Bildwissenschaft vs. Bildtheorie: Unterschied zwischen den Versionen
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Oberflächlich betrachtet, spiegelt sich in der Distinktion von Sachs-Hombach und Schirra dieselbe methodologische Intention wie bei Wiesing wider. Deren Dichotomie ›Bildwissenschaft vs. Bilderwissenschaft‹ scheint in keiner Weise von Wiesings Differenz ›Bildtheorie vs. Bildwissenschaft‹ abzuweichen. Allein: Dieser Eindruck trügt. Zwar ist es richtig, dass Sachs-Hombach und Schirra mit der Wendung ''Bilder''wissenschaft ebenso wie Wiesing mit seinem Konzept ''Bildwissenschaft'' eine im weitesten Sinne ''empirische'' Betrachtungsweise einzufangen versuchen. In Bezug auf die eher ''systematisch-begrifflich'' akzentuierten Termini ''Bild''wissenschaft (Sachs-Hombach & Schirra) resp. Bild''theorie'' (Wiesing) lässt sich allerdings ein gewichtiger Unterschied feststellen: Für Wiesing führt eine bild''theoretische'' Betrachtungsweise in erster Linie zu der Forschungsfrage: "''Was soll als Bild bezeichnet werden?''" (<bib id='Wiesing 2005a'></bib>: S. 14; Hervorhebungen im Original) Sinn und Zweck der Bild''theorie'' ist es ferner, diejenigen allgemeinen Kriterien zu ermitteln, die es erlauben, ein bestimmtes Phänomen ''als Bild'' zu bestimmen. Bild''theoretische'' Forschung konzentriert sich hier demgemäß vorwiegend auf Fragen der Kategorisierung bzw. Klassifikation. | Oberflächlich betrachtet, spiegelt sich in der Distinktion von Sachs-Hombach und Schirra dieselbe methodologische Intention wie bei Wiesing wider. Deren Dichotomie ›Bildwissenschaft vs. Bilderwissenschaft‹ scheint in keiner Weise von Wiesings Differenz ›Bildtheorie vs. Bildwissenschaft‹ abzuweichen. Allein: Dieser Eindruck trügt. Zwar ist es richtig, dass Sachs-Hombach und Schirra mit der Wendung ''Bilder''wissenschaft ebenso wie Wiesing mit seinem Konzept ''Bildwissenschaft'' eine im weitesten Sinne ''empirische'' Betrachtungsweise einzufangen versuchen. In Bezug auf die eher ''systematisch-begrifflich'' akzentuierten Termini ''Bild''wissenschaft (Sachs-Hombach & Schirra) resp. Bild''theorie'' (Wiesing) lässt sich allerdings ein gewichtiger Unterschied feststellen: Für Wiesing führt eine bild''theoretische'' Betrachtungsweise in erster Linie zu der Forschungsfrage: "''Was soll als Bild bezeichnet werden?''" (<bib id='Wiesing 2005a'></bib>: S. 14; Hervorhebungen im Original) Sinn und Zweck der Bild''theorie'' ist es ferner, diejenigen allgemeinen Kriterien zu ermitteln, die es erlauben, ein bestimmtes Phänomen ''als Bild'' zu bestimmen. Bild''theoretische'' Forschung konzentriert sich hier demgemäß vorwiegend auf Fragen der Kategorisierung bzw. Klassifikation. | ||
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− | Bei Sachs-Hombach und Schirra findet sich demgegenüber eine andere Schwerpunktsetzung. Ihnen geht es primär um die bildpragmatische Frage, über welche kognitiven und perzeptiven Kompetenzen ein Wesen verfügen muss, um eine | + | Bei Sachs-Hombach und Schirra findet sich demgegenüber eine andere Schwerpunktsetzung. Ihnen geht es primär um die bildpragmatische Frage, über welche kognitiven und perzeptiven Kompetenzen ein Wesen verfügen muss, um eine grundsätzliche [[Bildfähigkeit]] unter Beweis stellen zu können. Dreht sich Wiesings Bild''theorie'' vordergründig um Probleme der Kategorisierung, zielen Sachs-Hombach und Schirra in letzter Konsequenz auf eine ''anthropologische'' Zuspitzung ihrer Konzeption einer allgemeinen ''Bild''wissenschaft ab ([[Bildanthropologie]]). Obwohl auch sie die systematische Untersuchung von bildbegrifflichen Forschungsfragen mit ihrem Terminus ''Bild''wissenschaft ausdrücklich in einen philosophischen Kontext rücken, dient ihnen das Studium des Bildes nicht alleine dem Zweck, sämtliche kategorialen Bedingungen des Bildbegriffs zu ermitteln. Vielmehr hoffen sie, durch ihre wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Bildes allgemeine Einsichten über das Wesen des Menschen zu erlangen. Insofern knüpfen sie an bildanthropologische Überlegungen an, die auf den Philosophen Hans Jonas (1903-1993) zurückgehen. Jonas, der gemeinhin als Begründer der [[Bildanthropologie]] bezeichnet wird, verstand den Menschen als einen ''homo pictor''. In dieser Bezeichnung verdichtet sich die auch von Sachs-Hombach und Schirra geteilte Überzeugung, dass die Fähigkeit zur Produktion und Rezeption von Bildwerken als sicherer Beweis für die "mehr-als-tierische" (<bib id='Jonas 1961a'></bib>: S. 162) Natur des Menschen zu deuten sei. |
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+ | Diese Behauptung ist insofern bemerkenswert, als in weiten Teilen der Geistes- und Kulturwissenschaften der Standpunkt vertreten wird, dass die ''differentia specifica'' des Menschen alleine in der Sprache zu finden sei. Indem das Konzept des ''homo pictor'' diese Auffassung durch die These in Frage stellt, dass "die Fähigkeit der Bildverwendung […] ein anthropologisches Grundprinzip [darstellt], von dem auch die Herausbildung der Sprachfähigkeit abhängt" (<bib id='Sachs-Hombach & Schirra 2009a'></bib>: S. 395), trägt es schließlich zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Positionen bei, die vielerorts bereits seit Jahrhunderten vertreten werden<ref>Vgl. zum Beispiel <bib id='Herder 2001a'></bib>: S. 20: „[…] da die Menschen für uns die einzigen Sprachgeschöpfe sind, die wir kennen, und sich eben durch Sprache von allen Tieren unterscheiden […].“ Ähnlich äußerte sich der österreichisch-britische Philosoph und Begründer des ''Kritischen Rationalismus'', Sir Karl R. Popper, in einem Gespräch mit Konrad Lorenz: "[…] der Mensch – das ist vor allem die Sprache" <bib id='Popper 2002a'></bib>: S. 52.</ref> und heutzutage speziell auf dem Gebiet der Philosophie den Status eines unumstößlichen Gemeinplatzes besitzen<ref>So manifestiert sich die humanspezifische Rationalität des Menschen für Jürgen Habermas oder Robert Brandom – zwei der einflussreichsten Philosophen unserer Zeit – in erster Linie in der Sprache. Vgl. <bib id='Habermas 1995a'></bib>; <bib id='Brandom 2000a'></bib>.</ref>. | ||
Version vom 11. April 2011, 20:37 Uhr
Unterpunkt zu: Bildphilosophische Abgrenzungen
Darstellung des gr. ZusammenhangsDie bildwissenschaftliche Forschungsdebatte ist durch ein hohes Maß an Heterogenität charakterisiert. Nicht nur gibt es eine kontroverse Diskussion über die Frage, welche Disziplin(en) und Methode(n) den Ausgangspunkt einer allgemeinen Bildwissenschaft zu bilden haben; auch herrscht große Uneinigkeit darüber, mit welchem Oberbegriff die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Bildes versehen werden sollte. In der Tat werden die verschiedensten Ansätze und Methoden häufig einheitlich als »Bildwissenschaft« bezeichnet. Diese Vorgehensweise stößt bei einigen Bildwissenschaftlern auf Kritik. Ihrer Meinung nach werden die Differenzen, die zwischen höchst unterschiedlich aufgebauten bildwissenschaftlichen Konzeptionen bestehen, durch eine mangelnde terminologische Trennschärfe nur schwer ersichtlich oder sogar unkenntlich gemacht. Aus diesem Grund fordern sie dazu auf, vorhandene programmatische Differenzen terminologisch klar zu kennzeichnen. Bildwissenschaft vs. BildtheorieDer vielleicht einfachste Vorschlag zur terminologischen Differenzierung von höchst unterschiedlich aufgebauten bildwissenschaftlichen Konzeptionen stammt von dem Philosophen Lambert Wiesing. Um den programmatischen und methodischen Unterschieden zwischen empirisch-historisch und theoretisch-begrifflich ausgerichteten bildwissenschaftlichen Forschungsansätzen bereits terminologisch Rechnung zu tragen, schlägt Wiesing vor, eine bildwissenschaftliche und eine bildtheoretische Untersuchungsebene voneinander zu differenzieren. Dabei zählt er zur Bildwissenschaft solche Disziplinen, die Bilder als "konkrete Dinge" ([Wiesing 2008a]: S. IV) zur Grundlage haben. Bilder werden hier als "reale Gegenstände in ihrer Entstehung, in ihren psychologischen Wirkungen, in ihren medialen Voraussetzungen, in ihrer inhaltlich und sozialen Bedeutung, in ihren historischen Zusammenhängen und noch zahlreichen anderen empirischen Aspekten erforscht [...]." ([Wiesing 2008a]: ebd.) Eine Kunsthistorikerin, die zum Beispiel über die sozialen und politischen Ursachen und Auswirkungen des byzantinischen oder reformatorischen Bilderstreits forscht, würde dieser Erklärung zufolge bildwissenschaftliche Studien betreiben. Im Zentrum ihrer Analysen stehen eine Reihe von konkreten Bildwerken, die unter anderem im Hinblick auf ihre Urheberschaft, ihre materielle Beschaffenheit oder ihren ursprünglichen Aufstellungsort untersucht werden. Das Ziel solchen Forschens kann es etwa sein, einzelne Bildwerke oder sogar einen geschlossenen Korpus von Bildern in Bezug auf Stil, Epoche, Authentizität, soziale bzw. politische Funktion usw. zu kategorisieren.
Bilderwissenschaft vs. BildwissenschaftLambert Wiesing ist nicht der einzige Autor, der das weitverzweigte bildwissenschaftliche Forschungsfeld mithilfe von terminologisch klar umrissenen Trennlinien übersichtlicher gestalten möchte. So halten auch Klaus Sachs-Hombach und Jörg R. J. Schirra eine Aufteilung der Bildwissenschaft in zwei Arbeitsfelder, die sich aus ihrer Sicht sowohl inhaltlich als auch methodisch stark voneinander unterscheiden, für sinnvoll. In diesem Zusammenhang greifen sie auf Differenzierungskriterien zurück, die auf den ersten Blick mit denen Wiesings identisch zu sein scheinen, bei näherem Hinsehen jedoch unterschiedliche konzeptionelle Konsequenzen und Schwerpunkte implizieren. Für die Analyse der "spezifische[n] Eigenarten von konkreten Bildwerken" ([Sachs-Hombach & Schirra 2006a]: S. 52) reservieren sie den Pluralis Bilderwissenschaft. Von der Singularform Bildwissenschaft sollte ihres Erachtens indessen "dann die Rede sein, wenn sich das wissenschaftliche Interesse der Frage zuwendet, was es grundsätzlich bedeutet, mit Bildern (als solchen) umgehen zu können." ([Sachs-Hombach & Schirra 2006a]: ebd.; Hervorhebung im Original) Anders als in bilderwissenschaftlichen Analysen stehen auf der bildwissenschaftlichen Untersuchungsebene sodann "gar nicht einzelne Bilder im unmittelbaren Fokus des Interesses, sondern vielmehr die Fähigkeit, Bilder verwenden (d.h. erzeugen und rezipieren) zu können." ([Sachs-Hombach & Schirra 2006a]: ebd.) Im Zentrum bildwissenschaftlicher Forschung stehen insofern Fragen der Bildkompetenz (Auswirkungen der Bildlichkeit) und Bildpragmatik.
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Anmerkungen
[Brandom 2000a]: Brandom, Robert (2000). Expressive Vernunft. Begründung, Repräsentation und diskursive Festlegung (1994). Frankfurt am Main: Suhrkamp, übersetzt von Gilmer, Eva & Vetter, Hermann.
[Bredekamp 2007a]: Bredekamp, Horst (2007). Galilei der Künstler. Der Mond. Die Sonne. Die Hand. Berlin: Akademie.
[Habermas 1995a]: Habermas, Jürgen (1995). Theorie des kommunikativen Handelns (1981), 2 Bd.. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
[Herder 2001a]: Herder, Johann Gottfried (2001). Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772). Stuttgart: Philipp Reclam jun..
[Jonas 1961a]: Jonas, Hans (1961). Die Freiheit des Bildens – Homo pictor und die differentia des Menschen. Zeitschrift für Philosophische Forschung, Band: 15, S. 161–176, Wieder abgedruckt in: Jonas, Hans: Zwischen Nichts und Ewigkeit – Zur Lehre vom Menschen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987, 26–43.
[Mitchell 2008a]: Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Mark A. Halawa [64] und Joerg R.J. Schirra [18] — (Hinweis) |