Karte

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Unterpunkt zu: Bildverwendungstypen


Karten und andere kartografische Bildformen

Die Karte ist die zentrale Bildform der Kartographie. Neben der Karte gibt es eine Reihe von kartographischen Bildformen, die in der Kartographie als kartographische Darstellungsformen bzw. Ausdrucksformen (z. B. der Globus und der Anamorph[1]) bezeichnet werden. Es gibt weiterhin kartenverwandte Bildformen (z. B. Luftbild, Satellitenbild), die nicht zum Gegenstandsbereich der Kartographie gehören, da sie zwar globale räumliche Strukturen wiedergeben, aber nicht mit Verallgemeinerung verbunden sind.

Die Karte gehört zu den ältesten Bildtypen. Die ersten Karten entstanden bereits in der Urgeschichte. In der Antike wurde die Kartographie, die durch Ptolemäus ihre erste theoretische Grundlage erhielt, als Geographie („Erdzeichnung“ oder „Erdbeschreibung“) bezeichnet. In dieser Zeit wurde für das Bild und für die Karte derselbe Begriff („Pinax“) verwendet. Noch in der Renaissance ist der Bildbegriff („Pictura“) auch für die Karte im Gebrauch gewesen. Am Ende des 16. Jahrhunderts beginnt jedoch eine Abtrennung des Kartenbegriffs von dem Bildbegriff. Sie resultierte in erster Linie daraus, dass die Malerei durch die Zentralperspektive eine geometrische Begründung erhielt, die von der geometrischen Struktur der Karte divergierte. In Folge der zunehmenden Verwissenschaftlichung der Kartographie in den nachfolgenden Jahrhunderten kam es zur Loslösung des Kartenbegriffes von dem Bildbegriff. Damit sollte die auf wissenschaftlichen Grundlagen basierende Karte von den vermeintlich „trivialen“ Bildern abgesetzt werden. Durch diese Sezession entstand die heute noch oft verwendete Begriffstriade „Bild – Karte – Text“, obwohl eine solche terminologische Gegenüberstellung nicht haltbar ist. Die Karte ist ein Bild, das meist auch Texteinträge enthält. Texte in der Karte dienen zur Bilderklärung. Sie sind entweder extern explikativ, wie z. B. der Legendentext (verbale Erklärung zu den durch die Verallgemeinerung entstandenen Klassen), oder intern explikativ, wie z. B. die Ortsnamen, die eine individualisierende Zeichenerklärung innerhalb einer Klasse bezwecken. Die Bild- und Textbeziehung der Karte ist jedoch wesentlich komplizierter, denn sie ist auch mit bildsyntaktischen Besonderheiten verbunden. Mit diesen Besonderheiten lässt sich erklären, dass die Kartensemiotik lange Zeit primär eine sprachorientierte Ausrichtung annahm. Die Auffassung der Karte als Zeichensystem rückte die Karte in die enge Nähe des Mediums Sprache und rückte sie gleichzeitig von den anderen Bildtypen ab. Demzufolge galt die Thematisierung der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede zwischen der Karte und anderen Bildtypen für die theoretische Kartographie als irrelevant.

Als ein weiteres Gebiet der modernen Kartographie entfaltete sich die kartographische Kommunikationstheorie mit starker informationstheoretischer Ausprägung, bei der die Karte als Medium der Informationsübertragung im Mittelpunkt stand. Dadurch verschwanden aus den Definitionen der Karte auch diejenigen Ausdrücke, die eine Verbindung der Karte zum Bild zumindest andeuteten, wie z. B. „Grundrissbild“ oder „Darstellung“. Sie wurden durch informationstheoretische Begriffen ersetzt, wie z. B. „Träger von Informationen“, „Repräsentation von georäumlichen Daten“ und „Träger von Geodaten“. Die technischen Wandlungen in der praktischen Kartographie wirkten ebenfalls in dieser Richtung. Die digitalen Karten als zentrale Bestandteile von GIS (Geographischen Informationssystemen) weisen nicht nur veränderbare Maßstäbe und Interaktivität, sondern auch eine enge Verbindung von Datenbanken auf. Somit wird die Karte Bestandteil von digitalen Datenmodellen.

Mit den oben angedeuteten Entwicklungstendenzen in der Kartographie lässt sich, zumindest partiell, die bedauernswerte Ignoranz der Kartographie gegenüber dem „iconic turn“ erklären, als deren Folge die umfassende theoretische Reflexion des Bildcharakters der Karte immer noch auf sich wartet. In letzter Zeit erfuhr die Kartographie in den Kultur- und Sozialwissenschaften eine besondere Beachtung durch die Zuwendung der Raumproblematik, die mit „spatial turn“, „topographical turn“, „topological turn“ und auch mit „geographical turn“ bezeichnet wird. Diese „turns“ ließen ein weiteres Desiderat der theoretischen Kartographie erkennen, nämlich dass trotz einiger Ansätze zum kartographischen Raumkonzept keine systematische kartographische Raumtheorie vorhanden ist. Bei der Erfassung der Besonderheiten der Karte als Bild ist die Charakteristik der Beziehung der Karte zum Raum von großer Bedeutung.


Engere Begriffsbestimmung

Die Karte ist ein bildliches Strukturmodell, dessen Zeichensystem globale räumliche Strukturen räumlich ähnlich (transformativ) wiedergibt. Die nachfolgenden Ausführungen enthalten Erläuterungen zu den einzelnen Aspekten dieser Begriffsbestimmung.

Aus dem Modellcharakter der Karte folgt, dass die Karte zu jenen Bildtypen gehört, die einen engen Objektbezug aufweisen. Die Ähnlichkeit bei der Karte ist ein wesentliches, bildkonstituierendes Merkmal. Diese Eigenschaft trennt die Karte von bestimmten Bildern der Malerei, insbesondere von denen der nichtgegenständlichen Malerei. Andererseits verbindet diese Eigenschaft die Karte mit solchen Bildtypen, zu denen z. B. die photographischen Aufnahmen gehören. Die Karte gehört jedoch zu den bildlichen Modellen, bei denen der Gegenstandbezug auf die Struktur begrenzt ist. Dadurch liegt eine erhebliche Divergenz zu den Luftbildern und Satellitenbildern vor. Die Ähnlichkeit zu dem Objekt begrenzt sich bei der Karte entsprechend auf die strukturelle Ähnlichkeit. Daraus folgt, dass die Karte stets mit Abstraktion verbunden ist, zumindest mit Vereinfachung, Idealisierung und Typisierung.

Eine weitere besondere Bildeigenschaft der Karte ist, dass sie aus einem Zeichensystem besteht. Das bedeutet, dass die Karte aus disjunkten Zeichen zusammengesetzt ist, aus punkthaften Zeichen (z. B. Ortssignaturen), linienhaften Zeichen (z. B. Straßensignaturen) und flächenhaften Zeichen (z. B. Waldsignaturen). Die kartographischen Zeichen resultieren aus Verallgemeinerungen, daher weisen sie stets eine eindeutige Semantik auf, im Gegensatz zu Bildtypen ohne eindeutige Semantik. Zu solchen Bildtypen gehören u. a. Kunstwerke und teilweise auch photographische Aufnahmen. Auch die kartenverwandten Luftbilder gehören hierher. Aus diesem Grund ist der Einsatz von Luftbildinterpretation zur Überführung der räumlichen Informationen aus dem Luftbild in die Karte erforderlich. Die aus disjunkten Zeichen bestehenden Bildtypen, wie z. B. die Karte und das Diagramm, weisen eine echte Syntax auf, im Gegensatz zu den Bildtypen, die keine eindeutige syntaktisch Gliederung aufweisen, d. h. eigentlich aus einem einzigen Zeichen bestehen, wie insbesondere künstlerische Bilder. Dies trifft auch auf Fotografien zu, der man nur eine Pseudosyntax oder eine diffuse Syntax zusprechen kann, da sie lediglich eine Zeichenelement-Zeichenelement-Beziehung aufweisen.

Aus dem Zeichensystemcharakter der Karte folgt, dass die Karte stets auch mit Symbolizität verbunden ist. Bei der kartographischen Symbolizität kann man zwischen ikonische und nichtikonische Symbolizität unterscheiden. Bei der kartographischen Ikonizität kann man raumstrukturelle und physiognomische Ikonizität unterscheiden. Die raumstrukturelle Ikonizität ist mit idealisierenden und typisierenden Abstraktion verbunden. Da die Karte ein räumliches Strukturmodell ist, gehört diese Form der Ikonizität (räumliche Strukturähnlichkeit, ikonische Syntax) zu den Wesenseigenschaften der Karte (⊳ Strukturbild).

Die physiognomische Ikonizität resultiert aus der Ähnlichkeit zu der äußeren Erscheinung der Referenzobjekte (⊳ Referenz, Denotation, Exemplifikation). Eine solche Ikonizität weist z. B. die realistische Darstellung von Wasserflächen oder die Darstellung der dritten Dimension durch Schummerung auf. In semiotischer Hinsicht ist die ikonische Symbolizität, bei der ein Ikon ein anderes Objekt vertritt, etwas merkwürdig, da sie sowohl ikonisch als auch arbiträr ist. Bei dieser Form der Ikonizität wird eine Objektklasse gebildet, die mit einem Ikon wiedergegeben wird. Es handelt sich hier nicht um eine individuelle Darstellung, die ikonische Symbolizität ist vielmehr als eine Verallgemeinerung zu verstehen, bei der das Ikon als Symbol fungiert. Das ikonische Symbol kann auch einen Bezug auf die Physiognomie eines ganz anderen Objektes haben, so z. B. oft bei Piktogrammen. Zu dieser nichtikonischen symbolischen Piktorialität gehören u. a. arbiträre geometrische Kartensignaturen und Kartendiagramme.

Die wichtigste ikonische Eigenschaft der Karte besteht darin, dass sie Räume abbildet. Raumabbildung ist jedoch kein invariantes Merkmal von Bildern. Es gibt Bilder ohne Objektraumbeziehung, wie z. B. abstrakte Bilder und Diagramme. Eine wesentliche Karteneigenschaft ist, noch etwas genauer gesagt, der auf Makroräume gerichtete Objektraumbezug. Die Karte bezieht sich auf globale räumliche Strukturen, auf die Oberfläche eines Himmelskörpers (Erde, Mond, Mars usw.) oder auf die räumliche Beziehung von mehreren Himmelskörpern (Sternkarte). Großmaßstäbige räumliche Strukturmodelle, die nur einen kleinen Ausschnitt der Erdoberfläche wiedergeben, werden nicht als Karten, sondern als „Pläne“ bezeichnet.[2] Die raumstrukturelle Transformation weist bei den Karten zwei wesentliche Aspekte auf: den Maßstab und die Verwendung von Kartennetzentwürfen. Die letzteren ermöglichen eine geometrisch richtige Abbildung der sphärischen Raumstruktur in die zweidimensionale Ebene, wobei die topologischen Eigenschaften erhalten bleiben, aber die metrischen Strukturen (z. B. Abstände, Winkel, Fläche) modifiziert werden. Nur in großen Maßstäben können die metrischen Eigenschaften ohne Deformationen wiedergegeben werden. Für Karten von kleineren Maßstäben gibt es Kartennetzentwürfe, die nur bestimmten metrischen Eigenschaften (Abstandtreue, Winkeltreue oder Flächentreue) ohne Deformation wiedergeben können.


Kartentypen

Die Karten können nach verschiedenen Merkmalen klassifiziert werden. Nach dem Maßstab werden beispielsweise klein- und großmaßstäbige Karten unterschieden. Nach der Thematik werden zunächst zwei Kartengruppen ausgewiesen. Bei der ersten Kartengruppe wird eine komplexe Abbildung der Erdoberfläche angestrebt, ohne bestimmte Elemente der Erdoberfläche hervorzuheben. Im Vordergrund steht hier die Wiedergabe von sichtbaren Objekten der Erdoberfläche. Die primäre Piktorialität dieser Karten ist daher die Präsentation. Die Visualisierung (wie z. B. das Sichtbarmachen der Grenzen oder die Wiedergabe des Reliefs durch Höhenlinien) spielt hier nur eine sekundäre Rolle. Die weitere Unterteilung dieser Kartengruppe erfolgt nach dem Maßstab. Die großmaßstäbigen Karten dieser Gruppe werden als topographische Karten, die kleinmaßstäbigen Karten hingegen als allgemein-geographische oder chorographische Karten bezeichnet. Bei den letzteren nimmt die Visualisierung einen größeren Umfang ein. Zu der zweiten Kartengruppe gehören die thematischen Karten, bei denen eine bestimmte Thematik in dem Vordergrund steht. Ihre thematische Vielfalt ist außerordentlich vielfältig, da alles, was einen relevanten räumlichen Bezug zu der Oberfläche eines Himmelskörpers besitzt, kartographisch visualisieren lässt. Hierher gehören u. a. Bevölkerungskarten, politische Karten, geologische Karten, Bodenkarten. Die Karten werden auch nach dem Umfang des in den Karten erfassten Raums in divergente Typen eingeteilt, so z. B. in Weltkarten, Erdteilkarten und Länderkarten. Nach der Kartenstruktur erfolgt eine Differenzierung in analytische Karten(Konzentration auf eine bestimmte Thematik), synthetische Karten (enge graphische Verbindung von mehreren Attributen bei der Visualisierung) und komplexe („multithematische“) Karten. Auf der Grundlage der medialen Klassifikation werden Papierkarten und digitale Karten unterschieden. Die Vielfalt der letzteren reicht von den Rasterdatei-Karten bis zu den Vektordatei-Karten mit Interaktivität und Datenbankverbindung. Eine sehr wichtige Klassifikationsgrundlage ist die Funktion der Karten, da die Funktion in entscheidendem Maße die kartographische Darstellung beeinflusst, wie z. B. die Thematik, den Maßstab und auch die Art der kartographischen Piktorialität. Nach der Funktion unterscheidet man beispielsweise Verwaltungskarten, Seenavigationskarten, Schulkarten usw.


Auswirkungen auf andere Begriffe

Nachdem die Bildsemiotik die Ähnlichkeit weder als hinreichende noch als notwendige Bedingung für die piktorale Repräsentation erachtete, versuchte Nelson Goodman die Unterscheidung zwischen dem Bild und dem sprachlichen Symbolsystem durch ihre syntaktischen Besonderheiten vorzunehmen. Danach ist das Bild nicht disjunkt, syntaktisch dicht und unendlich differenziert ([Goodman 1968a]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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). Das sprachliche Symbolschema ist hingegen disjunkt, syntaktisch undicht und endlich differenziert. Die Karte als disjunktes Zeichensystem ist die Kronzeuge dafür, dass die von Goodman angegebenen syntaktischen Merkmale keine invarianten Merkmale des Bildes sind. Aus syntaktischer Sicht wäre es überlegungswert, die folgenden Bildtypen zu unterscheiden:
  • Typ 1: Bilder, die aus einem einzigen Zeichen bestehen. Zwischen den einzelnen Zeichenteilen gibt es keine syntaktische Disjunktheit. Sie sind syntaktisch dicht. Die Zeichenteil-Zeichenteil-Relation bzw. die Zeichenelement-Zeichenelement-Relation ist diffus. Zu diesem Bildtyp gehören z. B. Gemälde und Fotos.
  • Typ 2: Bilder, die aus Zeichensystemen bestehen. Zwischen den einzelnen Zeichen liegt eine syntaktische Disjunktheit vor. Sie sind syntaktisch undicht. Die Zeichen- Zeichen-Relation ist eindeutig. Hierher gehören bestimmte Karten und Diagramme.
  • Typ 3: Bilder, die primär aus Zeichensystemen bestehen, aber in denen auch Bilder vom Typ 1 integriert sind

Der Begriff „Strukturmodell“ sollte in die Bildwissenschaft als ein zentraler Begriff eingeführt werden (⊳ Strukturbild und Semantik logischer Bilder).

Aus kartographischer Sicht ist die Ermittlung der invarianten Merkmale des Bildes von sekundärer Bedeutung. Wesentlich wichtiger ist die Erarbeitung von theoretischen Grundlagen zur Klassifizierung von Bildtypen. Dazu gehört die umfassende Erfassung der Piktorialitätstypen (z. B. Präsentation und Visualisierung) der Ähnlichkeitstypen und der Bildraumtypen.

{GlossarSiehe}

Anmerkungen
  1. Anamorhpen (Anamorphoten) sind kartographische Darstellungsformen, bei denen sich die räumlich ähnliche Wiedergabe auf die Topologie begrenzt; ⊳ Anamorphose. Die metrischen Eigenschaften werden durch die Visualisieren nichträumliche Attribute ersetzt, wie z. B. die Flächengröße der einzelnen Staaten proportional zu dem jeweiligen Einwohnerzahl wiedergegeben wird.
  2. Die Bezeichnung „Stadtplan“ ist demzufolge unglücklich, da Stadtpläne einen Ausschnitt der Erdoberfläche wiedergeben.
Literatur                             [Sammlung]

[Goodman 1968a]: Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976). Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.


Hilfe: Nicht angezeigte Literaturangaben

Verantwortlich:

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [52], Gyula Papay [10] und Klaus Sachs-Hombach [4] — (Hinweis)