Kippbild
Unterpunkt zu: Bildwahrnehmung
In Situationen des praktischen Lebens ist derartige Instabilität des Wahrnehmens selten. Das schließt nicht aus, dass Momente der umweltbezogenen Wahrnehmung zumindest teils Ausgangspunkt für entsprechende bildnerische Spiele waren und sind.[1]
Phänomenologie (Eingrenzung und Varianten)Oft werden Kippbilder in drei Typen unterteilt:[2] Umspringen von Figur und Grund, 2) Ambivalenz von Bedeutung und 3) Mehrdeutigkeit perspektivischer Darstellungen. Diese Typologie ist zwar nicht umfassend und in gewisser Weise sogar irreführend, aber gleichwohl ein brauchbarer erster Zugang. Umspringen von »Figur« und »Grund«Berühmtestes Beispiel für diesen Typus ist der Kelch, dessen Umrisse als zwei einander zugewandte menschliche Profile gesehen werden können. Unter Psychologen ist dieses Kippbild als ‘Rubinscher Becher’ oder ‘Rubinsche Vase’ geläufig; der dänische Psychologe Edgar Rubin hatte dieses Motiv, das zuvor schon in der graphischen Kunst benutzt worden war,[3] zu Beginn des 20. Jh. aufgegriffen[4] (vgl. Abb. 1). Von ‘Kippen’ kann man hier sprechen, weil die Konturlinie entweder den Profilen zugehört oder dem Kelch: Sieht man die Profile, hat sich die weiße Fläche in Hintergrund verwandelt; nimmt man den Kelch wahr, sieht man keine Schattenrisse von menschlichen Gesichtern, sondern nur dunklen Hintergrund, der sich hinter dem verschnörkelten Gefäß fortsetzt. Figur/Objekt und (Hinter-)Grund können auch bei eher sinnfreien Linien/Flächengrenzen ineinander umschlagen. Derartige Beispiele standen im Mittelpunkt von Rubins Untersuchungen (Abb. 2). Die Unterscheidung von »Figur« und »Grund«, die man als Betrachter von nichtperspektivischen zweidimensionalen Darstellungen vornimmt, demonstriert, wie stark man dazu neigt, dreidimensionale Verhältnisse (»vor« vs. »hinter«) in Bilder hineinzusehen. Bereits da, wo nur eine schlichte Linie eine Fläche teilt (Abb. 3), sehen wir leicht eine der beiden Teilflächen vor der anderen.[5] Gestaltpsychologen haben sich eingehend mit der Frage beschäftigt, welche abstrakten Qualitäten von Linien/Flächen das Sehen als Figur nahe legen ([Metzger 2008a]Literaturangabe fehlt. Das ebenfalls relativ bekannte Bild einer Landschaft, in der sich die Umrisse Napoleons/eines Kapitäns – vom charakteristischen Hut bis zu den Füßen – verstecken (z.B. in [Gregory 2000a]Literaturangabe fehlt. Ambivalenz von Bedeutungen (semantisch ambivalente Bilder)Diese nicht sehr glückliche Kategorisierung – um unterschiedliche Bedeutungen handelt es sich bei zwei- oder mehrdeutigen Bildern immer – bezieht sich auf Vorlagen, bei denen man abwechselnd die Darstellung verschiedener Objekte sehen kann, ohne dass dabei unbedingt ein Figur-Grund-Wechsel beteiligt wäre. Man könnte also vielleicht besser von ‘Gesichterwechsel der Figur’ sprechen. Die Rede vom Gesichterwechsel charakterisiert diesem Untertypus von Kippbildern nicht nur im übertragenen Sinn – die nämliche Figur (im Sinne der gestaltpsychologischen Unterscheidung von »Figur« und »Grund«) evoziert unterschiedliche Objekte – sondern auch insofern, als es hier in der Regel um Bilder geht, bei denen tatsächlich oft abwechselnd unterschiedliche Gesichter (und/oder Körper) von Menschen oder anderen Tieren aus einer Figur hervortreten (manchmal sind das Gesichter/Körper der nämlichen Gattung, manchmal wechselt die Gattung; auch Darstellungen menschlicher Totenköpfe sind verbreitet)[6]. ([Schönhammer 2011a]Literaturangabe fehlt. Berühmte Beispiele für Gesichter-Kippbilder tauchten zunächst im 19. und frühen 20. Jh. in humoristischen Publikationen auf und haben heute einen festen Platz in psychologischen Lehrbüchern und populärwissenschaftlichen Darstellungen spektakulärer Wahrnehmungsphänomene. Besonders prominent ist jener Kopf, der auf den ersten Blick meist als der einer Ente gesehen wird, aber auch in den eines Hasen umschlagen kann (Abb. 7).[7] Der in Harvard lehrende Psychologe Jastrow hatte den Enten-Hasen-Kopf am Übergang zum 20. Jh. in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht ([Brugger 1999a]Literaturangabe fehlt. Ein weiteres sozusagen klassisches Kippbild vereint die Ansicht einer alten Frau (im ganz leicht dem Betrachter zugewandten Profil) mit der Darstellung des Gesichts einer jungen Frau, das vom Betrachter dreiviertel abgewandt ist (Abb. 8);[8] wie beim Enten- vs. Hasenkopf schließen sich beide Sichtweisen aus. Manchmal ist ein partieller Figur-Grund-Wechsel in die Metamorphose der Figur einbezogen. So erscheint im Kippbild «Ratte vs. Mann mit Brille» (Abb. 9) ein Bereich einmal als Grund zwischen Körper und Schwanz der Ratte und wird mit dem Umschlagen zur Wange des Mannes.
Perspektivische MehrdeutigkeitZweidimensionale Projektionen dreidimensionaler Körper, also beispielsweise perspektivische Darstellung von Kristallen, sind objektiv vieldeutig. Grundsätzlich kann ja schon jede auf ein Blatt gezeichnete Linie für zahllose Neigungen eines Stabes (oder eben einer Kante) in die Tiefe des Raumes stehen. Die verschiedensten Körper führen also zur nämlichen Projektion. Ungeachtet der unendlich vielen möglichen dreidimensionalen Konstellationen, die hinter einem solchen Bild stehen können, drängen sich dem Wahrnehmen nur wenige auf. Das ist per se bemerkenswert. Zu den „Lebensgewohnheiten des Gesichtssinnes“ ([Mach 1987a]Literaturangabe fehlt. Eine Zeichnung (Abb. 11), in der wir spontan die Projektion eines Gitter-Würfels ausmachen (mögen auch andere Körper zum nämlichen Bild führen), bleibt allerdings auch im Wahrnehmungsakt mehrdeutig: In der Regel kippt die Ansicht der unveränderten Vorlage zwischen zwei unterschiedlich im Raum gelagerten Würfeln hin und her, sieht man, anders gesagt, Ecken vor- bzw. zurückspringen. Diese Kippfigur ist unter der Bezeichnung ‘Necker-Würfel’ geläufig; genannt nach jenem Schweizer Geologen und Kristallographen, der das Kippen beim Betrachten von durchsichtigen Kantendarstellungen von Kristallformen im Jahr 1832 schriftlich festgehalten hatte (vgl. [Wade et al. 2010a]Literaturangabe fehlt. Als ‘Machs Buch’ (Abb. 12) wird die Verbindung zweier Parallelogramme bezeichnet, die in der Regel zunächst als geöffnetes “Buch” (bzw. “geknickte Karte”) gesehen wird,[12] das (die) dem Betrachter den Rücken zuwendet. Alternativ blickt man in das aufgeschlagene Buch hinein ([Mach 1987a]Literaturangabe fehlt. Eine Reihe von schräg angeordneten Knickfiguren ergibt die Schrödersche Treppe (Abb. 13), bei der Untersicht und Aufsicht ineinander umschlagen können. Netzwerke von Parallelogrammen (Abb. 14) erscheinen als Texturen von Quadern/Würfeln, deren Ecken man mal nach innen, mal außen springen sieht – ein Motiv, das sich in griechischen und römischen Mosaiken findet und auch bei Möbelfurnieren vorkommt ([Gregory 2000a]Literaturangabe fehlt. Perspektivische Mehrdeutigkeit hat Konsequenzen für die Wahrnehmung von Bewegung: Bei einäugiger Betrachtung tritt die plötzliche Umstülpung auch bei einem Drahtwürfel auf;[13] dreht sich das Gebilde, so kehrt sich mit dem Umspringen die wahrgenommene Drehrichtung um.[14] Das geschieht auch, wenn man die Projektion eines rotierenden Drahtwürfels betrachtet. Ein Beispiel für eine natürliche Situation, bei der die Bewegungsrichtung in den Augen des Betrachters umschlagen kann, nennt Otto Klemm: „Die Windmühle, die man als dunklen Schattenriß am Horizont schräg von der Seite sieht, dreht sich je nach perspektivischer Vorstellung in verschiedener Richtung.“ Die Computeranimation «spinning dancer» spielt ebenfalls mit einer (weitgehenden) perspektivischen Äquivalenz entgegengesetzter Tiefenausrichtungen von Körpern, von denen man lediglich die Silhouette sieht. [15] ZwischenresümeeRäumliche Mehrdeutigkeit von Bildern spielt nicht nur da eine Rolle, wo man zwischen Sichtweisen perspektivischer Darstellungen springt. Beim Kippen von Figur und Grund wechselt ebenfalls die wahrgenommene räumliche Position (vorne/hinten). Ohne ein Spiel mit räumlicher Mehrdeutigkeit kommt schließlich auch das semantische Kippen zwischen dem Sehen der jungen vs. alten Frau nicht aus.[16] Neben räumlicher Mehrdeutigkeit ist offenbar die menschliche Neigung, bereits in wenigen Andeutungen ein Gesicht (allgemeiner: Die Gestalt eines vertrauten Lebewesens) auszumachen ([Schönhammer 2009a]Literaturangabe fehlt. Weitere Typen von KippfigurenEin weiterer Typus von Kippbildern, bei dem es um räumliche Tiefe geht, sind Bilder mit Schattenindikatoren, die sowohl auf konvexe als auch auf konkave Wölbungen hinweisen können (Abb. 15); in Lehrbüchern wird dieser Aspekt von Schattierungswahrnehmung meist zugunsten vermeintlich eindeutiger Wölbungswahrnehmung in Abhängigkeit von der impliziten Lage der Lichtquelle (‘Licht von oben’ vs. ‘von unten’) vernachlässigt (demonstriert durch Drehung des Bildes um 180°); bereits die oben bzw. unten angedeuteten Schatten schließen indessen ein Kippen zwischen konvexem und konkavem Eindruck nicht aus, dreht man die Demonstrationsbeispiele um 90°, verlagert also das Helligkeitsgefälle auf eines zwischen rechter und linker Seite, so erleichtert dies die Fluktuation der Sichtweisen. Unter natürlichen Umständen tritt Wölbungsambivalenz beispielsweise im Hinblick auf die Segel entfernter Schiffe auf.[18] Die Scheinbewegung, die man durch benachbarte, in schneller Abfolge aufleuchtende bzw. verlöschende Lämpchen erzeugen kann, ist bei geeigneter Anordnung – etwa bei acht in gleichem Abstand auf einer Kreislinie angeordneten Lämpchen, von denen jeweils 4 im schnellen Wechsel aufleuchten – ambivalent hinsichtlich der Richtung. Bei statischen Bildern mit zweidimensionalen geometrischen Figuren kann ein Umspringen der wahrgenommenen Ausrichtung eintreten. Die drei Richtungen etwa, auf welche die Spitzen eines gleichseitigen Dreiecks zeigen, kann man nicht zugleich sehen (bei horizontaler oder vertikaler Ausrichtung einer der Seiten tendiert man spontan dazu, die dieser jeweils gegenüberliegende Spitze als richtungsweisend wahrzunehmen; vgl. [Attneave 1971a]Literaturangabe fehlt. Schließlich ordnen sich Muster beim Betrachten in unsteter Weise (Abb. 16, [Metzger 2008a]Literaturangabe fehlt. Psychologische und neurowissenschaftliche Diskussion
Für Psychologen sind Kippfiguren – ebenso wie Wahrnehmungstäuschungen – ein beliebtes Mittel, um zu demonstrieren, dass Wahrnehmen nicht (vollends) von den äußeren Gegebenheiten, die auf die Sinnesorgane einwirken, bestimmt ist. Wie die Subjektivität im Fall der Kippfiguren bei unveränderten Gegebenheiten zu verschiedenen Eindrücken kommt ist indessen bis heute ungeklärt. Nicht einmal die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, sich mit dem Phänomen zu beschäftigen, ist unstrittig: Neben dem Hauptstrom der Forschung, in dem das Thema stets gegenwärtig blieb, hielten Anhänger einer “ökologisch” – sprich: an den natürlichen Umständen des Wahrnehmens – orientierten Forschung Distanz: Man habe es hier nicht mit potentiell besonders erhellenden Grenzfällen des Wahrnehmens zu tun – wie bis heute von jenen, die Kippfiguren untersuchen, meist mehr oder minder ausdrücklich argumentiert wird –, sondern mit denaturierten Vorgaben einer lebensfernen Laborforschung.[19] Zu betonen, dass die meisten natürlichen Wahrnehmungssituationen sich vom Betrachten von Kippbildern unterscheiden, schließt indessen nicht aus, dass solche Bilder – ex negativo – Prinzipien der Ökologie des Wahrnehmens verdeutlichen können. Entsprechend kann eine Forschungsperspektive, die auf den Umwelt- und Handlungsbezug des Wahrnehmens orientiert ist, ihrerseits das Verständnis von Kippbildern befördern ([Leopold & Logothetis 1999a]Literaturangabe fehlt. Seit langem wird diskutiert, ob das Umschlagen der Wahrnehmung von einer Art Ermüdung (“Sättigung”) in Nervennetzen rühren könnte; da diesbezüglich meist relativ frühe Stufen der Reizverarbeitung unter Verdacht stehen, gilt die Sättigungstheorie auch als Bottom-up-Hypothese. Dem steht die Vermutung gegenüber, dass nicht zuletzt Wissen und Aufmerksamkeit, also (eher bewusste) mentale Prozesse, die den “Automatismen” grundlegender Module des visuellen Systems nachgelagert bzw. übergeordnet sind, eine wesentliche Rolle spielen (Top-down-Hypothesen). Die im Laufe der Zeit angehäuften empirischen Befunde deuten, das sei einem Ausblick auf Methoden und Ergebnisse der experimentellen Erforschung von Kippphänomenen vorausgeschickt, darauf hin, dass die Wahrheit jenseits dieser plakativen (und zugleich unscharfen) Entgegensetzung liegt. Für den Gestaltpsychologen Wolfgang Köhler war die Ermüdungserklärung Bestandteil der These, Wahrnehmen überhaupt basiere – analog zu in der Physik untersuchten Erscheinungen – auf antagonistischen Prozessen neuronaler Selbstorganisation. Das Kippen gilt hier ganz ausdrücklich als generelles Funktionsprinzip des Gehirns, welches bei stabilen Wahrnehmungen nur nicht zu Bewusstsein komme. Diese Behauptung mag den Reiz eines Paradoxes haben, ist aber hinsichtlich des namhaft gemachten allgemeinen Funktionsprinzips nicht mehr als eine metaphorisch formulierte Vermutung; und anderseits erscheint diese These nicht gerade darauf angelegt, die Besonderheit von Wahrnehmungsprozessen, bei denen es zum Kippen kommt, zu erklären. In diese Tradition stellen sich neuere Bemühungen multistabiles Wahrnehmen im Rahmen des systemtheoretischen Zugangs der Synergetik [Kruse & Stadler 1995a]Literaturangabe fehlt. UntersuchungsmethodenBei experimentellen Untersuchungen zur Wahrnehmung von Kippbildern wird in der Regel von den Versuchspersonen verlangt, durch Drücken verschiedener Knöpfe anzuzeigen, welche Lesart der Vorlage ihnen momentan ins Auge springt. Auf diese Weise lassen sich der primäre Eindruck sowie der Wechsel im weiteren Verlauf (Fluktuation, jeweilige Verweildauer) feststellen. Dieses Verfahren setzt voraus, dass die Probanden über das potentielle Kippen bzw. die möglichen Sichtweisen vorweg aufgeklärt wurden; sie sind also nicht völlig unbefangen. Entsprechend vorinformiert sind auch Versuchspersonen, die auf einer Skala einschätzen sollen, wie leicht ihnen diese oder jene Sichtweise fällt. Will man eine derartige Voreinstellung vermeiden, ist man auf mündliche Berichte („Sagen Sie, was Sie sehen.“) angewiesen, die nicht so leicht statistisch ausgewertet werden können. Je nach spezifischer Fragestellung sind die Versuchspersonen frei, die jeweiligen Vorlagen ohne weiteren Vorsatz auf sich wirken zu lassen, oder werden aufgefordert, Sichtweisen möglichst zu halten oder im Gegenteil möglichst oft wechseln zu lassen. Das Betrachten erfolgt manchmal nur mit einem Auge, manchmal mit fixiertem Kopf (z.B. Kinnauflage). Der Blick darf schweifen oder soll auf eine Markierung im Bild fixiert werden (wie eine Fixierung wirkt es auch, wenn die Bilder dem Tanz der freien Augenbewegung nachgeführt werden oder wenn man das Kippen anhand von Nachbildern einer blitzlichtartigen Präsentation auf der Netzhaut – Nachbilder bewegen mit dem Auge mit – untersucht.) Die Vorlagen werden ununterbrochen oder in verschiedenen Intervallen präsentiert. Manchmal stehen die Bilder auf dem Kopf (etwa um zu prüfen, welche Rolle das Erkennen von Bedeutung/Lebewesen für die Zuordnung einer Kontur spielt). Manchmal spielen eindeutig gemachte (disambiguierte) Varianten von Kippbildern eine Rolle. Das, was Versuchspersonen im Zusammenhang des jeweiligen Versuchsaufbaus bewusst mitteilen (meist per Knopfdruck), wird in aufwendigeren Studien mit Messungen von Augenbewegungen (teils auch des eventuell abgedeckten Auges) und Akkommodation, der Hirnströme (sogenannter ERPs: ereigniskorrelierter Potentiale) oder lokaler Durchblutungsdifferenzen abgeglichen. Anhaltspunkte für die Erklärung (bzw. die neuronale Basis) multistabiler Wahrnehmung ergeben sich auch aus gewissen Parallelen zur binokulären Rivalität (bietet man beiden Augen Ansichten, die nicht zur Deckung zu bringen sind, springt das Wahrnehmen zwischen beiden Sichten), deren neuronale Korrelate mit Elektroden im Gehirn von Affen untersucht werden können. ErgebnisseEin bereits älterer Forschungsbefund machte die Sättigungstheorie zweifelhaft: Zeigt man Versuchspersonen, bevor man ihnen das Kippbild mit der jungen und der alten Frau präsentiert, eine eindeutig gemachte Variante, die entweder die “Ehefrau” oder die “Schwiegermutter” erkennen lässt (Abb. 17), sehen sie dann das Kippbild eher entsprechend der jeweiligen Prägung (nach [Attneave 1971a]Literaturangabe fehlt. Was empirische Bestätigungen von Top-down-Prozessen angeht, ist vielfach belegt, dass sich das Kippen zwar willkürlich beeinflussen, indessen nicht völlig intentional kontrollieren lässt. Die Wahrnehmung von Kippbildern, die Gesichter enthalten (beispielsweise der Hasen-Enten-Kopf), ist leichter beeinflussbar – im Sinne von verzögertem oder beschleunigtem Wechsel – als die von Bildern mit doppeldeutiger Perspektive (z.B. der Necker-Würfel; [Stüber & Stadler 1999a]Literaturangabe fehlt. Hirnstrommessungen lieferten in jüngerer Zeit Indizien dafür, dass frühe Prozesse im Hinterhauptslappen des Gehirns durch Aktivierungen in frontalen und temporalen Bereichen des Gehirns, die mit Aufmerksamkeit resp. Objektwissen in Verbindung gebracht werden, mitbestimmt werden (beispielsweise [Pitts et al. 2008a]Literaturangabe fehlt. Messungen im Affenhirn ([Logothetis 1998a]Literaturangabe fehlt. Vergleicht man das EEG, das sich zeigt, wenn man vor den Augen der Versuchspersonen den Wechsel zwischen eindeutig gemachten Varianten eines Bildes vollzieht, mit jenem, das mit echtem Kippen bei unveränderter mehrdeutiger Vorlage einhergeht, so fehlt beim echten Kippen eine Komponente, die als „Erlangen von Gewissheit“ interpretierbar ist; gleichwohl scheint man das Kippen immer wieder als neue Gewissheit zu erleben, sich also nicht dessen bewusst zu sein, was das EEG bezeugt: dass man auf dem Sprung bleibt ([Kornmeier & Bach 2009a]Literaturangabe fehlt. Zusammenhänge von Kippen und Augenbewegungen sind ebenso nachgewiesen, wie der Umstand, dass es zum Kippen auch dann kommt, wenn das Auge nicht über das Bild wandert. Von Augenbewegung unabhängige Verlagerungen der Aufmerksamkeit (sog. ‘verdeckte Aufmerksamkeit’) modifizieren das Kippen. Der Zusammenhang von Kippen mit intentionalem Suchverhalten mit und ohne Augenbewegungen ist ein Indiz dafür, dass das Kippen auch jenseits bewusster Absicht, als Art von Suchverhalten unter erschwerten Wahrnehmungsbedingungen verstanden werden kann (zusammenfassend [Leopold & Logothetis 1999a]Literaturangabe fehlt. Springt beim einäugigen Betrachten eines Neckerwürfels die Sichtweise um, ändert sich die Stellung des verdeckten Auges, so wie das bei beidäugigem Sehen geschehen würde, um bei einem tatsächlichen räumlichen Gebilde das Sehen von Doppelbildern zu vermeiden (Vergenzbewegung; [Enright 1987a]Literaturangabe fehlt. Kurze Unterbrechungen der Reizpräsentation (bis zu 400 ms) fördern ein Kippen, längere Pausen reduzieren es drastisch; welche der beiden konkurrierenden Deutungen dadurch gestützt wird ist strittig ([Kornmeier et al. 2009a]Literaturangabe fehlt. Ungeachtet der offenen Fragen angesichts der hier schlaglichtartig angedeuteten komplexen Befundlage kann man festhalten, dass Kippbilder wohl eher durch Deutungen zu erhellen sind, welche bedenken, wie sich diese Situationen zum prinzipiellen Handlungs- bzw. Umweltbezug des Wahrnehmens verhalten, als durch losgelöste Modelle der Selbstorganisation bzw. Analogien zu physikalischen Phänomenen. Philosophische DiskussionSpätestens mit Wittgensteins Beispiel des Hasen-Enten-Kopfs (H-E-Kopf) hat das Kippbild Eingang in den philosophischen Diskurs gefunden (vgl. nochmals Abb. 7 oben). Wittgenstein Interesse für das Kippbild rührt aus seiner Fragestellung zur unterschiedlichen Verwendungsweisen des Ausdrucks ‘sehen’ her (vgl. [Glock 2000a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. ).[20] Nach Wittgenstein kann weder die Gestalttheorie noch der Repräsentationalismus eine Erklärung für das Aspektsehen anbieten. Wittgensteins eigene Lösung besteht darin, das »Sehen-als« nicht als eine reine Form der Wahrnehmung zu betrachten ([Wittgenstein 1971a]Wittgenstein, Ludwig (1971). Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 524): „Das ‘Sehen-als …’ gehört nicht zur Wahrnehmung. Und darum ist es wie ein Sehen und wieder nicht ein Sehen.“ Das Aufleuchten des Aspekts ist nach Wittgenstein „halb Seherlebnis, halb ein Denken“ (ebd. S. 524). Zum Aspektsehen muss also eine kognitive Leistung treten, die über eine bloße Wahrnehmungsleistung hinausgeht (vgl. [Glock 2000a]Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. : S. 44 f.). Aspektsehen ist für Wittgenstein demnach eine kognitive Fähigkeit und das Fehlen dieser Fähigkeit, die Aspektblindheit, ist für ihn vergleichbar mit der Farbenblindheit oder „dem Mangel des musikalischen Gehörs“ (ebd. 552). Die Aspektblindheit zeigt sich nicht in dem Fehlen bestimmter Wahrnehmungen, sondern in der Unfähigkeit, kognitiv auf bestimmte Fragen zu reagieren. Anders gesagt: die Fähigkeit, Aspekte zu sehen, zeigt sich in bestimmten sprachlichen Reaktionen, etwa ‘jetzt sehe ich’s’. Dieser Ausdruck, mit dem ich mein Erlebnis des Aspektwechsles mitteile, ist zumindest in einer Hinsicht vergleichbar mit dem Schrei, der meinen Schmerz anzeigt. Beide beziehen sich nicht auf mentale Gegenstände (innere Bilder), sondern sind Ausdruck eines Erlebnisses. Innerhalb der Bildwissenschaften hat sich an prominenter Stelle Ernst Gombrich auf Wittgensteins Überlegungen bezogen ([Gombrich 1977a]Literaturangabe fehlt. Richard Wollheim weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass dieser Vergleich fehlgeleitet ist: Beim H-E-Kopf wechseln wir nicht zwischen dem Sehen des H-E-Kopfs und dem Bildträger, sondern zwischen zwei Bildinhalten ([Wollheim 1982a]Literaturangabe fehlt. Wollheims Auffassung wird u.a. von Dominic Lopes kritisiert. Seine Gegenbeispiele sind Trompe l'œil-Bilder, bei denen es uns zuweilen nicht möglich ist, den Bildträger zu sehen, und gegenstandslose Bilder, die keinen Bildinhalt besitzen ([Lopes 1996a]Literaturangabe fehlt. |
Anmerkungen
[Attneave 1971a]:
Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Britz et al. 2009a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Britz et al. 2010a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Brugger & Brugger 1993a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Brugger 1999a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Caglioti 1995a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Ditzinger 2006a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Enright 1987a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Gibson 1982a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Glock 2000a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Gombrich 1977a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Gombrich 2002a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Gregory 1997a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Gregory 2000a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Haken 1995]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Hochberg 1977a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Hofmann 2000a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Kanizsa & Luccio 1995a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Kornmeier & Bach 2009a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Kornmeier et al. 2009a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Krkac 2010a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Kruse & Stadler 1995a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Kruse et al. 1995a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Leopold & Logothetis 1999a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Logothetis 1998a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Lopes 1996a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Mach 1987a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. 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[Rock 1985a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Sander 1962a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Schönhammer 2009a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Schönhammer 2011a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Shepard 1990a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Stadler & Kruse 1995a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Stoesz 2008a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Stüber & Stadler 1999a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Troje & McAdam 2010a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Wade et al. 2010a]: Literaturangabe fehlt. Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als: - Buch, - Artikel in Zeitschrift, - Beitrag in Sammelband, - Sammelband, - andere Publikation, - Glossarlemma. [Wittgenstein 1971a]: Wittgenstein, Ludwig (1971). Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Wittgenstein 1990a]: Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [95], Klaus Sachs-Hombach [52], Franziska Kurz [21], Rainer Schönhammer [9], Eva Schürmann [1] und Jakob Steinbrenner [1] — (Hinweis) |