Mimesis: Unterschied zwischen den Versionen

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(Engere Begriffsbestimmung)
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Bei Platon wie auch bei Aristoteles sind zwei Verwendungsweisen von  'Mimesis' zu unterscheiden. Zum einen bezeichnet der Ausdruck einen bestimmten Darstellungsmodus und wird dabei der 'diegesis' als einem anderen Modus gegenübergestellt.<ref>Vgl. hierzu und zum folgenden Platon: Politeia, 392d ff.</ref> Bei der Diegesis redet der Autor und beschreibt eine Handlung. Bei der Mimesis spricht die Figur. Zum anderen verwenden Platon und Aristoteles  'Mimesis' aber auch als Oberbegriff für die beiden Darstellungsmodi. In dieser allgemeineren Verwendung beschreibt der Ausdruck das Verhältnis der Techne (alles Künstliche) zur Welt (alles Natürliche); jedes Artefakt und damit auch Kunstwerke im heutigen Sinne des Wortes gelten Platon und Aristoteles demnach als Mimesis. Platon beschreibt mit der Mimesis (aber auch mit der Methexis) auch das Verhältnis zwischen Sinnen- und Ideenwelt. Da Aristoteles die Annahme einer Ideenwelt ablehnt, spielt diese Verwendungsweise bei ihm keine Rolle, wohl aber die Mimesis als Darstellungsmodus und die (ontologische) Mimesis als Bezeichnung für das Verhältnis zwischen Künstlichem und Natürlichen.
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Bei Platon wie auch bei Aristoteles sind zwei Verwendungsweisen von  'Mimesis' zu unterscheiden. Zum einen bezeichnet der Ausdruck einen bestimmten Darstellungsmodus und wird dabei der 'diegesis' als einem anderen Modus gegenübergestellt.<ref>Vgl. hierzu und zum folgenden <bib id='Platon 1991a'>JPlaton 1991a: 392d ff.</bib></ref> Bei der Diegesis redet der Autor und beschreibt eine Handlung. Bei der Mimesis spricht die Figur. Zum anderen verwenden Platon und Aristoteles  'Mimesis' aber auch als Oberbegriff für die beiden Darstellungsmodi. In dieser allgemeineren Verwendung beschreibt der Ausdruck das Verhältnis der Techne (alles Künstliche) zur Welt (alles Natürliche); jedes Artefakt und damit auch Kunstwerke im heutigen Sinne des Wortes gelten Platon und Aristoteles demnach als Mimesis. Platon beschreibt mit der Mimesis (aber auch mit der Methexis) auch das Verhältnis zwischen Sinnen- und Ideenwelt. Da Aristoteles die Annahme einer Ideenwelt ablehnt, spielt diese Verwendungsweise bei ihm keine Rolle, wohl aber die Mimesis als Darstellungsmodus und die (ontologische) Mimesis als Bezeichnung für das Verhältnis zwischen Künstlichem und Natürlichen.
  
Die philologische Erforschung der antiken Mimesis konzentriert sich auf die ontologische Mimesis und kreist um die Frage, ob der griechische Ausdruck besser mit ‚Nachahmung’ oder mit ‚Darstellung’ zu übersetzen sei.<ref>Die wesentlichen Positionen der Debatte werden von Koller 1954, Else 1958 und Sörbom 1966 vertreten; neuere Varianten vertreten Petersen 1992 und 2000 sowie Kardaun 1993.</ref> Beide Übersetzungsalternativen sind nicht unproblematisch. Freilich reden weder Platon noch Aristoteles einer Nachahmung im Sinne eines Kopierens der Wirklichkeit das Wort; ebenso wenig ist aber ‚Darstellung’ gemeint, wenn diese ein freies Erfinden impliziert,<ref>Das nehmen Koller (1954), Petersen (1992; 2000: 21 f und 37 ff.) und Lotter (1992) an.</ref> insofern der Bezug auf die natürliche Welt für die antike Mimesis konstitutiv ist.  
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Die philologische Erforschung der antiken Mimesis konzentriert sich auf die ontologische Mimesis und kreist um die Frage, ob der griechische Ausdruck besser mit ‚Nachahmung’ oder mit ‚Darstellung’ zu übersetzen sei.<ref>Die wesentlichen Positionen der Debatte werden von <bib id='Koller 1954'>Koller 1954</bib>, <bib id='Else 1958'>Else 1958</bib> und <bib id='Sörbom 1966'>Sörbom 1966</bib> vertreten; neuere Varianten vertreten <bib id='Petersen 1992'>Petersen 1992</bib> sowie <bib id='Petersen 2000'>Petersen 2000</bib> und <bib id='Kardaun 1993'>Kardaun 1993</bib>.</ref> Beide Übersetzungsalternativen sind nicht unproblematisch. Freilich reden weder Platon noch Aristoteles einer Nachahmung im Sinne eines Kopierens der Wirklichkeit das Wort; ebenso wenig ist aber ‚Darstellung’ gemeint, wenn diese ein freies Erfinden impliziert,<ref>Das <bib id='Koller 1954'>Koller 1954</bib> und <bib id='Petersen 2000'>Petersen 2000: 21 f und 37 ff.</bib> an.</ref> insofern der Bezug auf die natürliche Welt für die antike Mimesis konstitutiv ist.  
  
 
Die Unterscheidung zwischen Künstlichem und Natürlichen wird von Platon und Aristoteles hierarchisch gedacht. Vorausgesetzt wird  – wenngleich von Platon und Aristoteles unterschiedlich begründet – die Annahme einer geschlossenen, in sich \emph{vollständigen} Welt. Insofern die Natur bzw. die natürliche Welt vollständig ist, kann jedes Artefakt und jede Erfindung nur als Wiederholung dieser Welt gelten. Neukombinationen, Übersteigerungen und ähnliches gelten dabei nicht als genuine Erfindung.
 
Die Unterscheidung zwischen Künstlichem und Natürlichen wird von Platon und Aristoteles hierarchisch gedacht. Vorausgesetzt wird  – wenngleich von Platon und Aristoteles unterschiedlich begründet – die Annahme einer geschlossenen, in sich \emph{vollständigen} Welt. Insofern die Natur bzw. die natürliche Welt vollständig ist, kann jedes Artefakt und jede Erfindung nur als Wiederholung dieser Welt gelten. Neukombinationen, Übersteigerungen und ähnliches gelten dabei nicht als genuine Erfindung.

Version vom 23. Oktober 2010, 14:14 Uhr


Unterpunkt zu: Historische Bildbegriffe


Darstellung des gr. Zusammenhangs

Der Ausdruck 'Mimesis' fungiert in der Antike (besonders bei Platon und Aristoteles) als Grundbegriff der Kunstreflexion, aber auch der Naturphilosophie und Metaphysik. Bereits in seiner antiken Verwendung weist der Mimesisbegriff eine Vielzahl von Bedeutungsdimensionen auf, die in einem wechselseitigen Begründungsverhältnis stehen. Demnach betrifft die Mimesis

  • das Verhältnis des Künstlichen zum Natürlichen (ontologischer Gebrauch),
  • das Verhältnis von Darstellungen zur Welt (semiotischer Gebrauch),
  • das Verhältnis von Fiktionalem zu Faktualem sowie
  • anthropologische Vorstellungen über die schöpferischen bzw. kreativen Potentiale des Menschen (anthropologischer Gebrauch).


Die zweite Blütezeit der kunsttheoretischen Mimesis setzt mit der Rezeption der Poetik des Aristoteles' in der Renaissance ein und erreicht ihren Höhepunkt in der Aufklärung. Im Rahmen der Naturnachahmungstheorien wird die Mimesis/Naturnachahmung mentalistisch umgedeutet und bezieht sich vorrangig auf

  • das Verhältnis der Darstellungen zu mentalen Gehalten (mentalistischer Gebrauch).

Die Relevanz der beiden Blütezeiten der (ästhetischen) Mimesis für moderne Darstellungs- und Bildtheorien ergibt sich vor allem aus der Übernahme bestimmter Fragestellungen und einzelner Beschreibungsinstrumente, wodurch der Gegenstand dieser Theorien mit-konstituiert wird, und weniger aus den begrifflichen Anschlüssen. Die Verwendungen der Ausdrücke 'Mimesis' un 'Nachahmung' in der Moderne schließen nämlich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – allenfalls sehr lose an den antiken und frühneuzeitlichen Gebrauch an. Entweder werden die Ausdrücke pejorativ im Sinne von Kopieren verwendet oder ihr Gebrauch beruht auf eigenwilligen Umdeutungen wie beispielsweise

  • dem Ineinssetzen von Mimesis und fiktionaler Darstellung (Auerbach und Walton),
  • der Umdeutung der Mimesis als Rezeptionskategorie[1] bei Adorno und
  • der Untersuchung der Mimesis im Verhältnis zu Machtkonstellationen bei Girard.

Die folgende begriffsgeschichtliche Rekonstruktion konzentriert sich auf die Stationen der Begriffsgeschichte, welche für die Bildphilosophie relevant sind. Daher werden die modernen Umdeutungen ebenso wie der naturphilosophische Gebrauch der Mimesis/Imitatio im Mittelalter allenfalls gestreift.


Engere Begriffsbestimmung

Bei Platon wie auch bei Aristoteles sind zwei Verwendungsweisen von 'Mimesis' zu unterscheiden. Zum einen bezeichnet der Ausdruck einen bestimmten Darstellungsmodus und wird dabei der 'diegesis' als einem anderen Modus gegenübergestellt.[2] Bei der Diegesis redet der Autor und beschreibt eine Handlung. Bei der Mimesis spricht die Figur. Zum anderen verwenden Platon und Aristoteles 'Mimesis' aber auch als Oberbegriff für die beiden Darstellungsmodi. In dieser allgemeineren Verwendung beschreibt der Ausdruck das Verhältnis der Techne (alles Künstliche) zur Welt (alles Natürliche); jedes Artefakt und damit auch Kunstwerke im heutigen Sinne des Wortes gelten Platon und Aristoteles demnach als Mimesis. Platon beschreibt mit der Mimesis (aber auch mit der Methexis) auch das Verhältnis zwischen Sinnen- und Ideenwelt. Da Aristoteles die Annahme einer Ideenwelt ablehnt, spielt diese Verwendungsweise bei ihm keine Rolle, wohl aber die Mimesis als Darstellungsmodus und die (ontologische) Mimesis als Bezeichnung für das Verhältnis zwischen Künstlichem und Natürlichen.

Die philologische Erforschung der antiken Mimesis konzentriert sich auf die ontologische Mimesis und kreist um die Frage, ob der griechische Ausdruck besser mit ‚Nachahmung’ oder mit ‚Darstellung’ zu übersetzen sei.[3] Beide Übersetzungsalternativen sind nicht unproblematisch. Freilich reden weder Platon noch Aristoteles einer Nachahmung im Sinne eines Kopierens der Wirklichkeit das Wort; ebenso wenig ist aber ‚Darstellung’ gemeint, wenn diese ein freies Erfinden impliziert,[4] insofern der Bezug auf die natürliche Welt für die antike Mimesis konstitutiv ist.

Die Unterscheidung zwischen Künstlichem und Natürlichen wird von Platon und Aristoteles hierarchisch gedacht. Vorausgesetzt wird – wenngleich von Platon und Aristoteles unterschiedlich begründet – die Annahme einer geschlossenen, in sich \emph{vollständigen} Welt. Insofern die Natur bzw. die natürliche Welt vollständig ist, kann jedes Artefakt und jede Erfindung nur als Wiederholung dieser Welt gelten. Neukombinationen, Übersteigerungen und ähnliches gelten dabei nicht als genuine Erfindung.


Auswirkungen auf andere Begriffe
Anmerkungen
  1. Adorno analysiert die Mimesis als spezifische Rezeptionshaltung. Während die Rationalität das Kunstwerk mittels gewisser Schemata begreift und diese dem Kunstwerk in der Rezeption aufzwingt, bemüht sich die Mimesis um eine Angleichung an das Kunstwerk — vgl. [Adorno 2003: 86 ff.].
  2. Vgl. hierzu und zum folgenden [JPlaton 1991a: 392d ff.]
  3. Die wesentlichen Positionen der Debatte werden von [Koller 1954], [Else 1958] und [Sörbom 1966] vertreten; neuere Varianten vertreten [Petersen 1992] sowie [Petersen 2000] und [Kardaun 1993].
  4. Das [Koller 1954] und [Petersen 2000: 21 f und 37 ff.] an.
Literatur                             [Sammlung]

[Adorno 2003: 86 ff.]:
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[Else 1958]:
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[Kardaun 1993]:
Literaturangabe fehlt.
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- andere Publikation,
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[Koller 1954]:
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- Sammelband,
- andere Publikation,
- Glossarlemma.
[Petersen 1992]:
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[Petersen 2000: 21 f und 37 ff.]:
Literaturangabe fehlt.
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- Glossarlemma.
[JPlaton 1991a: 392d ff.]: Platon (1991). Sämtliche Werke V: Politeia. Griechisch/Deutsch. Frank­furt/M.: Insel.

[Sörbom 1966]:
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Verantwortlich:

Schöttler, Tobias

Seitenbearbeitungen durch: Tobias Schöttler [52], Joerg R.J. Schirra [37] und Dimitri Liebsch [16] — (Hinweis)