Bildbewusstsein und Einbildungskraft

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
Version vom 11. September 2012, 11:53 Uhr von Mark A. Halawa (Diskussion | Beiträge) (Zum Begriff des Bildbewusstseins)
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Hauptpunkt zu: Bild und Wahrnehmung


Zum Begriff des Bildbewusstseins

Wer sich einem Bild gegenübersieht, ist sich dessen in der Regel bewusst. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass eine Person bei der Wahrnehmung des Bildes eines Apfels für gewöhnlich nicht auf die Idee kommen wird, nach der dargestellten Frucht zu greifen, um anschließend in diese hineinzubeißen. Ganz im Gegenteil darf damit gerechnet werden, dass über die besondere bildliche Qualität des wahrgenommenen Objekts Klarheit besteht, insofern das, was im Modus der Bildlichkeit gegeben ist, nicht mit der leibhaftigen Präsenz des betreffenden Gegenstandes verwechselt wird. Um in unserem Beispiel zu bleiben: Der in einem Bild wahrgenommene Apfel wird gemeinhin lediglich als das Bild eines Apfels aufgefasst, nicht als der Apfel selbst, mit dem bekanntlich in ganz anderer Weise umgegangen werden kann als mit dessen bildlicher Darstellung.

Nun hat erfahrungsgemäß jede Regel eine Ausnahme. So lassen sich selbstverständlich Fälle denken, in denen einer bildbetrachtenden Person das Ziehen einer klaren Grenze zwischen artifizieller Bildpräsenz[1] einerseits und leibhaftiger Objektpräsenz andererseits offenkundig nicht gelungen ist. Es ist durchaus möglich, einem Bild gegenüberzustehen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wie die berühmte Zeuxis-Anekdote ([Plinius 2004a]Literaturangabe fehlt.
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: S. 57ff.) oder die Kunst des trompe l’œil bezeugen, verweist die Fähigkeit, Bilder wie ›echte‹ Dinge erscheinen zu lassen, auf ein kontinuierliches Faszinosum der abendländischen Kulturgeschichte. Gleichwohl widerspricht diese Tatsache nicht der These, dass der Modus der Bildwahrnehmung stets an ein besonderes Bildbewusstsein gekoppelt ist; sie bestätigt sie vielmehr. Wer sich von einem trompe l’œil täuschen lässt, sieht sich offensichtlich keinem Bild, sondern einem leibhaftigen Objekt gegenüber (vgl. [Halawa 2008a]Halawa, Mark A. (2008).
Wie sind Bilder möglich? Argumente für eine semiotische Fundierung des Bildbegriffs. Köln: Herbert von Halem.

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: S. 124ff.). Erst im Moment der Aufdeckung der zunächst nicht als solche erfassten Illusion tritt ein Bildbewusstsein in Kraft, durch welches das wahrgenommene Objekt aus dem Raum des Realen zurücktritt, um sodann in den Modus der Bildlichkeit überführt zu werden (vgl. [Geimer 2007a]Literaturangabe fehlt.
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: S. 103f.). Wo es ein solches Bildbewusstsein nicht gibt, gibt es auch keine Bildwahrnehmung. Oder um es mit Bernhard Rang zu sagen: „[…] nichts [kann] ein Bild sein, ohne auch als Bild gewußt oder verstanden zu werden.“ ([Rang 1990a]Literaturangabe fehlt.
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: S. 203, zitiert nach [Kapust 2009a]Literaturangabe fehlt.
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: S. 257) Bildlichkeit konstituiert sich mithin alleine in Korrespondenz zu einem spezifischen Bildbewusstsein. Die Frage, inwieweit Bilder – analog zum Phänomen des trompe l’œil – über ein illusorisches oder simulatorisches Potenzial verfügen, kann von daher nicht unabhängig von dem Phänomen des Bildbewusstseins diskutiert werden (Simulation / Illusion).
Der Konnex von Bildbewusstein und Einbildungskraft

Worin zeichnet sich nun die Besonderheit eines solchen Bildbewusstseins aus? Wie kommt es zustande? Welchen Bedingungen unterliegt es? Welche kognitiven und perzeptiven Kompetenzen erfordert es?

Fragen wie diese nehmen in zahlreichen Zweigen der gegenwärtigen bildwissenschaftlichen Forschung einen wichtigen Stellenwert ein, darunter besonders in phänomenologischen und kognitionswissenschaftlichen Strömungen der Bildtheorie. Die Antworten auf diese Fragen können dabei höchst unterschiedlich ausfallen. Eine Position, die disziplinenübergreifend weitgehend Zustimmung erfährt, stammt von dem Philosophen Hans Jonas, der im Rahmen seiner bildanthropologischen Studien behauptete, dass nur solche Wesen zur Produktion und Rezeption von bildlichen Darstellungen in der Lage seien, die über ein besonderes Vorstellungsvermögen verfügen würden ([Jonas 1961a]Jonas, Hans (1961).
Die Freiheit des Bildens – Homo pictor und die differentia des Menschen. In Zeitschrift für Philosophische Forschung, 15, 161–176, Wieder abgedruckt in: Jonas, Hans: Zwischen Nichts und Ewigkeit – Zur Lehre vom Menschen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987, 26–43.

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: S. 174). Die Fähigkeit, Bilder zu produzieren und im Rahmen der Wahrnehmung als solche (d.h.: als Bilder und nicht als leibhaftige Objekte) zu rezipieren, wird damit an die Virulenz einer besonderen (für Jonas: spezifisch menschlichen) Einbildungskraft gekoppelt. Bildbewusstsein und Einbildungskraft wären für eine allgemeine Bildtheorie insofern vor allem im Hinblick auf die Frage nach den kognitiven und perzeptuellen Voraussetzungen einer genuinen Bildfähigkeit bzw. Bildkompetenz unabdingbare Ausgangspunkte.

Doch auch diese These lässt eine Reihe von Fragen aufkommen: In welchem Verhältnis stehen Bildbewusstsein und Einbildungskraft zueinander? Gehen beide Phänomene ineinander auf oder müssen auch hier genauere Grenzen gezogen werden?

Berücksichtigt man, dass gewöhnlich auch bei Vorstellungs-, Phantasie- oder sogar Traumbildern von dem Wirken einer Einbildungskraft die Rede ist, stellt sich zudem noch eine weitere Frage: Sind die Vorstellungen, die laut Jonas die Bedingung der Möglichkeit von bildlichen Darstellungen sein sollen, selbst schon bildhaft? Diese Frage berührt zum einen die so genannte ›imagery debate‹, die in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts in den Kognitionswissenschaften und der Philosophie des Geistes kontrovers geführt worden ist. Zum anderen greift sie auf philosophische Probleme zurück, die spätestens seit Immanuel Kants berühmten Überlegungen zum Verhältnis zwischen Anschauung und Begriff in dessen Kritik der reinen Vernunft bis heute intensiv diskutiert und im Rahmen der in dieser Sektion versammelten Unterpunkte ausführlicher erörtert werden.

Anmerkungen
  1. Der Begriff der artifiziellen Präsenz wurde von Lambert Wiesing in Rekurs auf Edmund Husserl, Jean-Paul Sartre und andere phänomenologische Autoren in die Bildtheorie eingeführt. Vgl. [Wiesing 2005a]Wiesing, Lambert (2005).
    Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes.. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

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Literatur                             [Sammlung]

[Geimer 2007a]:
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[Halawa 2008a]: Halawa, Mark A. (2008). Wie sind Bilder möglich? Argumente für eine semiotische Fundierung des Bildbegriffs. Köln: Herbert von Halem.

[Jonas 1961a]: Jonas, Hans (1961). Die Freiheit des Bildens – Homo pictor und die differentia des Menschen. Zeitschrift für Philosophische Forschung, Band: 15, S. 161–176, Wieder abgedruckt in: Jonas, Hans: Zwischen Nichts und Ewigkeit – Zur Lehre vom Menschen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987, 26–43. [Kapust 2009a]:
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[Plinius 2004a]:
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[Rang 1990a]:
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[Wiesing 2005a]: Wiesing, Lambert (2005). Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes.. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [26], Mark A. Halawa [17] und Eva Schürmann [3] — (Hinweis)