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Aktuelle Version vom 15. Dezember 2019, 17:05 Uhr
Unterpunkt zu: Bildsyntax
Etymologie und allgemeine Bedeutung/enDer Ausdruck ‘Original’ und seine Pendants im Englischen, Französischen, Italienischen usw. leiten sich etymologisch von ‘origo’, dem lateinischen Wort für ‘Ursprung’ ab. Dem Grimmschen Wörterbuch zufolge ist ein Original etwas Ursprüngliches, entweder im Sinne des Eigentümlichen und Angeborenen oder aber im Gegensatz zu Kopie oder Nachahmung (siehe auch ⊳ Mimesis). Dieser Gegensatz ist nicht nur für schriftliche Artefakte von Belang, etwa bei Übersetzungen oder Abschriften eines Originals, sondern auch und gerade für Bilder, nämlich dann, wenn sie ein Vor- oder Urbild (siehe auch ⊳ Bildtermini im modernen Deutsch) nachbilden; wie etwa der Fall des Porträts zeigt, muss das Original jedoch nicht zwangsläufig selbst ein Bild sein (vgl. [Grimm 1889a]Grimm, Jacob & Grimm, Wilhelm (1889).Deutsches Wörterbuch. Bd. 13: N – Quuren. Leipzig: Hirzel. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 1347ff. [1]). Zwei Komponenten, die sich aus diesem allgemeinen Befund ergeben, sind noch zu ergänzen. Erstens ist die Rede vom Original oft, wenn gleich nicht immer, mit einer evaluativen Komponente verbunden. So kann es sich beim Original um das Echte handeln, auf dessen Autorität sich die Kopie stützt oder dessen Autorität die Fälschung zu Unrecht für sich reklamiert.[1] Zweitens sind für das Original häufig historische Komponenten oder genauer: besondere Verhältnisse zur Tradition konstitutiv. Der Logik von Original und Kopie folgend kann das Original in der Vergangenheit eine Tradition gestiftet haben, die durch Kopien in der Gegenwart aufrechterhalten wird. Im Sinne des Eigentümlichen aber kann das Original in der Gegenwart mit bestehenden Traditionen brechen (was natürlich nicht ausschließt, dass mit diesem Traditionsbruch eine neue Tradition inauguriert wird).
Diskurse und PraxisfelderFür das Thema des Originals besitzen mindestens vier, teils sich überlagernde Diskurse oder Praxisfelder Relevanz, und ihnen gemäß sind technische, wirtschaftliche, juristische und ästhetische Aspekte zu berücksichtigen.[2] Auch deswegen ist die Rede vom Original oft vieldeutig. Druckgrafik. Geschichte und Fachbegriffe. Mit 56 Abbildungen und Risszeichnungen. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 2., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 14, 126f., 138f.). Der Effekt dieser Tendenz ist zweideutig. Das Original mag aufgrund seiner Einzigkeit gegenüber der durch die Kopien ausgelösten Inflation an Wert gewinnen; praktisch wird das Original jedoch zumindest insofern nutzloser, als der Blick auf das Original zumeist durch den auf eine der vorhandenen Kopien ersetzt werden kann. Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 262ff.). Original, also eigentümlich, kann auf diesem Markt sowohl der Künstler als auch das Werk sein. Einerseits unterscheidet sich damit der originale Künstler von anderen Künstlern und das originale Werk von anderen Werken und Kopien, andererseits wird es so möglich, die Urheberschaft an den eigenen Werken zu beanspruchen oder sie sich als (veräußerungsfähiges) geistiges Eigentum zuschreiben zu lassen. Rechtliche und ästhetische Hinsichten überlagern einander insofern, als der Bezug auf das Original nicht allein den urheberrechtlichen Anspruch des Künstlers begründet, sondern parallel dazu auch die Auflösung der alteuropäischen Auffassung der Künste vorantreibt.[4] Seit der griechischen Antike wurden Künste als Mimesis der Natur begriffen, als Nachahmung also, die nach den Regeln einer techne ins Werk zu setzen war; die lateinische Tradition spricht analog dazu von imitatio, die auch auf hervorragende exempla und nicht nur auf die Natur ausgerichtet sein konnte, und von Regeln der ars. Die Ästhetiken des Originals ersetzen im 18. Jahrhundert diese objektive Fundierung durch eine subjektive. Demnach soll der Künstler nicht mehr Regeln, sondern nur seiner Originalität verpflichtet sein, was sich in der Produktion des authentischen Originalwerks niederzuschlagen hat, das sich von älteren Werken als neu abhebt. Das Original steht im Kern der Genieästhetik und auch der späteren romantischen Kunstauffassung.
TheorienVon den zahlreichen Theorien, die das Original erfolgreich zum Gegenstand gemacht haben, seien im Folgenden drei der wichtigsten kurz vorgestellt. Dabei handelt es sich um die Genieästhetik Edward Youngs, das kulturrevolutionäre Programm Walter Benjamins und die Symboltheorie Nelson Goodmans. Die «Conjectures on Original Composition», die der Dichter und Theoretiker Young 1759 veröffentlichte, stellen in mehrfacher Hinsicht eine Sammlung der bis dato entwickelten Theorien des Genies dar und kombinieren rechtliche, wirtschaftliche und ästhetische Aspekte. In seiner Kritik an der regelgeleiteten Produktion von Werken und in der Feier des Künstlers als eines starken Individuums stützt er sich vor allem auf ein Vokabular der Natur und des Eigentums bzw. der Eigentümlichkeit:
Conjectures on Original Composition. London, New York, Bombay: Longman, Greens, hrsg. v. Edith J. Morley. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 8f.). Um nicht weitere Duplikate des ohnehin schon Vorhandenen anzufertigen, muss der Künstler einer Forderung gerecht werden, die Young durch einen Vergleich zwischen dem (Buch-)Druck und einem der ältesten Reproduktionsverfahren überhaupt beschreibt, nämlich der Münzprägung: „we should send new metal to the mint, that is, new meaning to the press“ ([Young 1918a]Young, Edward (1759). Conjectures on Original Composition. London, New York, Bombay: Longman, Greens, hrsg. v. Edith J. Morley. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 7f.). Wenn nun aber Originale in ästhetischer Hinsicht allererst durch die von den Massenmedien erzeugten Kopien notwendig werden, so ist – pointiert gesagt – das Original das Sekundäre und die Kopie das Primäre.[5] Gesammelte Schriften. Bd. I.2. Frankfurt/M.: Suhrkamp, Hrsg. v. Rolf Tiedemann & Hermann Schweppenhäuser. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 486). Ihm zufolge gibt es bei Kunstwerken traditionell eine Qualität, die nicht reproduziert werden kann, nämlich die Echtheit.[6] Zu ihr expliziert er: „Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus, und auf deren Grund ihrerseits liegt die Vorstellung einer Tradition, welche dieses Objekt bis auf den heutigen Tag als ein Selbes und Identisches weitergeleitet hat.“ ([Benjamin 1974a]Benjamin Walter (1974). Gesammelte Schriften. Bd. I.2. Frankfurt/M.: Suhrkamp, Hrsg. v. Rolf Tiedemann & Hermann Schweppenhäuser. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 437). Während nach Benjamin der Status des Originals und die von ihm gestiftete Tradition – oder mit einem Wort: die „Aura“ – durch die manuelle Reproduktion nicht berührt werden, sieht er sie durch die massenweise Reproduktion per Fotografie oder grundsätzlich in Frage gestellt.
Qua Reproduktionstechniken untergraben Fotografie und Film nach Benjamin die zeitliche/historische und räumliche Besonderheit bestehender Originale; qua Produktionstechniken erzeugen sie außerdem keine neuen Originale im emphatischen Sinn mehr, sondern nur noch von vornherein auf Reproduktion ausgerichtete Artefakte. Inwiefern haben nach Benjamin nun Fotografie und Film den Gesamtcharakter der Kunst verändert? Benjamins kulturrevolutionäres Programm sieht in ihnen einerseits die Depotenzierung des rituellen Umgangs mit der Kunst, der sich auf das Original gestützt hatte,[7] andererseits die Option auf einen politischen Umgang mit ihr in der Zukunft. Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 113). Das „exakteste Duplikat“, an dem Goodman seine Definition illustriert, ist eines, das durch bloßes Anschauen nicht vom Original unterschieden werden kann. Selbst hier ist der Unterschied zwischen Original und Duplikat noch auf drei Ebenen ästhetisch relevant,
Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 116); bei Texten handelt es sich um die korrekte Abfolge von Buchstaben, Satzzeichen und Zwischenräumen, bei Partituren üblicherweise um die korrekte Abfolgen von Markierungen für Tonhöhe und Tondauer im Notensystem. Für das literarische oder musikalische Werk macht es keinen Unterschied, ob es als Originalmanuskript oder x-beliebiger Druck vorliegt, solange es nur die identischen Elemente und die entsprechende Anordnung aufweist. Goodmans Aufwertung des Originals in der bildenden Kunst hingegen ergibt sich aus einem Bildbegriff, für den syntaktische Dichte eine notwendige Bedingung darstellt. Syntaktische Dichte besagt, alltagssprachlich formuliert, dass noch die kleinsten Unterschiede für die Betrachtung und Bewertung eines Bildes wichtig sind. Ein Bild ist daher in seiner konkreten materiellen Beschaffenheit unersetzlich, wir können uns bei Kopien niemals sicher sein, ob relevante Eigenschaften im Kopierprozess vernachlässigt wurden.
AusblickAus dem Vorhergehenden lässt sich ableiten, dass sich die Semantik von ‘Original’ mit zentralen Elementen der allgemeinen Bildtheorie überschneidet, dass sie komplex und bisweilen paradox ist und kontrovers diskutiert wird. Elemente wie in der allgemeinen Bildtheorie finden sich insofern, als auch hier Ähnlichkeit und Kausalität Gegenstand der Reflexion sind und darüber hinaus ‘Original’ als Synonym für ‘Archetyp’ gebraucht werden kann (vgl. [Hüllen 1971a]Hüllen, Jürgen (1971).Archetypus. In Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 1 (A-C), 497-500. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 497); mit Letzterem schließt ‘Original’ an das für Antike und Mittelalter ausschlaggebende Wortfeld um das griechische ‘typtein’ und ‘typos’ an. Komplex ist die Semantik von ‘Original’ wegen der klassifikatorischen und evaluativen Verwendungsweisen, der unterschiedlichen Gegenbegriffe, der sich überlagernden Diskurse und Praxisfelder und der Möglichkeit, sowohl auf Produzenten als auch auf Artefakte zu referieren. Paradox wird sie dort, wo ausgerechnet Neues und Ursprüngliches verschmelzen, und auch dort, wo Original und Kopie interferieren. Abgesehen davon, dass Originalität in Anbetracht von Originalitätszwang ausgerechnet in der Kopie bestehen könnte, gibt es in diesem Zusammenhang vor allem das Problem der Originalgrafik. Unter bestimmten Auflagen kann ein Druckblatt, also eine Reproduktion, den Status eines Originals erhalten, beispielsweise wenn der Künstler den Entwurf und die Druckform anfertigt, den Druckprozess überwacht und die Abzüge signiert (vgl. [Rebel 2009a]Rebel, Ernst (2009). Druckgrafik. Geschichte und Fachbegriffe. Mit 56 Abbildungen und Risszeichnungen. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 2., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Eintrag in Sammlung zeigen: S. 238). Kontrovers diskutiert wird schließlich insbesondere die Frage, inwiefern die Heraufkunft der technischen Medien die ästhetische Relevanz des Originals berührt: Während Benjamin das Original in der bildenden Kunst schwinden sieht, hält Goodman an diesem fest. Dies ist nicht zuletzt der Wahl des zentralen Gegenstands geschuldet: Benjamins Augenmerk gilt vor allem der Fotografie und dem Film, für Goodman hingegen steht noch die Malerei im Fokus. |
Anmerkungen
[Baxandall 1999a]: Baxandall, Michael (1999). Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien der Renaissance. Berlin: Klaus Wagenbach, nach der korrigierten zweiten Auflage von: Painting and Experience in 15th Century Italy. A Primer in the Social History of Pictorial Style, Oxford University Press 1988.
[Benjamin 1974a]: Benjamin Walter (1974). Gesammelte Schriften. Bd. I.2. Frankfurt/M.: Suhrkamp, Hrsg. v. Rolf Tiedemann & Hermann Schweppenhäuser. [Debray 1999a]: Debray, Régis (1999). Jenseits der Bilder. Eine Geschichte der Bildbetrachtung im Abendland. Rodenbach: Avinus Verlag, franz. Original: Vie et mort de l'image. Une histore du regard en Occident, Paris, Éditions Gallimard 1992. [Goodman 1995a]: Goodman, Nelson (1995). Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Grimm 1889a]: Grimm, Jacob & Grimm, Wilhelm (Hg.) (1889). Deutsches Wörterbuch. Bd. 13: N – Quuren. Leipzig: Hirzel. [Häseler 2002a]: Häseler, Jens (2002). Original/Originalität. In: Barck, Karlheinz; Fontius, Martin; Schlenstedt, Dieter; Steinwachs, Burkhart; Wolfzettel, Friedrich (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 4: Medien – Populär. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler, S. 638-655. [Hüllen 1971a]: Hüllen, Jürgen (1971). Archetypus. In: Ritter, Joachim (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 1 (A-C). Basel: Schwabe, S. 497-500. [Luhmann 1995a]: Luhmann, Niklas (1995). Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp. [Plumpe 1988a]: Gerhard Plumpe (1988). Kunst und juristischer Diskurs. Mit einer Vorbemerkung zum Diskursbegriff. In: Fohrmann, J. & Müller, H. (Hg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 330-345. [Rebel 2009a]: Rebel, Ernst (2009). Druckgrafik. Geschichte und Fachbegriffe. Mit 56 Abbildungen und Risszeichnungen. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 2., durchgesehene und aktualisierte Auflage. [Schmücker 2011a]: Schmücker, Reinold (2011). Lob der Fälschung. In: Nida-Rümelin & Steinbrenner, Jakob (Hg.): Original und Fälschung. Ostfildern: Hatje Cantz, S. 71-91, Kunst und Philosophie. Bd. 3. [Young 1918a]: Young, Edward (1759). Conjectures on Original Composition. London, New York, Bombay: Longman, Greens, hrsg. v. Edith J. Morley. Ausgabe 1: 2013 Verantwortlich: Lektorat: Seitenbearbeitungen durch: Dimitri Liebsch [58] und Joerg R.J. Schirra [27] — (Hinweis) Zitierhinweis: [Liebsch & Sachs-Hombach 2013g-a]Literaturangabe fehlt. |