein Text ist ein Charakter in einem Notationsschema, nicht aber in einem Notationssystem. Verbale Sprachen erfüllen die syntaktischen Anforderungen an eine Notation: Jede Inskription gehört zu höchstens einem Charakter und es ist im Prinzip auch entscheidbar, zu welchem Charakter. Aber sie verletzen die semantischen Anforderungen: Sie enthalten mehrdeutige Ausdrücke, ihre Erfüllungsklassen stehen in Inklusions- und Überlappungsbeziehungen und sind zudem semantisch dicht. Damit ist ein syntaktisches Kriterium der Werkidentität verfügbar: Eine Inskription ist genau dann ein Einzelfall eines Texts, wenn sie gleich buchstabiert ist wie ein echter Einzelfall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Identität eines Texts unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Dass es auch hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, wurde wiederum mit dem Hinweis bestritten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfehler enthält, kein Einzelfall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag eingewendet, dass er die Gebundenheit insbesondere literarischer Werke an einen historischen Kontext und einen Autor übersehe (vgl. <bib id='Davies 1991'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbrenner 1996</bib>: S. 90–118).<br />
<br />
Die Skizze eines Malers kann wie die Partitur eines Komponisten als Arbeitsanleitung gebraucht werden, hat aber einen ganz anderen Status. Sie ist weder ein Charakter in einem Notationssystem noch ein Charakter in einem Notationsschema, da das bildliche Zeichensystem, zu dem sie gehört, weder die semantischen noch die syntaktischen Anforderungen erfüllt. Die semantischen Anforderungen verletzt es, weil es mehrdeutige Bilder enthält, seine Erfüllungsklassen sich in vielfacher Weise überschneiden und überlappen und zudem dicht sind. Die syntaktischen Anforderungen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen pikturalen Eigenschaften Inskriptionen mehrerer Charaktere sein können und weil seine Charaktere bezüglich manchen Hinsichten (wie der Größe, der Gestalt, der Position, sowie mehrerer farblicher Aspekte) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schematische Bilder wie Karten, Pläne und genealogische Bäume annähernd notational (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6, 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwendung von ‘notational’ eher Goodmans Verwendung von ‘diagrammatisch’. Diagramme unterscheiden sich nach Goodman von Bildern im eigentlichen Sinn dadurch, dass relativ wenige ihrer Merkmale konstitutiv dafür sind, zu welchem Charakter sie gehören (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Kriterium für die Werkidentität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.<br />
<br />
Dass Bilder als Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen funktionieren, schließt an sich die Möglichkeit einer Notation nicht aus. Auch musikalische Aufführungen funktionieren als expressive Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen; dennoch lassen sie eine Notation zu. Die Frage nach der Möglichkeit einer Notation für eine Kunst muss von der Frage unterschieden werden, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften die Systeme haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktionieren. Das wird oft übersehen, weil Goodmans Notationstheorie zugleich ein Instrumentarium für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Zeichensysteme liefert.<ref> Notationssysteme dienen dabei als Vergleichs- und nicht als Wertmaßstab, dem sich alle Zeichensysteme annähern sollten. Dass bildliche Zeichensysteme alle syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation verletzen, impliziert deshalb keine Wertung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Kriterium der Werkidentität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktionieren.<br />
<br />
Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entstehungszeit und -ort eine Ziffer zuordnet und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassifiziert, erfüllen die syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Systeme liefert zudem ein Kriterium der Werkidentität, das hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, aber es identifiziert Bilder nicht unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Das zweite System liefert zwar ein Kriterium der Werkidentität, das Bilder unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert, aber es weicht zu stark von unserer Klassifikationspraxis ab. Wir betrachten zwei Bilder mit demselben Preis nicht als Einzelfälle desselben Werks. Es scheint keine Notation für Bilder zu geben, die ein Identitätskriterium liefert, das sowohl hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt als auch unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Bilder ist. Analoges gilt für Werke anderer bildender Künste (wie z.B. Skulpturen). Etwas komplizierter ist die Situation in der Architektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumberger 2010</bib>: Kap. 6).<br />
<br />
Das Kriterium der Werkidentität für bildende Künste ist damit weder semantischer noch syntaktischer, sondern historischer Art: Ein Gegenstand ist genau dann ein bestimmtes Werk oder ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn er die angemessene Entstehungsgeschichte hat. Das Kriterium dafür, dass wir die Mona Lisa vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsächlich von Leonardo da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Malerei eine singuläre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Literatur multipel. Ihre Werke lassen mehrere Einzelfälle zu. Das Kriterium dafür, dass wir einen Einzelfall eines bestimmten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118; 192–194).<br />
<br><br />
<br />
=====Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung=====<br />
<br />
Die Verfügbarkeit einer Notation schließt Fälschungen von bestehenden Werken oder Einzelfälle solcher (im Gegensatz zu Fälschungen von Werken ohne Original und bestimmten Einzelfällen) aus. In den bildenden Künsten sind solche Fälschungen möglich; sie geben fälschlicherweise vor, eine Entstehungsgeschichte zu besitzen, die für das oder ein Original unerlässlich ist. In der Musik und der Literatur sind sie ausgeschlossen, da die Notation ein semantisches respektive syntaktisches Identitätskriterium liefert, das die Werke unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert. Werke, die solche Fälschungen zulassen, bezeichnet Goodman als ‘autographisch’, Werke, die sie ausschließen, als ‘allographisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obigen Überlegungen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann autographisch, wenn seine Identität durch seine Entstehungsgeschichte bestimmt ist; es ist genau dann allographisch, wenn seine Identität syntaktisch oder semantisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988'>Goodman & Elgin 1988</bib>: 116–118; 65; für eine kritische Diskussion der Unterscheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levinson 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Notation liegt Goodmans Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Werken zugrunde und ermöglicht eine Erklärung, weshalb manche Werke im relevanten Sinn gefälscht werden können und andere nicht.<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
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{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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<!--in der folgenden Zeile XXX durch Benutzernamen ersetzen--><br />
[[Benutzer:Christoph Baumberger|Baumberger, Christoph]] <br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Notation&diff=17733Notation2013-11-07T10:01:57Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Musik, Literatur, bildende Künste */</p>
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<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
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[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
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Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--beides sollte in der Regel der gleiche Text sein--><br />
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{{GlossarBoxMain}}<br />
<br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
=====Notation und die primäre Funktion einer Partitur=====<br />
<br />
Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusammenhang mit der Frage nach den Identitätskriterien für Kunstwerke entwickelt. Eine Notation ist ein [[Zeichensystem]], das ein syntaktisches oder semantisches Kriterium dafür ermöglicht, welche Gegenstände oder Ereignisse Einzelfälle eines bestimmten Werks sind. Ein solches Kriterium ist dann notwendig, wenn Werke mehrere Einzelfälle zulassen, deren Identität nicht durch ihre Entstehungsgeschichte bestimmt ist. Da dies in paradigmatischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Notation für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Literatur und ausführlicher den bildenden Künsten zuwende. Die resultierenden Identitätskriterien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerkstatus gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.<br />
<br />
Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufgeführt werden; und ob eine Aufführung ein Einzelfall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufgeführt hat. Zudem können sich verschiedene Aufführungen eines Werks beträchtlich unterscheiden. Die Partitur legt fest, in welchen Hinsichten sie übereinstimmen müssen. Genau diejenigen Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, sind Einzelfälle desselben Werks. Die Partitur liefert damit ein semantisches Kriterium der Werkidentität. Ihre primäre Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 128f.) in der definitiven Identifikation eines Werks von Aufführung zu Aufführung.<ref> Natürlich erfüllt nicht alles, was wir ‘Partitur’ nennen, diese Funktion; zudem haben Partituren weitere Funktionen wie das Transponieren, das Verstehen und das Komponieren zu erleichtern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Aufführungen des Werks eindeutig festlegen; sie muss als Klasse von Inskriptionen auch selbst durch eine Aufführung eindeutig festgelegt werden, wenn das Notationssystem gegeben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Partituridentität in jeder Folge von Schritten erhalten, von denen jeder entweder von einer Aufführung zu einer Partiturinskription oder von dieser zu einer Aufführung oder zu einer weiteren Inskription der Partitur führt. <br />
<br />
<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas 61a'>Jonas 1961</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Link "Sammlung" in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
<br />
=====Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn=====<br />
<br />
Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfüllen, wenn das Zeichensystem, in dem sie verfasst ist, bestimmten syntaktischen und semantischen Anforderungen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 130–154; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 97–104; <bib id='Elgin 1992'>Elgin 1992</bib>). Eine Notation muss syntaktisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Inskriptionen solche derselben Partitur sind. Ein Zeichensystem besteht aus einem Zeichenschema, das mit einem Bereich korreliert ist. Das Zeichenschema, das Charakteren und ihre Marken enthält, ist syntaktisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charakter gehört. Die syntaktische Disjunktheit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charakter gehören, ohne syntaktische Auswirkungen durcheinander ersetzbar sind. Ein Zeichenschema ist syntaktisch differenziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzulegen, zu welchem Charakter des Schemas sie gehört. Die syntaktische Differenziertheit stellt sicher, dass wir entscheiden können, ob zwei Marken zum selben Charakter gehören. Ein Zeichenschema ist dagegen [[syntaktische Dichte|syntaktisch dicht]], wenn es unendlich viele Charaktere vorsieht, die so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntaktische Dichte verunmöglicht es, den Charakter zu identifizieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gibt, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
Ein Charakter ist mehrdeutig, wenn eine seiner Inskriptionen mehr als eine Erfüllungsklasse hat oder nicht alle seiner Inskriptionen dieselbe Erfüllungsklasse haben. Wäre eine Partitur mehrdeutig, würde sie von Aufführungen unterschiedlicher Werke erfüllt. Damit die Partitur ihre primäre Funktion erfüllen kann, muss die Notation frei von Mehrdeutigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, Einzelfälle desselben Werks sind. Eine Notation muss zudem semantisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Aufführungen dieselbe Partitur erfüllen und damit Einzelfälle desselben Werks sind. Ein Zeichensystem ist semantisch disjunkt, wenn sich seine Erfüllungsklassen nicht überschneiden. Die semantische Disjunktheit stellt sicher, dass keine Aufführung nicht-koextensive Partituren erfüllt und ein Einzelfall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Aufführung verschiedene koextensive Partituren erfüllt und das System also redundant ist. Redundanzen gefährden zwar nicht die Werk-, aber die Partituridentität, da nicht alle Partituren eines Werks Einzelfälle desselben Charakters sind. Sie können ausgeschlossen werden, wenn man für die semantische Disjunktivität fordert, dass keine zwei Charaktere einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben. Die Erfüllungsklassen eines Zeichensystems sind semantisch differenziert, wenn es für jeden Charakter des Systems möglich ist festzulegen, welche Gegenstände ihn erfüllen. Die semantische Differenziertheit stellt sicher, dass wir für jede Aufführung entscheiden können, welche Partitur sie erfüllt. Ein Zeichensystem ist semantisch dicht, wenn die Erfüllungsklassen so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Partituren Charaktere in dichten Systemen, wäre es unmöglich, die Partitur einer Aufführung zu identifizieren, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gäbe, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
Ein Zeichenschema, das die syntaktischen Anforderungen erfüllt, ist ein Notationsschema im formalen Sinn; ein Notationssystem im formalen Sinn erfüllt auch die semantischen Anforderungen und ist also syntaktisch und semantisch disjunkt und differenziert sowie frei von Mehrdeutigkeit.<ref> Eine praktikable Notation hat zudem technische Anforderungen zu erfüllen, die nichts mit der primären theoretischen Funktion zu tun haben, wie überschaubar kleine oder endliche Menge atomarer Charaktere, Deutlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Handhabbarkeit, graphische Eingängigkeit, mnemotechnische Effizienz und bequeme Duplizierbarkeit (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 154).</ref> Eine Notation im substantiellen Sinn ist ein Notationssystem im formalen Sinn, das ein Kriterium der Werkidentität liefert, welches zwei Bedingungen erfüllt. Es muss erstens die Identität von Werken unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte festlegen und zweitens hinreichend mit unserer bestehenden Praxis der Identifikation von Werken übereinstimmen (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 195f.). Die unqualifizierten Ausdrücke ‘Notation’ und ‘Notationssystem’ verwende ich im Folgenden für Notationen im substantiellen Sinn.<br />
<br><br />
<br />
=====Musik, Literatur, bildende Künste=====<br />
<br />
Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Partitur in der musikalischen Standardnotation als Charakter in einem Notationssystem zu rekonstruieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 117f.; 179–187). Die Standardnotation erfüllt die syntaktischen und semantischen Anforderungen, wenn man von Redundanzen absieht, Instrumentspezifikationen als Teil der Notation und sprachliche Ergänzungen wie Tempoangaben als bloße Empfehlungen dafür interpretiert, wie ein Werk aufzuführen ist. Sie ermöglicht ein semantisches Kriterium der Werkidentität und ein syntaktisches Kriterium der Partituridentität: Eine Aufführung ist genau dann ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn sie die Partitur des Werks erfüllt; und zwei Inskriptionen sind genau dann solche derselben Partitur, wenn sie gleich buchstabiert, d.h. aus denselben Elementen in derselben Anordnung zusammengesetzt sind. Das Kriterium der Partiturerfüllung legt die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinreichend mit unserer Praxis der Identifikation von Werken überein, die in Standardnotation kodifiziert sind. Dagegen wurde erstens eingewendet, dass nach ihm eine Aufführung mit einer einzigen falschen Note kein Einzelfall des fraglichen Werks ist, was unserer bestehenden Klassifikationspraxis widerspreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991'>Hernadi 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 186f.; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag übersehe die historisch und kontextuell gebundene Natur musikalischer Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levinson 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999'>Predelli 1999</bib>). Nach diesem grundsätzlicheren Einwand stimmt das Kriterium gerade deshalb nicht mit unserer Klassifikationspraxis überein, weil es die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte festlegt.<br />
:<br />
Ein Text ist ein Charakter in einem Notationsschema, nicht aber in einem Notationssystem. Verbale Sprachen erfüllen die syntaktischen Anforderungen an eine Notation: Jede Inskription gehört zu höchstens einem Charakter und es ist im Prinzip auch entscheidbar, zu welchem Charakter. Aber sie verletzen die semantischen Anforderungen: Sie enthalten mehrdeutige Ausdrücke, ihre Erfüllungsklassen stehen in Inklusions- und Überlappungsbeziehungen und sind zudem semantisch dicht. Damit ist ein syntaktisches Kriterium der Werkidentität verfügbar: Eine Inskription ist genau dann ein Einzelfall eines Texts, wenn sie gleich buchstabiert ist wie ein echter Einzelfall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Identität eines Texts unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Dass es auch hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, wurde wiederum mit dem Hinweis bestritten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfehler enthält, kein Einzelfall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag eingewendet, dass er die Gebundenheit insbesondere literarischer Werke an einen historischen Kontext und einen Autor übersehe (vgl. <bib id='Davies 1991'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbrenner 1996</bib>: S. 90–118).<br />
<br />
Die Skizze eines Malers kann wie die Partitur eines Komponisten als Arbeitsanleitung gebraucht werden, hat aber einen ganz anderen Status. Sie ist weder ein Charakter in einem Notationssystem noch ein Charakter in einem Notationsschema, da das bildliche Zeichensystem, zu dem sie gehört, weder die semantischen noch die syntaktischen Anforderungen erfüllt. Die semantischen Anforderungen verletzt es, weil es mehrdeutige Bilder enthält, seine Erfüllungsklassen sich in vielfacher Weise überschneiden und überlappen und zudem dicht sind. Die syntaktischen Anforderungen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen pikturalen Eigenschaften Inskriptionen mehrerer Charaktere sein können und weil seine Charaktere bezüglich manchen Hinsichten (wie der Größe, der Gestalt, der Position, sowie mehrerer farblicher Aspekte) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schematische Bilder wie Karten, Pläne und genealogische Bäume annähernd notational (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6, 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwendung von ‘notational’ eher Goodmans Verwendung von ‘diagrammatisch’. Diagramme unterscheiden sich nach Goodman von Bildern im eigentlichen Sinn dadurch, dass relativ wenige ihrer Merkmale konstitutiv dafür sind, zu welchem Charakter sie gehören (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Kriterium für die Werkidentität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.<br />
<br />
Dass Bilder als Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen funktionieren, schließt an sich die Möglichkeit einer Notation nicht aus. Auch musikalische Aufführungen funktionieren als expressive Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen; dennoch lassen sie eine Notation zu. Die Frage nach der Möglichkeit einer Notation für eine Kunst muss von der Frage unterschieden werden, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften die Systeme haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktionieren. Das wird oft übersehen, weil Goodmans Notationstheorie zugleich ein Instrumentarium für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Zeichensysteme liefert.<ref> Notationssysteme dienen dabei als Vergleichs- und nicht als Wertmaßstab, dem sich alle Zeichensysteme annähern sollten. Dass bildliche Zeichensysteme alle syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation verletzen, impliziert deshalb keine Wertung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Kriterium der Werkidentität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktionieren.<br />
<br />
Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entstehungszeit und -ort eine Ziffer zuordnet und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassifiziert, erfüllen die syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Systeme liefert zudem ein Kriterium der Werkidentität, das hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, aber es identifiziert Bilder nicht unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Das zweite System liefert zwar ein Kriterium der Werkidentität, das Bilder unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert, aber es weicht zu stark von unserer Klassifikationspraxis ab. Wir betrachten zwei Bilder mit demselben Preis nicht als Einzelfälle desselben Werks. Es scheint keine Notation für Bilder zu geben, die ein Identitätskriterium liefert, das sowohl hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt als auch unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Bilder ist. Analoges gilt für Werke anderer bildender Künste (wie z.B. Skulpturen). Etwas komplizierter ist die Situation in der Architektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumberger 2010</bib>: Kap. 6).<br />
<br />
Das Kriterium der Werkidentität für bildende Künste ist damit weder semantischer noch syntaktischer, sondern historischer Art: Ein Gegenstand ist genau dann ein bestimmtes Werk oder ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn er die angemessene Entstehungsgeschichte hat. Das Kriterium dafür, dass wir die Mona Lisa vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsächlich von Leonardo da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Malerei eine singuläre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Literatur multipel. Ihre Werke lassen mehrere Einzelfälle zu. Das Kriterium dafür, dass wir einen Einzelfall eines bestimmten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118; 192–194).<br />
<br><br />
<br />
=====Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung=====<br />
<br />
Die Verfügbarkeit einer Notation schliesst Fälschungen von bestehenden Werken oder Einzelfällen solcher (im Gegensatz zu Fälschungen von Werken ohne Original und bestimmten Einzelfällen) aus. In den bildenden Künsten sind solche Fälschungen möglich; sie geben fälschlicherweise vor, eine Entstehungsgeschichte zu besitzen, die für das oder ein Original unerlässlich ist. In der Musik und der Literatur sind sie ausgeschlossen, da die Notation ein semantisches respektive syntaktisches Identitätskriterium liefert, das die Werke unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert. Werke, die solche Fälschungen zulassen, bezeichnet Goodman als ‘autographisch’; Werke, die sie ausschließen, als ‘allographisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obigen Überlegungen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann autographisch, wenn seine Identität durch seine Entstehungsgeschichte bestimmt ist; es ist genau dann allographisch, wenn seine Identität syntaktisch oder semantisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988'>Goodman & Elgin 1988</bib>: 116–118; 65; für eine kritische Diskussion der Unterscheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levinson 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Notation liegt Goodmans Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Werken zugrunde und ermöglicht eine Erklärung, weshalb manche Werke im relevanten Sinn gefälscht werden können und andere nicht.<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Notation&diff=17731Notation2013-11-07T09:56:36Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Musik, Literatur, bildende Künste */</p>
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<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
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<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
<!--Ende header--><br />
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<!--In der folgenden Zeile bitte die (Wiki)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
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Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--beides sollte in der Regel der gleiche Text sein--><br />
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{{GlossarBoxMain}}<br />
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<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
=====Notation und die primäre Funktion einer Partitur=====<br />
<br />
Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusammenhang mit der Frage nach den Identitätskriterien für Kunstwerke entwickelt. Eine Notation ist ein [[Zeichensystem]], das ein syntaktisches oder semantisches Kriterium dafür ermöglicht, welche Gegenstände oder Ereignisse Einzelfälle eines bestimmten Werks sind. Ein solches Kriterium ist dann notwendig, wenn Werke mehrere Einzelfälle zulassen, deren Identität nicht durch ihre Entstehungsgeschichte bestimmt ist. Da dies in paradigmatischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Notation für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Literatur und ausführlicher den bildenden Künsten zuwende. Die resultierenden Identitätskriterien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerkstatus gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.<br />
<br />
Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufgeführt werden; und ob eine Aufführung ein Einzelfall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufgeführt hat. Zudem können sich verschiedene Aufführungen eines Werks beträchtlich unterscheiden. Die Partitur legt fest, in welchen Hinsichten sie übereinstimmen müssen. Genau diejenigen Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, sind Einzelfälle desselben Werks. Die Partitur liefert damit ein semantisches Kriterium der Werkidentität. Ihre primäre Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 128f.) in der definitiven Identifikation eines Werks von Aufführung zu Aufführung.<ref> Natürlich erfüllt nicht alles, was wir ‘Partitur’ nennen, diese Funktion; zudem haben Partituren weitere Funktionen wie das Transponieren, das Verstehen und das Komponieren zu erleichtern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Aufführungen des Werks eindeutig festlegen; sie muss als Klasse von Inskriptionen auch selbst durch eine Aufführung eindeutig festgelegt werden, wenn das Notationssystem gegeben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Partituridentität in jeder Folge von Schritten erhalten, von denen jeder entweder von einer Aufführung zu einer Partiturinskription oder von dieser zu einer Aufführung oder zu einer weiteren Inskription der Partitur führt. <br />
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<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas 61a'>Jonas 1961</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Link "Sammlung" in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
<br />
=====Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn=====<br />
<br />
Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfüllen, wenn das Zeichensystem, in dem sie verfasst ist, bestimmten syntaktischen und semantischen Anforderungen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 130–154; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 97–104; <bib id='Elgin 1992'>Elgin 1992</bib>). Eine Notation muss syntaktisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Inskriptionen solche derselben Partitur sind. Ein Zeichensystem besteht aus einem Zeichenschema, das mit einem Bereich korreliert ist. Das Zeichenschema, das Charakteren und ihre Marken enthält, ist syntaktisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charakter gehört. Die syntaktische Disjunktheit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charakter gehören, ohne syntaktische Auswirkungen durcheinander ersetzbar sind. Ein Zeichenschema ist syntaktisch differenziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzulegen, zu welchem Charakter des Schemas sie gehört. Die syntaktische Differenziertheit stellt sicher, dass wir entscheiden können, ob zwei Marken zum selben Charakter gehören. Ein Zeichenschema ist dagegen [[syntaktische Dichte|syntaktisch dicht]], wenn es unendlich viele Charaktere vorsieht, die so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntaktische Dichte verunmöglicht es, den Charakter zu identifizieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gibt, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
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Ein Charakter ist mehrdeutig, wenn eine seiner Inskriptionen mehr als eine Erfüllungsklasse hat oder nicht alle seiner Inskriptionen dieselbe Erfüllungsklasse haben. Wäre eine Partitur mehrdeutig, würde sie von Aufführungen unterschiedlicher Werke erfüllt. Damit die Partitur ihre primäre Funktion erfüllen kann, muss die Notation frei von Mehrdeutigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, Einzelfälle desselben Werks sind. Eine Notation muss zudem semantisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Aufführungen dieselbe Partitur erfüllen und damit Einzelfälle desselben Werks sind. Ein Zeichensystem ist semantisch disjunkt, wenn sich seine Erfüllungsklassen nicht überschneiden. Die semantische Disjunktheit stellt sicher, dass keine Aufführung nicht-koextensive Partituren erfüllt und ein Einzelfall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Aufführung verschiedene koextensive Partituren erfüllt und das System also redundant ist. Redundanzen gefährden zwar nicht die Werk-, aber die Partituridentität, da nicht alle Partituren eines Werks Einzelfälle desselben Charakters sind. Sie können ausgeschlossen werden, wenn man für die semantische Disjunktivität fordert, dass keine zwei Charaktere einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben. Die Erfüllungsklassen eines Zeichensystems sind semantisch differenziert, wenn es für jeden Charakter des Systems möglich ist festzulegen, welche Gegenstände ihn erfüllen. Die semantische Differenziertheit stellt sicher, dass wir für jede Aufführung entscheiden können, welche Partitur sie erfüllt. Ein Zeichensystem ist semantisch dicht, wenn die Erfüllungsklassen so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Partituren Charaktere in dichten Systemen, wäre es unmöglich, die Partitur einer Aufführung zu identifizieren, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gäbe, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
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Ein Zeichenschema, das die syntaktischen Anforderungen erfüllt, ist ein Notationsschema im formalen Sinn; ein Notationssystem im formalen Sinn erfüllt auch die semantischen Anforderungen und ist also syntaktisch und semantisch disjunkt und differenziert sowie frei von Mehrdeutigkeit.<ref> Eine praktikable Notation hat zudem technische Anforderungen zu erfüllen, die nichts mit der primären theoretischen Funktion zu tun haben, wie überschaubar kleine oder endliche Menge atomarer Charaktere, Deutlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Handhabbarkeit, graphische Eingängigkeit, mnemotechnische Effizienz und bequeme Duplizierbarkeit (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 154).</ref> Eine Notation im substantiellen Sinn ist ein Notationssystem im formalen Sinn, das ein Kriterium der Werkidentität liefert, welches zwei Bedingungen erfüllt. Es muss erstens die Identität von Werken unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte festlegen und zweitens hinreichend mit unserer bestehenden Praxis der Identifikation von Werken übereinstimmen (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 195f.). Die unqualifizierten Ausdrücke ‘Notation’ und ‘Notationssystem’ verwende ich im Folgenden für Notationen im substantiellen Sinn.<br />
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=====Musik, Literatur, bildende Künste=====<br />
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Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Partitur in der musikalischen Standardnotation als Charakter in einem Notationssystem zu rekonstruieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 117f.; 179–187). Die Standardnotation erfüllt die syntaktischen und semantischen Anforderungen, wenn man von Redundanzen absieht, Instrumentspezifikationen als Teil der Notation und sprachliche Ergänzungen wie Tempoangaben als bloße Empfehlungen dafür interpretiert, wie ein Werk aufzuführen ist. Sie ermöglicht ein semantisches Kriterium der Werkidentität und ein syntaktisches Kriterium der Partituridentität: Eine Aufführung ist genau dann ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn sie die Partitur des Werks erfüllt; und zwei Inskriptionen sind genau dann solche derselben Partitur, wenn sie gleich buchstabiert, d.h. aus denselben Elementen in derselben Anordnung zusammengesetzt sind. Das Kriterium der Partiturerfüllung legt die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinreichend mit unserer Praxis der Identifikation von Werken überein, die in Standardnotation kodifiziert sind. Dagegen wurde erstens eingewendet, dass nach ihm eine Aufführung mit einer einzigen falschen Note kein Einzelfall des fraglichen Werks ist, was unserer bestehenden Klassifikationspraxis widerspreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991'>Hernadi 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 186f.; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag übersehe die historisch und kontextuell gebundene Natur musikalischer Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levinson 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999'>Predelli 1999</bib>). Nach diesem grundsätzlicheren Einwand stimmt das Kriterium gerade deshalb nicht mit unserer Klassifikationspraxis überein, weil es die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte festlegt.<br />
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Ein Text ist ein Charakter in einem Notationsschema, nicht aber in einem Notationssystem. Verbale Sprachen erfüllen die syntaktischen Anforderungen an eine Notation: Jede Inskription gehört zu höchstens einem Charakter und es ist im Prinzip auch entscheidbar, zu welchem Charakter. Aber sie verletzen die semantischen Anforderungen: Sie enthalten mehrdeutige Ausdrücke, ihre Erfüllungsklassen stehen in Inklusions- und Überlappungsbeziehungen und sind zudem semantisch dicht. Damit ist ein syntaktisches Kriterium der Werkidentität verfügbar: Eine Inskription ist genau dann ein Einzelfall eines Texts, wenn sie gleich buchstabiert ist wie ein echter Einzelfall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Identität eines Texts unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Dass es auch hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, wurde wiederum mit dem Hinweis bestritten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfehler enthält, kein Einzelfall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag eingewendet, dass er die Gebundenheit insbesondere literarischer Werke an einen historischen Kontext und einen Autor übersehe (vgl. <bib id='Davies 1991'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbrenner 1996</bib>: S. 90–118).<br />
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Die Skizze eines Malers kann wie die Partitur eines Komponisten als Arbeitsanleitung gebraucht werden, hat aber einen ganz anderen Status. Sie ist weder ein Charakter in einem Notationssystem noch ein Charakter in einem Notationsschema, da das bildliche Zeichensystem, zu dem sie gehört, weder die semantischen noch die syntaktischen Anforderungen erfüllt. Die semantischen Anforderungen verletzt es, weil es mehrdeutige Bilder enthält, seine Erfüllungsklassen sich in vielfacher Weise überschneiden und überlappen und zudem dicht sind. Die syntaktischen Anforderungen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen pikturalen Eigenschaften Inskriptionen mehrerer Charaktere sein können und weil seine Charaktere bezüglich manchen Hinsichten (wie der Größe, der Gestalt, der Position, sowie mehrerer farblicher Aspekte) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schematische Bilder wie Karten, Pläne und genealogische Bäume annähernd notational (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6, 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwendung von ‘notational’ eher Goodmans Verwendung von ‘diagrammatisch’. Diagramme unterscheiden sich nach Goodman von Bildern im eigentlichen Sinn dadurch, dass relativ wenige ihrer Merkmale konstitutiv dafür sind, zu welchem Charakter sie gehören (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Kriterium für die Werkidentität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.<br />
<br />
Dass Bilder als Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen funktionieren, schließt an sich die Möglichkeit einer Notation nicht aus. Auch musikalische Aufführungen funktionieren als expressive Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen; dennoch lassen sie eine Notation zu. Die Frage nach der Möglichkeit einer Notation für eine Kunst muss von der Frage unterschieden werden, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften die Systeme haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktionieren. Das wird oft übersehen, weil Goodmans Notationstheorie zugleich ein Instrumentarium für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Zeichensysteme liefert.<ref> Notationssysteme dienen dabei als Vergleichs- und nicht als Wertmaßstab, dem sich alle Zeichensysteme annähern sollten. Dass bildliche Zeichensysteme alle syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation verletzen, impliziert deshalb keine Wertung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Kriterium der Werkidentität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktionieren.<br />
<br />
Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entstehungszeit und -ort eine Ziffer zuordnet und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassifiziert, erfüllen die syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Systeme liefert zudem ein Kriterium der Werkidentität, das hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, aber es identifiziert Bilder nicht unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Das zweite System liefert zwar ein Kriterium der Werkidentität, das Bilder unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert, aber es weicht zu stark von unserer Klassifikationspraxis ab. Wir betrachten zwei Bilder mit demselben Preis nicht als Einzelfälle desselben Werks. Es scheint keine Notation für Bilder zu geben, die ein Identitätskriterium liefert, das sowohl hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt als auch unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Bilder ist. Analoges gilt für Werke anderer bildender Künste (wie z.B. Skulpturen). Etwas komplizierter ist die Situation in der Architektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumberger 2010</bib>: Kap. 6).<br />
<br />
Das Kriterium der Werkidentität für bildende Künste ist damit weder semantischer noch syntaktischer, sondern historischer Art: Ein Gegenstand ist genau dann ein bestimmtes Werk oder ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn er die angemessene Entstehungsgeschichte hat. Das Kriterium dafür, dass wir die Mona Lisa vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsächlich von Leonardo da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Malerei eine singuläre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Literatur multipel. Ihre Werke lassen mehrere Einzelfälle zu. Das Kriterium dafür, dass wir einen Einzelfall eines bestimmten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118; 192–194).<br />
<br />
=====Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung=====<br />
<br />
Die Verfügbarkeit einer Notation schliesst Fälschungen von bestehenden Werken oder Einzelfällen solcher (im Gegensatz zu Fälschungen von Werken ohne Original und bestimmten Einzelfällen) aus. In den bildenden Künsten sind solche Fälschungen möglich; sie geben fälschlicherweise vor, eine Entstehungsgeschichte zu besitzen, die für das oder ein Original unerlässlich ist. In der Musik und der Literatur sind sie ausgeschlossen, da die Notation ein semantisches respektive syntaktisches Identitätskriterium liefert, das die Werke unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert. Werke, die solche Fälschungen zulassen, bezeichnet Goodman als ‘autographisch’; Werke, die sie ausschließen, als ‘allographisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obigen Überlegungen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann autographisch, wenn seine Identität durch seine Entstehungsgeschichte bestimmt ist; es ist genau dann allographisch, wenn seine Identität syntaktisch oder semantisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988'>Goodman & Elgin 1988</bib>: 116–118; 65; für eine kritische Diskussion der Unterscheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levinson 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Notation liegt Goodmans Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Werken zugrunde und ermöglicht eine Erklärung, weshalb manche Werke im relevanten Sinn gefälscht werden können und andere nicht.<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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<!--in der folgenden Zeile XXX durch Benutzernamen ersetzen--><br />
[[Benutzer:Christoph Baumberger|Baumberger, Christoph]] <br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Notation&diff=17729Notation2013-11-07T09:56:13Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Musik, Literatur, bildende Künste */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
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<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
<!--Ende header--><br />
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<!--In der folgenden Zeile bitte die (Wiki)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--In der folgenden Zeile bitte die (Glossar)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--beides sollte in der Regel der gleiche Text sein--><br />
<br />
<!--Den folgenden Abschnitt bitte nicht ändern--><br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
=====Notation und die primäre Funktion einer Partitur=====<br />
<br />
Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusammenhang mit der Frage nach den Identitätskriterien für Kunstwerke entwickelt. Eine Notation ist ein [[Zeichensystem]], das ein syntaktisches oder semantisches Kriterium dafür ermöglicht, welche Gegenstände oder Ereignisse Einzelfälle eines bestimmten Werks sind. Ein solches Kriterium ist dann notwendig, wenn Werke mehrere Einzelfälle zulassen, deren Identität nicht durch ihre Entstehungsgeschichte bestimmt ist. Da dies in paradigmatischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Notation für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Literatur und ausführlicher den bildenden Künsten zuwende. Die resultierenden Identitätskriterien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerkstatus gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.<br />
<br />
Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufgeführt werden; und ob eine Aufführung ein Einzelfall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufgeführt hat. Zudem können sich verschiedene Aufführungen eines Werks beträchtlich unterscheiden. Die Partitur legt fest, in welchen Hinsichten sie übereinstimmen müssen. Genau diejenigen Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, sind Einzelfälle desselben Werks. Die Partitur liefert damit ein semantisches Kriterium der Werkidentität. Ihre primäre Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 128f.) in der definitiven Identifikation eines Werks von Aufführung zu Aufführung.<ref> Natürlich erfüllt nicht alles, was wir ‘Partitur’ nennen, diese Funktion; zudem haben Partituren weitere Funktionen wie das Transponieren, das Verstehen und das Komponieren zu erleichtern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Aufführungen des Werks eindeutig festlegen; sie muss als Klasse von Inskriptionen auch selbst durch eine Aufführung eindeutig festgelegt werden, wenn das Notationssystem gegeben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Partituridentität in jeder Folge von Schritten erhalten, von denen jeder entweder von einer Aufführung zu einer Partiturinskription oder von dieser zu einer Aufführung oder zu einer weiteren Inskription der Partitur führt. <br />
<br />
<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas 61a'>Jonas 1961</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Link "Sammlung" in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
<br />
=====Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn=====<br />
<br />
Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfüllen, wenn das Zeichensystem, in dem sie verfasst ist, bestimmten syntaktischen und semantischen Anforderungen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 130–154; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 97–104; <bib id='Elgin 1992'>Elgin 1992</bib>). Eine Notation muss syntaktisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Inskriptionen solche derselben Partitur sind. Ein Zeichensystem besteht aus einem Zeichenschema, das mit einem Bereich korreliert ist. Das Zeichenschema, das Charakteren und ihre Marken enthält, ist syntaktisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charakter gehört. Die syntaktische Disjunktheit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charakter gehören, ohne syntaktische Auswirkungen durcheinander ersetzbar sind. Ein Zeichenschema ist syntaktisch differenziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzulegen, zu welchem Charakter des Schemas sie gehört. Die syntaktische Differenziertheit stellt sicher, dass wir entscheiden können, ob zwei Marken zum selben Charakter gehören. Ein Zeichenschema ist dagegen [[syntaktische Dichte|syntaktisch dicht]], wenn es unendlich viele Charaktere vorsieht, die so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntaktische Dichte verunmöglicht es, den Charakter zu identifizieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gibt, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
Ein Charakter ist mehrdeutig, wenn eine seiner Inskriptionen mehr als eine Erfüllungsklasse hat oder nicht alle seiner Inskriptionen dieselbe Erfüllungsklasse haben. Wäre eine Partitur mehrdeutig, würde sie von Aufführungen unterschiedlicher Werke erfüllt. Damit die Partitur ihre primäre Funktion erfüllen kann, muss die Notation frei von Mehrdeutigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, Einzelfälle desselben Werks sind. Eine Notation muss zudem semantisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Aufführungen dieselbe Partitur erfüllen und damit Einzelfälle desselben Werks sind. Ein Zeichensystem ist semantisch disjunkt, wenn sich seine Erfüllungsklassen nicht überschneiden. Die semantische Disjunktheit stellt sicher, dass keine Aufführung nicht-koextensive Partituren erfüllt und ein Einzelfall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Aufführung verschiedene koextensive Partituren erfüllt und das System also redundant ist. Redundanzen gefährden zwar nicht die Werk-, aber die Partituridentität, da nicht alle Partituren eines Werks Einzelfälle desselben Charakters sind. Sie können ausgeschlossen werden, wenn man für die semantische Disjunktivität fordert, dass keine zwei Charaktere einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben. Die Erfüllungsklassen eines Zeichensystems sind semantisch differenziert, wenn es für jeden Charakter des Systems möglich ist festzulegen, welche Gegenstände ihn erfüllen. Die semantische Differenziertheit stellt sicher, dass wir für jede Aufführung entscheiden können, welche Partitur sie erfüllt. Ein Zeichensystem ist semantisch dicht, wenn die Erfüllungsklassen so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Partituren Charaktere in dichten Systemen, wäre es unmöglich, die Partitur einer Aufführung zu identifizieren, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gäbe, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
Ein Zeichenschema, das die syntaktischen Anforderungen erfüllt, ist ein Notationsschema im formalen Sinn; ein Notationssystem im formalen Sinn erfüllt auch die semantischen Anforderungen und ist also syntaktisch und semantisch disjunkt und differenziert sowie frei von Mehrdeutigkeit.<ref> Eine praktikable Notation hat zudem technische Anforderungen zu erfüllen, die nichts mit der primären theoretischen Funktion zu tun haben, wie überschaubar kleine oder endliche Menge atomarer Charaktere, Deutlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Handhabbarkeit, graphische Eingängigkeit, mnemotechnische Effizienz und bequeme Duplizierbarkeit (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 154).</ref> Eine Notation im substantiellen Sinn ist ein Notationssystem im formalen Sinn, das ein Kriterium der Werkidentität liefert, welches zwei Bedingungen erfüllt. Es muss erstens die Identität von Werken unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte festlegen und zweitens hinreichend mit unserer bestehenden Praxis der Identifikation von Werken übereinstimmen (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 195f.). Die unqualifizierten Ausdrücke ‘Notation’ und ‘Notationssystem’ verwende ich im Folgenden für Notationen im substantiellen Sinn.<br />
<br><br />
<br />
=====Musik, Literatur, bildende Künste=====<br />
<br />
Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Partitur in der musikalischen Standardnotation als Charakter in einem Notationssystem zu rekonstruieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 117f.; 179–187). Die Standardnotation erfüllt die syntaktischen und semantischen Anforderungen, wenn man von Redundanzen absieht, Instrumentspezifikationen als Teil der Notation und sprachliche Ergänzungen wie Tempoangaben als bloße Empfehlungen dafür interpretiert, wie ein Werk aufzuführen ist. Sie ermöglicht ein semantisches Kriterium der Werkidentität und ein syntaktisches Kriterium der Partituridentität: Eine Aufführung ist genau dann ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn sie die Partitur des Werks erfüllt; und zwei Inskriptionen sind genau dann solche derselben Partitur, wenn sie gleich buchstabiert, d.h. aus denselben Elementen in derselben Anordnung zusammengesetzt sind. Das Kriterium der Partiturerfüllung legt die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinreichend mit unserer Praxis der Identifikation von Werken überein, die in Standardnotation kodifiziert sind. Dagegen wurde erstens eingewendet, dass nach ihm eine Aufführung mit einer einzigen falschen Note kein Einzelfall des fraglichen Werks ist, was unserer bestehenden Klassifikationspraxis widerspreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991'>Hernadi 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 186f.; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag übersehe die historisch und kontextuell gebundene Natur musikalischer Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levinson 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999'>Predelli 1999</bib>). Nach diesem grundsätzlicheren Einwand stimmt das Kriterium gerade deshalb nicht mit unserer Klassifikationspraxis überein, weil es die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte festlegt.<br />
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Ein Text ist ein Charakter in einem Notationsschema, nicht aber in einem Notationssystem. Verbale Sprachen erfüllen die syntaktischen Anforderungen an eine Notation: Jede Inskription gehört zu höchstens einem Charakter und es ist im Prinzip auch entscheidbar, zu welchem Charakter. Aber sie verletzen die semantischen Anforderungen: Sie enthalten mehrdeutige Ausdrücke, ihre Erfüllungsklassen stehen in Inklusions- und Überlappungsbeziehungen und sind zudem semantisch dicht. Damit ist ein syntaktisches Kriterium der Werkidentität verfügbar: Eine Inskription ist genau dann ein Einzelfall eines Texts, wenn sie gleich buchstabiert ist wie ein echter Einzelfall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Identität eines Texts unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Dass es auch hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, wurde wiederum mit dem Hinweis bestritten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfehler enthält, kein Einzelfall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag eingewendet, dass er die Gebundenheit insbesondere literarischer Werke an einen historischen Kontext und einen Autor übersehe (vgl. <bib id='Davies 1991'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbrenner 1996</bib>: S. 90–118).<br />
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Die Skizze eines Malers kann wie die Partitur eines Komponisten als Arbeitsanleitung gebraucht werden, hat aber einen ganz anderen Status. Sie ist weder ein Charakter in einem Notationssystem noch ein Charakter in einem Notationsschema, da das bildliche Zeichensystem, zu dem sie gehört, weder die semantischen noch die syntaktischen Anforderungen erfüllt. Die semantischen Anforderungen verletzt es, weil es mehrdeutige Bilder enthält, seine Erfüllungsklassen sich in vielfacher Weise überschneiden und überlappen und zudem dicht sind. Die syntaktischen Anforderungen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen pikturalen Eigenschaften Inskriptionen mehrerer Charaktere sein können und weil seine Charaktere bezüglich manchen Hinsichten (wie der Größe, der Gestalt, der Position, sowie mehrerer farblicher Aspekte) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schematische Bilder wie Karten, Pläne und genealogische Bäume annähernd notational (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6, 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwendung von ‘notational’ eher Goodmans Verwendung von ‘diagrammatisch’. Diagramme unterscheiden sich nach Goodman von Bildern im eigentlichen Sinn dadurch, dass relativ wenige ihrer Merkmale konstitutiv dafür sind, zu welchem Charakter sie gehören (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Kriterium für die Werkidentität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.<br />
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Dass Bilder als Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen funktionieren, schliesst an sich die Möglichkeit einer Notation nicht aus. Auch musikalische Aufführungen funktionieren als expressive Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen; dennoch lassen sie eine Notation zu. Die Frage nach der Möglichkeit einer Notation für eine Kunst muss von der Frage unterschieden werden, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften die Systeme haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktionieren. Das wird oft übersehen, weil Goodmans Notationstheorie zugleich ein Instrumentarium für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Zeichensysteme liefert.<ref> Notationssysteme dienen dabei als Vergleichs- und nicht als Wertmaßstab, dem sich alle Zeichensysteme annähern sollten. Dass bildliche Zeichensysteme alle syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation verletzen, impliziert deshalb keine Wertung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Kriterium der Werkidentität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktionieren.<br />
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Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entstehungszeit und -ort eine Ziffer zuordnet und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassifiziert, erfüllen die syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Systeme liefert zudem ein Kriterium der Werkidentität, das hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, aber es identifiziert Bilder nicht unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Das zweite System liefert zwar ein Kriterium der Werkidentität, das Bilder unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert, aber es weicht zu stark von unserer Klassifikationspraxis ab. Wir betrachten zwei Bilder mit demselben Preis nicht als Einzelfälle desselben Werks. Es scheint keine Notation für Bilder zu geben, die ein Identitätskriterium liefert, das sowohl hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt als auch unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Bilder ist. Analoges gilt für Werke anderer bildender Künste (wie z.B. Skulpturen). Etwas komplizierter ist die Situation in der Architektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumberger 2010</bib>: Kap. 6).<br />
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Das Kriterium der Werkidentität für bildende Künste ist damit weder semantischer noch syntaktischer, sondern historischer Art: Ein Gegenstand ist genau dann ein bestimmtes Werk oder ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn er die angemessene Entstehungsgeschichte hat. Das Kriterium dafür, dass wir die Mona Lisa vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsächlich von Leonardo da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Malerei eine singuläre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Literatur multipel. Ihre Werke lassen mehrere Einzelfälle zu. Das Kriterium dafür, dass wir einen Einzelfall eines bestimmten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118; 192–194).<br />
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=====Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung=====<br />
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Die Verfügbarkeit einer Notation schliesst Fälschungen von bestehenden Werken oder Einzelfällen solcher (im Gegensatz zu Fälschungen von Werken ohne Original und bestimmten Einzelfällen) aus. In den bildenden Künsten sind solche Fälschungen möglich; sie geben fälschlicherweise vor, eine Entstehungsgeschichte zu besitzen, die für das oder ein Original unerlässlich ist. In der Musik und der Literatur sind sie ausgeschlossen, da die Notation ein semantisches respektive syntaktisches Identitätskriterium liefert, das die Werke unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert. Werke, die solche Fälschungen zulassen, bezeichnet Goodman als ‘autographisch’; Werke, die sie ausschließen, als ‘allographisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obigen Überlegungen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann autographisch, wenn seine Identität durch seine Entstehungsgeschichte bestimmt ist; es ist genau dann allographisch, wenn seine Identität syntaktisch oder semantisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988'>Goodman & Elgin 1988</bib>: 116–118; 65; für eine kritische Diskussion der Unterscheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levinson 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Notation liegt Goodmans Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Werken zugrunde und ermöglicht eine Erklärung, weshalb manche Werke im relevanten Sinn gefälscht werden können und andere nicht.<br />
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<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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<!--in der folgenden Zeile XXX durch Benutzernamen ersetzen--><br />
[[Benutzer:Christoph Baumberger|Baumberger, Christoph]] <br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Notation&diff=17727Notation2013-11-07T09:55:25Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Musik, Literatur, bildende Künste */</p>
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<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
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<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
<!--Ende header--><br />
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<!--In der folgenden Zeile bitte die (Wiki)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--In der folgenden Zeile bitte die (Glossar)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--beides sollte in der Regel der gleiche Text sein--><br />
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<!--Den folgenden Abschnitt bitte nicht ändern--><br />
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{{GlossarBoxMain}}<br />
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<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
=====Notation und die primäre Funktion einer Partitur=====<br />
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Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusammenhang mit der Frage nach den Identitätskriterien für Kunstwerke entwickelt. Eine Notation ist ein [[Zeichensystem]], das ein syntaktisches oder semantisches Kriterium dafür ermöglicht, welche Gegenstände oder Ereignisse Einzelfälle eines bestimmten Werks sind. Ein solches Kriterium ist dann notwendig, wenn Werke mehrere Einzelfälle zulassen, deren Identität nicht durch ihre Entstehungsgeschichte bestimmt ist. Da dies in paradigmatischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Notation für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Literatur und ausführlicher den bildenden Künsten zuwende. Die resultierenden Identitätskriterien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerkstatus gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.<br />
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Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufgeführt werden; und ob eine Aufführung ein Einzelfall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufgeführt hat. Zudem können sich verschiedene Aufführungen eines Werks beträchtlich unterscheiden. Die Partitur legt fest, in welchen Hinsichten sie übereinstimmen müssen. Genau diejenigen Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, sind Einzelfälle desselben Werks. Die Partitur liefert damit ein semantisches Kriterium der Werkidentität. Ihre primäre Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 128f.) in der definitiven Identifikation eines Werks von Aufführung zu Aufführung.<ref> Natürlich erfüllt nicht alles, was wir ‘Partitur’ nennen, diese Funktion; zudem haben Partituren weitere Funktionen wie das Transponieren, das Verstehen und das Komponieren zu erleichtern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Aufführungen des Werks eindeutig festlegen; sie muss als Klasse von Inskriptionen auch selbst durch eine Aufführung eindeutig festgelegt werden, wenn das Notationssystem gegeben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Partituridentität in jeder Folge von Schritten erhalten, von denen jeder entweder von einer Aufführung zu einer Partiturinskription oder von dieser zu einer Aufführung oder zu einer weiteren Inskription der Partitur führt. <br />
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<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas 61a'>Jonas 1961</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Link "Sammlung" in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
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=====Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn=====<br />
<br />
Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfüllen, wenn das Zeichensystem, in dem sie verfasst ist, bestimmten syntaktischen und semantischen Anforderungen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 130–154; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 97–104; <bib id='Elgin 1992'>Elgin 1992</bib>). Eine Notation muss syntaktisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Inskriptionen solche derselben Partitur sind. Ein Zeichensystem besteht aus einem Zeichenschema, das mit einem Bereich korreliert ist. Das Zeichenschema, das Charakteren und ihre Marken enthält, ist syntaktisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charakter gehört. Die syntaktische Disjunktheit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charakter gehören, ohne syntaktische Auswirkungen durcheinander ersetzbar sind. Ein Zeichenschema ist syntaktisch differenziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzulegen, zu welchem Charakter des Schemas sie gehört. Die syntaktische Differenziertheit stellt sicher, dass wir entscheiden können, ob zwei Marken zum selben Charakter gehören. Ein Zeichenschema ist dagegen [[syntaktische Dichte|syntaktisch dicht]], wenn es unendlich viele Charaktere vorsieht, die so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntaktische Dichte verunmöglicht es, den Charakter zu identifizieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gibt, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
Ein Charakter ist mehrdeutig, wenn eine seiner Inskriptionen mehr als eine Erfüllungsklasse hat oder nicht alle seiner Inskriptionen dieselbe Erfüllungsklasse haben. Wäre eine Partitur mehrdeutig, würde sie von Aufführungen unterschiedlicher Werke erfüllt. Damit die Partitur ihre primäre Funktion erfüllen kann, muss die Notation frei von Mehrdeutigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, Einzelfälle desselben Werks sind. Eine Notation muss zudem semantisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Aufführungen dieselbe Partitur erfüllen und damit Einzelfälle desselben Werks sind. Ein Zeichensystem ist semantisch disjunkt, wenn sich seine Erfüllungsklassen nicht überschneiden. Die semantische Disjunktheit stellt sicher, dass keine Aufführung nicht-koextensive Partituren erfüllt und ein Einzelfall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Aufführung verschiedene koextensive Partituren erfüllt und das System also redundant ist. Redundanzen gefährden zwar nicht die Werk-, aber die Partituridentität, da nicht alle Partituren eines Werks Einzelfälle desselben Charakters sind. Sie können ausgeschlossen werden, wenn man für die semantische Disjunktivität fordert, dass keine zwei Charaktere einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben. Die Erfüllungsklassen eines Zeichensystems sind semantisch differenziert, wenn es für jeden Charakter des Systems möglich ist festzulegen, welche Gegenstände ihn erfüllen. Die semantische Differenziertheit stellt sicher, dass wir für jede Aufführung entscheiden können, welche Partitur sie erfüllt. Ein Zeichensystem ist semantisch dicht, wenn die Erfüllungsklassen so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Partituren Charaktere in dichten Systemen, wäre es unmöglich, die Partitur einer Aufführung zu identifizieren, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gäbe, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
Ein Zeichenschema, das die syntaktischen Anforderungen erfüllt, ist ein Notationsschema im formalen Sinn; ein Notationssystem im formalen Sinn erfüllt auch die semantischen Anforderungen und ist also syntaktisch und semantisch disjunkt und differenziert sowie frei von Mehrdeutigkeit.<ref> Eine praktikable Notation hat zudem technische Anforderungen zu erfüllen, die nichts mit der primären theoretischen Funktion zu tun haben, wie überschaubar kleine oder endliche Menge atomarer Charaktere, Deutlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Handhabbarkeit, graphische Eingängigkeit, mnemotechnische Effizienz und bequeme Duplizierbarkeit (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 154).</ref> Eine Notation im substantiellen Sinn ist ein Notationssystem im formalen Sinn, das ein Kriterium der Werkidentität liefert, welches zwei Bedingungen erfüllt. Es muss erstens die Identität von Werken unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte festlegen und zweitens hinreichend mit unserer bestehenden Praxis der Identifikation von Werken übereinstimmen (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 195f.). Die unqualifizierten Ausdrücke ‘Notation’ und ‘Notationssystem’ verwende ich im Folgenden für Notationen im substantiellen Sinn.<br />
<br><br />
<br />
=====Musik, Literatur, bildende Künste=====<br />
<br />
Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Partitur in der musikalischen Standardnotation als Charakter in einem Notationssystem zu rekonstruieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 117f.; 179–187). Die Standardnotation erfüllt die syntaktischen und semantischen Anforderungen, wenn man von Redundanzen absieht, Instrumentspezifikationen als Teil der Notation und sprachliche Ergänzungen wie Tempoangaben als bloße Empfehlungen dafür interpretiert, wie ein Werk aufzuführen ist. Sie ermöglicht ein semantisches Kriterium der Werkidentität und ein syntaktisches Kriterium der Partituridentität: Eine Aufführung ist genau dann ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn sie die Partitur des Werks erfüllt; und zwei Inskriptionen sind genau dann solche derselben Partitur, wenn sie gleich buchstabiert, d.h. aus denselben Elementen in derselben Anordnung zusammengesetzt sind. Das Kriterium der Partiturerfüllung legt die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinreichend mit unserer Praxis der Identifikation von Werken überein, die in Standardnotation kodifiziert sind. Dagegen wurde erstens eingewendet, dass nach ihm eine Aufführung mit einer einzigen falschen Note kein Einzelfall des fraglichen Werks ist, was unserer bestehenden Klassifikationspraxis widerspreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991'>Hernadi 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 186f.; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag übersehe die historisch und kontextuell gebundene Natur musikalischer Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levinson 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999'>Predelli 1999</bib>). Nach diesem grundsätzlicheren Einwand stimmt das Kriterium gerade deshalb nicht mit unserer Klassifikationspraxis überein, weil es die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte festlegt.<br />
<br />
Ein Text ist ein Charakter in einem Notationsschema, nicht aber in einem Notationssystem. Verbale Sprachen erfüllen die syntaktischen Anforderungen an eine Notation: Jede Inskription gehört zu höchstens einem Charakter und es ist im Prinzip auch entscheidbar, zu welchem Charakter. Aber sie verletzen die semantischen Anforderungen: Sie enthalten mehrdeutige Ausdrücke, ihre Erfüllungsklassen stehen in Inklusions- und Überlappungsbeziehungen und sind zudem semantisch dicht. Damit ist ein syntaktisches Kriterium der Werkidentität verfügbar: Eine Inskription ist genau dann ein Einzelfall eines Texts, wenn sie gleich buchstabiert ist wie ein echter Einzelfall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Identität eines Texts unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Dass es auch hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, wurde wiederum mit dem Hinweis bestritten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfehler enthält, kein Einzelfall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag eingewendet, dass er die Gebundenheit insbesondere literarischer Werke an einen historischen Kontext und einen Autor übersehe (vgl. <bib id='Davies 1991'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbrenner 1996</bib>: S. 90–118).<br />
<br />
Die Skizze eines Malers kann wie die Partitur eines Komponisten als Arbeitsanleitung gebraucht werden, hat aber einen ganz anderen Status. Sie ist weder ein Charakter in einem Notationssystem noch ein Charakter in einem Notationsschema, da das bildliche Zeichensystem, zu dem sie gehört, weder die semantischen noch die syntaktischen Anforderungen erfüllt. Die semantischen Anforderungen verletzt es, weil es mehrdeutige Bilder enthält, seine Erfüllungsklassen sich in vielfacher Weise überschneiden und überlappen und zudem dicht sind. Die syntaktischen Anforderungen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen pikturalen Eigenschaften Inskriptionen mehrerer Charaktere sein können und weil seine Charaktere bezüglich manchen Hinsichten (wie der Größe, der Gestalt, der Position, sowie mehrerer farblicher Aspekte) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schematische Bilder wie Karten, Pläne und genealogische Bäume annähernd notational (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6, 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwendung von ‘notational’ eher Goodmans Verwendung von ‘diagrammatisch’. Diagramme unterscheiden sich nach Goodman von Bildern im eigentlichen Sinn dadurch, dass relativ wenige ihrer Merkmale konstitutiv dafür sind, zu welchem Charakter sie gehören (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Kriterium für die Werkidentität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.<br />
<br />
Dass Bilder als Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen funktionieren, schliesst an sich die Möglichkeit einer Notation nicht aus. Auch musikalische Aufführungen funktionieren als expressive Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen; dennoch lassen sie eine Notation zu. Die Frage nach der Möglichkeit einer Notation für eine Kunst muss von der Frage unterschieden werden, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften die Systeme haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktionieren. Das wird oft übersehen, weil Goodmans Notationstheorie zugleich ein Instrumentarium für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Zeichensysteme liefert.<ref> Notationssysteme dienen dabei als Vergleichs- und nicht als Wertmaßstab, dem sich alle Zeichensysteme annähern sollten. Dass bildliche Zeichensysteme alle syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation verletzen, impliziert deshalb keine Wertung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Kriterium der Werkidentität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktionieren.<br />
<br />
Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entstehungszeit und -ort eine Ziffer zuordnet und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassifiziert, erfüllen die syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Systeme liefert zudem ein Kriterium der Werkidentität, das hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, aber es identifiziert Bilder nicht unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Das zweite System liefert zwar ein Kriterium der Werkidentität, das Bilder unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert, aber es weicht zu stark von unserer Klassifikationspraxis ab. Wir betrachten zwei Bilder mit demselben Preis nicht als Einzelfälle desselben Werks. Es scheint keine Notation für Bilder zu geben, die ein Identitätskriterium liefert, das sowohl hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt als auch unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Bilder ist. Analoges gilt für Werke anderer bildender Künste (wie z.B. Skulpturen). Etwas komplizierter ist die Situation in der Architektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumberger 2010</bib>: Kap. 6).<br />
<br />
Das Kriterium der Werkidentität für bildende Künste ist damit weder semantischer noch syntaktischer, sondern historischer Art: Ein Gegenstand ist genau dann ein bestimmtes Werk oder ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn er die angemessene Entstehungsgeschichte hat. Das Kriterium dafür, dass wir die Mona Lisa vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsächlich von Leonardo da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Malerei eine singuläre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Literatur multipel. Ihre Werke lassen mehrere Einzelfälle zu. Das Kriterium dafür, dass wir einen Einzelfall eines bestimmten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118; 192–194).<br />
<br />
=====Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung=====<br />
<br />
Die Verfügbarkeit einer Notation schliesst Fälschungen von bestehenden Werken oder Einzelfällen solcher (im Gegensatz zu Fälschungen von Werken ohne Original und bestimmten Einzelfällen) aus. In den bildenden Künsten sind solche Fälschungen möglich; sie geben fälschlicherweise vor, eine Entstehungsgeschichte zu besitzen, die für das oder ein Original unerlässlich ist. In der Musik und der Literatur sind sie ausgeschlossen, da die Notation ein semantisches respektive syntaktisches Identitätskriterium liefert, das die Werke unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert. Werke, die solche Fälschungen zulassen, bezeichnet Goodman als ‘autographisch’; Werke, die sie ausschließen, als ‘allographisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obigen Überlegungen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann autographisch, wenn seine Identität durch seine Entstehungsgeschichte bestimmt ist; es ist genau dann allographisch, wenn seine Identität syntaktisch oder semantisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988'>Goodman & Elgin 1988</bib>: 116–118; 65; für eine kritische Diskussion der Unterscheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levinson 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Notation liegt Goodmans Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Werken zugrunde und ermöglicht eine Erklärung, weshalb manche Werke im relevanten Sinn gefälscht werden können und andere nicht.<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
<!--in der folgenden Zeile XXX durch Benutzernamen ersetzen--><br />
[[Benutzer:Christoph Baumberger|Baumberger, Christoph]] <br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Notation&diff=17725Notation2013-11-07T09:55:09Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
<!--Ende header--><br />
<br />
<!--In der folgenden Zeile bitte die (Wiki)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--In der folgenden Zeile bitte die (Glossar)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--beides sollte in der Regel der gleiche Text sein--><br />
<br />
<!--Den folgenden Abschnitt bitte nicht ändern--><br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
=====Notation und die primäre Funktion einer Partitur=====<br />
<br />
Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusammenhang mit der Frage nach den Identitätskriterien für Kunstwerke entwickelt. Eine Notation ist ein [[Zeichensystem]], das ein syntaktisches oder semantisches Kriterium dafür ermöglicht, welche Gegenstände oder Ereignisse Einzelfälle eines bestimmten Werks sind. Ein solches Kriterium ist dann notwendig, wenn Werke mehrere Einzelfälle zulassen, deren Identität nicht durch ihre Entstehungsgeschichte bestimmt ist. Da dies in paradigmatischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Notation für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Literatur und ausführlicher den bildenden Künsten zuwende. Die resultierenden Identitätskriterien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerkstatus gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.<br />
<br />
Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufgeführt werden; und ob eine Aufführung ein Einzelfall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufgeführt hat. Zudem können sich verschiedene Aufführungen eines Werks beträchtlich unterscheiden. Die Partitur legt fest, in welchen Hinsichten sie übereinstimmen müssen. Genau diejenigen Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, sind Einzelfälle desselben Werks. Die Partitur liefert damit ein semantisches Kriterium der Werkidentität. Ihre primäre Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 128f.) in der definitiven Identifikation eines Werks von Aufführung zu Aufführung.<ref> Natürlich erfüllt nicht alles, was wir ‘Partitur’ nennen, diese Funktion; zudem haben Partituren weitere Funktionen wie das Transponieren, das Verstehen und das Komponieren zu erleichtern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Aufführungen des Werks eindeutig festlegen; sie muss als Klasse von Inskriptionen auch selbst durch eine Aufführung eindeutig festgelegt werden, wenn das Notationssystem gegeben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Partituridentität in jeder Folge von Schritten erhalten, von denen jeder entweder von einer Aufführung zu einer Partiturinskription oder von dieser zu einer Aufführung oder zu einer weiteren Inskription der Partitur führt. <br />
<br />
<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas 61a'>Jonas 1961</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Link "Sammlung" in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
<br />
=====Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn=====<br />
<br />
Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfüllen, wenn das Zeichensystem, in dem sie verfasst ist, bestimmten syntaktischen und semantischen Anforderungen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 130–154; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 97–104; <bib id='Elgin 1992'>Elgin 1992</bib>). Eine Notation muss syntaktisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Inskriptionen solche derselben Partitur sind. Ein Zeichensystem besteht aus einem Zeichenschema, das mit einem Bereich korreliert ist. Das Zeichenschema, das Charakteren und ihre Marken enthält, ist syntaktisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charakter gehört. Die syntaktische Disjunktheit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charakter gehören, ohne syntaktische Auswirkungen durcheinander ersetzbar sind. Ein Zeichenschema ist syntaktisch differenziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzulegen, zu welchem Charakter des Schemas sie gehört. Die syntaktische Differenziertheit stellt sicher, dass wir entscheiden können, ob zwei Marken zum selben Charakter gehören. Ein Zeichenschema ist dagegen [[syntaktische Dichte|syntaktisch dicht]], wenn es unendlich viele Charaktere vorsieht, die so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntaktische Dichte verunmöglicht es, den Charakter zu identifizieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gibt, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
Ein Charakter ist mehrdeutig, wenn eine seiner Inskriptionen mehr als eine Erfüllungsklasse hat oder nicht alle seiner Inskriptionen dieselbe Erfüllungsklasse haben. Wäre eine Partitur mehrdeutig, würde sie von Aufführungen unterschiedlicher Werke erfüllt. Damit die Partitur ihre primäre Funktion erfüllen kann, muss die Notation frei von Mehrdeutigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, Einzelfälle desselben Werks sind. Eine Notation muss zudem semantisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Aufführungen dieselbe Partitur erfüllen und damit Einzelfälle desselben Werks sind. Ein Zeichensystem ist semantisch disjunkt, wenn sich seine Erfüllungsklassen nicht überschneiden. Die semantische Disjunktheit stellt sicher, dass keine Aufführung nicht-koextensive Partituren erfüllt und ein Einzelfall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Aufführung verschiedene koextensive Partituren erfüllt und das System also redundant ist. Redundanzen gefährden zwar nicht die Werk-, aber die Partituridentität, da nicht alle Partituren eines Werks Einzelfälle desselben Charakters sind. Sie können ausgeschlossen werden, wenn man für die semantische Disjunktivität fordert, dass keine zwei Charaktere einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben. Die Erfüllungsklassen eines Zeichensystems sind semantisch differenziert, wenn es für jeden Charakter des Systems möglich ist festzulegen, welche Gegenstände ihn erfüllen. Die semantische Differenziertheit stellt sicher, dass wir für jede Aufführung entscheiden können, welche Partitur sie erfüllt. Ein Zeichensystem ist semantisch dicht, wenn die Erfüllungsklassen so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Partituren Charaktere in dichten Systemen, wäre es unmöglich, die Partitur einer Aufführung zu identifizieren, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gäbe, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
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Ein Zeichenschema, das die syntaktischen Anforderungen erfüllt, ist ein Notationsschema im formalen Sinn; ein Notationssystem im formalen Sinn erfüllt auch die semantischen Anforderungen und ist also syntaktisch und semantisch disjunkt und differenziert sowie frei von Mehrdeutigkeit.<ref> Eine praktikable Notation hat zudem technische Anforderungen zu erfüllen, die nichts mit der primären theoretischen Funktion zu tun haben, wie überschaubar kleine oder endliche Menge atomarer Charaktere, Deutlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Handhabbarkeit, graphische Eingängigkeit, mnemotechnische Effizienz und bequeme Duplizierbarkeit (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 154).</ref> Eine Notation im substantiellen Sinn ist ein Notationssystem im formalen Sinn, das ein Kriterium der Werkidentität liefert, welches zwei Bedingungen erfüllt. Es muss erstens die Identität von Werken unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte festlegen und zweitens hinreichend mit unserer bestehenden Praxis der Identifikation von Werken übereinstimmen (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 195f.). Die unqualifizierten Ausdrücke ‘Notation’ und ‘Notationssystem’ verwende ich im Folgenden für Notationen im substantiellen Sinn.<br />
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=====Musik, Literatur, bildende Künste=====<br />
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Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Partitur in der musikalischen Standardnotation als Charakter in einem Notationssystem zu rekonstruieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 117f.; 179–187). Die Standardnotation erfüllt die syntaktischen und semantischen Anforderungen, wenn man von Redundanzen absieht, Instrumentspezifikationen als Teil der Notation und sprachliche Ergänzungen wie Tempoangaben als bloße Empfehlungen dafür interpretiert, wie ein Werk aufzuführen ist. Sie ermöglicht ein semantisches Kriterium der Werkidentität und ein syntaktisches Kriterium der Partituridentität: Eine Aufführung ist genau dann ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn sie die Partitur des Werks erfüllt; und zwei Inskriptionen sind genau dann solche derselben Partitur, wenn sie gleich buchstabiert, d.h. aus denselben Elementen in derselben Anordnung zusammengesetzt sind. Das Kriterium der Partiturerfüllung legt die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinreichend mit unserer Praxis der Identifikation von Werken überein, die in Standardnotation kodifiziert sind. Dagegen wurde erstens eingewendet, dass nach ihm eine Aufführung mit einer einzigen falschen Note kein Einzelfall des fraglichen Werks ist, was unserer bestehenden Klassifikationspraxis widerspreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991'>Hernadi 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 186f.; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag übersehe die historisch und kontextuell gebundene Natur musikalischer Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levinson 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999'>Predelli 1999</bib>). Nach diesem grundsätzlicheren Einwand stimmt das Kriterium gerade deshalb nicht mit unserer Klassifikationspraxis überein, weil es die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte festlegt.<br />
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Ein Text ist ein Charakter in einem Notationsschema, nicht aber in einem Notationssystem. Verbale Sprachen erfüllen die syntaktischen Anforderungen an eine Notation: Jede Inskription gehört zu höchstens einem Charakter und es ist im Prinzip auch entscheidbar, zu welchem Charakter. Aber sie verletzen die semantischen Anforderungen: Sie enthalten mehrdeutige Ausdrücke, ihre Erfüllungsklassen stehen in Inklusions- und Überlappungsbeziehungen und sind zudem semantisch dicht. Damit ist ein syntaktisches Kriterium der Werkidentität verfügbar: Eine Inskription ist genau dann ein Einzelfall eines Texts, wenn sie gleich buchstabiert ist wie ein echter Einzelfall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Identität eines Texts unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Dass es auch hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, wurde wiederum mit dem Hinweis bestritten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfehler enthält, kein Einzelfall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag eingewendet, dass er die Gebundenheit insbesondere literarischer Werke an einen historischen Kontext und einen Autor übersehe (vgl. <bib id='Davies 1991'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbrenner 1996</bib>: S. 90–118).<br />
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Die Skizze eines Malers kann wie die Partitur eines Komponisten als Arbeitsanleitung gebraucht werden, hat aber einen ganz anderen Status. Sie ist weder ein Charakter in einem Notationssystem noch ein Charakter in einem Notationsschema, da das bildliche Zeichensystem, zu dem sie gehört, weder die semantischen noch die syntaktischen Anforderungen erfüllt. Die semantischen Anforderungen verletzt es, weil es mehrdeutige Bilder enthält, seine Erfüllungsklassen sich in vielfacher Weise überschneiden und überlappen und zudem dicht sind. Die syntaktischen Anforderungen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen pikturalen Eigenschaften Inskriptionen mehrerer Charaktere sein können und weil seine Charaktere bezüglich manchen Hinsichten (wie der Größe, der Gestalt, der Position, sowie mehrerer farblicher Aspekte) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schematische Bilder wie Karten, Pläne und genealogische Bäume annähernd notational (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6, 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwendung von ‘notational’ eher Goodmans Verwendung von ‘diagrammatisch’. Diagramme unterscheiden sich nach Goodman von Bildern im eigentlichen Sinn dadurch, dass relativ wenige ihrer Merkmale konstitutiv dafür sind, zu welchem Charakter sie gehören (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Kriterium für die Werkidentität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.<br />
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Dass Bilder als Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen funktionieren, schliesst an sich die Möglichkeit einer Notation nicht aus. Auch musikalische Aufführungen funktionieren als expressive Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen; dennoch lassen sie eine Notation zu. Die Frage nach der Möglichkeit einer Notation für eine Kunst muss von der Frage unterschieden werden, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften die Systeme haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktionieren. Das wird oft übersehen, weil Goodmans Notationstheorie zugleich ein Instrumentarium für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Zeichensysteme liefert.<ref> Notationssysteme dienen dabei als Vergleichs- und nicht als Wertmaßstab, dem sich alle Zeichensysteme annähern sollten. Dass bildliche Zeichensysteme alle syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation verletzen, impliziert deshalb keine Wertung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Kriterium der Werkidentität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktionieren.<br />
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Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entstehungszeit und -ort eine Ziffer zuordnet und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassifiziert, erfüllen die syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Systeme liefert zudem ein Kriterium der Werkidentität, das hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, aber es identifiziert Bilder nicht unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Das zweite System liefert zwar ein Kriterium der Werkidentität, das Bilder unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert, aber es weicht zu stark von unserer Klassifikationspraxis ab. Wir betrachten zwei Bilder mit demselben Preis nicht als Einzelfälle desselben Werks. Es scheint keine Notation für Bilder zu geben, die ein Identitätskriterium liefert, das sowohl hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt als auch unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Bilder ist. Analoges gilt für Werke anderer bildender Künste (wie z.B. Skulpturen). Etwas komplizierter ist die Situation in der Architektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumberger 2010</bib>: Kap. 6).<br />
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Das Kriterium der Werkidentität für bildende Künste ist damit weder semantischer noch syntaktischer, sondern historischer Art: Ein Gegenstand ist genau dann ein bestimmtes Werk oder ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn er die angemessene Entstehungsgeschichte hat. Das Kriterium dafür, dass wir die Mona Lisa vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsächlich von Leonardo da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Malerei eine singuläre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Literatur multipel. Ihre Werke lassen mehrere Einzelfälle zu. Das Kriterium dafür, dass wir einen Einzelfall eines bestimmten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118; 192–194).<br />
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=====Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung=====<br />
<br />
Die Verfügbarkeit einer Notation schliesst Fälschungen von bestehenden Werken oder Einzelfällen solcher (im Gegensatz zu Fälschungen von Werken ohne Original und bestimmten Einzelfällen) aus. In den bildenden Künsten sind solche Fälschungen möglich; sie geben fälschlicherweise vor, eine Entstehungsgeschichte zu besitzen, die für das oder ein Original unerlässlich ist. In der Musik und der Literatur sind sie ausgeschlossen, da die Notation ein semantisches respektive syntaktisches Identitätskriterium liefert, das die Werke unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert. Werke, die solche Fälschungen zulassen, bezeichnet Goodman als ‘autographisch’; Werke, die sie ausschließen, als ‘allographisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obigen Überlegungen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann autographisch, wenn seine Identität durch seine Entstehungsgeschichte bestimmt ist; es ist genau dann allographisch, wenn seine Identität syntaktisch oder semantisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988'>Goodman & Elgin 1988</bib>: 116–118; 65; für eine kritische Diskussion der Unterscheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levinson 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Notation liegt Goodmans Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Werken zugrunde und ermöglicht eine Erklärung, weshalb manche Werke im relevanten Sinn gefälscht werden können und andere nicht.<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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<!--in der folgenden Zeile XXX durch Benutzernamen ersetzen--><br />
[[Benutzer:Christoph Baumberger|Baumberger, Christoph]] <br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Notation&diff=17723Notation2013-11-07T09:54:52Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Notation und die primäre Funktion einer Partitur */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
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<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
<!--Ende header--><br />
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<!--In der folgenden Zeile bitte die (Wiki)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--In der folgenden Zeile bitte die (Glossar)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--beides sollte in der Regel der gleiche Text sein--><br />
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<!--Den folgenden Abschnitt bitte nicht ändern--><br />
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{{GlossarBoxMain}}<br />
<br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
=====Notation und die primäre Funktion einer Partitur=====<br />
<br />
Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusammenhang mit der Frage nach den Identitätskriterien für Kunstwerke entwickelt. Eine Notation ist ein [[Zeichensystem]], das ein syntaktisches oder semantisches Kriterium dafür ermöglicht, welche Gegenstände oder Ereignisse Einzelfälle eines bestimmten Werks sind. Ein solches Kriterium ist dann notwendig, wenn Werke mehrere Einzelfälle zulassen, deren Identität nicht durch ihre Entstehungsgeschichte bestimmt ist. Da dies in paradigmatischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Notation für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Literatur und ausführlicher den bildenden Künsten zuwende. Die resultierenden Identitätskriterien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerkstatus gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.<br />
<br />
Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufgeführt werden; und ob eine Aufführung ein Einzelfall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufgeführt hat. Zudem können sich verschiedene Aufführungen eines Werks beträchtlich unterscheiden. Die Partitur legt fest, in welchen Hinsichten sie übereinstimmen müssen. Genau diejenigen Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, sind Einzelfälle desselben Werks. Die Partitur liefert damit ein semantisches Kriterium der Werkidentität. Ihre primäre Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 128f.) in der definitiven Identifikation eines Werks von Aufführung zu Aufführung.<ref> Natürlich erfüllt nicht alles, was wir ‘Partitur’ nennen, diese Funktion; zudem haben Partituren weitere Funktionen wie das Transponieren, das Verstehen und das Komponieren zu erleichtern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Aufführungen des Werks eindeutig festlegen; sie muss als Klasse von Inskriptionen auch selbst durch eine Aufführung eindeutig festgelegt werden, wenn das Notationssystem gegeben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Partituridentität in jeder Folge von Schritten erhalten, von denen jeder entweder von einer Aufführung zu einer Partiturinskription oder von dieser zu einer Aufführung oder zu einer weiteren Inskription der Partitur führt. <br />
<br />
<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas 61a'>Jonas 1961</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Link "Sammlung" in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
<br />
=====Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn=====<br />
<br />
Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfüllen, wenn das Zeichensystem, in dem sie verfasst ist, bestimmten syntaktischen und semantischen Anforderungen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 130–154; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 97–104; <bib id='Elgin 1992'>Elgin 1992</bib>). Eine Notation muss syntaktisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Inskriptionen solche derselben Partitur sind. Ein Zeichensystem besteht aus einem Zeichenschema, das mit einem Bereich korreliert ist. Das Zeichenschema, das Charakteren und ihre Marken enthält, ist syntaktisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charakter gehört. Die syntaktische Disjunktheit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charakter gehören, ohne syntaktische Auswirkungen durcheinander ersetzbar sind. Ein Zeichenschema ist syntaktisch differenziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzulegen, zu welchem Charakter des Schemas sie gehört. Die syntaktische Differenziertheit stellt sicher, dass wir entscheiden können, ob zwei Marken zum selben Charakter gehören. Ein Zeichenschema ist dagegen [[syntaktische Dichte|syntaktisch dicht]], wenn es unendlich viele Charaktere vorsieht, die so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntaktische Dichte verunmöglicht es, den Charakter zu identifizieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gibt, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
<br />
Ein Charakter ist mehrdeutig, wenn eine seiner Inskriptionen mehr als eine Erfüllungsklasse hat oder nicht alle seiner Inskriptionen dieselbe Erfüllungsklasse haben. Wäre eine Partitur mehrdeutig, würde sie von Aufführungen unterschiedlicher Werke erfüllt. Damit die Partitur ihre primäre Funktion erfüllen kann, muss die Notation frei von Mehrdeutigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, Einzelfälle desselben Werks sind. Eine Notation muss zudem semantisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Aufführungen dieselbe Partitur erfüllen und damit Einzelfälle desselben Werks sind. Ein Zeichensystem ist semantisch disjunkt, wenn sich seine Erfüllungsklassen nicht überschneiden. Die semantische Disjunktheit stellt sicher, dass keine Aufführung nicht-koextensive Partituren erfüllt und ein Einzelfall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Aufführung verschiedene koextensive Partituren erfüllt und das System also redundant ist. Redundanzen gefährden zwar nicht die Werk-, aber die Partituridentität, da nicht alle Partituren eines Werks Einzelfälle desselben Charakters sind. Sie können ausgeschlossen werden, wenn man für die semantische Disjunktivität fordert, dass keine zwei Charaktere einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben. Die Erfüllungsklassen eines Zeichensystems sind semantisch differenziert, wenn es für jeden Charakter des Systems möglich ist festzulegen, welche Gegenstände ihn erfüllen. Die semantische Differenziertheit stellt sicher, dass wir für jede Aufführung entscheiden können, welche Partitur sie erfüllt. Ein Zeichensystem ist semantisch dicht, wenn die Erfüllungsklassen so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Partituren Charaktere in dichten Systemen, wäre es unmöglich, die Partitur einer Aufführung zu identifizieren, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gäbe, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
<br />
Ein Zeichenschema, das die syntaktischen Anforderungen erfüllt, ist ein Notationsschema im formalen Sinn; ein Notationssystem im formalen Sinn erfüllt auch die semantischen Anforderungen und ist also syntaktisch und semantisch disjunkt und differenziert sowie frei von Mehrdeutigkeit.<ref> Eine praktikable Notation hat zudem technische Anforderungen zu erfüllen, die nichts mit der primären theoretischen Funktion zu tun haben, wie überschaubar kleine oder endliche Menge atomarer Charaktere, Deutlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Handhabbarkeit, graphische Eingängigkeit, mnemotechnische Effizienz und bequeme Duplizierbarkeit (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 154).</ref> Eine Notation im substantiellen Sinn ist ein Notationssystem im formalen Sinn, das ein Kriterium der Werkidentität liefert, welches zwei Bedingungen erfüllt. Es muss erstens die Identität von Werken unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte festlegen und zweitens hinreichend mit unserer bestehenden Praxis der Identifikation von Werken übereinstimmen (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 195f.). Die unqualifizierten Ausdrücke ‘Notation’ und ‘Notationssystem’ verwende ich im Folgenden für Notationen im substantiellen Sinn.<br />
<br><br />
<br />
=====Musik, Literatur, bildende Künste=====<br />
<br />
Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Partitur in der musikalischen Standardnotation als Charakter in einem Notationssystem zu rekonstruieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 117f.; 179–187). Die Standardnotation erfüllt die syntaktischen und semantischen Anforderungen, wenn man von Redundanzen absieht, Instrumentspezifikationen als Teil der Notation und sprachliche Ergänzungen wie Tempoangaben als bloße Empfehlungen dafür interpretiert, wie ein Werk aufzuführen ist. Sie ermöglicht ein semantisches Kriterium der Werkidentität und ein syntaktisches Kriterium der Partituridentität: Eine Aufführung ist genau dann ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn sie die Partitur des Werks erfüllt; und zwei Inskriptionen sind genau dann solche derselben Partitur, wenn sie gleich buchstabiert, d.h. aus denselben Elementen in derselben Anordnung zusammengesetzt sind. Das Kriterium der Partiturerfüllung legt die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinreichend mit unserer Praxis der Identifikation von Werken überein, die in Standardnotation kodifiziert sind. Dagegen wurde erstens eingewendet, dass nach ihm eine Aufführung mit einer einzigen falschen Note kein Einzelfall des fraglichen Werks ist, was unserer bestehenden Klassifikationspraxis widerspreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991'>Hernadi 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 186f.; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag übersehe die historisch und kontextuell gebundene Natur musikalischer Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levinson 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999'>Predelli 1999</bib>). Nach diesem grundsätzlicheren Einwand stimmt das Kriterium gerade deshalb nicht mit unserer Klassifikationspraxis überein, weil es die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte festlegt.<br />
<br />
<br />
Ein Text ist ein Charakter in einem Notationsschema, nicht aber in einem Notationssystem. Verbale Sprachen erfüllen die syntaktischen Anforderungen an eine Notation: Jede Inskription gehört zu höchstens einem Charakter und es ist im Prinzip auch entscheidbar, zu welchem Charakter. Aber sie verletzen die semantischen Anforderungen: Sie enthalten mehrdeutige Ausdrücke, ihre Erfüllungsklassen stehen in Inklusions- und Überlappungsbeziehungen und sind zudem semantisch dicht. Damit ist ein syntaktisches Kriterium der Werkidentität verfügbar: Eine Inskription ist genau dann ein Einzelfall eines Texts, wenn sie gleich buchstabiert ist wie ein echter Einzelfall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Identität eines Texts unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Dass es auch hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, wurde wiederum mit dem Hinweis bestritten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfehler enthält, kein Einzelfall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag eingewendet, dass er die Gebundenheit insbesondere literarischer Werke an einen historischen Kontext und einen Autor übersehe (vgl. <bib id='Davies 1991'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbrenner 1996</bib>: S. 90–118).<br />
<br />
<br />
Die Skizze eines Malers kann wie die Partitur eines Komponisten als Arbeitsanleitung gebraucht werden, hat aber einen ganz anderen Status. Sie ist weder ein Charakter in einem Notationssystem noch ein Charakter in einem Notationsschema, da das bildliche Zeichensystem, zu dem sie gehört, weder die semantischen noch die syntaktischen Anforderungen erfüllt. Die semantischen Anforderungen verletzt es, weil es mehrdeutige Bilder enthält, seine Erfüllungsklassen sich in vielfacher Weise überschneiden und überlappen und zudem dicht sind. Die syntaktischen Anforderungen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen pikturalen Eigenschaften Inskriptionen mehrerer Charaktere sein können und weil seine Charaktere bezüglich manchen Hinsichten (wie der Größe, der Gestalt, der Position, sowie mehrerer farblicher Aspekte) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schematische Bilder wie Karten, Pläne und genealogische Bäume annähernd notational (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6, 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwendung von ‘notational’ eher Goodmans Verwendung von ‘diagrammatisch’. Diagramme unterscheiden sich nach Goodman von Bildern im eigentlichen Sinn dadurch, dass relativ wenige ihrer Merkmale konstitutiv dafür sind, zu welchem Charakter sie gehören (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Kriterium für die Werkidentität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.<br />
<br />
Dass Bilder als Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen funktionieren, schliesst an sich die Möglichkeit einer Notation nicht aus. Auch musikalische Aufführungen funktionieren als expressive Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen; dennoch lassen sie eine Notation zu. Die Frage nach der Möglichkeit einer Notation für eine Kunst muss von der Frage unterschieden werden, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften die Systeme haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktionieren. Das wird oft übersehen, weil Goodmans Notationstheorie zugleich ein Instrumentarium für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Zeichensysteme liefert.<ref> Notationssysteme dienen dabei als Vergleichs- und nicht als Wertmaßstab, dem sich alle Zeichensysteme annähern sollten. Dass bildliche Zeichensysteme alle syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation verletzen, impliziert deshalb keine Wertung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Kriterium der Werkidentität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktionieren.<br />
<br />
Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entstehungszeit und -ort eine Ziffer zuordnet und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassifiziert, erfüllen die syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Systeme liefert zudem ein Kriterium der Werkidentität, das hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, aber es identifiziert Bilder nicht unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Das zweite System liefert zwar ein Kriterium der Werkidentität, das Bilder unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert, aber es weicht zu stark von unserer Klassifikationspraxis ab. Wir betrachten zwei Bilder mit demselben Preis nicht als Einzelfälle desselben Werks. Es scheint keine Notation für Bilder zu geben, die ein Identitätskriterium liefert, das sowohl hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt als auch unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Bilder ist. Analoges gilt für Werke anderer bildender Künste (wie z.B. Skulpturen). Etwas komplizierter ist die Situation in der Architektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumberger 2010</bib>: Kap. 6).<br />
<br />
Das Kriterium der Werkidentität für bildende Künste ist damit weder semantischer noch syntaktischer, sondern historischer Art: Ein Gegenstand ist genau dann ein bestimmtes Werk oder ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn er die angemessene Entstehungsgeschichte hat. Das Kriterium dafür, dass wir die Mona Lisa vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsächlich von Leonardo da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Malerei eine singuläre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Literatur multipel. Ihre Werke lassen mehrere Einzelfälle zu. Das Kriterium dafür, dass wir einen Einzelfall eines bestimmten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118; 192–194).<br />
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=====Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung=====<br />
<br />
Die Verfügbarkeit einer Notation schliesst Fälschungen von bestehenden Werken oder Einzelfällen solcher (im Gegensatz zu Fälschungen von Werken ohne Original und bestimmten Einzelfällen) aus. In den bildenden Künsten sind solche Fälschungen möglich; sie geben fälschlicherweise vor, eine Entstehungsgeschichte zu besitzen, die für das oder ein Original unerlässlich ist. In der Musik und der Literatur sind sie ausgeschlossen, da die Notation ein semantisches respektive syntaktisches Identitätskriterium liefert, das die Werke unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert. Werke, die solche Fälschungen zulassen, bezeichnet Goodman als ‘autographisch’; Werke, die sie ausschließen, als ‘allographisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obigen Überlegungen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann autographisch, wenn seine Identität durch seine Entstehungsgeschichte bestimmt ist; es ist genau dann allographisch, wenn seine Identität syntaktisch oder semantisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988'>Goodman & Elgin 1988</bib>: 116–118; 65; für eine kritische Diskussion der Unterscheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levinson 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Notation liegt Goodmans Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Werken zugrunde und ermöglicht eine Erklärung, weshalb manche Werke im relevanten Sinn gefälscht werden können und andere nicht.<br />
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<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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[[Benutzer:Christoph Baumberger|Baumberger, Christoph]] <br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Notation&diff=17721Notation2013-11-07T09:54:24Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn */</p>
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<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
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<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
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[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
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Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--beides sollte in der Regel der gleiche Text sein--><br />
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<!--Den folgenden Abschnitt bitte nicht ändern--><br />
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{{GlossarBoxMain}}<br />
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<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
=====Notation und die primäre Funktion einer Partitur=====<br />
<br />
Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusammenhang mit der Frage nach den Identitätskriterien für Kunstwerke entwickelt. Eine Notation ist ein [[Zeichensystem]], das ein syntaktisches oder semantisches Kriterium dafür ermöglicht, welche Gegenstände oder Ereignisse Einzelfälle eines bestimmten Werks sind. Ein solches Kriterium ist dann notwendig, wenn Werke mehrere Einzelfälle zulassen, deren Identität nicht durch ihre Entstehungsgeschichte bestimmt ist. Da dies in paradigmatischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Notation für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Literatur und ausführlicher den bildenden Künsten zuwende. Die resultierenden Identitätskriterien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerkstatus gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.<br />
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<br />
Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufgeführt werden; und ob eine Aufführung ein Einzelfall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufgeführt hat. Zudem können sich verschiedene Aufführungen eines Werks beträchtlich unterscheiden. Die Partitur legt fest, in welchen Hinsichten sie übereinstimmen müssen. Genau diejenigen Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, sind Einzelfälle desselben Werks. Die Partitur liefert damit ein semantisches Kriterium der Werkidentität. Ihre primäre Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 128f.) in der definitiven Identifikation eines Werks von Aufführung zu Aufführung.<ref> Natürlich erfüllt nicht alles, was wir ‘Partitur’ nennen, diese Funktion; zudem haben Partituren weitere Funktionen wie das Transponieren, das Verstehen und das Komponieren zu erleichtern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Aufführungen des Werks eindeutig festlegen; sie muss als Klasse von Inskriptionen auch selbst durch eine Aufführung eindeutig festgelegt werden, wenn das Notationssystem gegeben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Partituridentität in jeder Folge von Schritten erhalten, von denen jeder entweder von einer Aufführung zu einer Partiturinskription oder von dieser zu einer Aufführung oder zu einer weiteren Inskription der Partitur führt. <br />
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<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas 61a'>Jonas 1961</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Link "Sammlung" in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
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=====Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn=====<br />
<br />
Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfüllen, wenn das Zeichensystem, in dem sie verfasst ist, bestimmten syntaktischen und semantischen Anforderungen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 130–154; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 97–104; <bib id='Elgin 1992'>Elgin 1992</bib>). Eine Notation muss syntaktisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Inskriptionen solche derselben Partitur sind. Ein Zeichensystem besteht aus einem Zeichenschema, das mit einem Bereich korreliert ist. Das Zeichenschema, das Charakteren und ihre Marken enthält, ist syntaktisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charakter gehört. Die syntaktische Disjunktheit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charakter gehören, ohne syntaktische Auswirkungen durcheinander ersetzbar sind. Ein Zeichenschema ist syntaktisch differenziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzulegen, zu welchem Charakter des Schemas sie gehört. Die syntaktische Differenziertheit stellt sicher, dass wir entscheiden können, ob zwei Marken zum selben Charakter gehören. Ein Zeichenschema ist dagegen [[syntaktische Dichte|syntaktisch dicht]], wenn es unendlich viele Charaktere vorsieht, die so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntaktische Dichte verunmöglicht es, den Charakter zu identifizieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gibt, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
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<br />
Ein Charakter ist mehrdeutig, wenn eine seiner Inskriptionen mehr als eine Erfüllungsklasse hat oder nicht alle seiner Inskriptionen dieselbe Erfüllungsklasse haben. Wäre eine Partitur mehrdeutig, würde sie von Aufführungen unterschiedlicher Werke erfüllt. Damit die Partitur ihre primäre Funktion erfüllen kann, muss die Notation frei von Mehrdeutigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, Einzelfälle desselben Werks sind. Eine Notation muss zudem semantisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Aufführungen dieselbe Partitur erfüllen und damit Einzelfälle desselben Werks sind. Ein Zeichensystem ist semantisch disjunkt, wenn sich seine Erfüllungsklassen nicht überschneiden. Die semantische Disjunktheit stellt sicher, dass keine Aufführung nicht-koextensive Partituren erfüllt und ein Einzelfall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Aufführung verschiedene koextensive Partituren erfüllt und das System also redundant ist. Redundanzen gefährden zwar nicht die Werk-, aber die Partituridentität, da nicht alle Partituren eines Werks Einzelfälle desselben Charakters sind. Sie können ausgeschlossen werden, wenn man für die semantische Disjunktivität fordert, dass keine zwei Charaktere einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben. Die Erfüllungsklassen eines Zeichensystems sind semantisch differenziert, wenn es für jeden Charakter des Systems möglich ist festzulegen, welche Gegenstände ihn erfüllen. Die semantische Differenziertheit stellt sicher, dass wir für jede Aufführung entscheiden können, welche Partitur sie erfüllt. Ein Zeichensystem ist semantisch dicht, wenn die Erfüllungsklassen so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Partituren Charaktere in dichten Systemen, wäre es unmöglich, die Partitur einer Aufführung zu identifizieren, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gäbe, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
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Ein Zeichenschema, das die syntaktischen Anforderungen erfüllt, ist ein Notationsschema im formalen Sinn; ein Notationssystem im formalen Sinn erfüllt auch die semantischen Anforderungen und ist also syntaktisch und semantisch disjunkt und differenziert sowie frei von Mehrdeutigkeit.<ref> Eine praktikable Notation hat zudem technische Anforderungen zu erfüllen, die nichts mit der primären theoretischen Funktion zu tun haben, wie überschaubar kleine oder endliche Menge atomarer Charaktere, Deutlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Handhabbarkeit, graphische Eingängigkeit, mnemotechnische Effizienz und bequeme Duplizierbarkeit (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 154).</ref> Eine Notation im substantiellen Sinn ist ein Notationssystem im formalen Sinn, das ein Kriterium der Werkidentität liefert, welches zwei Bedingungen erfüllt. Es muss erstens die Identität von Werken unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte festlegen und zweitens hinreichend mit unserer bestehenden Praxis der Identifikation von Werken übereinstimmen (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 195f.). Die unqualifizierten Ausdrücke ‘Notation’ und ‘Notationssystem’ verwende ich im Folgenden für Notationen im substantiellen Sinn.<br />
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=====Musik, Literatur, bildende Künste=====<br />
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Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Partitur in der musikalischen Standardnotation als Charakter in einem Notationssystem zu rekonstruieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 117f.; 179–187). Die Standardnotation erfüllt die syntaktischen und semantischen Anforderungen, wenn man von Redundanzen absieht, Instrumentspezifikationen als Teil der Notation und sprachliche Ergänzungen wie Tempoangaben als bloße Empfehlungen dafür interpretiert, wie ein Werk aufzuführen ist. Sie ermöglicht ein semantisches Kriterium der Werkidentität und ein syntaktisches Kriterium der Partituridentität: Eine Aufführung ist genau dann ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn sie die Partitur des Werks erfüllt; und zwei Inskriptionen sind genau dann solche derselben Partitur, wenn sie gleich buchstabiert, d.h. aus denselben Elementen in derselben Anordnung zusammengesetzt sind. Das Kriterium der Partiturerfüllung legt die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinreichend mit unserer Praxis der Identifikation von Werken überein, die in Standardnotation kodifiziert sind. Dagegen wurde erstens eingewendet, dass nach ihm eine Aufführung mit einer einzigen falschen Note kein Einzelfall des fraglichen Werks ist, was unserer bestehenden Klassifikationspraxis widerspreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991'>Hernadi 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 186f.; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag übersehe die historisch und kontextuell gebundene Natur musikalischer Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levinson 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999'>Predelli 1999</bib>). Nach diesem grundsätzlicheren Einwand stimmt das Kriterium gerade deshalb nicht mit unserer Klassifikationspraxis überein, weil es die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte festlegt.<br />
<br />
<br />
Ein Text ist ein Charakter in einem Notationsschema, nicht aber in einem Notationssystem. Verbale Sprachen erfüllen die syntaktischen Anforderungen an eine Notation: Jede Inskription gehört zu höchstens einem Charakter und es ist im Prinzip auch entscheidbar, zu welchem Charakter. Aber sie verletzen die semantischen Anforderungen: Sie enthalten mehrdeutige Ausdrücke, ihre Erfüllungsklassen stehen in Inklusions- und Überlappungsbeziehungen und sind zudem semantisch dicht. Damit ist ein syntaktisches Kriterium der Werkidentität verfügbar: Eine Inskription ist genau dann ein Einzelfall eines Texts, wenn sie gleich buchstabiert ist wie ein echter Einzelfall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Identität eines Texts unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Dass es auch hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, wurde wiederum mit dem Hinweis bestritten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfehler enthält, kein Einzelfall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag eingewendet, dass er die Gebundenheit insbesondere literarischer Werke an einen historischen Kontext und einen Autor übersehe (vgl. <bib id='Davies 1991'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbrenner 1996</bib>: S. 90–118).<br />
<br />
<br />
Die Skizze eines Malers kann wie die Partitur eines Komponisten als Arbeitsanleitung gebraucht werden, hat aber einen ganz anderen Status. Sie ist weder ein Charakter in einem Notationssystem noch ein Charakter in einem Notationsschema, da das bildliche Zeichensystem, zu dem sie gehört, weder die semantischen noch die syntaktischen Anforderungen erfüllt. Die semantischen Anforderungen verletzt es, weil es mehrdeutige Bilder enthält, seine Erfüllungsklassen sich in vielfacher Weise überschneiden und überlappen und zudem dicht sind. Die syntaktischen Anforderungen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen pikturalen Eigenschaften Inskriptionen mehrerer Charaktere sein können und weil seine Charaktere bezüglich manchen Hinsichten (wie der Größe, der Gestalt, der Position, sowie mehrerer farblicher Aspekte) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schematische Bilder wie Karten, Pläne und genealogische Bäume annähernd notational (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6, 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwendung von ‘notational’ eher Goodmans Verwendung von ‘diagrammatisch’. Diagramme unterscheiden sich nach Goodman von Bildern im eigentlichen Sinn dadurch, dass relativ wenige ihrer Merkmale konstitutiv dafür sind, zu welchem Charakter sie gehören (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Kriterium für die Werkidentität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.<br />
<br />
Dass Bilder als Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen funktionieren, schliesst an sich die Möglichkeit einer Notation nicht aus. Auch musikalische Aufführungen funktionieren als expressive Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen; dennoch lassen sie eine Notation zu. Die Frage nach der Möglichkeit einer Notation für eine Kunst muss von der Frage unterschieden werden, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften die Systeme haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktionieren. Das wird oft übersehen, weil Goodmans Notationstheorie zugleich ein Instrumentarium für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Zeichensysteme liefert.<ref> Notationssysteme dienen dabei als Vergleichs- und nicht als Wertmaßstab, dem sich alle Zeichensysteme annähern sollten. Dass bildliche Zeichensysteme alle syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation verletzen, impliziert deshalb keine Wertung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Kriterium der Werkidentität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktionieren.<br />
<br />
Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entstehungszeit und -ort eine Ziffer zuordnet und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassifiziert, erfüllen die syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Systeme liefert zudem ein Kriterium der Werkidentität, das hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, aber es identifiziert Bilder nicht unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Das zweite System liefert zwar ein Kriterium der Werkidentität, das Bilder unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert, aber es weicht zu stark von unserer Klassifikationspraxis ab. Wir betrachten zwei Bilder mit demselben Preis nicht als Einzelfälle desselben Werks. Es scheint keine Notation für Bilder zu geben, die ein Identitätskriterium liefert, das sowohl hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt als auch unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Bilder ist. Analoges gilt für Werke anderer bildender Künste (wie z.B. Skulpturen). Etwas komplizierter ist die Situation in der Architektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumberger 2010</bib>: Kap. 6).<br />
<br />
Das Kriterium der Werkidentität für bildende Künste ist damit weder semantischer noch syntaktischer, sondern historischer Art: Ein Gegenstand ist genau dann ein bestimmtes Werk oder ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn er die angemessene Entstehungsgeschichte hat. Das Kriterium dafür, dass wir die Mona Lisa vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsächlich von Leonardo da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Malerei eine singuläre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Literatur multipel. Ihre Werke lassen mehrere Einzelfälle zu. Das Kriterium dafür, dass wir einen Einzelfall eines bestimmten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118; 192–194).<br />
<br />
<br />
=====Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung=====<br />
<br />
Die Verfügbarkeit einer Notation schliesst Fälschungen von bestehenden Werken oder Einzelfällen solcher (im Gegensatz zu Fälschungen von Werken ohne Original und bestimmten Einzelfällen) aus. In den bildenden Künsten sind solche Fälschungen möglich; sie geben fälschlicherweise vor, eine Entstehungsgeschichte zu besitzen, die für das oder ein Original unerlässlich ist. In der Musik und der Literatur sind sie ausgeschlossen, da die Notation ein semantisches respektive syntaktisches Identitätskriterium liefert, das die Werke unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert. Werke, die solche Fälschungen zulassen, bezeichnet Goodman als ‘autographisch’; Werke, die sie ausschließen, als ‘allographisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obigen Überlegungen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann autographisch, wenn seine Identität durch seine Entstehungsgeschichte bestimmt ist; es ist genau dann allographisch, wenn seine Identität syntaktisch oder semantisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988'>Goodman & Elgin 1988</bib>: 116–118; 65; für eine kritische Diskussion der Unterscheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levinson 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Notation liegt Goodmans Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Werken zugrunde und ermöglicht eine Erklärung, weshalb manche Werke im relevanten Sinn gefälscht werden können und andere nicht.<br />
<br />
<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
<br />
<!--in der folgenden Zeile XXX durch Benutzernamen ersetzen--><br />
[[Benutzer:Christoph Baumberger|Baumberger, Christoph]] <br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
{{GlosEnd}}<br />
<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Notation&diff=17719Notation2013-11-07T09:54:07Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn */</p>
<hr />
<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
<br />
<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
{{GlosHeader}}<br />
[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
<!--Ende header--><br />
<br />
<!--In der folgenden Zeile bitte die (Wiki)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--In der folgenden Zeile bitte die (Glossar)Kategorie eintragen, wo jetzt XXX steht--><br />
Unterpunkt zu: [[Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
<!--beides sollte in der Regel der gleiche Text sein--><br />
<br />
<!--Den folgenden Abschnitt bitte nicht ändern--><br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
=====Notation und die primäre Funktion einer Partitur=====<br />
<br />
Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusammenhang mit der Frage nach den Identitätskriterien für Kunstwerke entwickelt. Eine Notation ist ein [[Zeichensystem]], das ein syntaktisches oder semantisches Kriterium dafür ermöglicht, welche Gegenstände oder Ereignisse Einzelfälle eines bestimmten Werks sind. Ein solches Kriterium ist dann notwendig, wenn Werke mehrere Einzelfälle zulassen, deren Identität nicht durch ihre Entstehungsgeschichte bestimmt ist. Da dies in paradigmatischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Notation für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Literatur und ausführlicher den bildenden Künsten zuwende. Die resultierenden Identitätskriterien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerkstatus gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.<br />
<br />
<br />
Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufgeführt werden; und ob eine Aufführung ein Einzelfall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufgeführt hat. Zudem können sich verschiedene Aufführungen eines Werks beträchtlich unterscheiden. Die Partitur legt fest, in welchen Hinsichten sie übereinstimmen müssen. Genau diejenigen Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, sind Einzelfälle desselben Werks. Die Partitur liefert damit ein semantisches Kriterium der Werkidentität. Ihre primäre Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 128f.) in der definitiven Identifikation eines Werks von Aufführung zu Aufführung.<ref> Natürlich erfüllt nicht alles, was wir ‘Partitur’ nennen, diese Funktion; zudem haben Partituren weitere Funktionen wie das Transponieren, das Verstehen und das Komponieren zu erleichtern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Aufführungen des Werks eindeutig festlegen; sie muss als Klasse von Inskriptionen auch selbst durch eine Aufführung eindeutig festgelegt werden, wenn das Notationssystem gegeben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Partituridentität in jeder Folge von Schritten erhalten, von denen jeder entweder von einer Aufführung zu einer Partiturinskription oder von dieser zu einer Aufführung oder zu einer weiteren Inskription der Partitur führt. <br />
<br />
<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas 61a'>Jonas 1961</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Link "Sammlung" in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
<br />
=====Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn=====<br />
<br />
Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfüllen, wenn das Zeichensystem, in dem sie verfasst ist, bestimmten syntaktischen und semantischen Anforderungen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 130–154; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 97–104; <bib id='Elgin 1992'>Elgin 1992</bib>). Eine Notation muss syntaktisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Inskriptionen solche derselben Partitur sind. Ein Zeichensystem besteht aus einem Zeichenschema, das mit einem Bereich korreliert ist. Das Zeichenschema, das Charakteren und ihre Marken enthält, ist syntaktisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charakter gehört. Die syntaktische Disjunktheit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charakter gehören, ohne syntaktische Auswirkungen durcheinander ersetzbar sind. Ein Zeichenschema ist syntaktisch differenziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzulegen, zu welchem Charakter des Schemas sie gehört. Die syntaktische Differenziertheit stellt sicher, dass wir entscheiden können, ob zwei Marken zum selben Charakter gehören. Ein Zeichenschema ist dagegen [[syntaktische Dichte|syntaktisch dicht]], wenn es unendlich viele Charaktere vorsieht, die so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntaktische Dichte verunmöglicht es, den Charakter zu identifizieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gibt, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
<br />
Ein Charakter ist mehrdeutig, wenn eine seiner Inskriptionen mehr als eine Erfüllungsklasse hat oder nicht alle seiner Inskriptionen dieselbe Erfüllungsklasse haben. Wäre eine Partitur mehrdeutig, würde sie von Aufführungen unterschiedlicher Werke erfüllt. Damit die Partitur ihre primäre Funktion erfüllen kann, muss die Notation frei von Mehrdeutigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, Einzelfälle desselben Werks sind. Eine Notation muss zudem semantisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Aufführungen dieselbe Partitur erfüllen und damit Einzelfälle desselben Werks sind. Ein Zeichensystem ist semantisch disjunkt, wenn sich seine Erfüllungsklassen nicht überschneiden. Die semantische Disjunktheit stellt sicher, dass keine Aufführung nicht-koextensive Partituren erfüllt und ein Einzelfall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Aufführung verschiedene koextensive Partituren erfüllt und das System also redundant ist. Redundanzen gefährden zwar nicht die Werk-, aber die Partituridentität, da nicht alle Partituren eines Werks Einzelfälle desselben Charakters sind. Sie können ausgeschlossen werden, wenn man für die semantische Disjunktivität fordert, dass keine zwei Charaktere einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben. Die Erfüllungsklassen eines Zeichensystems sind semantisch differenziert, wenn es für jeden Charakter des Systems möglich ist festzulegen, welche Gegenstände ihn erfüllen. Die semantische Differenziertheit stellt sicher, dass wir für jede Aufführung entscheiden können, welche Partitur sie erfüllt. Ein Zeichensystem ist semantisch dicht, wenn die Erfüllungsklassen so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Partituren Charaktere in dichten Systemen, wäre es unmöglich, die Partitur einer Aufführung zu identifizieren, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gäbe, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
<br />
Ein Zeichenschema, das die syntaktischen Anforderungen erfüllt, ist ein Notationsschema im formalen Sinn; ein Notationssystem im formalen Sinn erfüllt auch die semantischen Anforderungen und ist also syntaktisch und semantisch disjunkt und differenziert sowie frei von Mehrdeutigkeit.<ref> Eine praktikable Notation hat zudem technische Anforderungen zu erfüllen, die nichts mit der primären theoretischen Funktion zu tun haben, wie überschaubar kleine oder endliche Menge atomarer Charaktere, Deutlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Handhabbarkeit, graphische Eingängigkeit, mnemotechnische Effizienz und bequeme Duplizierbarkeit (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 154).</ref> Eine Notation im substantiellen Sinn ist ein Notationssystem im formalen Sinn, das ein Kriterium der Werkidentität liefert, welches zwei Bedingungen erfüllt. Es muss erstens die Identität von Werken unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte festlegen und zweitens hinreichend mit unserer bestehenden Praxis der Identifikation von Werken übereinstimmen (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 195f.). Die unqualifizierten Ausdrücke ‘Notation’ und ‘Notationssystem’ verwende ich im Folgenden für Notationen im substantiellen Sinn.<br />
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=====Musik, Literatur, bildende Künste=====<br />
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Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Partitur in der musikalischen Standardnotation als Charakter in einem Notationssystem zu rekonstruieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 117f.; 179–187). Die Standardnotation erfüllt die syntaktischen und semantischen Anforderungen, wenn man von Redundanzen absieht, Instrumentspezifikationen als Teil der Notation und sprachliche Ergänzungen wie Tempoangaben als bloße Empfehlungen dafür interpretiert, wie ein Werk aufzuführen ist. Sie ermöglicht ein semantisches Kriterium der Werkidentität und ein syntaktisches Kriterium der Partituridentität: Eine Aufführung ist genau dann ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn sie die Partitur des Werks erfüllt; und zwei Inskriptionen sind genau dann solche derselben Partitur, wenn sie gleich buchstabiert, d.h. aus denselben Elementen in derselben Anordnung zusammengesetzt sind. Das Kriterium der Partiturerfüllung legt die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinreichend mit unserer Praxis der Identifikation von Werken überein, die in Standardnotation kodifiziert sind. Dagegen wurde erstens eingewendet, dass nach ihm eine Aufführung mit einer einzigen falschen Note kein Einzelfall des fraglichen Werks ist, was unserer bestehenden Klassifikationspraxis widerspreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991'>Hernadi 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 186f.; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag übersehe die historisch und kontextuell gebundene Natur musikalischer Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levinson 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999'>Predelli 1999</bib>). Nach diesem grundsätzlicheren Einwand stimmt das Kriterium gerade deshalb nicht mit unserer Klassifikationspraxis überein, weil es die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte festlegt.<br />
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Ein Text ist ein Charakter in einem Notationsschema, nicht aber in einem Notationssystem. Verbale Sprachen erfüllen die syntaktischen Anforderungen an eine Notation: Jede Inskription gehört zu höchstens einem Charakter und es ist im Prinzip auch entscheidbar, zu welchem Charakter. Aber sie verletzen die semantischen Anforderungen: Sie enthalten mehrdeutige Ausdrücke, ihre Erfüllungsklassen stehen in Inklusions- und Überlappungsbeziehungen und sind zudem semantisch dicht. Damit ist ein syntaktisches Kriterium der Werkidentität verfügbar: Eine Inskription ist genau dann ein Einzelfall eines Texts, wenn sie gleich buchstabiert ist wie ein echter Einzelfall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Identität eines Texts unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Dass es auch hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, wurde wiederum mit dem Hinweis bestritten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfehler enthält, kein Einzelfall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag eingewendet, dass er die Gebundenheit insbesondere literarischer Werke an einen historischen Kontext und einen Autor übersehe (vgl. <bib id='Davies 1991'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbrenner 1996</bib>: S. 90–118).<br />
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Die Skizze eines Malers kann wie die Partitur eines Komponisten als Arbeitsanleitung gebraucht werden, hat aber einen ganz anderen Status. Sie ist weder ein Charakter in einem Notationssystem noch ein Charakter in einem Notationsschema, da das bildliche Zeichensystem, zu dem sie gehört, weder die semantischen noch die syntaktischen Anforderungen erfüllt. Die semantischen Anforderungen verletzt es, weil es mehrdeutige Bilder enthält, seine Erfüllungsklassen sich in vielfacher Weise überschneiden und überlappen und zudem dicht sind. Die syntaktischen Anforderungen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen pikturalen Eigenschaften Inskriptionen mehrerer Charaktere sein können und weil seine Charaktere bezüglich manchen Hinsichten (wie der Größe, der Gestalt, der Position, sowie mehrerer farblicher Aspekte) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schematische Bilder wie Karten, Pläne und genealogische Bäume annähernd notational (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6, 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwendung von ‘notational’ eher Goodmans Verwendung von ‘diagrammatisch’. Diagramme unterscheiden sich nach Goodman von Bildern im eigentlichen Sinn dadurch, dass relativ wenige ihrer Merkmale konstitutiv dafür sind, zu welchem Charakter sie gehören (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Kriterium für die Werkidentität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.<br />
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Dass Bilder als Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen funktionieren, schliesst an sich die Möglichkeit einer Notation nicht aus. Auch musikalische Aufführungen funktionieren als expressive Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen; dennoch lassen sie eine Notation zu. Die Frage nach der Möglichkeit einer Notation für eine Kunst muss von der Frage unterschieden werden, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften die Systeme haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktionieren. Das wird oft übersehen, weil Goodmans Notationstheorie zugleich ein Instrumentarium für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Zeichensysteme liefert.<ref> Notationssysteme dienen dabei als Vergleichs- und nicht als Wertmaßstab, dem sich alle Zeichensysteme annähern sollten. Dass bildliche Zeichensysteme alle syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation verletzen, impliziert deshalb keine Wertung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Kriterium der Werkidentität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktionieren.<br />
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Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entstehungszeit und -ort eine Ziffer zuordnet und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassifiziert, erfüllen die syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Systeme liefert zudem ein Kriterium der Werkidentität, das hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, aber es identifiziert Bilder nicht unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Das zweite System liefert zwar ein Kriterium der Werkidentität, das Bilder unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert, aber es weicht zu stark von unserer Klassifikationspraxis ab. Wir betrachten zwei Bilder mit demselben Preis nicht als Einzelfälle desselben Werks. Es scheint keine Notation für Bilder zu geben, die ein Identitätskriterium liefert, das sowohl hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt als auch unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Bilder ist. Analoges gilt für Werke anderer bildender Künste (wie z.B. Skulpturen). Etwas komplizierter ist die Situation in der Architektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumberger 2010</bib>: Kap. 6).<br />
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Das Kriterium der Werkidentität für bildende Künste ist damit weder semantischer noch syntaktischer, sondern historischer Art: Ein Gegenstand ist genau dann ein bestimmtes Werk oder ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn er die angemessene Entstehungsgeschichte hat. Das Kriterium dafür, dass wir die Mona Lisa vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsächlich von Leonardo da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Malerei eine singuläre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Literatur multipel. Ihre Werke lassen mehrere Einzelfälle zu. Das Kriterium dafür, dass wir einen Einzelfall eines bestimmten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118; 192–194).<br />
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=====Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung=====<br />
<br />
Die Verfügbarkeit einer Notation schliesst Fälschungen von bestehenden Werken oder Einzelfällen solcher (im Gegensatz zu Fälschungen von Werken ohne Original und bestimmten Einzelfällen) aus. In den bildenden Künsten sind solche Fälschungen möglich; sie geben fälschlicherweise vor, eine Entstehungsgeschichte zu besitzen, die für das oder ein Original unerlässlich ist. In der Musik und der Literatur sind sie ausgeschlossen, da die Notation ein semantisches respektive syntaktisches Identitätskriterium liefert, das die Werke unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert. Werke, die solche Fälschungen zulassen, bezeichnet Goodman als ‘autographisch’; Werke, die sie ausschließen, als ‘allographisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obigen Überlegungen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann autographisch, wenn seine Identität durch seine Entstehungsgeschichte bestimmt ist; es ist genau dann allographisch, wenn seine Identität syntaktisch oder semantisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988'>Goodman & Elgin 1988</bib>: 116–118; 65; für eine kritische Diskussion der Unterscheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levinson 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Notation liegt Goodmans Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Werken zugrunde und ermöglicht eine Erklärung, weshalb manche Werke im relevanten Sinn gefälscht werden können und andere nicht.<br />
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<!--den folgenden Befehl, der die drei rechten Kästen einfügt, nicht verändern--><br />
<!--Anmerkungen und Literatur wird automatisch eingesetzt --><br />
<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
<!-- ... dazu den "Sammlung"-Link im Literaturkasten verwenden --><br />
{{GlosTab2}}<br />
{{GlosTab3}}<br />
''Verantwortlich:'' <br />
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<!--in der folgenden Zeile XXX durch Benutzernamen ersetzen--><br />
[[Benutzer:Christoph Baumberger|Baumberger, Christoph]] <br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Notation&diff=17717Notation2013-11-07T09:49:06Z<p>Klaus Sachs-Hombach: /* Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn */</p>
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<div><!-- "This is comment" --><br />
<!--Vorlage für Unterpunkte--><br />
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<!--Den folgenden Header, bitte nicht verändern--><br />
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[[Kategorie:Unterpunkt]]<br />
<!--Ende header--><br />
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[[Kategorie:Zeichentheorien: Übersicht]]<br />
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<!--beides sollte in der Regel der gleiche Text sein--><br />
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{{GlossarBoxMain}}<br />
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<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
=====Notation und die primäre Funktion einer Partitur=====<br />
<br />
Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusammenhang mit der Frage nach den Identitätskriterien für Kunstwerke entwickelt. Eine Notation ist ein [[Zeichensystem]], das ein syntaktisches oder semantisches Kriterium dafür ermöglicht, welche Gegenstände oder Ereignisse Einzelfälle eines bestimmten Werks sind. Ein solches Kriterium ist dann notwendig, wenn Werke mehrere Einzelfälle zulassen, deren Identität nicht durch ihre Entstehungsgeschichte bestimmt ist. Da dies in paradigmatischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Notation für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Literatur und ausführlicher den bildenden Künsten zuwende. Die resultierenden Identitätskriterien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerkstatus gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.<br />
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Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufgeführt werden; und ob eine Aufführung ein Einzelfall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufgeführt hat. Zudem können sich verschiedene Aufführungen eines Werks beträchtlich unterscheiden. Die Partitur legt fest, in welchen Hinsichten sie übereinstimmen müssen. Genau diejenigen Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, sind Einzelfälle desselben Werks. Die Partitur liefert damit ein semantisches Kriterium der Werkidentität. Ihre primäre Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 128f.) in der definitiven Identifikation eines Werks von Aufführung zu Aufführung.<ref> Natürlich erfüllt nicht alles, was wir ‘Partitur’ nennen, diese Funktion; zudem haben Partituren weitere Funktionen wie das Transponieren, das Verstehen und das Komponieren zu erleichtern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Aufführungen des Werks eindeutig festlegen; sie muss als Klasse von Inskriptionen auch selbst durch eine Aufführung eindeutig festgelegt werden, wenn das Notationssystem gegeben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Partituridentität in jeder Folge von Schritten erhalten, von denen jeder entweder von einer Aufführung zu einer Partiturinskription oder von dieser zu einer Aufführung oder zu einer weiteren Inskription der Partitur führt. <br />
<br />
<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas 61a'>Jonas 1961</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Link "Sammlung" in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
<br />
=====Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn=====<br />
<br />
Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfüllen, wenn das Zeichensystem, in dem sie verfasst ist, bestimmten syntaktischen und semantischen Anforderungen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 130–154; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 97–104; <bib id='Elgin 1992'>Elgin 1992</bib>). Eine Notation muss syntaktisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Inskriptionen solche derselben Partitur sind. Ein Zeichensystem besteht aus einem Zeichenschema, das mit einem Bereich korreliert ist. Das Zeichenschema, das Charakteren und ihre Marken enthält, ist syntaktisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charakter gehört. Die syntaktische Disjunktheit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charakter gehören, ohne syntaktische Auswirkungen durcheinander ersetzbar sind. Ein Zeichenschema ist syntaktisch differenziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzulegen, zu welchem Charakter des Schemas sie gehört. Die syntaktische Differenziertheit stellt sicher, dass wir entscheiden können, ob zwei Marken zum selben Charakter gehören. Ein Zeichenschema ist dagegen [[syntaktische Dichte|syntaktisch dicht]], wenn es unendlich viele Charaktere vorsieht, die so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntaktische Dichte verunmöglicht es, den Charakter zu identifizieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gibt, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
<br />
Ein Charakter ist mehrdeutig, wenn eine seiner Inskriptionen mehr als eine Erfüllungsklasse hat oder nicht alle seiner Inskriptionen dieselbe Erfüllungsklasse haben. Wäre eine Partitur mehrdeutig, würde sie von Aufführungen unterschiedlicher Werke erfüllt. Damit die Partitur ihre primäre Funktion erfüllen kann, muss die Notation frei von Mehrdeutigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, Einzelfälle desselben Werks sind. Eine Notation muss zudem semantisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Aufführungen dieselbe Partitur erfüllen und damit Einzelfälle desselben Werks sind. Ein Zeichensystem ist semantisch disjunkt, wenn sich seine Erfüllungsklassen nicht überschneiden. Die semantische Disjunktheit stellt sicher, dass keine Aufführung nicht-koextensive Partituren erfüllt und ein Einzelfall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Aufführung verschiedene koextensive Partituren erfüllt und das System also redundant ist. Redundanzen gefährden zwar nicht die Werk-, aber die Partituridentität, da nicht alle Partituren eines Werks Einzelfälle desselben Charakters sind. Sie können ausgeschlossen werden, wenn man für die semantische Disjunktivität fordert, dass keine zwei Charaktere einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben. Die Erfüllungsklassen eines Zeichensystems sind semantisch differenziert, wenn es für jeden Charakter des Systems möglich ist festzulegen, welche Gegenstände ihn erfüllen. Die semantische Differenziertheit stellt sicher, dass wir für jede Aufführung entscheiden können, welche Partitur sie erfüllt. Ein Zeichensystem ist semantisch dicht, wenn die Erfüllungsklassen so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Partituren Charaktere in dichten Systemen, wäre es unmöglich, die Partitur einer Aufführung zu identifizieren, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gäbe, um zwischen ihnen zu entscheiden.<br />
<br />
<br />
Ein Zeichenschema, das die syntaktischen Anforderungen erfüllt, ist ein Notationsschema im formalen Sinn; ein Notationssystem im formalen Sinn erfüllt auch die semantischen Anforderungen und ist also syntaktisch und semantisch disjunkt und differenziert sowie frei von Mehrdeutigkeit.<ref> Eine praktikable Notation hat zudem technische Anforderungen zu erfüllen, die nichts mit der primären theoretischen Funktion zu tun haben, wie überschaubar kleine oder endliche Menge atomarer Charaktere, Deutlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Handhabbarkeit, graphische Eingängigkeit, mnemotechnische Effizienz und bequeme Duplizierbarkeit (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 154).</ref> Eine Notation im substantiellen Sinn ist ein Notationssystem im formalen Sinn, das ein Kriterium der Werkidentität liefert, welches zwei Bedingungen erfüllt. Es muss erstens die Identität von Werken unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte festlegen und zweitens hinreichend mit unserer bestehenden Praxis der Identifikation von Werken übereinstimmen (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 195f.). Die unqualifizierten Ausdrücke ‘Notation’ und ‘Notationssystem’ verwende ich im Folgenden für Notationen im substantiellen Sinn.<br />
<br />
=====Musik, Literatur, bildende Künste=====<br />
<br />
Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Partitur in der musikalischen Standardnotation als Charakter in einem Notationssystem zu rekonstruieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 117f.; 179–187). Die Standardnotation erfüllt die syntaktischen und semantischen Anforderungen, wenn man von Redundanzen absieht, Instrumentspezifikationen als Teil der Notation und sprachliche Ergänzungen wie Tempoangaben als bloße Empfehlungen dafür interpretiert, wie ein Werk aufzuführen ist. Sie ermöglicht ein semantisches Kriterium der Werkidentität und ein syntaktisches Kriterium der Partituridentität: Eine Aufführung ist genau dann ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn sie die Partitur des Werks erfüllt; und zwei Inskriptionen sind genau dann solche derselben Partitur, wenn sie gleich buchstabiert, d.h. aus denselben Elementen in derselben Anordnung zusammengesetzt sind. Das Kriterium der Partiturerfüllung legt die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinreichend mit unserer Praxis der Identifikation von Werken überein, die in Standardnotation kodifiziert sind. Dagegen wurde erstens eingewendet, dass nach ihm eine Aufführung mit einer einzigen falschen Note kein Einzelfall des fraglichen Werks ist, was unserer bestehenden Klassifikationspraxis widerspreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991'>Hernadi 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 186f.; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag übersehe die historisch und kontextuell gebundene Natur musikalischer Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levinson 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999'>Predelli 1999</bib>). Nach diesem grundsätzlicheren Einwand stimmt das Kriterium gerade deshalb nicht mit unserer Klassifikationspraxis überein, weil es die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte festlegt.<br />
<br />
<br />
Ein Text ist ein Charakter in einem Notationsschema, nicht aber in einem Notationssystem. Verbale Sprachen erfüllen die syntaktischen Anforderungen an eine Notation: Jede Inskription gehört zu höchstens einem Charakter und es ist im Prinzip auch entscheidbar, zu welchem Charakter. Aber sie verletzen die semantischen Anforderungen: Sie enthalten mehrdeutige Ausdrücke, ihre Erfüllungsklassen stehen in Inklusions- und Überlappungsbeziehungen und sind zudem semantisch dicht. Damit ist ein syntaktisches Kriterium der Werkidentität verfügbar: Eine Inskription ist genau dann ein Einzelfall eines Texts, wenn sie gleich buchstabiert ist wie ein echter Einzelfall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Identität eines Texts unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Dass es auch hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, wurde wiederum mit dem Hinweis bestritten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfehler enthält, kein Einzelfall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag eingewendet, dass er die Gebundenheit insbesondere literarischer Werke an einen historischen Kontext und einen Autor übersehe (vgl. <bib id='Davies 1991'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbrenner 1996</bib>: S. 90–118).<br />
<br />
<br />
Die Skizze eines Malers kann wie die Partitur eines Komponisten als Arbeitsanleitung gebraucht werden, hat aber einen ganz anderen Status. Sie ist weder ein Charakter in einem Notationssystem noch ein Charakter in einem Notationsschema, da das bildliche Zeichensystem, zu dem sie gehört, weder die semantischen noch die syntaktischen Anforderungen erfüllt. Die semantischen Anforderungen verletzt es, weil es mehrdeutige Bilder enthält, seine Erfüllungsklassen sich in vielfacher Weise überschneiden und überlappen und zudem dicht sind. Die syntaktischen Anforderungen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen pikturalen Eigenschaften Inskriptionen mehrerer Charaktere sein können und weil seine Charaktere bezüglich manchen Hinsichten (wie der Größe, der Gestalt, der Position, sowie mehrerer farblicher Aspekte) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schematische Bilder wie Karten, Pläne und genealogische Bäume annähernd notational (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6, 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwendung von ‘notational’ eher Goodmans Verwendung von ‘diagrammatisch’. Diagramme unterscheiden sich nach Goodman von Bildern im eigentlichen Sinn dadurch, dass relativ wenige ihrer Merkmale konstitutiv dafür sind, zu welchem Charakter sie gehören (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Kriterium für die Werkidentität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.<br />
<br />
Dass Bilder als Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen funktionieren, schliesst an sich die Möglichkeit einer Notation nicht aus. Auch musikalische Aufführungen funktionieren als expressive Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen; dennoch lassen sie eine Notation zu. Die Frage nach der Möglichkeit einer Notation für eine Kunst muss von der Frage unterschieden werden, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften die Systeme haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktionieren. Das wird oft übersehen, weil Goodmans Notationstheorie zugleich ein Instrumentarium für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Zeichensysteme liefert.<ref> Notationssysteme dienen dabei als Vergleichs- und nicht als Wertmaßstab, dem sich alle Zeichensysteme annähern sollten. Dass bildliche Zeichensysteme alle syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation verletzen, impliziert deshalb keine Wertung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Kriterium der Werkidentität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktionieren.<br />
<br />
Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entstehungszeit und -ort eine Ziffer zuordnet und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassifiziert, erfüllen die syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Systeme liefert zudem ein Kriterium der Werkidentität, das hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, aber es identifiziert Bilder nicht unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Das zweite System liefert zwar ein Kriterium der Werkidentität, das Bilder unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert, aber es weicht zu stark von unserer Klassifikationspraxis ab. Wir betrachten zwei Bilder mit demselben Preis nicht als Einzelfälle desselben Werks. Es scheint keine Notation für Bilder zu geben, die ein Identitätskriterium liefert, das sowohl hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt als auch unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Bilder ist. Analoges gilt für Werke anderer bildender Künste (wie z.B. Skulpturen). Etwas komplizierter ist die Situation in der Architektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumberger 2010</bib>: Kap. 6).<br />
<br />
Das Kriterium der Werkidentität für bildende Künste ist damit weder semantischer noch syntaktischer, sondern historischer Art: Ein Gegenstand ist genau dann ein bestimmtes Werk oder ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn er die angemessene Entstehungsgeschichte hat. Das Kriterium dafür, dass wir die Mona Lisa vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsächlich von Leonardo da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Malerei eine singuläre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Literatur multipel. Ihre Werke lassen mehrere Einzelfälle zu. Das Kriterium dafür, dass wir einen Einzelfall eines bestimmten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118; 192–194).<br />
<br />
<br />
=====Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung=====<br />
<br />
Die Verfügbarkeit einer Notation schliesst Fälschungen von bestehenden Werken oder Einzelfällen solcher (im Gegensatz zu Fälschungen von Werken ohne Original und bestimmten Einzelfällen) aus. In den bildenden Künsten sind solche Fälschungen möglich; sie geben fälschlicherweise vor, eine Entstehungsgeschichte zu besitzen, die für das oder ein Original unerlässlich ist. In der Musik und der Literatur sind sie ausgeschlossen, da die Notation ein semantisches respektive syntaktisches Identitätskriterium liefert, das die Werke unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert. Werke, die solche Fälschungen zulassen, bezeichnet Goodman als ‘autographisch’; Werke, die sie ausschließen, als ‘allographisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obigen Überlegungen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann autographisch, wenn seine Identität durch seine Entstehungsgeschichte bestimmt ist; es ist genau dann allographisch, wenn seine Identität syntaktisch oder semantisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988'>Goodman & Elgin 1988</bib>: 116–118; 65; für eine kritische Diskussion der Unterscheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levinson 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Notation liegt Goodmans Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Werken zugrunde und ermöglicht eine Erklärung, weshalb manche Werke im relevanten Sinn gefälscht werden können und andere nicht.<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Visual_Culture_/_Visual_Studies&diff=16857Visual Culture / Visual Studies2013-10-27T14:08:14Z<p>Klaus Sachs-Hombach: </p>
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=====Visualität im Fokus der Kulturwissenschaft=====<br />
<br />
Der akademische Bereich der "visual studies" oder "visual culture studies" hat sich als Ableger der älteren "cultural studies" vor allem im angelsäsischen Bereich entwickelt und trotz seiner Unübersichtlichkeit erfolgreich etabliert. James Elkins spricht etwa als zentraler Vertreter der "visual studies" 2003 vom “labyrinth of journals” zum Thema (<bib id='Elkins 2003a'></bib>: S. 14). <br />
Das Label "visual studies" hat sich 1996 etabliert durch den Visual Culture Questionnaire in der Sommerausgabe der u.a. von Mitchell hrsg. Zeitschrift ‚October‘. Die Mitherausgeber Hal Foster und Rosalind Krauss schreiben in dieser Ausgabe: „‚Visual culture’ does double service: it is both a partial description of a social world mediated by commodity images and visual technologies, and an academic rubric for interdisciplinary convergences among art history, film theory, media analysis and cultural studies.“ (<bib id='Foster & Krauss 1996a'></bib>: S. 3) <br />
<br />
– Liste zu ergänzten um Kartographie, Informatik, cognitive sciences usw. – Verhältnis von visual studies und visual culture klären, Differenz zum Deutschen – erstmaliger Gebrauch der Bezeichung „visuelle Kultur“ bei Béla Balázs 1923 (<bib id='Balázs 2001b'></bib>: S. 225) – vergleichbare Verfahren/Prototypisches bei Panofsky, Warburg, Baxandall usw.<br />
<br />
<br />
=====Hybridität=====<br />
<br />
notorisches Problem, visual studies zu definieren/zu begrenzen – typische Reaktion etwa: „The visual, in our view, never comes ‚pure’, it is always ‚contaminated‘ by the work of other senses (hearing, touch, smell), touched by other text and discourses, and imbricated in a whole series of apparatuses […]“ (<bib id='Shohat & Stam 1998a'></bib>: S. 45) – am Besten im Allgemeinen sowohl Gegenstand als auch Methode als hybride zu beschreiben – bekannt etwa aus der Gegenstandsbestimmung der cultural studies, dort auch zwei Kulturbegriffe - anschlussfähig auch in Bezug auf Multimodalität.<br />
<br />
<br />
=====Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit=====<br />
<br />
Spektrum der Gegenstände von “anything that can imprint itself on the retina” (Martin Jay) bis zu “the study of colorless, nonvisual discursive and systemic formations and their historical mutations” ( Jonathan Crary) (vgl. <bib id='VCQ 1996a'></bib>: S. 34, 42) – soziale und historische Bedingungen, die regeln, was wir sehen oder zu sehen bekommen – apparativ und sozial aufgerüstetes Sehen als Praxis (ärztlicher Blick, Überwachung im Anschluß an Foucault) – epochenspezifische Wahrnehmung im Anschluß an das “period eye” (<bib id='Baxandall 1972a'></bib>: S: 29-108)<br />
<br />
<br />
=====Avantgarde/Alltag=====<br />
<br />
“Most images are not art.” (<bib id='Elkins 2003a'></bib>: S. 3) – zwar Interesse an reflexiver bildender Kunst, aber deutliche Ausweitung des klassischen Gegenstandsbereiches der Kunstgeschichte, teilweise Anleihen bei Medien- und Filmwissenschaft – im Stile der cultural studies keine ausschließliche Berücksichtigung von ausgezeichneten Artefakten, sondern auch von alltäglicher Praxis wie Fernsehkonsum von Serien und Medienereignissen (Tod von Lady Di, 11. September, Who will be a Millionaire)– „global visual culture“ durch „media convergence“ vom Fernseher über den Computer bis zum Handy (vgl. <bib id='Sturken & Cartwright 2001a'></bib>: S. 344)<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Visual_Culture_/_Visual_Studies&diff=16855Visual Culture / Visual Studies2013-10-27T14:07:59Z<p>Klaus Sachs-Hombach: </p>
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=====Visualität im Fokus der Kulturwissenschaft=====<br />
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Der akademische Bereich der "visual studies" oder "visual culture studies" hat sich als Ableger der älteren "cultural studies" vor allem im angelsäsischen Bereich entwickelt und trotz seiner Unübersichtlichkeit erfolgreich etabliert. James Elkins spricht etwa als zentraler Vertreter der "visual studies" 2003 vom “labyrinth of journals” zum Thema (<bib id='Elkins 2003a'></bib>: S. 14). <br />
Das Label "visual studies" hat sich 1996 etabliert durch den Visual Culture Questionnaire in der Sommerausgabe der u.a. von Mitchell hrsg. Zeitschrift ‚October‘. Die Mitherausgeber Hal Foster und Rosalind Krauss schreiben in dieser Ausgabe: „‚Visual culture’ does double service: it is both a partial description of a social world mediated by commodity images and visual technologies, and an academic rubric for interdisciplinary convergences among art history, film theory, media analysis and cultural studies.“ (<bib id='Foster & Krauss 1996a'></bib>: S. 3) <br />
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– Liste zu ergänzten um Kartographie, Informatik, cognitive sciences usw. – Verhältnis von visual studies und visual culture klären, Differenz zum Deutschen – erstmaliger Gebrauch der Bezeichung „visuelle Kultur“ bei Béla Balázs 1923 (<bib id='Balázs 2001b'></bib>: S. 225) – vergleichbare Verfahren/Prototypisches bei Panofsky, Warburg, Baxandall usw.<br />
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=====Hybridität=====<br />
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notorisches Problem, visual studies zu definieren/zu begrenzen – typische Reaktion etwa: „The visual, in our view, never comes ‚pure’, it is always ‚contaminated‘ by the work of other senses (hearing, touch, smell), touched by other text and discourses, and imbricated in a whole series of apparatuses […]“ (<bib id='Shohat & Stam 1998a'></bib>: S. 45) – am Besten im Allgemeinen sowohl Gegenstand als auch Methode als hybride zu beschreiben – bekannt etwa aus der Gegenstandsbestimmung der cultural studies, dort auch zwei Kulturbegriffe - anschlussfähig auch in Bezug auf Multimodalität<br />
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=====Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit=====<br />
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Spektrum der Gegenstände von “anything that can imprint itself on the retina” (Martin Jay) bis zu “the study of colorless, nonvisual discursive and systemic formations and their historical mutations” ( Jonathan Crary) (vgl. <bib id='VCQ 1996a'></bib>: S. 34, 42) – soziale und historische Bedingungen, die regeln, was wir sehen oder zu sehen bekommen – apparativ und sozial aufgerüstetes Sehen als Praxis (ärztlicher Blick, Überwachung im Anschluß an Foucault) – epochenspezifische Wahrnehmung im Anschluß an das “period eye” (<bib id='Baxandall 1972a'></bib>: S: 29-108)<br />
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=====Avantgarde/Alltag=====<br />
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“Most images are not art.” (<bib id='Elkins 2003a'></bib>: S. 3) – zwar Interesse an reflexiver bildender Kunst, aber deutliche Ausweitung des klassischen Gegenstandsbereiches der Kunstgeschichte, teilweise Anleihen bei Medien- und Filmwissenschaft – im Stile der cultural studies keine ausschließliche Berücksichtigung von ausgezeichneten Artefakten, sondern auch von alltäglicher Praxis wie Fernsehkonsum von Serien und Medienereignissen (Tod von Lady Di, 11. September, Who will be a Millionaire)– „global visual culture“ durch „media convergence“ vom Fernseher über den Computer bis zum Handy (vgl. <bib id='Sturken & Cartwright 2001a'></bib>: S. 344)<br />
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* [[Benutzer:Dimitri Liebsch|Dimitri Liebsch]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Visual_Culture_/_Visual_Studies&diff=16853Visual Culture / Visual Studies2013-10-27T14:07:45Z<p>Klaus Sachs-Hombach: </p>
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=====Visualität im Fokus der Kulturwissenschaft=====<br />
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Der akademische Bereich der "visual studies" oder "visual culture studies" hat sich als Ableger der älteren "cultural studies" vor allem im angelsäsischen Bereich entwickelt und trotz seiner Unübersichtlichkeit erfolgreich etabliert. James Elkins spricht etwa als zentraler Vertreter der "visual studies" 2003 vom “labyrinth of journals” zum Thema (<bib id='Elkins 2003a'></bib>: S. 14). <br />
Das Label "visual studies" hat sich 1996 etabliert durch den Visual Culture Questionnaire in der Sommerausgabe der u.a. von Mitchell hrsg. Zeitschrift ‚October‘. Die Mitherausgeber Hal Foster und Rosalind Krauss schreiben in dieser Ausgabe: „‚Visual culture’ does double service: it is both a partial description of a social world mediated by commodity images and visual technologies, and an academic rubric for interdisciplinary convergences among art history, film theory, media analysis and cultural studies.“ (<bib id='Foster & Krauss 1996a'></bib>: S. 3) <br />
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– Liste zu ergänzten um Kartographie, Informatik, cognitive sciences usw. – Verhältnis von visual studies und visual culture klären, Differenz zum Deutschen – erstmaliger Gebrauch der Bezeichung „visuelle Kultur“ bei Béla Balázs 1923 (<bib id='Balázs 2001b'></bib>: S. 225) – vergleichbare Verfahren/Prototypisches bei Panofsky, Warburg, Baxandall usw.<br />
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=====Hybridität=====<br />
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notorisches Problem, visual studies zu definieren/zu begrenzen – typische Reaktion etwa: „The visual, in our view, never comes ‚pure’, it is always ‚contaminated‘ by the work of other senses (hearing, touch, smell), touched by other text and discourses, and imbricated in a whole series of apparatuses […]“ (<bib id='Shohat & Stam 1998a'></bib>: S. 45) – am Besten im Allgemeinen sowohl Gegenstand als auch Methode als hybride zu beschreiben – bekannt etwa aus der Gegenstandsbestimmung der cultural studies, dort auch zwei Kulturbegriffe - anschlussfähig auch in Bezug auf Multimodalität<br />
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=====Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit=====<br />
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Spektrum der Gegenstände von “anything that can imprint itself on the retina” (Martin Jay) bis zu “the study of colorless, nonvisual discursive and systemic formations and their historical mutations” ( Jonathan Crary) (vgl. <bib id='VCQ 1996a'></bib>: S. 34, 42) – soziale und historische Bedingungen, die regeln, was wir sehen oder zu sehen bekommen – apparativ und sozial aufgerüstetes Sehen als Praxis (ärztlicher Blick, Überwachung im Anschluß an Foucault) – epochenspezifische Wahrnehmung im Anschluß an das “period eye” (<bib id='Baxandall 1972a'></bib>: S: 29-108)<br />
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=====Avantgarde/Alltag=====<br />
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“Most images are not art.” (<bib id='Elkins 2003a'></bib>: S. 3) – zwar Interesse an reflexiver bildender Kunst, aber deutliche Ausweitung des klassischen Gegenstandsbereiches der Kunstgeschichte, teilweise Anleihen bei Medien- und Filmwissenschaft – im Stile der cultural studies keine ausschließliche Berücksichtigung von ausgezeichneten Artefakten, sondern auch von alltäglicher Praxis wie Fernsehkonsum von Serien und Medienereignissen (Tod von Lady Di, 11. September, Who will be a Millionaire)– „global visual culture“ durch „media convergence“ vom Fernseher über den Computer bis zum Handy (vgl. <bib id='Sturken & Cartwright 2001a'></bib>: S. 344)<br />
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<!--Literatur muß dazu mit entsprechender Bezeichnung in der Bibliogryphy-Seite eingetragen sein--><br />
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* [[Benutzer:Dimitri Liebsch|Dimitri Liebsch]]<br />
* [[Benutzer:Petra Hildegard Roesch|Petra Hildegard Roesch]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildwahrnehmung&diff=16827Bildwahrnehmung2013-10-27T12:34:04Z<p>Klaus Sachs-Hombach: </p>
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==Fragestellung==<br />
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Wer etwas wahrnimmt, realisiert in der Regel nicht, dass er wahrnimmt. Der Akt der Wahrnehmung verschwindet zumeist hinter dem Wahrgenommenen, ohne dass dies bedeutet, dass die Wahrnehmung keinen Einfluss auf das Wahrgenommene hätte. Es ist daher auch in Bezug auf das Verständnis des Phänomens des Bildes geboten, sich der Bedeutung des Prozesses der Wahrnehmung zu widmen. Dies ist auch innerhalb der bildtheoretischen Diskussionen ganz unstrittig: Die Fähigkeit, Bilder wahrzunehmen, ist ohne Zweifel eine der notwendigen Bedingungen, um Bilder verwenden zu können. Für die Bildforschung ergeben sich aus dieser Sachlage zum einen die Fragen nach den spezifischen Eigenarten der Bildwahrnehmung (im Unterschied zur bloßen Gegenstandswahrnehmung) und zum anderen die Fragen zum konkreten Einfluss der Wahrnehmungskompetenzen und Wahrnehmungsprozesse auf die Bilderfahrung. <br />
<br />
==Zu den Unterpunkten==<br />
In den folgenden Artikel werden vor allem grundlegende Fragen zur Beschaffenheit der Bildwahrnehmung und zum Verhältnis von Bildwahrnehmung und Gegenstandswahrnehmung thematisiert. Der Artikel [[Beobachtung]] stellt einen übergeordneten Versuch dar, verschieden Formen der Wahrnehmung begrifflich zu differenzieren. Die Artikel [[Sehen]], [[Sehendes Sehen]], [[Blick]] und [[Affekt und Wahrnehmung]] thematisieren spezifische Aspekte der Bildwahrnehmung und stellen damit einen basalen theoretischen Rahmen für die weiterführende Beschäftigung mit der Thematik dar.<br />
:<br />
Spezifika der Bildwahrnehmung, die vornehmlich mit Fragen nach der Konstitution von bildlichen Inhalten im Wahrnehmungsprozess verbunden sind, werden in den Artikeln [[Figur/Grund-Differenzierung]], [[Perspektivik]] und [[Kippbild]] weiterführend besprochen. <br />
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<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas61a'>[Jonas 1961]</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Bearbeitungslink in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
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<!-- Zeilen sollten diese Form haben (XYZ jeweils ersetzen): * [[XYZ]] --><br />
* [[Affekt und Wahrnehmung]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Beobachtung]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Blick]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Figur/Grund-Differenzierung]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Kippbild]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Naturalismus und Realismus]]<br />
* [[Perspektivik]]<br />
* [[Sehendes Sehen]]<br />
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* [[Benutzer:Eva Schürmann |Eva Schürmann ]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Zeichentheorien:_%C3%9Cbersicht&diff=16825Zeichentheorien: Übersicht2013-10-27T12:31:38Z<p>Klaus Sachs-Hombach: </p>
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Hauptpunkt zu: [[Bilder als Zeichen]]<br />
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== Was bedeutet die Bezeichnung ‘Zeichen’?==<br />
Bevor man sich der Frage widmet, ob oder in welchem Sinne Bilder als Zeichen zu begreifen sind, sollte zuvor Einigung darüber hergestellt werden, was eigentlich mit dem Ausdruck ‘Zeichen’ gemeint ist. Diese Klärung ist keineswegs trivial, wird der Terminus doch sowohl historisch als auch in den gegenwärtigen Diskussionen in vielerlei Bedeutungsvarianten verwendet. Der vorliegende Hauptpunkt versammelt daher eine Reihe von Artikeln zu allgemeinen und grundlegenden Aspekten dessen, was (sinnvollerweise) in welchem Zusammenhang für Zeichen als charakteristisch aufgefasst werden sollte.<br />
<br />
==Zu den Unterpunkten==<br />
<br />
Diese Artikel lassen sich zwanglos in drei Gruppen arrangieren:<br />
:<br />
Die Themen der ersten Gruppe beziehen sich auf das theoretische Umfeld der Zeichentheorien und hiermit verbunden auf allgemeine Charakterisierungen von Zeichen. Dabei steht der Komplex [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|‘Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem’]] im Zentrum. Zumindest die neueren semiotischen Ansätze beruhen auf einer handlungstheoretischen Grundlegung des Zeichenbegriffs, was ihn in den Kontext der Begriffe [[Interaktion und Kommunikation|»Interaktion«, »Kommunikation«]] und [[Modalität|»Modalität«]] stellt. Mit [[Pragmatik, Semantik, Syntax|‘Pragmatik, Semantik und Syntax’]] wird zudem eine traditionelle Unterscheidung der Semiotik näher beleuchtet, die auch die im engeren Sinne bildsemiotischen Lemmata dieses Glossars einteilt. Je ein Lemma ist zudem einem besonders wichtigen Begriff oder Begriffspaar dieser Dreiteilung gewidmet: Pragmatisch spielt der Begriff des [[Kontext|»Kontextes«]] eine wichtige Rolle; semantisch ist die Unterscheidung von [[Bedeutung und Referenz|»Bedeutung« und »Referenz«]] wichtig; auf der Ebene der Zeichenträger ist schließlich die Differenzierung zwischen [[Morphologie und Syntax|»Syntax« und »Morphologie«]] gerade auch für bildphilosophische Betrachtungen bedeutsam.<br />
:<br />
In einer zweiten Gruppe von Themen geht es um wichtige Zeichenkomponenten, wobei im hier betrachteten allgemeinen Rahmen insbesondere die aus der semiotischen Betrachtung der menschlichen Sprache gewonnenen Begriffe rekapituliert und in ihrer Brauchbarkeit für die bildtheoretische Anwendung untersucht werden: Es wird in dieser Gruppe vor allem das sprachphilosophische Quartett von [[Illokution|»Illokution«]], [[Proposition|»Proposition«]] sowie [[Nomination|»Nomination«]] und [[Prädikation|»Prädikation«]] als Teile der Proposition betrachtet. Auf einer allgemeineren handlungstheoretischen Ebene lässt sich über die Unterscheidung von [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug|»Interaktions«-, »Selbst-« und »Sachbezug«]] von Zeichen zudem eine Querverbindung von jenen vier sprachphilosophsichen Begriffen zu den Themen »Interaktion«, »Kommunikation«, »Wahrheit« und »Wahrhaftigkeit« herstellen, die auch für bildsemiotische Betrachtungen nicht zu vernachlässigen ist.<br />
:<br />
Spezielle Zeichenklassen werden in der dritten Gruppe betrachtet: Hier geht es insbesondere um die Peircesche Differenzierung von [[Symbol, Index, Ikon|symbolische, indexikalische und ikonische Zeichen]] und um den für Goodmans Symboltheorie wichtigen Begriff der [[Notation|Notationen]].<br />
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=====Unterpunkte=====<br />
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<!-- Zeilen sollten diese Form haben (XYZ jeweils ersetzen): * [[XYZ]] --><br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Bedeutung und Referenz -]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Illokution -]]<br />
* [[Interaktion und Kommunikation]]<br />
* [[Interaktions-, Selbst- und Sachbezug]]<br />
* [[Kontext]]<br />
* [[Modalität]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Morphologie und Syntax -]]<br />
* [[Nomination]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Notation -]]<br />
* [[Prädikation]]<br />
* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]<br />
* [[Proposition]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Symbol, Index, Ikon -]]<br />
* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]<br />
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''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Joerg R.J. Schirra|Schirra, Jörg R.J.]]<br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildwahrnehmung&diff=16823Bildwahrnehmung2013-10-27T12:30:49Z<p>Klaus Sachs-Hombach: </p>
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[[Kategorie:Hauptpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bild und Wahrnehmung]]<br />
Hauptpunkt zu: [[Bild und Wahrnehmung]]<br />
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<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
==Fragestellung==<br />
<br />
Wer etwas wahrnimmt, realisiert in der Regel nicht, dass er wahrnimmt. Der Akt der Wahrnehmung verschwindet zumeist hinter dem Wahrgenommenen, ohne dass dies bedeutet, dass die Wahrnehmung keinen Einfluss auf das Wahrgenommene hätte. Es ist daher auch in Bezug auf das Verständnis des Phänomens des Bildes geboten, sich der Bedeutung des Prozesses der Wahrnehmung zu widmen. Dies ist auch innerhalb der bildtheoretischen Diskusssionen ganz unstrittig: Die Fähigkeit, Bilder wahrzunehmen, ist ohne Zweifel eine der notwendigen Bedingungen, um Bilder verwenden zu können. Für die Bildforschung ergeben sich aus dieser Sachlage zum einen die Fragen nach den spezifischen Eigenarten der Bildwahrnehmung (im Unterschied zur bloßen Gegenstandswahrnehmung) und zum anderen die Fragen zum konkreten Einfluss der Wahrnehmungskompetenzen und Wahrnehmungsprozesse auf die Bilderfahrung. <br />
<br />
==Zu den Unterpunkten==<br />
In den folgenden Artikel werden vor allem grundlegende Fragen zur Beschaffenheit der Bildwahrnehmung und zum Verhältnis von Bildwahrnehmung und Gegenstandswahrnehmung thematisiert. Der Artikel [[Beobachtung]] stellt einen übergeordneten Versuch dar, verschieden Formen der Wahrnehmung begrifflich zu differenzieren. Die Artikel [[Sehen]], [[Sehendes Sehen]], [[Blick]] und [[Affekt und Wahrnehmung]] thematisieren spezifische Aspekte der Bildwahrnehmung und stellen damit einen basalen theoretischen Rahmen für die weiterführende Beschäftigung mit der Thematik dar.<br />
:<br />
Spezifika der Bildwahrnehmung, die vornehmlich mit Fragen nach der Konstitution von bildichen Inhalten im Wahrnehmungsprozess verbudnen sind, werden in den Artikeln [[Figur/Grund-Differenzierung]], [[Perspektivik]] und [[Kippbild]] weiterführend besprochen. <br />
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<!--Hier die entsprechende Textpassage einfügen--><br />
<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas61a'>[Jonas 1961]</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Bearbeitungslink in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
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=====Unterpunkte=====<br />
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<!-- Zeilen sollten diese Form haben (XYZ jeweils ersetzen): * [[XYZ]] --><br />
* [[Affekt und Wahrnehmung]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Beobachtung]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Blick]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Figur/Grund-Differenzierung]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Kippbild]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Naturalismus und Realismus]]<br />
* [[Perspektivik]]<br />
* [[Sehendes Sehen]]<br />
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''Verantwortlich:'' <br />
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* [[Benutzer:Eva Schürmann |Eva Schürmann ]]<br />
<!--den Schluß nicht verändern--><br />
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<!--Das war's--></div>Klaus Sachs-Hombachhttp://www.gib.uni-tuebingen.de/netzwerk/glossar/index.php?title=Bildwahrnehmung&diff=16821Bildwahrnehmung2013-10-27T12:30:15Z<p>Klaus Sachs-Hombach: </p>
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[[Kategorie:Hauptpunkt]]<br />
[[Kategorie:Bild und Wahrnehmung]]<br />
Hauptpunkt zu: [[Bild und Wahrnehmung]]<br />
{{GlosTab1}}<br />
{{GlossarBoxMain}}<br />
<!--Ende header--><br />
<!--Ab hier: eigentlicher Inhalt; Überschriften gegebenenfalls anpassen--><br />
==Fragestellung==<br />
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Wer etwas wahrnimmt, realisiert in der Regel nicht, dass er wahrnimmt. Der Akt der Wahrnehmung verschwindet zumeist hinter dem Wahrgenommenen, ohne dass dies bedeutet, dass die Wahrnehmung keinen Einfluss auf das Wahrgenommene hätte. Es ist daher auch in Bezug auf das Verständnis des Phänomens des Bildes geboten, sich der Bedeutung des Prozesses der Wahrnehmung zu widmen. Dies ist auch innerhalb der bildtheoretischen Diskusssionen ganz unstrittig: Die Fähigkeit, Bilder wahrzunehmen, ist ohne Zweifel eine der notwendigen Bedingungen, um Bilder verwenden zu können. Für die Bildforschung ergeben sich aus dieser Sachlage zum einen die Fragen nach den spezifischen Eigenarten der Bildwahrnehmung (im Unterschied zur bloßen Gegenstandswahrnehmung) und zum anderen die Fragen zum konkreten Einfluss der Wahrnehmungskompetenzen und Wahrnehmungsprozesse auf die Bilderfahrung. <br />
<br />
==Zu den Unterpunkte==<br />
In den folgenden Artikel werden vor allem grundlegende Fragen zur Beschaffenheit der Bildwahrnehmung und zum Verhältnis von Bildwahrnehmung und Gegenstandswahrnehmung thematisiert. Der Artikel [[Beobachtung]] stellt einen übergeordneten Versuch dar, verschieden Formen der Wahrnehmung begrifflich zu differenzieren. Die Artikel [[Sehen]], [[Sehendes Sehen]], [[Blick]] und [[Affekt und Wahrnehmung]] thematisieren spezifische Aspekte der Bildwahrnehmung und stellen damit einen basalen theoretischen Rahmen für die weiterführende Beschäftigung mit der Thematik dar.<br />
:<br />
Spezifika der Bildwahrnehmung, die vornehmlich mit Fragen nach der Konstitution von bildichen Inhalten im Wahrnehmungsprozess verbudnen sind, werden in den Artikeln [[Figur/Grund-Differenzierung]], [[Perspektivik]] und [[Kippbild]] weiterführend besprochen. <br />
<br />
<!--Hier die entsprechende Textpassage einfügen--><br />
<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text--><br />
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas61a'>[Jonas 1961]</bib> --><br />
<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen --><br />
<!-- ... (siehe Bearbeitungslink in Bibliographie-Box --><br />
<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] --><br />
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{{GlosTab2}}<br />
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<!-- Zeilen sollten diese Form haben (XYZ jeweils ersetzen): * [[XYZ]] --><br />
* [[Affekt und Wahrnehmung]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Aufmerksamkeit]]<br />
* [[Beobachtung]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Blick]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Figur/Grund-Differenzierung]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Kippbild]]<br />
* [[Hilfe:Entschuldigung1|Naturalismus und Realismus]]<br />
* [[Perspektivik]]<br />
* [[Sehendes Sehen]]<br />
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* [[Benutzer:Eva Schürmann |Eva Schürmann ]]<br />
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