Bildlichkeit: Bedingungen und Folgen

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
Version vom 19. Juli 2013, 09:02 Uhr von Klaus Sachs-Hombach (Diskussion | Beiträge) (Begriffssynthese: transzendental oder begriffsgenetisch)
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Theorieperspektive im Glossar der Bildphilosophie


Bildqualitäten und Nutzerkompetenzen

Bildlichkeit ist vom alltäglichen Sprachgefühl her all das, was unabdingbar ist, um einen Gegenstand zum Bild zu erklären. Gegenstände sind jedoch nicht einfach von sich aus Bilder, sondern werden von jemandem als Bilder begriffen. Daher sollte die Frage nach der Bildlichkeit genauer besehen lauten: Welche Qualitäten eines als Bild aufgefassten Gegenstandes erfordern welche Kompetenzen bei dem Wesen, das den Gegenstand als Bild begreift? So sind gemeinhin bestimmte Wahrnehmungskompetenzen vonnöten – etwa die, visuelle Ähnlichkeiten als solche zu erkennen; aber auch die Kompetenzen zu bestimmten Arten kommunikativ-medialen Verhaltens oder zum Zeichengebrauch werden – wie auch an der Gliederung dieses Glossars in Theorieperspektiven deutlich – regelmäßig als konstitutiv gesehen. Wie also hängen diese verschiedenen Kompetenzen untereinander und mit den für Bilder als charakteristisch eingestuften Eigenschaften zusammen?

Der Ausdruck ‘Bildlichkeit’ und die darunter gefassten Begriffe

Es geht um die Klärung der begrifflichen Relationen rund um den Begriff »Bild«, sowie um die Begründungen dafür.[1] Allerdings treten dabei diverse Varianten auf – es handelt sich also auch hier eher um eine ganze Familie von Begriffen.

Die Sinnhaftigkeit der Zuschreibungen von Eigenschaften von (oder Relation zwischen) Begriffen kann nicht einfach empirisch geprüft werden, immerhin handelt es sich um Bestimmungen der interpersonellen Bezugspunkte, anhand derer wir die Geltung empirischer prädikativer Äußerungen überhaupt feststellen. Vielmehr können nur recht komplexe Betrachtungen zum korrekten Aufbau von Begriffen darüber entscheiden, ob wir zurecht von einer fraglichen begrifflichen Relation etwa zum Begriff »Bildlichkeit« ausgehen oder nicht. Verschiedene Varianten solcher begriffssynthetischer Verfahren spielen daher für die Diskussion der Bildlichkeit eine wichtige Rolle. Insbesondere die transzendentalphilosophischen Betrachtungen zu den Bedingungen der Möglichkeit eines Begriffs und die argumentationstheoretisch motivierten begriffsgenetischen Betrachtungen können zur Begründung der begrifflichen Zusammenhänge um den Bildlichkeitsbegriff beitragen.

Eine Komplikation: Die Extension von Bildlichkeit

Allerdings ist zuvor eine Komplikation zu berücksichtigen, die die Fachdiskussionen zur Bildlichkeit zusätzlich erschweren. Der Ausdruck wird nämlich nicht nur dazu verwendet, um Bezug zu nehmen auf die charakteristischen Eigenheiten, die einem Gegenstand überhaupt zukommen, wenn er als ein Bild gewertet wird (bzw. die Kompetenzen, die Wesen benötigen, um jene Eigenschaften zuschreiben zu können). Unter der impliziten Voraussetzung, dass es Bilder gibt, die auf besondere Weise deutlich werden lassen, was Bildsein ausmacht, konzentriert sich ein Teil der Diskussion auf den Komplex von Bildeigenschaften, die speziell diesen sogenannten Bildern im emphatischen Sinn zukommen. “Bildlichkeit” in diesem zweiten Sinn wäre also gar keine Qualität aller Bilder; die Extension der betrachteten Bildklasse ist deutlich reduziert und deckt in etwa die des Begriffs des Bildes in reflexiver Verwendung ab. Offen bleibt dabei die Frage, ob die sich auf diese Weise an der speziellen Teilmenge herauskristallisierenden begrifflichen Bestimmungen in der Tat als charakteristisch für alle Bilder gelten können. Begründungen dafür hängen von den erwähnten begriffssynthetischen Argumenten ab.


Begriffssynthese: transzendental oder begriffsgenetisch

Versuche der Begründung der Sinnhaftigkeit begrifflicher Zusammenhänge zielen in der Regel darauf ab, den fraglichen Begriff und sein Umfeld – kurz: das betrachtete Begriffsfeld – als auf bestimmte Weise entstanden zu verstehen, wobei die Entstehungsbedingungen oder -verfahren ein Kriterium der Korrektheit dieses speziellen Systems von abstrakten Bezugspunkten zur Beurteilung der Geltung entsprechender empirischer Äußerungen bereitstellen. Sehen wir von der antiken Philosophie ab, in der von Begriffen noch nicht die Rede ist,[2] bleiben in der Philosophietradition insbesondere zwei Ansätze:

Transzendental-philosophischer Ansatz

Im Rahmen der Bewusstseinsphilosophie entwickelte Kant ([Kant, KrV]) den Ansatz der transzendentalen Begriffssynthese: Dabei soll die “Konstruktion” eines Begriffs im je einzelnen menschlichen Geist ausgerichtet werden an einer in “der Vernunft” überpersönlich feststehenden transzendenten Relation zwischen einfacheren Begriffen, einem Schema, nach dem aus jenen Begriffen ein komplexer Begriff mit emergenten Eigenschaften synthetisiert wird.[3] Nur wer sich “einen deutlichen Begriff macht”,[4] indem er den vernünftigen Konstruktionsprinzipien folgend die Ausgangsbegriffe erweitert, gelangt zu sinnvollen komplexen Begriffen.[5] Die im Schema zusammengestellten Begriffe und das Schema selbst bilden daher die transzendentalen “Bedingungen der Möglichkeit” eines Begriffs: Seine begrifflichen Bestimmungen sind sinnvoll, wenn sie der korrekten Synthese gemäß dem Schema folgen.

Der transzendentalphilosophisch ausgerichteten Bildlichkeitsdebatte geht es um die entsprechenden über das transzendentale Schema verbundenen Grundbegriffe, die als Bedingungen der Möglichkeit in den Bildbegriff eingehen und so die charakteristischen Eigenschaften von Bildern ganz allgemein bestimmen.

Argumentationstheoretisch-begriffsgenetischer Ansatz

Während bei Kant die Begriffssynthese statisch “im Geist” bzw. “in der menschlichen Vernunft” als solcher festgeschrieben ist, wird die Begriffskonstruktion mit dem durch Wittgenstein eingeleiteten “linguistic turn” dynamisiert: Die Synthese findet demnach interindividuell in konkreten Argumentationsverläufen statt, genauer in der Rekapitulation einer Begründungssituation für das Einführen eines als gemeinsam zu etablierenden “neuen” (in der Regel komplexeren) Begriffsfeldes auf der Basis der von den jeweiligen Diskussionspartnern bereits geteilten (einfacheren) Begriffsfeldern (vgl. [Ros 1989/90a]: B. III). In einer begriffsgenetischen Betrachtung versuchen die beteiligten Gesprächspartner, sich über die Sinnhaftigkeit eines strittigen Begriffsfeldes zu einigen, indem sie einen gemeinsam als akzeptabel bewerteten Vorschlag ausarbeiten oder rekapitulieren, wie man rational zu einem solchen Begriff kommen könnte. Dabei werden Erfahrungsbefunde, die sich mit den bereits geteilten Begriffsfeldern herstellen lassen, mittels des Vorschlags für eine Bildungsgeschichte zu einer neuen Art, die Welt zu sehen, verknüpft; eine Sicht, die gemeinsam als vorteilhaft bewertet werden kann: Das, was man mithilfe der bereits geteilten Begriffe schon kennt, kann mithilfe des neu gebildeten Begriffsfeldes als etwas anderes gesehen werden,[6] etwas, das in deutlich komplexeren Zusammenhängen begriffen werden kann, als es zuvor möglich war.

Entsprechend ist in den zumeist anthropologisch geprägten begriffsgenetischen Ansätzen zur Bildlichkeitsdebatte häufig die Rede vom Begriff von Wesen, denen Bildkompetenzen noch nicht zugeschrieben werden können und den als Vorschlag einer genetischen Erzählung formulierten argumentativen Übergängen zu einem Begriff bildnutzender Wesen. Dabei wird in der Regel auf verschiedene Stufentheorien der Ethologie, wie auch der Sprachphilosophie und der philosophischen Anthropologie zurückgegriffen, um etwa zu motivieren, wieso eine bestimmte Kombination von elementaren Kommunikationsverhalten und einfachen Wahrnehmungskompetenzen zu einem sinnvollen Begriff der Bildfähigkeit führt.

Zur den Hauptpunkten

Entsprechend gliedert sich diese Theorieperspektive in zwei Hauptpunkte: Einerseits werden die synthetisch mit dem Bildbegriff verbundenen Grundbegriffe betrachtet, die also wahlweise als transzendentale Bedingungen der Möglichkeit des Bild- oder Bildlichkeitsbegriffs verstanden werden oder als Elemente, die in begriffsgenetische Begründungen des Bildbegriffs eingehen. Es handelt sich demnach im wesentlichen um Begriffe, die stets “mitschwingen”, wenn von Bildern (oder Bildlichkeit) die Rede ist und die, zumindest in der begriffsgenetischen Variante, zu einem strukturell einfacheren Argumentationszusammenhang gehören.

Andererseits erlaubt die Synthese des Bildbegriffs es, weitere davon argumentativ abhängige Begriffe zu bilden. Das betrifft insbesondere Fälle, in denen Teile der Argumentationsstrukturen um den Bildbegriff auf andere Domänen übertragen werden (dazu auch ⊳ Metaphorologie). Zudem werden einige der zur Begriffsgenese verwendeten Begriffe durch die Synthese zu komplexeren Varianten transformiert. Diesen Auswirkungen der Begriffssynthese widmet sich vor allem der begriffsgenetische Teil der Bildlichkeitsdiskussion.


Anmerkungen
  1. Begrifflichen Zusammenhänge werden normalerweise in Form von Begriffsbestimmungen (im Extremfall etwa einer Definition) artikuliert; ⊳ Prädikation und Proposition.
  2. Anachronistisch formuliert: Der Begriff der platonischen Ideen als Vorläufer des Begriffs des Begriffs, wie er sich in der Neuzeit herausbildet hat, unterschiedet sich von letzterem insbesondere dadurch, dass Ideen nicht geschaffen sind. Sinnhaftigkeit kann also nicht über die Korrektheit eines Erzeugungsverfahrens bestimmt werden; vgl. [Ros 1989/90a]: B. II, Kap. 3.
  3. Kant bezeichnet die Regeln innerhalb eines Begriffsfeldes als logische Regeln, die Regeln zwischen Feldern als Schemata. Diesen Relationen entsprechen im übrigen in der transzendentalen Annäherung die synthetischen Urteile a priori. Im Gegensatz zu den analytischen begrifflichen Urteilen (Erläuterungsurteile), die die in einem Begriff bereits definitorisch beinhalteten Teilbegriffe lediglich explizit machen (etwa, dass ein Junggeselle notwendigerweise unverheiratet ist), fügen synthetische begriffliche Urteile (Erweiterungsurteile) “zu dem Begriffe des Subjekts ein Prädikat [hinzu], welches in jenem gar nicht gedacht war und durch keine Zergliederung desselben hätte können herausgezogen werden”; vgl. [Kant, KrV]: A7/B10f.
  4. Zu dieser Formulierung vgl. [Kant 1960a]: Einleitung, § VIII: “Denn wenn ich einen deutlichen Begriff mache: so fange ich von den Teilen an und gehe von diesen zum Ganzen fort. Es sind hier noch keine Merkmale vorhanden; ich erhalte dieselben erst durch die Synthesis. Aus diesem synthetischen Verfahren geht also die synthetische Deutlichkeit hervor, welche meinen Begriff durch das, was über denselben in der (reinen oder empirischen) Anschauung als Merkmal hinzukommt, dem Inhalte nach wirklich erweitert. (...) Wenn ich aber einen Begriff deutlich mache: So wächst durch diese bloße Zergliederung mein Erkenntnis ganz und gar nicht dem Inhalte nach. Dieser bleibt derselbe; nur die Form wird verändert, indem ich das, was in dem gegebenen Begriffe schon lag, nur besser unterscheiden oder mit klarerem Bewusstsein erkennen lerne.”
  5. Das Problem der einfachsten Begriffe kann in unserem Zusammenhang ignoriert werden; vgl. ... .
  6. Dabei ist ‘sehen’ hier allgemein als ‘auffassen’ zu verstehen; vgl. auch die Behandlung von ‘Sehen als’: ⊳ Sehen.
Literatur                             [Sammlung]

[Kant 1960a]: Kant, Immanuel (1960). Logik. In: Weischedel, W. (Hg.): Kant: Werke in 12 Bänden. Wiesbaden: Suhrkamp, Bd. VI.

[Kant, KrV]: Kant, Immanuel (1968). Kritik der reinen Vernunft. Berlin: de Gruyter. [Ros 1989/90a]: Ros, Arno (1989/90). Begründung und Begriff. Wandlungen des Verständnisses begrifflicher Argumentationen. Hamburg: Meiner, 3 Bände.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [32], Klaus Sachs-Hombach [7], Eva Schürmann [6] und Emilia Didier [3] — (Hinweis)