Die Wahrheit einer Proposition kann nur relativ zu dem gemeinten Kontext angegeben werden. Bei einer singulären konkreten Proposition[1] ergibt sich Wahrheit (und Falschheit) aus dem Verhältnis zwischen dem behaupteten Sachverhalt und den Tatsachen in dem gemeinten Kontext. Dabei muss unterschieden werden, ob es möglich ist, die Geltung des behaupteten Sachverhalts in dem Kontext empirisch zu überprüfen, oder ob direkter Zugang zu dem Kontext nicht möglich ist und daher nur ein logischer Abgleich mit dem Vorwissen gelingt.[2]
Verifikationsverfahren für singuläre konkrete Propositionen
Das allgemeine empirische Verifikationsverfahren für singuläre konkrete Propositionen besteht darin, zunächst den durch die Kontextbildung angegebenen Kontext aufzusuchen, dort die durch die Nominationen identifizierten Gegenstände zu finden und schließlich die durch die Prädikation ins Spiel gebrachte Unterscheidungspraxis auf jene Gegenstände anzuwenden. Der Wahrheitsbegriff ist damit korrespondenztheoretisch gefasst.
Ein Sonderfall tritt bei Lokationsangaben ein: Wird durch die Prädikation ein Gegenstand lokalisiert, dann sucht man gemeinhin nicht zunächst den Gegenstand und prüft dann, ob er sich am prädizierten Ort befindet. Vielmehr sucht man zunächst den angegebenen Ort auf und prüft sodann, ob sich der gemeinte konkrete Gegenstand dort befindet. Diese Verifikationsumkehr hängt mit der Bedeutung der Raumangaben für die Kontextbildung zusammen (vgl. [Tugendhat 1976a]Tugendhat, Ernst (1976). Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Ein allgemeines logisches Verifikationsverfahren kann für die singulären konkreten Propositionen zum Zuge kommen, wenn der Zielkontext nicht zur aktuellen Verhaltensituation, in der allein das empirische Verifikationsverfahren wirksam wäre, gemacht werden kann: Hierbei wird allein durch logisches Schließen die Verträglichkeit der Proposition mit dem Wissen über jenen Kontext getestet (vgl. hierzu Prädikation: Begriffe, begriffliche Argumente und logisches Schließen). Hier liegt daher ein kohärenztheoretischer Wahrheitsbegriff zugrunde.
Verifikationsverfahren für andere Arten von Propositionen
Bei den anderen Typen von Propositionen wird Wahrheit auf verschiedene Weisen auf die Basisform der singulären konkreten Propositionen zurück bezogen:[4]
Das allgemeine Verifikationsverfahren für generelle konkrete Propositionen (bzw. extensional-abstrakte P.) besteht darin, die unter der Quantifikation zusammengefassten Einzelfälle gemäß der entsprechenden Verifikationsverfahren für singuläre konkrete Propositionen zu überprüfen. Da es sich um eine endliche Menge handelt, terminiert der Entscheidungsalgorithmus, sobald bei Allquantifikation ein Gegenbeispiel oder bei Existenzquantifikation ein Beispiel gefunden wird, oder wenn alle Möglichkeiten überprüft sind. Da dieses Verifikationsverfahren auf dem für singuläre konkrete Propositionen beruht, ergeben sich analog logische und empirische Varianten.
Die Verifikationsverfahren für intensional-abstrakte Propositionen müssen darauf gerichtet sein zu überprüfen, ob eine prinzipiell auf unendlich viele Einzelfälle anwendbare Regel gilt. Die Wahrheit hängt also nur indirekt von bestimmten Kontexten ab. Da eine Überprüfung aller Einzelfälle nicht möglich ist, richtet sich die Verifikation in diesen Fällen normalerweise an der Korrektheit des Konstruktionsverfahrens für solche Regeln aus. Dabei spielen insbesondere die logischen Zusammenhänge zwischen den beteiligten Begriffen eine entscheidende Rolle. [5]
↑Genauer: Da konkrete Propositionen dadurch bestimmt sind, dass man sich mit ihnen auf raumzeitlich verortete Gegenstände bezieht, tritt die Verifikationsumkehr gerade bei der Zuschreibung der für diese Art von Gegenständen charakteristischen Eigenschaft auf.
↑Da begriffliche “Propositionen” einen stark tentativ-normativen Anteil haben, stellt sich bei ihnen nicht die Frage nach der Wahrheit, sondern nach ihrer Sinnhaftigkeit; vgl. [Ros 1999a]Ros, Arno (1999). Was ist Philosophie?. In Philosophieren über Philosophie, 36–58.
↑Insofern mit diesen Regeln einerseits artikuliert werden kann, dass ein Sachverhalt in allen Kontexten gilt, oder andererseits, dass ein Sachverhalt wenigstens in einigen Kontexten gilt, können die alethischen Modallogiken eingesetzt werden.
[Ros 1999a]: Ros, Arno (1999). Was ist Philosophie?. In: Raatzsch, Richard (Hg.): Philosophieren über Philosophie. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, S. 36–58.
[Tugendhat 1976a]: Tugendhat, Ernst (1976). Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.