Fotografie: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine (notwendigerweise unvollständige) Übersicht über die unterschiedlichen bildwissenschaftlichen Fragen an das Medium Fotografie kann vier Bereiche unterscheiden:  
 
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1) Die prominentesten Positionen der philosophischen Bildwissenschaft der Fotografie argumentieren '''zeichentheoretisch''', indem sie sich auf Charles Sanders Peirce berufen und die Fotografie als Index (d.h. über eine Kausalrelation zwischen Zeichen und Objekt) bestimmen. Hatte Peirce die Fotografie nur als ein Beispiel für den indexikalischen Zeichentypus unter anderen erwähnt und darüber hinaus auch die Ähnlichkeitsrelation zwischen Zeichen und Objekt in der Fotografie reflektiert (Fotografie als Ikon)<ref>Vgl. Geimer, Theorie der Fotografie (Anm. 7), S. 18-25.</ref>, so wurde die Fotografie bei – oder besser nach<ref>‚nach‘ im Sinne der zeitlichen Nachfolge genauso wie im Sinne des frz. ‚selon / gemäß‘.</ref> - Roland Barthes<ref>Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt am Main 1985.</ref>, Rosalind Krauss<ref>Rosalind Krauss: Anmerkungen zum Index. Teil I und Teil II, in dies.: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Amsterdam/Dresden 2000, S. 249-276.</ref> und Philippe Dubois <ref>Philippe Dubois: Der fotografische Akt. Versuch über ein theoretisches Dispositiv, Amsterdam/Dresden 1998.</ref>  als Spur des Realen schlechthin thematisiert. Alternative Zeichenmodi (wie das Ikon) wurden kaum mehr im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für die Frage nach der Fotografie / dem Fotografischen überprüft.  „An die Stelle der Ähnlichkeit der Mimesis (trat) nun die Natürlichkeit der indexikalischen Referentialität“<ref> Bernd Stiegler: Fotografie und Indexikalität. Einleitung, in: Texte zur Theorie der Fotografie, hg. v. Bernd Stiegler, Stuttgart 2010, S. 74.</ref> als Paradigma des fotografischen Bildes. Je intensiver diesem Zeichentypus nachgefragt wurde, desto essentialistischer aber geriet auch dessen Lesart, wiewohl dies der Intention der poststrukturalistischen Fototheorie widersprach.  Insbesondere Roland Barthes Essay „Die helle Kammer“ provozierte einseitige Rezeptionsformen, je nachdem ob die fast magisch anmutende Unmittelbarkeit der „Emanation des Referenten“<ref>Barthes, Die helle Kammer (Anm. 10), S. 90.</ref> oder aber der zeitlich bedingte, unhintergehbare „Entzug“ des Referenten<ref>Im Sinne der „Emanation des vergangenen Wirklichen“ (Barthes, Die helle Kammer, S. 99).</ref> die Bestimmung der Fotografie / des Fotografischen nach Barthes dominierten.
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1) Die prominentesten Positionen der philosophischen Bildwissenschaft der Fotografie argumentieren '''zeichentheoretisch''', indem sie sich auf Charles Sanders Peirce berufen und die Fotografie als Index (d.h. über eine Kausalrelation zwischen Zeichen und Objekt) bestimmen. Hatte Peirce die Fotografie nur als ein Beispiel für den indexikalischen Zeichentypus unter anderen erwähnt und darüber hinaus auch die Ähnlichkeitsrelation zwischen Zeichen und Objekt in der Fotografie reflektiert (Fotografie als Ikon)<ref>Vgl. Geimer, Theorie der Fotografie (Anm. 7), S. 18-25.</ref>, so wurde die Fotografie bei – oder besser nach<ref>‚nach‘ im Sinne der zeitlichen Nachfolge genauso wie im Sinne des frz. ‚selon / gemäß‘.</ref> - Roland Barthes<ref>Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt am Main 1985.</ref>, Rosalind Krauss<ref>Rosalind Krauss: Anmerkungen zum Index. Teil I und Teil II, in dies.: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Amsterdam/Dresden 2000, S. 249-276.</ref> und Philippe Dubois<ref>Philippe Dubois: Der fotografische Akt. Versuch über ein theoretisches Dispositiv, Amsterdam/Dresden 1998.</ref>  als Spur des Realen schlechthin thematisiert. Alternative Zeichenmodi (wie das Ikon) wurden kaum mehr im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für die Frage nach der Fotografie / dem Fotografischen überprüft.  „An die Stelle der Ähnlichkeit der Mimesis (trat) nun die Natürlichkeit der indexikalischen Referentialität“<ref> Bernd Stiegler: Fotografie und Indexikalität. Einleitung, in: Texte zur Theorie der Fotografie, hg. v. Bernd Stiegler, Stuttgart 2010, S. 74.</ref> als Paradigma des fotografischen Bildes. Je intensiver diesem Zeichentypus nachgefragt wurde, desto essentialistischer aber geriet auch dessen Lesart, wiewohl dies der Intention der poststrukturalistischen Fototheorie widersprach.  Insbesondere Roland Barthes Essay „Die helle Kammer“ provozierte einseitige Rezeptionsformen, je nachdem ob die fast magisch anmutende Unmittelbarkeit der „Emanation des Referenten“<ref>Barthes, Die helle Kammer (Anm. 10), S. 90.</ref> oder aber der zeitlich bedingte, unhintergehbare „Entzug“ des Referenten<ref>Im Sinne der „Emanation des vergangenen Wirklichen“ (Barthes, Die helle Kammer, S. 99).</ref> die Bestimmung der Fotografie / des Fotografischen nach Barthes dominierten.
  
 
2) Eine eher '''wahrnehmungstheoretisch''' fokussierte Bildwissenschaft hat ihr Interesse vor allem auf das technische Dispositiv der Fotografie und von hier aus auf den Zusammenhang von Wahrnehmung und Bild gerichtet. Im Rückgriff auf den Vergleich von Kamera und camera obscura genauso wie auf den Vergleich von Kamera/camera obscura und Auge gilt ihr die Fotografie bzw. das Fotografische als Ausgangspunkt für eine Rekapitulation verschiedener Modi des Sehens und Modelle von Sichtbarkeit. Eine kulturhistorische Grundlegung für solche Überlegungen hatte Jonathan Crary 1990 erarbeitet, dessen an Foucault anschließende, diskursanalytische Studie „Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert“ die Erfindung und Verbreitung der Fotografie (sowie anderer Techniken des Betrachters, insbesondere die Stereoskopie) als Symptom eines Paradigmenwechsels von der geometrischen Optik des 17. und 18. Jahrhunderts zur physiologischen Optik des 19. Jahrhunderts und damit zu einem neu konzipierten Betrachter begreift. Ein diskursanalytischer Ansatz erwies sich auch für die von Stiegler verfolgte „Theoriegeschichte der Photographie“ als produktiv, ebenso wie für Geimers „Bilder aus Versehen. Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen“. Auch wenn sich diese Studien nicht dezidiert im Kontext der Bildwissenschaft verorten, problematisieren sie gleichwohl exemplarisch, ausgehend von der Geschichte der Fotografie, die für die Bildwissenschaft zentrale Frage nach dem Verhältnis von (apparativem) Sehen, Wahrnehmung und Bild.
 
2) Eine eher '''wahrnehmungstheoretisch''' fokussierte Bildwissenschaft hat ihr Interesse vor allem auf das technische Dispositiv der Fotografie und von hier aus auf den Zusammenhang von Wahrnehmung und Bild gerichtet. Im Rückgriff auf den Vergleich von Kamera und camera obscura genauso wie auf den Vergleich von Kamera/camera obscura und Auge gilt ihr die Fotografie bzw. das Fotografische als Ausgangspunkt für eine Rekapitulation verschiedener Modi des Sehens und Modelle von Sichtbarkeit. Eine kulturhistorische Grundlegung für solche Überlegungen hatte Jonathan Crary 1990 erarbeitet, dessen an Foucault anschließende, diskursanalytische Studie „Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert“ die Erfindung und Verbreitung der Fotografie (sowie anderer Techniken des Betrachters, insbesondere die Stereoskopie) als Symptom eines Paradigmenwechsels von der geometrischen Optik des 17. und 18. Jahrhunderts zur physiologischen Optik des 19. Jahrhunderts und damit zu einem neu konzipierten Betrachter begreift. Ein diskursanalytischer Ansatz erwies sich auch für die von Stiegler verfolgte „Theoriegeschichte der Photographie“ als produktiv, ebenso wie für Geimers „Bilder aus Versehen. Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen“. Auch wenn sich diese Studien nicht dezidiert im Kontext der Bildwissenschaft verorten, problematisieren sie gleichwohl exemplarisch, ausgehend von der Geschichte der Fotografie, die für die Bildwissenschaft zentrale Frage nach dem Verhältnis von (apparativem) Sehen, Wahrnehmung und Bild.

Version vom 10. Januar 2011, 19:26 Uhr


Unterpunkt zu: Bildmedien


Darstellung des Gesamtzusammenhangs

Für die bildwissenschaftliche Reflexion auf das Bild, die Bilder und die Bildmedien stellt die Auseinandersetzung mit der Fotografie ein bevorzugtes Arbeitsgebiet dar. Wiewohl auch der Bildbegriff der Fotografie umstritten, die Konturen seines Terrains unscharf und die medialen Definitionen von Fotografie vielfältig sind, spitzen sich in den bildwissenschaftlichen Überlegungen zur Fotografie grundsätzliche Fragestellungen der Bildwissenschaft prägnant zu. Historisch auf die Zeit nach 1830 datierbar, technisch mit einem apparativen Dispositiv verbunden, zeichentheoretisch als Index bestimmt, kulturwissenschaftlich als Massenmedium beschreibbar und mit der Idee der Reproduzierbarkeit eng verknüpft, legitimiert die Fotografie dabei nur auf den ersten Blick die vereinfachende Gleichsetzung von Bild/Abbild und damit ein vermeintlich übersichtliches Abstecken bildwissenschaftlicher Arbeitsfelder. Im zweiten Blick zeigt sich auch und gerade anläßlich der Fotografie, daß Bildlichkeit immer nur in der twofoldness[1] von Transparenz und Opazität, von einem Sehen des Dargestellten wie des Mediums der Darstellung, d.h. im Blick auf das Gezeigte wie auf das Zeigende zu fassen ist.

Erste medienästhetisch akzentuierte Bestimmungen der Fotografie als Bild wurden im Kontext der Neuen Sachlichkeit erprobt. Während das fotografische Bild zuvor mit an der Kunst, insbes. an der Malerei gewonnenen Kriterien von Bildlichkeit gemessen wurde, fragten Fotografen und Fotografietheoretiker wie Albert Renger-Patzsch[2], Laszlo Moholy-Nagy[3], Alexander Rodtschenko oder Ernst Kallai in den 1920/30er Jahren[4] erstmals nach dem spezifisch bildlichen Aussagepotential des ‚neuen Mediums‘. Der Fotografie wurde dabei ein besonderer Realitätsgehalt zugesprochen, der das technisch-apparative, sog. objektive[5] Gemachtsein des fotografischen Bildes betonte und klassisch-ästhetischen Bestimmungen von Bildlichkeit, etwa der Idee von Ähnlichkeit/Mimesis, eine neue Ausrichtung gab.

Der Diskurs um die Medienspezifik der Fotografie (wie der Diskurs um die Medienspezifik anderer Medien gleichermaßen) konnte eine essentialistische, zuweilen emphatisch vorgetragene Perspektive nicht verleugnen, die zahlreiche Kritiker auf den Plan rief. Spätestens seit den 1960er/70er Jahren wurde im Zuge des Strukturalismus und des Poststrukturalismus verstärkt der Konstruktivität des Realen in der Fotografie bzw. der Konstruktivität des Medialen im fotografischen Bild nachgefragt. Statt von „der Fotografie“ ist seitdem gerne vom „Fotografischen“[6] die Rede, womit deutlich werden soll, daß der „Status der Fotografie nicht aus bestimmten Eigenschaften fotografischer Bilder“[7] hergeleitet wird, sondern aus den Funktionen bzw. den Handlungskontexten der Fotografie qua medialer Produktion, Distribution und Rezeption.

Eine (notwendigerweise unvollständige) Übersicht über die unterschiedlichen bildwissenschaftlichen Fragen an das Medium Fotografie kann vier Bereiche unterscheiden:

1) Die prominentesten Positionen der philosophischen Bildwissenschaft der Fotografie argumentieren zeichentheoretisch, indem sie sich auf Charles Sanders Peirce berufen und die Fotografie als Index (d.h. über eine Kausalrelation zwischen Zeichen und Objekt) bestimmen. Hatte Peirce die Fotografie nur als ein Beispiel für den indexikalischen Zeichentypus unter anderen erwähnt und darüber hinaus auch die Ähnlichkeitsrelation zwischen Zeichen und Objekt in der Fotografie reflektiert (Fotografie als Ikon)[8], so wurde die Fotografie bei – oder besser nach[9] - Roland Barthes[10], Rosalind Krauss[11] und Philippe Dubois[12] als Spur des Realen schlechthin thematisiert. Alternative Zeichenmodi (wie das Ikon) wurden kaum mehr im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für die Frage nach der Fotografie / dem Fotografischen überprüft. „An die Stelle der Ähnlichkeit der Mimesis (trat) nun die Natürlichkeit der indexikalischen Referentialität“[13] als Paradigma des fotografischen Bildes. Je intensiver diesem Zeichentypus nachgefragt wurde, desto essentialistischer aber geriet auch dessen Lesart, wiewohl dies der Intention der poststrukturalistischen Fototheorie widersprach. Insbesondere Roland Barthes Essay „Die helle Kammer“ provozierte einseitige Rezeptionsformen, je nachdem ob die fast magisch anmutende Unmittelbarkeit der „Emanation des Referenten“[14] oder aber der zeitlich bedingte, unhintergehbare „Entzug“ des Referenten[15] die Bestimmung der Fotografie / des Fotografischen nach Barthes dominierten.

2) Eine eher wahrnehmungstheoretisch fokussierte Bildwissenschaft hat ihr Interesse vor allem auf das technische Dispositiv der Fotografie und von hier aus auf den Zusammenhang von Wahrnehmung und Bild gerichtet. Im Rückgriff auf den Vergleich von Kamera und camera obscura genauso wie auf den Vergleich von Kamera/camera obscura und Auge gilt ihr die Fotografie bzw. das Fotografische als Ausgangspunkt für eine Rekapitulation verschiedener Modi des Sehens und Modelle von Sichtbarkeit. Eine kulturhistorische Grundlegung für solche Überlegungen hatte Jonathan Crary 1990 erarbeitet, dessen an Foucault anschließende, diskursanalytische Studie „Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert“ die Erfindung und Verbreitung der Fotografie (sowie anderer Techniken des Betrachters, insbesondere die Stereoskopie) als Symptom eines Paradigmenwechsels von der geometrischen Optik des 17. und 18. Jahrhunderts zur physiologischen Optik des 19. Jahrhunderts und damit zu einem neu konzipierten Betrachter begreift. Ein diskursanalytischer Ansatz erwies sich auch für die von Stiegler verfolgte „Theoriegeschichte der Photographie“ als produktiv, ebenso wie für Geimers „Bilder aus Versehen. Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen“. Auch wenn sich diese Studien nicht dezidiert im Kontext der Bildwissenschaft verorten, problematisieren sie gleichwohl exemplarisch, ausgehend von der Geschichte der Fotografie, die für die Bildwissenschaft zentrale Frage nach dem Verhältnis von (apparativem) Sehen, Wahrnehmung und Bild.

3) Weniger als Instrumentarium des Sehens denn als Instrumentarium des vermeintlich objektiven Aufzeichnens figuriert der Fotoapparat im Kontext einer (Stil-)Geschichte wissenschaftlicher Bilder, seien dies die Bilder der Natur- und Technikwissenschaften, der Medizin oder der Kunstwissenschaften.[16] Das Bild / die Fotografie wird hier unter wissenschaftshistorischen Vorzeichen befragt. Für Lorraine Daston und Peter Galison[17] stellt sich die Fotografie in den Wissenschaften des 19. Jahrhunderts als Medium einer (moralisierenden) Objektivitäts-Konstruktion dar. Wissenschaftler, so ihre These, „entdeckten das mechanische Bild als einen ethisch-epistemischen Ausweg aus ihrer ständigen Sorge, der eigenen Subjektivität zu erliegen“.[18] Durch die Analyse wissenschaftlicher Objektivitätsfiktionen gewinnt die wissenschaftshistorisch geprägt Bildwissenschaft zugleich Erkenntnisse über die verschiedenen Modi des Zeigens, die dem Bild bzw. der Fotografie (und den anderen Aufzeichnungsmedien) zugesprochen wurden. In vergleichbarer Absicht werden am Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik in Berlin technische Bilder (denen i.d.R. das Fotografische im Sinne des Indexikalischen zugrunde liegt) „nicht als illustrierende Repräsentationen, sondern in ihrer produktiven Kraft als eigeständiges, mehrschichtiges Element des Erkenntnisgewinns“[19] untersucht.

4) Obwohl die Kunstgeschichte angesichts der Omnipräsenz des Fotografischen in der Bildkultur der Moderne ihre Zuständigkeit für die bildwissenschaftliche Analyse aller Bilder (künstlerischer und nicht-künstlerischer Art) wiederholt betont hat und als Bildwissenschaft avant la lettre verstanden werden möchte[20], bleibt zu konstatieren, daß auch eine klassischer dimensionierte Kunstgeschichte in ihrem kunsthistorischen Umgang mit der Fotografie (als Kunst) bildwissenschaftlich relevante Fragestellungen verfolgt. Dies nicht zuletzt deshalb, weil gerade im Bereich der künstlerischen Fotografie die Verhältnisbestimmung von Bild und Abbild oft besonders prägnant zugespitzt wurde, so daß die Fotografie als Bildmedium damit dezidiert selbst zur Diskussion gestellt wird. In bildphilosophischer / bildwissenschaftlicher Hinsicht ist jedenfalls bezeichnend ist, daß das Paradigma des Fotografischen zunächst für den Kontext der Kunst formuliert wurde, bevor es zur Chiffre für das Indexikalische wurde.[21] Da insbesondere der Fotokonzeptualismus im Medium der Fotografie die Fotografie als Bildmedium reflektiert, finden sich gerade in diesem Bereich Bilder, die, soweit dieses Vermögen Bildern überhaupt zugesprochen wird, selbst Bildbegriffe entwickeln und dementsprechend kunsthistorisch / bildwissenschaftlich zu befragen sind. Als Beispiele für einen solchen selbstreflexiven Gebrauch des Mediums Fotografie im Fotokonzeptualismus können frühe Fotopositionen von Joseph Kosuth („One and three photographs“, 1965) oder von Jan Dibbets („Perspective Correction: My Studio I,I: Square on Wall“, 1969)[22] genannt werden. Aber auch postkonzeptualistische Fotopositionen, wie beispielsweise Christopher Williams mit seinem Zyklus „For Example: Die Welt ist schön“, 1993-2001, bergen ein eminent bildkritisches Potenzial. Wie Alexander Alberro zu Recht feststellte, war „der Konzeptualismus zentral für die Befreiung der Kunst aus den (modernistischen,M.D.) Zwängen der Selbstreferenzialität“[23]. Ähnlich wie der Minimalismus der 1960er Jahre operieren konzeptualistische und postkonzeptualistische Positionen dabei freilich in einer „Crux“[24], der Crux nämlich, ihre Referenzialität „nicht mehr in der Orientierung am Modell des Bildes und seines schrittweisen Rückzugs aus der dargestellten Welt“[25] bestimmen zu können. Daher rührt, daß die Analyse des Bildstatus (post)konzeptualistischer (Foto)Positionen so unterschiedlich ausfällt: während etwa Thomas Crow der Auffassung ist, „daß der Konzeptualismus mit seiner Infragestellung modernistischer Prämissen das überschritten hat, was mit der Kategorie des Bildes zu fassen war“[26], spricht Jeff Wall, nahezu umgekehrt, dem Fotokonzeptualismus das Verdienst zu, die Voraussetzungen dafür geschaffen zu haben, daß das „Konzept des Bildes (…) als eine zentrale Kategorie der Gegenwartskunst“[27] erscheint, nachdem jeder essentialistische Versuch, die Medien der Künste zu bestimmen, als gescheitert angesehen wird. Vielleicht kann man die Widersprüchlichkeit der beiden genannten Auffassungen aber auch dadurch relativieren, daß man betont, daß bei Wall ausdrücklich vom Foto-Konzeptualismus die Rede ist. Gerade der Foto-Konzeptualismus, so wäre zu folgern, lebt aus jenem Spannungsverhältnis von Abbild und Bild, welches für die genauere Bestimmung des Bildmediums Fotografie – wie hier im Glossar Bildphilosophie - eine bleibende Herausforderung ist.

Engere Begriffsbestimmung
optional Beispiele
Auswirkungen auf andere Begriffe
Anmerkungen
  1. Vgl. zur Übernahme dieses Begriffs von Richard Wollheim Eva Schürmann: Sehen als Praxis. Ethisch-ästhetische Studien zum Verhältnis von Sicht und Einsicht, Frankfurt am Main 2008, S. 120.
  2. Albert Renger-Patzsch: Die Freude am Gegenstand. Gesammelte Aufsätze zur Photographie, hg. v. Bernd Stiegler, Ann und Jürgen Wilde, München 2010.
  3. Laszlo Moholy-Nagy: Malerei Fotografie Film [1927], Berlin 1986. Verstreut publizierte Texte Moholy-Nagys finden sind wiederabgedruckt in Krisztina Passuth: Moholy-Nagy, Weingarten 1986.
  4. Vgl. im Überblick Band 2 der Edition Theorie der Fotografie. 1912-1945, hg. v. Wolfgang Kemp, München 1979.
  5. Vgl. Laszlo Moholy-Nagy: fotografie. Die objektive sehform unserer zeit, in: Krisztina Passuth: Moholy-Nagy, Weingarten 1986, S. 342-344.
  6. Dies insbesondere im Rückgang auf Rosalind Krauss: Das Photographische. Eine Theorie der Abstände, München 1998.
  7. Peter Geimer: Theorie der Fotografie. Eine Einführung, Hamburg 2009, S. 12.
  8. Vgl. Geimer, Theorie der Fotografie (Anm. 7), S. 18-25.
  9. ‚nach‘ im Sinne der zeitlichen Nachfolge genauso wie im Sinne des frz. ‚selon / gemäß‘.
  10. Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt am Main 1985.
  11. Rosalind Krauss: Anmerkungen zum Index. Teil I und Teil II, in dies.: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Amsterdam/Dresden 2000, S. 249-276.
  12. Philippe Dubois: Der fotografische Akt. Versuch über ein theoretisches Dispositiv, Amsterdam/Dresden 1998.
  13. Bernd Stiegler: Fotografie und Indexikalität. Einleitung, in: Texte zur Theorie der Fotografie, hg. v. Bernd Stiegler, Stuttgart 2010, S. 74.
  14. Barthes, Die helle Kammer (Anm. 10), S. 90.
  15. Im Sinne der „Emanation des vergangenen Wirklichen“ (Barthes, Die helle Kammer, S. 99).
  16. Vgl. zur Fotografie im Kontext der Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte: Fotografie als Instrument und Medium der Kunstgeschichte, hg. v. Constanza Caraffa, Berlin 2009.
  17. Lorraine Daston / Peter Galison: Objektivität, Frankfurt am Main 2007; dies.: Das Bild der Objektivität, in: Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, hg. v. Peter Geimer, Frankfurt am Main 2002, S. 29-99.
  18. Daston/Galison, Objektivität (Anm. 17), S. 145.
  19. Das technische Bild. Kompendium zu einer Stilgeschichte wissenschaftlicher Bilder, hg. v. Horst Bredekamp, Birgit Schneider und Vera Dünkel, Berlin 2008, S. 8.
  20. Vgl. Horst Bredekamp: Bildwissenschaft, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. v. Ulrich Pfisterer, Stuttgart/Weimar 2003, S. 56: „Die Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts hat ihre Methoden zwar an den komplexesten Gebilden der sog. Hochkunst entwickelt und geschärft, keinesfalls aber auf diesen Werkkreis beschränkt; vielmehr wurden (…) auch nicht-künstlerische Bilder aller Art eingeschlossen.“ Hierzu zählt für Bredekamp wesentlich auch die Fotografie, ja „in der Auseinandersetzung mit der Fotographie (sic!)“ liegt für Bredekamp ein entscheidender „Grund für die Etablierung der Kunstgeschichte als Bildwissenschaft“ (ebd.).
  21. Peter Geimer betont zu Recht, daß der Krauss’schen Fototheorie eine „Gegenläufigkeit“ inhäriert, nämlich „‘das Fotografische‘ als spezifische Abbildungsform zu definieren, diese Definition dann aber vergessen zu müssen, sobald es darum geht, die Fotografie als allgemeines Modell für die Logik der Kunst auszugeben.“ (31)
  22. Vgl. dazu Martina Dobbe: Zeigen als faire voir. Für eine Bildtheorie des Fotografischen, in: Zeigen. Die Rhetorik des sichtbaren, hg. v. Gottfried Boehm, Sebstian Egenhofer und Christian Spies, München 2010, S. 159-178.
  23. Alexander Alberro: Einleitung. Der Weg raus führt rein, in: Art After Conceptual Art, hg. v. Alexander Alberro und Sabeth Buchmann, Wien/Köln 2006, S. 14.
  24. Vgl. Hal Foster: Die Crux des Minimalismus, in: Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, hg. v. Gregor Stemmrich, Dresden / Basel 1995, S. 589-633.
  25. Egenhofer, Sebastian: Minimal Art, in: DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, hg. v. Hubertus Butin, Köln 2002, S. 212. Bezogen auf den Minimalismus heißt es bei Egenhofer genauer: „Aus der Kreuzung von spätmoderner Abstraktion und allegorischer Destruktion der Autorschaft entsteht so ein Werktyp, in dessen Präsenz die Bemühung der modernen abstrakten Kunst um Direktheit und Unmittelbarkeit der ästhetischen Erfahrung kulminiert, der aber im selben Zug die grundlegende Voraussetzung des Abstraktionsgedankens eliminiert hat: das Weltverhältnis des minimalistischen Objekts kann nicht mehr in der Orientierung am Modell des Bildes und seines schrittweisen Rückzugs aus der dargestellten Welt bestimmt werden.“
  26. Alexander Alberro: Einleitung. Der Weg raus führt rein, in: Art After Conceptual Art, hg. v. Alexander Alberro und Sabeth Buchmann, Wien/Köln 2006, S. 17. Alberro bezieht sich auf Thomas Crow: Ungeschriebene Geschichten der Konzeptkunst, ebenfalls in: Art After Conceptual Art, hg. v. Alexander Alberro und Sabeth Buchmann, Wien/Köln 2006, S. 158-171.
  27. Jeff Wall: Zeichen der Indifferenz: Aspekte der Photographie in der , oder als, Konzeptkunst“, in ders.: Szenarien im Bildraum der Wirklichkeit. Essays, Interviews, hg. v. Gregor Stemmrich, Amsterdam/Dresden 1997, S. 434. Vgl. dazu auch Martina Dobbe: Die Fotografie im Spannungsfeld von Kunstgeschichte und Bildwissenschaft, in: Bild und Medium. Kunstgeschichtliche und philosophische Grundlagen der interdisziplinären Bildwissenschaft, hg. v. Klaus Sachs-Hombach, Köln 2006, S. 132-148.
Literatur                            [Sammlung]

Keine Literaturangaben


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Verantwortlich:

Martina Dobbe

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [26], Mark A. Halawa [15] und Martina Dobbe [7] — (Hinweis)