Bildhermeneutik

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Unterpunkt zu: Sprechen über Bilder


Das Verstehen von Bildern im Gespräch

Im Sprechen über Bilder müssen kommunikative Plattformen des Austauschs entwickelt werden, die als Prozess des Verstehens zu validen Übereinkünften zwischen den Beteiligten führen. Diese Plattformen bestehen aus Zeichenkomplexen, auf die man sich insoweit einigen kann, als aus ihnen Metaebenen generiert werden können, die sich mit anderen Formen des Verstehens verknüpfen lassen – wer über Kunstwerke spricht, wird literarische Assoziationen ebenso schätzen wie musikalische Bezüge etwa in der Metapher eines malerischen Rhythmus. Analog bedürfen alle anderen Bilder transformativer Hilfsmittel in der sprachlichen Übersetzung – im medizinischen Bereich sind feste Sprachkonventionen über visuelle Erscheinungen für Patienten von existenzieller Bedeutung. Wie weit derartige Transformationen in den individuellen Wahrnehmungsapparat eingreifen, mag an der Debatte über die Vor- und Nachteile farbiger Darstellungen in medizinischen Bildgebungsverfahren ersehen werden (vgl. [Hennig 2006a]).

Philosophiegeschichtlich ist die Bildhermeneutik mit der Ontologie des Kunstwerks interdependent; von ihrem Ursprung in der Mimesis (vgl. [Gebauer & Wulf 1992a]) bis zu Hans-Georg Gadamers Bestimmung in Wahrheit und Methode (vgl. [Gadamer 2010a]; [Sallis 2007a]), die hauptsächlich seiner Auseinandersetzung mit Martin Heideggers Ursprung des Kunstwerks geschuldet war (vgl.[Heidegger 1986a]), schwebt die Bildhermeneutik begrifflich zwischen dem Anspruch auf umfassende Erklärung von Werken und der Erkenntnis eigener Begrenztheit in der Sprachbindung, eben dem „hermeneutischen Zirkel“. Erst nach der Lösung des Bildbegriffs von der Bindung an die Kunst konnte sich die Bildhermeneutik durch neue Kontextualisierungen aus der Diskussion um ihre eigenen Grenzen befreien und auf anwendbare Elemente konzentrieren. Insbesondere die Pädagogik hat die Bildhermeneutik als Instrument der Kommunikation über unterschiedliche Wissens- und Lernvoraussetzungen erkannt und entsprechend thematisiert (vgl. [Sowa & Uhlig 2006a]). Möglich wurde diese Anwendung auch durch die Fragen der Betrachtung großer Mengen medialer Bilder, wie sie sich seit Erfindung der Fotografie und seit deren Digitalisierung noch einmal in einem Quantensprung der Mengenbildung ergeben haben. Erst durch die algorithmische Generierung von Bildern hat sich die Bildhermeneutik von narrativen Elementen und der damit verbundenen Diskussion ihrer eigenen Zeitgebundenheit befreien können (vgl. [Moser 2011a]).

Geschichte und Perspektiven der Bildhermeneutik

Bildhermeneutik ist das Sprechen über Bilder mit der Intention eines Verständnisses, das von den Polen der Erkenntnis und des Interesses geleitet wird (vgl. [Habermas 1973a]: S. 178-203). Dieses Verständnis setzt, wie Gottfried Boehm gezeigt hat, implizit die Übersetzbarkeit von Bildern in Sprache voraus (vgl. [Boehm 2005a]); damit wird die hermeneutische Arbeit automatisch zu einer sprachlich fixierten Interpretation jeden gegebenen Bildes. Während Boehm diese Übersetzbarkeit – die ja epistemische Voraussetzung für Wissenschaftszweige wie die Kunstgeschichte war – allein aus der Entwicklung einer sich selbst als autonom bestimmenden Kunst heraus als nicht mehr gegeben erklärt, wird die interpretative Leistung der Bildhermeneutik auch vom Bildbegriff selbst bedroht: Millionen von Selbstinszenierungen in den sozialen Netzwerken des Internets sind kaum noch durch Einzelanalysen begrifflich zu fassen, sondern formen sich zu Clustern der Ähnlichkeit, die als Konventionalisierungen mit anderen Ontologien als der Allegorese oder Einfühlung zu bestimmen sind. Insofern wird Bildhermeneutik auch zu einem Element der Bestimmung der Semiosphäre (vgl. [Lotman 1990a]).

In Europa ist der Beginn einer Bildhermeneutik auf die Zeit nach der Renaissance anzusetzen, während die antike Hermeneutik als ikonoklastisch anzusehen ist. Allegorese und Ikonographie kennzeichnen die Bildhermeneutik dahingehend, dass Mittel und Methoden gesucht werden, gültige Werturteile aus ikonischen Zeichen zu extrahieren und als sprachliche Metaphern zum Vorverständnis späterer Bildrezipienten festzulegen. Nicht-europäische Formen der Bildhermeneutik beschränken sich im selben Zeitraum auf deskriptive Übertragungen narrativer Bildelemente, etwa im persischen Firdausi-Epos oder im chinesischen Roman der Ming-Zeit sowie deren Übertragung in Buchillustrationen oder Textilien; derartige Formen müssen auch heute bei der Betrachtung von medialen Bildern etwa aus asiatischen Kulturkreisen noch beachtet werden (vgl. [Sachsse 2006a]).

Erst im Gefolge von Aufklärung und Romantik bildet sich in Europa die Bildhermeneutik dahingehend aus, dass sie den Anspruch erhebt, in ihrer Interpretationsleistung über die Arbeit des schaffenden Genies hinauszugehen. Nach Wilhelm Dilthey begründet die Hermeneutik als Verfahren überhaupt die Geisteswissenschaften (vgl. [Kühne-Bertram/Rodi 2008a]), doch bahnt sich hier bereits die Erfahrung der Sprachgrenzen an, die zum Gadamerschen Schlagwort vom ‚hermeneutischen Zirkel’ führten: Jenseits der Sprache scheint keine Hermeneutik möglich zu sein, gerade auch nicht bei der Betrachtung von Kunstwerken oder beim Hören von Musik. Diesem Problem scheinen kommunikationswissenschaftlich begründete Ansätze wie die von Karl-Otto Apel (vgl. [Apel 2002a]), Ulrich Oevermann (vgl. [Oevermann et al. 1979a]) und Paul Ricœur (vgl. [Ricœur 1973a]) entgehen zu können, indem sie kontextuelle Elemente in die Arbeit des Verstehens einfließen lassen, von existentialphilosophischen über soziale bis zu zeitlichen Bindungen, die die hermeneutische Leistung des Einzelnen im Angesichts des Bildes beeinflussen. Doch „die stumme Bildkritik des Entwurfs“ ([Renner 2011a]) – eine Neuauflage des alten disegno-Prinzips unter hermeneutischem Blickwinkel – bleibt auch hier bestehen: Alle Übersetzungsleistungen aus dem Bild in die Sprache bleiben begrenzt.

Mit dieser Begrenzung gut leben können diverse Anwendungen der Bildhermeneutik, die sich auf Teilaspekte der Rezeption wie in der Pädagogik oder auf anthropologische, ethnologische oder theologische Fragestellungen konzentrieren. Sie alle bedürfen keiner letzten Klärung der Sprachbindung der Bildhermeneutik, da sie in ihren Teilbereichen ohnehin mit begrenzten Reichweiten ihrer Erörterungen arbeiten. Epistemologisch interessanter wird die Bildhermeneutik heute eher in einem Mittlerbereich zwischen zwei nicht-sprachlichen Bildverfahren und ihrer Rezeption, überall dort, wo die Erkennung von Bildern als programmierte Leistung in einen weiteren Prozess der Kommunikation – Überwachung, Wiedererkennung, Bereitstellung und Auswahl größerer Bildmengen – einfließt (vgl. [Cipolla et al. 2010a]). Die Computervisualistik ist in sich selbst durchaus als Zirkel der Bildhermeneutik zu begreifen, indem sie algorithmische Instrumente bereitstellt, erkannte Bilder in zuvor programmierte Kontexte einzubinden und daraus ein bildhaftes Handeln zu steuern, dessen intrinsische Logik sprachlich gebundener Rationalität mindestens ansatzweise zu entsprechen vermag (vgl. [Sachs-Hombach 1999b]).

Gerade die Computervisualistik mag es der Bildhermeneutik ermöglichen, sich zum zentralen Forschungsgebiet einer nicht- oder vorsprachlichen Rationalität zu entwickeln; sie könnte damit einem romantischen Einfühlungsvermögen, das die Bildhermeneutik wissenschaftlich – insbesondere in ihrer Anwendung in der Kunst- als Stilgeschichte – über mehr als ein Jahrhundert gelähmt hat, im Rahmen neuer Kontextualisierungen von Bildern, auch denen der Kunst, große Dienste erweisen.

Anmerkungen
Literatur                             [Sammlung]

[Apel 2002a]:
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Verantwortlich:

Sachsse, Rolf

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