Bildwissenschaft vs. Bildtheorie: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Der vielleicht einfachste Vorschlag zur terminologischen Differenzierung von höchst unterschiedlich aufgebauten bildwissenschaftlichen Konzeptionen stammt von dem Philosophen Lambert Wiesing. Um den programmatischen und methodischen Unterschieden zwischen ''empirisch-historisch'' und ''theoretisch-begrifflich'' ausgerichteten bildwissenschaftlichen Forschungsansätzen bereits terminologisch Rechnung zu tragen, schlägt Wiesing vor, eine ''bildwissenschaftliche'' und eine ''bildtheoretische'' Untersuchungsebene voneinander zu differenzieren. Dabei zählt er zur Bild''wissenschaft'' solche Disziplinen, die Bilder als "konkrete Dinge" (<bib id='Wiesing 2008a'></bib>: S. IV) zur Grundlage haben. Bilder werden hier als "reale Gegenstände in ihrer Entstehung, in ihren psychologischen Wirkungen, in ihren medialen Voraussetzungen, in ihrer inhaltlich und sozialen Bedeutung, in ihren historischen Zusammenhängen und noch zahlreichen anderen empirischen Aspekten erforscht [...]." (<bib id='Wiesing 2008a'></bib>: ebd.) Eine Kunsthistorikerin, die zum Beispiel über die sozialen und politischen Ursachen und Auswirkungen des byzantinischen oder reformatorischen Bilderstreits forscht, würde dieser Erklärung zufolge bild''wissenschaftliche'' Studien betreiben. Im Zentrum ihrer Analysen stehen eine Reihe von konkreten Bildwerken, die unter anderem im Hinblick auf ihre Urheberschaft, ihre materielle Beschaffenheit oder ihren ursprünglichen Aufstellungsort untersucht werden. Das Ziel solchen Forschens kann es etwa sein, einzelne Bildwerke oder sogar einen geschlossenen Korpus von Bildern in Bezug auf Stil, Epoche, Authentizität, | + | Der vielleicht einfachste Vorschlag zur terminologischen Differenzierung von höchst unterschiedlich aufgebauten bildwissenschaftlichen Konzeptionen stammt von dem Philosophen Lambert Wiesing. Um den programmatischen und methodischen Unterschieden zwischen ''empirisch-historisch'' und ''theoretisch-begrifflich'' ausgerichteten bildwissenschaftlichen Forschungsansätzen bereits terminologisch Rechnung zu tragen, schlägt Wiesing vor, eine ''bildwissenschaftliche'' und eine ''bildtheoretische'' Untersuchungsebene voneinander zu differenzieren. Dabei zählt er zur Bild''wissenschaft'' solche Disziplinen, die Bilder als "konkrete Dinge" (<bib id='Wiesing 2008a'></bib>: S. IV) zur Grundlage haben. Bilder werden hier als "reale Gegenstände in ihrer Entstehung, in ihren psychologischen Wirkungen, in ihren medialen Voraussetzungen, in ihrer inhaltlich und sozialen Bedeutung, in ihren historischen Zusammenhängen und noch zahlreichen anderen empirischen Aspekten erforscht [...]." (<bib id='Wiesing 2008a'></bib>: ebd.) Eine Kunsthistorikerin, die zum Beispiel über die sozialen und politischen Ursachen und Auswirkungen des byzantinischen oder reformatorischen Bilderstreits forscht, würde dieser Erklärung zufolge bild''wissenschaftliche'' Studien betreiben. Im Zentrum ihrer Analysen stehen eine Reihe von konkreten Bildwerken, die unter anderem im Hinblick auf ihre Urheberschaft, ihre materielle Beschaffenheit oder ihren ursprünglichen Aufstellungsort untersucht werden. Das Ziel solchen Forschens kann es etwa sein, einzelne Bildwerke oder sogar einen geschlossenen Korpus von Bildern in Bezug auf Stil, Epoche, Authentizität, politische Funktion usw. zu kategorisieren. |
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Eine gänzlich andere Betrachtungs- und Vorgehensweise lässt sich laut Wiesing auf der bild''theoretischen'' Untersuchungsebene beobachten. Hier "interessiert [man] sich nicht für das konkrete Bild, sondern für das Bild als Medium" (<bib id='Wiesing 2008a'></bib>: ebd.). Die Aufmerksamkeit richtet sich nicht auf das einzelne, empirisch zugängliche Bildwerk, sondern auf das Phänomen der Bildlichkeit. Auf der Ebene der Bild''theorie'' geht es somit ausschließlich "um den Begriff des Bildes" (<bib id='Wiesing 2008a'></bib>: ebd.), nicht um individuelle Besonderheiten eines konkreten Bildwerkes. Beachtung finden konkrete Bilder allenfalls dann, wenn sie sich dazu eignen, allgemeine Aussagen über das Wesen der Bildlichkeit - also über die Frage, "''was etwas zu einem Bild macht'' (<bib id='Wiesing 2008a'></bib>: S. IX; Hervorhebungen im Original) - zu treffen. Meist handelt es sich bei derartigen Bildern um so genannte ''Metabilder'', d.h. Bilder, die sich in besonderer Weise "auf sich selbst oder auf andere Bilder beziehen, [...] um zu zeigen, was ein Bild ist." (<bib id='Mitchell 2008a'></bib>: S. 172) Das wohl berühmteste Beispiel für ein solches Metabild ist das Kipp- bzw. Vexierbild, das häufig herangezogen wird, um die Besonderheit der Bildwahrnehmung zu illustrieren ([[Kippbild]], [[Vexierbild]]). | Eine gänzlich andere Betrachtungs- und Vorgehensweise lässt sich laut Wiesing auf der bild''theoretischen'' Untersuchungsebene beobachten. Hier "interessiert [man] sich nicht für das konkrete Bild, sondern für das Bild als Medium" (<bib id='Wiesing 2008a'></bib>: ebd.). Die Aufmerksamkeit richtet sich nicht auf das einzelne, empirisch zugängliche Bildwerk, sondern auf das Phänomen der Bildlichkeit. Auf der Ebene der Bild''theorie'' geht es somit ausschließlich "um den Begriff des Bildes" (<bib id='Wiesing 2008a'></bib>: ebd.), nicht um individuelle Besonderheiten eines konkreten Bildwerkes. Beachtung finden konkrete Bilder allenfalls dann, wenn sie sich dazu eignen, allgemeine Aussagen über das Wesen der Bildlichkeit - also über die Frage, "''was etwas zu einem Bild macht'' (<bib id='Wiesing 2008a'></bib>: S. IX; Hervorhebungen im Original) - zu treffen. Meist handelt es sich bei derartigen Bildern um so genannte ''Metabilder'', d.h. Bilder, die sich in besonderer Weise "auf sich selbst oder auf andere Bilder beziehen, [...] um zu zeigen, was ein Bild ist." (<bib id='Mitchell 2008a'></bib>: S. 172) Das wohl berühmteste Beispiel für ein solches Metabild ist das Kipp- bzw. Vexierbild, das häufig herangezogen wird, um die Besonderheit der Bildwahrnehmung zu illustrieren ([[Kippbild]], [[Vexierbild]]). |
Version vom 11. April 2011, 21:43 Uhr
Unterpunkt zu: Bildphilosophische Abgrenzungen
Darstellung des gr. ZusammenhangsDie bildwissenschaftliche Forschungsdebatte ist durch ein hohes Maß an Heterogenität charakterisiert. Nicht nur gibt es eine kontroverse Diskussion über die Frage, welche Disziplin(en) und Methode(n) den Ausgangspunkt einer allgemeinen Bildwissenschaft zu bilden haben; auch herrscht große Uneinigkeit darüber, mit welchem Oberbegriff die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Bildes versehen werden sollte. In der Tat werden die verschiedensten Ansätze und Methoden häufig einheitlich als »Bildwissenschaft« bezeichnet. Diese Vorgehensweise stößt bei einigen Bildwissenschaftlern auf Kritik. Ihrer Meinung nach werden die Differenzen, die zwischen höchst unterschiedlich aufgebauten bildwissenschaftlichen Konzeptionen bestehen, durch eine mangelnde terminologische Trennschärfe nur schwer ersichtlich oder sogar unkenntlich gemacht. Aus diesem Grund fordern sie dazu auf, vorhandene programmatische Differenzen terminologisch klar zu kennzeichnen. Bildwissenschaft vs. BildtheorieDer vielleicht einfachste Vorschlag zur terminologischen Differenzierung von höchst unterschiedlich aufgebauten bildwissenschaftlichen Konzeptionen stammt von dem Philosophen Lambert Wiesing. Um den programmatischen und methodischen Unterschieden zwischen empirisch-historisch und theoretisch-begrifflich ausgerichteten bildwissenschaftlichen Forschungsansätzen bereits terminologisch Rechnung zu tragen, schlägt Wiesing vor, eine bildwissenschaftliche und eine bildtheoretische Untersuchungsebene voneinander zu differenzieren. Dabei zählt er zur Bildwissenschaft solche Disziplinen, die Bilder als "konkrete Dinge" ([Wiesing 2008a]: S. IV) zur Grundlage haben. Bilder werden hier als "reale Gegenstände in ihrer Entstehung, in ihren psychologischen Wirkungen, in ihren medialen Voraussetzungen, in ihrer inhaltlich und sozialen Bedeutung, in ihren historischen Zusammenhängen und noch zahlreichen anderen empirischen Aspekten erforscht [...]." ([Wiesing 2008a]: ebd.) Eine Kunsthistorikerin, die zum Beispiel über die sozialen und politischen Ursachen und Auswirkungen des byzantinischen oder reformatorischen Bilderstreits forscht, würde dieser Erklärung zufolge bildwissenschaftliche Studien betreiben. Im Zentrum ihrer Analysen stehen eine Reihe von konkreten Bildwerken, die unter anderem im Hinblick auf ihre Urheberschaft, ihre materielle Beschaffenheit oder ihren ursprünglichen Aufstellungsort untersucht werden. Das Ziel solchen Forschens kann es etwa sein, einzelne Bildwerke oder sogar einen geschlossenen Korpus von Bildern in Bezug auf Stil, Epoche, Authentizität, politische Funktion usw. zu kategorisieren.
Bilderwissenschaft vs. BildwissenschaftLambert Wiesing ist nicht der einzige Autor, der das weitverzweigte bildwissenschaftliche Forschungsfeld mithilfe von terminologisch klar umrissenen Trennlinien übersichtlicher gestalten möchte. So halten auch Klaus Sachs-Hombach und Jörg R. J. Schirra eine Aufteilung der Bildwissenschaft in zwei Arbeitsfelder, die sich aus ihrer Sicht sowohl inhaltlich als auch methodisch stark voneinander unterscheiden, für sinnvoll. In diesem Zusammenhang greifen sie auf Differenzierungskriterien zurück, die auf den ersten Blick mit denen Wiesings identisch zu sein scheinen, bei näherem Hinsehen jedoch unterschiedliche konzeptionelle Konsequenzen und Schwerpunkte implizieren. Für die Analyse der "spezifische[n] Eigenarten von konkreten Bildwerken" ([Sachs-Hombach & Schirra 2006a]: S. 52) reservieren sie den Pluralis Bilderwissenschaft. Von der Singularform Bildwissenschaft sollte ihres Erachtens indessen "dann die Rede sein, wenn sich das wissenschaftliche Interesse der Frage zuwendet, was es grundsätzlich bedeutet, mit Bildern (als solchen) umgehen zu können." ([Sachs-Hombach & Schirra 2006a]: ebd.; Hervorhebung im Original) Anders als in bilderwissenschaftlichen Analysen stehen auf der bildwissenschaftlichen Untersuchungsebene sodann "gar nicht einzelne Bilder im unmittelbaren Fokus des Interesses, sondern vielmehr die Fähigkeit, Bilder verwenden (d.h. erzeugen und rezipieren) zu können." ([Sachs-Hombach & Schirra 2006a]: ebd.) Im Zentrum bildwissenschaftlicher Forschung stehen insofern Fragen der Bildkompetenz (Auswirkungen der Bildlichkeit) und Bildpragmatik.
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Anmerkungen
[Brandom 2000a]: Brandom, Robert (2000). Expressive Vernunft. Begründung, Repräsentation und diskursive Festlegung (1994). Frankfurt am Main: Suhrkamp, übersetzt von Gilmer, Eva & Vetter, Hermann.
[Bredekamp 2007a]: Bredekamp, Horst (2007). Galilei der Künstler. Der Mond. Die Sonne. Die Hand. Berlin: Akademie.
[Habermas 1995a]: Habermas, Jürgen (1995). Theorie des kommunikativen Handelns (1981), 2 Bd.. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
[Herder 2001a]: Herder, Johann Gottfried (2001). Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772). Stuttgart: Philipp Reclam jun..
[Jonas 1961a]: Jonas, Hans (1961). Die Freiheit des Bildens – Homo pictor und die differentia des Menschen. Zeitschrift für Philosophische Forschung, Band: 15, S. 161–176, Wieder abgedruckt in: Jonas, Hans: Zwischen Nichts und Ewigkeit – Zur Lehre vom Menschen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987, 26–43.
[Mitchell 2008a]: Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Mark A. Halawa [64] und Joerg R.J. Schirra [18] — (Hinweis) |