Bildinhalt

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Unterpunkt zu: Bildsemantik


Zeichen, Zeichenbedeutung und Zei­chen­refe­renz

Den meisten Zeichenmodellen ist eine Unter­scheidung zwischen Zeichen, Zeichen­bedeutung und Zeichen­refe­renz gemein­sam, ob­schon diese drei Größen in den ver­schie­denen Model­len sehr unter­schied­liche Benen­nungen er­fahren haben (⊳ Bedeu­tung und Refe­renz). Rela­tiv grob charak­teri­siert geht es hier­bei (1) um den als Zeichen­träger ver­stande­nen physi­schen Gegen­stand, (2) um die dem Gegen­stand zuge­schrie­bene Bedeu­tung, durch die der Zei­chen­träger über­haupt erst zum Zeichen wird, und (3) um den Gegen­stand bzw. die Gegen­stands­klasse, auf den bzw. auf die mit dem Zeichen an­hand der Zeichen­bedeutung referiert wird. Diese Drei­teilung, die sich promi­nent mit den Benen­nung ‘Zeichen’, ‘Sinn’ und ‘Bedeu­tung’ bei Frege findet (vgl. [Frege 1892a]Frege, Gottlob (1892).
Über Sinn und Bedeu­tung. In Zeitschrift für Philo­sophie und philo­sophi­sche Kritik, 100, 25-50.

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), lässt sich auch für Bilder frucht­bar machen, bei denen ent­sprechend zwischen Bild­träger, Bild­bedeu­tung bzw. Bild­inhalt und Bild­referenz unter­schieden werden kann. In der eng­lisch­sprachi­gen Lite­ratur hat sich für die Bedeu­tungs­ebene des Bildes der Aus­druck ‘content’ einge­bürgert (vgl. etwa [Lopes 1996a]Lopes, Dominic (1996).
Under­stand­ing Pic­tures. Ox­ford: Clare­don Press.

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), an den sich der deut­sche Aus­druck ‘Inhalt’ an­lehnt.


Was man im Bild sieht

Als Bildinhalt sollte derjenige Bedeu­tungs­aspekt bei Bildern ange­sehen werden, der sich un­mittel­bar mit der intrin­sischen Struk­tur des Bildes ver­bindet. Auf die Sprach­ebene bezo­gen ist er der lexi­kali­schen Bedeu­tung ver­gleich­bar und von der symbo­lischen (⊳ Visu­elle und multi­modale Meta­phern) wie auch von der kommu­nika­tiven Bedeu­tung (⊳ Illo­kution) zu unter­scheiden. Der Bild­inhalt ist nach Richard Woll­heim das­jenige, was je­mand im Bild sieht. Er ver­dankt sich spezi­fischer Wahr­nehmungs­mecha­nismen. Ob diese im Sinne von Ähn­lich­keits­stan­dards erläu­tert werden können, ist eine der viel dis­kutier­ten, bis­her nicht ent­schiede­nen Fragen (vgl. [Scholz 2004a]Scholz, Oliver R. (2004).
Bild, Dar­stel­lung, Zeichen. Philo­sophi­sche Theo­rien bild­hafter Dar­stellun­gen. Frank­furt/M.: Kloster­mann.

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; ⊳ Ähn­lich­keit und wahr­neh­mungs­nahe Zeichen).

Da der Inhalt eines Bildes sich immer nur in der Rela­tion zum Betrac­hter ein­stellt, liegt er nicht objek­tiv fest. Bilder sind aus diesem Grunde prinzi­piell viel­deutig. Gleich­wohl soll­ten bei Bilder zur Bestim­mung des Bild­inhalts Adä­quat­heits­bedin­gungen ange­nommen werden. Be­trachten wir als Bei­spiel das in der Gestalt­psycho­logie oft beschrie­bene Phäno­men des Kipp­bildes, bei dem Figur und Hinter­grund ver­tauscht werden können. Jemand sieht in einem Bild einen Kelch. Ein zweiter sieht in dem Bild zwei Gesich­ter im Profil. Vermut­lich werden sie sich sehr schnell eini­gen, dass beide Inter­preta­tionen kor­rekte Inter­preta­tionen sind, so­fern sie auf die wesent­lichen Ent­sprechun­gen hin­weisen (d.h. Teile des Bildes heraus­greifen) und dar­legen können, dass ein bestim­mter Linien­abschnitt nasen­förmig ist (den Begriff der Nase veran­schaulicht) oder (in diesem Fall zu­gleich) einen Teil der Kontur eines Kelches dar­stellt. Sieht ein Dritter in dem Bild einen Ele­fanten, so ist dies nur dann als kor­rekte Inter­preta­tion zu werten, wenn er eben­falls auf rele­vante Ent­sprechun­gen hin­weisen kann.

Die Tatsache, dass wir Unter­schied­liches in einem Bild sehen können, er­gibt sich der Ähn­lich­keits­theo­rie zufolge da­raus, dass ver­schie­dene Dinge unter ent­sprechen­den Perspek­tiven iden­tische Wahr­nehmungen er­zeugen. Ob­schon dies der Regel­fall ist, wird uns die Viel­deutig­keit des Bild­inhal­tes oft nicht be­wusst, weil die Kontext­bedin­gungen eine bestim­mte Inter­preta­tion als beson­ders rele­vant aus­zeichnen. Sie spezi­fizie­ren den Inhalt eines Bildes inner­halb einer bestim­mten Inter­preta­tions­umge­bung.

Es lassen sich hierzu wenigstens drei Fälle unter­scheiden. Der Bild­inhalt wird durch Kotext, Kontext und Typi­kalität beein­flusst. Unter ‘Kotext’ ist die Summe der Ele­mente gemeint, die sich inner­halb der Bild­fläche (bei Filmen auch zwischen ver­schiedenen Bildern) aus­machen lassen und die etwa durch einen Rah­men be­grenzt werden. Einen Linien­abschnitt als nasen­förmig einzu­stufen ergibt sich dem­nach aus dem Zusammen­hang, in den er einge­bettet ist. Ent­sprechend kann ein und dasselbe Bild­element in unter­schied­lichen Zusammen­hängen nach dem Prinzip der Nähe als Unter­schied­liches gese­hen werden. Bild­wahrneh­mung ist daher wesent­lich Gestalt­wahr­nehmung. Der Kotext ließe sich in ver­schiedene Ebenen gliedern. Die Orga­nisa­tion der Form­elemente nach Gestalt­gesetzen ist hier­bei sehr grund­sätz­lich, inter­preta­tions­ein­schrän­kend wirkt aber auch die Ein­ord­nung der Gestal­ten in das Bild­ganze, das etwa als Land­schafts­darstel­lung er­kannt wird. Hier scheinen dem herme­neuti­schen Zirkel ana­loge Pro­zesse abzu­laufen, in denen sich der Gesamt­zusammen­hang und die einzel­nen Ele­mente gegen­seitig bestim­men (⊳ Bild­herme­neutik).

In ähnlicher Weise schränkt der Bild­kontext die Inter­preta­tions­mög­lich­keiten ein. ‘Kontext’ ist hier im enge­ren Sinne zu ver­stehen. Er ent­hält alle rele­vanten Aspekte der physi­schen Bild­umge­bung. Ins­beson­dere form­redu­zierte Dar­stellun­gen können in ver­schie­denen Umge­bungen unter­schiedlich wahr­genom­men werden. Das Pikto­gramm eines Laut­sprechers ließe sich bei­spiels­weise in einem Hut­geschäft als Dar­stellung von Stroh­hüten inter­pretieren, wenn es um 90° gedreht würde. Auch der Bild­kontext liefert dem­nach einen Inter­preta­tions­hori­zont, der es ermög­lich, den In­halt eines Bildes in unter­schied­licher Weise zu bestim­men. Auf Grund domi­nanter Kontext­bedingun­gen geraten die meisten mög­lichen Inter­preta­tionen in der Regel aber gar nicht erst in den Blick.

Wichtig bei der Kategorisierung dessen, was wir im Bild sehen, ist schließ­lich auch, wie typisch die darge­stellten Eigen­schaften für eine Gegen­stands­klasse sind (⊳ auch Exem­plifi­kation). Des­halb korre­liert nur sehr ein­geschränkt ein nied­riger Detail­lierungs­grad mit einem großen Inter­preta­tions­spiel­raum. Ob die Strich­zeich­nung eines Fi­sches als Dar­stellung eines Hai­fisches gilt hängt davon ab, ob Eigen­schaften darge­stellt sind, die Hai­fische aus­zeich­nen, etwa die beson­dere Form der Flosse oder der Zähne. Sind diese in der Dar­stellung erkenn­bar, wird die ent­sprechen­de Klassi­fika­tion auch dann vor­genom­men, wenn andere Eigen­schaften fehlen oder sogar falsch darge­stellt wurden. Das trifft selbst auf die Dar­stellung indi­vidu­eller Gesichts­züge zu (⊳ Gesichts­dar­stel­lung). Ob nur irgend­ein Gesicht oder ein bestimm­tes Gesicht veran­schau­licht werden soll, kann durch die Dar­stellung spezi­fischer Eigen­schaften nahe­gelegt wer­den. Die ange­messene Inter­preta­tion hängt dann frei­lich davon ab, ob die ent­sprechen­den Wahr­nehmungs­kompe­tenzen vor­liegen. Was wir im Bild sehen ist folg­lich durch mentale Proto­typen einge­schränkt, in denen be­stimmte Eigen­schaften als typisch ausge­wiesen sind und somit als rele­vant für die Ähn­lich­keits­be­zie­hung gelten. Diese Typi­kali­täts­erwä­gungen sind nicht nur indi­viduell vari­abel, son­dern zudem kultu­rellen Stan­dards unter­worfen. Je nach Lebens­welt können zudem unter­schied­liche Eigen­schaften für ty­pisch gehal­ten werden (vgl. [Blanke 2003a]Blanke, Börries (2003).
Vom Bild zum Sinn. Das iko­nische Zeichen zwi­schen struktu­ralis­tischer Semio­tik und ana­lyti­scher Philo­sophie. Wies­baden: Deut­scher Uni­versi­tätsver­lag.

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: S. 96). Inso­fern wird der Bild­inhalt zwar ent­scheidend durch Wahr­nehmungs­mecha­nismen bestimmt, diese unter­liegen aber durch­aus kultu­rellen Prä­gungen.
Anmerkungen
Literatur                             [Sammlung]

[Blanke 2003a]: Blanke, Börries (2003). Vom Bild zum Sinn. Das iko­nische Zeichen zwi­schen struktu­ralis­tischer Semio­tik und ana­lyti­scher Philo­sophie. Wies­baden: Deut­scher Uni­versi­tätsver­lag.

[Frege 1892a]: Frege, Gottlob (1892). Über Sinn und Bedeu­tung. Zeitschrift für Philo­sophie und philo­sophi­sche Kritik, Band: 100, S. 25-50. [Lopes 1996a]: Lopes, Dominic (1996). Under­stand­ing Pic­tures. Ox­ford: Clare­don Press. [Scholz 2004a]: Scholz, Oliver R. (2004). Bild, Dar­stel­lung, Zeichen. Philo­sophi­sche Theo­rien bild­hafter Dar­stellun­gen. Frank­furt/M.: Kloster­mann.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Ausgabe 1: 2013

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Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [21] und Stefan Kahl [4] — (Hinweis)

Zitierhinweis:

[Sachs-Hombach 2013g-b]Vergleiche vollständigen Eintrag
in Literatursammlung
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Sachs-Hombach, Klaus (2013). Bildgrammatik. (Ausg. 1). In: Schirra, J.R.J.; Halawa, M. & Liebsch, D. (Hg.): Glossar der Bildphilosophie. (2012-2024).
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