Bildwissenschaft vs. Bildtheorie

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Unterpunkt zu: Allgemeines (historisch und systematisch)


Darstellung des gr. Zusammenhangs

Die Uneinigkeit, die den bildwissenschaftlichen Forschungsdiskurs charakterisiert, lässt sich bereits im Hinblick auf die Frage, welcher Oberbegriff für die wissenschaftliche Erforschung des Bildes gewählt werden sollte, beobachten. Dass das Wort ‚Bildwissenschaft‘ „in den letzten Jahren zu einem oft pauschal eingesetzten Sammelbegriff für jegliche Art der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Bildern geworden [ist]“[1], sorgt beispielsweise bei Lambert Wiesing – einem der prominentesten Vertreter einer phänomenologisch fundierten Bildtheorie (Phänomenologie des Bildes) – für großen Missmut. Um schon terminologisch den programmatischen Unterschied zwischen einer eher empirischen und einer vorwiegend theoretischen Auseinandersetzung mit bildwissenschaftlichen Fragestellungen kenntlich zu machen, differenziert er deshalb eine bildwissenschaftliche von einer bildtheoretischen Untersuchungsebene.

Zur Bildwissenschaft zählt er solche Disziplinen, die Bilder als „konkrete Dinge“[2] bzw. als „reale Gegenstände“[3] zur Grundlage haben. Bilder werden hier „in ihrer Entstehung, in ihren psychologischen Wirkungen, in ihren medialen Voraussetzungen, in ihrer inhaltlichen und sozialen Bedeutung, in ihren historischen Zusammenhängen und noch zahlreichen anderen empirischen Aspekten erforscht […].“[4] Ein Kunsthistoriker, der zum Beispiel über die Ursachen und Auswirkungen des byzantinischen oder reformatorischen Bilderstreits forscht, würde demzufolge bildwissenschaftliche Studien betreiben. Er beschäftigt sich in vielfältiger Weise mit einer Reihe von konkreten Bildwerken, die unter anderem in Bezug auf ihre Herkunft, ihre materielle Beschaffenheit und/oder ihren ursprünglichen Aufstellungsort analysiert werden. Ziel solchen Forschens kann es etwa sein, einzelne Bilder oder sogar ganze Bilderserien im Hinblick auf Stil, Epoche, Funktion usw. zu kategorisieren.

Eine gänzlich andere Annäherung an das Phänomen des Bildes lässt sich laut Wiesing auf der bildtheoretischen Untersuchungsebene beobachten. Hier „interessiert [man] sich nicht für das konkrete Bild, sondern für das Bild als ein Medium.“[5] Beachtung finden konkrete Bilder allenfalls dann, wenn sie sich dazu eignen, prinzipielle Aussagen über das Wesen der Bildlichkeit – also über die Frage Was ist ein Bild? – zu tätigen. Auf der Ebene der Bildtheorie geht es somit ausschließlich „um den Begriff des Bildes“[6], nicht um die soziale, kulturelle und/oder historische Besonderheit eines Bildwerkes.

Die größte und wichtigste Unterschied zwischen der bildwissenschaftlichen und der bildtheoretischen Untersuchungsebene besteht Wiesing zufolge darin, dass die Bildtheorie einen „Schritt ins Kategoriale“[7] nach sich zieht, „der notwendigerweise einen Wechsel der Methoden verlangt“[8]. Da der Bildtheoretiker – anders als der immerzu empirisch vorgehende Bildwissenschaftler – eine Klärung des Bildbegriffs bewirken möchte, macht er sich auf die Suche nach Kriterien, die für alle Phänomene, die unter den Begriff des Bildes fallen, gültig sind. Im Vordergrund steht für ihn also „die Frage, was aus welchen Gründen ein Bild ist […].“[9] Für Wiesing handelt es sich dabei um eine Frage, die sich in keiner Weise empirisch, sondern „ausschließlich argumentativ beantworten [läßt].“[10] Es sind abstrakte Gründe, die darüber entscheiden, welche Phänomene zu Recht unter den Begriff des Bildes subsumiert werden dürfen – nicht konkrete Bildwerke, die beispielsweise als historische Dokumente einen empirischen, nicht aber einen begrifflichen Wert besitzen können.

So kommt es, dass Wiesings Grenzziehung zwischen Bildtheorie auf der einen und Bildwissenschaft auf der anderen Seite gerade auch dafür sorgt, dass sich die Frage, was eine Bilddisziplin mit welchen Mitteln konkret leisten kann und soll, auf unterschiedliche Weise beantworten lässt. Ein Bildforscher, der herausfinden möchte, ob Leonardo da Vinci in seiner „Mona Lisa“ tatsächlich eine ‚empirische‘ Frau abgebildet hat (und wenn ja: welche), kann und soll laut Wiesing einen bildwissenschaftlichen, nicht aber einen bildtheoretischen Beitrag leisten. Demgegenüber leistet ein Bildforscher, der ergründen möchte, ob bzw. inwieweit Gemälde, Skulpturen und die Virtual Reality allesamt in gleichem Maße die wesentlichen Kriterien der Bildlichkeit erfüllen, einen bildtheoretischen Beitrag.

Die entscheidende Pointe der Wiesingschen Differenzierung äußert sich darin, dass die bildtheoretische Reflexion auf den Bildbegriff aufgrund ihres argumentativen Charakters „gar nicht anders als philosophisch geschehen kann“[11], denn schließlich – so Wiesing – sei die kritische Auseinandersetzung mit Begriffsfragen für die besondere Art und Weise philosophischen Forschens geradezu konstitutiv. Für Wiesing versteht es sich daher von selbst, dass ‚Bildtheorie‘ nur ein anderes Wort für ‚Bildphilosophie‘ ist und die Bildwissenschaft (hier wiederum verstanden als Disziplin, die sich im weitesten Sinne mit der Erforschung des Bildes beschäftigt) unabdingbar „einer Philosophie des Bildes bedarf.“[12] Nur sie – so ist Wiesing überzeugt – ist dazu in der Lage, dem ausgedehnten Feld der bildwissenschaftlichen Forschung ein begriffliches Fundament zur Verfügung zu stellen. Die Bildtheorie ließe sich diesem Szenario zufolge ferner als grundlagentheoretische Basis der Bildwissenschaft verstehen.


Inhaltsverzeichnis        

Anmerkungen
  1. [Wiesing 2008a, S. II].
  2. Ebd., S. IV.
  3. Ebd.
  4. Ebd.
  5. Ebd.
  6. Ebd.
  7. [Wiesing 2005a], S. 13.
  8. Ebd.
  9. Ebd., S. 14.
  10. Ebd.
  11. Ebd., S. 16.
  12. Ebd.
Literatur                             [Sammlung]

[Wiesing 2005a]:
Literaturangabe fehlt.
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- Buch,
- Artikel in Zeitschrift,
- Beitrag in Sammelband,
- Sammelband,
- andere Publikation,
- Glossarlemma.
[Wiesing 2008a, S. II]:
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- Glossarlemma.


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Mark A. Halawa

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