Bildgrammatik: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Ausdruck ‘Grammatik’ ist, wie in ähnlicher Weise viele linguistische Ausdrücke, doppeldeutig, insofern er einerseits die vor allem sprachlichen Regelsysteme bezeichnet, andererseits aber auch die Theorie bzw. wissenschaftliche Disziplin, die sich mit diesen (sprachlichen) Regelsystemen befasst. Eine berühmte Grammatik im theoretischen Sinn ist die von Chomsky inspirierte generative Transformationsgrammatik (vgl. <bib id='Chomsky 1957a'></bib>).  
 
Der Ausdruck ‘Grammatik’ ist, wie in ähnlicher Weise viele linguistische Ausdrücke, doppeldeutig, insofern er einerseits die vor allem sprachlichen Regelsysteme bezeichnet, andererseits aber auch die Theorie bzw. wissenschaftliche Disziplin, die sich mit diesen (sprachlichen) Regelsystemen befasst. Eine berühmte Grammatik im theoretischen Sinn ist die von Chomsky inspirierte generative Transformationsgrammatik (vgl. <bib id='Chomsky 1957a'></bib>).  
 
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Zunächst ausschließlich für den sprachlichen Bereich vorgesehen, hat es inzwischen einige Bemühungen gegeben, den Begriff der Grammatik auch für den Bildbereich inhaltlich zu füllen (vgl. <bib id='Sachs-Hombach 1999c'></bib>). Hierzu lassen sich einige (teilweise durch die Arbeiten von Klee (vgl. <bib id='Klee 1925a'></bib>) und Kandisky (vgl. <bib id='Kandinsky 1926a'></bib>) inspirierte) Heuristiken im gestalterischen Bereich zählen sowie einige Versuche in speziellen Disziplinen (etwa in der [[Computergraphik|Computergrafik]], vgl. z. B. <bib id='Meyer-Fujara 1998a'></bib>), die aber in der Regel immer nur einen kleinen Teil der bildhaften Gestaltungsmöglichkeiten abbilden und oft auf einen klar definierten Verwendungszweck zugeschnitten sind.  
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Zunächst ausschließlich für den sprachlichen Bereich vorgesehen, hat es inzwischen einige Bemühungen gegeben, den Begriff der Grammatik auch für den Bildbereich inhaltlich zu füllen (vgl. <bib id='Sachs-Hombach & Rehkämper 1999a'></bib>). Hierzu lassen sich einige (teilweise durch die Arbeiten von Klee (vgl. <bib id='Klee 1925a'></bib>) und Kandisky (vgl. <bib id='Kandinsky 1926a'></bib>) inspirierte) Heuristiken im gestalterischen Bereich zählen sowie einige Versuche in speziellen Disziplinen (etwa in der [[Computergraphik|Computergrafik]], vgl. z. B. <bib id='Meyer-Fujara 1998a'></bib>), die aber in der Regel immer nur einen kleinen Teil der bildhaften Gestaltungsmöglichkeiten abbilden und oft auf einen klar definierten Verwendungszweck zugeschnitten sind.  
 
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Die Frage, ob es für Bilder Regelsysteme gibt, die analog zu linguistischen Modellen eine kontrollierte Generierung und Analyse allein auf syntaktischer Basis ermöglichen, wird in der Regel verneint. Das ergibt sich schon daraus, dass wir üblicherweise gar nicht zwischen grammatisch korrekten und [[syntaktisch unkorrekte Bilder|grammatisch inkorrekten Bildern]] unterscheiden. Es gibt für Bilder keine Wohlgeformtheitsbedingungen, die ein solches Regelsystem einschließen müsste. Ein Bild mag entsprechend in semantischer Hinsicht gegen Darstellungskonventionen verstoßen oder auch in pragmatischer Hinsicht für einen bestimmten Verwendungszweck unangemessen sein; damit verletzt es aber keine formalen Regeln des (korrekten) Bildaufbaus. Selbst ein schlecht gemaltes Bild ist kein grammatisch inkorrektes Bild. In der modernen Malerei schätzen wir auch zuweilen gerade diejenigen Bilder, die von gewohnten Malweisen abweichen. Folglich gibt es nicht nur unendlich viele Formen der bildlichen Darstellung, es scheint darüber hinaus unmöglich zu sein, irgendeine Art des Bildaufbaus prinzipiell als fehlerhaft auszuschließen. Die Heuristiken, die sich in speziellen Bereichen entwickelt haben, bilden entsprechend immer nur einen kleinen Teil der bildhaften Gestaltungsmöglichkeiten ab.
 
Die Frage, ob es für Bilder Regelsysteme gibt, die analog zu linguistischen Modellen eine kontrollierte Generierung und Analyse allein auf syntaktischer Basis ermöglichen, wird in der Regel verneint. Das ergibt sich schon daraus, dass wir üblicherweise gar nicht zwischen grammatisch korrekten und [[syntaktisch unkorrekte Bilder|grammatisch inkorrekten Bildern]] unterscheiden. Es gibt für Bilder keine Wohlgeformtheitsbedingungen, die ein solches Regelsystem einschließen müsste. Ein Bild mag entsprechend in semantischer Hinsicht gegen Darstellungskonventionen verstoßen oder auch in pragmatischer Hinsicht für einen bestimmten Verwendungszweck unangemessen sein; damit verletzt es aber keine formalen Regeln des (korrekten) Bildaufbaus. Selbst ein schlecht gemaltes Bild ist kein grammatisch inkorrektes Bild. In der modernen Malerei schätzen wir auch zuweilen gerade diejenigen Bilder, die von gewohnten Malweisen abweichen. Folglich gibt es nicht nur unendlich viele Formen der bildlichen Darstellung, es scheint darüber hinaus unmöglich zu sein, irgendeine Art des Bildaufbaus prinzipiell als fehlerhaft auszuschließen. Die Heuristiken, die sich in speziellen Bereichen entwickelt haben, bilden entsprechend immer nur einen kleinen Teil der bildhaften Gestaltungsmöglichkeiten ab.

Version vom 21. Februar 2013, 17:50 Uhr

Unterpunkt zu: Bildsyntax


Der Ausdruck ‘Grammatik’ ist, wie in ähnlicher Weise viele linguistische Ausdrücke, doppeldeutig, insofern er einerseits die vor allem sprachlichen Regelsysteme bezeichnet, andererseits aber auch die Theorie bzw. wissenschaftliche Disziplin, die sich mit diesen (sprachlichen) Regelsystemen befasst. Eine berühmte Grammatik im theoretischen Sinn ist die von Chomsky inspirierte generative Transformationsgrammatik (vgl. [Chomsky 1957a]Chomsky, Noam (1957).
Syn­tac­tic Struc­tures. Den Haag: Mouton.

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).
Zunächst ausschließlich für den sprachlichen Bereich vorgesehen, hat es inzwischen einige Bemühungen gegeben, den Begriff der Grammatik auch für den Bildbereich inhaltlich zu füllen (vgl. [Sachs-Hombach & Rehkämper 1999a]Sachs-Hom­bach, Klaus & Rehkäm­per, Klaus (1999).
Bildgram­matik. Inter­diszi­plinä­re Forschun­gen zur Syntax bildhaf­ter Darstel­lungsfor­men. Magde­burg: Scriptum.

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). Hierzu lassen sich einige (teilweise durch die Arbeiten von Klee (vgl. [Klee 1925a]Klee, Paul (1925).
Pädagogisches Skizzenbuch. Berlin: Gebr. Mann.

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) und Kandisky (vgl. [Kandinsky 1926a]Kandinsky, Wassily (1926).
Punkt und Linie zu Fläche. Beitrag zur Analyse der malerischen Elemente. München: Albert Langen.

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) inspirierte) Heuristiken im gestalterischen Bereich zählen sowie einige Versuche in speziellen Disziplinen (etwa in der Computergrafik, vgl. z. B. [Meyer-Fujara 1998a]Meyer-Fujara, Josef Heinrich & Rieser, Hannes (1998).
Zur Semi­otik von Reprä­senta­tionsre­latio­nen. Eine Fall­studie.
In Bild – Bildwahr­nehmung – Bildver­arbeitung. Inter­diszi­plinä­re Beiträ­ge zur Bildwis­senschaft, 131-142.

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), die aber in der Regel immer nur einen kleinen Teil der bildhaften Gestaltungsmöglichkeiten abbilden und oft auf einen klar definierten Verwendungszweck zugeschnitten sind.

Die Frage, ob es für Bilder Regelsysteme gibt, die analog zu linguistischen Modellen eine kontrollierte Generierung und Analyse allein auf syntaktischer Basis ermöglichen, wird in der Regel verneint. Das ergibt sich schon daraus, dass wir üblicherweise gar nicht zwischen grammatisch korrekten und grammatisch inkorrekten Bildern unterscheiden. Es gibt für Bilder keine Wohlgeformtheitsbedingungen, die ein solches Regelsystem einschließen müsste. Ein Bild mag entsprechend in semantischer Hinsicht gegen Darstellungskonventionen verstoßen oder auch in pragmatischer Hinsicht für einen bestimmten Verwendungszweck unangemessen sein; damit verletzt es aber keine formalen Regeln des (korrekten) Bildaufbaus. Selbst ein schlecht gemaltes Bild ist kein grammatisch inkorrektes Bild. In der modernen Malerei schätzen wir auch zuweilen gerade diejenigen Bilder, die von gewohnten Malweisen abweichen. Folglich gibt es nicht nur unendlich viele Formen der bildlichen Darstellung, es scheint darüber hinaus unmöglich zu sein, irgendeine Art des Bildaufbaus prinzipiell als fehlerhaft auszuschließen. Die Heuristiken, die sich in speziellen Bereichen entwickelt haben, bilden entsprechend immer nur einen kleinen Teil der bildhaften Gestaltungsmöglichkeiten ab.

Eng verbunden mit der Frage nach einer Bildgrammatik ist die Frage nach einem Bildalphabet – verstanden im verallgemeinerten Sinn als das Inventar der atomaren Grundelemente eines Zeichensystems –, das vorausgesetzt werden muss, wenn es kombinatorische Regeln des Bildaufbaus geben soll. Auch hier gibt es bisher höchstens vage Ansätze, die zudem nur für sehr begrenzte Bereiche Anwendung finden – etwa für das System der Verkehrszeichen, bei dem aber fraglich ist, ob hier überhaupt von Bildern gesprochen werden sollte. Sicherlich lässt sich keine klar definierte Menge von Elemente für Bilder im Sinne eines sprachlichen Alphabets angeben. Darüber hinaus ist es grundsätzlich fraglich, ob bei Bildern überhaupt einzelne Elemente zu Elementklassen zusammengefasst werden können. Andererseits scheint es aber durchaus Regeln zur Erzeugung bestimmter Bildtypen zu geben. Maler oder Designer kennen beispielsweise Regeln der guten Proportion. Eine der bekannter gewordenen Regeln ergibt sich aus dem so genannten Goldenen Schnitt. Auch das Erzeugen perspektivischer Bilder setzt die Anwendung von strengen (in diesem Fall geometrischen) Regeln voraus. Aus diesem Grunde lässt sich durchaus von typ- und / oder verwendungsspezifischen Regeln des Bildaufbaus reden. Um diese terminologisch von Grammatiken im kombinatorischen Sinn zu unterscheiden, könnte von bildsyntaktischen Regeln im morphologischen Sinn gesprochen werden (⊳ Bildmorphologie).

Der wesentliche Grund für die Schwierigkeiten von Bildgrammatiken liegt nach Goodman darin, dass Bilder syntaktisch dichte Zeichensystemen zugehören. Syntaktische Dichte besagt, dass nicht entschieden werden, ob eine konkrete Bildmarke „nur zu einem oder nicht vielmehr zu vielen anderen Charakteren gehört“ ([Goodman 1968a]Goodman, Nelson (1968).
Lan­guages of Art. India­napolis: Hackett, 2. rev. Aufl. 1976.

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: S. 133). Dies kann nicht nur für Bilder, sondern auch für Bildausschnitte geltend gemacht werden, so dass sich keine disjunkten Elemente auszeichnen lassen und es daher kein Bildalphabet gibt.
Umgekehrt formuliert, besteht die Möglichkeit von Bildgrammatiken in dem Maße, in dem die Bedingung der syntaktischen Dichte abgeschwächt werden. So ist es in Alltagskontexten z. B. sinnvoll, bestimmte Bildelemente als Elementklassen aufzufassen, die unterschiedlich realisiert werden können. Von dieser Möglichkeit machen die zahlreichen Bemühungen um generierbare Bildsprachen Gebrauch (vgl. [Schmauks 1998a]Schmauks, Dagmar (1998).
Die Rolle von Bildern in der inter­natio­nalen Kommu­nika­tion.
In Bild – Bildwahr­nehmung – Bildver­arbei­tung. Inter­diszi­plinä­re Beiträ­ge zur Bildwis­senschaft, 81-88.

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), die Otto Neurath mit der von ihm entwickelten Bildsprache ISOTYPE angeregt hat ([Neurath 1991a]Neurath, Otto (2006).
Gesammelte bildpädagogische Schriften. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky.

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). Eine vergleichbare Bildsprachen ist BLISS (vgl. [Bliss 1949a]Bliss, Charles K. (1949).
Seman­togra­phy – Blissym­bolics. Sydney: Seman­togra­phy – Blissym­bolics Publi­cations.

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). Zwar sind die Ansprüche, auf diese Weise eine internationale Kommunikation zu ermöglichen, nur bedingt einlösbar, da diese Bildsysteme höchstens eine sehr eingeschränkte Kommunikation erlauben und diese zudem kulturabhän¬gig bleibt (vgl. [Horten 1994a]Horten, William (1994).
Das Icon-Buch: Entwurf und Gestaltung visueller Symbole und Zeichen. Reading (MA) / Bonn / Paris: Addison-Wesley.

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: S. 272). Ansatzweise werden hier aber durchaus eigenständige Bildelemente ausgezeichnet und zu komplexeren Einheiten kombiniert. Für die Frage nach der Möglichkeit einer allgemeinen Bildsyntax im kombinatorischen Sinne ist damit dennoch wenig gewonnen, denn die entsprechenden Grammatiken lassen sich nicht verallgemeinern. Sie beziehen sich immer nur auf einen zuvor sehr eng definierten Bereich und bilden daher höchstens partielle Bildgrammatiken.
Anmerkungen
Literatur                             [Sammlung]

[Bliss 1949a]: Bliss, Charles K. (1949). Seman­togra­phy – Blissym­bolics. Sydney: Seman­togra­phy – Blissym­bolics Publi­cations.

[Chomsky 1957a]: Chomsky, Noam (1957). Syn­tac­tic Struc­tures. Den Haag: Mouton. [Goodman 1968a]: Goodman, Nelson (1968). Lan­guages of Art. India­napolis: Hackett, 2. rev. Aufl. 1976. [Horten 1994a]: Horten, William (1994). Das Icon-Buch: Entwurf und Gestaltung visueller Symbole und Zeichen. Reading (MA) / Bonn / Paris: Addison-Wesley. [Kandinsky 1926a]: Kandinsky, Wassily (1926). Punkt und Linie zu Fläche. Beitrag zur Analyse der malerischen Elemente. München: Albert Langen. [Klee 1925a]: Klee, Paul (1925). Pädagogisches Skizzenbuch. Berlin: Gebr. Mann. [Meyer-Fujara 1998a]: Meyer-Fujara, Josef Heinrich & Rieser, Hannes (1998). Zur Semi­otik von Reprä­senta­tionsre­latio­nen. Eine Fall­studie. In: Sachs-Hom­bach, K. & Rehkäm­per, K. (Hg.): Bild – Bildwahr­nehmung – Bildver­arbeitung. Inter­diszi­plinä­re Beiträ­ge zur Bildwis­senschaft. Wiesba­den: Deutscher Uni­versi­tätsver­lag, S. 131-142. [Neurath 1991a]: Neurath, Otto (2006). Gesammelte bildpädagogische Schriften. Wien: Hölder-Pichler-Tempsky. [Sachs-Hombach & Rehkämper 1999a]: Sachs-Hom­bach, Klaus & Rehkäm­per, Klaus (Hg.) (1999). Bildgram­matik. Inter­diszi­plinä­re Forschun­gen zur Syntax bildhaf­ter Darstel­lungsfor­men. Magde­burg: Scriptum. [Schmauks 1998a]: Schmauks, Dagmar (1998). Die Rolle von Bildern in der inter­natio­nalen Kommu­nika­tion. In: Sachs-Hom­bach, K. & Rehkäm­per, K. (Hg.): Bild – Bildwahr­nehmung – Bildver­arbei­tung. Inter­diszi­plinä­re Beiträ­ge zur Bildwis­senschaft. Wiesba­den: Deutscher Uni­versi­tätsver­lag, S. 81-88.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

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Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [20], Stefan Kahl [2] und Klaus Sachs-Hombach [1] — (Hinweis)