Kunstgeschichte als Bildgeschichte: Unterschied zwischen den Versionen
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Belting geht noch einen Schritt weiter. Seiner Meinung nach sollte die Emanzipation von den Widersprüchen eines klassischen kunsthistorischen Kanons nicht nur in eine kritische Überprüfung von traditionellen Kunst- und Ästhetikvorstellungen münden, sondern zugleich eine Revision und Erweiterung des kunsthistorischen Forschungsfeldes insgesamt nach sich ziehen. Gefordert wird damit eine Revision und Erweiterung, die insofern bildwissenschaftliche Konsequenzen mit sich bringt, als sie den Ausgangspunkt für eine Transformation der Kunstgeschichte in eine Bildgeschichte bildet. Wesentlich für eine solche Transformation ist die Formulierung neuartiger Forschungsdirektiven und Erkenntnisinteressen. Nicht die Analyse von ''Kunstwerken'' soll im Vordergrund stehen, sondern die Beschäftigung mit ''Bildwerken'' – und dies unter Gesichtspunkten, die weniger von abendländisch tradierten ästhetischen Leitmotiven als von geistesgeschichtlichen, kulturwissenschaftlichen und kulturanthropologischen Erkenntnisinteressen bestimmt sind. Das menschliche Bildschaffen soll auf diese Weise nicht mehr unter eurozentristischen, sondern unter interkulturellen Gesichtspunkten zum Gegenstand der Forschung gemacht werden (vgl. dazu <bib id='Belting & Haustein 1998a'></bib>, <bib id='Belting 2001a'></bib>). | Belting geht noch einen Schritt weiter. Seiner Meinung nach sollte die Emanzipation von den Widersprüchen eines klassischen kunsthistorischen Kanons nicht nur in eine kritische Überprüfung von traditionellen Kunst- und Ästhetikvorstellungen münden, sondern zugleich eine Revision und Erweiterung des kunsthistorischen Forschungsfeldes insgesamt nach sich ziehen. Gefordert wird damit eine Revision und Erweiterung, die insofern bildwissenschaftliche Konsequenzen mit sich bringt, als sie den Ausgangspunkt für eine Transformation der Kunstgeschichte in eine Bildgeschichte bildet. Wesentlich für eine solche Transformation ist die Formulierung neuartiger Forschungsdirektiven und Erkenntnisinteressen. Nicht die Analyse von ''Kunstwerken'' soll im Vordergrund stehen, sondern die Beschäftigung mit ''Bildwerken'' – und dies unter Gesichtspunkten, die weniger von abendländisch tradierten ästhetischen Leitmotiven als von geistesgeschichtlichen, kulturwissenschaftlichen und kulturanthropologischen Erkenntnisinteressen bestimmt sind. Das menschliche Bildschaffen soll auf diese Weise nicht mehr unter eurozentristischen, sondern unter interkulturellen Gesichtspunkten zum Gegenstand der Forschung gemacht werden (vgl. dazu <bib id='Belting & Haustein 1998a'></bib>, <bib id='Belting 2001a'></bib>). | ||
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− | Einen prägnanten Eindruck von diesem reformatorischen Ansinnen vermittelt Beltings Studie ''Bild und Kult'' – ein Buch, das seit seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1990 mehrfach neu aufgelegt wurde und heute zu den einflussreichsten Werken der jüngeren Kunstgeschichte zählt (vgl. <bib id='Belting 2004a'></bib>). Schon der Untertitel dieser Arbeit – ''Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst'' – signalisiert eine am Bild, nicht an der Kunst, orientierte Untersuchungsperspektive, aus der sich eine tiefgreifende Verschiebung der wissenschaftlichen Fragestellung ergibt. Entscheidend ist für Belting nicht, was ein konkretes Bild bedeutet, wie es zwecks einer gelungenen Interpretation ›gelesen‹ werden muss oder inwieweit es mit einem kanonisierten Kunst- oder Werkbegriff korrespondiert. Stattdessen ist von Interesse, in welcher Form Menschen zu Zeiten, in denen ein elaborierter Kunstbegriff noch nicht existiert hat,<ref> ''Bild und Kult'' konzentriert sich auf Bildpraktiken, die von der Spätantike bis in die Reformation und den Beginn der Neuzeit reichen und insofern ''vor'' der Renaissance, die den Ausgangspunkt für den traditionellen Kanon der Kunstgeschichte bildet, stattfanden</ref> in gewissen politischen, religiösen und vor allem kultischen Kontexten von Bildwerken Gebrauch machten. Ob es sich in den betreffenden Bildverwendungskontexten im traditionellen Sinne um Kunstwerke handelte, ist aus dieser dezidiert bildgeschichtlichen Perspektive irrelevant. | + | Einen prägnanten Eindruck von diesem reformatorischen Ansinnen vermittelt Beltings Studie ''Bild und Kult'' – ein Buch, das seit seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1990 mehrfach neu aufgelegt wurde und heute zu den einflussreichsten Werken der jüngeren Kunstgeschichte zählt (vgl. <bib id='Belting 2004a'></bib>). Schon der Untertitel dieser Arbeit – ''Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst'' – signalisiert eine am Bild, nicht an der Kunst, orientierte Untersuchungsperspektive, aus der sich eine tiefgreifende Verschiebung der wissenschaftlichen Fragestellung ergibt. Entscheidend ist für Belting nicht, was ein konkretes Bild bedeutet, wie es zwecks einer gelungenen Interpretation ›gelesen‹ werden muss oder inwieweit es mit einem kanonisierten Kunst- oder Werkbegriff korrespondiert. Stattdessen ist von Interesse, in welcher Form Menschen zu Zeiten, in denen ein elaborierter Kunstbegriff noch nicht existiert hat,<ref> ''Bild und Kult'' konzentriert sich auf Bildpraktiken, die von der Spätantike bis in die Reformation und den Beginn der Neuzeit reichen und insofern ''vor'' der Renaissance, die den Ausgangspunkt für den traditionellen Kanon der Kunstgeschichte bildet, stattfanden.</ref> in gewissen politischen, religiösen und vor allem kultischen Kontexten von Bildwerken Gebrauch machten. Ob es sich in den betreffenden Bildverwendungskontexten im traditionellen Sinne um Kunstwerke handelte, ist aus dieser dezidiert bildgeschichtlichen Perspektive irrelevant. |
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Ein bildgeschichtliches Erkenntnisinteresse äußert sich etwa in den folgenden Forschungsfragen: Warum haben Menschen das Bedürfnis, bei der Durchführung etwaiger politischer, religiöser oder kultischer Handlungen und Rituale nicht nur Bilder zu verwenden, sondern diese auch ins Zentrum entsprechender Handlungen und Rituale zu stellen? Was motiviert Menschen dazu, Bilder zu schaffen? Warum knüpfen Menschen insbesondere in religiösen und kultischen Zusammenhängen existenzielle sowie spirituelle Hoffnungen und Erwartungen an die Schöpfung, Verwendung und quasi-personale Interaktion mit Bildwerken? Wie lässt sich verstehen, warum Bildern seit Jahrtausenden besondere Kräfte und Mächte zugesprochen werden, die auch heute noch die Vorstellungen von einer eigentümlichen Bildmagie bzw. Bildmacht prägen?<ref> Vgl. hierzu für einen facettenreichen Überblick neben den bereits erwähnten Studien von Belting und Freedberg die Ausführungen in <bib id='Lippold 1993a'></bib>.</ref> Was führt Menschen dazu, sich vor Bildern zu ängstigen oder sogar ikonoklastische Handlungen durchzuführen, durch die – wie etwa in den spätantiken oder reformatorischen Bilderstürmen oft geschehen – mitunter auch Menschenleben ein Ende finden?<ref> Vgl. dazu neben <bib id='Freedberg 1991a'></bib>: Kap. 14 und <bib id='Mitchell 2008a'></bib>: S. 106-128 die Beiträge in <bib id='Warnke 1993a'></bib>.</ref> | Ein bildgeschichtliches Erkenntnisinteresse äußert sich etwa in den folgenden Forschungsfragen: Warum haben Menschen das Bedürfnis, bei der Durchführung etwaiger politischer, religiöser oder kultischer Handlungen und Rituale nicht nur Bilder zu verwenden, sondern diese auch ins Zentrum entsprechender Handlungen und Rituale zu stellen? Was motiviert Menschen dazu, Bilder zu schaffen? Warum knüpfen Menschen insbesondere in religiösen und kultischen Zusammenhängen existenzielle sowie spirituelle Hoffnungen und Erwartungen an die Schöpfung, Verwendung und quasi-personale Interaktion mit Bildwerken? Wie lässt sich verstehen, warum Bildern seit Jahrtausenden besondere Kräfte und Mächte zugesprochen werden, die auch heute noch die Vorstellungen von einer eigentümlichen Bildmagie bzw. Bildmacht prägen?<ref> Vgl. hierzu für einen facettenreichen Überblick neben den bereits erwähnten Studien von Belting und Freedberg die Ausführungen in <bib id='Lippold 1993a'></bib>.</ref> Was führt Menschen dazu, sich vor Bildern zu ängstigen oder sogar ikonoklastische Handlungen durchzuführen, durch die – wie etwa in den spätantiken oder reformatorischen Bilderstürmen oft geschehen – mitunter auch Menschenleben ein Ende finden?<ref> Vgl. dazu neben <bib id='Freedberg 1991a'></bib>: Kap. 14 und <bib id='Mitchell 2008a'></bib>: S. 106-128 die Beiträge in <bib id='Warnke 1993a'></bib>.</ref> |
Version vom 21. Juni 2011, 14:48 Uhr
Unterpunkt zu: Bildphilosophische Abgrenzungen
Darstellung des gr. ZusammenhangsDie Kunstgeschichte gilt gemeinhin als eine der ältesten und versiertesten bildwissenschaftlichen Disziplinen. Eine intensive Auseinandersetzung mit Bildwerken verschiedenster Art gehört für sie zum Tagesgeschäft. Seit ihrer akademischen Etablierung im 19. Jahrhundert hat sie dabei eine Reihe von Methoden entwickelt, die die wissenschaftliche Beschäftigung mit etwaigen Bildwerken unter systematischen Gesichtspunkten anleiten. Viele davon haben in der internationalen kunsthistorischen Forschung weite Verbreitung gefunden (Ikonografie, Ikonologie, Ikonik). Wie sich seit Ende der 1980er Jahre herausstellt, sind zahlreiche dieser Methoden hingegen nicht mehr unumstritten. Obwohl die Arbeiten von Autoren wie Erwin Panofsky (1892-1968), Ernst Gombrich (1909-2001) oder Heinrich Wölfflin (1864-1945) nach wie vor als Klassiker der Kunstgeschichte zählen, machen sich etliche einflussreiche kunsthistorische Stimmen für eine Reformation der Kunstgeschichte stark.
Darstellung des engeren ZusammenhangsKunstgeschichte als BildgeschichteDie vielleicht einflussreichsten Anregungen, kunstgeschichtliche Forschung im Sinne einer Bildgeschichte zu betreiben, finden sich in den Schriften Hans Beltings. In seinem Buch Das Ende der Kunstgeschichte – ein Werk, das bei seiner Erstveröffentlichung noch ein Fragezeichen im Titel trug (vgl. [Belting 1983a])[3] – regt er die gegenwärtige Kunstgeschichte zu einer „Denkpause“ ([Belting 2002a]: S. 22) an und fragt, „ob die Kunst und die Erzählung von Kunst noch so, wie man es gewohnt war, zueinander paß[en]“ ([Belting 2002a]: ebd.). Wie im weiteren Verlauf des Textes deutlich wird, verneint Belting diese Frage. Allerdings betont er, dass die Notwendigkeit einer Kunstgeschichte damit unter keinen Umständen hinfällig geworden sei. Vielmehr hätten sich, angestoßen etwa durch die avantgardistische Kunstpraxis des 20. Jahrhunderts, etablierte klassische Analysemethoden und Denkweisen mit der Zeit abgenutzt, sodass nunmehr die Dringlichkeit nach einer erneuerten Form kunsthistorischen Forschens und Erzählens offenkundig geworden sei: „Das Ende der Kunstgeschichte bedeutet nicht, daß die Kunst oder die Kunstwissenschaft an ihrem Ende angelangt wären, sondern registriert die Tatsache, daß sich in der Kunst wie in den Denkbildern der Kunstgeschichte das Ende einer Tradition abzeichnet, einer Tradition, die seit der Moderne in der uns vertrauten Gestalt zum Kanon geworden war“ ([Belting 2002a]: ebd.).
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Anmerkungen
[Belting & Haustein 1998a]: Belting, Hans & Haustein, Lydia (1998). Das Erbe der Bilder. Kunst und moderne Medien in den Kulturen der Welt. München: C.H. Beck.
[Belting 1983a]: Belting, Hans (1983). Das Ende der Kunstgeschichte?. München: Deutscher Kunstverlag. [Belting 2001a]: Belting, Hans (2001). Bildanthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München: Wilhelm Fink. [Belting 2002a]: Belting, Hans (2002). Das Ende der Kunstgeschichte. Eine Revision nach zehn Jahren. München: Verlag C.H. Beck, 2., erweiterte Auflage. [Belting 2004a]: Belting, Hans (2004). Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. München: C.H. Beck, 6. Auflage. [Boehm 2007a]: Boehm, Gottfried (2007). Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens. Berlin: Berlin University Press. [Didi-Huberman 2000a]: Didi-Huberman, Georges (2000). Vor einem Bild. München/Wien: Carl Hanser. [Elkins 1999a]: Elkins, James (1999). The Domain of Images. Ithaca, London: Cornell University Press. [Fischer-Lichte 2004a]: Fischer-Lichte, Erika (2004). Ästhetik des Performativen. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Freedberg 1991a]: Freedberg, David (1991). The Power of Images. Studies in the History and Theory of Response (1989). Chicago, London: University of Chicago Press. [Kris & Kurz 1995a]: Kris, Ernst & Kurz, Otto (1995). Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Lippold 1993a]: Lippold, Lutz (1993). Macht des Bildes - Bild der Macht: Kunst zwischen Verehrung und Zerstörung bis zum ausgehenden Mittelalter. Leipzig: Edition Leipzig. [Mersch 2002a]: Mersch, Dieter (2002). Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. München: Fink. [Mersch 2002b]: Mersch, Dieter (2002). Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer performativen Ästhetik. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Mitchell 1986a]: Mitchell, William J.T. (1986). Iconology. Image, Text, Ideology. Chicago, London: University of Chicago Press. [Mitchell 2008a]: Mitchell, William J. Thomas (2008). Bildtheorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Panofsky 2002a]: Panofsky, Erwin (2002). Sinn und Deutung in der bildenden Kunst (Meaning in the Visual Arts). Köln: Dumont. [Warnke 1993a]: Warnke, Martin (Hg.) (1993). Bildersturm. Die Zerstörung des Kunstwerks. Frankfurt/M.: S. Fischer. Verantwortlich: Seitenbearbeitungen durch: Mark A. Halawa [75], Joerg R.J. Schirra [31] und Franziska Kurz [1] — (Hinweis) |