Bild in reflexiver Verwendung

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Unterpunkt zu: Bildverwendungstypen


Die reflexive Verwendung von Zeichenhandlungen

Alle Zeichen oder allgemeiner alle kommunikativen und damit medialen Handlungen können außer zu ihren eigentlichen (direkten) Verwendungszwecken nicht nur zu symbolisch erweiterten Kommunikationshandlungen (metaphorische Verwendungsweisen) herangezogen werden: Sie können darüber hinaus auch dazu benutzt werden, um auf Aspekte von Kommunikationshandlungen eben dieses Typs selbst aufmerksam zu machen. Wegen dieses Rückbezugs auf die durchgeführte Kommunikationshandlung selbst wird diese Verwendungsweise die reflexive Verwendung einer Kommunikationshandlung genannt. Zu ihr zählen zum Zwecke des Lehrens vorgeführte Beispielhandlungen, durch die auf mehr oder weniger alle Ausführungsaspekte aufmerksam gemacht werden kann, ebenso wie anführende Verwendungen, bei denen etwa gezielt ganz bestimmte Bedingungen für das Erzeugen eines entsprechenden Zeichenträgers in den Blick gerückt werden (sollen).

Auf Sprache bezogen wären demnach reflexiv verwendete sprachliche Zeichen solche verbalen Äußerungen, bei denen es weniger darum geht, den normalerweise damit vollzogenen Sprechakt einfach zu aktualisieren. Vielmehr soll der Vollzug eines solchen Sprechakts oder zumindest ein bestimmter Aspekt davon exemplarisch hervorgehoben werden. So sind die Beispielsätze, an denen in keinem Linguistikartikel oder -lehrbuch Mangel herrschen dürfte, durchweg als reflexiv verwendet zu verstehen: Mit der (wiederholten) Äußerung des Satzes ‘Jonas ging nach Hause’ etwa im ersten Abschnitt von Searles «Sprechakttheorie» ([Searle 1971a]Literaturangabe fehlt.
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) soll ja nicht mitgeteilt oder behauptet werden, was üblicherweise unter normalen Verwendungsbedingungen mit dem Äußern jenes Satzes mitgeteilt oder behauptet wird.[1] Vielmehr dient seine Äußerung hier als ein Beispiel für das Äußern von Sätzen als solches und einem damit typischerweise verbundenen mentalen Phänomen (dass man nämlich mit der Äußerung etwas meint).

Prinzipiell besteht eine enge begriffliche Beziehung zwischen reflexiven Verwendungen und der Exemplifikation. Allerdings wird letztere in der Regel vorwiegend als positive Exemplifikation verstanden: Die exemplifizierende Handlung weist selbst den als Beispiel demonstrierten Aspekt auf. Die reflexive Zeichenverwendung umfasst aber auch Fälle von negativer Exemplifikation: So kann mit einer Zeichenverwendung beispielsweise durch Abwesenheit auf das Fehlen bestimmter für Zeichenhandlungen dieses Typs normalerweise wichtiger oder unumgänglicher Aspekte hingewiesen werden. Aus diesem Grund auch kann bei scheiternder Kommunikation eine Reinterpretation als reflexiv gemeinte Verwendung dazu benutzt werden, den oder die Fehler in der Kommunikationshandlung auf der Metaebene zu erkennen (und evtl. zu überspielen).[2]


Bilder in reflexiver Verwendung

Da alle kommunikativen bzw. medialen Handlungen reflexiv verwendet werden können, muss dieser Verwendungstyp auch für den – als mediale Handlung verstandenen – Bildgebrauch auftreten. Tatsächlich wird man Bildzitate oder auf andere Weise angeführte Bilder sinnvoller Weise als reflexive Bildverwendungen analysieren, wird dabei doch gerade auf Aspekte der jeweiligen (direkten, symbolisch erweiterten oder sogar bereits reflexiv verwendeten) Bildverwendung selbst aufmerksam gemacht, ganz so, wie es die Definition der reflexiven Verwendungsweise fordert.

Abbildung 1: Serie von Bildern des «Utah Tea Pots» mit dem eigentlichen Ziel, computergraphische Verfahren zu illustrieren

Typische Beispiele sind auch hier in Lehrbüchern verwendete Bilder, mit denen auf bestimmte Gesichtspunkte des Erzeugens und Rezipierens von Bildern im Sinne einer positiven Exemplifikation aufmerksam gemacht werden soll: Wenn etwa in einem Lehrbuch zur Gestaltungslehre ein Bild mit einem besonders auffälligen ›bildbestimmenden Punkt‹ dazu benutzt wird, den Begriff des »bildbestimmenden Punkts« zu thematisieren oder ein Bild mit besonders augenfälligen Gestaltgruppierungen als Exempel für Gestaltgesetze beim visuellen Wahrnehmen. Auch das häufige Auftreten von Bildern einer bestimmten Art von Teekanne – der vielzitierte «Utah Tea Pot» – in Lehrbüchern zur Computergraphik ist entsprechend nicht so zu interpretieren, dass Teekannen dieser Art ein fast unentbehrliches Utensil zum Betreiben von Computergraphik darstellten. Vielmehr wird hier an einem standardisierten (wenn auch virtuellen) Objekt auf die Auswirkungen bestimmter Variationen am Erzeugungsprozess solcher Bilder fokussiert (Abb. 1).[3]

Negative Exemplifikation ist ebenfalls bei reflexiv verwendeten Bildern möglich und tritt auch nicht selten auf: Das Brechen mit einer Erwartungshaltung dient als Verweis eben auf die Bedeutung dieser Erwartungshaltung als Teil des “normalen” medialen Verwendungszusammenhangs. Entsprechend können selbst monochrome Flächen über den reflexiven Verwendungsmodus als Bilder mit negativer Exemplifikation analysiert werden: Mit ihnen kann auf alles aufmerksam gemacht werden, was ihnen gerade gegenüber einem “normalen” Bild fehlt.[4]

Abbildung 2: (Initial) schwer verständliches Bild eines Dalmatiners

Auch die Wirkung bestimmter Vexierbilder kann analysiert werden als ein Kommunikationsversuch mit einem Bild, der zunächst fehlschlägt. Erst die reflexive Verwendung des Bildes als eine Strategie zum Erkennen und Beheben des medialen Fehlers liefert Hinweise, was bei diesem Bildgebrauch fehlt. Diese Einsicht kann dazu genutzt werden, das Bild doch noch – auf andere Weise – zu verstehen. Das in der Wahrnehmungspsychologie sehr bekannte «Bild eines Dalmatiners» (Abb. 2) funktioniert ganz in diesem Sinn.[5]

Offensichtlich sind im Prinzip sämtliche theoretisch als an der Bildverwendung beteiligt verstandenen Faktoren auch Kandidaten für eine positive oder negative Exemplifikation bei einem reflexiv verwendeten Bild, insbesondere alle durch zeichen-, medien- und wahrnehmungstheoretische Begriffe gefassten Teilphänomene des Bildgebrauchs.


Mediale Auswirkungen der reflexiven Bildverwendung

Der reflexive Bildgebrauch hat gegenüber der “direkten” Verwendung spezifische Folgen: Besonders hervorzuheben ist, dass die reflexive Verwendung in der Regel die “normalen” Verwendungsbedingungen des Bildes zwar voraussetzt, sie aber zugleich außer Kraft setzt. Wie am obigen Beispiel der «Utah Tea Pot»-Bilder in der Computergraphik bereits angedeutet, treten insbesondere die semantischen Aspekte gegenüber den Normalverwendungen oft stark zurück: Es kommt nun nicht mehr darauf an, was mit dem Bild normalerweise zu sehen gegeben wird – etwa eine Teekanne. Der übliche semantische Gehalt ist nur noch einer von unendlich vielen anderen ebenfalls möglichen, die alle als Träger einer ganz anderen Botschaft dienen könnten, um die es jetzt tatsächlich geht, nämlich dass man mit dieser oder jener Ausprägung eines computergraphischen Verfahrens ein solches Bild erhält.

Ein derartiges Abschirmen des eigentlichen semantischen Gehalts ist auch von Zitaten und Anführungen in anderen Medien bzw. Zeichensystemen bekannt. Tatsächlich handelt es sich um eine spezielle Ausprägung eines allgemeineren Zurücktretens der normalen pragmatischen Aspekte in der reflexiven gegenüber der nicht reflexiven Verwendung. Wer etwa ein Versprechen nur zitiert, ist in der Regel keineswegs bereit, für dessen Einhalten einzustehen – etwas, das zu den normalen Verwendungsbedingungen des Versprechens gehört. Als bildliches Äquivalent mag folgendes Beispiel dienen: Vergleichen wir das Bild einer Überwachungskamera einerseits in normaler Nutzung und andererseits in reflexiver Verwendung, etwa im Katalog des Herstellers des Überwachungssystems. Im ersten Fall gehört es zu den normalen Anwendungsbedingungen, dass der Bildnutzer seine Aufmerksamkeit mit dem Bild auf die Situation vor der Kamera richtet und entsprechend auf die im Bild zu sehende Szene reagiert. Nichts dergleichen trifft zu, wenn mit eben dem Bildträger im Katalog für das Überwachungssystem geworben – und damit auf bestimmte Aspekte der Entstehung und normalen Verwendung des Bildes aufmerksam gemacht – werden soll.

Das Ausschalten der normalen pragmatischen Zusammenhänge liegt insbesondere daran, dass bei reflexiven Verwendungen auch die Bildverwender selbst nicht nur einfach Akteure einer Kommunikationshandlung sind, sondern sich bei dieser Handlung selbst als Kommunizierende in den Blick nehmen (⊳ Bildrezeption als Kommunikationsprozess). Damit verwendet auch der, der ein ganz bestimmtes Bild etwa von Picasso als einen ‘typischen Picasso’ betrachtet, dieses Bild bereits in reflexiver Weise. Gleiches gilt für denjenigen, der einem Bild als Beobachter seines Betrachtens des Bildes gegenübertritt. Auch er fokussiert mit diesem Bildgebrauch auf einen bestimmten Aspekt des unreflexiven Bildgebrauchs. Die tatsächlich vollzogene Kommunikationshandlung unterscheidet sich also deutlich vom direkten Bildgebrauch mit der Konsequenz, dass auch ganz andere pragmatische Regeln zu befolgen sind.

Der reflexive Gebrauch eines Zeichens kann selbst auf reflexive Weise verwendet werden. Das haben wir beispielsweise in diesem Text getan, wenn wir Beispiele reflexiver Verwendung angeführt haben. Der potenziert reflexive Gebrauch tritt im Alltag eher selten auf, könnte allerdings im Bereich der Kunstkritik eine gewisse Rolle spielen.


Zusammenhänge mit anderen Begriffen

Das reflexiv verwendete Bild und die Selbstreferentialität des Materials: Gelegentlich begegnet uns insbesondere im Kontext ungegenständlicher Bilder aber auch im Rahmen der Referenzdiskussion digitaler Medien die Formulierung, solche Bilder seien selbstreferentiell, sie verweisen nur noch auf ihre eigene Materialität. Diese Rede von der Selbstreferentialität des Materials steht in engem Zusammenhang mit reflexiven Bildverwendungen, mit denen auf (im weiten Sinne) syntaktische Aspekte des betrachteten Bildes oder auch allgemeiner seines Bildtyps aufmerksam gemacht wird (⊳ Materialität und Bildsyntax). Die Besonderheit ungegenständlicher Bilder – etwa monochrome Flächen, abstrakte Ornamente – besteht insbesondere darin, dass sie keine (offensichtliche) semantische Dimension zu haben scheinen. Geht man davon aus, dass Bilder normalerweise (d.h. wenn sie zur direkten Verwendung gedacht sind) eine mehr oder weniger direkt ersichtliche oder über eine Legende beigelegte Bedeutung haben, sollte dieser Bruch mit einer Kommunikationserwartung den Wechsel zur reflexiven Verwendung auslösen. So liegt die These nahe, dass rein ungegenständliche Bilder überhaupt nur in reflexiver Verwendung Bilder sind (⊳ Semantik ungegenständlicher Bilder).

Das reflexiv verwendete Bild und die bildende Kunst: Auch für die Unterscheidung zwischen Alltagsbild und künstlerischem Bild scheint der Begriff der reflexiven Verwendung relevant: Zwar können Alltagsbilder, wie alle Bilder, auch reflexiv verwendet werden; bei den Bildern der bildenden Kunst scheint hingegen der reflexive Gebrauch die Norm, da hier in der Begegnung mit dem Bild immer zugleich die Aufmerksamkeit auf Aspekte seiner Herstellung, Materialität oder Wirkung gerichtet wird. Allenfalls kommen potenziert reflexive Verwendungsweisen hinzu.

Das reflexiv verwendete Bild und die emphatischen Bilder der Bildlichkeitsdebatte: Auch bei den sogenannten ‘emphatischen Bildern’ handelt es sich durchweg um reflexiv verwendete Bilder, soll sich doch bei diesen Bildern die Bildhaftigkeit auf besonders hervorgehobene Weise zeigen bzw. genauer aufzeigen lassen. Wenn aber ein Bild dazu verwendet wird, um unter anderem auf das aufmerksam zu machen, was Bilder (allgemein oder einer bestimmten Sorte) auszeichnet, dann werden sie offensichtlich reflexiv verwendet.

Das reflexiv verwendete Bild und die Identität bildhafter Zeichen: Schließlich ist zu fragen, ob es tatsächlich sinnvoll ist, von einem Bild zu sagen, es könne direkt oder reflexiv (sogar auf verschiedenen Stufen der Reflexivität) verwendet werden oder ob mit den verschiedenen Verwendungsweisen desselben Bildträgers durchaus unterschiedliche Bilder konstituiert werden. Immerhin entspricht ersteres eher unserer alltäglichen Sprachpraxis. Doch haben sich in der Theoriebildung durchaus verschiedene Meinungen etabliert (⊳ Identität bildhafter Zeichen und Identitätskriterien für Bildträger).

Anmerkungen
  1. So bleibt beispielsweise in dem Kontext vollkommen unklar, wer eigentlich mit ‘Jonas’ gemeint ist; ⊳ Nomination.
  2. Ich führe mir dann etwa das defiziente Zeichen selbst auf reflexive Weise vor, um mich auf fehlerhafte Aspekte seiner Verwendung aufmerksam zu machen.
  3. Eine solche Lesart kann besonders dadurch verstärkt werden, dass das Bild als Teil einer entsprechenden Serie auftritt, so dass die Wirkung verschiedener Erzeugungs­verfahren (bzw. unterschiedlicher Parameter eines Verfahrens) am gleichen Bildinhalt verglichen werden kann.
  4. Das heißt nicht, dass mit als Bildern eingesetzten mono­chromen Flächen keine positiven Exemplifikationen möglich wären: Man kann sie auch dazu verwenden, um auf bestimmte – etwa affektive – Effekte hinzuweisen, die mit ihnen ausgelöst werden können, obwohl oder gerade weil die üblichen örtlichen Farb­variationen und alles was damit zusammenhängt hier fehlen.
  5. Die reflexive Selbstpräsentation des Bildes nach den ersten Fehlversuchen, überhaupt etwas darin zu erkennen, führt zur Erkenntnis, dass das Fehlen von klaren Objekt-Konturen das Sehen von Gegenständen und damit die Interpretation gegenständlich darstellender Bilder erschwert; mit diesem Verständnis (und dem Wissen, dass es sich um einen Dalmatiner handeln soll) gelingt es in der Regel nach einiger Zeit, sich den Dalmatiner im Bild zu zeigen – eine Veränderung des Wahrnehmungsvermögens, die im Anschluss bestehen bleibt, so dass bei weiteren Präsentationen des Bildes der reflexive Modus nicht unbedingt eingenommen zu werden braucht.
Literatur                             [Sammlung]

[Searle 1971a]:
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