Notation: Unterschied zwischen den Versionen

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==Notation und die primäre Funktion einer Parti&shy;tur==
  
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Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusam&shy;menhang mit der Frage nach den [[Identität|Iden&shy;titäts&shy;krite&shy;rien]] für Kunstwer&shy;ke ent&shy;wickelt. Eine Nota&shy;tion ist ein [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem|Zeichen&shy;system]], das ein [[Pragmatik, Semantik, Syntax|syntak&shy;tisches oder seman&shy;tisches]] Krite&shy;rium dafür ermög&shy;licht, welche Gegen&shy;stände oder Ereig&shy;nisse Einzel&shy;fälle eines bestimm&shy;ten Werks sind. Ein solches Krite&shy;rium ist dann notwen&shy;dig, wenn Werke mehre&shy;re Einzel&shy;fälle zulas&shy;sen, deren Iden&shy;tität nicht durch ihre Entste&shy;hungsge&shy;schichte bestimmt ist. Da dies in para&shy;digma&shy;tischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Nota&shy;tion für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Lite&shy;ratur und ausführ&shy;licher den bilden&shy;den Künsten zuwen&shy;de. Die resul&shy;tieren&shy;den Iden&shy;titäts&shy;krite&shy;rien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerk&shy;status gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.
=====Notation und die primäre Funktion einer Partitur=====
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Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufge&shy;führt werden; und ob eine Auffüh&shy;rung ein Einzel&shy;fall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufge&shy;führt hat. Zudem können sich verschie&shy;dene Auffüh&shy;rungen eines Werks beträcht&shy;lich unter&shy;scheiden. Die Parti&shy;tur legt fest, in welchen Hinsich&shy;ten sie über&shy;einstim&shy;men müssen. Genau dieje&shy;nigen Auffüh&shy;rungen, die diesel&shy;be Parti&shy;tur erfül&shy;len, sind Einzel&shy;fälle dessel&shy;ben Werks. Die Parti&shy;tur liefert damit ein seman&shy;tisches Krite&shy;rium der Werk&shy;iden&shy;tität. Ihre primä&shy;re Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 128f.) in der defi&shy;niti&shy;ven Iden&shy;tifi&shy;kation eines Werks von Auffüh&shy;rung zu Auffüh&shy;rung.<ref>Na&shy;tür&shy;lich er&shy;füllt nicht al&shy;les, was wir ‘Par&shy;ti&shy;tur’ nen&shy;nen, die&shy;se Funk&shy;ti&shy;on; zu&shy;dem ha&shy;ben Par&shy;ti&shy;tu&shy;ren wei&shy;te&shy;re Funk&shy;ti&shy;o&shy;nen wie das Trans&shy;po&shy;nie&shy;ren, das Ver&shy;ste&shy;hen und das Kom&shy;po&shy;nie&shy;ren zu er&shy;leich&shy;tern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Auffüh&shy;rungen des Werks eindeu&shy;tig festle&shy;gen; sie muss als Klasse von Inskrip&shy;tionen auch selbst durch eine Auffüh&shy;rung eindeu&shy;tig festge&shy;legt werden, wenn das Nota&shy;tionssys&shy;tem gege&shy;ben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Par&shy;titur&shy;iden&shy;tität in jeder Folge von Schritten erhal&shy;ten, von denen jeder entwe&shy;der von einer Auffüh&shy;rung zu einer Parti&shy;turin&shy;skripti&shy;on oder von dieser zu einer Auffüh&shy;rung oder zu einer weite&shy;ren Inskrip&shy;tion der Parti&shy;tur führt.
  
Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: Kap. 4) im Zusammenhang mit der Frage nach den Identitätskriterien für Kunstwerke entwickelt. Eine Notation ist ein [[Zeichensystem]], das ein syntaktisches oder semantisches Kriterium dafür ermöglicht, welche Gegenstände oder Ereignisse Einzelfälle eines bestimmten Werks sind. Ein solches Kriterium ist dann notwendig, wenn Werke mehrere Einzelfälle zulassen, deren Identität nicht durch ihre Entstehungsgeschichte bestimmt ist. Da dies in paradigmatischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Notation für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Literatur und ausführlicher den bildenden Künsten zuwende. Die resultierenden Identitätskriterien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerkstatus gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.
 
  
Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufgeführt werden; und ob eine Aufführung ein Einzelfall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufgeführt hat. Zudem können sich verschiedene Aufführungen eines Werks beträchtlich unterscheiden. Die Partitur legt fest, in welchen Hinsichten sie übereinstimmen müssen. Genau diejenigen Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, sind Einzelfälle desselben Werks. Die Partitur liefert damit ein semantisches Kriterium der Werkidentität. Ihre primäre Funktion besteht nach Goodman (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 128f.) in der definitiven Identifikation eines Werks von Aufführung zu Aufführung.<ref> Natürlich erfüllt nicht alles, was wir ‘Partitur’ nennen, diese Funktion; zudem haben Partituren weitere Funktionen wie das Transponieren, das Verstehen und das Komponieren zu erleichtern. </ref> Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Aufführungen des Werks eindeutig festlegen; sie muss als Klasse von Inskriptionen auch selbst durch eine Aufführung eindeutig festgelegt werden, wenn das Notationssystem gegeben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Partituridentität in jeder Folge von Schritten erhalten, von denen jeder entweder von einer Aufführung zu einer Partiturinskription oder von dieser zu einer Aufführung oder zu einer weiteren Inskription der Partitur führt.
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==Notation im formalen Sinn und im sub&shy;stantiel&shy;len Sinn==
  
<!--Anmerkung zwischen <ref> und </ref> im laufenden Text-->
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Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfül&shy;len, wenn das Zeichen&shy;system, in dem sie verfasst ist, bestimm&shy;ten syntak&shy;tischen und seman&shy;tischen Anfor&shy;derun&shy;gen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 130–154; <bib id='Elgin 1983a'>Elgin 1983</bib>: S. 97–104; <bib id='Elgin 1992a'>Elgin 1992</bib>). Eine Nota&shy;tion muss syntak&shy;tisch disjunkt und diffe&shy;renziert sein, da eine Parti&shy;tur ein Werk nur dann von Auffüh&shy;rung zu Auffüh&shy;rung iden&shy;tifi&shy;zieren kann, wenn es bestimmt und entscheid&shy;bar ist, ob verschie&shy;dene Inskrip&shy;tionen solche dersel&shy;ben Parti&shy;tur sind. Ein Zeichen&shy;system besteht aus einem Zeichen&shy;schema, das mit einem Bereich korre&shy;liert ist. Das Zeichen&shy;schema, das Charak&shy;tere und ihre Marken enthält, ist ''syntak&shy;tisch disjunkt'', wenn keine Marke zu mehr als einem Charak&shy;ter gehört. Die syntak&shy;tische Disjunk&shy;theit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charak&shy;ter gehö&shy;ren, ohne syntak&shy;tische Auswir&shy;kungen durchein&shy;ander ersetz&shy;bar sind. Ein Zeichen&shy;schema ist ''syntak&shy;tisch diffe&shy;renziert'', wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzu&shy;legen, zu welchem Charak&shy;ter des Schemas sie gehört. Die syntak&shy;tische Diffe&shy;renziert&shy;heit stellt sicher, dass wir entschei&shy;den können, ob zwei Marken zum selben Charak&shy;ter gehö&shy;ren. Ein Zeichen&shy;schema ist dage&shy;gen ''[[syntaktische Dichte|syntak&shy;tisch dicht]]'', wenn es unend&shy;lich viele Charak&shy;tere vorsieht, die so geord&shy;net sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntak&shy;tische Dichte verun&shy;möglicht es, den Charak&shy;ter zu iden&shy;tifi&shy;zieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkur&shy;rieren&shy;de Kandi&shy;daten und keine Grundla&shy;ge gibt, um zwischen ihnen zu entschei&shy;den.
<!--Literaturverweise im laufenden Text <bib id='Jonas 61a'>Jonas 1961</bib> -->
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<!-- ... id im Literaturverzeichnis nachsehen, gegebenenfalls neu einfügen -->
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Ein Charakter ist ''mehrdeu&shy;tig'', wenn eine seiner Inskrip&shy;tionen mehr als eine Erfül&shy;lungsklas&shy;se hat oder nicht alle seiner Inskrip&shy;tionen diesel&shy;be Erfül&shy;lungsklas&shy;se haben. Wäre eine Parti&shy;tur mehrdeu&shy;tig, würde sie von Auffüh&shy;rungen unter&shy;schiedli&shy;cher Werke erfüllt. Damit die Parti&shy;tur ihre primä&shy;re Funktion erfül&shy;len kann, muss die Nota&shy;tion frei von Mehrdeu&shy;tigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Auffüh&shy;rungen, die diesel&shy;be Parti&shy;tur erfül&shy;len, Einzel&shy;fälle dessel&shy;ben Werks sind. Eine Nota&shy;tion muss zudem seman&shy;tisch disjunkt und diffe&shy;renziert sein, da eine Parti&shy;tur ein Werk nur dann von Auffüh&shy;rung zu Auffüh&shy;rung iden&shy;tifi&shy;zieren kann, wenn es bestimmt und entscheid&shy;bar ist, ob verschie&shy;dene Auffüh&shy;rungen diesel&shy;be Parti&shy;tur erfül&shy;len und damit Einzel&shy;fälle dessel&shy;ben Werks sind. Ein Zeichen&shy;system ist ''seman&shy;tisch disjunkt'', wenn sich seine Erfül&shy;lungsklas&shy;sen nicht über&shy;schneiden. Die seman&shy;tische Disjunkt&shy;heit stellt sicher, dass keine Auffüh&shy;rung nicht-ko&shy;exten&shy;sive Parti&shy;turen erfüllt und ein Einzel&shy;fall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Auffüh&shy;rung verschie&shy;dene ko&shy;exten&shy;sive Parti&shy;turen erfüllt und das System also redun&shy;dant ist. Redun&shy;danzen gefähr&shy;den zwar nicht die Werk-, aber die Par&shy;titur&shy;iden&shy;tität, da nicht alle Parti&shy;turen eines Werks Einzel&shy;fälle dessel&shy;ben Charak&shy;ters sind. Sie können ausge&shy;schlossen werden, wenn man für die seman&shy;tische Disjunk&shy;tivi&shy;tät fordert, dass keine zwei Charak&shy;tere einen Erfül&shy;lungsge&shy;genstand gemein&shy;sam haben. Die Erfül&shy;lungsklas&shy;sen eines Zeichen&shy;systems sind ''seman&shy;tisch diffe&shy;renziert'', wenn es für jeden Charak&shy;ter des Systems möglich ist festzu&shy;legen, welche Gegen&shy;stände ihn erfül&shy;len. Die seman&shy;tische Diffe&shy;renziert&shy;heit stellt sicher, dass wir für jede Auffüh&shy;rung entschei&shy;den können, welche Parti&shy;tur sie erfüllt. Ein Zeichen&shy;system ist ''seman&shy;tisch dicht'', wenn die Erfül&shy;lungsklas&shy;sen so geord&shy;net sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Parti&shy;turen Charak&shy;tere in dichten Syste&shy;men, wäre es unmög&shy;lich, die Parti&shy;tur einer Auffüh&shy;rung zu iden&shy;tifi&shy;zieren, weil es immer konkur&shy;rieren&shy;de Kandi&shy;daten und keine Grundla&shy;ge gäbe, um zwischen ihnen zu entschei&shy;den.
<!--  ... (siehe Link "Sammlung" in Bibliographie-Box -->
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<!-- Bilder als thumbs einsetzen, Muster: [[Datei:Beispiel.png|thumb|Bildtitel]] -->
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Ein Zeichenschema, das die syntak&shy;tischen Anfor&shy;derun&shy;gen erfüllt, ist ein Nota&shy;tionssche&shy;ma ''im forma&shy;len Sinn''; ein Nota&shy;tionssys&shy;tem im forma&shy;len Sinn erfüllt auch die seman&shy;tischen Anfor&shy;derun&shy;gen und ist also syntak&shy;tisch und seman&shy;tisch disjunkt und diffe&shy;renziert sowie frei von Mehrdeu&shy;tigkeit.<ref> Ei&shy;ne prak&shy;ti&shy;kab&shy;le No&shy;ta&shy;ti&shy;on hat zu&shy;dem tech&shy;ni&shy;sche An&shy;for&shy;de&shy;run&shy;gen zu er&shy;fül&shy;len, die nichts mit der pri&shy;mä&shy;ren theo&shy;re&shy;ti&shy;schen Funk&shy;ti&shy;on zu tun ha&shy;ben, wie über&shy;schau&shy;bar klei&shy;ne oder end&shy;li&shy;che Men&shy;ge ato&shy;ma&shy;rer Cha&shy;rak&shy;te&shy;re, Deut&shy;lich&shy;keit, Les&shy;bar&shy;keit, Dau&shy;er&shy;haf&shy;tig&shy;keit, Hand&shy;hab&shy;bar&shy;keit, gra&shy;phi&shy;sche Ein&shy;gän&shy;gig&shy;keit, mne&shy;mo&shy;tech&shy;ni&shy;sche Ef&shy;fi&shy;zienz und be&shy;que&shy;me Du&shy;pli&shy;zier&shy;bar&shy;keit (<bib id='Goodman 1968a'>Good&shy;man 1968</bib>: S. 154).</ref> Eine Nota&shy;tion ''im substan&shy;tiellen Sinn'' ist ein Nota&shy;tionssys&shy;tem im forma&shy;len Sinn, das ein Krite&shy;rium der Werk&shy;iden&shy;tität liefert, welches zwei Bedin&shy;gungen erfüllt. Es muss erstens die Iden&shy;tität von Werken unab&shy;hängig von ihrer Entste&shy;hungsge&shy;schichte festle&shy;gen und zweitens hinrei&shy;chend mit unse&shy;rer beste&shy;henden Praxis der Iden&shy;tifi&shy;kation von Werken über&shy;einstim&shy;men (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 195f.). Die unqua&shy;lifi&shy;zierten Aus&shy;drücke ‘Nota&shy;tion’ und ‘Nota&shy;tionssys&shy;tem’ verwen&shy;de ich im Folgen&shy;den für Nota&shy;tionen im substan&shy;tiellen Sinn.
  
=====Notation im formalen Sinn und im substantiellen Sinn=====
 
  
Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfüllen, wenn das Zeichensystem, in dem sie verfasst ist, bestimmten syntaktischen und semantischen Anforderungen genügt (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 130–154; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 97–104; <bib id='Elgin 1992'>Elgin 1992</bib>). Eine Notation muss syntaktisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Inskriptionen solche derselben Partitur sind. Ein Zeichensystem besteht aus einem Zeichenschema, das mit einem Bereich korreliert ist. Das Zeichenschema, das Charakteren und ihre Marken enthält, ist syntaktisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charakter gehört. Die syntaktische Disjunktheit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charakter gehören, ohne syntaktische Auswirkungen durcheinander ersetzbar sind. Ein Zeichenschema ist syntaktisch differenziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzulegen, zu welchem Charakter des Schemas sie gehört. Die syntaktische Differenziertheit stellt sicher, dass wir entscheiden können, ob zwei Marken zum selben Charakter gehören. Ein Zeichenschema ist dagegen [[syntaktische Dichte|syntaktisch dicht]], wenn es unendlich viele Charaktere vorsieht, die so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntaktische Dichte verunmöglicht es, den Charakter zu identifizieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gibt, um zwischen ihnen zu entscheiden.
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==Musik, Literatur, bilden&shy;de Künste==
  
Ein Charakter ist mehrdeutig, wenn eine seiner Inskriptionen mehr als eine Erfüllungsklasse hat oder nicht alle seiner Inskriptionen dieselbe Erfüllungsklasse haben. Wäre eine Partitur mehrdeutig, würde sie von Aufführungen unterschiedlicher Werke erfüllt. Damit die Partitur ihre primäre Funktion erfüllen kann, muss die Notation frei von Mehrdeutigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Aufführungen, die dieselbe Partitur erfüllen, Einzelfälle desselben Werks sind. Eine Notation muss zudem semantisch disjunkt und differenziert sein, da eine Partitur ein Werk nur dann von Aufführung zu Aufführung identifizieren kann, wenn es bestimmt und entscheidbar ist, ob verschiedene Aufführungen dieselbe Partitur erfüllen und damit Einzelfälle desselben Werks sind. Ein Zeichensystem ist semantisch disjunkt, wenn sich seine Erfüllungsklassen nicht überschneiden. Die semantische Disjunktheit stellt sicher, dass keine Aufführung nicht-koextensive Partituren erfüllt und ein Einzelfall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Aufführung verschiedene koextensive Partituren erfüllt und das System also redundant ist. Redundanzen gefährden zwar nicht die Werk-, aber die Partituridentität, da nicht alle Partituren eines Werks Einzelfälle desselben Charakters sind. Sie können ausgeschlossen werden, wenn man für die semantische Disjunktivität fordert, dass keine zwei Charaktere einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben. Die Erfüllungsklassen eines Zeichensystems sind semantisch differenziert, wenn es für jeden Charakter des Systems möglich ist festzulegen, welche Gegenstände ihn erfüllen. Die semantische Differenziertheit stellt sicher, dass wir für jede Aufführung entscheiden können, welche Partitur sie erfüllt. Ein Zeichensystem ist semantisch dicht, wenn die Erfüllungsklassen so geordnet sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Partituren Charaktere in dichten Systemen, wäre es unmöglich, die Partitur einer Aufführung zu identifizieren, weil es immer konkurrierende Kandidaten und keine Grundlage gäbe, um zwischen ihnen zu entscheiden.
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Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Parti&shy;tur in der musi&shy;kali&shy;schen Standard&shy;nota&shy;tion als Charak&shy;ter in einem Nota&shy;tionssys&shy;tem zu rekon&shy;struieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 117f. & 179–187). Die Standard&shy;nota&shy;tion erfüllt die syntak&shy;tischen und seman&shy;tischen Anfor&shy;derun&shy;gen, wenn man von Redun&shy;danzen absieht, Instru&shy;mentspe&shy;zifi&shy;katio&shy;nen als Teil der Nota&shy;tion und sprachli&shy;che Ergän&shy;zungen wie Tempo&shy;anga&shy;ben als bloße Empfeh&shy;lungen dafür inter&shy;pretiert, wie ein Werk aufzu&shy;führen ist. Sie ermög&shy;licht ein seman&shy;tisches Krite&shy;rium der Werk&shy;iden&shy;tität und ein syntak&shy;tisches Krite&shy;rium der Par&shy;titur&shy;iden&shy;tität: Eine Auffüh&shy;rung ist genau dann ein Einzel&shy;fall eines bestimm&shy;ten Werks, wenn sie die Parti&shy;tur des Werks erfüllt; und zwei Inskrip&shy;tionen sind genau dann solche dersel&shy;ben Parti&shy;tur, wenn sie gleich buchsta&shy;biert, d.h. aus densel&shy;ben Ele&shy;menten in dersel&shy;ben Anord&shy;nung zusam&shy;menge&shy;setzt sind. Das Krite&shy;rium der Parti&shy;turer&shy;füllung legt die Iden&shy;tität eines musi&shy;kali&shy;schen Werks unab&shy;hängig von seiner Entste&shy;hungsge&shy;schichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinrei&shy;chend mit unse&shy;rer Praxis der Iden&shy;tifi&shy;kation von Werken über&shy;ein, die in Standard&shy;nota&shy;tion kodi&shy;fiziert sind. Dage&shy;gen wurde erstens einge&shy;wendet, dass nach ihm eine Auffüh&shy;rung mit einer einzi&shy;gen falschen Note kein Einzel&shy;fall des fragli&shy;chen Werks ist, was unse&shy;rer beste&shy;henden Klassi&shy;fika&shy;tionspra&shy;xis wider&shy;spreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991a'>Herna&shy;di 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 186f.; <bib id='Elgin 1983a'>Elgin 1983</bib>: S. 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag über&shy;sehe die histo&shy;risch und kontex&shy;tuell gebun&shy;dene Natur musi&shy;kali&shy;scher Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978a'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levin&shy;son 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999a'>Predel&shy;li 1999</bib>). Nach diesem grund&shy;sätzli&shy;cheren Einwand stimmt das Krite&shy;rium gerade deshalb nicht mit unse&shy;rer Klassi&shy;fika&shy;tionspra&shy;xis über&shy;ein, weil es die Iden&shy;tität eines musi&shy;kali&shy;schen Werks unab&shy;hängig von seiner Entste&shy;hungsge&shy;schichte festlegt.
 
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Ein Zeichenschema, das die syntaktischen Anforderungen erfüllt, ist ein Notationsschema im formalen Sinn; ein Notationssystem im formalen Sinn erfüllt auch die semantischen Anforderungen und ist also syntaktisch und semantisch disjunkt und differenziert sowie frei von Mehrdeutigkeit.<ref> Eine praktikable Notation hat zudem technische Anforderungen zu erfüllen, die nichts mit der primären theoretischen Funktion zu tun haben, wie überschaubar kleine oder endliche Menge atomarer Charaktere, Deutlichkeit, Lesbarkeit, Dauerhaftigkeit, Handhabbarkeit, graphische Eingängigkeit, mnemotechnische Effizienz und bequeme Duplizierbarkeit (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 154).</ref> Eine Notation im substantiellen Sinn ist ein Notationssystem im formalen Sinn, das ein Kriterium der Werkidentität liefert, welches zwei Bedingungen erfüllt. Es muss erstens die Identität von Werken unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte festlegen und zweitens hinreichend mit unserer bestehenden Praxis der Identifikation von Werken übereinstimmen (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 195f.). Die unqualifizierten Ausdrücke ‘Notation’ und ‘Notationssystem’ verwende ich im Folgenden für Notationen im substantiellen Sinn.
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Ein Text ist ein Charakter in einem Nota&shy;tionssche&shy;ma, nicht aber in einem Nota&shy;tionssys&shy;tem. Verba&shy;le Sprachen erfül&shy;len die syntak&shy;tischen Anfor&shy;derun&shy;gen an eine Nota&shy;tion: Jede Inskrip&shy;tion gehört zu höchstens einem Charak&shy;ter und es ist im Prinzip auch entscheid&shy;bar, zu welchem Charak&shy;ter. Aber sie verlet&shy;zen die seman&shy;tischen Anfor&shy;derun&shy;gen: Sie enthal&shy;ten mehrdeu&shy;tige Aus&shy;drücke, ihre Erfül&shy;lungsklas&shy;sen stehen in Inklu&shy;sions- und Über&shy;lappungs&shy;bezie&shy;hungen und sind zudem seman&shy;tisch dicht. Damit ist ein syntak&shy;tisches Krite&shy;rium der Werk&shy;iden&shy;tität verfüg&shy;bar: Eine Inskrip&shy;tion ist genau dann ein Einzel&shy;fall eines Texts, wenn sie gleich buchsta&shy;biert ist wie ein echter Einzel&shy;fall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Iden&shy;tität eines Texts unab&shy;hängig von seiner Entste&shy;hungsge&shy;schichte fest. Dass es auch hinrei&shy;chend mit unse&shy;rer Klassi&shy;fika&shy;tionspra&shy;xis über&shy;einstimmt, wurde wiede&shy;rum mit dem Hinweis bestrit&shy;ten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfeh&shy;ler enthält, kein Einzel&shy;fall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag einge&shy;wendet, dass er die Gebun&shy;denheit insbe&shy;sonde&shy;re lite&shy;rari&shy;scher Werke an einen histo&shy;rischen [[Kontext]] und einen Autor über&shy;sehe (vgl. <bib id='Davies 1991a'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbren&shy;ner 1996</bib>: S. 90–118).
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Die Skizze eines Malers kann wie die Parti&shy;tur eines Kompo&shy;nisten als Arbeits&shy;anlei&shy;tung gebraucht werden, hat aber einen ganz ande&shy;ren Status. Sie ist weder ein Charak&shy;ter in einem Nota&shy;tionssys&shy;tem noch ein Charak&shy;ter in einem Nota&shy;tionssche&shy;ma, da das bildli&shy;che Zeichen&shy;system, zu dem sie gehört, weder die seman&shy;tischen noch die syntak&shy;tischen Anfor&shy;derun&shy;gen erfüllt. Die seman&shy;tischen Anfor&shy;derun&shy;gen verletzt es, weil es mehrdeu&shy;tige Bilder enthält, seine Erfül&shy;lungsklas&shy;sen sich in vielfa&shy;cher Weise über&shy;schneiden und über&shy;lappen und zudem dicht sind. Die syntak&shy;tischen Anfor&shy;derun&shy;gen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen piktu&shy;ralen Eigen&shy;schaften Inskrip&shy;tionen mehre&shy;rer Charak&shy;tere sein können und weil seine Charak&shy;tere bezüg&shy;lich manchen Hinsich&shy;ten (wie der Größe, der Gestalt, der Posi&shy;tion, sowie mehre&shy;rer farbli&shy;cher Aspek&shy;te) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schema&shy;tische Bilder wie [[Karte|Karten]], Pläne und genea&shy;logische Bäume annä&shy;hernd nota&shy;tional (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6 & 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwen&shy;dung von ‘nota&shy;tional’ eher Goodmans Verwen&shy;dung von ‘diagram&shy;matisch’. [[Diagramm|Diagram&shy;me]] unter&shy;scheiden sich nach Goodman von Bildern im eigent&shy;lichen Sinn dadurch, dass rela&shy;tiv weni&shy;ge ihrer Merkma&shy;le konsti&shy;tutiv dafür sind, zu welchem Charak&shy;ter sie gehö&shy;ren (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Krite&shy;rium für die Werk&shy;iden&shy;tität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.
=====Musik, Literatur, bildende Künste=====
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Dass Bilder als Zeichen in syntak&shy;tisch und seman&shy;tisch dichten und nicht-&#8203;disjunk&shy;ten Syste&shy;men funktio&shy;nieren, schließt an sich die Möglich&shy;keit einer Nota&shy;tion nicht aus.<ref>Mit ge&shy;wis&shy;sen Ein&shy;schrän&shy;kun&shy;gen kön&shy;nen et&shy;wa die di&shy;gi&shy;ta&shy;len Spei&shy;cher&shy;for&shy;ma&shy;te für Bil&shy;der (ge&shy;nau&shy;er: Bild&shy;trä&shy;ger), wie sie für die [[Bildverarbeitung, digitale|in&shy;for&shy;ma&shy;ti&shy;sche Bild&shy;ver&shy;ar&shy;bei&shy;tung]] oder [[Computergraphik|Com&shy;pu&shy;ter&shy;gra&shy;phik]] ein&shy;ge&shy;setzt wer&shy;den, als sol&shy;che No&shy;ta&shy;ti&shy;o&shy;nen be&shy;trach&shy;tet wer&shy;den.</ref> Auch musi&shy;kali&shy;sche Auffüh&shy;rungen funktio&shy;nieren als expres&shy;sive Zeichen in syntak&shy;tisch und seman&shy;tisch dichten und nicht-disjunk&shy;ten Syste&shy;men; dennoch lassen sie eine Nota&shy;tion zu. Die Frage nach der Möglich&shy;keit einer Nota&shy;tion für eine Kunst muss von der Frage unter&shy;schieden werden, welche syntak&shy;tischen und seman&shy;tischen Eigen&shy;schaften die Syste&shy;me haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktio&shy;nieren. Das wird oft über&shy;sehen, weil Goodmans Nota&shy;tionsthe&shy;orie zugleich ein Instru&shy;menta&shy;rium für eine verglei&shy;chende Unter&shy;suchung verschie&shy;dener Zeichen&shy;syste&shy;me liefert.<ref> No&shy;ta&shy;ti&shy;ons&shy;sys&shy;te&shy;me die&shy;nen da&shy;bei als Ver&shy;gleichs- und nicht als Wert&shy;maß&shy;stab, dem sich al&shy;le Zei&shy;chen&shy;sys&shy;te&shy;me an&shy;nä&shy;hern soll&shy;ten. Dass bild&shy;li&shy;che Zei&shy;chen&shy;sys&shy;te&shy;me al&shy;le syn&shy;tak&shy;ti&shy;schen und se&shy;man&shy;ti&shy;schen An&shy;for&shy;de&shy;run&shy;gen an ei&shy;ne No&shy;ta&shy;ti&shy;on ver&shy;let&shy;zen, im&shy;pli&shy;ziert des&shy;halb kei&shy;ne Wer&shy;tung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Krite&shy;rium der Werk&shy;iden&shy;tität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktio&shy;nieren.
Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Partitur in der musikalischen Standardnotation als Charakter in einem Notationssystem zu rekonstruieren ist (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 117f.; 179–187). Die Standardnotation erfüllt die syntaktischen und semantischen Anforderungen, wenn man von Redundanzen absieht, Instrumentspezifikationen als Teil der Notation und sprachliche Ergänzungen wie Tempoangaben als bloße Empfehlungen dafür interpretiert, wie ein Werk aufzuführen ist. Sie ermöglicht ein semantisches Kriterium der Werkidentität und ein syntaktisches Kriterium der Partituridentität: Eine Aufführung ist genau dann ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn sie die Partitur des Werks erfüllt; und zwei Inskriptionen sind genau dann solche derselben Partitur, wenn sie gleich buchstabiert, d.h. aus denselben Elementen in derselben Anordnung zusammengesetzt sind. Das Kriterium der Partiturerfüllung legt die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinreichend mit unserer Praxis der Identifikation von Werken überein, die in Standardnotation kodifiziert sind. Dagegen wurde erstens eingewendet, dass nach ihm eine Aufführung mit einer einzigen falschen Note kein Einzelfall des fraglichen Werks ist, was unserer bestehenden Klassifikationspraxis widerspreche (vgl. <bib id='Hernadi 1991'>Hernadi 1991</bib>; für eine Antwort vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: 186f.; <bib id='Elgin 1983'>Elgin 1983</bib>: 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag übersehe die historisch und kontextuell gebundene Natur musikalischer Werke (vgl. <bib id='Wollheim 1978'>Wollheim 1978</bib>; <bib id='Levinson 1990a'>Levinson 1990a</bib>; <bib id='Predelli 1999'>Predelli 1999</bib>). Nach diesem grundsätzlicheren Einwand stimmt das Kriterium gerade deshalb nicht mit unserer Klassifikationspraxis überein, weil es die Identität eines musikalischen Werks unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte festlegt.
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Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entste&shy;hungszeit und -ort eine Ziffer zuord&shy;net und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassi&shy;fiziert, erfül&shy;len die syntak&shy;tischen und seman&shy;tischen Anfor&shy;derun&shy;gen an eine Nota&shy;tion (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Syste&shy;me liefert zudem ein Krite&shy;rium der Werk&shy;iden&shy;tität, das hinrei&shy;chend mit unse&shy;rer Klassi&shy;fika&shy;tionspra&shy;xis über&shy;einstimmt, aber es iden&shy;tifi&shy;ziert Bilder nicht unab&shy;hängig von ihrer Entste&shy;hungsge&shy;schichte. Das zweite System liefert zwar ein Krite&shy;rium der Werk&shy;iden&shy;tität, das Bilder unab&shy;hängig von ihrer Entste&shy;hungsge&shy;schichte iden&shy;tifi&shy;ziert, aber es weicht zu stark von unse&shy;rer Klassi&shy;fika&shy;tionspra&shy;xis ab. Wir betrach&shy;ten zwei Bilder mit demsel&shy;ben Preis nicht als Einzel&shy;fälle dessel&shy;ben Werks. Es scheint keine Nota&shy;tion für Bilder zu geben, die ein Iden&shy;titäts&shy;krite&shy;rium liefert, das sowohl hinrei&shy;chend mit unse&shy;rer Klassi&shy;fika&shy;tionspra&shy;xis über&shy;einstimmt als auch unab&shy;hängig von der Entste&shy;hungsge&shy;schichte der Bilder ist. Ana&shy;loges gilt für Werke ande&shy;rer bilden&shy;der Künste (wie z.B. [[Skulptur|Skulptu&shy;ren]]). Etwas kompli&shy;zierter ist die Situ&shy;ation in der Archi&shy;tektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumber&shy;ger 2010</bib>: Kap. 6).
 
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Ein Text ist ein Charakter in einem Notationsschema, nicht aber in einem Notationssystem. Verbale Sprachen erfüllen die syntaktischen Anforderungen an eine Notation: Jede Inskription gehört zu höchstens einem Charakter und es ist im Prinzip auch entscheidbar, zu welchem Charakter. Aber sie verletzen die semantischen Anforderungen: Sie enthalten mehrdeutige Ausdrücke, ihre Erfüllungsklassen stehen in Inklusions- und Überlappungsbeziehungen und sind zudem semantisch dicht. Damit ist ein syntaktisches Kriterium der Werkidentität verfügbar: Eine Inskription ist genau dann ein Einzelfall eines Texts, wenn sie gleich buchstabiert ist wie ein echter Einzelfall des Texts (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 115f.; 207–210). Es legt die Identität eines Texts unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte fest. Dass es auch hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, wurde wiederum mit dem Hinweis bestritten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfehler enthält, kein Einzelfall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag eingewendet, dass er die Gebundenheit insbesondere literarischer Werke an einen historischen Kontext und einen Autor übersehe (vgl. <bib id='Davies 1991'>Davies 1991</bib>; <bib id='Steinbrenner 1996a'>Steinbrenner 1996</bib>: S. 90–118).
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Das Kriterium der Werkiden&shy;tität für bilden&shy;de Künste ist damit weder seman&shy;tischer noch syntak&shy;tischer, sondern histo&shy;rischer Art: Ein Gegen&shy;stand ist genau dann ein bestimm&shy;tes Werk oder ein Einzel&shy;fall eines bestimm&shy;ten Werks, wenn er die ange&shy;messe&shy;ne Entste&shy;hungsge&shy;schichte hat (⊳ [[Authentizität|Authen&shy;tizi&shy;tät]]). Das Krite&shy;rium dafür, dass wir die «Mona Lisa» vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsäch&shy;lich von Leonar&shy;do da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die [[Malerei|Male&shy;rei]] eine singu&shy;läre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Lite&shy;ratur multi&shy;pel. Ihre Werke lassen mehre&shy;re Einzel&shy;fälle zu. Das Krite&shy;rium dafür, dass wir einen Einzel&shy;fall eines bestimm&shy;ten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118 & 192–194).
 
 
Die Skizze eines Malers kann wie die Partitur eines Komponisten als Arbeitsanleitung gebraucht werden, hat aber einen ganz anderen Status. Sie ist weder ein Charakter in einem Notationssystem noch ein Charakter in einem Notationsschema, da das bildliche Zeichensystem, zu dem sie gehört, weder die semantischen noch die syntaktischen Anforderungen erfüllt. Die semantischen Anforderungen verletzt es, weil es mehrdeutige Bilder enthält, seine Erfüllungsklassen sich in vielfacher Weise überschneiden und überlappen und zudem dicht sind. Die syntaktischen Anforderungen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen pikturalen Eigenschaften Inskriptionen mehrerer Charaktere sein können und weil seine Charaktere bezüglich manchen Hinsichten (wie der Größe, der Gestalt, der Position, sowie mehrerer farblicher Aspekte) dicht sind (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 225–228; <bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: Kap. 4).<ref> Nach James Elkins sind schematische Bilder wie Karten, Pläne und genealogische Bäume annähernd notational (vgl. <bib id='Elkins 1999a'>Elkins 1999</bib>: Kap. 5, 6, 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwendung von ‘notational’ eher Goodmans Verwendung von ‘diagrammatisch’. Diagramme unterscheiden sich nach Goodman von Bildern im eigentlichen Sinn dadurch, dass relativ wenige ihrer Merkmale konstitutiv dafür sind, zu welchem Charakter sie gehören (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 228–230).</ref> Die Skizze liefert damit kein Kriterium für die Werkidentität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.
 
  
Dass Bilder als Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen funktionieren, schließt an sich die Möglichkeit einer Notation nicht aus. Auch musikalische Aufführungen funktionieren als expressive Zeichen in syntaktisch und semantisch dichten und nicht-disjunkten Systemen; dennoch lassen sie eine Notation zu. Die Frage nach der Möglichkeit einer Notation für eine Kunst muss von der Frage unterschieden werden, welche syntaktischen und semantischen Eigenschaften die Systeme haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktionieren. Das wird oft übersehen, weil Goodmans Notationstheorie zugleich ein Instrumentarium für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Zeichensysteme liefert.<ref> Notationssysteme dienen dabei als Vergleichs- und nicht als Wertmaßstab, dem sich alle Zeichensysteme annähern sollten. Dass bildliche Zeichensysteme alle syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation verletzen, impliziert deshalb keine Wertung (<bib id='Scholz 2004a'>Scholz 2004</bib>: S. 124, Fn. 50).</ref> Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Kriterium der Werkidentität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktionieren.
 
  
Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entstehungszeit und -ort eine Ziffer zuordnet und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassifiziert, erfüllen die syntaktischen und semantischen Anforderungen an eine Notation (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 194f.). Das erste dieser Systeme liefert zudem ein Kriterium der Werkidentität, das hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt, aber es identifiziert Bilder nicht unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte. Das zweite System liefert zwar ein Kriterium der Werkidentität, das Bilder unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert, aber es weicht zu stark von unserer Klassifikationspraxis ab. Wir betrachten zwei Bilder mit demselben Preis nicht als Einzelfälle desselben Werks. Es scheint keine Notation für Bilder zu geben, die ein Identitätskriterium liefert, das sowohl hinreichend mit unserer Klassifikationspraxis übereinstimmt als auch unabhängig von der Entstehungsgeschichte der Bilder ist. Analoges gilt für Werke anderer bildender Künste (wie z.B. Skulpturen). Etwas komplizierter ist die Situation in der Architektur (vgl. <bib id='Baumberger 2010a'>Baumberger 2010</bib>: Kap. 6).
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==Notation und die Unmöglich&shy;keit der Fäl&shy;schung==
  
Das Kriterium der Werkidentität für bildende Künste ist damit weder semantischer noch syntaktischer, sondern historischer Art: Ein Gegenstand ist genau dann ein bestimmtes Werk oder ein Einzelfall eines bestimmten Werks, wenn er die angemessene Entstehungsgeschichte hat. Das Kriterium dafür, dass wir die Mona Lisa vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsächlich von Leonardo da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Malerei eine singuläre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Literatur multipel. Ihre Werke lassen mehrere Einzelfälle zu. Das Kriterium dafür, dass wir einen Einzelfall eines bestimmten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt (<bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 116–118; 192–194).
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Die Verfügbarkeit einer Notation schließt Fälschun&shy;gen von beste&shy;henden Werken oder Einzel&shy;fälle solcher (im Gegen&shy;satz zu Fälschun&shy;gen von Werken ohne [[Original|Ori&shy;ginal]] und bestimm&shy;ten Einzel&shy;fällen) aus. In den bilden&shy;den Künsten sind solche Fälschun&shy;gen möglich; sie geben fälsch&shy;licher&shy;weise vor, eine Entste&shy;hungsge&shy;schichte zu besit&shy;zen, die für das oder ein Ori&shy;ginal uner&shy;lässlich ist (⊳ [[Replika, Faksimile und Kopie|Repli&shy;ka, Faksi&shy;mile und Kopie]]). In der Musik und der Lite&shy;ratur sind sie ausge&shy;schlossen, da die Nota&shy;tion ein seman&shy;tisches respek&shy;tive syntak&shy;tisches Iden&shy;titäts&shy;krite&shy;rium liefert, das die Werke unab&shy;hängig von ihrer Entste&shy;hungsge&shy;schichte iden&shy;tifi&shy;ziert. Werke, die solche Fälschun&shy;gen zulas&shy;sen, bezeich&shy;net Goodman als ‘auto&shy;graphisch’, Werke, die sie aus&shy;schließen, als ‘allo&shy;graphisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obi&shy;gen Über&shy;legun&shy;gen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann auto&shy;graphisch, wenn seine Iden&shy;tität durch seine Entste&shy;hungsge&shy;schichte bestimmt ist; es ist genau dann allo&shy;graphisch, wenn seine Iden&shy;tität syntak&shy;tisch oder seman&shy;tisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988a'>Goodman & Elgin 1988</bib>: S. 116–118 & 65; für eine kriti&shy;sche Diskus&shy;sion der Unter&shy;scheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levin&shy;son 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003a'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Nota&shy;tion liegt Goodmans Unter&shy;scheidung zwischen auto&shy;graphi&shy;schen und allo&shy;graphi&shy;schen Werken zugrun&shy;de und ermög&shy;licht eine Erklä&shy;rung, weshalb manche Werke im rele&shy;vanten Sinn gefälscht werden können und ande&shy;re nicht.
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=====Notation und die Unmöglichkeit der Fälschung=====
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{{GlossarSiehe}}
  
Die Verfügbarkeit einer Notation schliesst Fälschungen von bestehenden Werken oder Einzelfällen solcher (im Gegensatz zu Fälschungen von Werken ohne Original und bestimmten Einzelfällen) aus. In den bildenden Künsten sind solche Fälschungen möglich; sie geben fälschlicherweise vor, eine Entstehungsgeschichte zu besitzen, die für das oder ein Original unerlässlich ist. In der Musik und der Literatur sind sie ausgeschlossen, da die Notation ein semantisches respektive syntaktisches Identitätskriterium liefert, das die Werke unabhängig von ihrer Entstehungsgeschichte identifiziert. Werke, die solche Fälschungen zulassen, bezeichnet Goodman als ‘autographisch’; Werke, die sie ausschließen, als ‘allographisch’ (vgl. <bib id='Goodman 1968a'>Goodman 1968</bib>: S. 113–122). Bezieht man die obigen Überlegungen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann autographisch, wenn seine Identität durch seine Entstehungsgeschichte bestimmt ist; es ist genau dann allographisch, wenn seine Identität syntaktisch oder semantisch bestimmt ist (vgl. <bib id='Goodman & Elgin 1988'>Goodman & Elgin 1988</bib>: 116–118; 65; für eine kritische Diskussion der Unterscheidung vgl. <bib id='Levinson 1990b'>Levinson 1990b</bib>; <bib id='Pillow 2003'>Pillow 2003</bib>). Der Begriff der Notation liegt Goodmans Unterscheidung zwischen autographischen und allographischen Werken zugrunde und ermöglicht eine Erklärung, weshalb manche Werke im relevanten Sinn gefälscht werden können und andere nicht.
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* [[Authentizität]]
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* [[Bildverarbeitung, digitale]]
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* [[Computergraphik]]
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* [[Diagramm]]
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* [[Identität]]
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* [[Karte]]
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* [[Kontext]]
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* [[Malerei]]
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* [[Original]]
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* [[Pragmatik, Semantik, Syntax]]
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* [[Replika, Faksimile und Kopie]]
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* [[Skulptur]]
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* [[Syntaktische Dichte]]
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* [[Zeichen, Zeichenträger, Zeichensystem]]
  
 
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* [[Benutzer:Christoph Baumberger|Baumberger, Christoph]]  
[[Benutzer:Christoph Baumberger|Baumberger, Christoph]]  
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''Lektorat:''
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* [[Benutzer:Klaus Sachs-Hombach|Sachs-Hombach, Klaus]]
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Aktuelle Version vom 15. Dezember 2019, 17:04 Uhr

Unterpunkt zu: Zeichentheorien: Übersicht


Notation und die primäre Funktion einer Parti­tur

Die Theorie der Notation wurde von Nelson Goodman ([Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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: Kap. 4) im Zusam­menhang mit der Frage nach den Iden­titäts­krite­rien für Kunstwer­ke ent­wickelt. Eine Nota­tion ist ein Zeichen­system, das ein syntak­tisches oder seman­tisches Krite­rium dafür ermög­licht, welche Gegen­stände oder Ereig­nisse Einzel­fälle eines bestimm­ten Werks sind. Ein solches Krite­rium ist dann notwen­dig, wenn Werke mehre­re Einzel­fälle zulas­sen, deren Iden­tität nicht durch ihre Entste­hungsge­schichte bestimmt ist. Da dies in para­digma­tischer Weise in der Musik der Fall ist, führe ich den Begriff der Nota­tion für die Musik ein, ehe ich mich kurz der Lite­ratur und ausführ­licher den bilden­den Künsten zuwen­de. Die resul­tieren­den Iden­titäts­krite­rien sollen auch für Musik, Texte und Bilder ohne Kunstwerk­status gelten, auch wenn wir hier in der Regel nicht von Werken sprechen.
Ein musikalisches Werk kann mehrmals aufge­führt werden; und ob eine Auffüh­rung ein Einzel­fall des Werks ist, hängt nicht davon ab, wer sie wann wo aufge­führt hat. Zudem können sich verschie­dene Auffüh­rungen eines Werks beträcht­lich unter­scheiden. Die Parti­tur legt fest, in welchen Hinsich­ten sie über­einstim­men müssen. Genau dieje­nigen Auffüh­rungen, die diesel­be Parti­tur erfül­len, sind Einzel­fälle dessel­ben Werks. Die Parti­tur liefert damit ein seman­tisches Krite­rium der Werk­iden­tität. Ihre primä­re Funktion besteht nach Goodman ([Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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: S. 128f.) in der defi­niti­ven Iden­tifi­kation eines Werks von Auffüh­rung zu Auffüh­rung.[1] Dafür muss sie aber nicht nur die Klasse der Auffüh­rungen des Werks eindeu­tig festle­gen; sie muss als Klasse von Inskrip­tionen auch selbst durch eine Auffüh­rung eindeu­tig festge­legt werden, wenn das Nota­tionssys­tem gege­ben ist. Nur so bleiben die Werk- und die Par­titur­iden­tität in jeder Folge von Schritten erhal­ten, von denen jeder entwe­der von einer Auffüh­rung zu einer Parti­turin­skripti­on oder von dieser zu einer Auffüh­rung oder zu einer weite­ren Inskrip­tion der Parti­tur führt.


Notation im formalen Sinn und im sub­stantiel­len Sinn

Eine Partitur kann ihre primäre Funktion nur erfül­len, wenn das Zeichen­system, in dem sie verfasst ist, bestimm­ten syntak­tischen und seman­tischen Anfor­derun­gen genügt (vgl. [Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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: S. 130–154; [Elgin 1983]Literaturangabe fehlt.
Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als:
- Buch,
- Artikel in Zeitschrift,
- Beitrag in Sammelband,
- Sammelband,
- andere Publikation,
- Glossarlemma.
: S. 97–104; [Elgin 1992]Literaturangabe fehlt.
Bitte in der Bibliographie-Sammlung einfügen als:
- Buch,
- Artikel in Zeitschrift,
- Beitrag in Sammelband,
- Sammelband,
- andere Publikation,
- Glossarlemma.
). Eine Nota­tion muss syntak­tisch disjunkt und diffe­renziert sein, da eine Parti­tur ein Werk nur dann von Auffüh­rung zu Auffüh­rung iden­tifi­zieren kann, wenn es bestimmt und entscheid­bar ist, ob verschie­dene Inskrip­tionen solche dersel­ben Parti­tur sind. Ein Zeichen­system besteht aus einem Zeichen­schema, das mit einem Bereich korre­liert ist. Das Zeichen­schema, das Charak­tere und ihre Marken enthält, ist syntak­tisch disjunkt, wenn keine Marke zu mehr als einem Charak­ter gehört. Die syntak­tische Disjunk­theit stellt sicher, dass alle Marken, die zum selben Charak­ter gehö­ren, ohne syntak­tische Auswir­kungen durchein­ander ersetz­bar sind. Ein Zeichen­schema ist syntak­tisch diffe­renziert, wenn es für jede seiner Marken möglich ist festzu­legen, zu welchem Charak­ter des Schemas sie gehört. Die syntak­tische Diffe­renziert­heit stellt sicher, dass wir entschei­den können, ob zwei Marken zum selben Charak­ter gehö­ren. Ein Zeichen­schema ist dage­gen syntak­tisch dicht, wenn es unend­lich viele Charak­tere vorsieht, die so geord­net sind, dass zwischen jeweils zweien immer ein dritter liegt. Die syntak­tische Dichte verun­möglicht es, den Charak­ter zu iden­tifi­zieren, zu dem eine Marke gehört, weil es immer konkur­rieren­de Kandi­daten und keine Grundla­ge gibt, um zwischen ihnen zu entschei­den.

Ein Charakter ist mehrdeu­tig, wenn eine seiner Inskrip­tionen mehr als eine Erfül­lungsklas­se hat oder nicht alle seiner Inskrip­tionen diesel­be Erfül­lungsklas­se haben. Wäre eine Parti­tur mehrdeu­tig, würde sie von Auffüh­rungen unter­schiedli­cher Werke erfüllt. Damit die Parti­tur ihre primä­re Funktion erfül­len kann, muss die Nota­tion frei von Mehrdeu­tigkeit sein. Das stellt sicher, dass zwei Auffüh­rungen, die diesel­be Parti­tur erfül­len, Einzel­fälle dessel­ben Werks sind. Eine Nota­tion muss zudem seman­tisch disjunkt und diffe­renziert sein, da eine Parti­tur ein Werk nur dann von Auffüh­rung zu Auffüh­rung iden­tifi­zieren kann, wenn es bestimmt und entscheid­bar ist, ob verschie­dene Auffüh­rungen diesel­be Parti­tur erfül­len und damit Einzel­fälle dessel­ben Werks sind. Ein Zeichen­system ist seman­tisch disjunkt, wenn sich seine Erfül­lungsklas­sen nicht über­schneiden. Die seman­tische Disjunkt­heit stellt sicher, dass keine Auffüh­rung nicht-ko­exten­sive Parti­turen erfüllt und ein Einzel­fall von mehr als einem Werk ist. Aber sie schließt nicht aus, dass eine Auffüh­rung verschie­dene ko­exten­sive Parti­turen erfüllt und das System also redun­dant ist. Redun­danzen gefähr­den zwar nicht die Werk-, aber die Par­titur­iden­tität, da nicht alle Parti­turen eines Werks Einzel­fälle dessel­ben Charak­ters sind. Sie können ausge­schlossen werden, wenn man für die seman­tische Disjunk­tivi­tät fordert, dass keine zwei Charak­tere einen Erfül­lungsge­genstand gemein­sam haben. Die Erfül­lungsklas­sen eines Zeichen­systems sind seman­tisch diffe­renziert, wenn es für jeden Charak­ter des Systems möglich ist festzu­legen, welche Gegen­stände ihn erfül­len. Die seman­tische Diffe­renziert­heit stellt sicher, dass wir für jede Auffüh­rung entschei­den können, welche Parti­tur sie erfüllt. Ein Zeichen­system ist seman­tisch dicht, wenn die Erfül­lungsklas­sen so geord­net sind, dass zwischen jeweils zweien eine dritte liegt. Wären Parti­turen Charak­tere in dichten Syste­men, wäre es unmög­lich, die Parti­tur einer Auffüh­rung zu iden­tifi­zieren, weil es immer konkur­rieren­de Kandi­daten und keine Grundla­ge gäbe, um zwischen ihnen zu entschei­den.

Ein Zeichenschema, das die syntak­tischen Anfor­derun­gen erfüllt, ist ein Nota­tionssche­ma im forma­len Sinn; ein Nota­tionssys­tem im forma­len Sinn erfüllt auch die seman­tischen Anfor­derun­gen und ist also syntak­tisch und seman­tisch disjunkt und diffe­renziert sowie frei von Mehrdeu­tigkeit.[2] Eine Nota­tion im substan­tiellen Sinn ist ein Nota­tionssys­tem im forma­len Sinn, das ein Krite­rium der Werk­iden­tität liefert, welches zwei Bedin­gungen erfüllt. Es muss erstens die Iden­tität von Werken unab­hängig von ihrer Entste­hungsge­schichte festle­gen und zweitens hinrei­chend mit unse­rer beste­henden Praxis der Iden­tifi­kation von Werken über­einstim­men (vgl. [Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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: S. 195f.). Die unqua­lifi­zierten Aus­drücke ‘Nota­tion’ und ‘Nota­tionssys­tem’ verwen­de ich im Folgen­den für Nota­tionen im substan­tiellen Sinn.


Musik, Literatur, bilden­de Künste

Goodman und Elgin argumentieren dafür, dass eine Parti­tur in der musi­kali­schen Standard­nota­tion als Charak­ter in einem Nota­tionssys­tem zu rekon­struieren ist (vgl. [Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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: S. 117f. & 179–187). Die Standard­nota­tion erfüllt die syntak­tischen und seman­tischen Anfor­derun­gen, wenn man von Redun­danzen absieht, Instru­mentspe­zifi­katio­nen als Teil der Nota­tion und sprachli­che Ergän­zungen wie Tempo­anga­ben als bloße Empfeh­lungen dafür inter­pretiert, wie ein Werk aufzu­führen ist. Sie ermög­licht ein seman­tisches Krite­rium der Werk­iden­tität und ein syntak­tisches Krite­rium der Par­titur­iden­tität: Eine Auffüh­rung ist genau dann ein Einzel­fall eines bestimm­ten Werks, wenn sie die Parti­tur des Werks erfüllt; und zwei Inskrip­tionen sind genau dann solche dersel­ben Parti­tur, wenn sie gleich buchsta­biert, d.h. aus densel­ben Ele­menten in dersel­ben Anord­nung zusam­menge­setzt sind. Das Krite­rium der Parti­turer­füllung legt die Iden­tität eines musi­kali­schen Werks unab­hängig von seiner Entste­hungsge­schichte fest. Nach Goodman stimmt es zudem hinrei­chend mit unse­rer Praxis der Iden­tifi­kation von Werken über­ein, die in Standard­nota­tion kodi­fiziert sind. Dage­gen wurde erstens einge­wendet, dass nach ihm eine Auffüh­rung mit einer einzi­gen falschen Note kein Einzel­fall des fragli­chen Werks ist, was unse­rer beste­henden Klassi­fika­tionspra­xis wider­spreche (vgl. [Herna­di 1991]Literaturangabe fehlt.
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; für eine Antwort vgl. [Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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: S. 186f.; [Elgin 1983]Literaturangabe fehlt.
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: S. 110). Zweitens wurde moniert, der Vorschlag über­sehe die histo­risch und kontex­tuell gebun­dene Natur musi­kali­scher Werke (vgl. [Wollheim 1978]Literaturangabe fehlt.
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; [Levin­son 1990a]Levinson, Jerrold (1990).
What a Musical Work is.
In Music, Art, and Metaphysics, 63-88.

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; [Predel­li 1999]Literaturangabe fehlt.
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). Nach diesem grund­sätzli­cheren Einwand stimmt das Krite­rium gerade deshalb nicht mit unse­rer Klassi­fika­tionspra­xis über­ein, weil es die Iden­tität eines musi­kali­schen Werks unab­hängig von seiner Entste­hungsge­schichte festlegt.
Ein Text ist ein Charakter in einem Nota­tionssche­ma, nicht aber in einem Nota­tionssys­tem. Verba­le Sprachen erfül­len die syntak­tischen Anfor­derun­gen an eine Nota­tion: Jede Inskrip­tion gehört zu höchstens einem Charak­ter und es ist im Prinzip auch entscheid­bar, zu welchem Charak­ter. Aber sie verlet­zen die seman­tischen Anfor­derun­gen: Sie enthal­ten mehrdeu­tige Aus­drücke, ihre Erfül­lungsklas­sen stehen in Inklu­sions- und Über­lappungs­bezie­hungen und sind zudem seman­tisch dicht. Damit ist ein syntak­tisches Krite­rium der Werk­iden­tität verfüg­bar: Eine Inskrip­tion ist genau dann ein Einzel­fall eines Texts, wenn sie gleich buchsta­biert ist wie ein echter Einzel­fall des Texts (vgl. [Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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: S. 115f.; 207–210). Es legt die Iden­tität eines Texts unab­hängig von seiner Entste­hungsge­schichte fest. Dass es auch hinrei­chend mit unse­rer Klassi­fika­tionspra­xis über­einstimmt, wurde wiede­rum mit dem Hinweis bestrit­ten, dass nach ihm eine Kopie eines Textes, die nur einen Druck- oder Schreibfeh­ler enthält, kein Einzel­fall des Textes ist. Zudem wurde auch gegen diesen Vorschlag einge­wendet, dass er die Gebun­denheit insbe­sonde­re lite­rari­scher Werke an einen histo­rischen Kontext und einen Autor über­sehe (vgl. [Davies 1991]Literaturangabe fehlt.
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; [Steinbren­ner 1996]Steinbrenner, Jakob (1996).
Kognitivismus in der Ästhetik. Würzburg: Königshausen & Neumann.

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: S. 90–118).
Die Skizze eines Malers kann wie die Parti­tur eines Kompo­nisten als Arbeits­anlei­tung gebraucht werden, hat aber einen ganz ande­ren Status. Sie ist weder ein Charak­ter in einem Nota­tionssys­tem noch ein Charak­ter in einem Nota­tionssche­ma, da das bildli­che Zeichen­system, zu dem sie gehört, weder die seman­tischen noch die syntak­tischen Anfor­derun­gen erfüllt. Die seman­tischen Anfor­derun­gen verletzt es, weil es mehrdeu­tige Bilder enthält, seine Erfül­lungsklas­sen sich in vielfa­cher Weise über­schneiden und über­lappen und zudem dicht sind. Die syntak­tischen Anfor­derun­gen verletzt es, weil seine Marken aufgrund ihrer vielen piktu­ralen Eigen­schaften Inskrip­tionen mehre­rer Charak­tere sein können und weil seine Charak­tere bezüg­lich manchen Hinsich­ten (wie der Größe, der Gestalt, der Posi­tion, sowie mehre­rer farbli­cher Aspek­te) dicht sind (vgl. [Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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: S. 225–228; [Scholz 2004]Scholz, Oliver R. (2004).
Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen. Frankfurt a. M.: Klostermann, 2., vollständig überarbeitete Aufl..

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: Kap. 4).[3] Die Skizze liefert damit kein Krite­rium für die Werk­iden­tität; sie ist vielmehr selbst ein Werk.

Dass Bilder als Zeichen in syntak­tisch und seman­tisch dichten und nicht-​disjunk­ten Syste­men funktio­nieren, schließt an sich die Möglich­keit einer Nota­tion nicht aus.[4] Auch musi­kali­sche Auffüh­rungen funktio­nieren als expres­sive Zeichen in syntak­tisch und seman­tisch dichten und nicht-disjunk­ten Syste­men; dennoch lassen sie eine Nota­tion zu. Die Frage nach der Möglich­keit einer Nota­tion für eine Kunst muss von der Frage unter­schieden werden, welche syntak­tischen und seman­tischen Eigen­schaften die Syste­me haben, in denen ihre Werke als Zeichen funktio­nieren. Das wird oft über­sehen, weil Goodmans Nota­tionsthe­orie zugleich ein Instru­menta­rium für eine verglei­chende Unter­suchung verschie­dener Zeichen­syste­me liefert.[5] Die erste Frage steht im Kontext der Frage nach dem Krite­rium der Werk­iden­tität, die zweite im Kontext der Frage, wie die Werke als Zeichen funktio­nieren.

Ein bibliotheksartiges Dezimalsystem, das jedem Bild nach Maler, Entste­hungszeit und -ort eine Ziffer zuord­net und ein System, das Bilder nach ihren Kosten klassi­fiziert, erfül­len die syntak­tischen und seman­tischen Anfor­derun­gen an eine Nota­tion (vgl. [Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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: S. 194f.). Das erste dieser Syste­me liefert zudem ein Krite­rium der Werk­iden­tität, das hinrei­chend mit unse­rer Klassi­fika­tionspra­xis über­einstimmt, aber es iden­tifi­ziert Bilder nicht unab­hängig von ihrer Entste­hungsge­schichte. Das zweite System liefert zwar ein Krite­rium der Werk­iden­tität, das Bilder unab­hängig von ihrer Entste­hungsge­schichte iden­tifi­ziert, aber es weicht zu stark von unse­rer Klassi­fika­tionspra­xis ab. Wir betrach­ten zwei Bilder mit demsel­ben Preis nicht als Einzel­fälle dessel­ben Werks. Es scheint keine Nota­tion für Bilder zu geben, die ein Iden­titäts­krite­rium liefert, das sowohl hinrei­chend mit unse­rer Klassi­fika­tionspra­xis über­einstimmt als auch unab­hängig von der Entste­hungsge­schichte der Bilder ist. Ana­loges gilt für Werke ande­rer bilden­der Künste (wie z.B. Skulptu­ren). Etwas kompli­zierter ist die Situ­ation in der Archi­tektur (vgl. [Baumber­ger 2010]Literaturangabe fehlt.
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: Kap. 6).
Das Kriterium der Werkiden­tität für bilden­de Künste ist damit weder seman­tischer noch syntak­tischer, sondern histo­rischer Art: Ein Gegen­stand ist genau dann ein bestimm­tes Werk oder ein Einzel­fall eines bestimm­ten Werks, wenn er die ange­messe­ne Entste­hungsge­schichte hat (⊳ Authen­tizi­tät). Das Krite­rium dafür, dass wir die «Mona Lisa» vor Augen haben, besteht darin, dass das Bild tatsäch­lich von Leonar­do da Vinci zwischen 1503 und 1505 gemalt wurde. Während die Male­rei eine singu­läre Kunst ist, ist die Druckkunst wie die Musik und die Lite­ratur multi­pel. Ihre Werke lassen mehre­re Einzel­fälle zu. Das Krite­rium dafür, dass wir einen Einzel­fall eines bestimm­ten Werks vor Augen haben, besteht darin, dass der Druck von der Platte des Künstlers stammt ([Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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: S. 116–118 & 192–194).


Notation und die Unmöglich­keit der Fäl­schung

Die Verfügbarkeit einer Notation schließt Fälschun­gen von beste­henden Werken oder Einzel­fälle solcher (im Gegen­satz zu Fälschun­gen von Werken ohne Ori­ginal und bestimm­ten Einzel­fällen) aus. In den bilden­den Künsten sind solche Fälschun­gen möglich; sie geben fälsch­licher­weise vor, eine Entste­hungsge­schichte zu besit­zen, die für das oder ein Ori­ginal uner­lässlich ist (⊳ Repli­ka, Faksi­mile und Kopie). In der Musik und der Lite­ratur sind sie ausge­schlossen, da die Nota­tion ein seman­tisches respek­tive syntak­tisches Iden­titäts­krite­rium liefert, das die Werke unab­hängig von ihrer Entste­hungsge­schichte iden­tifi­ziert. Werke, die solche Fälschun­gen zulas­sen, bezeich­net Goodman als ‘auto­graphisch’, Werke, die sie aus­schließen, als ‘allo­graphisch’ (vgl. [Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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: S. 113–122). Bezieht man die obi­gen Über­legun­gen ein, gilt: Ein Werk ist genau dann auto­graphisch, wenn seine Iden­tität durch seine Entste­hungsge­schichte bestimmt ist; es ist genau dann allo­graphisch, wenn seine Iden­tität syntak­tisch oder seman­tisch bestimmt ist (vgl. [Goodman & Elgin 1988]Literaturangabe fehlt.
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: S. 116–118 & 65; für eine kriti­sche Diskus­sion der Unter­scheidung vgl. [Levin­son 1990b]Levinson, Jerrold (1990).
Autographic and Allographic Art Revisited.
In Music, Art, and Metaphysics, 89-106.

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; [Pillow 2003]Literaturangabe fehlt.
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). Der Begriff der Nota­tion liegt Goodmans Unter­scheidung zwischen auto­graphi­schen und allo­graphi­schen Werken zugrun­de und ermög­licht eine Erklä­rung, weshalb manche Werke im rele­vanten Sinn gefälscht werden können und ande­re nicht.
Anmerkungen
  1. Na­tür­lich er­füllt nicht al­les, was wir ‘Par­ti­tur’ nen­nen, die­se Funk­ti­on; zu­dem ha­ben Par­ti­tu­ren wei­te­re Funk­ti­o­nen wie das Trans­po­nie­ren, das Ver­ste­hen und das Kom­po­nie­ren zu er­leich­tern.
  2. Ei­ne prak­ti­kab­le No­ta­ti­on hat zu­dem tech­ni­sche An­for­de­run­gen zu er­fül­len, die nichts mit der pri­mä­ren theo­re­ti­schen Funk­ti­on zu tun ha­ben, wie über­schau­bar klei­ne oder end­li­che Men­ge ato­ma­rer Cha­rak­te­re, Deut­lich­keit, Les­bar­keit, Dau­er­haf­tig­keit, Hand­hab­bar­keit, gra­phi­sche Ein­gän­gig­keit, mne­mo­tech­ni­sche Ef­fi­zienz und be­que­me Du­pli­zier­bar­keit ([Good­man 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
    Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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    : S. 154).
  3. Nach James Elkins sind schema­tische Bilder wie Karten, Pläne und genea­logische Bäume annä­hernd nota­tional (vgl. [Elkins 1999]Elkins, James (1999).
    The Domain of Images. London: Cornell University Press.

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    : Kap. 5, 6 & 13). Aber obwohl Elkins an Goodman anschließt, entspricht seine Verwen­dung von ‘nota­tional’ eher Goodmans Verwen­dung von ‘diagram­matisch’. Diagram­me unter­scheiden sich nach Goodman von Bildern im eigent­lichen Sinn dadurch, dass rela­tiv weni­ge ihrer Merkma­le konsti­tutiv dafür sind, zu welchem Charak­ter sie gehö­ren (vgl. [Goodman 1968]Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976).
    Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998.

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    : S. 228–230).
  4. Mit ge­wis­sen Ein­schrän­kun­gen kön­nen et­wa die di­gi­ta­len Spei­cher­for­ma­te für Bil­der (ge­nau­er: Bild­trä­ger), wie sie für die in­for­ma­ti­sche Bild­ver­ar­bei­tung oder Com­pu­ter­gra­phik ein­ge­setzt wer­den, als sol­che No­ta­ti­o­nen be­trach­tet wer­den.
  5. No­ta­ti­ons­sys­te­me die­nen da­bei als Ver­gleichs- und nicht als Wert­maß­stab, dem sich al­le Zei­chen­sys­te­me an­nä­hern soll­ten. Dass bild­li­che Zei­chen­sys­te­me al­le syn­tak­ti­schen und se­man­ti­schen An­for­de­run­gen an ei­ne No­ta­ti­on ver­let­zen, im­pli­ziert des­halb kei­ne Wer­tung ([Scholz 2004]Scholz, Oliver R. (2004).
    Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen. Frankfurt a. M.: Klostermann, 2., vollständig überarbeitete Aufl..

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    : S. 124, Fn. 50).
Literatur                             [Sammlung]

[Baumber­ger 2010]:
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[Davies 1991]:
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[Elgin 1983]:
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[Elgin 1992]:
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[Elkins 1999]: Elkins, James (1999). The Domain of Images. London: Cornell University Press.

[Goodman & Elgin 1988]:
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[Goodman 1968]: Goodman, Nelson (1968, 2. rev. Aufl. 1976). Languages of Art. Indianapolis: Hackett, dt.: Sprachen der Kunst. Suhrkamp 1998. [Herna­di 1991]:
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[Levin­son 1990a]: Levinson, Jerrold (1990). What a Musical Work is. In: Levinson, Jerrold (Hg.): Music, Art, and Metaphysics. Ithaca: Cornell University Press, S. 63-88. [Levin­son 1990b]: Levinson, Jerrold (1990). Autographic and Allographic Art Revisited. In: Levinson, Jerrold (Hg.): Music, Art, and Metaphysics. Ithaca: Cornell University Press, S. 89-106. [Pillow 2003]:
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[Scholz 2004]: Scholz, Oliver R. (2004). Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildhafter Darstellungen. Frankfurt a. M.: Klostermann, 2., vollständig überarbeitete Aufl.. [Steinbren­ner 1996]: Steinbrenner, Jakob (1996). Kognitivismus in der Ästhetik. Würzburg: Königshausen & Neumann. [Wollheim 1978]:
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Ausgabe 1: 2013

Verantwortlich:

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [28], Klaus Sachs-Hombach [10] und Christoph Baumberger [6] — (Hinweis)

Zitierhinweis:

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