Gleichheit, Ähnlichkeit und Identität: Unterschied zwischen den Versionen
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*das Wesen muss erkennen, dass es sich um eine solche Verwechs­lung handelt, es muss also eine Verbin­dung zwischen den beiden betei­ligten Kontex­ten herzu­stellen in der Lage sein. | *das Wesen muss erkennen, dass es sich um eine solche Verwechs­lung handelt, es muss also eine Verbin­dung zwischen den beiden betei­ligten Kontex­ten herzu­stellen in der Lage sein. | ||
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− | Da es umgangssprachlich zu nahe liegt und daher kaum zu vermei­den ist, dass auch bei den Vögeln des Zeuxis und ähnli­chen Fällen von ‘Ähnlich­keit’ gespro­chen wird, ist es sinnvoll, die beiden Fälle zumin­dest durch Indi­zes vonein­ander zu unter­scheiden. In <bib id='Schirra 2005a'></bib> werden beispiels­weise entspre­chend ‘Ähnlich­keit<sub>α</sub>’ beim | + | Da es umgangssprachlich zu nahe liegt und daher kaum zu vermei­den ist, dass auch bei den Vögeln des Zeuxis und ähnli­chen Fällen von ‘Ähnlich­keit’ gespro­chen wird, ist es sinnvoll, die beiden Fälle zumin­dest durch Indi­zes vonein­ander zu unter­scheiden. In <bib id='Schirra 2005a'></bib> werden beispiels­weise entspre­chend ‘Ähnlich­keit<sub>α</sub>’ beim Zu­schrei­ben einer Täuschung bei Lebe­wesen, welche die Täuschung selbst nicht durch­schauen können, und ‘Ähnlich­keit<sub>β</sub>’ im anspruchs­vollen Fall verwen­det. Anders gewen­det wird der Begriff​ »Ähnlich­keit<sub>α</sub>«​ beim begriffs­gene­tischen Über­gang diffe­renziert in​ »Ähnlich­keit<sub>β</sub>«​ einer­seits und​ »Iden­tität«​ ande­rerseits. Sind die Verhal­tenswei­sen von Wesen, die gemäß dem einfa­cheren Wahrneh­mungsbe­griff betrach­tet werden, nur auf jeweils gleich­arti­ge Gegen­stände ausge­richtet (»Gleich­heit«), diffe­renzie­ren sie sich bei Wesen, die gemäß dem komple­xeren Wahrneh­mungsbe­griff beur­teilt werden, einer­seits zu solchen rela­tiv zu Gegen­ständen hinsicht­lich gleich­arti­ger Erschei­nung (»Ähnlich­keit<sub>β</sub>«) und ande­rerseits zu Gegen­ständen hinsicht­lich zusam­menge­höri­ger raumzeit­licher Entwick­lung (»Iden­tität«). |
Version vom 14. Februar 2014, 19:40 Uhr
Unterpunkt zu: Auswirkungen der Bildlichkeit
Die Mehrdeutigkeit des Ausdrucks ‘Ähnlichkeit’Häufig charakterisiert als ‘Gleiches im Ungleichen’ gilt Ähnlichkeit in vielen bildtheoretischen Ansätzen als besonders relevanter Begriff, wenn nicht gar als ein zentraler Grundbegriff (⊳ Ähnlichkeit und wahrnehmungsnahe Zeichen und Symbol, Index, Ikon);[1] für eine entsprechende Theorie kann nur dann von einem Wesen behauptet werden, es verwende etwas als Bild, wenn es in der Lage ist, Ähnlichkeit zwischen Gegenständen zu erkennen. Hinter dieser Formulierung entbirgt sich bei genauerer Betrachtung eine recht komplexe Fähigkeit, deren Tragweite erst bei einer begriffsgenetischen Rekonstruktion klar hervortritt. Denn auf Ähnlichkeit reagieren offensichtlich bereits recht niedere Organismen, wenn sie etwa in ethologischen Experimenten auf künstliche Reize oder in freier Natur auf Fälle von Mimikry[2] ansprechen. Doch bleibt dabei gerade fraglich, ob jene Wesen tatsächlich ein Vorkommnis von »Ähnlichkeit« erkennen, ja, ob sie überhaupt dazu in der Lage sind, Ähnlichkeit im eigentlich gemeinten Sinn zu erkennen, wird hierbei doch ‘Ähnlichkeit’ letztlich einfach im Sinne von ‹Gleichheit für jene Wesen› verwendet, während die Abweichungen von der Gleichheit nur dem menschlichen Beobachter bewußt sind. Je nach Kontext handelt es sich hier in der Tat um unterschiedliche, wenn auch miteinander verwandte Begriffe, die mit demselben Ausdruck ‘Ähnlichkeit’ gemeint sein können. Insbesondere sollte der bildtheoretische Begriff »Ähnlichkeit« dem Begriff der »Gleichheit« bzw. »Gleichartigkeit« von Gegenständen einerseits und dem der »Identität« andererseits gegenübergestellt werden. Bereits in dieser kurzen Einleitung wird deutlich, dass sich auch die Diskussion um Gleichheit, Ähnlichkeit und Identität sinnvoll nur zwischen den beiden Polen der beurteilten Gegenstände und ihren für ein Wesen erkennbaren Eigenschaften einerseits und den beurteilenden Wesen und ihren Kompetenzen zum Erkennen von Gegenständen andererseits wird führen lassen. Denn nur wer beispielsweise überhaupt dazu fähig ist, zwischen der momentanen Erscheinung eines Objekts und dem Objekt unabhängig von seiner jeweiligen Erscheinung zu unterscheiden, kann einen Gegenstand als einer anderen Art von Gegenständen ähnlich verstehen, d.h. nämlich als ‹in seiner aktuellen Erscheinung jenen anderen Objekten gleich›.
Begriffsgenetische Betrachtung zu »Ähnlichkeit«Die Verklammerung von Objekteigenschaften und Betrachterkompetenzen läßt sich am ehesten in einer handlungstheoretischen Bestimmung des Ähnlichkeitsbegriffs erfassen: Die Reaktionen und Reaktionsdispositionen, die ein Wesen bei Anwesenheit eines Gegenstands in seinem Umfeld zeigt, bilden dann die Grundlage der begriffsgenetischen Analyse. Ausgangspunkt: »Ähnlichkeit« als »Gleichartigkeit«Die Fähigkeit, etwas wahrnehmen zu können, ist wohl die unstrittige Basis, von der begriffsgenetische Betrachtungen des Begriffs »Ähnlichkeit« ausgehen können.[3] Dass eine gewisse Wahrnehmung bei einem anderen Wesen vorliegt erkennen wir indes nur an dessen zugehörigen Reaktionen. So legt die durch Plinius d. J. erzählte Anekdote von dem antiken Maler Zeuxis auf den ersten Blick nahe anzunehmen, dass Vögel Ähnlichkeit erfassen: Plinius zufolge hatte Zeuxis seine Darstellung von Trauben so ähnlich gestaltet, dass einige Vögel herbei flogen, um nach den scheinbaren Früchten zu picken (vgl. [Plinius 2004a]Literaturangabe fehlt. Ein einfacher Wahrnehmungsbegriff ergibt sich für Wesen, für die die Umwelt bereits in Objekte gegliedert ist, ohne dass sie aber mit diesen Objekten als mit individuierten Gegenständen umgehen können.[4] Zwar werden auf dieser begrifflichen Ebene schon verschiedene Nah- und Fernreize einerseits und unterschiedliche Verhaltensbereiche andererseits miteinander assoziiert, so dass von einem dem Organismus gegenüberstehenden Objekt als Teil seiner Umwelt gesprochen werden kann wie auch von dessen Wahrnehmung: Wasser aus der Nähe und aus der Ferne gesehen, gehört, gefühlt etc.; Wasser zum Trinken, zum Baden, zum Schwimmen etc. Gleichwohl gilt auch hier, dass Schein und Sein jeweils zusammenfallen. Wahrnehmung heißt hier stets, Ähnliches zusammen zu gruppieren. Auf das obige Beispiel der Vögel des Zeuxis bezogen, die im Wesentlichen auf dieser Komplexitätsstufe begriffen werden können, ist für die handlungstheoretische Bestimmung des Begriffs der Ähnlichkeit entscheidend, dass das Verhalten der Vögel als ein der aktuellen Verhaltenssituation nicht adäquates Verhalten betrachtet wird (vgl. Abb. 1[5]). Das Verhalten würde jedoch, so begreifen wir Beobachter, zu einem ganz anderen Kontext durchaus gut passen – einer Verhaltenssituation, in der an Stelle des Bildträgers tatsächlich Futter wäre. Das Verhalten der Vögel zeigt uns, mit anderen Worten, dass sie sich vom falschen Schein täuschen lassen. Dass er falsch ist ist dem Beobachter klar. Die Vögel durchschauen hingegen ihr Verhalten nicht selbst als Ergebnis einer Täuschung. Zwar werden sie sich auch nach einiger Zeit “enttäuscht” abwenden. Doch bleibt für sie dann an der Stelle, an der sie eben noch Trauben wahrgenommen hatten (B-Wahrnehmung in Abb. 1), nicht etwas zurück, was an Trauben erinnert, sondern lediglich etwas, was mit Trauben gar nichts mehr zu tun hat (A-Wahrnehmung). Wann immer solche Wesen erkennen, reagieren sie auf Ähnlichkeit, nicht aber auf Identität, da auf dieser Ebene der Begriff des über eine Verhaltenssituation hinausgehenden Zusammenhangs von Erscheinungsweisen ein und desselben Gegenstands noch nicht gebildet werden kann. Gerade darum sind sie im Gegensatz zu dem menschlichen Beobachter auch nicht in der Lage, die (täuschende) Erscheinung eines tatsächlich anwesenden Gegenstands mit der Erscheinung eines ganz anderen abwesenden Gegenstands in Beziehung zu setzen. Ähnlichkeit kann von Wesen, die unter diesen Begriff fallen, selbst noch nicht erkannt werden. Zielpunkt: »Ähnlichkeit« als Gegenbegriff zu »Identität«Anders als Vögel verfügen Menschen hingegen mit den Begriffen für individuierte Gegenstände prinzipiell über die Möglichkeit, in einer trompe l’œil-Situation nicht einfach nur entweder fehlerhaft auf die Täuschung hereinzufallen oder gar keinen Zusammenhang zwischen Bildträger und Abgebildetem herzustellen. Vielmehr gelingt es ihnen, sich zugleich anwesende Darstellung (A-Wahrnehmung in Abb. 1, auf die aktuelle Verhaltenssituation bezogen) und abwesendes Dargestelltes (B-Wahrnehmung, auf einen anderen Kontext bezogen) zu vergegenwärtigen und beides als zwei verschiedene, aber aufeinander verweisende Entitäten zu begreifen. Genau das ist es, was wir als »Erkennen von Ähnlichkeit« begreifen.[6] Damit also Wesen etwas als etwas anderem ähnlich erkennen können, muss zweierlei vorliegen:
Foundation of Computational Visualistics. Wiesbaden: DUV, ISBN: 3-8350-6015-5 Eintrag in Sammlung zeigen werden beispielsweise entsprechend ‘Ähnlichkeitα’ beim Zuschreiben einer Täuschung bei Lebewesen, welche die Täuschung selbst nicht durchschauen können, und ‘Ähnlichkeitβ’ im anspruchsvollen Fall verwendet. Anders gewendet wird der Begriff »Ähnlichkeitα« beim begriffsgenetischen Übergang differenziert in »Ähnlichkeitβ« einerseits und »Identität« andererseits. Sind die Verhaltensweisen von Wesen, die gemäß dem einfacheren Wahrnehmungsbegriff betrachtet werden, nur auf jeweils gleichartige Gegenstände ausgerichtet (»Gleichheit«), differenzieren sie sich bei Wesen, die gemäß dem komplexeren Wahrnehmungsbegriff beurteilt werden, einerseits zu solchen relativ zu Gegenständen hinsichtlich gleichartiger Erscheinung (»Ähnlichkeitβ«) und andererseits zu Gegenständen hinsichtlich zusammengehöriger raumzeitlicher Entwicklung (»Identität«).
Ähnlichkeit und KontextbildungDie Grundlage der erweiterten Wahrnehmungskompetenz, die »Ähnlichkeitβ« erlaubt, ist gleichermassen die Basis der Fähigkeit, mit individuellen, die Zeit überdauernden Gegenständen umgehen zu können (Objektkonstitution), nämlich die Fähigkeit verschiedene Situationen miteinander in Beziehung zu setzen (Kontextbildung). Damit verklammert Ähnlichkeit Bilder auf doppelte Weise mit dem Zugang zu abwesenden Kontexten: Ähnlichkeit beruht auf der intentionalen Hinwendung zu einer abwesenden Situation, die damit für Bilder als wahrnehmungsnahen Zeichen konstitutiv ist. Andererseits wird mit dem Bild auf eben diese in der Regel abwesende Situation hingewiesen, so dass die kommunikative Grundfunktion des Bildes im Etablieren eines gemeinsamen Zugangs zu diesem Kontext besteht. Bildanthropologisch spielt dieser Doppelbezug bei der »initialen Kontextbildung« – der begriffsgenetischen Betrachtung zur Fähigkeit, mit abwesenden Kontexten umzugehen, eine wichtige Rolle (⊳ logische Kontextbildung und mentale Bilder). |
Anmerkungen
[Gallistel 1980a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Goodman 1968a]: Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976). Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998. [Plinius 2004a]: Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [54], Klaus Sachs-Hombach [4] und Elisabeth Birk [4] — (Hinweis) |