Bildlichkeit: Bedingungen und Folgen

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Theorieperspektive im Glossar der Bildphilosophie


Bildqualitäten und Nutzerkompetenzen

Bildlichkeit ist vom alltäg­lichen Sprachge­fühl her all das, was unab­dingbar ist, um einen Gegen­stand zum Bild zu erklä­ren. Gegen­stände sind jedoch nicht einfach von sich aus Bilder, sondern werden von jeman­dem als Bilder begrif­fen. Daher sollte die Frage nach der Bildlich­keit genau­er bese­hen lauten: Welche Quali­täten eines als Bild aufge­fassten Gegen­standes erfor­dern welche Kompe­tenzen bei dem Wesen, das den Gegen­stand als Bild begreift? So sind gemein­hin bestimm­te Wahrneh­mungskom­peten­zen vonnö­ten: etwa die, visu­elle Ähnlich­keiten als solche zu erken­nen. Aber auch die Kompe­tenzen zu bestimm­ten Arten kommu­nika­tiv-medi­alen Verhal­tens oder zum Zeichen­gebrauch werden regel­mäßig als konsti­tutiv gese­hen, wie die Gliede­rung dieses Glossars in Theorie­perspek­tiven auch veran­schaulicht. Wie also hängen diese verschie­denen Kompe­tenzen unter­einan­der und mit den für Bilder als charak­teris­tisch einge­stuften Eigen­schaften zusam­men?

Der Ausdruck ‘Bildlichkeit’ und die darun­ter gefass­ten Begrif­fe

Es geht um die Klärung der begriff­lichen Rela­tionen rund um den Begriff »Bild« und um die Begrün­dungen dieser Zusam­menhän­ge.[1] Inso­fern dabei diver­se Vari­anten auftre­ten, handelt es sich auch hier eher um eine ganze Familie von Begrif­fen.

Die Sinnhaftigkeit der Zuschrei­bungen von Eigen­schaften von (oder Rela­tion zwischen) Begrif­fen kann nicht einfach empi­risch geprüft werden, weil es sich um die Bestim­mungen der inter­perso­nellen Bezugs­punkte handelt, anhand derer wir die Geltung empi­rischer prädi­kati­ver Äuße­rungen über­haupt erst feststel­len können. Entspre­chend sind recht komple­xe Betrach­tungen zum korrek­ten Aufbau von Begrif­fen notwen­dig, um darü­ber zu entschei­den, ob wir zurecht von einer begriff­lichen Rela­tion etwa zum Begriff »Bildlich­keit« ausgehen oder nicht. Verschie­dene Vari­anten solcher begriffs­synthe­tischer Verfah­ren spielen für die Diskus­sion der Bildlich­keit eine wichti­ge Rolle. Insbe­sonde­re die transzen­dental­philo­sophi­schen Betrach­tungen zu den Bedin­gungen der Möglich­keit eines Begriffs und die argu­menta­tionstheo­retisch moti­vierten begriffs­gene­tischen Betrach­tungen können zur Begrün­dung der begriff­lichen Zusam­menhän­ge um den Bildlich­keitsbe­griff beitra­gen.

Eine Komplikation: Die Exten­sion von Bildlich­keit

Die Fachdiskussionen zur Bildlich­keit wird durch eine Kompli­kation zusätz­lich erschwert, die es im Vorfeld zu berück­sichti­gen gilt. Die Kompli­kation besteht darin, dass der Ausdruck ‘Bildlich­keit’ nicht nur dazu verwen­det wird, um auf die charak­teris­tischen Eigen­heiten Bezug zu nehmen, die einem Gegen­stand über­haupt zukom­men, wenn er als ein Bild gewer­tet wird (bzw. die Kompe­tenzen, die Wesen benö­tigen, um jene Eigen­schaften zuschrei­ben zu können). Der Ausdruck ‘Bildlich­keit’ wird zugleich in einer weite­ren Bedeu­tung verwen­det: Unter der impli­ziten Voraus­setzung, dass es Bilder gibt, die auf beson­dere Weise deutlich werden lassen, was Bildsein ausmacht, konzen­triert sich ein Teil der Diskus­sion auf den Komplex von Bildei­genschaf­ten, die speziell diesen so genann­ten Bildern im empha­tischen Sinn zukom­men.[2] “Bildlich­keit” in diesem zweiten Sinn ist also gar keine Quali­tät aller Bilder; die Exten­sion der betrach­teten Bildklas­se ist deutlich redu­ziert und deckt in etwa die des Begriffs des Bildes in refle­xiver Verwen­dung ab. Offen bleibt dabei die Frage, ob die sich auf diese Weise an der speziel­len Teilmen­ge heraus­kristal­lisie­renden begriff­lichen Bestim­mungen in der Tat als charak­teris­tisch für alle Bilder gelten können. Begrün­dungen dafür hängen von den erwähn­ten begriffs­synthe­tischen Argu­menten ab.

Begriffssynthese: transzen­dental oder begriffs­genetisch

Versuche der Begründung der Sinnhaf­tigkeit begriff­licher Zusam­menhän­ge zielen in der Regel darauf ab, den fragli­chen Begriff und sein Umfeld – kurz: das betrach­tete Begriffs­feld – als auf bestimm­te Weise entstan­den zu verste­hen, wobei die Entste­hungsbe­dingun­gen oder -verfah­ren ein Krite­rium der Korrekt­heit dieses speziel­len Systems von abstrak­ten Bezugs­punkten zur Beur­teilung der Geltung entspre­chender empi­rischer Äuße­rungen bereit­stellen. Sehen wir von der anti­ken Philo­sophie ab, in der von Begrif­fen noch nicht die Rede ist,[3] bleiben in der Philo­sophie­tradi­tion insbe­sonde­re zwei Ansät­ze:

Transzendental-philoso­phischer Ansatz

Im Rahmen der Bewusst­seinsphi­loso­phie ent­wickelte Kant ([Kant, KrV]Kant, Immanuel (1968).
Kritik der reinen Vernunft. Berlin: de Gruyter, A: 1781, B: 1787.

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) den Ansatz der transzen­denta­len Begriffs­synthe­se: Dabei soll die “Konstruk­tion” eines Begriffs im je einzel­nen menschli­chen Geist ausge­richtet werden an einer in “der Vernunft” über­persön­lich festste­henden transzen­denten Rela­tion zwischen einfa­cheren Begrif­fen, einem Schema, nach dem aus jenen Begrif­fen ein komple­xer Begriff mit emer­genten Eigen­schaften synthe­tisiert wird.[4] Nur wer sich “einen deutli­chen Begriff macht”,[5] indem er den vernünf­tigen Konstruk­tionsprin­zipien folgend die Ausgangs­begrif­fe erwei­tert, gelangt zu sinnvol­len komple­xen Begrif­fen.[6] Die im Schema zusam­menge­stellten Begrif­fe und das Schema selbst bilden daher die transzen­denta­len “Bedin­gungen der Möglich­keit” eines Begriffs: Seine begriff­lichen Bestim­mungen sind sinnvoll, wenn sie der korrek­ten Synthe­se gemäß dem Schema folgen.

Der transzen­dental­philo­sophisch ausge­richte­ten Bildlich­keitsde­batte geht es um die entspre­chenden über das transzen­denta­le Schema verbun­denen Grundbe­griffe, die als Bedin­gungen der Möglich­keit in den Bildbe­griff einge­hen und so die charak­teris­tischen Eigen­schaften von Bildern ganz allge­mein bestim­men.

Argumentationstheo­retisch-begriffs­gene­tischer Ansatz

Während bei Kant die Begriffs­synthe­se statisch “im Geist” bzw. “in der menschli­chen Vernunft” als solcher festge­schrieben ist, wird die Begriffs­konstruk­tion mit dem durch Wittgen­stein einge­leite­ten “lingu­istic turn” dyna­misiert: Die Synthe­se findet demnach inter­indi­viduell in konkre­ten Argu­menta­tionsver­läufen statt, genau­er in der Reka­pitu­lation einer Begrün­dungssi­tuation für das Einfü­hren eines als gemein­sam zu etab­lieren­den “neuen” (in der Regel komple­xeren) Begriffs­feldes auf der Basis der von den jewei­ligen Diskus­sionspart­nern bereits geteil­ten (einfa­cheren) Begriffs­feldern (vgl. [Ros 1989/90a]Ros, Arno (1989/90).
Begründung und Begriff. Wandlungen des Verständnisses begrifflicher Argumentationen. Hamburg: Meiner, 3 Bände.

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: B. III). In einer begriffs­gene­tischen Betrach­tung versu­chen die betei­ligten Gesprächs­partner, sich über die Sinnhaf­tigkeit eines stritti­gen Begriffs­feldes zu eini­gen, indem sie einen gemein­sam als akzep­tabel bewer­teten Vorschlag ausar­beiten oder reka­pitu­lieren, wie man rati­onal zu einem solchen Begriff kommen könnte. Dabei werden Erfah­rungsbe­funde, die sich mit den bereits geteil­ten Begriffs­feldern herstel­len lassen, mittels des Vorschlags für eine Bildungs­geschich­te zu einer neuen Art, die Welt zu sehen, verknüpft; eine Sicht, die gemein­sam als vorteil­haft bewer­tet werden kann: Das, was man mithil­fe der bereits geteil­ten Begriffe schon kennt, kann mithil­fe des neu gebil­deten Begriffs­feldes als etwas ande­res gesehen werden,[7] etwas, das in deutlich komple­xeren Zusam­menhän­gen begrif­fen werden kann, als es zuvor möglich war.

Entsprechend ist in den zumeist anthro­polo­gisch gepräg­ten begriffs­gene­tischen Ansät­zen zur Bildlich­keitsde­batte häufig die Rede vom Begriff eines Wesens, dem Bildkom­peten­zen noch nicht zuge­schrieben werden können, und von den argu­menta­tiven Übergän­gen zu einem Begriff bildnut­zender Wesen, die in Form einer gene­tischen Erzäh­lung vorge­schlagen werden. Dabei wird in der Regel auf verschie­dene Stufen­theorien der Etho­logie, wie auch der Sprachphi­loso­phie und der philo­sophi­schen Anthro­polo­gie zurück­gegrif­fen, um etwa zu moti­vieren, wieso eine bestimm­te Kombi­nation von ele­menta­ren Kommu­nika­tionsver­halten und einfa­chen Wahrneh­mungskom­peten­zen zu einem sinnvol­len Begriff der Bildfä­higkeit führt.

Zur den Hauptpunkten

Mit Bezug auf die unterschied­lichen Formen der Begriffs­synthe­se gliedert sich die Theorie­perspek­tive zur Bildlich­keit in zwei Hauptpunk­te: Einer­seits werden die synthe­tisch mit dem Bildbe­griff verbun­denen Grundbe­griffe betrach­tet, die wahlwei­se als transzen­dentale Bedin­gungen der Möglich­keit des Bild- oder Bildlich­keitsbe­griffs verstan­den werden oder als Ele­mente, die in begriffs­gene­tische Begrün­dungen des Bildbe­griffs einge­hen. Es handelt sich demnach im wesentlichen um Begrif­fe, die stets “mitschwin­gen”, wenn von Bildern (oder Bildlich­keit) die Rede ist, und die, zumin­dest in der begriffs­gene­tischen Vari­ante, zu einem struktu­rell einfa­cheren Argu­menta­tionszu­sammen­hang gehö­ren.

Andererseits erlaubt es die Synthe­se des Bildbe­griffs, weite­re Begrif­fe zu bilden, die vom Bildbe­griff argu­menta­tiv abhän­gig sind. Das betrifft insbe­sonde­re Fälle, in denen Teile der Argu­menta­tionsstruk­turen um den Bildbe­griff auf ande­re Domä­nen über­tragen werden (dazu auch ⊳ Meta­phoro­logie). Zudem werden eini­ge der zur Begriffs­gene­se verwen­deten Begrif­fe durch die Synthe­se zu komple­xeren Vari­anten transfor­miert. Diesen Auswir­kungen der Begriffs­synthe­se widmet sich vor allem der begriffs­gene­tische Teil der Bildlich­keitsdis­kussion.

Anmerkungen
  1. Be­griff­li­che Zu­sam­men­hän­ge wer­den nor­ma­ler­wei­se in Form von Be­griffs­be­stim­mun­gen (im Ex­trem­fall et­wa ei­ner De­fi­ni­ti­on) ar­ti­ku­liert; ⊳ Prä­di­ka­ti­on und Pro­po­si­ti­on.
  2. Boehm verwendet den Ausdruck ‘starke Bilder’; vgl. [Boehm 2007a]Boehm, Gottfried (2007).
    Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens. Berlin: Berlin University Press.

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    : S. 252.
  3. Ana­chro­nis­tisch for­mu­liert: Der Be­griff der pla­to­ni­schen Ide­en als Vor­läu­fer des Be­griffs des Be­griffs, wie er sich in der Neu­zeit he­raus­ge­bil­det hat, un­ter­schei­det sich von letz­te­rem vor al­lem da­durch, dass Ide­en nicht ge­schaf­fen sind. Sinn­haf­tig­keit kann al­so nicht über die Kor­rekt­heit ei­nes Er­zeu­gungs­ver­fa­hrens be­stimmt wer­den; vgl. [Ros 1989/90a]Ros, Arno (1989/90).
    Begründung und Begriff. Wandlungen des Verständnisses begrifflicher Argumentationen. Hamburg: Meiner, 3 Bände.

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    : B. II, Kap. 3.
  4. Kant be­zeich­net die Re­geln in­ner­halb ei­nes Be­griffs­fel­des als lo­gi­sche Re­geln, die Re­geln zwi­schen Fel­dern als Sche­ma­ta. Die­sen Re­la­ti­o­nen ent­spre­chen im üb­ri­gen in der trans­zen­den­ta­len An­nä­he­rung die syn­the­ti­schen Ur­tei­le a pri­o­ri. Im Ge­gen­satz zu den ana­ly­ti­schen be­griff­li­chen Ur­tei­len (Er­läu­te­rungs­ur­tei­le), die die in ei­nem Be­griff be­reits de­fi­ni­to­risch be­in­hal­te­ten Teil­be­grif­fe le­dig­lich ex­pli­zit ma­chen (et­wa, dass ein Jung­ge­sel­le not­wen­di­ger­wei­se un­ver­hei­ra­tet ist), fü­gen syn­the­ti­sche be­griff­li­che Ur­tei­le (Er­wei­te­rungs­ur­tei­le) “zu dem Be­grif­fe des Sub­jekts ein Prä­di­kat [hin­zu], wel­ches in je­nem gar nicht ge­dacht war und durch kei­ne Zer­glie­de­rung des­sel­ben hät­te kön­nen he­r­aus­ge­zo­gen werden”; vgl. [Kant, KrV]Kant, Immanuel (1968).
    Kritik der reinen Vernunft. Berlin: de Gruyter, A: 1781, B: 1787.

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    : A7/B10f.
  5. Zu die­ser For­mu­lie­rung vgl. [Kant 1960a]Kant, Immanuel (1960).
    Logik.
    In Kant: Werke in 12 Bänden, Bd. VI.

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    : Ein­lei­tung, § VIII: “Denn wenn ich ei­nen deut­li­chen Be­griff ma­che: so fan­ge ich von den Tei­len an und ge­he von die­sen zum Gan­zen fort. Es sind hier noch kei­ne Merk­ma­le vor­han­den; ich er­hal­te die­sel­ben erst durch die Syn­the­sis. Aus die­sem syn­the­ti­schen Ver­fah­ren geht al­so die syn­the­ti­sche Deut­lich­keit her­vor, wel­che mei­nen Be­griff durch das, was über den­sel­ben in der (rei­nen oder em­pi­ri­schen) An­schau­ung als Merk­mal hin­zu­kommt, dem In­hal­te nach wirk­lich er­wei­tert. (...) Wenn ich aber ei­nen Be­griff deut­lich ma­che: So wächst durch die­se blo­ße Zer­glie­de­rung mein Er­kenn­tnis ganz und gar nicht dem In­hal­te nach. Die­ser bleibt der­sel­be; nur die Form wird ver­än­dert, in­dem ich das, was in dem ge­ge­be­nen Be­grif­fe schon lag, nur bes­ser un­ter­schei­den oder mit kla­re­rem Be­wusst­sein er­ken­nen ler­ne.”
  6. Das Prob­lem der ein­fach­sten Be­grif­fe kann in un­se­rem Zu­sam­men­hang ig­no­riert wer­den; vgl. [Ros 1989/90a]Ros, Arno (1989/90).
    Begründung und Begriff. Wandlungen des Verständnisses begrifflicher Argumentationen. Hamburg: Meiner, 3 Bände.

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    : B. II.
  7. Da­bei ist ‘se­hen’ hier all­ge­mein als ‘auf­fas­sen’ zu ver­ste­hen; vgl. auch die Be­hand­lung von ‘Se­hen als’: ⊳ Se­hen.
Literatur                             [Sammlung]

[Boehm 2007a]: Boehm, Gottfried (2007). Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens. Berlin: Berlin University Press.

[Kant 1960a]: Kant, Immanuel (1960). Logik. In: Weischedel, W. (Hg.): Kant: Werke in 12 Bänden. Wiesbaden: Suhrkamp, Bd. VI. [Kant, KrV]: Kant, Immanuel (1968). Kritik der reinen Vernunft. Berlin: de Gruyter, A: 1781, B: 1787. [Ros 1989/90a]: Ros, Arno (1989/90). Begründung und Begriff. Wandlungen des Verständnisses begrifflicher Argumentationen. Hamburg: Meiner, 3 Bände.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Ausgabe 1: 2013

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [32], Klaus Sachs-Hombach [7], Eva Schürmann [6] und Emilia Didier [3] — (Hinweis)