Bildbewusstsein: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 14. Dezember 2019, 15:06 Uhr
Unterpunkt zu: Bildbewusstsein und Einbildungskraft
Das Bildbewusstsein als phänomenologischer ForschungsgegenstandDas Bildbewusstsein ist vor allem innerhalb der philosophischen Schule der Phänomenologie ein relativ beliebtes Thema. Die phänomenologische Methode untersucht ihre Gegenstände als Phänomene, d.h. sie nimmt das Bewusstsein als Ausgangspunkt und fragt, auf welche Weise etwas – in diesem Fall: das Bild – dem Bewusstsein erscheint. Aus diesem Grund ist es auch nicht verwunderlich, dass vom Bildbewusstsein eben in der Phänomenologie und nicht etwa in den sprachanalytischen und semiotischen Schulen die Rede ist, welche ja gerade das Primat des Bewusstseins in Abrede stellen (vgl. etwa [Wittgenstein 1971a]Wittgenstein, Ludwig (1971).Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen sowie [Ryle 1949a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. ). Unter den Phänomenologen, die sich primär mit dem Bildbewusstsein beschäftigt haben, sind vor allem Edmund Husserl, Eugen Fink, Roman Ingarden und Jean-Paul Sartre zu nennen. Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 9-16). Wenn die Phänomenologen also fragen, wodurch sich das Bildbewusstsein von anderen Bewusstseinsarten wie dem Wahrnehmungs- oder dem Zeichenbewusstsein unterscheidet, dann fallen ihre Untersuchungen nach Wiesing nicht in den Bereich der empirischen Bildwissenschaften, sondern in den einer Bildtheorie, die sich als eine Philosophie des Bildes begreifen lässt.
Edmund HusserlEdmund Husserl, der als Begründer der Phänomenologie gilt, nimmt mit seiner Deskription des Bildbewusstseins auch die entscheidenden Weichenstellungen für die Entwicklung der phänomenologischen Bildtheorie bis in die heutige Zeit vor. In seinen zu Lebzeiten veröffentlichten Schriften finden sich nur verstreut einige Bemerkungen zum Bildbewusstsein, vor allem in dem Paragraphen 111 des ersten Bandes der «Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie» (vgl. [Husserl 1976a]Literaturangabe fehlt.Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. ). Diese knappen Ausführungen sind von kaum zu unterschätzenden Einfluss auf Ingarden, Fink oder Sartre gewesen und enthalten in nuce die Grundgedanken der Bildtheorie Husserls, die systematisch in der Vorlesung «Phantasie und Bildbewußtsein», gehalten im Wintersemester 1904/05 in Göttingen, entwickelt worden ist – diese Vorlesungen sind allerdings in schriftlicher Form erst 1980 zusammen mit anderen Aufzeichnungen zu dieser Thematik aus dem Nachlass unter dem Titel «Phantasie, Bildbewußtsein und Erinnerung» publiziert worden (vgl. [Husserl 1980a]Edmund Husserl (1980). Phantasie, Bildbewusstsein, Erinnerung. Zur Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigungen. Texte aus dem Nachlass (1898-1925) (Husserliana XXIII). Den Haag / Boston / Dordrecht: Nijhoff. Eintrag in Sammlung zeigen). Im Unterschied zum Wahrnehmungsbewusstsein, dessen Gegenstand nach Husserl unmittelbar und „leibhaftig da“ ist, wird derjenige des Bildbewusstseins durch einen Repräsentanten vergegenwärtigt oder vorgestellt. Ein Mensch, der im Bildbewusstsein erscheint, ist also nicht selbst gegeben, sondern ich sehe z.B. ein Foto oder eine Zeichnung von ihm. Zwar ist auch in der Phantasie im Unterschied zur Wahrnehmung das Objekt nicht leibhaftig da, aber die Phantasie ist anders als das Bildbewusstsein direkt, also ohne repräsentierendes Zwischenglied, auf ihr Objekt gerichtet. Phantasie, Bildbewusstsein, Erinnerung. Zur Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigungen. Texte aus dem Nachlass (1898-1925) (Husserliana XXIII). Den Haag / Boston / Dordrecht: Nijhoff. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 19). In dem schon erwähnten Paragraphen 111 der «Ideen I» wendet sich Husserl einem einzelnen Werk – wie man mit Wiesing sagen könnte – in einer bildtheoretischen und nicht in einer bildwissenschaftlichen Intention zu: Dürers Kupferstich «Ritter, Tod und Teufel» wird nicht analysiert, um seinen Sinngehalt zu verstehen oder seinen Kunstcharakter zu würdigen. Vielmehr will Husserl auf der Grundlage der phänomenologischen Beschreibung eines einzelnen Bildes die allgemeinen Wesensbestimmungen des Bildes überhaupt aufspüren. Die Dreiteilung in physisches Bild, Bildobjekt und Bildsujet lässt sich auch hier finden, insofern es sich hierbei um eine Wesensgesetzlichkeit des Bildes handelt:
Jean-Paul SartreEugen Fink macht in einem längeren Aufsatz mit dem Titel «Vergegenwärtigung und Bild» aus dem Jahr 1929 in Weiterentwicklung der Lehre Husserls geltend, dass sich das Bildbewusstsein von der Vergegenwärtigung bzw. der Phantasie dadurch unterscheidet, dass die Bildwelt „immer und wesensmäßig mit einem realen Träger verbunden ist“ ([Fink 1966a]Literaturangabe fehlt. Das Imaginäre. Phänomenologische Psychologie der Einbildungskraft (1940). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, Gesammelte Werke. Philosophische Schriften I-2, hrsg. von Vincent von Wroblewsky. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 37). Die images mentales greifen für die Konstitution der Imagination auf den Wissensbestand, die Affektivität und Bewegungsempfindungen des imaginierenden Bewusstseins zurück, wohingegen bei den images physiques ein Wahrnehmungsobjekt als Analogon fungiert, um ein abwesendes Objekt imaginär zur Erscheinung zu bringen. Für Sartre ändert diese Verwurzelung in der Wahrnehmungswelt allerdings nichts daran, dass die image physique immer noch eine image ist, denn wie die image mentale intendiert sie ein abwesendes oder nicht-existierendes Objekt. Finks Gegenüberstellung von Vergegenwärtigung und Bild stimmt im Wesentlichen mit der von image mentale und image physique bei Sartre überein. Er erklärt jedoch aufgrund desselben phänomenologischen Befundes – das Bild hat einen wahrnehmbaren Träger –, konträr zu Sartre, dass die „Bildwahrnehmung […] eine bestimmte Art von Wahrnehmung“ ([Fink 1966a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 75) ist. Sartres Begriff des Analogon meint im Grunde dasselbe wie Husserls »physisches Bild« und schließt auch das ein, was der polnische Husserl-Schüler Roman Ingarden in seiner Bildtheorie von 1928 als „Gemälde“ und „physische[s] Seinsfundament des Bildes“ ([Ingarden 1962a]Literaturangabe fehlt. Das Imaginäre. Phänomenologische Psychologie der Einbildungskraft (1940). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, Gesammelte Werke. Philosophische Schriften I-2, hrsg. von Vincent von Wroblewsky. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 288). Diese Einstellung, die vor allem für Sartres frühe Kunsttheorie von Bedeutung ist, kommt auch schon in seinem Roman «Der Ekel» zum Ausdruck: :
Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 31). So bleiben wir etwa auf Porträts und Fotos ewig jung – eine Tatsache, die Oscar Wilde in seiner berühmten Erzählung «Das Bildnis des Dorian Gray» in ihr Gegenteil verkehrt hat: Dort altert das Bildobjekt anstelle des Bildsujets. Sartres und Wiesings These, dass sich das Bildobjekt gegenüber dem physischen Bild in einem letztlich von der Realität unerreichbaren physikfreien Raum befindet, würde wiederum Ingarden entschieden widersprechen: Insofern das Gemälde als reales Ding unvermeidlich einem Alterungsprozess unterworfen ist, bleibt davon auch das Bild nicht unberührt. Wenn die realen Farben im Zuge von Witterungseinflüssen verblassen, so verblassen auch die imaginären Farben des Bildobjekts. Das Gemälde verliert seine Fähigkeit, „immer dasselbe Bild zu konstituieren“: Nicht nur das Gemälde, sondern auch das „Bild […] ist somit ein historisches Gebilde, das eine bestimmte Lebenslänge und Lebensgrenze hat“ ([Ingarden 1962a]Literaturangabe fehlt.
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Anmerkungen
[Fink 1966a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Husserl 1976a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Husserl 1980a]: Edmund Husserl (1980). Phantasie, Bildbewusstsein, Erinnerung. Zur Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigungen. Texte aus dem Nachlass (1898-1925) (Husserliana XXIII). Den Haag / Boston / Dordrecht: Nijhoff. [Ingarden 1962a]: Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [15] und Mark A. Halawa [12] — (Hinweis) Zitierhinweis: [Bonnemann 2013g-a]Literaturangabe fehlt. |