Phänomenologische Bildtheorien

Aus GIB - Glossar der Bildphilosophie
Version vom 4. Mai 2011, 13:11 Uhr von Franziska Kurz (Diskussion | Beiträge) (Beschreibung und Erklärung der Methode)
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Unterpunkt zu: Bildtheoretische Ansätze


Historische Wurzeln/ Ideengeschichte

Die theoretische Grundlage für die zahlreichen Spielarten phänomenologischer Bildanalysen liefert Edmund Husserl mit seinen bahnbrechenden Studien zum phänomenologischen Bildbewusstsein. Seine Leistung für die Bildtheorie ist in drei Aspekten zu resümieren. Erstens hat seine Destruktion der erkenntnistheoretischen Bildertheorie einen wesentlichen Beitrag zur nachfolgenden Vielfalt der Bildbegriffe ermöglicht (Bild als imaginäre Projektionsfläche, als Fenster, als Nichtung, als Zug, als „Sehen gemäß…“, als Darstellung, als Erscheinen von Sichtbarkeit usw.). Zweitens haben seine Studien zum Bildbewusstsein den Weg für die Berücksichtigung produktiver Konstitutionsleistungen geebnet, die in der nachfolgenden Phänomenologie eine wesentliche Rolle spielen. Drittens hat die Relevanz der Intentionalität bemerkenswerte Analogisierungen von Phänomenologie und Malerei ermöglicht. Wesentliches Motiv ist die Abgrenzung gegenüber einer herkömmlichen Abbildtheorie als Erkenntnistheorie, die in den Spielarten von Naturalismus und Historismus das Bild als Abbild der Wirklichkeit betrachtet und als Reproduktion der äußeren Realität im Bewusstsein eines Betrachters auffasst. Husserl unterläuft diese bildtheoretische Dichotomie mithilfe eines intentionalen Bildbewusstseins, in dessen Zentrum die Frage steht, wie die Dinge im Wie ihres Wahrgenommenseins im Medium der Bilder erscheinen. Die ursprünglich transzendentale Phänomenologie wird in eine genetische Phänomenologie umgearbeitet, die das Feld für zahlreiche methodische Variationen öffnet (anthropologische, ontologische, strukturale existenziale, dekonstruktive, archäologische, responsive, materiale Phänomenologie usw.).

Hauptvertreter

Edmund Husserl (1859-1938), Martin Heidegger (1889 – 1976), Jean-Paul Sartre (1905 – 1980), Maurice Merleau-Ponty (1908-1961), Bernhard Waldenfels (1934), Jean-Luc Nancy (1940), Jacques Derrida (1930-2004), Gottfried Boehm (1942), Dieter Mersch (1951), John Sallis (1938), Edward S. Casey (1939), Mauro Carbone (1956)

Beschreibung und Erklärung der Methode

Ausgangspunkt der phänomenologischen Bildtheorie ist das Prinzip, dass der Anfang jeder Beschreibung „die reine und sozusagen noch stumme Erfahrung“ ist, die erst zur reinen Aussprache ihres eigenen Sinnes zu bringen ist (Hua I, S. 77). Die Wahrnehmung gilt als Urmodus eines Erscheinens, in der was und wie der Erscheinung intentional verklammert sind. Bildlichkeit entsteht, wenn ein Bildding als ein Bild aufgefasst wird und auf diese Weise im Bild ein Bildsujet zu sehen ist. Eine Bildlichkeit geht daher nicht auf eine Verdoppelung der äußeren Wirklichkeit zurück, die „re-präsentiert“ wird. Husserl unterscheidet vielmehr zwischen dem physischen Ding (Trägermaterial), dem Bildobjekt (das Erscheinende bzw. der Repräsentant) und dem Bildsujet (das Repräsentierte). Das Bild selbst ist dabei „unsichtbar“, da es nur im Bildhaften der Dinge und des Sehens auftaucht. Das Hervortretenlassen als Bild gilt als eigentliche Leistung des Bildbewusstseins, das Aspekte wie die Fiktivität der Objekte, die Unterscheidung zwischen einem Bild- und einem Zeichenbewusstsein, den Widerstreit zwischen Fiktion und Realität, Neutralitätsmodifikationen, eine mehrfältige Bildlichkeit und höherstufige Bildvorstellungen umfasst. Bewusstsein ist immer Bewusstsein von etwas, wobei zu diesen Modifikationen zahlreiche Aspekte gehören, so Aktualität und Potentialität, Mehrmeinung und Verschattetes, räumliche und zeitliche Horizonte, identifikatorische Synthesen und Passivitäten sowie Modi der Aufmerksamkeit. Wichtig wird die signifikative Differenz, derzufolge etwas als etwas erscheint oder sichtbar (oder hörbar usw.) wird. Bereits Husserl betont, dass wir es nicht erst mit Dingen zu tun haben, die wir auf eíner zweiten Stufe als Bilder wahrnehmen, sondern dass etwas als etwas im Bild sichtbar wird. An diese signifikative Differenz schließt sich die sogenannte pikturale (Waldenfels) oder ikonische Differenz (Boehm) an. Das Bild verdoppelt oder differenziert sich in das, was ins Bild kommt und das, worin etwas ins Bild kommt, so dass wir es nicht mit der Dichotomie von realem Bildding und subjektiver Bildauffassung zu tun haben, sondern mit der Frage, wie sich ein Etwas (Flecken oder Farbpigmente auf einem Untergrund) mit einem Sinn „beseelt“ und im Bild als Bild wahrgenommen wird. Zwar öffnen sich von hier aus Grenzformen (z.B. Materialisierungen von Farbe oder Transfigurationen zu Bilddingen oder Dingbildern), aber die pikturale oder ikonische Differenz selbst verschwindet nicht. Dieses Phänomen gibt Raum für potenzierte Sichtbarkeiten, Verkörperungen im Bild, Bildereignisse oder Bildtypen. Das Bild als „Spiegelbild“ geht von einer Selbstverdoppelung und Selbstvervielfältigung des bildhaft Sichtbaren ausgeht (Waldenfels). Die Struktur dieses Bildtypus besagt: x ähnelt y oder x sieht aus wie y. Hier geht es um eine Verähnlichung. Der entsprechende Prototyp ist der Spiegel, in dem eines auf anderes verweist und Wiederholungseffekte erzeugt. Die zweite Dimension des Bildes als „Spur“ folgt den Prozessen der Vergegenwärtigung. Die Rolle dieses Bildes besteht in einer Vergegenwärtigung, die Abwesendes und Fernes in Nähe verwandelt. Die Strukturform dieses Erinnerungsbildes besteht in einer repräsentativen Funktion: x erinnert an y. Durch dieses Verhältnis der Repräsentation wird das primäre Spiegelbild, das auf einer ursprünglich ikonischen Fiktion beruht (x sieht aus wie y), bereichert durch verweisende Spuren, die mit affektiven Aufladungen einhergehen. Die dritte Kategorie von Bildern konstituiert den Typus eines Entzuges, der auf Fremdheiten zurückgeht. Diese Bilder erzeugen keine Evidenz, sondern Brechungen und Entgegenwärtigungen. Diese Bildoperationen beruhen nicht auf Ähnlichkeit und Repräsentation. Im Zentrum dieser Bildstrategie steht vielmehr eine responsive Struktur, die sich in der Formel bekundet: x fordert auf zu y. In dieser appellativen Dimension verwirklicht sich das eigentlich Unsichtbare von Bildern. Gegenüber einer Bildanthropologie erlauben diese Methoden phänomenologischer Bildtheorie komplexere Reflexionen bezüglich des Verhältnisses von Sichtbarem und Unsichtbarem. Gegenüber der sprachanalytischen Bildtheorie wird der reichhaltige Raum vorprädikativer Erfahrungen in der Konstitution von Bildern berücksichtigt. Gegenüber der Semiotik werden die zahlreichen überschüssigen Prozesse betont, die über einen Zeichengebrauch hinausgehen. Sehen ist „mehr“ als „nur“ Entzifferung von Zeichen als „Lektüre eines Gesagten“. Es ist vielmehr produktives und konstituierendes Sehen (überschüssiges Sagen). Im Kontrast zur Semiotik kommt es zu einer eigenen pikturalen Logik, die von der diskursiven Logik verschiedenen ist. Chiasmatische Prozesse zwischen Einfallen und Auffallen spielen dabei ebenso eine Rolle wie Grenzüberschreitungen (von Konventionen, Regeln, Habitualitäten, Prozessen und Ordnungen) und Transfigurationen.

Geeignete Bildtypen bzw. Bildexemplare
Anmerkungen
Literatur                            [Sammlung]

Keine Literaturangaben


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Verantwortlich:

Silvia Seja

Seitenbearbeitungen durch: Joerg R.J. Schirra [31] und Franziska Kurz [10] — (Hinweis)