Digitales Bild
Unterpunkt zu: Bildmedien
Definition und GliederungDer Ausdruck ‘digitales Bild’ steht für einen Sammelbegriff für verschiedene Bildtypen, die mit digitalen Technologien hergestellt oder bearbeitet werden. Seit ca. Anfang der 1990er Jahre kommt es zu einer gesteigerten Ausbreitung von digitalen Kameras, PC mit Bildbearbeitungssoftware, aber auch von populären Kinofilmen mit spektakulären digitalen Trickeffekten, so z.B. «Terminator II» (James Cameron, 1991) oder «Jurassic Park» (Steven Spielberg, 1993). Auch ist zu dieser Zeit viel von ‘Cyberspace’ und ‘Virtual Reality’ die Rede. Infolgedessen entfaltet sich eine sich immer weiter verzweigende Diskussion um die Geschichte, die Theorie, die Potentiale und Probleme solcher Bilder. Im Folgenden wird eine Gliederung der umfänglichen Literatur vorgeschlagen, die nicht im engeren Sinne systematisch (also z.B. ‘Geschichte – Theorie – Ästhetik’), sondern an besonderen Problemfeldern orientiert ist, die im Lauf der Diskussion entstanden sind.[1] In Abschnitt 2 geht es um die Frage, ob der Ausdruck ‘digitale Bilder’ überhaupt sinnvoll ist. In Abschnitt 3 wird das Problem der Referenz (oder auch des Welt- oder Wirklichkeitsbezuges) der verschiedenen digitalen Bilder diskutiert – eine insbesondere in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zentrale Fragestellung. Abschnitt 4 skizziert die Diskussion um die Frage, ob und inwiefern die verschiedenen Typen digitaler Bilder spezifische formale bildliche Eigenschaften, einen spezifischen Look haben. In 5 werden schließlich die digitalen Bilder hinsichtlich der Perspektive des Archivs und der Zirkulation betrachtet.
Es gibt kein digitales Bild?Eine erste Gruppe von Texten stellt die Sinnhaftigkeit des Begriffs des digitalen Bildes selbst in Frage (vgl. [Schneider 2009a]: S. 192-194). Wolfgang Hagen ([Hagen 2002a]) untersucht z.B. das Charge Coupled Device. Dabei handelt es sich um jenen Sensor, der, unter Ausnutzung des photoelektrischen Effekts, Licht- in Stromwerte umwandelt und heute in jeder digitalen Fotokamera operiert. Das CCD ist eine zentrale Technologie zur Erzeugung digitalisierter Bilder. Hagen argumentiert, dass zu seiner Entwicklung ein quantenmechanisches Wissen erforderlich war, das selber bildlos (unanschaulich) sei. Diese Bildlosigkeit des bedingenden Wissens mache es daher schwierig von ‘digitalen Bildern’ (oder näherhin von ‘digitaler Fotografie’) zu sprechen. Diese Schlussfolgerung kann verwundern – angesichts der selbstverständlichen Alltagspraxis mit digital aufgenommenen Fotografien etwa im Journalismus oder in der Familienfotografie, bei denen der Bildcharakter keineswegs bezweifelt wird.[2] Ein etwas anderes Argument gegen die Sinnhaftigkeit des Begriffs des digitalen Bildes schlägt Claus Pias vor. Digitale Bilder sind, wie alle anderen digitalen Daten auch, in Form von binären Codes gespeichert (⊳ Notation). Auf den Bildschirmen erscheinen analoge Bilder, nur ihr Code ist digital – wegen dieser Trennung zwischen Erscheinung und Speicherung mache der Ausdruck ‘digitale Bilder’ keinen Sinn. Auf der Ebene des Codes schon deshalb nicht, weil alle noch so verschiedenen Daten (Musik, Text, Video, ausführbarer Programmcode etc.) auf dieselbe Weise gespeichert seien. Der Code, der ein Bild beschreibt, könnte z.B. auch als Text oder Sound dargestellt werden. Allerdings ist auch dieses Argument problematisch, denn die Daten, die ein Bild beschreiben, geben bei ihrer Darstellung als Sound bestenfalls „Musik im Cage’schen Sinn“ ([Hagen 2002a]: S. 231). Nur unter Rekurs auf John Cages radikal erweiterten Musikbegriff ist die Ausgabe von Bilddaten als Sound Musik und nicht einfach eine sinnlose Störung. Daher haben – zumindest unter Windows bei entsprechender Konfiguration – Dateien ja auch Endungen (wie ‘.tif’ oder ‘.wav’), die die Daten eindeutig einem Programm mit dem Zweck der richtigen Darstellung zuordnen. Generell kann gegen beide Kritiken eingewendet werden, dass Formulierungen wie ‘Es gibt kein digitales Bild’ (so der Titel von [Hagen 2002b] und [Pias 2003a]) die Begrifflichkeit des digitalen Bildes bereits voraussetzen. Diskursanalytisch betrachtet wäre sie also etabliert und mithin anschlussfähig – es bleibt zudem zu fragen, welche Alternative statt des Ausdrucks ‘Bild’ zur Bezeichnung der Phänomene, die etwa auf den Displays[3] digitaler Fotoapparate erscheinen, angezeigt wäre. Selbst wenn die so erscheinenden Bilder auch im Sinne der Symboltheorie Goodmans ([Goodman 1968a]; vgl. [Scholz 2004a]) ‘analog’ zu nennen sind, hilft der Ausdruck ‘digitales Bild’ doch dabei, die Grundlagen zu spezifizieren, auf denen das entsprechende Bild beruht. Allerdings müssen weitere Differenzierungen folgen: Heuristisch kann man digitalisierte von (digital) generierten Bildern unterscheiden (vgl. [Schröter 2004a]). Bei digitalisierten Bildern werden (in einer Kamera oder einem Scanner z.B.) abgetastete Lichtwerte in digitalen Code umgesetzt (und dann ggf. verändert). Bei (digital) generierten Bildern wird das Bild algorithmisch erzeugt (unter diesen Typ fallen auch Bilder, die mit Paint-Programmen, wie z.B. «Adobe Illustrator», manuell erstellt werden). Beide Typen können verbunden werden. In Anschluss an solche Differenzierungen sollte man – mit Birgit Schneider ([Schneider 2009a]: S. 194) – weniger fragen, ob und, wenn ja, was ein digitales Bild überhaupt ist, sondern welche Funktionen seine verschiedenen Formen in verschiedenen konkreten Praktiken einnehmen. Von ontologischen Fragestellungen wäre mithin auf pragmatische Fragestellungen umzustellen (vgl. [Heßler 2006a], [Schröter 2009a] und [Günzel 2010a]).
ReferenzenEine der wichtigsten und zugleich umstrittensten Funktionen ist der Verweis auf “reale” Sachverhalte, die Referenz der Bilder. In den 1990er Jahren – und zum Teil noch bis in die jüngste Gegenwart – dominierte in der umfangreichen Diskussion ([Ritchin 1990a], [Ritchin 1990b]; [Ullrich 1997a]; [Glüher 1998a]; [Baudrillard 2000a]; [Stiegler 2004a]) die Vorstellung, digitale Bilder (wobei in der Regel nicht zwischen digitalisierten und (digital) generierten Bildern differenziert wurde) seien im Unterschied zu analogen Bildern (womit meist die Fotografie gemeint war) referenzlos. Zunächst stimmt es zwar, dass durch die Ausbreitung von PCs und Bildbearbeitungssoftware (⊳ Bildverarbeitung, digitale) seit Anfang der 1990er Jahre Bildmanipulationen erleichtert wurden.[4] Es gab einige öffentliche Skandale um manipulierte Bilder (so z.B. die schwärzer gemachte Abbildung von O.J. Simpson auf der «Time» vom 27. Juni 1994 im Zuge des Mordprozesses gegen ihn (Abb. 1), was ein Beispiel für die politics of representation digitaler Bildmanipulationen ist.[5] Allerdings wurde der angebliche Verlust der referentiellen Funktion – der im Falle der analogen Fotografie plötzlich als unproblematisch galt (als habe es dort nie Bildfälschungen gegeben, vgl. [Jaubert 1998a]; [Rosler 2000a]) – in Zusammenhang mit postmodernistischen Positionen v.a. Baudrillards über die so genannte „Agonie des Realen“ (vgl. [Baudrillard 1978a]) bisweilen zu einer kompletten De-Realisierung gesteigert. Ein solcher Diskurs passte zur Anfang bis Mitte der 1990er Jahre weit verbreiteten Rede um ‘Virtual Reality’ und Cyberspace (vgl. [Rötzer 1993a]; kritisch dazu [Schröter 2004b]: S. 152-276), wobei es meistens um letztlich völlig unrealisierbare Phantasmen vollendet realistischer, immersiver und haptischer Räume ging – die von der Realität schlicht ununterscheidbar sein sollten und die noch Kinofilme wie «The Matrix» (1999) antrieben. In Zusammenhang mit solchen Vorstellungen war etwa von der „pure[n] Selbstreferentialität der digitalen Zeichen“ ([Wimmer 1991a]: S. 529) die Rede, was schon deswegen problematisch ist, weil ein Zeichen per definitionem auf etwas anderes als sich selbst verweist, ein pur selbstreferentielles Zeichen also gar kein Zeichen ist. Geoffrey Batchen ([Batchen 2000a]: S. 15) schrieb noch 2000: „The main difference seems to be that, whereas photography still claims some sort of objectivity, digital imaging is an overtly fictional process.“[6] Die These, digitale Bilder referierten nicht auf Welt, wurde meist auf zwei verschiedene Argumente gestützt, die beide aber diskussionswürdig sind:
Zu a. (Nicht-)IndexikalitätDigitalisierte Bilder sind immer noch indexikalisch in dem Sinne, dass Licht vom Gegenstand (oder einer Vorlage) reflektiert wird und auf einen Sensor fällt – nur dass dieser nicht mehr fotochemisch, sondern quantenelektronisch ist. Daran ändert auch Hagens ([Hagen 2002a]: S. 231-235) Argument nichts, dass digital-elektronisch aufgezeichnete Fotografien anders als chemische Fotografien löschbar, also reversibel sind.[8] ‘Photo-Graphie’ heißt ‘Schrift des Lichts’, nichts an diesem Begriff bestimmt, ob die Aufzeichnung analog oder digital, dauerhaft oder flüchtig ist. Daher werden CCDs auch nach wie vor etwa in den Naturwissenschaften eingesetzt, um Spuren von Ereignissen festzuhalten, die es dann später auszuwerten und zu kommentieren gilt, damit Referenz erzeugt werden kann.[9] Dies wäre sinnlos, wenn diese Bilder keine Spur eines – wie auch immer definierten – Realen (wenn auch nur vorübergehend) speichern würden. Der Hinweis auf die mangelnde Indexikalität scheint eher auf (digital) generierte Bilder zuzutreffen, insofern diese keine Bilder einer realen Szene sind, aber durch ihren u.U. “fotorealistischen” ([Schröter 2003a]) Look aussehen können wie Einschreibungen von Licht (s.u.). Zu b. ManipulierbarkeitDie glaubwürdige und fehlerfreie Manipulation größerer Teile komplexer bildlicher Szenen ist ein außerordentlich diffiziles Unterfangen (vgl. [Mitchell 1992a]: S. 31-37). Daher ist die Frage berechtigt, inwiefern in kritischen Fällen eine Nicht-Unterscheidbarkeit manipulierter von authentischen Bildern (mindestens für die Augen von Experten) wirklich gegeben ist. Außerdem gibt es zahlreiche Fälle, in denen die Manipulation bzw. Bearbeitung eines Bildes notwendig und zulässig ist, z.B. bei der Aufbereitung von Bildern für den Druck. Es gibt also eine Grenze zwischen zulässigen und unzulässigen Manipulationen (vgl. [Pang 2002a]: S. 104), die keineswegs mit der Grenze »analog/digital« identisch ist. Wie dieses letzte Beispiel schon zeigt, sollte die Bearbeitung digitalisierter Bilder nicht automatisch mit dem Verlust von Referenz gleichgesetzt werden. Historisch lässt sich im Gegenteil zeigen, dass die Bearbeitung von Bildern (‘Image Processing’) oft gerade Bedingung ihres Weltbezuges ist – z.B. in militärischen, medizinischen oder naturwissenschaftlichen Praktiken (vgl. [Schröter 2001a], [Schröter 2004a] und [Schröter 2009a]). Das korrespondiert mit neueren theoretischen Ansätzen etwa aus der Akteur-Netzwerk-Theorie, die den Gegensatz zwischen »Konstruiertheit« und »Wirklichkeit« – der in der Behauptung aufscheint, die Bearbeitbarkeit eines Bildes reduziere automatisch dessen Referenz – zu unterlaufen versuchen (vgl. [Latour 2007a]: S. 152-161). Natürlich gibt es böswillige Manipulationen an und mit digitalisierten Bildern, aber es hängt von konkreten Praktiken mit analogen und digitalen Bildern ab, ob es sich um eine Täuschung oder um eine Aufbereitung mit dem Ziel klareren Verständnisses handelt. Umgekehrt garantiert der Charakter eines fotografischen Bildes als indexikalische Spur keineswegs automatisch ein Wissen, worauf das Bild referiert. Auch analoge Fotografien benötigen oft Kommentare, um überhaupt verständlich zu sein.[10] Statt einer ontologischen Fixierung von ‘analog’ und ‘digital’ ist die Bezugnahme auf das, was mit Bildern gemacht wird notwendig (⊳ Bildhandeln) – da nach Luhmann ([Luhmann 1996a]: S. 9) das System der Massenmedien einen permanenten Manipulationsverdacht erzeugt, ist es nicht verwunderlich, dass die ganze Debatte um die angebliche Manipulation durch digitale Bilder vorwiegend in den Massenmedien (oder in der Debatte über Massenmedien) stattfindet. Dies gilt auch für (digital) generierte Bilder. Algorithmisch generierte Bilder[11] scheinen zunächst eher dem Verdacht der Referenzlosigkeit zu entsprechen. Insbesondere wenn sie fotorealistisch gerendert sind (vgl. [Schröter 2003a]) – also im Grenzfall für Fotografien gehalten werden – können sie gerade wegen dieser Verwechslung eine Referenz vortäuschen. Allerdings verweisen algorithmisch generierte Bilder in der Regel selbst wieder a.) auf Daten und/oder b.) auf Modelle. Im Falle der fotorealistisch generierten Bilder verweisen diese auf jeden Fall auf die Geschichte der Fotografie bzw. auf ein aus dieser Geschichte destilliertes Modell von »Fotografie überhaupt«. In vielen konkreten Fällen dienen generierte Bilder als visueller Output von Modellierungen bzw. Simulationen (vgl. [Schröter 2004c] und [Hinterwaldner 2008a]) und haben als solche wieder konkrete, referentielle Funktionen, auch wenn diese sich nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft beziehen. Mit Entwurfssoftware werden Gebäude, Maschinen usw. entworfen, die dann schließlich auch gebaut werden können ([Saxena & Sahay 2005a]). Generierte Bilder können in massenmedialen Nachrichtenformaten sogar gerade zur “Enthüllung der Wahrheit” dienen ([Adelmann 2004a]).[12] Sie können in einem Flugsimulator zusammen mit anderen Outputs dazu dienen, auf einen zukünftigen Flug zu verweisen. Dazu müssen die generierten Bilder ausreichend realistisch erscheinen, um als Vorbereitung überhaupt dienlich zu sein. Zugleich sind solche Simulator-Bilder – oder „Simulationsbilder“ ([Günzel 2008a]) – interaktiv in dem Sinne, dass das Verhalten des Betrachter/Nutzers zur Veränderung ihrer Darstellung genutzt wird. Hier schließt die mittlerweile ebenfalls umfangreiche Diskussion um die Bildlichkeit der Computerspiele an (u.a. [Günzel 2006a], [Günzel 2009a], [Venus 2009a] und [Beil 2010a]; ⊳ Cyberspace und insbesondere ⊳ interaktives Bild). Auch in den Wissenschaften werden vielfach und auf verschiedene Weise Bilder aus Daten und Modellen generiert, die auf diese Weise – wenn auch indirekt – auf ein Reales referieren. Derlei „Datenbilder“ ([Adelmann 2009a]) werden u.U. dazu verwendet, Phänomene dingfest zu machen und Ergebnisse vorherzusagen, deren Eintreten dann aber durch Experimente noch bestätigt werden muss. Eine wichtige Frage ist dabei, welche Weise der Darstellung oft selbst unsinnlicher und auf Unsichtbares referierender Daten und Modelle in welchen Kontexten und mit welchen Effekten gewählt wird ([Law & Whittaker 1988a], [Lynch & Edgerton 1988a], [Schirra 2005a] und [Badakshi 2006a], sowie ⊳ Bild in der Wissenschaft, ⊳ Strukturbild und ⊳ Semantik logischer Bilder).
Digitale Bildlichkeit?Mit dem Hinweis auf die Darstellungsweisen ist die Frage nach den visuellen Eigenheiten der digitalen Bilder, nach ihrer „digitalen Form“ ([Pratschke 2005a]) aufgeworfen (vgl. auch [Mitchell 1992a]). Haben digitalisierte und (digital) generierte Bilder eine spezifische Bildlichkeit, die sie durch ihre äußere Erscheinung von anderen Bildern unterscheidbar macht? Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Einerseits zeigen Bemühungen wie das fotorealistische Rendering, dass bestimmte Typen digitaler Bilder – z.B. um als Effekt in ansonsten weitgehend foto- bzw. videografischen Filmen eingesetzt werden zu können – gerade den “Look” etablierter Bildmedien übernehmen sollen.[13] Andererseits sind generierte Bilder natürlich keineswegs auf die Regeln der geometrischen Optik, die – neben Emulsionseffekten, Bewegungsunschärfe etc. – den Look der analogen Fotografie bestimmen, festgelegt. Daher gibt es auch Formen des „non-photorealistic rendering“ ([Gooch & Gooch 2001a]. [Strothotte & Schlechtweg 2002a] oder [Isenberg 2007a]), die oft etablierte malerische und zeichnerische Formen imitieren. Dabei werden auch Darstellungsformen wie verschiedene parallelperspektivische Projektionen benutzt, die in der technischen bzw. Architekturzeichnung spätestens seit dem 19. Jahrhundert eine große Rolle gespielt hatten und die von optischen Medien wie Fotoapparaten nicht herstellbar sind ([Carlbom & Paciorek 1978a], [Salomon 2006a]: S. 57-70, sowie [Beil & Schröter 2011a]). Solche Projektionsweisen sind insbesondere für den Einsatz von generierten Bildern in Architektur- und Technikentwurf von zentraler Bedeutung ([Saxena & Sahay 2005a]: S. 54-65). Die prinzipielle Offenheit digitaler Computer ([Schröter 2004b]) legt nahe, dass solche Maschinen (zunächst) die etablierten Formen der Bildlichkeit approximativ simulieren (und/oder samplen) und dann ggf. zu neuen Bild-Hybriden verbinden. Dies ist z.B. in den populären computergenerierten Filmen zu beobachten, wie z.B. in «Monster AG» (Pixar, 2001), in denen ein aus dem Comic und Cartoon entlehnter Zeichenstil mit einer fotorealistischen Anmutung von Lichtwurf, Räumlichkeit bis hin zu simulierten “fotografischen Fehlern” wie Lens-Flares kombiniert ist. Wenn man Elemente genuiner Bildlichkeit digitaler Bilder sucht, so können neben der genannten Hybridisierung mindestens noch drei weitere Aspekte erwähnt werden. Artefakte bei digitalen BildernDer Hinweis auf die Simulation von fotografischen Fehlern lenkt den Blick auf die Fehler und Störungen digitaler Bilder selbst. Diese unterscheiden sich deutlich von den Störungen analoger Bilder und sind insofern als Teil einer genuinen digitalen Bildlichkeit anzusprechen. So sind z.B. die JPEG-Artefakte zu nennen, die auf die notwendige Kompression von Bildträgern für ihre Zirkulation (siehe hierzu den Abschnitt 5) über Datennetze verweisen.[14] Es ist nicht überraschend, dass Künstler wie Thomas Ruff ([Ruff 2009a]) diese Eigenheit digitaler Bilder zum Ausgangspunkt experimenteller und reflexiver Gestaltung wählen (Abb. 2).[15] MorphingEin bestimmtes Verfahren, das insbesondere mit dem 1991 erschienenen und sehr populären Film «Terminator II» (James Cameron) bekannt und angelegentlich fast zum Inbegriff digitaler Bildlichkeit wurde, ist das Morphing, also die fließende Umwandlung eines Bildes in ein anderes ([Sobchack 1997a]; [Schröter 2005a]). Es wurde z.B. in der letzten Minute des bekannten Musikvideos «Black or White» von Michael Jackson (zuerst am 14.11.1991 von MTV ausgestrahlt) eingesetzt, um die Porträtdarstellungen von Menschen verschiedenen Geschlechts und verschiedener Rasse fließend ineinander übergehen zu lassen. Diese Wiederaufnahme des alten, schon mit der analogen Fotografie verbundenen Topos der „Family of Man“ ([Sekula 2002a]: S. 260-283), durch welche reale Ungleichheiten und Abhängigkeiten auf der bildlichen Ebene ideologisch verdrängt werden, ist ein weiteres Beispiel für die „politics of representation“ digitaler Bildlichkeit. BenutzungsoberflächenSchließlich sind die alltäglichen, grafischen Benutzungsoberflächen zu nennen, die zumindest am Rande und partiell unter die Diskussion des digitalen Bildes fallen und die sich durch eine für die digitalen Bilder genuine, strukturelle Vervielfachung der Rahmenfunktion traditioneller Bilder ([Zaloscer 1974a]) und die dadurch gegebenen Möglichkeiten multimedialer Verbindungen auszeichnen. Margarete Pratschke ([Pratschke 2008a]) hat versucht, diese Oberflächen in Form einer digitalen Bildgeschichte zu beschreiben.
Das Archiv und die ZirkulationEine der wichtigsten Veränderungen gegenüber z.B. fotografischen Bildern besteht in den veränderten Formen der Archivierung und der Zirkulation bei digitalen Bildern. Das fotografische Archiv ist von Anfang an mit Belangen der Übertragung verbunden. Schon im 19. Jahrhundert schrieb Sir Oliver Wendell Holmes:
Doch noch muss der “Arbeiter” die stereoskopischen Bilder herumtragen, noch ist die Bildinformation nicht vollständig abgelöst und kann von selbst reisen, was erst mit der Ausbreitung der Bildtelegrafie möglich sein wird. Diese löst nun wirklich die Form von der Materie und erlaubt ihr, auch ohne den Arbeiter, der die Bildträger transportiert, zu reisen. So gesehen ist die Digitalisierung des fotografischen Bildes keineswegs ein Ereignis, das erst in den 1990er Jahren des 20. Jahrhunderts auftritt ([Schneider & Berz 2002a]). Das eigentlich Neue an der Nutzung digitalisierter Fotografien mit Rechenmaschinen, also Computern, ist aber Folgendes: Das Bild liegt bis zum Print als „array of values“ ([Foley et al. 1990a]: S. 816), als Zahlenmenge vor, in der die einzelnen Werte die Bildpunkte beschreiben – was es ermöglicht, das Bild mathematischen Operationen zu unterwerfen (vgl. auch [Schirra 2012a]). Diese Berechenbarkeit des Bildes ist die zentrale Voraussetzung für das schon genannte Image Processing, aber ebenso ist die mathematische Form konstitutiv für digitale Bildarchive. Im Folgenden seien drei Eigenheiten digitaler Bildarchive dargestellt. Datenkompression – Original und KopieNur die Datenkompression erlaubt – wenn überhaupt – die Überführung des Bildarchivs in Datennetze, weil Bilder als zwei- oder dreidimensionale Matrizen für ihre Archivierung und Übertragung sehr viele Ressourcen benötigen. Es gibt lossless und lossy compression, gegebenenfalls muss also auf Information verzichtet werden ([Salomon 2008a]). Aus lossy komprimierten Bildern – und dazu zählen zum Beispiel die meisten netzüblichen JPEGs – lässt sich ein gegebenes Original nicht wieder vollständig rekonstruieren. Der angeblich absolut verlustfreie Charakter der digitalen Reproduktion, insofern eine gegebene Menge von Zahlen einfach nur 1:1 nachbuchstabiert werden müsste, um exakt dasselbe Bild zu ergeben, bricht sich also an der Pragmatik digitaler Bildarchive. So fungieren kleine, niedrig aufgelöste Bilder bei kommerziellen Bildangeboten im Internet oft als eine Art Index (Thumbnails), der auf die höher aufgelösten, nur gegen Bezahlung erhältlichen und durch digitale Wasserzeichen gegen unerlaubte Vervielfältigung geschützten “Originale” verweist ([Johnson et al. 2001a]; [Gerstengrabe et al. 2010a]). Offenkundig taucht so die gelegentlich für obsolet erklärte Unterscheidung »Original/Kopie« auch im Reich der digitalen Reproduktion wieder auf – und mit ihr alle Probleme des Eigentums an Bildern beziehungsweise des Urheberrechts ([Schröter 2010b]). Intermedialität/(interaktive) Umordnung des ArchivsDurch die Digitalisierung existiert verschiedenes Zeichenmaterial (Fotografien, Gemälde, bewegte Bilder, Schrift, Klänge, Messdaten etc.) nebeneinander im gleichen Archiv, das heißt die traditionellen Grenzen zwischen den Medien und damit den ihnen zugeordneten akademischen Disziplinen werden tendenziell aufgelöst. Während eine traditionelle Fotografie noch ein relativ isolierter Gegenstand ist, muss man ein digitalisiertes Foto als ein Element unter anderen in einem intermedialen Verknüpfungszusammenhang (zum Beispiel auf einer Website) verstehen ([Levinson 2002a]: S. 161). Eine zukünftige Archivierung digitaler Information muss mithin mehr als nur die Anpassung an immer neue Datenformate etc. leisten. Vielmehr müssten auch die Kontexte einer spezifischen Information mitarchiviert werden ([Weber 2000a]: S. 85/86). Dieser Intermedialität des digitalisierten Archivs entsprechen neue Formen der Adressierung von Bildern, denn „digitale Medien [können] im Unterschied zu den analogen eben nicht nur speichern, sondern auch sortieren und suchen“ ([Heidenreich 2001a]: S. 259). Das heißt: Die Anordnung des Bilderarchivs nach Künstlernamen, Epochen oder anderen Formen der Verschlagwortung könnte neuen Ordnungen – jenseits von Menschenaugen – Platz machen, die zum Beispiel auf einer durch automatische Bildanalysen bestimmten Ähnlichkeit von Bildern beruhen ([Ernst & Heidenreich 1999a]), was heute bereits für Gesichtserkennung und damit Zugangskontrollen von Gebäuden von Relevanz ist.[16] Überdies wären solche Verfahren in Hinsicht auf die Auffindbarkeit von Bildinformationen im chaotisch wuchernden Internet wichtig, doch bis jetzt existieren kaum zufriedenstellend operierende automatische Suchmaschinen für Bilder. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Hartmut Winkler ([Winkler 2003a]) auf die Gefahr hingewiesen hat, dass Konzerne (wie Corbis) dereinst womöglich nicht allein die Bilder, sondern die eben durch entsprechende digitale Analyseverfahren eruierbaren und ungleich wichtigeren Bildmuster unter ihre Kontrolle bringen (vgl. auch [Batchen 1998a]). Schließlich werden viele digitale Bildarchive durch Nutzeraktivitäten strukturiert und geordnet, die sich den klassischen Kriterien der Archivierung entziehen. Bei YouTube etwa schreibt sich die Aufmerksamkeit, die ein digitalisierter Film erfährt in die Struktur des Archivs selber ein. Die Erforschung der Logik dieser user-strukturierten Archive steht noch relativ am Anfang ([Appadurai 2003a]; [Schröter 2009b]). Manovich ([Manovich 2001a]: S. 218-243) hat in etwas anderem Zusammenhang auch von einer „logic of the database“ gesprochen, die viele Ästhetiken digitaler Medien strukturiert. Permanenz des Archivs als permanente TransformationSchließlich ändert sich die Permanenz des Archivs. Nochmal sei zum Vergleich die analoge Fotografie herangezogen: Die Haltbarkeit digitalisierter Fotografien oder genauer: der Datenträger, auf denen sie gespeichert sind, ist im Vergleich zu hochwertigen Schwarz/Weiß-Abzügen gering, obwohl die Daten durch Umkopieren auf neue Datenträger erhalten werden können. Es besteht die Gefahr, dass digital gespeicherte Bilddaten relativ plötzlich nicht mehr verwendet werden können – anders als bei analogen Medien, deren Aufzeichnungen langsam verfallen und lange Zeit noch lesbar bleiben. Überdies ist die Wiederlesbarkeit von Datenträgern angesichts häufig wechselnder Daten- und Software-Formate selbst ein Problem ([Künzli 1996/1997a]; [Pollmeier 2005a]). Insofern ist die Bewahrung in digital(isiert)en Archiven – prinzipiell anders als in analogen Archiven – auf eine permanente Transformation angewiesen. Während Bilder in Fotoarchiven nur in Ausnahmefällen fotografisch reproduziert werden müssen, um überhaupt weiter zu existieren, ist der Prozess der permanenten Neuformatierung auf neue Daten- und Speicherformate bei digitalen Medien der Normalfall. Die Bildinformation kann nur durch die ständige Migration der Form von einer Materie zur anderen überstehen. Eine der Weisen, wie die digital(isiert)e Bildinformation weiterexistiert, ist genau ihre ständige (auch wenn mangelhafte) Reproduktion und Übertragung durch Netze (⊳ Replika, Faksimile und Kopie).[17] Siehe auch:
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Anmerkungen
[Adelmann 2004a]: Adelmann, Ralf (2004). Digitale Animationen in dokumentarischen Fernsehformaten?. In: Schröter & Böhnke (Hg.): Analog/Digital - Opposition oder Kontinuum? Beiträge zu Theorie und Geschichte einer Unterscheidung. Bielefeld: Transcript, S. 387-406.
[Adelmann 2009a]: Adelmann, Ralf (Hg.) (2009). Datenbilder. Zur digitalen Bildpraxis in den Naturwissenschaften. Bielefeld: Transcript.
[Amelunxen 1996a]: Amelunxen, Hubertus (1996). Fotografie nach der Fotografie. Dresden u.a.: Verlag Der Kunst.
[Appadurai 2003a]: Appadurai, Arjun (2004). Archive and Aspiration. In: Brouwer, J.; Mulder, A. (Hg.): Information is Alive. Rotterdam: V2_Publishing/NAI Publishers, S. 14-25.
[Badakshi 2006a]: Badakshi, Harun (2006). Körper in/aus Zahlen. Digitale Bildgebung in der Medizin. In: Hinterwaldner, I.; Buschhaus, M. (Hg.): The Picture's Image. Wissenschaftliche Visualisierung als Komposit. München: Fink, S. 199-205.
[Batchen 1998a]: Batchen, Geoffrey (1998). Photogenics/Fotogenik. Camera Austria, Nummer: 62/63, S. 5-16.
[Batchen 2000a]: Batchen, Geoffrey (2000). Ectoplasm. Photography in the Digital Age. In: Squiers, Carol (Hg.): Over Exposed. Essays on Contemporary Photography. New York: New Press, S. 9.23.
[Baudrillard 1978a]: Baudrillard, Jean (1978). Agonie des Realen. Berlin: Merve.
[Baudrillard 2000a]: Baudrillard, Jean (2000). Das perfekte Verbrechen. In: Amelunxen, H. (Hg.): Theorie der Fotografie IV 1980-1995. München: Schirmer/Mosel, S. 256-260.
[Beil & Schröter 2011a]: Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [59] und Klaus Sachs-Hombach [7] — (Hinweis) Zitierhinweis: [Schröter 2013g-a]
[Beil & Schröter 2011a]: |