Exkurs:Anime

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Exkurs zu: Animation


Etymologie und Wortbe­deutung

Der japanische Terminus ‘anime’ (orig.: アニメーション ani­mêshon) hat seinen Ursprung im Franzö­sischen und beschreibt, in allge­meiner Verwen­dung, alle Formen ani­mierter Filme: „the Japa­nese took the word from the French to de­scribe all ani­mated films“ ([Levi 2001a]Levi, Antonia (2001a).
Samurai from outer space. Understanding Japanese animation. Chicago: Open Court Publishing Company.

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: S. 1). Spricht man hinge­gen in neue­rer Zeit von ‘Ani­me’, so ist dies ein expli­ziter Verweis auf die in Japan produ­zierten Ani­mations­filme (vgl. [Leonard 2005a]Leonard, Sean (2005a).
Progress against the law. Anime and fandom, with the key to the globalization of culture. In International Journal of Cultural Studies, 8, 281-305.

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: S. 284 und [Levi 2001a]Levi, Antonia (2001a).
Samurai from outer space. Understanding Japanese animation. Chicago: Open Court Publishing Company.

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: S. 1).[1]


Science Fiction und Monster Movies

Die große internationale Bekanntheit und Beliebt­heit japa­nischer Ani­me gründet auf dem weltwei­ten Erfolg des japa­nischen Science Fiction. Inte­ressan­ter Weise wurde dieser Erfolg eben nicht durch die Prosa­lite­ratur japa­nischer Auto­ren bestimmt und etab­liert, sondern durch die moder­nen Medien und die berühm­ten kaijū eiga – die japa­nischen Monster Movies – allen voran​ «Goji­ra»​ («Godzil­la»,​ 1954). Die kaijū eiga wurden zum japa­nischen Export­schlager und fanden schnell ihren Weg in die inter­natio­nalen Kinos.​ «Goji­ra»​ wurde ab 1956 in Euro­pa und den USA gezeigt, zudem fanden die Filme enor­me Verbrei­tung über TV-​Ausstrah­lungen zwischen den 1960er und 1970er Jahren. Die Beliebt­heit der Monster Movies wurde beglei­tet von der Faszi­nation für Robo­ter und künstli­che Lebens­formen (vgl. [Bolton et al 2007a]Christopher Bolton (2007a).
Robot ghosts and wired dreams. Japanese science fiction from origins to anime. Minneapolis: Uni­versity of Minnesota Press.

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: S. viii). Von beson­derer Popu­lari­tät ist hier der von Osa­mu Tezu­ka entworfe­ne Manga​ «Tetsu­wan Ato­mu»​ («Astro­boy, Mighty Atom»,​ 1951), in welchem erstmals ein freundli­cher Robo­ter eine Hauptrol­le inne­hat und damit einen starken Kontrast bildet zu den nega­tiven Vorstel­lungen, die Ame­rika­ner und Euro­päer mit künstli­chen Lebens­formen oftmals verbin­den. Dieses Nega­tivbild wird karikie­rend als ‘Franken­stein Syndrome’ bezeich­net und ist als Angst-​Motiv nicht nur in fiktio­nalen Kontex­ten präsent, sondern
it has been integrated as an aspect of technol­ogy that seems un­avoid­able. Never­theless, it is a rela­tively recent evo­lution in Western culture ([Kaplan 2004a]Kaplan, Frédéric (2004a).
Who is afraid of the humanoid? Investigating cultural differences in the acceptance of robots. In International Journal of Humanoid Robotics, 1, 3, 1-16.

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: S. 11).
Die Beliebtheit von «Tetsuwan Atomu» führte insge­samt zu einer 18 Jahre andau­ernden Publi­kation in «shōnen manga» und ab dem Jahr 1963 zur TV-­Ausstrah­lung mit einer Anzahl von insge­samt 193 Epi­soden. Der Ani­me​ «Tetsu­wan Ato­mu»​ wurde im Ausland als​ «Astro Boy»​ und​ «Mighty Atom»​ bekannt.​ «Tetsu­wan Ato­mu»s​ Geburts­tag (der 7. April 2003) führte 2003 zu einer Neuauf­lage für das japa­nische Fernse­hen und zur Produk­tion von Sammel­münzen, um den Geburts­tag ange­messen zu feiern (vgl. [Krebs 2006a]Krebs, Stefan (2006a).
On the Anticipation of ethical conflicts between humans and robots in Japanese mangas. In International Review of Information Ethics, 6, 63-68.

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: S. 64). Gera­de in​ «Tetsu­wan Ato­mu»​ mani­festiert sich erstmals die Dicho­tomie von Mensch und Maschi­ne als Prinzip der Hoffnung und der Sozia­lität und nicht als Äuße­rung des nega­tiv konno­tierten Frankenstein Syndrome.​ «Tetsu­wan Ato­mu»​ ist arche­typisch für das Konzept des Gefähr­ten, der die Menschheit oft gegen Gefah­ren aus dem Weltall vertei­digt und stetig versucht, eige­ne Emo­tiona­lität zu ent­wickeln, wenn­gleich er nicht über die volle Bandbrei­te menschli­cher Emo­tionen verfü­gen kann (vgl. [Levi 2001a]Levi, Antonia (2001a).
Samurai from outer space. Understanding Japanese animation. Chicago: Open Court Publishing Company.

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: S. 86).


Künstliche Lebens­formen

„In der Erzähltradition des japanischen anime bildet das Konzept der künstli­chen Lebens­form ein vielsei­tig verar­beite­tes narra­tives Konstrukt. Anime [...] reflek­tiert auf diese Weise spezi­fische Momen­te der gesell­schaftli­chen Kultur­kritik im Bezug auf das Verhält­nis von Mensch und künstli­chem Leben. Anime ist dabei nicht nur ein Refle­xionspri­nzip einer tradi­tionell japa­nischen Perspek­tive, sondern verar­beitet kultu­relle Moti­ve und Inhal­te einer global vernetz­ten und multi­medi­alen Weltge­sellschaft. Das Verständ­nis von künstli­chen Lebens­formen und deren Charak­teri­sierung, wie es im ani­me refle­xiv zur Anwen­dung kommt, erfährt dabei eine steti­ge narra­tive Entwick­lung. Diese proble­mati­siert nicht nur Angst­moti­ve im Kontext von Mensch-​Maschi­ne-​Symbi­osen, sondern expli­zit realge­sellschaft­liche Diskur­se im Kontext künstli­cher Lebens­formen: Fragen nach der Konsti­tution von Iden­tität, Körpern, moder­nen Formen der Sozia­lität und dem Verhäl­tnis von Geist, Körper, Person­werdung und Leben werden inten­siv proble­mati­siert“ ([Grabbe 2010a]Grabbe, Lars (2010).
Die Evolution des Cyborgs. Künstliche Lebensformen im japanischen Anime Ergo Proxy (2006).
In Japan - Europa. Wechselwirkungen zwischen den Kulturen im Film und den darstellenden Künsten, 213-230.

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: S. 213).


Manga

Ein Großteil der Anime basieren auf Printvor­lagen, den Manga (Originalbedeutung: ›lächer­liches, komi­sches Bild‹), und diese sind eine feste Insti­tution in der japa­nischen Erzähl­tradi­tion.

Die „konzeptionelle Form-Struktur“ ([Grabbe 2010a]Grabbe, Lars (2010).
Die Evolution des Cyborgs. Künstliche Lebensformen im japanischen Anime Ergo Proxy (2006).
In Japan - Europa. Wechselwirkungen zwischen den Kulturen im Film und den darstellenden Künsten, 213-230.

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: S. 214) der Manga lässt sich bis in das 12. Jahrhun­dert zurück­verfol­gen und basiert auf illus­trierten Handrol­len, den so genannten ‘ema­kimo­no’. Diese Schriftrol­len zeichne­ten sich durch facet­tenrei­che Geschich­ten aus, die durch spezi­elle Maltech­niken mittels Pinsel gezeich­net wurden und häufig über den im Manga typi­schen Aspekt der Bewe­gung verfüg­ten. Letzte­re wurde beispiels­weise im​ «Ban Daina­gon Ema­ki»​ (12. Jahrhun­dert) dadurch erzielt, dass die Handrol­le von rechts nach links aufge­rollt wurde und jeweils ein Teil der Geschich­te präsen­tierte, dann wurde die Rolle nach Fertig­lesen des Abschnitts einfach weiter aufge­rollt und offen­barte somit eine Bewe­gungsstruk­tur der Bildent­faltung von rechts nach links. Die ema­kimo­no verfüg­ten über zusätz­liche Beschrei­bungen des Bildin­halts durch Text und wirkten somit durch eine Kombi­nation von Bildin­halt und phone­tischem Symbol, ähnlich der Struktur moder­ner Manga (Vgl. [Kiyo­mitsu 2004a]Kiyomitsu, Yui (2004a).
Japanese Animation: A Post-Modern Entertainment in Global Context.
In Paper presented at the 36th World Congress of International Institute of Sociology.

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: S. 4f.). Zusätz­lich lässt sich das Prinzip der inter­akti­ven Kunst, welches unter ande­rem durch die ästhe­tische Druck­tradi­tion des japa­nischen Holz­schnitts oder Farbholz­schnitts vom 16. bis 19. Jahrhun­dert ent­wickelt wurde, auf die Bildge­staltung im Manga und Ani­me anwen­den. In dieser Kunstform steht das Errei­chen eines Realis­mus im Vorder­grund, welcher dem Betrach­ter mehr zeigt, als im eigent­lichen Bildraum darge­stellt ist. Der Betrach­ter füllt sozu­sagen die Leerstel­len im Bild mittels ima­gina­tiver Eigen­leistung auf, um einen Sinn zu gene­rieren. Wenn z.B. ein Bild Pfade und Wege zeigt, die anschei­nend weiter reichen als der Rahmen, muss der Betrach­ter diesen abwe­senden Bildraum mitden­ken:
Anime sets the stage, but the viewer’s imagination must fill the gaps. Anime’s most powerful scenes never appear on screen at all ([Levi 2001a]Levi, Antonia (2001a).
Samurai from outer space. Understanding Japanese animation. Chicago: Open Court Publishing Company.

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: S. 20f.).
Die „konzeptionelle Inhalts-Struktur" ([Grabbe 2010a]Grabbe, Lars (2010).
Die Evolution des Cyborgs. Künstliche Lebensformen im japanischen Anime Ergo Proxy (2006).
In Japan - Europa. Wechselwirkungen zwischen den Kulturen im Film und den darstellenden Künsten, 213-230.

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: S. 215) im Manga folgt einem dreiglied­rigen Modell, welches sich an einem diffe­renzier­ten Geschlech­terkon­zept orientiert:

Der sehr action-orientierte (1) shōnen manga orientiert sich am männli­chen Leser und behan­delt Kriegs­themen, Sport, Sexu­ali­tät und Riva­lität.

Das Gegenstück bildet der am weibli­chen Leser orien­tierte (2) shōjo manga, er thema­tisiert Emo­tionen und Bezie­hungsge­füge. In den 1960er und 1970er Jahren orien­tierte sich der shōjo manga an der drama­tischen Tradi­tion des ausschließ­lich von weibli­chen Schauspie­lern besetz­ten Taka­razu­ka-​Theaters, welches tradi­tionell für ein weibli­ches Teen­ager-​Publi­kum spielt. Das Taka­razu­ka-​Theater zeichnet sich insbe­sonde­re durch die Darstel­lung über­aus starker Rollen aus, oftmals auch durch die Verkör­perung von Männern und die Darstel­lung der bishō­nen (schöner Junge), der schönen und andro­gynen Männer, die charak­teris­tisch sind für bi­sexu­elle Roman­zen der tradi­tionel­len japa­nischen Kämpfer­legen­den.

Der sich ausbildende wechselseitige Einfluss von Taka­razu­ka-​Theater und shōjo manga führte letztend­lich dazu, dass sich shōjo manga auch an den Themen der männli­chen shōnen manga erfolg­reich versuch­te und sich der (3) bishō­nen manga als Subka­tego­rie des shōjo manga etab­lierte.

In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren führte ein gegen­seiti­ger thema­tischer Austausch zwischen shōnen manga und shōjo manga dazu, dass sich die ursprüng­liche Trennung dieser Kate­gorien zuneh­mend auflös­te und nun auch junge und erwach­sene Männer shōjo manga konsu­mierten und sich eben­falls junge und erwach­sene Frauen den shōnen manga zuge­wendet haben. Neben den Konsu­menten vermisch­ten sich auch die unter­schiedli­chen Stil­ebe­nen, und immer öfter wurden starke weibli­che Charak­tere in den männli­chen shōnen manga etab­liert und starke männli­che Charak­tere in den shōjo manga (vgl. [Levi 2001a]Levi, Antonia (2001a).
Samurai from outer space. Understanding Japanese animation. Chicago: Open Court Publishing Company.

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: S. 10f.).


Anime: Expressi­ve Modi

Die erzählerische Komplexität japa­nischer Ani­me lässt sich inner­halb von drei expres­siven Modi kate­gori­sieren:

Zuerst ist der apokalyp­tische Modus anzu­führen, welcher Welt­unter­gangssze­narien und/​oder Momen­te der globa­len Bedro­hung be­inhal­tet: als Form der Kultur­kritik zu begrei­fen, die Aspek­te wissen­schaftlich-​indus­trieller Gesell­schaftsent­wicklun­gen reflek­tiert. An zweiter Stelle ist der festli­che/​karne­vales­ke Modus zu nennen, welcher in hohem Maße komö­dianti­sche und exzes­sive Ele­mente aufweist. Dieser Modus steht nicht ausschließ­lich für Spaß und Belus­tigung, sondern auf philo­sophi­scher Ebe­ne für die Ele­mente​ »Verän­derung«,​ »Abwechs­lung«,​ »Tod und Erneu­erung«.​ Als letzte Form ist der ele­gische Modus zu erwäh­nen, welcher Aspek­te von Kummer, Mangel und Verlust be­inhal­tet.

Diese drei Modi wechselwirken nicht nur mit­einan­der, sondern eben­falls mit dem reichhal­tigen Mate­rial der japa­nischen Erzähl­tradi­tion:

the immense range of anime – its fasci­nating vari­ety of genres, its mix­ture of tradi­tional and modern ele­ments, and its dis­parate assem­blage of subjec­tivi­ties – it is also re­warding to see how the modes of apoca­lypse, festi­val, and el­egy contin­ually appear, rework­ing and recom­bining them­selves across the broad tapes­try of contem­porary ani­mation ([Napier 2001a]Napier, Susan J. (2001a).
Anime. From Akira to Princess Mononoke. Palgrave Mcmillan.

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: S. 13f.).
Anmerkungen
  1. Po­pu­lä­re Ani­me sind​ «Te­tsu­wan Ato­mu»​ («As­tro­boy»,​ «Mighty Atom»,​ 1951),​ «Te­tsu­jin 28-​gō»​ («Gi­gan­tor»,​ 1956),​ «Ba­bu­ru­ga­mu ku­rai­shi­su»​ («Bubble­gum Crisis»,​ 1987),​ «Aki­ra»​ (1988),​ «Kô­ka­ku ki­dô­tai»​ («Ghost in the Shell»,​ 1995),​ «Kyô­sho­ku sô­kô Guy­ver»​ («Guy­ver: The Bio­boosted Armor»,​ 2005),​ «Ergo Proxy»​ (2006).
Literatur                             [Sammlung]

[Bolton et al 2007a]: Christopher Bolton (Hg.) (2007a). Robot ghosts and wired dreams. Japanese science fiction from origins to anime. Minneapolis: Uni­versity of Minnesota Press.

[Grabbe 2010a]: Grabbe, Lars (2010). Die Evolution des Cyborgs. Künstliche Lebensformen im japanischen Anime Ergo Proxy (2006). In: Adachi-Rabe, K.; Becker, A.; Mundhenke, F. (Hg.): Japan - Europa. Wechselwirkungen zwischen den Kulturen im Film und den darstellenden Künsten. Darmstadt: Büchner Verlag, S. 213-230. [Kaplan 2004a]: Kaplan, Frédéric (2004a). Who is afraid of the humanoid? Investigating cultural differences in the acceptance of robots. International Journal of Humanoid Robotics, Band: 1, Nummer: 3, S. 1-16. [Kiyo­mitsu 2004a]: Kiyomitsu, Yui (2004a). Japanese Animation: A Post-Modern Entertainment in Global Context. Paper presented at the 36th World Congress of International Institute of Sociology. Italy: Uni­versity of Trento. [Krebs 2006a]: Krebs, Stefan (2006a). On the Anticipation of ethical conflicts between humans and robots in Japanese mangas. International Review of Information Ethics, Band: 6, S. 63-68. [Leonard 2005a]: Leonard, Sean (2005a). Progress against the law. Anime and fandom, with the key to the globalization of culture. International Journal of Cultural Studies, Band: 8, S. 281-305. [Levi 2001a]: Levi, Antonia (2001a). Samurai from outer space. Understanding Japanese animation. Chicago: Open Court Publishing Company. [Napier 2001a]: Napier, Susan J. (2001a). Anime. From Akira to Princess Mononoke. Palgrave Mcmillan.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Verantwortlich:

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [10] und Dimitri Liebsch [1] — (Hinweis)