Bildwissenschaft vs. Bildtheorie: Unterschied zwischen den Versionen

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(Bildwissenschaft vs. Bildtheorie)
(Bilderwissenschaft vs. Bildwissenschaft)
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Allen kritischen Einwänden zum Trotz bietet Wiesings Differenzierung von ''Bildtheorie'' und ''Bildwissenschaft'' in einem Punkt einen klaren Vorteil: Die Frage, was eine Bilddisziplin leisten kann und soll, lässt sich durch die von ihm vorgeschlagene Grenzziehung verhältnismäßig einfach beantworten. Wer herausfinden möchte, ob Leonardo da Vinci in seiner ''Mona Lisa'' tatsächlich eine ›empirische‹ Frau abgebildet hat oder nicht (und wenn ja: welche), würde nach Wiesings Definition einen bild''wissenschaftlichen'' Beitrag leisten. Wer hingegen erörtern möchte, ob bzw. inwieweit Gemälde, Skulpturen ([[Skulptur]]), [[Vorstellungsbilder]] oder virtuelle Bilder ([[Virtuelles Bild]]) allesamt in gleichem Maße die wesentlichen Kriterien der Bildlichkeit erfüllen, bewegt sich auf dem Gebiet der Bild''theorie''. Die ''Bildtheorie'' ließe sich diesem Bestimmungsverhältnis zufolge schließlich als grundlagentheoretische Basis der Bildwissenschaft verstehen, weil sie stets auf einem allgemeineren, grundsätzlicheren Niveau operiert als die ''Bildwissenschaft''.
 
Allen kritischen Einwänden zum Trotz bietet Wiesings Differenzierung von ''Bildtheorie'' und ''Bildwissenschaft'' in einem Punkt einen klaren Vorteil: Die Frage, was eine Bilddisziplin leisten kann und soll, lässt sich durch die von ihm vorgeschlagene Grenzziehung verhältnismäßig einfach beantworten. Wer herausfinden möchte, ob Leonardo da Vinci in seiner ''Mona Lisa'' tatsächlich eine ›empirische‹ Frau abgebildet hat oder nicht (und wenn ja: welche), würde nach Wiesings Definition einen bild''wissenschaftlichen'' Beitrag leisten. Wer hingegen erörtern möchte, ob bzw. inwieweit Gemälde, Skulpturen ([[Skulptur]]), [[Vorstellungsbilder]] oder virtuelle Bilder ([[Virtuelles Bild]]) allesamt in gleichem Maße die wesentlichen Kriterien der Bildlichkeit erfüllen, bewegt sich auf dem Gebiet der Bild''theorie''. Die ''Bildtheorie'' ließe sich diesem Bestimmungsverhältnis zufolge schließlich als grundlagentheoretische Basis der Bildwissenschaft verstehen, weil sie stets auf einem allgemeineren, grundsätzlicheren Niveau operiert als die ''Bildwissenschaft''.
  
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Lambert Wiesing ist nicht der einzige Autor, der das weitverzweigte bildwissenschaftliche Forschungsfeld mithilfe von terminologisch klar umrissenen Trennlinien übersichtlicher gestalten möchte. So halten auch Klaus Sachs-Hombach und Jörg R. J. Schirra eine Aufteilung der Bildwissenschaft in zwei Arbeitsfelder, die sich aus ihrer Sicht sowohl inhaltlich als auch methodisch stark voneinander unterscheiden, für sinnvoll. In diesem Zusammenhang greifen sie auf Differenzierungskriterien zurück, die auf den ersten Blick mit denen Wiesings identisch zu sein scheinen, bei näherem Hinsehen jedoch unterschiedliche konzeptionelle Konsequenzen und Schwerpunkte implizieren. Für die Analyse der "spezifische[n] Eigenarten von konkreten Bildwerken" (<bib id='Sachs-Hombach & Schirra 2006a'></bib>: S. 52) reservieren Sachs-Hombach und Schirra den Pluralis ''Bilder''wissenschaft. Von der Singularform ''Bild''wissenschaft sollte ihres Erachtens indessen "dann die Rede sein, wenn sich das wissenschaftliche Interesse der Frage zuwendet, was es ''grundsätzlich'' bedeutet, mit Bildern (als solchen) umgehen zu können." (<bib id='Sachs-Hombach & Schirra 2006a'></bib>: ebd.; Hervorhebung im Original) Anders als in ''bilder''wissenschaftlichen Analysen stehen auf der ''bild''wissenschaftlichen Untersuchungsebene sodann "gar nicht einzelne Bilder im unmittelbaren Fokus des Interesses, sondern vielmehr die Fähigkeit, Bilder verwenden (d.h. erzeugen und rezipieren) zu können." (<bib id='Sachs-Hombach & Schirra 2006a'></bib>: ebd.) Im Zentrum ''bild''wissenschaftlicher Forschung stehen insofern Fragen der Bildkompetenz ([[Auswirkungen der Bildlichkeit]]) und [[Bildpragmatik]].
 
Lambert Wiesing ist nicht der einzige Autor, der das weitverzweigte bildwissenschaftliche Forschungsfeld mithilfe von terminologisch klar umrissenen Trennlinien übersichtlicher gestalten möchte. So halten auch Klaus Sachs-Hombach und Jörg R. J. Schirra eine Aufteilung der Bildwissenschaft in zwei Arbeitsfelder, die sich aus ihrer Sicht sowohl inhaltlich als auch methodisch stark voneinander unterscheiden, für sinnvoll. In diesem Zusammenhang greifen sie auf Differenzierungskriterien zurück, die auf den ersten Blick mit denen Wiesings identisch zu sein scheinen, bei näherem Hinsehen jedoch unterschiedliche konzeptionelle Konsequenzen und Schwerpunkte implizieren. Für die Analyse der "spezifische[n] Eigenarten von konkreten Bildwerken" (<bib id='Sachs-Hombach & Schirra 2006a'></bib>: S. 52) reservieren Sachs-Hombach und Schirra den Pluralis ''Bilder''wissenschaft. Von der Singularform ''Bild''wissenschaft sollte ihres Erachtens indessen "dann die Rede sein, wenn sich das wissenschaftliche Interesse der Frage zuwendet, was es ''grundsätzlich'' bedeutet, mit Bildern (als solchen) umgehen zu können." (<bib id='Sachs-Hombach & Schirra 2006a'></bib>: ebd.; Hervorhebung im Original) Anders als in ''bilder''wissenschaftlichen Analysen stehen auf der ''bild''wissenschaftlichen Untersuchungsebene sodann "gar nicht einzelne Bilder im unmittelbaren Fokus des Interesses, sondern vielmehr die Fähigkeit, Bilder verwenden (d.h. erzeugen und rezipieren) zu können." (<bib id='Sachs-Hombach & Schirra 2006a'></bib>: ebd.) Im Zentrum ''bild''wissenschaftlicher Forschung stehen insofern Fragen der Bildkompetenz ([[Auswirkungen der Bildlichkeit]]) und [[Bildpragmatik]].

Version vom 22. Juni 2011, 09:15 Uhr


Unterpunkt zu: Bildphilosophische Abgrenzungen


Darstellung des gr. Zusammenhangs

Die bildwissenschaftliche Forschungsdebatte ist durch ein hohes Maß an Heterogenität charakterisiert. Nicht nur gibt es eine kontroverse Diskussion über die Frage, welche Disziplin(en) und Methode(n) den Ausgangspunkt einer allgemeinen Bildwissenschaft zu bilden haben; auch herrscht große Uneinigkeit darüber, mit welchem Oberbegriff die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Bildes versehen werden sollte. In der Tat werden die verschiedensten Ansätze und Methoden häufig einheitlich als »Bildwissenschaft« bezeichnet. Diese Vorgehensweise stößt bei einigen Bildwissenschaftlern auf Kritik. Ihrer Meinung nach werden die Differenzen, die zwischen höchst unterschiedlich aufgebauten bildwissenschaftlichen Konzeptionen bestehen, durch eine mangelnde terminologische Trennschärfe nur schwer ersichtlich oder sogar unkenntlich gemacht. Aus diesem Grund fordern sie dazu auf, vorhandene programmatische Differenzen terminologisch klar zu kennzeichnen.

Engere Begriffsbestimmung
Bildwissenschaft vs. Bildtheorie

Der vielleicht einfachste Vorschlag zur terminologischen Differenzierung von höchst unterschiedlich aufgebauten bildwissenschaftlichen Konzeptionen stammt von dem Philosophen Lambert Wiesing. Um den programmatischen und methodischen Unterschieden zwischen empirisch-historisch und theoretisch-begrifflich ausgerichteten bildwissenschaftlichen Forschungsansätzen bereits terminologisch Rechnung zu tragen, schlägt Wiesing vor, eine bildwissenschaftliche und eine bildtheoretische Untersuchungsebene voneinander zu differenzieren. Dabei zählt er zur Bildwissenschaft solche Disziplinen, die Bilder als "konkrete Dinge" ([Wiesing 2008a]: S. IV) zur Grundlage haben. Bilder werden hier als "reale Gegenstände in ihrer Entstehung, in ihren psychologischen Wirkungen, in ihren medialen Voraussetzungen, in ihrer inhaltlich und sozialen Bedeutung, in ihren historischen Zusammenhängen und noch zahlreichen anderen empirischen Aspekten erforscht [...]." ([Wiesing 2008a]: ebd.) Eine Kunsthistorikerin, die zum Beispiel über die sozialen und politischen Ursachen und Auswirkungen des byzantinischen oder reformatorischen Bilderstreits forscht, würde dieser Erklärung zufolge bildwissenschaftliche Studien betreiben. Im Zentrum ihrer Analysen stehen eine Reihe von konkreten Bildwerken, die unter anderem im Hinblick auf ihre Urheberschaft, ihre materielle Beschaffenheit oder ihren ursprünglichen Aufstellungsort untersucht werden. Das Ziel solchen Forschens kann es etwa sein, einzelne Bildwerke oder sogar einen geschlossenen Korpus von Bildern in Bezug auf Stil, Epoche, Authentizität, politische Funktion usw. zu kategorisieren.
Eine gänzlich andere Betrachtungs- und Vorgehensweise lässt sich laut Wiesing auf der bildtheoretischen Untersuchungsebene beobachten. Hier "interessiert [man] sich nicht für das konkrete Bild, sondern für das Bild als Medium" ([Wiesing 2008a]: ebd.). Die Aufmerksamkeit richtet sich nicht auf das einzelne, empirisch zugängliche Bildwerk, sondern auf das Phänomen der Bildlichkeit. Auf der Ebene der Bildtheorie geht es somit ausschließlich "um den Begriff des Bildes" ([Wiesing 2008a]: ebd.), nicht um individuelle Besonderheiten eines konkreten Bildwerkes. Beachtung finden konkrete Bilder allenfalls dann, wenn sie sich dazu eignen, allgemeine Aussagen über das Wesen der Bildlichkeit - also über die Frage, "was etwas zu einem Bild macht ([Wiesing 2008a]: S. IX; Hervorhebungen im Original) - zu treffen. Meist handelt es sich bei derartigen Bildern um so genannte Metabilder, d.h. um Bilder, die sich in besonderer Weise "auf sich selbst oder auf andere Bilder beziehen, [...] um zu zeigen, was ein Bild ist." ([Mitchell 2008a]: S. 172) Das wohl berühmteste Beispiel für ein solches Metabild ist das Kipp- bzw. Vexierbild, das häufig herangezogen wird, um die Besonderheit der Bildwahrnehmung zu illustrieren (Kippbild, Vexierbild).
Der größte und wichtigste Unterschied zwischen der bildwissenschaftlichen und der bildtheoretischen Untersuchungsebene besteht nach Wiesing darin, dass die Bildtheorie einen "Schritt ins Kategoriale" ([Wiesing 2005a]: S. 13) nach sich zieht, "der notwendigerweise einen Wechsel der Methoden verlangt" ([Wiesing 2005a]: ebd.). Da die Bildtheorie - anders als die Bildwissenschaft - eine Klärung des Bildbegriffs anstrebt, macht sie sich auf die Suche nach Kriterien, die für alle Phänomene, die unter den Begriff des Bildes fallen, gültig sein sollen. Im Vordergrund steht in der Bildtheorie also "die Frage, was aus welchen Gründen ein Bild ist […]" ([Wiesing 2005a]: S. 14). Wiesing ist davon überzeugt, dass es sich hierbei um eine Frage handelt, die sich in keiner Weise empirisch, sondern "ausschließlich argumentativ beantworten" ([Wiesing 2005a]: ebd.) lässt. Ausdrücklich heißt es: "Jeglicher Versuch einer empirischen Untersuchung sämtlicher Bilder würde notgedrungen an einem Problem scheitern, welches spezifisch für die meisten philosophischen Probleme ist. Es geht nicht um die Erforschung dessen, was schon kategorisiert ist, sondern um die Erforschung der Kategorisierung: eben um den Begriff des Bildes." ([Wiesing 2005a]: ebd.) Es sind folglich abstrakte Gründe, die darüber entscheiden, unter welchen Prämissen welche Phänomene zu Recht oder zu Unrecht unter den Begriff des Bildes gefasst werden. Demgegenüber können konkrete Bildwerke lediglich einen empirischen, keineswegs aber einen begrifflichen Wert besitzen.
Für Wiesing besteht die entscheidende Pointe, die aus der Grenzziehung zwischen Bildtheorie auf der einen und Bildwissenschaft auf der anderen Seite folgt, darin, dass die bildtheoretische Untersuchungsebene aufgrund ihres postulierten argumentativen Grundcharakters "gar nicht anders als philosophisch geschehen kann" ([Wiesing 2005a]: S. 16; meine Hervorhebung). Begründet wird diese These durch den Hinweis, dass die systematische Auseinandersetzung mit Begriffsfragen für die besondere Art und Weise philosophischen Forschens geradezu konstitutiv sei. Bildtheorie wäre demnach immer auch Bildphilosophie, wobei zu vermerken ist, dass eine Philosophie des Bildes nach Wiesings Dafürhalten stets mit einer Phänomenologie des Bildes einhergeht (Phänomenologische Bildtheorien, Phänomenologie des Bildes).
Es ist zu empfehlen, Wiesings Differenz zwischen Bildtheorie und Bildwissenschaft lediglich in einem idealtypischen Sinne zu verstehen; Wiesing selbst regt an, zwischen beiden Untersuchungsebenen ein komplementäres Verhältnis zu sehen (vgl. [Wiesing 2008a]: S. IV). Zum einen wird sich eine lediglich mit begrifflichen Problemen beschäftigende Bildtheorie in letzter Konsequenz auch an ihrem praktischen Nutzen messen lassen müssen. Wer erklären möchte, durch welche Faktoren allgemeine Kriterien für Bildlichkeit bereitgestellt werden, kommt nicht umhin, eben diese Faktoren einem praktischen Test zu unterziehen. Anders gesagt: Eine allgemeine Theorie (oder Philosophie) des Bildes hat herauszustellen, aus welchen Gründen ein konkretes Objekt berechtigterweise als Bild bezeichnet werden kann und warum anderen konkreten Objekten die Kategorisierung als Bild verwehrt bleiben sollte. So sehr zu diesem Zweck abstrakte Argumente vorgebracht werden müssen, so wenig kann sich eine mit dem Begriff des Bildes beschäftigende Bildtheorie bzw. -philosophie von konkreten Anschauungsbezügen ablösen.
Zum anderen ist keinesfalls auszuschließen, dass eine empirisch arbeitende Bildwissenschaft nicht auch bildbegriffliche und damit bildtheoretische Erkenntnisse ans Licht bringen kann. Dazu ein Beispiel: Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat in seinen Arbeiten über Galileo Galilei aufgezeigt, wie wichtig die persönliche Kunstfertigkeit Galileis für die Entstehung seiner bahnbrechenden astronomischen Theorien gewesen ist ([Bredekamp 2007a]). Obwohl Bredekamp in diesem Zusammenhang ausgiebig auf Skizzen, Zeichnungen und Bilder zurückgreift, um diese These zu untermauern, beschränkt sich seine Forschung nicht darin, lediglich empirisch-historisches Material aufzuarbeiten und auszudeuten. Vielmehr wird anhand von konkreten Bildern demonstriert, welch bedeutenden Stellenwert bildliche Darstellungen für die Genese von wissenschaftlichem Wissen besitzen. Thematisiert werden damit nicht nur kunst- und wissenschaftshistorische Problemstellungen, sondern auch Fragen über die erkenntnisstiftende Kraft und Evidenz von Bildern - Fragen also, die seit jeher auch in der Philosophie des Bildes untersucht worden sind und insofern zugleich ein bildtheoretisches Erkenntnisinteresse bedienen.
Allen kritischen Einwänden zum Trotz bietet Wiesings Differenzierung von Bildtheorie und Bildwissenschaft in einem Punkt einen klaren Vorteil: Die Frage, was eine Bilddisziplin leisten kann und soll, lässt sich durch die von ihm vorgeschlagene Grenzziehung verhältnismäßig einfach beantworten. Wer herausfinden möchte, ob Leonardo da Vinci in seiner Mona Lisa tatsächlich eine ›empirische‹ Frau abgebildet hat oder nicht (und wenn ja: welche), würde nach Wiesings Definition einen bildwissenschaftlichen Beitrag leisten. Wer hingegen erörtern möchte, ob bzw. inwieweit Gemälde, Skulpturen (Skulptur), Vorstellungsbilder oder virtuelle Bilder (Virtuelles Bild) allesamt in gleichem Maße die wesentlichen Kriterien der Bildlichkeit erfüllen, bewegt sich auf dem Gebiet der Bildtheorie. Die Bildtheorie ließe sich diesem Bestimmungsverhältnis zufolge schließlich als grundlagentheoretische Basis der Bildwissenschaft verstehen, weil sie stets auf einem allgemeineren, grundsätzlicheren Niveau operiert als die Bildwissenschaft.

Bilderwissenschaft vs. Bildwissenschaft

Lambert Wiesing ist nicht der einzige Autor, der das weitverzweigte bildwissenschaftliche Forschungsfeld mithilfe von terminologisch klar umrissenen Trennlinien übersichtlicher gestalten möchte. So halten auch Klaus Sachs-Hombach und Jörg R. J. Schirra eine Aufteilung der Bildwissenschaft in zwei Arbeitsfelder, die sich aus ihrer Sicht sowohl inhaltlich als auch methodisch stark voneinander unterscheiden, für sinnvoll. In diesem Zusammenhang greifen sie auf Differenzierungskriterien zurück, die auf den ersten Blick mit denen Wiesings identisch zu sein scheinen, bei näherem Hinsehen jedoch unterschiedliche konzeptionelle Konsequenzen und Schwerpunkte implizieren. Für die Analyse der "spezifische[n] Eigenarten von konkreten Bildwerken" ([Sachs-Hombach & Schirra 2006a]: S. 52) reservieren Sachs-Hombach und Schirra den Pluralis Bilderwissenschaft. Von der Singularform Bildwissenschaft sollte ihres Erachtens indessen "dann die Rede sein, wenn sich das wissenschaftliche Interesse der Frage zuwendet, was es grundsätzlich bedeutet, mit Bildern (als solchen) umgehen zu können." ([Sachs-Hombach & Schirra 2006a]: ebd.; Hervorhebung im Original) Anders als in bilderwissenschaftlichen Analysen stehen auf der bildwissenschaftlichen Untersuchungsebene sodann "gar nicht einzelne Bilder im unmittelbaren Fokus des Interesses, sondern vielmehr die Fähigkeit, Bilder verwenden (d.h. erzeugen und rezipieren) zu können." ([Sachs-Hombach & Schirra 2006a]: ebd.) Im Zentrum bildwissenschaftlicher Forschung stehen insofern Fragen der Bildkompetenz (Auswirkungen der Bildlichkeit) und Bildpragmatik.
Oberflächlich betrachtet, spiegelt sich in der Distinktion von Sachs-Hombach und Schirra dieselbe methodologische Intention wie bei Wiesing wider. Deren Dichotomie ›Bildwissenschaft vs. Bilderwissenschaft‹ scheint in keiner Weise von Wiesings Differenz ›Bildtheorie vs. Bildwissenschaft‹ abzuweichen. Allein: Dieser Eindruck trügt. Zwar ist es richtig, dass Sachs-Hombach und Schirra mit der Wendung Bilderwissenschaft ebenso wie Wiesing mit seiner Konzeption der Bildwissenschaft eine im weitesten Sinne empirische Betrachtungsweise einzufangen versuchen. In Bezug auf die eher systematisch-begrifflich akzentuierten Termini Bildwissenschaft (Sachs-Hombach & Schirra) resp. Bildtheorie (Wiesing) lässt sich allerdings ein gewichtiger Unterschied feststellen: Für Wiesing führt eine bildtheoretische Betrachtungsweise in erster Linie zu der Forschungsfrage: "Was soll als Bild bezeichnet werden?" ([Wiesing 2005a]: S. 14; Hervorhebungen im Original) Sinn und Zweck der Bildtheorie ist es ferner, diejenigen allgemeinen Kriterien zu ermitteln, die es erlauben, ein bestimmtes Phänomen als Bild zu bestimmen. Bildtheoretische Forschung konzentriert sich hier demgemäß vorwiegend auf Fragen der Kategorisierung bzw. Klassifikation.
Bei Sachs-Hombach und Schirra findet sich demgegenüber eine andere Schwerpunktsetzung. Ihnen geht es primär um die bildpragmatische Frage, über welche kognitiven und perzeptiven Kompetenzen ein Wesen verfügen muss, um eine grundsätzliche Bildfähigkeit unter Beweis stellen zu können. Dreht sich Wiesings Bildtheorie vordergründig um Probleme der Kategorisierung, zielen Sachs-Hombach und Schirra in letzter Konsequenz auf eine anthropologische Zuspitzung ihrer Konzeption einer allgemeinen Bildwissenschaft ab (Bildanthropologie). Obwohl auch sie die systematische Untersuchung von bildbegrifflichen Forschungsfragen mit ihrem Terminus Bildwissenschaft ausdrücklich in einen philosophischen Kontext rücken, dient ihnen das Studium des Bildes nicht alleine dem Zweck, sämtliche kategorialen Bedingungen des Bildbegriffs zu ermitteln. Vielmehr hoffen sie, durch ihre wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Bildes allgemeine Einsichten über das Wesen des Menschen zu erlangen. Insofern knüpfen sie an bildanthropologische Überlegungen an, die auf den Philosophen Hans Jonas (1903-1993) zurückgehen. Jonas, der gemeinhin als Begründer der Bildanthropologie bezeichnet wird, verstand den Menschen als einen homo pictor. In dieser Bezeichnung verdichtet sich die auch von Sachs-Hombach und Schirra geteilte Überzeugung, dass die Fähigkeit zur Produktion und Rezeption von Bildwerken als sicherer Beweis für die "mehr-als-tierische" ([Jonas 1961a]: S. 162) Natur des Menschen zu deuten sei.
Diese Behauptung ist insofern bemerkenswert, als in weiten Teilen der Geistes- und Kulturwissenschaften der Standpunkt vertreten wird, dass die differentia specifica des Menschen alleine in der Sprache zu finden sei. Indem das Konzept des homo pictor diese Auffassung durch die These in Frage stellt, dass "die Fähigkeit der Bildverwendung […] ein anthropologisches Grundprinzip [darstellt], von dem auch die Herausbildung der Sprachfähigkeit abhängt" ([Sachs-Hombach & Schirra 2009a]: S. 395), trägt es schließlich zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Positionen bei, die vielerorts bereits seit Jahrhunderten vertreten werden[1] und heutzutage speziell auf dem Gebiet der Philosophie den Status eines unumstößlichen Gemeinplatzes besitzen[2].


Anmerkungen
  1. Vgl. zum Beispiel [Herder 2001a]: S. 20: „[…] da die Menschen für uns die einzigen Sprachgeschöpfe sind, die wir kennen, und sich eben durch Sprache von allen Tieren unterscheiden […].“ Ähnlich äußerte sich der österreichisch-britische Philosoph und Begründer des Kritischen Rationalismus, Sir Karl R. Popper, in einem Gespräch mit Konrad Lorenz: "[…] der Mensch – das ist vor allem die Sprache" [Popper 2002a]: S. 52.
  2. So manifestiert sich die humanspezifische Rationalität des Menschen für Jürgen Habermas oder Robert Brandom – zwei der einflussreichsten Philosophen unserer Zeit – in erster Linie in der Sprache. Vgl. [Habermas 1995a]; [Brandom 2000a].
Literatur                             [Sammlung]

[Brandom 2000a]:
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[Bredekamp 2007a]:
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[Habermas 1995a]:
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[Herder 2001a]:
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[Jonas 1961a]: Jonas, Hans (1961). Die Freiheit des Bildens – Homo pictor und die differentia des Menschen. Zeitschrift für Philosophische Forschung, Band: 15, S. 161–176, Wieder abgedruckt in: Jonas, Hans: Zwischen Nichts und Ewigkeit – Zur Lehre vom Menschen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987, 26–43.

[Mitchell 2008a]:
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[Popper 2002a]:
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[Sachs-Hombach & Schirra 2006a]:
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[Sachs-Hombach & Schirra 2009a]:
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[Wiesing 2005a]:
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[Wiesing 2008a]:
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Verantwortlich:

Mark A. Halawa

Seitenbearbeitungen durch: Mark A. Halawa [64] und Joerg R.J. Schirra [18] — (Hinweis)