Kunstgeschichte als Bildgeschichte

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
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Unterpunkt zu: Allgemeines (historisch und systematisch)


Darstellung des gr. Zusammenhangs

Am Beispiel bildanthropologischer Überlegungen lässt sich vor Augen führen, inwieweit die Beschäftigung mit grundlagentheoretischen Fragen des Bildes dazu führen kann, ältere Problemkomplexe aus einem anderen oder sogar völlig neuen Blickwinkel zu betrachten. Was Wiesing, Sachs-Hombach/Schirra und Jonas für den Bereich der Philosophie demonstrieren, lässt sich nun ebenfalls auf dem Gebiet der Kunstgeschichte beobachten. So nutzt der Kunsthistoriker Hans Belting seine bildwissenschaftlichen Untersuchungen in einer ausgesprochen reformatorischen Absicht: Sein Ziel ist es, der Kunstgeschichte durch eine historische Reflexion auf den Bildbegriff sowohl in inhaltlicher als auch in methodischer Hinsicht ein neues Gesicht zu geben.

Noch vor der durchschlagenden Proklamation des iconic bzw. pictorial turn stellte Belting die provokante These auf, dass die akademische Kunstgeschichtsschreibung in der Form, in der sie spätestens seit dem 19. Jahrhundert betrieben worden ist, nicht mehr zeitgemäß sei.[1] Keineswegs wollte Belting damit die Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass es sich bei der Kunstgeschichte um eine obsolet gewordene Disziplin handle. Vielmehr war und ist es ihm ein Anliegen, sich von ästhetischen Maximen zu lösen, die in der Renaissance begründet worden sind und den Sinn und Zweck der kunstgeschichtlichen Forschung alleine mit der Erzählung „einer allgemeinen Geschichte der Kunst“[2] assoziieren. Die Kunstgeschichte soll sich nicht in den Dienst eines Diskurses stellen, der sich ausschließlich auf solche Objekte bezieht, die bewusst als Kunst konzipiert und erschaffen worden sind. Stattdessen soll sie ihr wissenschaftliches Interesse auch auf solche Gegenstände richten, mit denen – auch wenn sie äußerst kunstvoll ausgeführt und/oder durch ihre Zurschaustellung in Museen in die Welt der Kunst integriert worden sind – niemals ästhetische Intentionen verbunden wurden.

Seinen reformatorischen Ansprüchen versuchte Belting in Bild und Kult gerecht zu werden – einem Buch, das 1991 zuerst publiziert worden ist und heute zu den Klassikern der Kunstgeschichte zählt.[3] Schon der Untertitel dieses Werkes – Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst – signalisiert eine am Begriff des Bildes (nicht der Kunst) orientierte Erweiterung des kunsthistorischen Forschungsfeldes. Aus der Kunstgeschichte wird eine Bildgeschichte, die – obwohl sie hinsichtlich ihrer Methoden nach wie vor vom Wissen der Kunstgeschichte profitiert – einen völlig neuen Forschungsgegenstand besitzt. Bilder werden hier etwa nicht mehr unter besonderer Berücksichtigung des Werkbegriffs untersucht, der die kunsthistorische Debatte lange Zeit fest im Griff hatte;[4] auch wird nicht der Versuch unternommen, anhand von ikonologischen und ikonografischen Analysemethoden, wie sie beispielswiese im Anschluss an Erwin Panofsky über weite Teile des 20. Jahrhunderts verwendet worden sind, eine klare inhaltlich-semantische Bestimmung von spezifischen Bildinhalten sicherzustellen (Ikonologie). Stattdessen wird in Bild und Kult untersucht, in welchem rituellen, kulturellen und sozialen Zusammenhang von der Spätantike bis zum Beginn der Neuzeit (der Epoche, in der das Zeitalter der Kunst seinen Anfang nahm) zum Einsatz gekommen sind.

Die Bilder, denen sich Belting zuwendet, stammen allesamt aus einem kultischen und religiösen Kontext. Dabei stellt er mit historischen Mitteln heraus, was Ernst Cassirer in seinen Studien in ähnlicher Form über das mythische Weltbild unter kulturphilosophischen Vorzeichen zur Sprache gebracht hat[5]: Wo in der Renaissance der Betrachter eines Bildes lediglich die Repräsentation einer Person oder eines Gegenstandes wahrnimmt, macht der Betrachter vor dem Zeitalter der Kunst (wenn auch nicht überall)[6] das Verhältnis einer reinen Identität aus. Während das Bild im einen Fall eine Sache lediglich zeichenhaft darstellt, sieht sich der Betrachter eines Bildwerkes im anderen Fall mit der unmittelbaren Präsenz der ansichtig gemachten Sache selbst konfrontiert. Der Aspekt des Schein- bzw. Phantomhaften, der phänomenologischen Bildkonzeptionen zufolge ein allgemeines Charakteristikum von Bildlichkeit überhaupt ist (Phänomenologie des Bildes), tritt in dem Moment, wo das Bild und die abgebildete Sache miteinander verschmelzen, nicht in Kraft.

Dieser Umstand macht verständlich, weshalb es sowohl in der westlichen als auch in der östlichen mittelalterlichen Religionspraxis immer wieder üblich gewesen ist, Bilder „wie eine echte Person“[7] zu behandeln. Er verdeutlicht zudem, dass die Geschichte des Bildes nicht notwendig mit einer Geschichte der Kunst einhergehen muss. Die Macht des Kultbildes hing weniger mit ästhetischen denn mit magischen Qualitäten zusammen: es faszinierte nicht, weil eine kunstvolle, schöne Ausführung auf das Genie seines Schöpfers schließen ließ, sondern weil sich in ihm – um nur einen berühmten Bildkorpus des Mittelalters zu nennen – beispielsweise die unmittelbare Gegenwart des Fleisch gewordenen Gottes offenbarte. Das Beispiel des Kultbildes demonstriert somit, dass die Bildgeschichte Platz für eine Reihe von voneinander abweichenden Bildbegriffen findet. Eine der wichtigsten Lehren der Beltingschen Bildgeschichte besteht demzufolge darin, dass sich die Frage Was ist ein Bild? höchst unterschiedlich beantworten lässt. Im Gegensatz zu phänomenologischen Bildtheorien macht sie es sich somit nicht zum Ziel, einen universalen Bildbegriff zu ermitteln, der über sämtliche kulturelle und historische Grenzen hinweg Gültigkeit besitzt. Ganz im Gegenteil ist sie daran interessiert, die vielen Facetten des Bildgebrauchs gerade auch in seiner begrifflichen Vielgestaltigkeit systematisch zu untersuchen.

Intensiv nachgegangen wird diesem Interesse in Bild-Anthropologie. Entwürfe einer Bildwissenschaft – einem weiteren Schlüsselwerk Beltings.[8] Das bildgeschichtliche Leitmotiv, das in Bild und Kult in Rekurs auf den mittelalterlichen Bildgebrauch zum Einsatz kam, wird darin unter kulturanthropologischen Vorzeichen fortgesetzt. „[D]as Bild“, schreibt Belting im Vorwort seiner Bild-Anthropologie, „[läßt] sich […] nur auf Wegen erschließen […], die interdisziplinär gegangen werden und auch vor einem interkulturellen Horizont nicht zurückschrecken.“[9] Ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses gelangen im Zuge dessen neben archäologischen Fundstücken unter anderem auch fernöstliche Bildwerke oder indigene Körperbemalungen.[10] Das Projekt der Bildgeschichte mündet somit in eine Geschichte des Menschen. Denn nicht nur arbeitet Belting heraus, dass der Körper des Menschen als der historisch ursprünglichste Ort des Bildes anzusehen sei[11]; auch stellt er heraus, in welchem Maße der Mensch das Verhältnis zu sich, seinem Körper und der Welt insbesondere mit Hilfe des Bildmediums gestaltet und reflektiert. Die besondere Leistung der in eine Bild-Anthropologie überführten Bildgeschichte lässt sich mithin darin erkennen, dass sie den Bildbegriff von der eurozentrischen Hypothek, durch die er seit der Renaissance gekennzeichnet ist, befreit und darüber hinaus das Phänomen des Bildes (wenn auch in einer anderen Weise als Jonas, der seine Bildreflexionen in den Kontext einer philosophischen Anthropologie stellt) als eine anthropologische Grundkategorie einführt.

Inhaltsverzeichnis        

Anmerkungen
  1. Vgl. [Belting 2002a]Literaturangabe fehlt.
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    . Dieser Text erschien in seiner ersten Fassung noch mit einem Fragezeichen im Titel. Vgl. [Belting 1983a]Literaturangabe fehlt.
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    .
  2. [Belting 2002a, S. 23]Literaturangabe fehlt.
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    .
  3. Vgl. [Belting 2004a]Literaturangabe fehlt.
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    ).
  4. Vgl. [Belting 2002a, S. 12]Literaturangabe fehlt.
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    .
  5. Vgl. [Cassirer 1925a, S. 48-51]Literaturangabe fehlt.
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    .
  6. Große Teile von Bild und Kult beschäftigen sich mit theologischen Konflikten, die durch den magischen, nicht-repräsentationalen Bildgebrauch angefeuert worden sind. Die byzantinischen oder reformatorischen Bilderstürme hingen beispielsweise unter anderem damit zusammen, dass die Bilderfeinde der Ansicht waren, dass Bilder stets als Zeichen zu gebrauchen seien und eine Verehrung des Bildes selbst (anstatt der Sache, die durch das Bild repräsentiert wird) insofern einer götzendienerischen Sünde gleichkomme. Ausgangspunkt des Bilderstreits ist demzufolge (neben anderen, größtenteils politisch motivierten Faktoren) das Aufeinandertreffen von Bildbegriffen, die sich wechselseitig ausschließen. Vgl. zu diesem Thema auch [Freedberg 1991a]Literaturangabe fehlt.
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    .
  7. [Belting 2004a, S. 9]Literaturangabe fehlt.
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    .
  8. [Belting 2002a]Literaturangabe fehlt.
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    .
  9. [Belting 2002a, S. 8]Literaturangabe fehlt.
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    .
  10. Als Zeugnis dieses interkulturellen Bildinteresses dienen die Beiträge in [Belting & Haustein 1998a]Literaturangabe fehlt.
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    .
  11. Vgl. das Kapitel „Der Ort der Bilder. Ein anthropologischer Versuch“ in [Belting 2002a, S. 57-86]Literaturangabe fehlt.
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    .
Literatur                             [Sammlung]

[Belting 1983a]:
Literaturangabe fehlt.
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[Belting 2002a, S. 57-86]:
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[Belting 2004a, S. 9]:
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[Belting & Haustein 1998a]:
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[Cassirer 1925a, S. 48-51]:
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[Freedberg 1991a]:
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